Bundeshaushaltsgesetz 1996
Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/52 vom 07.09.1995
Seite: 4424
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile der
Abgeordneten Hanna
Wolf das Wort.
Hanna Wolf (München) (SPD): Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Bevor ich auf den Bundeshaushalt eingehe, möchte ich
unsere
Aufmerksamkeit auf die Weltfrauenkonferenz in Peking richten. Es ist
einfach skandalös, wie die chinesische Regierung versucht, den
Ablauf
der Konferenz, besonders jener der NGOs, zu stören.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
bei Abgeordneten der CDU/CSU und F.D.P.)
Die Einschränkungen und Behinderungen, die Bespitzelungen und die
selektive Vergabe von Visa durch die chinesischen Behörden sind
beispiellos für eine Konferenz, die von der UNO veranstaltet wird.
(Zuruf von der CDU/CSU: Was soll man von einem kommunistischen
System anderes verlangen?)
Ich protestiere auf das schärfste - ich hoffe, im Namen von uns
allen
und besonders auch im Namen der Kolleginnen, die jetzt in Peking sind.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
PDS sowie bei
Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)
Dies an die chinesische Adresse.
Die Ministerin Nolte hat in Peking und auch hier immer unsere volle
Unterstützung, wenn sie klar und deutlich für Menschenrechte
von
Frauen eintritt.
(Beifall im ganzen Hause)
Ich begrüße es, daß Frau Nolte in Peking wörtlich
betont hat, "keine
religiösen, kulturellen oder traditionellen Einschränkungen"
der
Menschenrechte von Frauen hinnehmen zu wollen. So war es schon auf
der
UNO-Menschenrechtskonferenz in Wien beschlossen worden.
Wir fordern aber von der Ministerin, daß sie die Menschenrechte
der
Frauen auch hierzulande konsequent umsetzt.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
PDS)
Von ihrem persönlichen Abstimmungsverhalten bei der Reform des
Abtreibungsrechts möchte ich hier nicht reden. Ich möchte
nur darauf
hinweisen - das hat die Ministerin in Peking offenbar vergessen -,
daß nicht nur Zwangsabtreibungen, sondern auch Zwangsschwangerschaften
eine Verletzung der Menschenrechte darstellen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
PDS)
In Peking soll eine Aktionsplattform dahin formuliert werden, daß
alle
Frauen ein Recht auf die Bestimmung der Zahl ihrer Kinder haben. Ich
habe gerade von der Staatssekretärin gehört, daß Sie
gegenüber den
Forderungen von Wien und Kairo nicht zurückgehen wollen. Darüber
sind
wir sehr glücklich; wir freuen uns, daß wir alle hierin
übereinstimmen.
Dann gehört auch diese Passage dazu.
Wenn sich Deutschland zu den Menschenrechten von Frauen bekennt, dann
müssen wir auch den Frauen Asyl gewähren, die auf Grund ihres
Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung in ihren Heimatländern
verfolgt, vergewaltigt, verstümmelt oder mit dem Tod bedroht werden.
Algerien ist nur das aktuellste Beispiel.
(Beifall der Abg. Ingrid Holzhüter (SPD))
Wir müssen darauf dringen, daß diese Verletzungen der Menschenrechte
von
Frauen in ihren Heimatländern aufhören. Die deutsche Diplomatie
und die
deutsche Wirtschaftspolitik sind dazu aufzurufen, diese Menschenrechte
nicht um des kurzfristigen Profits willen zu verraten.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben ebenfalls schon lange gefordert, daß hierzulande das
abhängige Aufenthaltsrecht von ausländischen Ehefrauen in
ein
eigenständiges umgewandelt wird. Wenn diese Frauen von ihren deutschen
oder ausländischen Ehemännern mit Gewalt bedroht werden,
darf es für
dieses Aufenthaltsrecht keine Fristen geben.
