Liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Freundinnen und Freunde,
dies ist mein letzter Brief
an Euch als Eure Bundestagsabgeordnete, denn nach drei Legislaturperioden
kandidiere ich nicht mehr. Ich möchte heute Rückschau halten auf zwölf Jahre
Bundestag und mich mit einer persönlichen Ausschau von Euch verabschieden.
Die drei Legislaturperioden,
die ich erleben durfte, waren von Anfang an sehr ereignisreich. Sie waren
gekennzeichnet von
Ö
acht
Jahren Opposition,
Ö
Willy
Brandt in der Fraktion,
Ö
Hans-Jochen
Vogel Fraktionsvorsitzender,
Ö
der
deutschen Einheit,
Ö
Frauensolidarität
über Parteigrenzen hinweg,
Ö
vier
Jahren Regierung,
Ö
dem
Wechsel von Bonn nach Berlin,
um nur die herausragendsten
Ereignisse zu nennen.
Mein erster Wahlkampf 1986
mit Rau als Spitzenkandidat war aufgrund meines Listenplatzes zwar chancenlos
aber intensiv. 1989 mit Lafontaine war ich auf unsicherem Platz, kam aber
doch noch in den Bundestag. Ich war aufgestellt für ein westdeutsches Parlament
und 1990 gewählt in ein gesamtdeutsches Parlament, ein ganz spezielles Ereignis
für mich, die in Mecklenburg geboren und in Brandenburg aufgewachsen war.
Ich habe auch in der Folge für die Verlegung des Regierungssitzes nach Berlin
gestimmt, da dies für mich die einzig richtige Konsequenz war.
Obwohl neu im Parlament wurde
ich aufgrund meiner langen Erfahrung als Münchner AsF-Vorsitzende zur frauen–
und jugendpolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion gewählt und blieb
auch in den folgenden beiden Legislaturperioden stellvertretende Sprecherin
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Dies war also immer mein hauptsächliches
Betätigungsfeld, auch wenn andere Themen dazu kamen. Mit vielen anderen Frauen
und auch Männern haben wir hier schon aus der Opposition heraus acht Jahre
lang gesellschaftliche Veränderungen bewirkt, auf die wir alle zu Recht stolz
sein können. Wir haben
Ö
den
§ 218 endlich reformieren und den Konservativen eine Fristenregelung
mit Beratungspflicht abtrotzen können,
Ö
nach
22 Jahren Arbeit durchgesetzt, dass die Vergewaltigung in der Ehe genauso
bestraft wird, wie außerhalb der Ehe,
Ö
den
Beginn der Verjährungsfrist bei sexuellem Missbrauch auf das 18. Lebensjahr
des Opfers verlängert.
1998 endlich in der Regierung
angekommen, haben wir
Ö
den
§ 19 Ausländerrecht für Härtefälle geändert. Ausländischen Ehefrauen
in Gewaltsituationen haben ein eigenständiges Aufenthaltsrecht.
Ö
Kindern
das Recht auf gewaltfreie Erziehung verschafft,
Ö
ein
Gewaltschutzgesetz verabschiedet, das präventiv wirkt, aber bei Gewalt
den Täter aus der gemeinsamen Wohnung verbannt und die Opfer schützt,
Ö
Im
Zuwanderungsgesetz einen Aufenthaltstitel aufgrund von geschlechtsspezifischer
Verfolgung geschaffen,
Ö
Opfer
von Frauenhandel haben für die Zeit des Prozesses als Zeuginnen Abschiebeschutz.
Wir können inzwischen sagen,
dass der Gewaltbereich von uns im Wesentlichen gesetzlich abgearbeitet worden
ist.
Wir haben aber in der Regierungszeit
in der Frauenpolitik noch mehr getan: Unser Programm „Frau und Beruf“ macht
Gleichstellungspolitik zur Querschnittsaufgabe, dem sogenannten Gender-Mainstreaming“:
Ö
Das
Gleichstellungsgesetz für die Bundesverwaltung enthält nun Gleichstellungspläne
mit verbindlichen Vorgaben. Damit ist es auch modellbildend für andere Arbeitsverhältnisse.
