Frauenförderung in der Europäischen
Union
Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/64 vom 26.10.1995
Seite: 5529
Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Hanna Wolf,
jetzt haben Sie das
Wort.
(Zuruf von der SPD: Endlich mal wieder eine Frau!)
Hanna Wolf (München) (SPD): Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und
Kollegen! Zunächst zu Ihnen, Frau Ministerin: Mit Ihrem letzten
Beitrag
haben Sie das, was Sie vorher abgestritten haben, jetzt eigentlich
bestätigt, nämlich das Nein der Bundesregierung.
(Beifall bei der SPD)
Die CDU wollte sich in der letzten Woche anschicken, die Zukunft zu
gestalten. Die 30-%-Zukunft der Frauen in der CDU war schon am dritten
Tag vorbei. Frau Süssmuth, von dieser Stelle möchte ich Ihnen
gern
meinen Respekt für Ihre unendliche Geduld in dieser Frage bekunden.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
PDS)
Was die Zukunft der Frauen allgemein angeht, arbeitet sich die
Opposition - wir erleben es heute hier wieder - schon seit vielen
Jahren an der Dickfelligkeit dieser Bundesregierung ab.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Dazu paßt, daß Vertreter der Regierungskoalition das jüngste
Urteil zur
Quote offen begrüßten. Wir erleben das hier ja wieder.
In ihrer sogenannten Frauenförderpolitik
stimmt die Bundesregierung nämlich in einem Punkt mit dem Urteil
der
Luxemburger Herrenrunde völlig überein: Auch sie spricht
nur von
gleichen Startchancen, statt eine Ergebnisgleichheit anzustreben. Das
entsprechende Gesetz der Bundesregierung heißt denn auch
"Gleichberechtigungsgesetz" und nicht, wie unser Entwurf,
"Gleichstellungsgesetz".
Deshalb läßt die Bundesregierung auch Herrn Lanfermann, bekannt
als
frauenpolitischer Sprecher - er glänzt ja heute durch Abwesenheit;
ich
vermisse ihn nicht -,
(Heiterkeit bei der SPD - Zuruf von der F.D.P.: Guter Mann!)
bundesweit dieses Urteil loben, obwohl wir uns vor langer Zeit - Herr
Scholz ist ja darauf eingegangen - auf eine Verstärkung des
Gleichberechtigungsartikels im Grundgesetz geeinigt haben. Das
Grundgesetz schreibt jetzt vor:
Der Staat fördert die tatsächliche . . . Gleichberechtigung
von Frauen
und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile
hin.
Herr Scholz, was Sie heute probiert haben, ist, auch diesen Satz zur
Makulatur zu machen.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN) und Petra Bläss (PDS))
Er bedeutet nämlich mehr als nur Frauenförderung durch Fortbildung;
er
meint die tatsächliche Gleichstellung von Frauen.
Die Regierungsmehrheit hat letztes Jahr ihr sogenanntes
Gleichberechtigungsgesetz verabschiedet, das nur für 1 % der weiblichen
Bevölkerung zutrifft, nämlich nur für die Beschäftigten
der
Bundesbehörden. Von der Privatwirtschaft ist natürlich nicht
die Rede.
Noch dazu verpflichtet dieses Gesetz zu fast nichts; es wimmelt nämlich
nur so von Kann-Bestimmungen.
Die Bundesregierung - Frau Nolte, jetzt bitte ich Sie sehr um
Aufmerksamkeit - hat gerade Zahlen zur Umsetzung dieses Gesetzes im
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
vorgelegt.
Ich habe mir erlaubt, auszurechnen, wann danach in diesem Ministerium
Geschlechterparität einkehren wird: auf der Ebene der Abteilungsleitung
nie, auf der Ebene der Unterabteilungsleitung nie, auf der Ebene der
Referatsleitung in 481 Jahren, auf der Ebene der Referenten in 464
Jahren und im Ministerium insgesamt in 212 Jahren - tolles Gesetz!
(Beifall bei der SPD)
Und dazu weist die Bundesregierung in ihrem Bericht eigens darauf hin,
daß in diesem Ministerium gegenüber anderen Ressorts keine
Besonderheiten vorliegen. Das nenne ich eine geschickte Absicherung
der
heilen Welt der Männerquote.
