>  Dokumentenansicht
> Download als WinWord-Dokument
> Download als ASCII-Text

Internationale Frauentag: Kein Grund zum jubeln =

8. März 1995 - 0348

Hanna Wolf Internationale Frauentag: Kein Grund zum jubeln

In der heutigen Debatte anläßlich des "Internationalen Frauentags" führt die stellvertretende Sprecherin der SPD- Bundestagsfraktion für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Hanna Wolf aus:

Sperrfrist Redebeginn. Es gilt das gesprochene Wort.

Heute, zum Internationalen Frauentag, wollen wir nicht nur über strukturelle Gewalt in Form von Benachteiligung re- den. Wir müssen auch die nackte physische Gewalt gegen Frauen benennen. Ich zitiere: "Gewalt gegen Frauen in all ihren Erscheinungsformen ist nicht hinnehmbar. Wir müssen ihr wirksam entgegentreten." So schrieb Ministerin Nolte anläßlich des Berichts der Bundesregierung an die UN-Son- derberichterstatterin "Gewalt gegen Frauen". Natürlich stimmen wir dem alle zu. Gewalt ist in keinem Fall hinnehmbar. Wie aber mit Gewalt tatsächlich umgegan- gen wird, hängt davon ab, wer oder was typischerweise ge- schädigt ist. Handelt es sich um Eigentumsdelikte bzw. so- genannte allgemeine Gewaltdelikte, so erfolgt selbstver- ständlich nach Möglichkeit der unmittelbare Zugriff auf den Täter. Bei Gewalt gegen Frauen begnügt sich die Bundesregierung aber fast nur damit, sich den Opfern zuzuwenden und ein- zelne Modellprojekte der Opferberatung zu fördern. Dar- überhinaus gibt es Ankündigungen und schöne Worte. Die Tä- ter selbst scheinen zu verschwinden. Bei Gewalt gegen Frauen zeigt die Bundesregierung eine sonst nicht gekannte "Hemmschwelle" gegen die Täter. Jede Gesetzesinitiative, die wir zum besseren Schutz von Frauen einbringen, wird von Mal zu Mal von der Regierungs- mehrheit abgelehnt oder verschleppt, selbst wenn im Parla- ment Zustimmung signalisiert wird. Ausdrücklich verweise ich hier auf unsere Bemühungen in der letzten Legislaturperiode, die schließlich zum Erfolg geführt haben: Das Ruhen der Verjährungsfrist bis zum 18. Lebensjahr des Opfers von sexuellem Mißbrauch. Hier konn- ten wir endlich eine parteiübergreifende Mehrheit herstel- len. Ich hoffe, ein ebensolcher Erfolg wird ohne faule Kompro- misse endlich auch im Falle der Vergewaltigung in der Ehe bald möglich sein. Bisher gibt es dazu von der Regierung nur wieder Ankündigungen. Das Kabinett hat sich noch nicht geeinigt. Die Regierungsmehrheit kann ihre Ernsthaftigkeit in der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen auch beweisen, indem sie unserem wieder eingebrachten Antrag zur Änderung des Ausländergesetzes zustimmt. Es ist nicht hinnehmbar, daß eine ausländische Frau, die noch kein eigenständiges Auf- enthaltsrecht hat, der Willkür eines schlagenden oder sie verstoßenden Ehemannes ausgesetzt bleibt. Sie muß dann zu ihrem Schutz ein eigenständiges Aufenthaltsrecht vorzeitig bekommen können. Auch Frauenhändlern kann damit das Hand- werk erschwert werden. Wir bringen auch ein Gesetz zur Stärkung der Opfer in Str- afprozesssen ein. Es geht nicht an, daß ein Vergewaltiger von Amts wegen einen Pflichtverteidiger bekommt und die Frau ihren Anwalt selbst bezahlen muß, um ihre Nebenklage- rechte wahrnehmen zu können und sich im Prozeß vor ernied- rigenden Verhandlungsmethoden schützen zu können. Die Re- gierungsmehrheit hat auch hier wieder Gelegenheit, ihre Ernsthaftigkeit in der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen zu beweisen. Die angesprochenen Änderungen im Sexualstrafrecht, im Aus- länderrecht und im Strafprozeßrecht wären dringende Bei- träge zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen durch einen effektiven rechtlichen Schutz der Opfer. Die Bundesregierung sagt in ihrem Bericht an die UN-Son- derberichterstatterin : "Gewalt gegen Frauen kann ...nur durch eine umfassende Politik zur Förderung der Chancen- gleichheit von Frauen und Mädchen verhindert werden. Die- ser Abbau von gesellschaftlichen Benachteiligungn und Dis- kriminierungen ist allerdings ein langwieriger Entwick- lungsprozeß. Jahrhundertelange kulturelle Traditionen und Verhaltensweisen von Männern und Frauen können nur durch Bewußtseinsänderungen und Lernprozesse verändert werden."

