25. April 1997 - WiP - 1703
Frauen, Senioren, Familie und Jugend
In der ersten Lesung zum Gruppenentwurf über die Strafbarkeit der
Vergewaltigung in der Ehe, beklagen Ulla Schmidt, Vorsitzende der
Querschnittsgruppe Gleichstellung von Mann und Frau, und Hanna Wolf,
stellvertretende Sprecherin der Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen
und Jugend, daß Frauen und Mädchen täglich Opfer sexueller Ge walt sind, -
ob sie in der Stadt oder auf dem Land wohnen, ob sie ärmlich oder im
Wohlstand leben, ob sie jung sind oder alt.
Gewalt in Familie und Ehe ist keine Privatsache
Sexuelle Gewalt und Vergewaltigung sind überwiegend im sozialen
Nahbereich zu finden. Gewalt in der Familie und in der Ehe ist keine
Privatsache, auch wenn das anscheinend noch viel zu viele Menschen
glauben.
Viele vergewaltigte Ehefrauen sagen: "Man darf sich ja, wenn man
verheiratet ist, einem Mann nicht verweigern." Diese "eheliche" Pflicht
existiert noch immer in den Köpfen, obwohl es dafür längst keine
gesetzliche Grundlage mehr gibt.
Und trotzdem ist es offenbar immer noch so, daß Männer und Frauen
glauben, mit dem Eingehen der Ehe hätten Frauen ihr sexuelles
Selbstbestimmungsrecht aufzugeben.
Im Deutschen Bundestag wurden zur Reform des Sexualstrafrechts, zu den
§§ 177 bis 179 des Straf gesetzbuches mittlerweile viele Gesetzentwürfe
beraten. Ziel der SPD-Fraktion war und ist es, die Diskriminierung von
Ehefrauen im Sexualstrafrecht zu beseitigen.
Heute legen wir einen gemeinsamen überfraktionellen Gesetzentwurf vor,
der zwar immer noch ein Kompromiß ist, aber eine wesentliche Regelung
nicht mehr enthält - die Widerspruchsklausel.
Allerdings glaubt die Mehrheit der Regierungskoalition immer noch, mit
der Widerspruchsklausel den Stein der Weisen gefunden zu haben. Dabei
müßten sie doch wissen: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu
achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Das
sagt uns Art. 1 unseres Grundgesetzes.
Der Schutz durch staatliche Gewalt, soll aber mit der
Widerspruchsklausel in der Ehe nur ein bißchen gelten. Ein bißchen
schwanger, ein bißchen Frieden, das gibt es nicht.
Das Verwerfliche an der Widerspruchsklausel ist, daß Art. 6 unseres
Grundgesetzes "Schutz von Ehe und Familie" dazu mißbraucht werden soll,
Gewalttaten in der Ehe zu schützen. Die Konkurrenz zwischen zwei
staatlichen Aufgaben des Grundgesetzes, Art. 1 und Art. 6, soll weder zum
Schutz der Frauen, noch zum Schutz von Ehe und Familie, sondern einseitig
zum Schutz der Täter gelöst werden.
Wohin soll eine halbherzige Reform des Sexualstrafrechtes führen? Geht
hier Geschlecht vor Recht? Mit welchem Recht werden hier Regelungen
zugunsten des gewalttätigen Ehemannes eingeführt?
Wo ist in solchen Beziehungen noch schützenswertes Gut enthalten?
Beziehungen, in denen es nicht um Sexualität geht, sondern um Gewalt.
Bei der jeder Täter weiß, hier kann er seine Partnerin aufs tiefste
demütigen und zum Teil seelisch vernichten.
Eine Strafrechtsreform ohne Widerspruchsklausel wäre ein deutliches
Signal an die Gesellschaft, an die Männer und die Frauen.
Es ist ein Signal, daß der Staat Normen setzt, in denen klar zum
Ausdruck kommt: Ehefrauen werden vom Gesetzgeber ohne Ausnahme geschützt,
Ehemänner haben keine Sonderrechte.
Diese Botschaft wird ankommen. Sie ist unmißverständlich und klar. Sie
ist unmißverständlich für jeden Polizisten, der die Anzeige aufnimmt, sie
ist unmißverständlich für jeden betroffenen Ehemann, der sonst vor Angst,
Wut und Aggression getrieben, so lange auf seine Ehefrau einwirkt, bis sie
von der Widerspruchsklausel Gebrauch macht.
Sie ist aber auch unmißverständlich für jede Ehefrau, Gewalt ist kein
privates Problem ist, sondern ein Verbrechen.
Mit dem eingebrachten Gesetzentwurf sind wir der Regierungskoalition,
entgegengekommen. Wir greifen damit erneut das Votum des Bundesrates und
des Vermittlungsaus schusses auf. Meine Idealvorstellungen sind in diesem
Gesetzentwurf nicht verwirklicht.
Dies betrifft vor allem den § 179 StGB. Der sexuelle Mißbrauch
widerstandsunfähiger Personen wird nach dem vorliegenden Gesetzentwurf
geringer bestraft.
Ich würde mir wünschen, daß wir über diese darin enthaltende
Diskriminierung in den Ausschußberatungen noch Einverständnis erzielen
können.
Ich bin mir bewußt, daß mit einer Strafgesetzänderung - ohne
Widerspruchsklausel -sexuelle Gewalt in der Ehe nicht gänzlich verhindert
werden kann. Von einer Strafandrohung läßt sich längst nicht jeder Mann
abschrecken.
Aber: Frauen müssen wissen, daß sie mit dem Schutz des Gesetzgebers
rechnen können. Frauen innerhalb und außerhalb der Ehe haben ein Recht auf
sexuelle Selbstbe stimmung. Dieses Recht ist unteilbar.
Ich hoffe und wünsche mir, daß wir es im Deutschen Bundestag mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf endlich schaffen, verheiratete und
nicht-verheiratete Frauen gleichzustellen. Das wäre ein Beitrag im Sinne
unseres Grundgesetzes zum Schutz von Ehe und Familie. Dann wäre ich mir
sicher, daß wir einen großen Schritt auf dem Wege zu der Gleichstellung
der Geschlechter gemacht haben.
25.04.1997 nnnn