Sexualstrafrecht
Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/22 vom 17.02.1995 Seite:
1534
Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Hanna Wolf,
Sie haben das Wort.
Hanna Wolf (SPD): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen!
Frau Ministerin, ich bedaure und finde es auch bedenklich, daß
wir heute
nicht über einen Gesetzentwurf beraten können, der zwar der
gesamten
Presse zugegangen ist und den nicht irgend jemand rein zufällig
erwischt
hat, der aber dem Parlament nicht vorliegt. Ich meine Ihren Entwurf.
Ich begrüße jedoch diesen sogenannten nicht vorhandenen
Entwurf
insoweit, als er schon eine interessante Wirkungsgeschichte hinter
sich
hat. Der bayerische Justizminister Leeb mußte seine Meinung innerhalb
einer Woche aus Parteiräson zurückziehen. Angeblich möchte
er nun
ebenfalls keinen Unterschied mehr machen zwischen einer Vergewaltigung
in der Ehe und einer außerhalb. Immerhin ein kleiner Lernprozeß!
Sicher haben aber auch die fünfmalige Einbringung unseres Entwurfs
und
die zwanzigjährige Debatte und Vorarbeit dazu beigetragen, daß
hier
jetzt endlich ein Bewußtseinswandel eintritt. Ich hoffe, daß
der Wirbel
um den nicht vorliegenden Entwurf aus dem Hause der Justizministerin
jetzt nicht nur - ich muß es noch einmal sagen - zum Wahlkampfgetöse
gehört; denn so zufällig ist es doch nicht - ich glaube,
das können Sie
keinem in diesem Haus verkaufen -, daß er gerade jetzt vorliegt.
Aber
ich habe die Hoffnung, wir können das schreckliche Kapitel der
Vergewaltigung in dieser Legislaturperiode nun endlich gemeinsam
gesetzgeberisch zu Ende bringen. Ich schlage Ihnen vor, Sie nehmen
den
Entwurf der SPD-Bundestagsfraktion als Grundlage der Beratungen und
ersparen den Frauen jede weitere Verzögerung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)
Ein Verfahren wie in der letzten Legislaturperiode, in der nach der
ersten Lesung die entscheidende zweite und dritte immer wieder
hinausgeschoben wurde, um dann schließlich durch einen Verfahrenstrick
die Schlußabstimmung zu verhindern, darf sich nicht wiederholen.
Die Bundesregierung ist inzwischen sogar schon von der
Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen über Gewalt gegen
Frauen, Radihika Coosmaraswany, aufgefordert worden, den Schutz der
sexuellen Selbstbestimmung der verheirateten Frauen in Deutschland
genauso gesetzlich zu gewährleisten wie den der unverheirateten.
Die
sexuelle Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht, das nicht durch den
Stand der Ehe verkürzt werden kann. Sonst würden Sie ja die
Ehe in die
Nähe der Sklaverei bringen.
Seit der großen Eherechtsreform von 1976 gibt es keinen Anspruch
des
Ehemanns auf die sexuelle Hingabe seiner Frau mehr. Mit dieser
Eherechtsreform war der Auftrag des Grundgesetzes von 1949 zur
Gleichberechtigung von Mann und Frau auch in der Familie endlich
rechtlich erfüllt. Daß aber die unterschiedliche Rechtslage
zur
Vergewaltigung innerhalb und außerhalb der Ehe so lange parlamentarisch
nicht geregelt werden konnte, ist nicht zu begreifen. Daß dies
nicht das
Verfassungsgericht auf den Plan gerufen hat, ist ebenfalls bezeichnend
für die patriarchale Struktur unserer Gesellschaft. Dazu paßt,
daß
selbst einige Richter, wie man aus Leserbriefen in den Zeitungen
entnehmen kann, heute immer noch glauben, sexuelle Hingabe gehöre
zu den
ehelichen Pflichten der Frau. Um Ihre Worte aus einem Hamburger Magazin
aufzunehmen, Herr Eylmann: Ich habe keine Nachsicht mehr mit den
Männern, die immer noch keine Einsicht haben. Auf die
Bewußtseinsänderung dieser Minderheit können wir nicht
mehr warten.
(Beifall bei der SPD und der PDS)
Es sind in diesem Punkt jedoch nicht alle Männer Bremser, wie wir
wissen. Die SPD-Fraktion arbeitet schon seit 20 Jahren an einer solchen
Regelung. Hier möchte ich einmal ganz ausdrücklich unserem
langjährigen
Kollegen Hans de With danken, der sich wirklich unermüdlich dafür
eingesetzt hat.
(Beifall bei der SPD)
Meine Damen und Herren, eine Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung,
ganz gleich, in welchem Verhältnis die betroffenen Personen zueinander
stehen. Und eine Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung, ganz gleich,
in
welcher Form sie stattfindet.
Herr Eylmann, Sie haben vor zwei Jahren anläßlich der ersten
Lesung
unseres damals zum viertenmal eingebrachten Entwurfs folgendes gesagt
-
ich zitiere -:
Das beunruhigend Gefährliche sexueller Aggression liegt gerade
darin,
daß sie sich gegen ein Objekt richtet, das der Täter nicht
verachtet,
sondern zu dem er sich hingezogen fühlt und das er besitzen möchte.
