7. September 1995 - 1423
Hanna Wolf Wir brauchen nicht Worte, sondern Taten
Sperrfrist: Redebeginn Es gilt das gesprochene Wort
In der heutigen Debatte zum Bundeshaushalt 1996 führt die
Frauenpolitikerin und stellvertretende Sprecherin der Arbeitsgruppe
Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Hanna Wolf, zum Einzelplan 17 aus:
Bevor ich auf den Bundeshaushalt eingehe, möchte ich un- sere
Aufmerksamkeit auf die Welt-frauenkonferenz in Pe- king richten. Es ist
einfach skandalös wie die chinesi- sche Regierung versucht, den Ablauf der
Konferenz zu stö- ren. Die Einschränkungen und Behinderungen, die
Bespitze- lungen, die selektive Vergabe von Visa durch die chinesi- schen
Behörden, sind beispiellos für eine Konferenz, die von der UNO
veranstaltet wird - dies an die chinesische Adresse.
Die Ministerin hat in Peking - und auch hier - immer un- sere volle
Unterstützung, wenn sie klar und deutlich für die Menschenrechte von
Frauen eintritt. Ich begrüße es, daß Frau Nolte in Peking wörtlich betont
hat "keine reli- giösen, kulturellen oder traditionellen Einschränkungen"
der Menschenrechte von Frauen hinnehmen zu wollen. So war es auch schon
auf der UNO-Menschen-rechtskonferenz in Wien beschlossen.
Wir fordern aber von der Ministerin, daß sie die Men- schenrechte der
Frauen auch hierzulande konsequent um- setzt. Von ihrem persönlichen
Abstimmungsverhalten bei der Reform des Ab-treibungsrechts möchte ich gar
nicht reden. Ich möchte nur darauf hinweisen, - und das hat die Ministerin
in Peking offenbar vergessen - , daß nicht nur Zwangsabtreibungen, sondern
auch Zwangsschwangerschaften eine Verletzung der Menschenrechte
darstellen.
Wenn sich Deutschland zu den Menschenrechten von Frauen bekennt, dann
müssen wir auch den Frauen Asyl gewähren, die aufgrund ihres Geschlechts
oder ihrer sexuellen Ori- entierung in ihren Heimatländern verfolgt,
vergewaltigt, verstümmelt oder mit dem Tod bedroht werden. Algerien ist
nur das aktuellste Beispiel.
Wir müssen darauf dringen, daß diese Menschenrechtsver- letzungen an
Frauen in ihren Heimat-ländern aufhören. Die deutsche Diplomatie und die
deutsche Wirtschaftpolitik sind dazu auf-gerufen, diese Menschenrechte
nicht um des kurzfristigen Profits zu verraten.
Wir haben ebenfalls schon lange gefordert, daß hierzu- lande das
abhängige Aufenthaltsrecht von ausländischen Ehefrauen in ein
eigenständiges umgewandelt wird. Und wenn diese Frauen von ihren deutschen
oder ausländischen Ehemännern mit Gewalt bedroht werden, darf es für
dieses Aufenthaltsrecht auch keine Fristen geben. Darüber hinaus muß der
Frauen- und Mädchenhandel hierzulande wirkungs- voll verfolgt werden
können. Deshalb müssen die Opfer durch unsere Gesetze vor Abschiebung
geschützt werden.
Die Ministerin erklärte in Peking, sie werde - ich zitie- re jetzt
-"jegliche Anstrengungen unter-nehmen, daß künf- tig auch Vergewaltigung
in der Ehe unter Strafe gestellt wird". Dann darf sie auch nicht mehr
dafür eintreten, daß Opfer selbst darüber entscheiden sollen, ob Täter be-
straft werden. Eine solche Entscheidung darf nur das Ge- richt treffen.
Die Ministerin hat für 1996 eine Kampagne angekündigt, in der Männer
und Frauen für die immer noch bestehenden Be- nachteiligungen von Frauen
sensibilisiert werden sollen. Damit kommt sie wirklich zu spät. Alle, die
mit Kampagnen erreichbar sind, sind schon seit Jahrzehnten sensibili-
siert. Wir brauchen nicht Worte, sondern Taten - und das nicht nur auf der
Weltfrauenkonferenz, sondern hier. Wir brauchen Gesetze.
Die Ministerin ist nach Peking abgereist, mit der Ein- stellung, bei
uns sähe es für die Frauen ganz gut aus. Das ist auch so in ihrem Bericht
über die Lage der Frauen in Deutschland zu lesen. Dabei ignoriert sie
völlig, daß die deutschen NGO's zu einem ganz anderen Urteil kommen. Sie
ignoriert auch, daß wir uns dabei natürlich mit ande- ren Industrieländern
vergleichen müssen.
Und weltweit gesehen? Frauen leisten die meiste Arbeit und besitzen nur
einen verschwindend geringen Teil des Vermögens. Sie haben mindere Rechte
oder können ihre Rechte nicht wahr-nehmen. Der Internationale Gewerk-
schaftsbund (ILO) hat errechnet, daß beim heutigen Tempo der Entwicklung
noch 475 Jahre bis zur Gleichberechtigung vergehen werden.
