Aktuelle Stunde im Deutschen Bundestag 24.06.1999

Politische Schlußfolgerungen aus dem Beschluß der Katholischen Bischofskonferenz zur Schwangerschaftskonfliktberatung
 
 

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

politische Schlußfolgerungen aus dem Beschluß der Katholischen Bischofskonferenz zur Schwangerschaftskonfliktberatung . . .

Video: Modem

Vizepräsident Rudolf Seiters: Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Hanna Wolf.

Hanna Wolf (München) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich gebe sicherlich die Meinung des ganzen Hauses wieder, wenn ich zunächst den katholischen Beratungsstellen für ihre bisher geleistete Arbeit in der Schwangerschaftskonfliktberatung danke.

(Beifall im ganzen Hause)

Aber wie danken es die Bischöfe den Beraterinnen? Die Bischöfe verstehen sich offenbar darauf, Konflikte mit dem Papst zu schlichten. Vom Schwangerschaftskonflikt verstehen sie wenig.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Zusatz auf dem Beratungsschein lautet: "Diese Bescheinigung kann nicht zur Durchführung straffreier Abtreibungen verwendet werden." Dieser Zusatz hat das Niveau eines mittelalterlichen Ablaßhandels.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

Er desavouiert die Beraterinnen. Er setzt Frauen in Not noch weiter unter Druck.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Haben Sie eine Ahnung, was Ablaß ist?)

  • Ja.
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Fragen Sie einmal Ihren Kollegen Stiegler! Der weiß das!)

Es mag sein, daß sich die Bischöfe damit im gesetzlichen Beratungssystem sehen. Sie drohen sogar mit dem Rechtsweg. Dann aber haben sie dieses Beratungssystem gründlich mißverstanden.

Es ist richtig, daß die Bischöfe sagen, daß das Ziel der kirchlichen und der staatlichen Ordnung dasselbe ist, nämlich Leben zu schützen. Entscheidend ist aber: Wir gehen unterschiedliche Wege. Wir haben uns für einen bestimmten, neuen Weg entschieden. Die Kirche kann nicht zwei Wege zugleich gehen. Die Bischöfe haben unseren Weg verlassen. Wir setzen auf das ergebnisoffene Beratungsgespräch. Beratung verlangt aber Offenheit und Ehrlichkeit auf beiden Seiten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

Ein Beratungsgespräch ist um so erfolgreicher, je offener es geführt werden kann. Eine Schwierigkeit liegt bereits in der gesetzlichen Pflicht zur Beratung. Trotzdem haben wir diese Pflicht damals in das Gesetz aufgenommen, um im Bundestag eine große Mehrheit zu bekommen und um auch die katholische Kirche mit einzubinden.

(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.]: Sonst wäre es verfassungswidrig gewesen!)

Wir wollten endlich einen Paradigmenwechsel von der Strafe zur Hilfe. Damit wollten und wollen wir werdendes Leben besser schützen als zuvor, Frauen und Ärzte aus der Illegalität holen und die hohe Dunkelziffer zum Verschwinden bringen.

Mit diesem Zusatz auf dem Beratungsschein wird die Konfliktberatung in einer katholischen Beratungsstelle zur Farce. Oder handelt es sich hier um einen augenzwinkernden Trick? Dann kann die ratsuchende Frau doch keinen Respekt für ihre Nöt erkennen. Die Glaubwürdigkeit ist für sie erschüttert.

Der Zusatz soll den Druck auf die Frauen ein weiteres Mal erhöhen. Bei einer Entscheidung für die Abtreibung ist die Schuldzuweisung an die Frau die Strafe durch die Hintertür. Das kann verheerende Folgen für die Frau haben, mit denen sie auch noch fertig werden muß. Der größte Druck aber besteht darin, ob der Arzt einen solchen Beratungsschein akzeptiert oder akzeptieren darf. Die Äußerungen dazu haben Sie hoffentlich zur Kenntnis genommen.

Schon seit dem letzten Brief des Papstes im Jahre 1998 sind viele Frauen verunsichert. Immer weniger Frauen, die sich in einem Schwangerschaftskonflikt befinden, suchen katholische Beratungsstellen auf. Für diesen Vertrauensschwund bei den Frauen ist bisher ausschließlich der Papst verantwortlich gewesen, und jetzt sind es auch die deutschen Bischöfe. Sie schaffen die ergebnisoffene Beratung und den gesetzlichen Beratungsschein im Prinzip ab.

Das Gesetz sieht ein plurales, wohnortnahes Beratungsangebot vor, in dem auch katholische Einrichtungen ihren Platz haben sollen. In manchen Bundesländern - das ist ganz eklatant in Bayern der Fall, Frau Eichhorn - ist aber die Pluralität im umgekehrten Sinn nicht gewährleistet. Zum Beispiel werden 24 von 38 Einrichtungen freier Träger in Bayern von der katholischen Kirche betrieben. Dafür werden sie staatlich alimentiert. Inzwischen meiden sogar Katholikinnen die Schwangerschaftskonfliktberatung der katholischen Kirche.

Wenn nun eine Landesregierung der Meinung ist, daß sie katholische Beratungsstellen unterstützen möchte, obwohl diese nicht mehr ergebnisoffen beraten, dann kann sie das - wenn überhaupt - zusätzlich tun. Um den Sicherstellungsauftrag zu erfüllen, müssen Frauen aber vor Ort ein plurales Angebot vorfinden. Das heißt: Diese Landesregierung muß weitere Einrichtungen anderer freier Träger zulassen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P.)

Die katholischen Beratungsstellen können jetzt nicht mehr mitgezählt werden.

Wir haben das Gesetz 1995 abschließend und mit großer Mehrheit beschlossen. Dieses Gesetz wollen wir angewendet sehen. Wir wollen nicht jedes Jahr alles wieder von vorne aufrollen. Wir brauchen endlich Rechtsfrieden und Rechtssicherheit in diesem Bereich.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)