9.Dezember 1993 - 2926
H. Wolf 5. Tag der Menschenrechte - die Bundesregierung muß Zeichen
setzen
In der heutigen Debatte zum Tag der Menschenrechte führt die
frauenpolitische Sprecherin der SPD- Bundestagsfraktion, Hanna Wolf, aus:
Sperrfrist: Redebeginn Es gilt das gesprochene Wort!
Wir befassen uns heute wieder mit Menschenrechtsverletzungen - auch mit
Menschenrechtsverletzungen an Frauen - weil morgen der 45.
Menschenrechtstag ist. Wozu dieser Tag?
Vor allem sollte dieser Tag ein Aufruf zum Handeln sein. Es ist
beschämend, daß wir heute nicht weiter sind, als vor einem Jahr oder vor
vielen Jahren. Und gerade die Menschenrechtsverletzungen an Frauen
verschwinden aus dem öffentlichen Bewußtsein.
Menschenrechtsverletzungen an Frauen gehören zu den vielen Themen, die
die Regierung wohl nicht wichtig nimmt. Wie oft haben wir z. B. den
Bericht der Bundesregierung zu Menschenrechtsverletzungen an Frauen
angemahnt! Das Parlament hat ihn vor gut drei Jahren einstimmig gefordert.
Zuletzt hat ihn die Regierung für Ende letzten Jahres angekündigt. Er ist
noch immer nicht da.
Im Mai dieses Jahres haben die Regierungsfraktionen unserem Antrag die
Zustimmung versagt und ihn an die Ausschüsse verwiesen. Wichtige
Verhandlungsziele konnten so nicht für die Wiener Menschenrechtskonferenz
eingebracht werden.
Menschenrechtsverletzungen an Frauen waren in Wien nur am Rande ein
Thema - und das meine ich wörtlich. Frauenorganisationen mußten ihr
symbolisches Welttribunal am Rande der UN- Konferenz abhalten. Was da zu
hören war, war erschütternd.
Frauen aus der ganzen Welt schilderten exemplarisch ihre Schicksale.
Sie machten deutlich, daß auch Gewalt an Frauen in der Familie
Menschenrechtsverletzung ist. So muß diese Gewalt gesehen werden und so
muß sie geahndet werden. Gewalt gegen Frauen in der Privatsphäre oder im
öffentlichen Raum, in der sogenannten Dritten Welt oder bei uns - Gewalt
ist Gewalt. Sie kann nicht mit Kulturunterschieden gerechtfertigt werden,
wie es immer wieder getan wird, insbesondere bei den millionenfachen
Genitalverstümmelungen bei Mädchen und jungen Frauen.
Auf dem Wiener Frauentribunal wurde deutlich, daß konkrete Maßnahmen
ergriffen werden müssen, um die Stellung der Frauen weltweit zu stärken.
Gewalt ist körperliche Aggression. Strukturelle Benachteiligung ist
ebenfalls Gewalt. D. h.
-Verweigerung gleicher Teilnahme an Ausbildung, -Verweigerung des
gleichen Zugangs zu wirtschaftlichen Ressourcen, -Verweigerung des Rechts
auf sexuelle Selbstbestimmung. Die Vergewaltigung in der Ehe ist bei uns
noch immer kein Straftatbestand.
Zu Recht waren wir in diesem Parlament entsetzt über die
Massenvergewaltigungen in Bosnien - aber was hat die Bundesregierung im
abgelaufenen Jahr tatsächlich getan? Die Hilfe vor Ort und auch bei uns
kam immer erst von Privatpersonen oder Hilfsorganisationen. Ihnen allen
möchte ich ausdrücklich danken. Erst auf öffentlichen Druck hat die
Bundesregierung reagiert. Und wo bleibt das Entsetzen über
Vergewaltigungen bei uns? Wie groß ist eigentlich der Unterschied zwischen
dem feindlichen Soldaten und dem eigenen Ehemann - wenn er vergewaltigt?
In dem Menschenrechtsbericht der Bundesregierung heißt es dazu lapidar.
Ich zitiere:
"Sexuelle Gewalt gegen Frauen wird in Europa/Nordamerika
überproportional stark thematisiert, obwohl dort systematische Formen
vergleichsweise wenig vorkommen. Diese Art von Gewalt, die auch u. a. im
familiären Rahmen auftritt, fällt eher in den Bereich Kriminalität als in
den Bereich Menschenrechte." Zitatende.
Damit wird die Gewalt gegen Frauen und Mädchen verharmlost. Es
interessiert diese Regierung nicht weiter, daß jedes 4. Mädchen in der
Bundesrepublik sexuell mißbraucht wird, daß jede 10. Ehefrau von ihrem
Mann vergewaltigt wird. Das sind Berechnungen des Bundeskriminalamts. Wenn
der Staat ein Verbrechen nicht zu ahnden sucht, dann wird dieses
Verbrechen zu einer Menschenrechtsverletzung!
