208. Sitzung 
13.12.2001
Gewalt gegen Frauen und Kinder

Die Präsidentin: ... Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 d sowie die Zusatz punkte 8 bis 13 auf:
 7. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Rudolf Bindig, Angelika Graf (Rosenheim), Hanna Wolf (München), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN
Prävention und Bekämpfung von Frauenhandel
- Drucksachen 14/6540, 14/7539 –
b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Rudolf Bindig, Lilo Friedrich (Mettmann), Angelika Graf (Rosenheim), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Irmingard Schewe-Gerigk, Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN 
Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung im In- und Ausland
- Drucksachen 14/5285, 14/6682 –
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ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim), Ursula Burchardt, Kerstin Griese, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Rita Grießhaber, Dr. Angelika Köster-Loßack, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Ina Lenke, Dr. Irmgard Schwaetzer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten Petra Bläss, Wolfgang Gehrcke, Carsten Hübner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Teilnahme von Frauen am Friedensprozess in Afghanistan
- Drucksache 14/7815 -

Video: Modem | ISDN

Vizepräsidentin Petra Bläss: Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Hanna Wolf für die SPD-Fraktion.

Hanna Wolf (München) (SPD): Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist bezeichnend, dass wir uns in der heutigen Menschenrechtsdebatte auf die Menschenrechte von Frauen konzentrieren. Der Grund ist, dass die Menschenrechte von Frauen am meisten gefährdet sind. Es heißt aber auch, dass es um die Menschenrechte aller - auch um die von Männern und Kindern - besser gestellt ist, wenn die Menschenrechte von Frauen gesichert sind.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Diese Erkenntnis ist noch nicht sehr alt. Eine gute Entwicklungshilfe richtet sich aber bereits jetzt danach.

Ich spreche heute zu zwei Themen, die Millionen von Frauen existenziell bedrohen, wie sehr, können wir uns kaum vorstellen: Es geht um die Männerherrschaft in Afghanistan und um die Genitalverstümmelung in vielen Ländern Afrikas.

Afghanische Frauen hatten nicht nur unter den Taliban zu leiden; die Mudschahidin vor ihnen hatten die Frauen auf ihre Weise terrorisiert. Afghanische Frauen hatten in ihrer Geschichte nur selten Gelegenheit, aus ihrer eingesperrten Lage herauszukommen. Von 1964 bis 1992 waren die Frauen immer hin - laut Verfassung - den Männern gleichgestellt. Die fundamentalistische Unterdrückungswelle - erst durch die Mudschahidin, dann durch die Taliban - machte diese positiven Ansätze zunichte.

Die damalige EU-Kommissarin, Emma Bonino, widmete den Internationalen Frauentag am 8. März 1998 den afghanischen Frauen. Er fand eine breite Unterstützung - bei Frauen. Die offizielle Politik ergriff jedoch keine wirklich konkreten Maßnahmen. Erst die Empörung über die Zerstörung der Buddha-Statuen ergriff auch die höchsten Ebenen. Ich bin mir sicher, dass nichts weiter geschehen wäre, wenn nicht der Terror in dieser unvorstellbaren Weise in die USA getragen worden wäre.

(Monika Ganseforth [SPD]: Leider wahr!)

Wenn heute die Zukunft von Frauen in Afghanistan besser erscheint, dann nur, weil die internationale Gemeinschaft einen massiven Druck auf die Verhandlungsführer auf dem Petersberg ausgeübt hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist auch in Zukunft unerlässlich, dass dieser Druck weiter aufrechterhalten wird und dass den Stammesführern klar gemacht wird, dass die Zukunft ihres Landes ohne eine gleichberechtigte Teilhabe der Frauen an Gesundheit, Bildung, Wirtschaft und Politik auch für sie verspielt ist.

(Beifall im ganzen Hause)

In den Köpfen der Mehrzahl der afghanischen Männer muss ein Umdenken stattfinden. Die Frauen tragen noch heute die Burka; sie werden ihre Gründe haben. Es gibt noch heute Bilder von Männern, die Frauen wie Vieh vom Markt in Kabul wegprügeln. Diese Art der Männerherrschaft darf nicht Kultur, Tradition oder Religion genannt werden; denn Unterdrückung von Frauen ist Terror gegen Frauen.

(Beifall im ganzen Hause)

Die internationale Gemeinschaft muss die beiden Ministerinnen in der Übergangsregierung, Sima Samar und Suhaila Seddiki, bedingungslos unter stützen. Afghanische Frauenorganisationen, die bisher in der Illegalität arbeiten mussten, verdienen unsere uneingeschränkte Unterstützung und unseren Dank für ihren Mut.

In einem halben Jahr tritt die traditionelle Große Versammlung, die Loja Dschirga, zusammen. Frauen müssen in ihr einen wesentlichen Part spielen. Wenn das nicht gelingt, dann sollte eine eigene Konferenz der afghanischen Frauen abgehalten werden, deren Beschlüsse umzusetzen sind; denn 65 Prozent der afghanischen Bevölkerung sind Frauen.

Die Burka steht für die physische und psychische Unterdrückung der afghanischen Frauen. Ein rostiges Messer oder ein Schabestein stehen für die Unterdrückung der Frauen in vielen Ländern Afrikas. Im Namen von Kultur, Tradition und Religion werden damit Mädchen ohne Narkose und hygienische Vorkehrungen an den Genitalien unvorstellbar verstümmelt. 