Ö
Die
Vereinbarung zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in
der Privatwirtschaft zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden
der deutschen Wirtschaft sieht für die Privatwirtschaft vor: Chancengleichheit
und Familienfreundlichkeit, Erhöhung des Anteils von Frauen in Führungspositionen,
Bereitstellung von zukunftsorientierten Ausbildungs- und Studienangeboten,
Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Mütter und Väter.
Eine erste Bilanz erfolgt im Jahr 2003. Sind die freiwilligen Vereinbarungen
nicht umgesetzt, folgt ein Gesetz.
Es gab auch kritische Themen,
in denen ich in der Abstimmung unterlegen bin. Dazu gehört die Diskussion
um den Import embryonaler Stammzellen. Ich lehne die verbrauchende
Forschung mit embryonalen Stammzellen ab. Sie verändert unser Menschenbild
grundlegend. Leider werden solche Themen in der Partei weniger intensiv diskutiert,
als außerhalb. Ich würde mir wünschen, dass es wieder mehr solcher Diskussionen
innerhalb der Partei gäbe.
Es freut mich
ganz besonders, dass das Bundesverfassungsgericht eben erst unser Lebenspartnerschaftsgesetz
für homosexuelle Paare, an dem ich aktiv mitgewirkt habe, voll bestätigt
hat. Nun ist es höchste Zeit, dass die Konservativen die Blockade des zweiten
Teils des Gesetzes im Bundesrat aufgeben.
Mit der Übernahme der Regierungsverantwortung
durch Rot-Grün ist auch ein sehr beachtetes Feld neu in die Bundespolitik
gekommen - Kultur und Medien. Ich wurde Mitglied dieses Ausschusses. Nach
Michael Naumann ist nun Julian Nida-Rümelin der Staatsminister. Was wir voran
gebracht haben:
Ö
Das
Denkmal für die ermordeten Juden Europas wird nun am Pariser Platz
in Berlin errichtet. Auf unsere Initiative ist eine entsprechende Stiftung
vom Deutschen Bundestag Dezember 1999 beschlossen worden.
Ö
Es
ist uns gelungen, bei der Europäischen Union die Buchpreisbindung im
Rahmen nationaler Regelungen zu sichern.
Ö
Wir
haben das Stiftungssteuerrecht novelliert, um neue Möglichkeiten für
privates Engagement und für Mäzene, Stifter und Sponsoren zu eröffnen.
Ö
Wir
haben dieses Jahr einen Gesetzentwurf zum Urheberrecht verabschiedet.
Urheber und ausübende Künstler haben nun einen gesetzlichen Anspruch auf angemessene
Vergütung.
Ö
Ebenfalls
dieses Jahr haben wir die Bundeskulturstiftung mit Sitz in Halle ins
Leben gerufen. Sie fördert besonders zeitgenössische Künste, denn innovative
Kunst hat es schwer, sich durchzusetzen.
Wir sind als Kultur-AG mit
unserem Antrag zum Berliner Stadtschloss unterlegen . Wir wollten, dass ein
Wettbewerb zeigen sollte, wie innerhalb der alten Proportionen des Schlosses
eine neue Gestaltung möglich sein könnte.
Natürlich gab
es auch Bosnien, das Kosovo, Mazedonien, Afghanistan. Dies waren dramatische
Entscheidungen, die sich niemand von uns leicht gemacht hat. Ich habe jeweils
der Entsendung deutscher Truppen zugestimmt. Ihre Anwesenheit in diesen Ländern
unterstützt die Bevölkerung, ihr Leben mittel- oder langfristig wieder in
ihre eigenen Hände zu nehmen. Es ist auch sichtbar, dass die Bundeswehr ein
zivileres Konzept von Friedenserhaltung hat, als manch andere Armee.
