4. März 1999

Debatte anläßlich des Internationalen Frauentages

Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:

Debatte anläßlich des Internationalen Frauentages

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache über den Internationalen Frauentag eine Stunde vorgesehen.

Video: Modem | ISDN |

Vizepräsident Rudolf Seiters: Das Wort hat die Kollegin Hanna Wolf von der SPD-Fraktion.

Hanna Wolf (München) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Süssmuth, Sie haben gefragt, warum es in Deutschland nicht so wie in den skandinavischen Ländern ist. Die Antwort haben die Wählerinnen und Wähler beim letztenmal gegeben:

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

weil die alte Bundesregierung nur Forderungen gestellt hat und keine Taten hat folgen lassen. Das hat sich dann im Wahlergebnis ausgedrückt. Die Kohl-Regierung wurde abgewählt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben heute auch die Aufgabe, in dieser Debatte zu sagen, was die neue Bundesregierung will. Dazu werde ich einige Ausführungen machen.

Frauen wollen keine Frauenecke reserviert bekommen. Sie wollen, daß Gesellschaftspolitik gemacht wird. Das wollen wir heute in der Debatte unterstreichen. Ich will gleich mit dem für die Union heißesten Eisen beginnen, mit dem, was Sie Schutz von Ehe und Familie nennen. Frau Eichhorn und Frau Rönsch - Frau Rönsch ist da; Frau Eichhorn sehe ich nicht; aber ich wende mich auch an sie;

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie ist entschuldigt!)

- ich will es gar nicht kritisieren; ich sage nur, daß ich sie jetzt beide anspreche -, Sie haben familienpolitische Leitlinien erstellt. Dazu kann ich nur sagen: Wenn das keine Ideologie ist, dann weiß ich nicht mehr, was Ideologie ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mit Ihren Vorstellungen zementieren Sie Ungleichheit; letztendlich zerstören Sie auch Familien. Sie erwähnen Ehe und Familie immer in einem Atemzug. Daraus entstehen viele Ihrer Denkfehler; denn nicht alle Ehepaare haben Kinder. Selbstverständlich werden wir sowohl die Ehe als auch die Familie schützen. Die Frage aber ist: Welcher Schutz ist notwendig? Was gewährt Schutz? Welche vermeintlich schützenden Maßnahmen verkehren sich ins Gegenteil? Wo steht in der Verfassung geschrieben, daß sich allein der Trauschein in massiven fiskalischen Privilegien, also in Mark und Pfennig der Steuerzahler, ausdrücken muß?

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)

Diese Privilegien sind um so höher, je größer die Ungleichheit der Ehepartner ist. Das heißt, das Alleinverdienerehepaar wird staatlich am höchsten subventioniert. Ein Spitzenverdiener kann da mehr als 20 000 DM sparen. Man kann sich ausrechnen, daß der Mann - er ist es ja meistens - dann kein Interesse daran hat, daß seine Frau, die ihm auch noch den Rücken freihält, erwerbstätig wird. Das sind Abhängigkeitsstrukturen in einer Ehe, die auch der Ehe nicht guttun können.

Insoweit widersprechen sich zwei Verfassungsgebote: das Gleichberechtigungsgebot nach Art. 3 und der Schutz der Ehe nach Art. 6 des Grundgesetzes. Ein Steuerrecht, das auf Abhängigkeitsstrukturen baut, verfestigt persönliche und gesellschaftliche Ungleichheit. Das Steuerrecht kann zwar nicht alles heilen, aber es sollte zumindest nicht alles verderben.

Deshalb müssen wir beim Steuerrecht ansetzen, um die gesellschaftliche Ungleichheit von Männern und Frauen endlich zu korrigieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Nun behauptet die Union, wir wollten das Ehegattensplitting ersatzlos streichen. Anders sind die Vorwürfe, wir würden damit Familien und Kinder benachteiligen, nicht zu verstehen. Wir wollen aber genau das Gegenteil: Wir wollen nämlich eine Umschichtung zugunsten der Familien. Familie definieren wir bekanntermaßen als das Zusammenleben von Erwachsenen mit Kindern, egal ob mit oder ohne Trauschein. Es geht einfach um die Kinder.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Ihre Politik war es doch, die die Quittung des Bundesverfassungsgerichtes bekommen hat. Ausgerechnet Sie haben verheiratete Eltern im Steuerrecht benachteiligt. Weder der Betreuungsbedarf noch der Erziehungsbedarf der Kinder wurde für verheiratete Eltern angemessen berücksichtigt. Wir wollen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes umsetzen.

