08.10.96  

Volles sexuelles Selbsbestimmungsrecht für Ehefrauen
 
 

8. Oktober 1996 - 1745

AG Familie, Senioren, Frauen & Jugend

Volles sexuelles Selbsbestimmungsrecht für Ehefrauen

Zur Abstimmung am Donnerstag im Bundestag über den Vorschlag des Vermittlungsausschusses zum Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes §§ 177 - 179 erklärt die Frauenpolitikerin und stv. Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Hanna Wolf:

Nach den jüngsten öffentlichen Diskussionen zu Straftaten gegen das sexuelle Selbstbestimmungsrecht steht die Regierungskoalition am Donnerstag vor einer ersten Entscheidung: Die Abstimmung über den Vorschlag des Vermittlungsausschusses zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe.

Der Vermittlungsausschuß wünscht, daß im Gesetzentwurf der Regierungskoalition kein Unterschied mehr gemacht wird, ob eine Vergewaltigung innerhalb oder außerhalb der Ehe begangen wird. Es soll also jegliche Form der Widerspruchs- oder Versöhnungsklausel unterbleiben. Eine Ehefrau soll den gleichen rechtlichen Schutz vor ihrem vergewaltigenden Ehemann haben wie eine unverheiratete Frau.

Einzelnen Mitgliedern in der Regierungskoalition sollte es nun nicht schwer fallen, zusammen mit der Opposition dieser Abänderung ihres eigenen Gesetzentwurfes zuzustimmen:

- Es handelt sich trotz Änderung immer noch um den Regierungsentwurf. Es ist also keine Frage des Prestiges damit verbunden.

- Straftaten gegen das sexuelle Selbstbestimmungsrecht haben in der Öffentlichkeit im Zuge der Diskussionen nach dem Mord an der kleinen Natalie ein schwereres Gewicht bekommen. Dabei muß es unerheblich sein, ob es sich um einen Fremdtäter oder einen Täter aus dem Nahbereich des Opfers handelt. Und nicht nur Kinder haben ein Recht auf den Schutz des Gesetzes, sondern jede Person - also auch Ehefrauen.

Daß eine Vergewaltigung kein sexueller Akt, sondern ein Akt der Machtdemonstration ist, daß eine Ehe, in der vergewaltigt wird, nicht mehr zu retten ist, daß eine Vergewaltigung in der Ehe ein besonderer Akt von Heimtücke ist, daß bei anderen Offizialdelikten der Ehestand lediglich ein Recht zur Aussageverweigerung, aber kein Widerspruchsrecht beinhaltet, daß eine Widerspruchsklausel nur das Tor zur zusätzlichen Erpressung des Opfers öffnet, ist schon oft genug gesagt worden.

Ich appeliere heute an alle Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsparteien, die in der Vergangenheit schon manche von der Fraktionslinie abweichende Erkenntnis zu diesem Thema geäußert haben, mit uns für den Änderungsantrag des Vermittlungsausschusses zu stimmen. Nur dann wird es endlich ein Gesetz geben, das Ehefrauen strafrechtlich nicht mehr diskriminiert. Am Donnerstag braucht dieser Antrag die einfache Mehrheit. Sollte der Vorschlag des Vermittlungsausschusses abgelehnt werden, dann bräuchte der alte Regierungsentwurf in einer späteren Abstimmung die Kanzlermehrheit. Eine Verabschiedung eines die Ehe derartig benachteiligenden Gesetzes kann sich aber selbst der Kanzler nicht wünschen. 08.10.1996 nnnn 2