Mich haben auch
unmittelbar Münchner Themen immer wieder begleitet, die ich hier nur in Erinnerung
rufen möchte:
§
die
A99
§
Doblinger
verkauft Neue-Heimat-Wohnungen
§
Verkauf
der Eisenbahnerwohnungen
§
Personalabbau
beim DB-Ausbesserungswerk
§
Verlegung
des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr München nach Strausberg
(Brandenburg)
§
Personalabbau
bei der DASA
§
Telefongebühren
§
Postfilialen
§
Laserdrome
§
S-Bahn-Bahnhöfe
§
BAföG
oder Schwangerschaft
§
Bebauung
von Freiham
§
sexistische
Werbung - und vieles mehr.
Ich habe mich um die Koordination
Münchner Themen im Bund bei regelmäßigen Gesprächen mit OB Christian Ude gekümmert.
Ich habe mit meinem Abgeordnetenbüro
in der Alten Allee den Bestand des dortigen SPD-Bürgerbüros gefördert, durch
24 Reisen von Besuchergruppen nach Bonn und Berlin und die Betreuung von Schülergruppen
das Demokratiebewusstsein gestärkt und durch die Teilnahme am Parlamentarischen
Partnerschaftsprogramm den Schüleraustausch mit den USA unterstützt.
Ich freue mich, dass meine
Arbeit auch öffentliche Anerkennung bekommen hat in Form des Bundesverdienstkreuzes,
der Bayerischen Verfassungsmedaille und des Bayerischen Verdienstordens.
Wir hatten noch bis vor Kurzem
Josef Felder, den letzten noch lebenden Reichstagsabgeordneten unter uns im
Bundestagswahlkreis München-West. Ich habe ihn immer gerne besucht und ihn
um Rat gefragt und bin stolz, ihn kennen gelernt zu haben. Damit verbinde
ich den Dank an seine Schwiegertochter, Hannelore Felder, die ihn so selbstverständlich
betreut hat.
In diesem Berliner Brief berichte
ich wie immer aus meinem unmittelbar eigenen Politikbereich. Selbstverständlich
deckt unsere Politik alle Bereiche ab. Darüber sollt Ihr Euch aber in den
entsprechenden Publikationen der Fraktion informieren. Und vor allem: Wir
haben Wort gehalten. Deshalb können wir, könnt Ihr, selbstbewusst das neue Wahlprogramm vertreten, z.B. die Familienpolitik
mit der Bereitstellung durch die Bundesregierung von 4 Milliarden EURO für
Bildung und Betreuung in den nächsten vier Jahren.
Ich bitte Euch alle, für die
Verlängerung des Mandats der rot-grünen Bundesregierung bis zuletzt überall
intensiv zu werben. Es ist eben nicht gleich, ob Schröder oder Stoiber Bundeskanzler
ist, ob Schily oder Beckstein Innenminister, ob Fischer oder Westerwelle Außenminister,
ob Bergmann oder Reiche Familienministerin ist.
Ich sehe die Frauenpolitik
noch nicht als erledigt an. Die jungen Frauen kommen heute ganz selbstverständlich
weiter als früher. Das haben wir geschafft. Die Hochschulen und die Wirtschaft
zeigen aber allein schon statistisch, dass es in den oberen Bereichen noch
eiserne Strukturen gibt, die es zu durchbrechen gilt. Diese Aufgabe müssen
die jungen Frauen heute für sich aktiv übernehmen, in Solidarität miteinander,
mit Netzwerken und „Seilschaften“ und einem historischen Bewusstsein dafür,
dass die Gleichberechtigung erkämpft sein will.
Ich danke allen, die mich
in meiner politischen Arbeit treu unterstützt haben, in langer ehrenamtlicher
Arbeit und später im Mandat.
Hanna
Wolf
P.S.: Wer als Erinnerung eine CD-ROM mit den Inhalten meiner Homepage und einer Pressedokumentation oder die umfangreiche ausgedruckte Pressedokumentation haben möchte, kann sie in meinem Wahlkreisbüro bis Mitte September anfordern.