Liebe Kolleginnen von der CDU/CSU und besonders von der F.D.P. - Frau
Schmalz-Jacobsen, ich sehe Sie da eigentlich in großer Übereinstimmung
mit unseren Forderungen -, jetzt müssen wir in diesem Bereich
auch
handeln. Wir haben uns das vor der Sommerpause vorgenommen. Jetzt ist
es
so weit, daß wir uns im Bereich der Gewalt von den vorgesehenen
Fristen
trennen müssen. Ich bitte sehr herzlich darum, daß wir darin
zu einer
Übereinstimmung kommen; denn sonst darf Ihre Seite diese Reden,
die wir
alle im Bundestag halten, nicht mehr halten.
(Beifall bei der SPD)
Darüber hinaus muß der Frauen- und Mädchenhandel hierzulande
wirkungsvoll verfolgt werden. Deshalb müssen die Opfer durch unsere
Gesetze vor Abschiebung geschützt werden.
Die Ministerin Nolte erklärte in Peking, sie werde - ich zitiere
jetzt - "jegliche
Anstrengungen unternehmen, daß künftig auch Vergewaltigung
in der Ehe unter Strafe gestellt wird." Dann darf sie aber auch nicht
-
das Gesetz ist lange überfällig; wir haben schon so oft darüber
geredet,
aber es soll ja jetzt kommen - in das Gesetz hineinschreiben wollen,
daß Opfer selbst darüber entscheiden sollen, ob Täter
bestraft werden.
Eine solche Entscheidung darf nur das Gericht fällen.
(Beifall bei der SPD sowie dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Ministerin hat für 1996 eine Kampagne angekündigt, in
der Männer
und Frauen für die immer noch bestehende Benachteiligung von Frauen
sensibilisiert werden sollen. Jetzt habe ich gedacht, der Bundeskanzler
sei extra gekommen, um an dieser Sensibilisierungskampagne teilzunehmen,
aber wie wir sehen, hat er den Raum verlassen. In diesem Sinne war
es
eine Fehlkalkulation, daß er sich tatsächlich auch einmal
für dieses
Thema interessiert. Aber er wäre ganz dringend hier gefordert,
denn
Sensibilisierungskampagnen hatten wir genug. Alle, die damit erreicht
worden sind, sind sensibilisiert genug. Wir brauchen keine Worte, keine
Kampagnen, sondern Taten, und das nicht nur auf der Weltfrauenkonferenz,
sondern auch hier. Wir brauchen Gesetze.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Die Ministerin ist mit der Einstellung nach Peking abgereist, bei uns
sehe es für die Frauen ganz gut aus. Das ist auch so in ihrem
Bericht
über die Lage der Frauen in Deutschland zu lesen. Dabei ignoriert
sie
völlig, daß die deutschen NGOs zu einem ganz anderen Urteil
kommen. Sie
ignoriert auch, daß wir uns dabei natürlich mit anderen
Industrieländern
vergleichen müssen.
Und weltweit gesehen? Die Frauen leisten die meiste Arbeit und besitzen
nur einen verschwindend geringen Teil des Vermögens. Sie haben
mindere
Rechte oder können ihre Rechte nicht wahrnehmen. Der Internationale
Gewerkschaftsbund hat errechnet, daß bei dem heutigen Tempo der
Entwicklung noch 475 Jahre bis zur Gleichberechtigung vergehen werden.
(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)
Ich denke, diese Zahl ist eindrucksvoll genug.
(Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Wir sind auf dem Weg!)
- Wir sind auf dem Weg. Wir werden dann allerdings diese Strecke nur
wenig begleiten können. Das wäre doch sehr schade. Sie haben
immer
angekündigt, daß wir mit Ihnen auf der Strecke des Fortschritts
sind.