Nirgends sind die Verhältnisse rosig, auch bei uns nicht. Daran hat
auch das neue Ministerium nichts geändert. Nicht nur, weil dem Ministerium
nach der Zuständigkeit für das Bundessozial-hilfegesetz auch noch die
Zuständig- keit für das Kindergeld genommen wurde, sondern es liegt vor
allem daran, daß die Ministerin ihr Ressort nicht als Querschnittsaufgabe
begreift. In einem solchen Ministe- rium braucht es politische
Durchsetzungskraft, und die hat Frau Nolte nicht.
Nehmen wir einen wichtigen verbliebenen Haushaltspunkt: das
Erziehungsgeld. Hier hat sie selbst gefordert, die Einkommengrenzen so
anzuheben, daß wieder der größte Teil der Eltern das volle Erziehungsgeld
auch nach dem 6. Le- bensmonat des Kindes erhalten kann. Geschehen aber
ist nichts, nicht einmal eine ernsthafte Ankündigung einer
Gesetzesänderung, von entsprechenden Entwürfen ganz zu schweigen. Statt
dessen müssen wir feststellen, daß für die Zahlung des Erziehungsgeldes
1996 einhundert Millio- nen DM weniger vorgesehen sind als noch im
Haushalt 1995. Wieder sind zu viele Familien und Alleinerziehende aus der
Förderung herausgefallen. Hätte Frau Nolte diesen Haushaltstitel in seiner
vollen Höhe verteidigt, dann hätte sie die Möglichkeit gehabt, die
Bemessungsgrenzen zu verändern und wieder mehr Eltern mit Kindern das Er-
ziehungsgeld zukommen zu lassen.
Die Ministerin sieht ihr Haus gern als das Haus der Gene- rationen. Sie
sagt, die Jugend darf darin nicht gegen die Senioren ausgespielt werden.
Gleichzeitig spielt sie aber die Familienpolitik gegen die Frauen aus. Es
ist töricht, immer nur die Frauen mit der Familie in Zusammenhang zu
bringen. Ich zitiere aus einem Brief des Bundes der Deut- schen
Katholischen Jugend: "Die heutige Mädchengeneration will nicht nur die
Familie, sondern darüber hinaus einen aussichtsreichen Platz in Beruf und
Öffentlichkeit. Erst recht dürfen familiäre Bindungen Mädchen nicht zum
Nach- teil gereichen". Aber sie gereichen ihnen doch zum Nachteil. Ein
ausrei- chendes Angebot an Ganztagsschulen, qualifizierten Hort- und
Krippenplätzen, das ist das, was ihnen und einigen engagierten Partnern
immer noch fehlt. Eine private Fi- nanzierung der Betreuung können sich
die wenigsten lei- sten. -Und der Rechtsanspruch auf einen Kindergarten-
platz? Die SPD hat schon für dieses Jahr eine befristete finan- zielle
Unterstützung durch den Bund gefordert, um die Länder bei der
Jahrhundertaufgabe der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen
Kindergartenplatz zu unterstüt- zen. Bei der Regierung Fehlanzeige!
Was Frauen aber vor allem fehlt, sind qualifizierte Ar- beitsplätze.
Von der steigenden Langzeit-arbeitslosigkeit sind vor allem Frauen
betroffen. Kürzungen bei Umschu- lungsmaßnahmen treffen in erster Linie
Frauen. In diesem Jahr fehlen noch Tausende Ausbildungsplätze, ganz beson-
ders auch für Mädchen. Mit der von der SPD geforderten Quotierung der
Ausbildungsplätze hätten Mädchen wenig- stens am Anfang einen
Chancengleichheit vorgefunden. Um Frauen insgesamt bessere Chancen auf dem
Arbeitsmarkt zu schaffen, brauchen wir eine Gleichstellungsgesetz, das in
allen Wirtschaftsbereichen gilt.
Ich habe absichtlich von qualifizierten Arbeitsplätzen gesprochen, denn
unqualifizierte, schlecht bezahlte Ar- beit - und das auch noch in
Teilzeit - ernährt die Frau jetzt nicht und im Alter nicht. Herrn Rexrodts
wunderbare Arbeitswelt der flexiblen Ladenschlußzeiten bringt nur noch
mehr geringfügige Beschäftigung, noch geringere Be- zahlung und gar keine
Alterssicherung. Darüber hinaus geht diese Flexibilisierung auf Kosten des
Familien- und Gemeinschaftslebens.
Sie sehen selbst, das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend hat wirklich Querschnittsaufgaben. Die Ministerin muß sich in die
Bereiche Recht, Arbeit, Sozia- les und Bildung einmischen. Das erfordert
aber die Kraft einer Superministerin, die sie nicht ist. So wird aus einem
Gemischtwarenladen leider auch kein Superminsteri- um. 07.09.1995 nnnn 4