Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz - hier: Bayern 

Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/110 vom 13.06.1996    Seite: 9754  
  

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das Wort der Abgeordneten  
Hanna Wolf.  

Hanna Wolf (München) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen  
und Herren! Der CSU-Generalsekretär Protzner hat erklärt,  

(Zuruf von der CDU/CSU: Ein guter Mann!)  

für die CSU sei der Schutz des werdenden Lebens eine Gewissensfrage und  
Gewissensentscheidung.  

Für wen ist er das eigentlich nicht? Ich frage mich nur, wie  
wechselwendisch dieses Gewissen sein darf. Warum hat zum Beispiel die  
Mehrheit der CSU-Bundestagsfraktion vor einem Jahr dem  
Bundestagskompromiß zum § 218 zugestimmt? Auch Sie, Herr Protzner!  
Heute muß ich Sie deshalb fragen: Haben Sie zugestimmt, weil Sie auf  
die bekannte Doppelstrategie gebaut haben, daß nämlich die Bayerische  
Staatsregierung gerne so tut, als ob Bayern Ausland wäre, wenn ihr die  
Bundeslinie nicht paßt, nach dem Motto: Die Bayerische Staatsregierung  
wird's schon richten? Und die bayerische Sozialministerin Stamm richtet  
es mit eisiger Kälte.  

(Beifall bei der SPD)  

Einige von Ihnen haben dem Kompromiß von vornherein nicht zugestimmt.  
Nun offenbart sich, welcher Geist, welches Menschenbild hinter dieser  
CSU-Politik steht. Lassen Sie mich das einmal den Geist des Geis, den  
Geis-Geist, nennen.  

Der Kollege Geis zum Beispiel lehnt es ab, Ehefrauen im Falle der  
Vergewaltigung durch ihren Ehemann genauso gesetzlich zu schützen wie  
andere Vergewaltigungsopfer. Der Kollege Geis will Jugendkriminalität  
dadurch bekämpfen, daß er alle Jugendlichen mit einem nächtlichen  
Ausgehverbot belegt. Und der Kollege Geis glaubt, werdendes Leben durch  
eine quasi Zwangsschwangerschaft schützen zu können. Das ist ein  
zutiefst inhumaner Geist in der CSU.  

(Beifall bei der SPD, der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES  
90/DIE GRÜNEN)  

Dieser Geist prägt auch die CSU-Vorstellung und die Vorstellung eines  
Bischofs Dyba von einer Beratung. Sie setzen nicht auf Vertrauen,  
sondern auf Zwang. Sie haben nicht einmal Vertrauen in die bisherige  
Tätigkeit der katholischen Beratungsstellen in Bayern. Wenn in Bayern  
die Beratungszahlen - Frau Stamm, Sie haben sie selbst genannt -  
angestiegen sind, dann ist das ein Beweis für das wachsende Vertrauen,  
das die Beratungsstellen bei den Frauen in Bayern erworben haben.  

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)  

Dieses Vertrauen drückt sich auch in der hohen Gesprächsbereitschaft  
der Schwangeren in der Konfliktberatung aus. Ein gesetzlich  
vorgeschriebener Mitteilungszwang wird dagegen dieses sensible  
Vertrauensverhältnis nur empfindlich stören. Aber vielleicht setzt die  
CSU gar nicht auf Vertrauen.  

Im gleichen Geist zerstört das bayerische CSU-Gesetz das  
Vertrauensverhältnis zwischen der zur Abtreibung entschlossenen Frau und  
dem Arzt. Ihm wird vorgeschrieben, daß er die Abtreibung ablehnen muß,  
wenn er sie nicht für verantwortbar hält. Es wird ihm aber ebenfalls  
vorgeschrieben, wann er sie nicht für verantwortbar halten darf, nämlich  
dann, wenn ihm die Frau ihre Beweggründe nicht mitgeteilt hat.  

Damit soll doch der Arzt insgeheim wieder zum Richter gemacht werden.  
Aus der vom Bundesgesetzgeber gewollten Gelegenheit zur Beratung wird in  
Bayern wieder ein Zwang zur Offenlegung für die Frau. Das ist eine  
weitere vertrauenzerstörende Maßnahme. Die Strafe als Schutzkonzept hat  
versagt. Statt auf Strafe setzt die CSU nun auf Demütigung und Zwang.  

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)  

Wo bleiben die Hilfen? Woher sollen die Frauen den Mut zum Kind  
bekommen, wenn sie ihn nicht haben? Woher sollen die Frauen noch das  
Vertrauen in die dauerhafte Gültigkeit von Gesetzen nehmen, wenn diese  
in jeder neuen Sparrunde flugs wieder zur Disposition gestellt werden  
können oder in Bayern erst gar nicht gelten?  

In Bayern gibt es keinen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz.  
Nur nach der Statistik gibt es viele Kindergartenplätze in der Form der  
Betreuung zwischen 9 und 12 Uhr, vielleicht auch etwas länger. Dann  
bleibt den Müttern in der Zeit von 10 bis 11 Uhr genügend Zeit, ihrem  
590-DM-Job nachzugehen.  

In Bayern gibt es kaum Ganztagsschulen, und in den Halbtagsschulen  
werden die zusätzlichen Sportstunden und musischen Neigungsgruppen  
gerade zusammengestrichen. Dafür sollen private Musikschulen und  
Sportvereine herhalten. Die Mütter sind dann wieder die unbezahlten  
Kindertaxifahrerinnen.  

Die Bundesregierung verschiebt die gesetzlich beschlossene  
Kindergelderhöhung. Das Studenten-BAföG macht die jungen Leute zu  
Schuldnern. Nach dem Studium können sie ihre Schulden nicht abzahlen,  
weil der Arbeitsmarkt zu ist. Der Arbeitsmarkt ist zu, weil unter  
anderem die Frauen länger im Erwerbsleben bleiben müssen, und das alles  
wegen Gesetzesverschlechterungen, die nicht absehbar waren, als diese  
Kinder noch nicht geboren waren.  

Machen die Bundesregierung und die CSU den Frauen so Mut zum Kind? Wer  
soviel Hilfen streicht, erledigt das Schutzprinzip Hilfe statt Strafe  
selbst.  

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)  

Demütigungen und Pressionen sind kein geeigneter Ersatz für eine Politik  
für Menschen. Nur eine Politik für Menschen schützt werdendes Leben.  
Ich gehe davon aus, daß der Deutsche Bundestag mit Mehrheit den  
vorliegenden Anträgen zustimmt. Sollte aber die Bayerische  
Staatsregierung trotzdem wie beabsichtigt ihre Gesetzentwürfe  
durchpeitschen, steht ihr ein heißer Herbst bevor.  

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)