Die Union behauptet, wir würden Frauen keine Wahlfreiheit lassen. Wie sieht denn diese Wahlfreiheit aus? Für Männer ist es selbstverständlich, daß sie berufstätig sind. Bei Frauen wird dies nur hingenommen, wenn sie keine Familie haben. Die Wahlfreiheit ist für Frauen also sehr eingeschränkt. Daneben drückt sich diese Benachteiligung noch in der unterschiedlichen Bezahlung aus.

Das Verfassungsgericht spricht eine andere Sprache. Die Frau Staatssekretärin hat den entsprechenden Satz schon zitiert. Aber auch ich möchte ihn erwähnen, weil er für mich eine Aufforderung an dieses Parlament ist, etwas zu ändern:

"Der Staat hat ... dafür Sorge zu tragen, daß es Eltern gleichermaßen möglich ist, teilweise und zeitweise auf eine eigene Erwerbsarbeit zugunsten der persönlichen Betreuung ihrer Kinder zu verzichten wie auch Familientätigkeit und Erwerbsarbeit miteinander zu verbinden."

Dieser Punkt führt zur Wahlfreiheit, wenn er im Steuerrecht berücksichtigt wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Beide Elternteile sind also beim Betreuungs- und Erziehungsbedarf gemeint.

Welche Möglichkeiten der Betreuung hat denn die letzte Regierung den Eltern geboten? Wo ist die pädagogisch attraktive und ausreichende öffentliche Infrastruktur für die Kinderbetreuung?

(Ina Lenke [F.D.P.]: Das müssen Sie mal Glogowski fragen!)

- Ich wußte, daß jetzt der Hinweis auf die Länder kommt. So einfach kann es sich das Parlament aber nicht machen. Wir waren ehrlicher und haben in den Koalitionsvertrag geschrieben, daß wir uns verpflichtet fühlen, die öffentlichen Einrichtungen für Kinderbetreuung mit zu stützen. Bis jetzt hat noch keine Bundesregierung zugegeben, daß sie etwas für die Versorgung und damit für die Erfüllung dieses Verfassungsauftrages tun muß.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Widerspruch bei der F.D.P.)

Man kann wirklich sagen, daß die Union und die F.D.P. die Kinderbetreuung und -erziehung privatisiert haben. Sie haben gerade die Mütter allein gelassen. Wir wollen, daß Frauen genauso selbstverständlich am Erwerbsleben teilhaben wie Männer. Frau Süssmuth, wir wollen wenigstens den Standard erreichen, den die übrigen Industrieländer schon erreicht haben. Deshalb müssen wir in diesem Bereich tätig werden.

Wir wollen ein Steuerrecht, das die Familien stärkt und die Berufstätigkeit von Frauen unterstützt, ein Gleichstellungsgesetz auch für die Privatwirtschaft, das seinen Namen verdient. Gerade dort muß die Gleichstellung unterstützt werden. Wir werden ein Gesetz mit der Wirtschaft, nicht gegen die Wirtschaft machen. Sie werden sich noch wundern.

(Beifall bei der SPD - Ina Lenke [F.D.P.]: Ich freue mich schon darauf!)

Wir wollen Elternurlaub und Elterngeld und auch den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit endlich umsetzen. Dies ist nicht nur für die Frauen, sondern auch für die Männer attraktiv.

Zum Schluß muß ich noch ein Thema ansprechen, das wir alle gemeinsam aufgegriffen und wofür wir uns eingesetzt haben. Wir wollen Gewalt überall bekämpfen, nicht nur dort, wo sie sichtbar ist. Frau Eichhorn und Frau Rönsch, in diesem Zusammenhang muß ich Sie leider ansprechen. Wir haben mit großer Mehrheit, also mit Stimmen aus allen Fraktionen, in diesem Parlament endlich ein Gesetz verabschiedet, das die Vergewaltigung in der Ehe genaus bestraft wie die Vergewaltigung außerhalb der Ehe.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie viele Fälle gibt es denn?)

