12.02.1998:  Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD

Haltung des Bundestages zum Schwangerschaftskonfliktgesetz und zur beabsichtigten Neuordnung der kirchlichen Beratungstätigkeit

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat die Abgeordnete Hanna Wolf.

Hanna Wolf (München) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir müssen hier nicht mehr zu einer Debatte über eine Reform des § 218 zurückkehren. Nein, wir haben diese Reform. Es hat lange genug gedauert: Jahre, Jahrzehnte, über ein Jahrhundert. Die Reform des § 218 ist ein Kompromiß, der die überwältigende Mehrheit des Deutschen Bundestages gefunden hat.

Wir halten an unserem Gesetz fest, auch wenn die katholischen Bischöfe schon im November 1995 in ihren eigenen Beratungsrichtlinien sagen, daß "sich die katholische Kirche mit diesem Gesetz nicht abfinden" werde. Wir halten an unserem Gesetz fest, auch wenn die Diözese Fulda aus der gesetzlichen Schwangerschaftskonfliktberatung ausgestiegen ist und andere vielleicht noch aussteigen werden.

Der Deutsche Bundestag hat mit großer Mehrheit die Einhaltung des Gesetzes angemahnt, als die Bayerische Staatsregierung Mitte 1996 die nicht bundeskonformen Ausführungsbestimmungen im Bayerischen Landtag durchgedrückt hat. Deshalb, Frau Eichhorn, müssen wir hier immer wieder debattieren: weil es diese Bayerische Staatsregierung, getragen von der CSU-Mehrheit, gibt.

(Beifall bei der SPD)

Die bayerischen Ausführungsbestimmungen lassen die bischöflichen Richtlinien deutlich erkennen. Wir lassen auch nicht zu, daß Ministerin Nolte wieder an dem Gesetz rütteln will,

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

auch wenn sie am liebsten nochmals nach Karlsruhe gegangen wäre.

Wenn sich die Bischöfe in einem Dilemma zwischen geistlichem Rat und weltlichem Gesetz sehen, so müssen sie dieses Dilemma selbst lösen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn das bedeutet, daß die katholische Kirche aus der gesetzlichen Schwangerschaftskonfliktberatung aussteigt, weil sie keine gesetzlichen Beratungsscheine mehr ausstellen will, dann müssen die Länder dafür sorgen, daß das Netz von ortsnahen pluralen Beratungsstellen wieder ergänzt wird. Gerade in Bayern müßten dann erhebliche Fördermittel für freie Träger neu verteilt werden. 46 Prozent der § 218-Beratungen freier Träger werden in Bayern von katholischen Beratungsstellen durchgeführt.

Ich wende mich entschieden dagegen, daß die Qualität nicht-katholischer Beratungsstellen in Zweifel gezogen wird -- so wie es Bischof Lehmann getan hat --,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

nur weil sie eine gesetzeskonforme und ergebnisoffene Beratung durchführen und den gesetzlich geforderten Beratungsschein ausstellen.

(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Da steht aber auch "zielorientiert"!)

Wir haben diese Kriterien unter anderem eingeführt, weil wir davon überzeugt sind, daß eine solche Beratung mehr Chancen hat, werdendes Leben zu schützen. Herr Hüppe, das haben heute alle in diesem Hause bestätigt -- außer Ihnen vielleicht.

Ich erinnere daran, daß nicht die katholischen Beratungsrichtlinien, sondern die bundesgesetzlichen Richtlinien maßgeblich sind. Auch die bayerischen Richtlinien weichen bereits davon ab und verlangen, daß die Frau ihre Abbruchgründe nicht nur nennen soll, sondern nennen muß.

(Anke Fuchs [SPD]: Unglaublich!)

Wir waren und sind der Meinung, daß es uns mit dem Kompromiß zur Reform des § 218 gelungen ist, werdendes Leben besser zu schützen als vorher. Daß wir damit nicht jede Abtreibung verhindern können, liegt an der Kompliziertheit der Lebensrealitäten.

(Beifall bei der SPD)

Der Paradigmenwechsel "Hilfe statt Strafe" ist das beste Schutzkonzept. Seine Umsetzung könnte aber tatsächlich besser sein. An den "Hilfen" mangelt es noch. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Hilfen in seinem Urteil von 1993 benannt. Wir fordern sie für eine kinderfreundliche Gesellschaft ein.

Das beinhaltet - jetzt zitiere ich aus dem Urteil - "die Gleichstellung von Mann und Frau in der Teilhabe am Arbeitsleben."

Ich frage die Bundesregierung: Wo ist das Gleichstellungsgesetz, das auch in der Privatwirtschaft gilt?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Kinderfreundliche Gesellschaft heißt auch - ein weiteres Zitat - "rechtliche und tatsächliche Maßnahmen, die ein Nebeneinander von Erziehungsarbeit und Erwerbstätigkeit für beide Elternteile ... ermöglichen."

Diese Bundesregierung favorisiert jedoch ein Nacheinander von Erziehungs- und Erwerbsarbeit allein für Mütter. Dann besteht aber kaum noch eine Chance für eine qualifizierte Erwerbsarbeit. Die Diskussion über die 620-Mark-Jobs sind ein Beispiel dafür, wie es für Frauen in der Realität aussieht.

Kinderfreundliche Gesellschaft heißt auch - ein letztes Zitat aus dem Urteil - "Regelungen, die auf eine Verbesserung der institutionellen oder familiären Kinderbetreuung zielen" wie "Leistungen im Rahmen des sogenannten Familienlastenausgleichs, insbesondere das Erziehungsgeld".

Wo aber ist in Deutschland die qualifizierte Ganztagsbetreuung für Kinder jeden Alters? Was haben Sie aus dem Erziehungsgeld und dem Erziehungsurlaub gemacht? Was haben Sie nicht alles im Bereich des Familienlastenausgleichs gekürzt!

Schwangere in Konfliktsituationen brauchen echte Hilfe. Die Beraterinnen stehen aber mit leeren Händen da, weil diese Gesetze fehlen. Sorgen wir für entsprechende Gesetze und lassen wir Rechtssicherheit walten, indem wir die reformierten §§ 218 und 219 des Strafgesetzbuches nicht in Zweifel ziehen lassen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.)