Herr Eylmann, Vergewaltigung hat so gut wie nichts mit sexueller
Befriedigung und schon gar nichts mit Liebe zu tun, wohl aber mit
Besitz. Da haben Sie recht. Es ist das Drama von Dominanz und
Unterwerfung. Der Vergewaltiger versichert sich seines vermeintlichen
Eigentums - Sie nennen das wohl "sich hingezogen fühlen" -, bzw.
er
eignet sich das vermeintliche Eigentum eines anderen an. Der Bogen
reicht von der Vergewaltigung im Krieg bis zur Vergewaltigung in der
Ehe. Sie können es auch einen Anfall von Versklavungsversuch nennen.
75 % der heute schon als Vergewaltigung gewerteten Taten sind
Beziehungstaten, d. h. der Täter ist der Frau bekannt. Soll die
Tat etwa
weniger schwer wiegen, wenn sie durch den eigenen Ehemann geschieht?
Bei
früheren Debatten, Herr Eylmannn, haben Sie, Herr Engelhard und
Frau
Männle, schon angedeutet, daß diese Vergewaltigung sogar
schwerer wiegen
müßte, weil das besondere Vertrauensverhältnis zwischen
Eheleuten
mißbraucht werde.
(Beifall bei der SPD)
Ich habe Ihnen darin immer recht gegeben. Ich finde es nur sehr
bedenklich: Sie haben hier sehr engagierte Reden dazu gehalten, sind
aber leider nicht tätig geworden. Deswegen müssen wir es
heute wieder
behandeln.
Meine Damen und Herren, wir fordern keine Erhöhung des Strafmaßes
bei
Vergewaltigung. Wir fordern aber, daß Vergewaltigung nicht als
sexuelle
Nötigung behandelt wird. Vergewaltigung ist jede Form von Penetration
gegen den Willen des Opfers. Und das ist ein Verbrechen. Es darf
weiterhin nicht unter zwei Jahren bestraft werden. So sieht es unser
Gesetzentwurf vor.
Die Justizministerin will das aber nur im Regelfall. Die Regel läßt
Ausnahmen zu, und davon machen Richter - gerade wenn es um
Sexualdelikte geht - nur zu gerne Gebrauch. Das geht mit uns nicht.
Vor allem darf nicht mehr mit der Bewertung als sogenannter minder
schwerer Fall Schindluder getrieben werden. Ein Mann, der sich darauf
beruft, daß er vorher getrunken habe, handelt höchstens
noch
vorsätzlich. Ein Mann, der angibt, er sei sexuell gereizt worden,
beruft
sich auf die Mär von den unkontrollierbaren Trieben und nicht
auf
menschliche Formen des Zusammenlebens.
Da Richter in der Vergangenheit schon gern die Definition des minder
schweren Falles angewandt haben, wäre es geradezu in wörtlichem
Sinne
fatal, nun auch noch über eine einheitliche Bewertung von Vergewaltigung
und sexueller Nötigung das Mindeststrafmaß nach unten zu
verlegen. Das
würde den Skandal weiter fortsetzen, daß bei uns Eigentumsdelikte
höher
bestraft werden als Delikte gegen die körperliche Unversehrtheit.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
PDS)
Im übrigen muß noch viel getan werden, um Polizei,
Strafverfolgungsbehörden, Richter und Justizvollzugsanstalten
in der
Erkennung und adäquaten Bewertung von Vergewaltigung zu schulen.
In
meinem Wahlkreis sind anläßlich eines aktuellen Falles bei
den
Bürgerinnen und Bürgern schwere Zweifel entstanden.
Aber vielleicht ist die Handhabung des Vergewaltigungsparagraphen auch
von Bundesland zu Bundesland verschieden. Möglicherweise besteht
da in
Bayern noch spezieller Aufklärungsbedarf. Auch die Justiz unter
einem
Justizminister Leeb muß wohl umdenken. Ich bin nicht mit den
Vorstellungen von Minister Leeb einverstanden, der die sicherlich
zusätzlichen nötigen therapeutischen Maßnahmen als
Familientherapie
gestalten will. Warum soll sich immer die Familie, d. h. die Frau,
an
dem Täter abarbeiten? Hier ist in jedem Fall Tätertherapie
angesagt.
(Beifall bei der SPD und der PDS)
Meine Damen und Herren, es reicht nicht, daß wir Gewaltverbrechen
gegen
Frauen nur in anderen Ländern anklagen. Wir müssen vor unserer
eigenen
Türe kehren. Es ist schon so oft darauf hingewiesen worden, daß
wir in
Europa das Schlußlicht sind. Auch die USA haben schon längst
eine
Strafgesetzgebung dafür. Hier ist schon lange Handlungsbedarf.
Die
sexuelle Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht, auch von Frauen, also
auch von Ehefrauen.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
PDS)
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