Hanna Wolf MdB
Rede im Bundestag, 28.1.2000
 
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes:
eigenständiges Aufenthaltsrecht von ausländischen Ehegatten - Härtefallklausel
 
Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten Hanna Wolf (München), Lilo Friedrich (Mettmann), Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Marieluise Beck (Bremen), Claudia Roth (Augsburg), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetzes

- Drucksache 14/2368 -
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Hanna Wolf, SPD-Fraktion, das Wort.

 

Hanna Wolf (München) (SPD): Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Heute setzen die Regierungsfraktionen wieder einen weiteren wichtigen Punkt ihrer Koalitionsvereinbarung um. Es ist der Gesetzentwurf zur Änderung des § 19 des Ausländergesetzes. Dieser Entwurf ist auf Initiative der Frauen in beiden Fraktionen entstanden. Deshalb möchte ich besonders die Frauen der Opposition herzlich einladen, diesem Gesetzentwurf ebenfalls zuzustimmen. Ich setze darauf, dass dies auch viele Männer tun. Denn ich denke, wir waren uns in diesem Parlament immer einig: Wenn es um Menschenrechte, um Frauenrechte geht, sollten wir diese alle gemeinsam stärken oder fordern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

In diesem Gesetzentwurf geht es um das eigenständige Aufenthaltsrecht von ausländischen Ehegatten. Es geht um die klare Regelung von Härtefällen, das heißt, es geht in fast allen Fällen um die Menschenrechte von ausländischen Ehefrauen und es geht auch um Kinderrechte. Der Gesetzentwurf ist ebenfalls in dem weiteren Zusammenhang unserer Bemühungen zu sehen, häusliche Gewalt einzudämmen. Dazu wird diese Bundesregierung weitere Gesetzentwürfe vorlegen.

Die heutigen Oppositionsfraktionen CDU/CSU und F.D.P. werden sagen: Wir haben § 19 des Ausländergesetzes doch erst 1997 und davor 1990 geändert. - Das ist wahr. Ebenso wahr ist aber auch, dass es jedes Mal Stückwerk geblieben ist. Sie haben unsere Fallbeispiele damals in den Beratungen nie ernst genommen. Sie haben immer wieder den Missbrauch des Gesetzes an die Wand gemalt. Ganz besonders hart zeigten sich der damalige Innenminister
Kanther

(Heiterkeit bei der SPD)

und mit ihm Hand in Hand sein bayerischer Kollege Beckstein. Wenn man jetzt einen Blick nach Hessen wirft, merkt man, welche ganz anderen Dimensionen sich hinter dem Begriff "Missbrauch" verbergen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die besten Gesetze können einen Missbrauch nicht völlig ausschließen. Wir messen aber die Qualität von Gesetzen daran, ob sie diejenigen tatsächlich schützen, die sie zu schützen vorgeben. Das ist in der bestehenden Version des § 19 des Ausländergesetzes nicht der Fall. Der Verband binationaler Familien und Partnerschaften hat zusammen mit der Frauenhaus-Koordinierungsstelle die Auswirkungen des seit 1997 bestehenden Gesetzes untersucht. Die Ergebnisse sind nach wie vor erschreckend.

Ein großer Fehler bisher ist, dass auf dem Wege ergänzender oder fehlender Verwaltungsvorschriften eine ungleiche Behandlung in den einzelnen Bundesländern herrscht. Minister Beckstein in Bayern hat eine gänzlich andere Vorstellung von "außergewöhnlicher Härte" als zum Beispiel die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen. Unterschiedliche Landesvorgaben und unterschiedliche örtliche Behördenpraxis werden für die betroffenen Frauen zum Roulette.

Deshalb haben wir in unserem Gesetzentwurf den Begriff der "außergewöhnlichen Härte" durch den Begriff der "besonderen Härte" ersetzt und diesen klar definiert. Gleichzeitig haben wir dafür gesorgt, dass dieses Gesetz nicht mehr zustimmungspflichtig ist. Wir wollen gleiche Lebensverhältnisse in ganz Deutschland, auch für Ausländerinnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Jelpke [PDS])

Die "besondere Härte" ist sowohl an Umstände geknüpft, die es dem Ehegatten, in der Regel der Ehefrau, unmöglich machen, die Ehe fortzusetzen. "Besondere Härte" kann aber auch im Herkunftsland begründet sein, wenn die Rückkehr für die geschiedene Frau schwerwiegendere Folgen hat als für andere Ausländer, die Deutschland nach einer kurzen Aufenthaltszeit verlassen müssen. Wenn eine "besondere Härte" festgestellt ist, entfällt jegliche Frist und das eigenständige Aufenthaltsrecht wird ausgesprochen.

