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Sexualisierte Gewalt: Die Schwachen gegen die Allerschwächsten

13. März 1997 - 0391

AG Familie, Senioren, Frauen & Jugend

Sexualisierte Gewalt: Die "Schwachen" gegen die Allerschwächsten

Zur heutigen Debatte zum Sexualstrafrecht und dem 30- Punkte-Programm "Gesamtkonzept zum Schutz unserer Kinder vor sexueller Gewalt" erklärt die stellvertretende Sprecherin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend der SPD-Bundestagsfraktion, Hanna Wolf:

Nicht nur bei einigen Medien herrscht eine gewisse Lust vor, Sexualtäter als finstere, unbekannte Sexmonster darzustellen und in ihren verruchten Taten herumzuwühlen. Der Ruf nach Bestrafung gerät dann auch zu einem langgedehnten Schrei nach Rache, die bis an den Rand der Rechtsstaatlichkeit gehen kann. Nach diesem - kathartisch erlebten - Vorgang lehnt sich der Bürger, Journalist, Politiker vorläufig befriedigt zurück und glaubt, tätig geworden zu sein, das Übel benannt und eingedämmt zu haben. Leider ist dem aber überhaupt nicht so.

Wenn wir nicht analysieren wollen, wer die Täter überhaupt sind und wie es zu solchen Taten kommen kann, dann kommen wir dem Ziel, Kinder - und Frauen - wirksam zu schützen, keinen einzigen Schritt näher.

Warum sind die Täter von ihrer Umgebung so schwer erkenn bar? Warum täuschen sich die Gutachter so oft? Warum wurden Täter allzu oft mit einer positiven Sozialprognose vorzeitig entlassen? Woher kommt ihr suchthaftes Verhalten?

Bei den Tätern handelt es sich durchweg um angepaßte, sozial unauffällige Männer. Es sind Väter, Onkel, Brüder, Freunde, Betreuer, Fremde. Sie sind Teil unserer Gesellschaft. Vor allem sind es aber Männer, die sich in ihrer Selbstwahrnehmung defizitär empfinden, gegenüber einem verinnerlichten machistischen Männerbild. Und so lange dieses machistische Männerbild als das erfolgreiche Konzept in unserer Gesellschaft gilt und transportiert wird, so lange werden wir nicht viel ausrichten können gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Frauen.

Wir müssen viel früher ansetzen, als die konservativen Entwürfe es vorsehen. Deshalb bemühen wir uns um ein Gesamtkonzept, das wir in unserem 30-Punkte-Programm vorgelegt haben. Wir brauchen in den Medien, den Schulen, den Familien, in der Politik, in der Wirtschaft ein täglich vorgelebtes Menschenbild, in dem es nicht um das Überleben des Stärkeren geht, sondern um die optimale Entwicklung der individuellen Stärken jeder und jedes Einzelnen.

Wir brauchen die Achtung und die Fürsorge für die Schwäche ren. Wenn wir eine gewaltfreie Erziehung festschreiben und klar machen, daß Kinder niemals Eigentum sind, dann sind wir schon einen wichtigen Schritt weiter. Leider hat sich die CSU-Mehrheit in Bayern aber z.B. dagegen gesperrt, die gewaltfreie Erziehung in die bayerische Verfassung aufzunehmen. Wie viele Schritte sind es für die CSU von einer "Watschn zur rechten Zeit" bis zur Forderung nach drakonischer Straferhöhung?

Das allseits erfolgreiche machistische Weltbild werden wir auch nicht durch die harmlosen Prospekte der Frauenministerin los. Sie dienen eher ihrer Eigenwerbung aus Steuergeldern. Wir schützen auch unsere Kinder nicht mit unserem überkommenen Begriff von "Jugendschutz". Er besagt nämlich nur, was Kinder und Jugendliche nicht tun dürfen, damit sie jetzt oder später keine Probleme machen. Er sagt nicht, was Erwachsene nicht tun sollen. Jüngstes Beispiel: Im Namen des Jugendschutzes indiziert Frau Nolte Nudistenzeitschriften. Erwachsene dürfen sich aber an den Fotos dieser mißbrauchten Kinder weiter delektieren.

Auf der Delegationsreise meines Ausschusses nach Südafrika letzte Woche konnten wir eindrucksvoll sehen, welche Kampa gnen möglich und nötig sind, um sexualisierte Gewalt und ihre Ursachen zu bekämpfen. Es war eindrucksvoll zu sehen, mit welchem Ernst sich die Menschen dort auf den Weg machen und wie der dortige Vizepräsident Mr. Thabo Mbeki hinter dieser Anti-Gewalt-Kampagne steht.

Ich appelliere an alle, das machistische Männerbild zum Auslaufmodell zu degradieren. Erst dann werden wir keine Männer mehr haben, die sich diesem Bild gegenüber defizitär empfinden und deshalb vermeintlich soziale Kompetenz, d.h. bei uns "Macht" durch sexuelle Potenz erringen zu können glauben. Erst wenn das machistische Männerbild als unmännlich gilt, haben wir die sexualisierte Gewalt wirklich bekämpft. Erst dann haben wir keine Sexualtäter mehr. Erst dann sind auch unserer Kinder sicher.

13.03.1997 nnnn