Deutscher Bundestag 214. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 30. Januar 2002

Tagesordnungspunkt 1:
Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin: Teilbericht Stammzellforschung 
(Drucksache 14/7546)  
21193 D
in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 1:
Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Wodarg, Dr. Hermann Kues und weiterer Abgeordneter: Schutz der Menschenwürde angesichts der biomedizinischen Möglichkeiten - Kein Import embryonaler Stammzellen 
(Drucksache 14/8101)  
21193 D
in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2:
Antrag der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Margot von Renesse und weiterer Abgeordneter: Keine verbrauchende Embryonenforschung - Import humaner embryonaler Stammzellen grundsätzlich verbieten und nur unter engen Voraussetzungen zulassen 
(Drucksache 14/8102)  
21193 D
in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3:
Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Katherina Reiche und weiterer Abgeordneter: Verantwortungsbewusste Forschung an embryonalen Stammzellen für eine ethisch hochwertige Medizin 
(Drucksache 14/8103)  

Video: Modem | ISDN

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich gebe das Wort der Kollegin Hanna Wolf.

Hanna Wolf (München) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben aus großem Verantwortungsgefühl heraus das Embryonenschutzgesetz debattiert und verabschiedet. Wir wollen seinen Geist auch nicht ändern. Embryonale Stammzellen waren zu der Zeit der Verabschiedung des Gesetzes unbekannt. Aus embryonalen Stammzellen kann sich zwar kein Leben mehr entwickeln, aber sie sind aus Embryonen gewonnen worden. Diese Gewinnung ist bei uns immer noch ungesetzlich - aus gutem Grund, wie ich meine. Wenn wir solche nach unserem Gesetz unrechtmäßig gewonnenen embryonalen Stammzellen importieren, dann geben wir gleich, so finde ich, einen Freifahrschein für die Erzeugung solcher Zellen in Deutschland. Forderungen hiernach gibt es bereits.
Weil § 218 immer wieder in die Debatte geworfen wurde, gehe ich auf den entscheidenden Unterschied zum heutigen Thema ein. Das Schlüsselwort heißt Konfliktfall. Bei den mit großem Ernst geführten Debatten um § 218, an denen viele von Ihnen teilgenommen haben, war der beste Schutz des Embryos, der sich im Mutterleib befindet, der zentrale Punkt. Konsens ist, dass der Fötus nicht ohne die Mutter zu schützen ist. Die Frau kann sich jedoch in einem so schweren Konflikt befinden, dass sie keine andere Möglichkeit als die Abtreibung sieht. Nur für diesen schweren Konfliktfall und nur nach der Entscheidung der Frau ist eine Abtreibung straffrei; sie bleibt aber weiterhin ungesetzlich. Bei der Produktion embryonaler Stammzellen dagegen wurde ohne Not gehandelt. Forscher haben über die Verwendung von Embryonen außerhalb des Mutterleibes entschieden. Das war kein Konfliktfall. 

(Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Richtig!)

Das Tor zur Gewinnung von Stammzellen wurde durch die In-vitro-Befruchtung geöffnet. Leider können wir sie nicht mehr zurückschrauben. Sie ist aber das Einfallstor dafür, dass der Mensch zum formbaren Produkt wird. Der nächste Schritt heißt wahrscheinlich irgendwann PID. Wir befinden uns also auf einer schiefen Bahn. 
Erlauben Sie mir, dass ich hier Jürgen Habermas zitiere: 
„Ich misstraue den Abwieglern unter den Experten, die nur den nächsten Schritt ins Auge fassen wollen. ... Je kürzer der zeitliche Horizont, den wir in Betracht ziehen, umso größer wird später die Macht der dann bereits geschaffenen Fakten sein.“

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die embryonalen Stammzellen außerhalb Deutschlands stellen die Fakten dar, vor denen wir heute stehen. Vor welchen Fakten stehen wir morgen? Wie verändern sie unser Verhältnis zum Menschsein? Wie verändern sie die Position von Frauen? 

Heute schon bezweifeln wir, ob die existierenden embryonalen Stammzellen virenfrei sind. Der "Sauerteig" kann durch die Art seiner Vermehrung verseucht sein. Neue Stammzellenreihen werden bereits verlangt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb sollten wir heute ein Verbot des Imports embryonaler Stammzellen beschließen.

Die vielen Briefe aus der Bevölkerung, die ich ebenso wie Sie alle bekommen habe, sprechen sich ganz überwiegend gegen den Import aus. Sie sind Ausdruck einer regen öffentlichen Diskussion. An dieser Stelle danke ich für die vielen ernsten Gedanken, die mir übermittelt wurden. Sie befassen sich immer wieder auch damit, dass die Illusion der Perfektion den richtigen Umgang mit Behinderung, Krankheit und Sterben verhindert.
Mit einem Verbot des Imports geben wir den deutschen medizinischen Forschern unter Umständen einen Kreativschub - weg von dem einen angeblichen Königsweg hin zu einer Vielfalt in der Forschung und einer Vielfalt therapeutischer Möglichkeiten.
Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)