Für die Menschenrechte, die auch für Frauen gelten, müssen wir uns
weltweit engagieren. Wir fordern zum wiederholten Male u.a.,
-daß die Sonderberichterstatterin für Menschenrechtsverletzungen an
Frauen bei den Vereinten Nationen tatsächlich zügig eingerichtet wird und
-daß ein permanenter, internationaler Strafgerichtshof einberufen wird,
vor dem Vergewaltigungen in Kriegsgebieten als Kriegsverbrechen
abgeurteilt werden.
In unserem Land müssen wir die Vorbilder setzen. Deshalb fordern wir in
unserem Antrag auch:
-strafrechtlichen Schutz vor Vergewaltigung in der Ehe, -sexuelle
Gewalt als Fluchtgrund anzuerkennen, auch wenn sie erst nach der
mündlichen Anhörung vorgebracht wird, -den Gerichten und Behörden
Informationen zu frauenspezifischen Verfolgungsgründen zur Verfügung zu
stellen, -die Verfolgung wegen des Geschlechts und der sexuellen
Orientierung als Asylgrund anzuerkennen, -die Anhörung von
Asylbewerberinnen grundsätzlich von Frauen durchführen zu lassen, -Frauen
in der Entwicklungszusammenarbeit vorrangig zu fördern,
-Vergewaltigungsopfer hier, wie auch in ihrem eigenen Land medizinisch und
psychologisch zu unterstützen und -die Wahrung der Menschenrechte von
Frauen zum Prinzip unserer außen-, wirtschafts- und
entwicklungspolitischen Beziehungen zu machen.
Gegen diese innen- und rechtspolitischen Konsequenzen bringen Sie - von
den Regierungsfraktionen - immer wieder Bedenken vor. Wollen Sie keine
tatsächliche Stärkung der Frauenrechte hierzulande? Der Entwurf der SPD
zur Gesetzesänderung bei Vergewaltigung in der Ehe liegt seit zwei Jahren
dem Parlament vor. Verweigern Sie nicht länger Ihre Zustimmung!
Nicht nur die Vergewaltigung in der Ehe ist eine
Menschenrechtsverletzung. - Die Sklaverei halten wir zwar für abgeschafft
und doch findet sie bei uns statt. Die "moderne" Form hier ist der
Frauenhandel. Frauen anderer Länder - heute vorwiegend aus Osteuropa -
werden bei uns zur Prostitution gezwungen. Das "Geschäft" boomt. Die
Kundschaft - deutsche Männer - verlangen nach mehr, verlangen nach
Abwechslung, verlangen nach immer brutalerer Unterwerfung. Zwei Zahlen
erhellen die Dimension: Marseille hat 50 Prostituierte und Frankfurt 2000.
Bei unserer Ausschußanhörung am 1.12. schämte sich der berichtende
Frankfurter Polizeibeamte für seine Geschlechtsgenossen.
Unsere Gesetze schützen nicht die ausgebeuteten Frauen, sondern die
Täter: Die Frauen sind illegal ins Land gebracht worden oder ihr
Aufenthaltsstatus ist abhängig vom Täter - dem Ehemann. Ausbeutung,
Erpressung, Mißhandlung, die schlimmsten Grausamkeiten, werden nicht
angezeigt, verfolgt und geahndet, können nicht angezeigt, verfolgt,
geahndet werden. Das Opfer - die Zeugin - wird bei Bekanntwerden verhaftet
und ausgewiesen. Das weiß sie nur zu gut.
Ich frage Sie, welche Hierarchie der Rechtsgüter haben wir eigentlich?
Eigentumsdelikte werden bei uns schwerer geahndet als der Verstoß gegen
die sexuelle Selbstbestimmung oder das Recht auf körperliche
Unversehrtheit. Frauenhandelsverfahren haben bei unseren Gerichten
unterste (!) Priorität, so ein Staatsanwalt in der Anhörung Frauenhandel:
-Es fehlt das Ermittlungspersonal, -es fehlt der Zeuginnenschutz, -es
fehlt der Schutz vor Abschiebung. -Für eine Art "Kronzeuginnenregelung"
sieht mann in der Regierung keinen Bedarf.
Diese eklatanten Menschenrechtsverletzungen an Frauen werden nicht in
einem fernen, sogenannten Entwicklungsland begangen. Das Entwicklungsland
ist hier. Auch hier ist Handlungsbedarf.
Wir müssen zum 45. Tag der Menschenrechte ein Zeichen im Interesse von
Frauen setzen! Unser Antrag ist so ein Zeichen. Stimmen wir ihm alle zu!
09.12.1993 nnnn