173. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001
Beginn: 9.00 Uhr

Tagesordnungspunkt 4: 
Debatte zu Recht und Ethik 
der modernen Medizin und Biotechnologie

Video: Modem | ISDN

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt die 
Abgeordnete Hanna Wolf.

Hanna Wolf (München) (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich in meinem Beitrag mit den Versprechungen und Risiken der Präimplantationsdiagnostik - kurz PID - für Frauen auseinander setzen. Die Frauen kommen in der derzeitigen Diskussion kaum mehr vor.

(Beifall der Abg. Ilse Janz [SPD] und der Abg. Angelika Volquartz [CDU/CSU])

Heute haben Gott sei Dank einige Kollegen darauf abgehoben. Ich will die Frauen wieder ins Zentrum rücken und ich werde begründen, warum ich die PID ablehne.

Zur Vorgeschichte: Ohne künstliche Befruchtung im Reagenzglas fände heute keine Debatte über PID statt. Diese künstliche Befruchtung wird unfruchtbaren Frauen angeboten. Sie ist keine Heilung im ärztlich-ethischen Sinn, sondern eine Art Dienstleistung. Sie geht von der falschen Vorstellung aus, es gäbe ein Recht auf ein genetisch eigenes Kind. Die künstliche Befruchtung in vitro verlangt zunächst eine hormonelle Überstimulation und eine operative Eizellenentnahme. Sie ist nur in maximal 20 Prozent der Fälle erfolgreich. Die physischen und psychischen Folgen dieser so genannten Behandlung sind bisher nicht in Langzeitstudien erforscht. Bei dieser künstlichen Befruchtung entstehen mehrere Embryonen. Deshalb ist dies für mich bereits der Dammbruch hin zur Embryonenproduktion.

(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Wodarg [SPD])

Unfruchtbare Frauen stehen unter Druck. Das vermeintliche Recht auf ein genetisch eigenes Kind kann zum psychischen Zwang werden. 

Nun zur PID. Sie bezieht sich im Prinzip nicht auf unfruchtbare, sondern auf fruchtbare Frauen. Sie könnten jederzeit ein Kind bekommen, allerdings mit dem Risiko einer Erbkrankheit. Auch diese fruchtbaren Frauen werden einer hormonellen Überstimulation und einer operativen Eizellenentnahme unterworfen. Hierfür werden noch mehr Embryonen als für die In-vitro-Fertilisation benötigt. 

Die Entscheidung, welche Embryonen eingepflanzt werden, fällen Spezialisten im Labor - nicht die Frau. Ob das Kind wirklich ein Risiko trägt, kann aber endgültig erst während der Schwangerschaft festgestellt werden, wenn überhaupt. Dann allerdings entscheidet die Frau, ob sie sich im Konflikt sieht und wie sie sich zu dieser Tatsache verhalten will. Der Konfliktfall gemäß § 218 StGB bezieht sich nur auf die Einheit in der Zweiheit zwischen Frau und Fötus.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Fötus kann nur mit der Frau geschützt werden. Um dieser Schutzmöglichkeit willen gibt es den Kompromiss der Straffreiheit bei Abtreibung.

Was ist aber durch PID geschehen? Aus dem vermeintlichen Recht auf das genetisch eigene Kind ist ein vermeintliches Recht auf ein genetisch eigenes gesundes Kind geworden. Für die Frau entsteht weiter Druck. Ein nicht gesundes Kind kann ihr zum Vorwurf gemacht werden, vom Partner, von der Familie, von der Gesellschaft. Eine perfekte Mutter muss also ein perfektes Kind zur Welt bringen. 

Die PID löst auch Begehrlichkeiten auf überzählige Embryonen aus, für embryonale Stammzellenforschung, für das therapeutische Klonen, für die so genannte Spende von Eizellen für unfruchtbare Frauen. 

Die Gewinnung von Eizellen für diese Zwecke würde über kurz oder lang folgen, der Bedarf würde ansteigen. Eizellen werden aber nicht gespendet wie Blut. Ihre Gewinnung ist mit erheblichen gesundheitlichen Risiken für die Frauen verbunden. Ein Handel übelster Art könnte beginnen. Die Worte "Zweck" und "Gewinnung" von Embryonen ist nach meiner Meinung mit Art. 1 des Grundgesetzes unvereinbar: "Die Würde des Menschen ist unantastbar" - nicht nur die Würde werdenden Lebens, sondern auch die Menschenwürde der Frauen. 

Ich lehne also die PID aus moralischen, physischen, psychischen und sozialen Gründen ab. In dieser Ablehnung weiß ich mich einig unter anderem mit dem Deutschen Ärztinnenbund. 

Huxley hat schon 1932 in seinem utopischen Roman "Schöne neue Welt" mögliche Entwicklungen der Biomedizin, nämlich die Ablösung der menschlichen Geburt vom mütterlichen Körper und die Selektion der Embryonen, nicht als Heilsbotschaft für Frauen, sondern als Warnung verstanden. Wir dürfen seine Warnung auch im neuen Jahrtausend nicht überhören. 

Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)