6. Juli 1995 - 1132
Hanna Wolf Seehofer, der heimliche (Un)sozialminister
Zu den Gesetzesvorschlägen aus dem Bundesgesundheitsmini- sterium zur
Sozialhilfe von Personen in Wohngemeinschaften erklärt die
Frauenpolitikerin der SPD-Bundestagsfraktion, Hanna Wolf:
Mit seinem Gesetzesvorschlag zur Änderung der Sozialhilfe- berechtigung
für bedürftige Personen, die zusammen mit an- deren eine Wohnung teilen,
verhindert Seehofer das Zusam- menleben und begünstigt die Vereinzelung
von Menschen.
Würde der Vorschlag Gesetz, hätten bedürftige Personen, die mit anderen
zusammenwohnen künftig kaum mehr die Mög- lichkeit Sozialhilfe zu
erhalten. Die neue von Seehofer vorgesehene doppelte Beweislastumkehr zu
ihren Lasten würde dem entgegenstehen. Denn es würde vermutet, daß sie
nicht nur gemeinsam wohnen, sondern auch gemeinsam wirt- schaften und daß
die anderen MitbewohnerInnen Unterhalt für sie leisten.
Damit würde Wohngemeinschaften eine Gesetzeslage überge- stülpt, die
heute allein für Eheleute und eheähnliche Le- bensgemeinschaften gilt. Bei
Eheleuten besteht aber eine gegenseitige gesetzliche Unterhaltspflicht,
und der Staat fördert die Ehe durch erhebliche staatliche Vergünstigun-
gen wie das Ehegattensplitting. Auch eheähnliche Lebens- gemeinschaften -
das sind nach der Rechtsprechung des Bun- desverfassungsgerichts allein
heterosexuelle Lebensge- meinschaften - werden ebenfalls vom Gesetzgeber
anderwei- tig begünstigt, z. B. durch stärkere MieterInnenrechte als sie
andere Wohngemeinschaften und lesbische und schwule Lebensgemeinschaften
haben.
Die Folge wäre, daß alle Personen, die mit anderen zusam- menwohnen,
für sie unterhaltspflichtig werden können: Junge Leute in WG's; andere
Personen, die wegen zu hoher Mietkosten zusammenziehen; FreundInnen, die
für einige Zeit zusammenwohnen etc..
Lesbische und schwule Paare würden ebenfalls von dem Aus- schluß der
Sozialhilfe betroffen, obwohl sie von den Rech- ten, die Ehepaaren und
teilweise auch eheähnlichen Lebens- gemeinschaften zustehen,
ausgeschlossen sind.
Der Gesetzesvorschlag widerspricht völlig den Lebensum- ständen in
Wohngemeinschaften, die in der Regel auf ge- trennt wirtschaftliche
Verhältnisse ausgerichtet ist. Mi- nister Seehofer legt den Wünschen von
Menschen, nach einem gemeinsamen Zusammenwohnen nur noch mehr Steine in
den Weg. Einem solchen Vorschlag werden wir nicht zustimmen. 06.07.1995
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