Strafrechtsänderungsgesetz
Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/172 vom 24.04.1997
Seite: 15501
Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat jetzt
die Abgeordnete
Hanna Wolf, SPD-Fraktion.
Hanna Wolf (München) (SPD): Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen
und Herren!
Alle Tiere sind gleich, aber einige Tiere sind gleicher als andere.
In diesem Zitat aus George Orwells "Farm der Tiere" erkennen wir
unschwer die Satire auf eine fehlgelaufene Demokratie. Ich möchte
das
Zitat auf unsere bisherige Gesetzeslage zur Vergewaltigung übertragen:
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, aber verheiratete Männer
sind
gleicher als andere.
Die §§ 177 bis 179 des Strafgesetzbuches zur Vergewaltigung
privilegieren tatsächlich verheiratete Männer; darauf wurde
schon
mehrfach hingewiesen. Die von der Regierungskoalition vorgesehene
sogenannte Widerspruchsregelung hätte diese Privilegierung sogar
noch
ausgeweitet auf andere Körperverletzungen, die mit der Vergewaltigung
in
der Ehe im Zusammenhang stehen. Die gleichen Tatbestände werden
jedoch
außerhalb der Ehe ohne Einschränkung verfolgt.
Wenn der Trauschein über die Straffähigkeit einer Tat entscheidet,
muß
sich jeder gesunde Menschenverstand spontan sagen, daß da etwas
nicht
stimmt. Jeder juristische Verstand hätte sofort wissen müssen,
daß ein
solches Gesetz mit unserer demokratischen Verfassung nicht
übereinstimmt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN und der PDS)
Die Gleichheit vor dem Strafgesetz ist in diesem einzigartigen Fall
bis heute ausdrücklich aufgehoben. Gegen die bisherige Fassung des
Gesetzes kämpft die SPD in diesem Parlament seit 25 Jahren. Deswegen
erlauben Sie mir einen kleinen
historischen Rückblick.
1972 hat mein Kollege Hans de With im Rahmen der Reform des
Sexualstrafrechts unseren ersten Antrag in den entsprechenden
Sonderausschuß eingebracht. Er wurde abgelehnt. Obwohl die Frauenhäuser
bereits genügend Erfahrungen öffentlich gemacht hatten, wurde
unser
zweiter Versuch 1983 ebenfalls abgelehnt.
Bei unserem dritten Versuch 1987 wurde zur Ablehnung ins Feld geführt,
daß eine eheliche Vergewaltigung behauptet werden könnte,
um eine
Abtreibungsindikation zu erlangen. So zynisch wurde in diesem Parlament
diskutiert, Herr Geis. Diese Stimmen kamen hauptsächlich aus der
CSU.
1993 versuchten wir es zum vierten Male vergeblich.
In dieser Legislaturperiode sind wir nun bei unserem fünften und
hoffentlich letzten Versuch. Die Mehrheit scheint sich nun endlich
gedreht zu haben. Wie bei dem anderen großen sogenannten Frauenthema,
dem § 218, wird die Abstimmung über einen Gruppenantrag endlich
freigestellt.
Ich möchte hier ausdrücklich meiner Kollegin Ulla Schmidt
dafür danken,
daß sie nach unseren vielen Abstimmungsniederlagen noch einmal
versucht
hat, in Form des uns vorliegenden Gruppenantrages eine Lösung
herbeizuführen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN und der PDS)
Die Brücken sind gebaut: Die SPD verzichtet auf ihren Entwurf und
akzeptiert den Entwurf der Regierung als Grundlage, vorausgesetzt,
die
Widerspruchsregelung ist gestrichen. Ich appelliere nun an alle: Gehen
Sie über diese Brücke, stimmen Sie diesem Gruppenantrag zu!