Tatsache ist doch, daß die Langwierigkeit dieses Bewußt- seinsprozesses nur auf die schleppende Bewußtseinsänderung dieser Regierung zutrifft, auf keinen Fall jedoch auf die Frauen, denen Sie das in Ihrer sogenannten Analyse unter- schieben wollen. Frauen, die von Ungleichbehandlung be- troffen sind, werden doch im Ernst nicht gegen die Aufhe- bung dieser Ungleichbehandlung sein. Eine Regierung aber, die nicht oder nur schleppend handelt, ist für die Verfe- stigung des Status Quo voll verantwortlich. Ist Ihnen schon aufgefallen, in welcher Deliktgruppe vor allem wir von dem Phänomen der Dunkelziffer, von nicht an- gezeigten Delikten reden? - Bei Gewalt gegen Frauen und Kinder! - Und wissen Sie , warum das so ist? - Die Opfer glauben - vielleicht zu Recht - daß ihnen ohnehin keine Gerechtigkeit widerfahren wird. Oder sie glauben, sie selbst tragen - zumindest teilweise - Schuld an dem Ver- brechen. Und so gehen die Verbrechen eben weiter. Es gibt ein unausgesprochenes gesellschaftliches Schweige- gebot, ich möchte sagen, ein patriarchales Schweigegebot, das da heißt: "Sprich nicht über Männergewalt." Frauen, die dieses Tabu brechen, müssen mit Sanktionen rechnen, die irgendwo im Spektrum zwischen Geringschätzung und Mord anzusiedeln sind, je nach dem, wer sich durch die Of- fenlegung bedroht fühlt.

Nur Gesetze, die die Täter klar benennen und die Opfer eindeutig schützen, können eine Aufhebung dieses Schweige- gebots bewirken. Eine sogenannte "jahrhundertelange kultu- relle Tradition" der Gewalt und der Ungleichbehandlung kann hier keine Basis für einen modernen Rechtsstaat sein. Bei anderen Delilktformen ist der Rückgriff auf derge- stalte Traditionen auch unbekannt. Die Regierung muß han- deln.

Ich habe heute darauf verzichtet, auf die weltweite Gewalt gegen Frauen hinzuweisen, weil wir erst vor unserer eige- nen Tür kehren sollten. Ich ersuche jedoch die Bundesre- gierung, nicht nur bei der diesjährigen Weltfrauenkonfe- renz in Peking, energisch für die Beendigung der Gewalt gegen Frauen insgesamt einzutreten - so, wie es auch Am- nesty International anläßlich des heutigen Tages fordert. Die meisten Kriegsopfer, die meisten Flüchtlinge, die mei- sten Opfer von Gewalt, die meisten Opfer von sogenannten kulturellen Traditionen sind Frauen.. Unsere außenpoliti- schen, wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Hand- lungen müssen darauf ausgerichtet sein, dem entgegenzu- steuern. In diesem Zusammenhang fordern wir auch noch ein- mal die Anerkennung der Verfolgung aufgrund des Ge- schlechts als Asylgrund in unserem Land. 08.03.1995 nnnn