In diesem Parlament habe ich schon mehrfach den Fall der Kurdin Tülay Oguz aus Kempten in Bayern angesprochen. Sie wurde von ihrem Ehemann jahrelang schwer misshandelt und teilweise von der Familie des Mannes wie eine Sklavin gehalten. Sie ließ sich daraufhin scheiden. Zu den Misshandlungen wurde sowohl erstinstanzlich wie auch auf eine Petition im Bayerischen Landtag hin festgestellt - jetzt hören Sie zu! -, dass sie weder zu Siechtum noch zu bleibenden körperlichen Schäden geführt hätten. Also liege eine "außergewöhnliche Härte" nicht vor. Wie zynisch können Urteile sein! Psychische Gewalt wurde überhaupt nicht berücksichtigt, auch nicht das Kindeswohl. Frau Oguz hat zwei Kinder, die in Deutschland geboren wurden.

Nach viereinhalb Jahren Rechtsstreit ist die Stadt Kempten diese Woche einer Entscheidung des zuständigen bayerischen Verwaltungsgerichts zuvorgekommen. Sie hat Frau Oguz endlich eine Aufenthaltsbefugnis erteilt. Das war für die Kommune eine reine Ermessensfrage.

Für Frau Oguz freut mich das außerordentlich. Sie können aber davon ausgehen, dass dieser Abschluss ohne die Solidarität der Menschen in Kempten, ohne den politischen Druck der SPD-Frauen und Grünen-Frauen und ohne den Druck der Medienberichterstattung nicht möglich gewesen wäre. Ein klares Gesetz dagegen hätte Frau Oguz diese Tortur erspart.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Damit komme ich zu der zweiten Neuerung unseres Gesetzentwurfs: Die Mindestdauer des ehelichen Aufenthalts in Deutschland soll von vier auf zwei Jahre gesenkt werden. Danach tritt das eigenständige Ehegattenaufenthaltsrecht in Kraft. Damit soll verhindert werden, dass vier Jahre lang Druck vom Partner ausgeübt werden kann. Missbrauch und Erpressung dürfen nicht mehr möglich sein.

Ausländerbehörden haben in zum Teil schändlicher Weise das Spiel des willkürlichen Ehemanns unterstützt. Sie haben Aufenthaltserlaubnisse rückwirkend eingeschränkt oder aufgehoben, wenn der Ehemann einseitig die Lebensgemeinschaft für nicht mehr existent erklärt hatte.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele miese Tricks jemand anwenden kann, um seiner ausländischen Frau das Leben schwer zu machen und sie loszuwerden:
rassistisches Verhalten, Freiheitsberaubung, Verbot der Arbeitsaufnahme, verdientes Geld abgeben lassen, kein Haushaltsgeld geben usw. So manche dieser Ehemänner glaubten, ein "Rückgaberecht" oder ein "Umtauschrecht" an ihrer Ehefrau durchsetzen zu können. Dem wollen wir endlich einen Riegel vorschieben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulla Jelpke [PDS])

Die dritte wichtige Neuerung betrifft das Kindeswohl. Es kam in diesem Zusammenhang bisher kaum vor. Aber das Kinder- und Jugendhilfegesetz und das neue Kindschaftsrecht verlangen, dass Kinder als Individuen mit eigenen Rechten behandelt werden. Wir können nicht zulassen, dass das Kind keine Chance auf Kontakt mit der Mutter mehr hat, weil sie das Land verlassen muss, das Kind keinen Kontakt zum Vater mehr hat, weil es mit der Mutter das Land verlassen muss, und das Kind aus seiner gewohnten Umgebung gerissen wird, auch wenn es erst mit in die Ehe gekommen ist. Auch das kann eine besondere Härte sein.

Ich habe nur einige Fälle genannt, aber jedes Frauenhaus und jede Beratungsstelle könnten Hunderte nennen. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben von solchen Fällen auch immer wieder in den Zeitungen gelesen. Niemand von uns kann sagen, dass man es nicht gewusst hat.

In der letzten Legislaturperiode war es nicht möglich, endlich ein wirkungsvolles Gesetz zum Schutz der bei uns lebenden ausländischen Ehefrauen durchzusetzen. Der Law-and-Order -Minister Kanther hat da die Reihen fest zusammengehalten. Ich appelliere an Sie alle: Stimmen Sie unserem Gesetz zu, das die Opfer schützt. Dieses Gesetz ist ein klares Zeichen für die Menschenrechte von Frauen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Manchmal dauert manches sehr lange, wie wir jetzt merken. Vielen Dank, Frau Kollegin.