Eine
Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung, ganz gleich, in welchem
Verhältnis Täter und Opfer zueinander stehen. Nicht dieses
Gesetz
zerstört die Ehe, sondern der Täter.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN und der PDS)
Ich verweise auf die in Peking beschlossene Aktionsplattform. Danach
verpflichten sich alle Unterzeichnerländer, daß sie - ich
zitiere -
wirksamen Schutz vor Verbrechen garantieren, die gegen Frauen gerichtet
sind oder sie unverhältnismäßig häufig betreffen,
unabhängig von der
Beziehung zwischen Täter und Opfer, und daß sie eine wirksame
Strafverfolgung gewährleisten.
Ich verweise auch auf den schleswig-holsteinischen Landtag. Er hat sich
einstimmig, also auch mit den Stimmen von CDU und F.D.P., gegen die
Widerspruchsklausel ausgesprochen. Diese Widerspruchsklausel war auch
der Grund für den Einspruch des Bundesrates.
Ich verweise ferner auf die vielen Briefe von Organisationen und
Einzelpersonen, die wir erhalten haben, wie zum Beispiel vom Deutschen
Juristinnenbund, dem Deutschen Frauenrat, den Landfrauenverbänden,
der
Landesarbeitsgemeinschaft der Autonomen Frauenhäuser Baden-Württemberg,
den bundesweiten Frauennotrufstellen, dem Forum Menschenrechte der
Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, allen Gewerkschaften,
auch der Hausfrauengewerkschaft usw.
Stellvertretend möchte ich aus einem Brief zitieren, den Sie alle
erhalten haben müssen und den ich Ihnen nochmals in Erinnerung
rufen
möchte. Es ist ein Brief des Katholischen Frauenbundes Regensburg.
Ich
zitiere:
Wir sprechen uns ausdrücklich gegen das geplante Widerspruchsrecht
in
dem Vergewaltigungsgesetz aus. Wir geben Ihnen zu bedenken, daß
jede
Frau, die sich nach einer ehelichen Vergewaltigung für die Anzeige
entscheidet, sich der daraus resultierenden Konsequenzen bewußt
ist und
in dieser Lage die volle staatliche Unterstützung benötigt.
Es darf nicht angehen, daß gefährliche Mißhandlungen
in der Ehe
strafrechtlich nicht verfolgt werden können, nur weil das Opfer
mit dem
Täter verheiratet ist. Da meistens ein Abhängigkeitsverhältnis
zum Täter
besteht, kann die Frau eventuell zu einem Widerspruch genötigt
werden.
Von dem geplanten Gesetz erwarten wir uns vielmehr eine gewisse
Abschreckung auf potentielle Täter.
Weiter darf ein Gesetz ein Opfer nicht auch noch von außen erpreßbar
machen. Wichtig sind dabei die Kinder als Leidtragende, die in Familien,
in denen die Mütter sexuell von ihrem Mann mißhandelt werden,
leben.
Soweit der Brief des Katholischen Frauenbundes Regensburg.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Ich glaube, er hat mit den letzten Anstoß gegeben, um jetzt auch
in der
Koalition das Nachdenken zu beschleunigen.
Eigentlich kann es also niemanden mehr geben, der sich all diesen
Appellen verschließt. Einige starke Frauen hat es in der
Regierungskoalition ja auch bisher schon gegeben, die ihrer Vernunft
gefolgt sind und den Weg zum Gruppenantrag mit bereitet haben. Denen
danke ich ausdrücklich.
Seit die Abstimmung freigegeben wurde, reibe ich mir allerdings ein
wenig die Augen, wenn ich sehe, wer hier nicht alles zu spät kommen
möchte. Aber sei es drum, Frau Nolte: Wir freuen uns über
jede Stimme.
Frauen mögen ja in ihrem Langmut verzeihen, aber sicherlich nicht
vergessen, welch langes, zähes und kräftezehrendes Ringen
es regelmäßig
bedeutet, wenn ein Mißstand abgestellt werden soll, der speziell
Frauen
betrifft.
Noch drei Wochen bis zur Abstimmung. Ich hoffe, wir schaffen eine
überwältigende Mehrheit in diesem Parlament.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN und der PDS)
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