Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz
(SFHÄndG)
Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll 13/47 vom 29.06.1995
Seite: 3783
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun
der Abgeordneten
Hanna Wolf das Wort.
Hanna Wolf (München) (SPD): Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ein ungeheuer langer Gesetzgebungsweg scheint zu Ende zu
gehen. Ich erinnere nur an die letzten 20 Jahre. 1975 hatte das
Bundesverfassungsgericht die von der SPD initiierte Fristenregelung
verworfen. Später folgten die unerträglichen Prozesse von Memmingen.
Dann öffnete die deutsche Einheit die Möglichkeit eines neuen
Gesetzes.
Auch der Gruppenantrag wurde dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung
vorgelegt, diesmal aber nur teilweise verworfen. Es folgten neuerliche
Verhandlungen.
Ich bin froh, daß die SPD-geführten Länder im letzten
Herbst den damals
vorgelegten Gesetzentwurf der Koalitionsparteien abgelehnt haben und
wir
somit weiter verhandeln konnten.
Heute liegt meiner Meinung nach ein Ergebnis vor, das die Bezeichnung
Kompromiß eher verdient. Der Beweis: Niemand kann so recht jubeln,
aber
viele erkennen ihre eigenen Beiträge darin wieder.
Für mich ist entscheidend, daß wir eine Fristenregelung vorliegen
haben, allerdings mit Beratungspflicht. Natürlich hätte ich
mir mehr
gewünscht; aber ich glaube nicht, daß wir einen faulen Kompromiß
vorliegen haben. Politik ist die Kunst des Machbaren, und für
mich war
die Entscheidung wichtig, daß die Frau letztendlich selbst entscheidet.
Ich glaube, dieser Kompromiß ist bei gutem Willen in die Praxis
umsetzbar, und das ist für mich entscheidend. Ich baue auf die
Kooperationswilligkeit aller, die heute zustimmen werden. Daß
die
katholische Kirche - mit Ausnahmen - nicht gegen den Kompromiß
anrennt, läßt mich hoffen, daß er auch in Zukunft
hält.
Als Abgeordnete aus Bayern bin ich jedoch aus Erfahrung mißtrauisch,
wenn ich in einem Bundesgesetz sinngemäß lese: Das Verfahren
regeln die
Länder. Aber auch hier baue ich darauf, daß die CSU erkennt:
Es tut ihr
nicht gut, wenn Frauen in Bayern schlechter dran sind als im übrigen
Bundesgebiet.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich möchte auf einige Punkte näher eingehen und wende mich
ganz
speziell an die Bayerische Staatsregierung, was übrigens besondere
Aktualität durch ein Interview bekommt, das die Staatsministerin
Stamm
der "Süddeutschen Zeitung" gegeben hat und in dem sie die Frage
der
Zustimmung zu diesem Gesetz im Bundesrat offenläßt. Deshalb
möchte ich
heute die CSU in bezug auf einige Punkte ansprechen.
Erstens. Die Beratung. Ich appelliere an die Bayerische
Staatsregierung, sich immer bewußt zu bleiben, daß auch
sie den ersten
Satz des Gesetzestextes zur Konfliktberatung garantieren muß,
nämlich:
"Die Beratung ist ergebnisoffen zu führen."
Zweitens. Die Beratungsstellen. Ich appelliere an die Bayerische
Staatsregierung, gemäß dem Gesetzestext ein tatsächlich
"ausreichendes
plurales Angebot wohnortnaher Beratungsstellen sicherzustellen". Dies
beinhaltet auch, daß die Zulassung von Beratungsstellen nicht
nach
ideologischen, sondern nach den im Gesetz festgelegten fachlichen
Kriterien beurteilt wird.
Drittens. Die Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen.
Ich appelliere an die Bayerische Staatsregierung, das im Gesetz
geforderte "ausreichende Angebot ambulanter und stationärer
Einrichtungen" endlich sicherzustellen.
Viertens. Die Kostenerstattung. Auch hier appelliere ich an die
Bayerische Staatsregierung, bei der Erstattung der den Krankenkassen
entstehenden Kosten absolute Datensicherheit zu gewährleisten.
Die
Frauen müssen Vertrauen in die ihnen zugesicherte Anonymität
haben
können.
Ich hoffe auf die politische Ehrlichkeit der CSU, darauf, daß
sie sich
die im gesellschaftlichen Konsens gefundene Kompromißlinie nicht
zerschlagen läßt, auch nicht durch das Störfeuer eines
Kardinals
Friedrich Wetter. Aber auch sie selbst darf natürlich diesen Kompromiß
jetzt nicht in Frage stellen. Frau Eichhorn und Herr Scheu, ich setze
nun auf Sie, daß Sie der Bayerischen Staatsregierung bewußt
machen, daß
sie nicht noch einmal nach Karlsruhe gehen kann.
Die Frauen in Bayern und wir bayerischen SPD-Abgeordneten im Bundestag
werden sehr genau beobachten, wie die neue Praxis im
Schwangerschaftskonflikt in Bayern aussieht.
Damit Kinder eine Chance haben, brauchen wir kinder- und
frauenfreundliche Strukturen. Ich meine damit auch das Fehlen von
Ganztagsschulen in Bayern. Sie wären eine notwendige Ergänzung
eines
qualifizierten und integrierten Ganztagsangebots für Kinder jeden
Alters. Ich meine eine Erziehung und Sexualaufklärung, die die
Prävention von ungewollten Schwangerschaften im Auge hat, und
einen
Arbeitsmarkt mit gleichen Chancen für Frauen, der alle
Arbeitszeitstrukturen umfaßt, bei denen Kinder mitgedacht sind.
Hier
besteht absoluter Handlungsbedarf.
Ich hoffe, daß die betroffenen Frauen und die Beratungsstellen
mit dem
Gesetz, das wir heute hoffentlich mit großer Mehrheit verabschieden,
angstfrei umgehen können.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD)
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