Frauenförderung versteht die Bundesregierung als Verbesserung der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf - für Mütter. Wo bleibt
aber ein
Erziehungsgeld in einer Höhe, die auch für Väter attraktiv
genug ist, um
sich ihren Kindern zu widmen? Wo bleibt ein Arbeitszeitgesetz, das
aus
Vätern, Müttern und Kindern eine echte Familie macht? Wo
bleibt ein
Arbeitsförderungsgesetz, das die Frauenarbeit fördert? Wo
bleibt das
Verbot der sogenannten geringfügigen Beschäftigung?
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
und der Abg. Christina Schenk (PDS) - Birgit Homburger (F.D.P.):
Quatsch!)
Und wo bleibt ein Steuerrecht, das nicht mehr einseitig die
Alleinverdiener-Ehe - und ganz besonders die ohne Kinder -
privilegiert? Wo bleiben überhaupt all die Rahmenbedingungen,
die sogar
der Luxemburger Generalanwalt Tesauro fordert und die in vielen
europäischen Ländern schon heute besser verwirklicht sind
als bei uns?
Der Grund dafür, daß Frauen immer wieder an eine unsichtbare
Wand
stoßen, liegt in dem Frauenbild, das sich die Kohl-Regierung
immer noch
leistet. Auf dem Gebiet der gesetzlichen Ahndung - oder eben
Nichtahndung - von sexueller Gewalt gegen Frauen können wir das
am
besten ablesen.
(Zuruf von der SPD: Wohl wahr!)
Eine Herrenrunde, angeführt von den Juristen Lanfermann und Geis,
hat
sich z. B. zur Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe ein neues und
abstruses Rechtsinstrument ausgedacht: die Widerspruchsregelung für
das
Opfer. Was bedeutet das? Das Opfer selbst darf vom Gewalttäter
dann auch
noch erpreßt werden. Der Gewalttäter bleibt so "Herr des
Verfahrens".
Ausländische Frauen müssen Gewalt ihres Ehemannes ertragen,
solange die
Bundesregierung ihnen nur ein vom Ehemann abhängiges Aufenthaltsrecht
zugesteht. Frauenhandel kann nicht verfolgt werden, solange die Frauen
sofort und vor allem vor einem Verfahren gegen die Täter abgeschoben
werden.
All das macht Frauen in den Augen der Männer zu einer zu
vernachlässigenden Größe. Das führt auch dazu
- da bin ich wieder bei
unserem Thema "Frauenförderung" -, daß auch Frauen ohne
Kinder in der
Arbeitswelt nicht entsprechend vorwärtskommen und daß Frauen
immer öfter
einen Posten oft deshalb nicht bekommen, weil sie plötzlich
überqualifiziert - Sie haben richtig gehört: überqualifiziert!
- sind.
(Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Das ist ein dicker Hund!)
Das einzige Mittel, wie der heimlichen Männerquote begegnet werden
kann, ist eben die explizite Frauenquote.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
und der Abg. Christina Schenk (PDS))
Ohne die Diskussion um die Frauenquote hätten wir u. a. noch keine
Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts. Und obwohl meine Kollegin
dies schon zitiert hat, möchte ich doch noch einmal darauf hinweisen:
Frau Sothmann, wir muten Männern nicht mehr zu als das, was Frauen
so lange zugemutet wurde, nämlich besser zu sein als die Konkurrenz
aus dem anderen
Geschlecht.
Frauenförderung ist mit dieser Bundesregierung nicht zu machen.
Denn
die tatsächliche Gleichstellung ist dieser Bundesregierung gleich.
Sie
veranstaltet lieber Männerrituale wie den Großen Zapfenstreich,
aber sie
gestaltet keine Zukunft für Frauen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Wolfgang Zöller (CDU/CSU):
Oha,
liebe Leute!)
- Sie können ja heute abend alle teilnehmen. Ich hoffe, keine Frau
geht
da hin.
(Unruhe bei der CDU/CSU)
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
PDS - Zuruf von
der CDU/CSU: So etwas Dummes!)
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