21. April 1994 - 0861
Hanna Wolf Das Gleichberechtigungsgesetz der Bundesregierung: Keine
Frauenförderung für 99% der Frauen
Zur heutigen Debatte zu den Gleichberechtigungs- /
Gleichstellungsgesetzentwürfen im Bundestag erklärt die frauenpolitische
Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Hanna Wolf:
Der Gleichberechtigungsgesetzentwurf der Bundesregierung ist eine
Verhöhnung der Frauen. Die Frauenförderung wird auf 1% der erwerbstätigen
Frauen beschränkt. Denn sie gilt nur für die Bundesbeamtinnen und
sonstigen Beschäftigten des Bundes: Durch die Privatisierung der
Bundesbahn und die geplante Privatisierung der Bundespost hat sich der
Anwendungsbereich von zunächst 3% auf nur noch 1% der weiblichen
Erwerbsbevölkerung reduziert, d. h. im wesentlichen die Frauen in den
Bundesministerien. Für den gesamten Bereich der Privatwirtschaft ist keine
Frauenförderung vorgesehen.
Die Bundesfrauenministerin Merkel beruft sich zwar darauf, daß die
Regelungen zum Schutz vor sexuellen Belästigungen am Arbeitsplatz und die
Schadensersatzansprüche bei Diskriminierungen auch für die
Privatwirtschaft gelten. Nur: Schutz vor sexueller Belästigung ist keine
Frauenförderung und der von der Bundesregierung vorgesehene Schadensersatz
bei Diskriminierungen ist durch die Einführung von Höchstgrenzen noch
schlechter als das geltende Recht. Keine einzige Frauenfördermaßnahme gilt
für die Privatwirtschaft!
Trotz massiver Kritik an ihrem Gleichberechtigungsgesetzentwurf beharrt
die Bundesregierung auf diesem Minimalentwurf. In der öffentlichen
Anhörung wurde der Gleichberechtigungsge-setzentwurf nahezu einhellig für
unzureichend erklärt. Sogar die von den Koalitionsfraktionen benannten
Sachverständigen übten erhebliche Kritik: "Was der Regierungsentwurf
regelt ist Frauenförderung ohne Biß" (Dr. Ute Sacksofsky). "Der
Regierungsentwurf ist weit hinter dem zurückgeblieben, was man
verfassungsrechtlich hätte machen können" (Prof. Battis).
Statt der Kritik Rechnung zu tragen, haben die Koalitionsfraktionen den
Gesetzentwurf auch noch verschlechtert. Soziale Qualifikation, die viele
Frauen durch ehrenamtliche Tätigkeiten oder Betreuungsaufgaben erwerben,
soll bei Einstellungen und Beförderungen keine Rolle mehr spielen.
Der Entwurf der SPD für ein Gleichstellungsgesetz enthält dagegen ein
umfassendes Konzept für eine aktive Gleichstellungspolitik im öffentlichen
Dienst und in der Privatwirtschaft: Frauenfreundliches Handeln wird
honoriert, frauenfeindliches, diskriminierendes Verhalten wird mit
Sanktionen belegt.
Unser Gesetz schafft Tatsachen:
-Frauen müssen an Arbeitsfördermaßnahmen entsprechend ihrem Anteil an
der Arbeitslosigkeit beteiligt werden.
-Frauen dürfen bei Entlassungen nicht überproportional betroffen sein.
-Frauen müssen bei gleichwertiger Qualifikation gegenüber Männern
bevorzugt eingestellt und befördert werden.
-Außerdem sehen wir eine 50% Ausbildungsplatzquote für Frauen vor.
-Unternehmen, die Frauen gezielt fördern, werden bei der Vergabe
öffentlicher Aufträge bevorzugt.
Frauen werden nach unserem Gesetz am Mitbestimmungsprozeß durch die
Quotierung der Betriebs- und Personalräte beteiligt. Darüber hinaus wird
endlich dem weitgehenden Ausschluß von Frauen in öffentlichen
Entscheidungsgremien ein Schlußstrich gezogen. Wir führen die Quote für
die obersten Bundesgerichte , für Hochschulgremien, Rundfunkanstalten und
andere Gremien im Bereich des Bundes ein.
An allen diesen Instrumentarien fehlt es im Regierungsentwurf.
Frauenförderpläne sind das Mittel der Bundesregierung, aber ohne
Sanktionen bei Nichteinhaltung. Der Regierungs-entwurf erschöpft sich in
vagen Soll- oder Kannbestimmungen, die durch Ausnahmemöglichkeiten auch
noch ausgehöhlt werden. Jede effektive Fördermaßnahme wurde aufgrund der
Zerstrittenheit innerhalb der Koalition verhindert.
Nach langen Debatten in der Verfassungskommission des Bundestages ist
es schließlich gelungen, den Gleichberechtigungssatz (Artikel 3 GG) wie
folgt zu ergänzen: "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der
Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung
bestehender Nachteile hin".
Das 1%-Gesetz der Bundesregierung wird diesem Auftrag an den
Gesetzgeber in keiner Hinsicht gerecht.
21.04.1994 nnnn