Ich bitte Sie jetzt, diesen endlosen Ankündigungen Taten folgen
zu
lassen, gerade auch was die Frauen betrifft. Deswegen gehe ich heute
auch speziell darauf ein. Auf den Bereich Jugend wird mein Kollege
Hagemann eingehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nirgends sind die Verhältnisse
rosig,
auch bei uns nicht. Daran hat auch das neue Ministerium nichts geändert,
nicht nur, weil dem Ministerium nach der Zuständigkeit für
das
Bundessozialhilfegesetz auch noch die Zuständigkeit für das
Kindergeld
genommen wurde, sondern es liegt vor allem daran, daß die Ministerin
ihr Ressort nicht als Querschnittaufgabe versteht und begreift. In
einem solchen Ministerium braucht es politische Durchsetzungskraft.
Die
hat Frau Nolte nicht, und der Kanzler gibt sie ihr auch nicht.
(Zuruf von der SPD: Leider!)
Nehmen wir einen wichtigen verbliebenen Haushaltspunkt: das
Erziehungsgeld. Hier hat die Ministerin selbst gefordert, die
Einkommensgrenzen so anzuheben, daß wieder der größte
Teil der Eltern
das volle Erziehungsgeld auch nach dem sechsten Lebensmonat des Kindes
erhalten kann. Geschehen ist aber nichts, nicht einmal eine ernsthafte
Ankündigung einer Gesetzesänderung, von entsprechenden Entwürfen
ganz zu
schweigen. Statt dessen müssen wir feststellen, daß für
die Zahlung des
Erziehungsgeldes 1996 100 Millionen DM weniger vorgesehen sind als
noch
im Haushalt 1995. Wieder sind viele Familien und Alleinerziehende aus
der Förderung herausgefallen. Hätte Frau Nolte diesen Haushaltstitel
in
seiner vollen Höhe verteidigt, dann hätte sie die Möglichkeit
gehabt,
die Bemessungsgrenzen zu verändern, um wieder mehr Eltern mit
Kindern
das Erziehungsgeld zukommen zu lassen.
Die Ministerin sieht ihr Haus gern als Haus der Generationen. Sie sagt,
die Jugend darf darin nicht gegen die Senioren ausgespielt werden.
Gleichzeitig spielt sie aber die Familienpolitik gegen die Frauen aus.
Es ist töricht, immer nur die Frauen mit der Familie in Zusammenhang
zu
bringen. Ich zitiere aus einem Brief des Bundes der Deutschen
Katholischen Jugend:
Die heutige Mädchengeneration will nicht nur die Familie, sondern
darüber hinaus einen aussichtsreichen Platz in Beruf und Öffentlichkeit.
Erst recht dürfen familiäre Bindungen Mädchen nicht
zum Nachteil
gereichen.
Aber sie gereichen ihnen später doch zum Nachteil. Ein ausreichendes
Angebot an Ganztagsschulen, qualifizierten Hort- und Krippenplätzen
ist
das, was ihnen und einigen engagierten Partnern immer noch fehlt.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin
Wolf, gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Abgeordneten Singhammer?
Hanna Wolf (München) (SPD): Bitte.
Johannes Singhammer (CDU/CSU): Frau Kollegin Wolf, Sie
haben kritisiert,
daß die Bundesregierung nicht sofort das Erziehungsgeld entsprechend
erhöht hat. Ich frage Sie: Ist Ihnen bekannt, daß bereits
in dieser
Legislaturperiode innerhalb von zehn Monaten der Familienleistungsausgleich
auf den Weg gebracht worden ist? Ist Ihnen bekannt, daß in der Stadt,
aus der wir beide gemeinsam kommen, nämlich in München, wo eine
rot-grüne Stadtregierung das Sagen hat, nahezu alle freiwilligen familienpolitischen
Leistungen in den letzten Jahren
gekürzt worden sind?
(Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf von der SPD: Warum denn?)
Hanna Wolf (München) (SPD): Herr Kollege, ist Ihnen
bekannt, daß wir
eine Bundesregierung haben, die den Kommunen immer mehr Lasten
aufbürdet,
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
und daß die Kommunen nicht mehr wissen, wo sie das Geld für
ihre Etats
hernehmen sollen?