Der Kampf gegen die Genitalverstümmelung ist keine Erfindung westlicher Frauen. Seit 1975 rückt dieses Thema immer mehr ins Zentrum der Weltfrauenkonferenzen. Dennoch werden noch immer 2 Millionen Mädchen jährlich an den Genitalien verstümmelt. Bei der radikalsten Form liegt die Todesrate bei 30 Prozent.

Einige Länder haben die Genitalverstümmelung inzwischen auch offiziell verboten. In ihren Lageberichten gehen die deutschen Botschaften ausführlich auf diese Thematik ein. Bei bilateralen Regierungsverhandlungen wird verdeutlicht, dass Frauenrechtsverletzungen verurteilt werden. Von 1999 bis 2002 werden von der Bundesregierung 5,8 Millionen DM für Projekte zur Überwindung der Genitalverstümmelung zur Verfügung gestellt. Frauengruppen werden in ihrem Kampf unterstützt. Die praktische Durchsetzung von Verboten ist nicht immer leicht. Deshalb sind Initiativen notwendig, wie sie die deutsche Entwicklungshilfe unterstützt.
Seit Heidi Wieczorek-Zeul Ministerin ist, unterstützt sie die Menschenrechte von Frauen als zentrales Ziel ihrer Entwicklungspolitik.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte ihr dafür heute ausdrücklich danken und ihr viel Erfolg in Afghanistan wünschen, wo sie sich gerade aufhält.

In die schreckliche Bilanz der Frauenrechtsverletzungen fallen auch die so genannten Ehren- oder Schandemorde, denen jährlich rund 5 000 Frauen und Mädchen zum Opfer fallen. Die CDU/CSU thematisiert dies in ihrem Antrag und ich stimme ihren Forderungen zu.

Es ist ein logisches Prinzip, dass Probleme in den Ländern bekämpft werden, in denen sie auftreten. Es gibt jedoch Situationen, in denen Regierungen nicht willens oder in der Lage sind, die Verfolgung von Frauen in ihren Ländern zu verhindern. Für diese Fälle will die Bundesregierung einen Aufenthaltstitel wegen der Verfolgung aufgrund des Geschlechts sichern. Sie kann sich unter anderem auf deutsche Verwaltungsvorschriften oder auch auf die UNO-Sonderkonferenz "Frauen 2000" in New York berufen, wo die Genitalverstümmelung als Gewalt gegen Frauen und als Verletzung der Menschenrechte verurteilt wurde.

Ich finde es deshalb empörend, wenn der bayerische Ministerpräsident Stoiber genau gegen diesen Aufenthaltstitel bei geschlechtsspezifischer Verfolgung polemisiert und eine massenhafte Zuwanderung an die Wand malt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – 
Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Er hat sich gegen Asyl ausgesprochen!)

Erstens ist das menschenverachtend und zweitens können die meisten Frauen ohnehin keine langen Fluchtwege auf sich nehmen. Das wurde heute schon betont.

Aber auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion kaschiert ihre ablehnende Haltung bei geschlechtsspezifischer Verfolgung damit, dass die Opfer schon heute geschützt seien. Die jetzige Bundesregierung hat sehr viel zum verbesserten Schutz beigetragen. Aber mit dem angestrebten neuen Aufenthaltsstatus wird gerade diesen Opfern eine Zukunftsperspektive eröffnet. Der Kollege Heiner Geißler hat in seiner Rede heute noch einmal unterstrichen, dass sie durch unser Zuwanderungsgesetz einen besseren Status bekommen. Sie alle haben doch selber schon einmal einstimmig einer Entschließung zugestimmt.

(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Lesen Sie den Antrag, den wir vorgelegt haben, Frau Wolf! Dann bräuchten Sie das jetzt nicht zu sagen!)

Damals haben Sie, Frau Eichhorn, noch gefordert, aus geschlechtsspezifischer Verfolgung einen Asylgrund zu machen. Jetzt wollen Sie sie nicht einmal anerkennen und den Status verbessern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

So doppelzüngig kann man nicht reden. Sie können nicht bei Menschenrechtsdebatten so etwas fordern und bei Abstimmungen über Gesetze, mit denen wir etwas verändern wollen, dagegen stimmen. Das geht nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – 
Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Wir haben doch einen An trag vorgelegt! Lesen!)

In diesem Antrag tun Sie so, als wenn alles schon bestens geregelt wäre. Es ist besser geworden, das kann man Gott sei Dank sagen, aber der Status, den wir jetzt anstreben, bedeutet eine wesentliche Verbesserung der Zukunftsperspektive. Ich bitte Sie herzlich, sich hier nicht vor einen Karren spannen zu lassen, da Sie doch in dieser Debatte zum Ausdruck gebracht haben, wie engagiert Sie bei diesem Thema sind.

(Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Unseren Antrag lesen, Frau Wolf! Da steht das Nötige drin!)
Man kann nur mit einer Zunge reden, nicht mit zweien.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Unsere Aufgabe ist es, in einer sich globalisierenden Welt die globale Wertegemeinschaft zu unterstützen, wie sie sich in der UNO manifestiert. Dafür haben sie und ihr Generalsekretär Kofi Annan diese Woche den Friedensnobelpreis erhalten. Dazu gratuliere ich auch von dieser Stelle sehr herzlich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

Ich verbinde damit die Erwartung, dass die UNO in ihren Bemühungen um Menschenrechte von Frauen nicht nachlassen wird.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der