Sie, Frau Rönsch und Frau Eichhorn, haben mit Nein gestimmt. Daher frage ich mich: Ist Ihre Auffassung noch glaubwürdig, daß Sie die Opfer und nicht die Täter schützen wollen?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Ehrlicherweise muß man im Rahmen einer Debatte über Gewalt auch dieses Abstimmungsverhalten erwähnen.

Bei der Bekämpfung der Gewalt werden die Justizministerin und die Frauenministerin sehr eng zusammenarbeiten. Wir brauchen einen nationalen Aktionsplan, der sich gegen Gewalt gegen Frauen richtet. Frauenhäuser bleiben zwar unverzichtbar; allerdings dürfen Schutzwohnungen und Frauenhäuser nicht Langzeitaufenthaltsräume für Frauen sein. Wir wollen endlich ein Gesetz schaffen, mit dem erreicht werden kann, daß Frauen mit Kindern, die Gewalt ausgesetzt waren, die gemeinsame Wohnung zugewiesen bekommen. Der Täter soll die gemeinsame Wohnung verlassen, nicht mehr die Opfer, nicht mehr die Frauen mit den Kindern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)

Das haben wir lange in diesem Parlament eingefordert. Sie haben es nicht durchgesetzt. Wir werden es durchsetzen.

Wir werden den Frauen- und Kinderhandel verstärkt bekämpfen. Hierin waren wir uns immer einig. Aber wir müssen dafür auch die Mehrheiten haben. Jetzt haben wir endlich die Mehrheit, um das Problem angehen zu können.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Sehr gut!)

Wir wollen auch das Zeugenschutzprogramm angehen, um damit den Menschenhandel endlich auch gerichtlich verfolgen zu können. Dazu gehört, daß wir die Abschiebung von Frauen, die Opfer des Menschenhandels geworden sind, aussetzen, damit sie als Zeugen überhaupt zur Verfügung stehen. Wenn wir das nicht machen, schützen wir wieder die Täter.

Wir werden - ich freue mich, daß die F.D.P. hier mitmacht - endlich die rechtliche und soziale Situation von Prostituierten verbessern. Die in diesem Bereich herrschende Doppelmoral ist schon lange unerträglich. Alle Fraktionen haben zu diesem Thema immer sehr engagiert geredet. Nur zur Abstimmung ist es nicht gekommen. Auch das hat die alte Regierung nicht geschafft. Wir werden das machen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)

Sie machen lieber Unterschriftsaktionen, damit Sie sagen können, daß Sie sich mehr um dieses Thema als um andere kümmern wollen. Das ist Ihr altes Strickmuster: Hier so reden und draußen Unterschriften sammeln.

Wir werden die Härtefallklausel im Ausländerrecht so gestalten, daß die Opfer durch den entsprechenden Paragraphen geschützt werden und nicht die Täter. Deshalb werden wir die allgemeine Wartefrist von vier auf zwei Jahre herabsetzen und die Ausführungsbestimmungen der Härtefallklausel so gestalten, daß die Opfer tatsächlich hierbleiben können.

Zum Schluß noch ein Wort zur Abtreibungsproblematik. Wir haben auch hier nach vielen Jahrzehnten des Ringens eine abschließende Regelung getroffen. Nun hat auch die Mehrheit der deutschen katholischen Bischöfe beschlossen, in der Beratung zu bleiben. Das begrüßen wir. Ob der Papst dies akzeptieren wird, wissen wir nicht. Fest steht jedoch, daß nicht Rom der deutsche Gesetzgeber ist. Wir werden also die Frauen nicht im Stich lassen und Gesetze erlassen, mit denen der Anspruch der Frauen auf Gleichberechtigung in diesem Land auch verwirklicht werden kann.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS)

Vizepräsident Rudolf Seiters: Ich schließe die Aussprache und danke insbesondere den Männern, die an dieser Debatte teilgenommen haben.