(Eduard Oswald (CDU/CSU): Eine sehr billige Antwort! - Weiterer Zuruf
von der CDU/CSU: Wie ist das denn in München? - Gegenrufe von
der SPD)
- Gut, ich verstehe ja, daß diese rhetorischen Retourkutschen
gefahren
werden.
Was brauchen die Frauen besonders? Sie brauchen unter anderem ein
ausreichendes Angebot an Ganztagsschulen. Es ist Ihnen bekannt, daß
Ganztagsschulen für Bayern den Inbegriff des Revolutionären
darstellen.
Ganztagsschulen werden in Bayern sozusagen nach wie vor nicht
zugelassen. Bayern bildet in dieser Beziehung das Schlußlicht
nicht nur
in Europa. Bayern befindet sich am allerletzten Ende dessen, was man
heute in bezug auf pädagogische und sonstige Einrichtungen braucht,
um
den Anspruch von Frauen und auch von Männern, wenn sie sich dann
endlich
einmal richtig um die Familie kümmern - Sie wollen das ja immer
ganz
besonders -, auf Teilhabe einlösen zu können. Daneben brauchen
wir
Hort- und Krippenplätze, damit wir die erforderlichen begleitenden
Einrichtungen zu unserer Verfügung haben.
Wie verhält es sich mit dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz?
Wir kennen diese Debatte. Wir sagen: Der Bund hätte finanzielle
Mittel
für dieses Jahrhundertwerk zur Verfügung stellen müssen.
(Katrin Fuchs (Verl) (SPD): Das kann er immer noch!)
Wenn Sie sagen, daß die Länder Geld bekommen haben, erwidern
wir: Sie
haben nicht genug bekommen. - Dieser Streit ändert aber nichts
an der
Tatsache, daß wir diesen Rechtsanspruch sofort und am liebsten
ohne eine
Stichtagsregelung einlösen möchten.
(Katrin Fuchs (Verl) (SPD): Der Bund drückt sich vor seiner
Verantwortung!)
Das brauchen die Familien; die Frauen haben das durchgesetzt. Darauf
können wir stolz sein. Allerdings sind die finanziellen Engpässe
eindeutig.
Was Frauen aber vor allem fehlt, sind qualifizierte Arbeitsplätze.
Von
der steigenden Langzeitarbeitslosigkeit sind vor allem Frauen betroffen.
Kürzungen bei Umschulungsmaßnahmen treffen wieder in erster
Linie
Frauen. In diesem Jahr fehlen Tausende von Ausbildungsplätzen,
ganz
besonders auch für Mädchen. Eine Debatte darüber haben
wir ja vorhin
geführt. Mit der von der SPD geforderten Quotierung der
Ausbildungsplätze hätten Mädchen wenigstens am Anfang
Chancengleichheit
vorgefunden. Um Frauen insgesamt bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt
zu geben, brauchen wir ein Gleichstellungsgesetz, das in allen
Wirtschaftsbereichen gilt. Das vorhandene sogenannte
Gleichberechtigungsgesetz hat bisher eigentlich wenig gezündet.
Ich habe absichtlich von qualifizierten Arbeitsplätzen gesprochen;
denn
unqualifizierte schlechtbezahlte Arbeit - und das auch noch in Teilzeit
- ernährt die Frau jetzt nicht und im Alter nicht. Herrn Rexrodts
wunderbare Arbeitswelt der flexiblen Ladenschlußzeiten bringt
nicht nur
noch mehr geringfügig Beschäftigte, noch geringere Bezahlung
und gar
keine Alterssicherung; darüber hinaus geht diese Flexibilisierung
auf
Kosten des Familien- und Gemeinschaftslebens.
Sie sehen selbst, das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen
und
Jugend hat wirklich Querschnittsaufgaben. Die Ministerin muß
sich in die
Bereiche Recht, Arbeit, Soziales und Bildung einmischen. Das erfordert
aber die Kraft einer Superministerin; die ist sie leider nicht. So
wird
aus einem Gemischtwarenladen leider auch kein Superministerium.
(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf
von der SPD: Das ist wohl wahr!)
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