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Kindschaftsrecht: Vorrang des gemeinsamen Sorgerechts bei Scheidung wird abgelehnt

1. September 1995 - 1389

Hanna Wolf Kindschaftsrecht: Vorrang des gemeinsamen Sorgerechts bei Scheidung wird abgelehnt

Zu dem heute von der Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vorgestellten Entwurf zur "Reform des Kindschaftsrechts" erklärt die Frauenpolitike- rin der SPD-Bundestag-fraktion, Hanna Wolf:

Der Hauptkritikpunkt an dem Vorhaben der Bundesjustizmini- sterin Leutheusser-Schnarrenberger ist die automatische Fortgeltung des gemeinsamen Sorgerechts im Scheidungsfall, solange kein Elternteil die alleinige Sorge beantragt. Trotz der erheblichen Konflikte, die in den meisten Fällen bei Scheidungen bestehen, soll im Regelfall das gemeinsame Sorgerecht auch über den Scheidungsfall hinaus gelten. Eine solche Regelung ist weltfremd und widerspricht dem Wohl der Kinder ebenso wie einer Minimierung des Konflikt- potentials zwischen den Eheleuten. Ein gemeinsames Sorge- recht - oder besser: eine gemeinsame elterliche Verantwor- tung - ist nur dann sinnvoll, wenn die Eltern tatsächlich in der Lage sind, sich zu einigen, d. h., daß sie sich beide über ein gemeinsames Sorgerecht einig sind und auch die praktische Ausgestaltung untereinander regeln.

Auf diese notwendige Einigungsfähigkeit verzichtet die Bundesjustizministerin und will un-differenziert das ge- meinsame Sorgerecht allen Eltern auch nach der Scheidung weiterhin belassen. Nach dem Gesetzentwurf aus dem Bundes- justizministerium soll zwar auf Antrag auch eine alleinige Sorge möglich sein, die antragstellende Person - meist würde es die Frau sein, da sie überwiegend die Kinder betreut - würde dann aber immer als "Spielverderberin" angesehen werden, die dem Vater das Sorgerecht entziehen will.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat daher im Juni d. J. einen Antrag zur Reform des Kindschaftsrechts in den Bundestag eingebracht, der von folgenden Prinzipien geleitet ist:

-Ein gemeinsames Sorgerecht von nicht verheirateten oder geschiedenen Eltern ist nur bei entsprechender Einigung der Eltern möglich. Es soll keine Privilegierung einer bestimmten Sorge- rechtsform geben - ob nun gemeinsames oder alleiniges Sorgerecht.

-In einer umfassenden Elternvereinbarung legen die getrennt lebenden Eltern u. a. fest, wo das Kind lebt, welche Kontakte es mit dem von ihm getrennt lebenden Elternteil hat, wie der Unterhalt geregelt wird. Nur wenn sich die Eltern nicht einigen können, entscheidet das Gericht.

-Die elterliche Verantwortung hat Vorrang vor jedem staatlichen Eingriff. Die rechtzeitige Beratung von Eltern und Kindern in Kon- flikten muß gefördert werden.

Die SPD-Bundestagsfraktion wird der Sorgerechtsregelung der Bundesjustizministerin in der vorgeschlagenen Form keinesfalls zustimmen. Positiv ist dagegen die Aufhebung der Unterschiede zwischen nichtehelichen und ehelichen Kindern und die Möglichkeit eines gemeinsamen Sorgerechts für nichteheliche Eltern zu beurteilen, die sowohl in dem Gesetzentwurf der Justizministerin als auch in dem SPD- Antrag enthalten sind. 01.09.1995 nnnn