29.April 1994 - 0970
Hanna Wolf CDU/CSU stimmt SPD-Gesetzentwurf zur späteren Verjährung von
sexuellem Mißbrauch zu
Anläßlich der Debatte zur Verjährung von sexuellem Mißbrauch von
Kindern und Jugendlichen gestern spät abends im Bundestag erklärt die
frauen- und jugendpolitische Sprecherin der SPD- Bundestagsfraktion, Hanna
Wolf:
Die Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion konnte sich letztendlich nicht dem
wichtigen Anliegen des SPD-Gesetzentwurfs zur Verjährung von sexuellem
Mißbrauch von Kindern und Jugendlichen verschließen. Gestern Abend stimmte
der größte Teil der CDU/CSU-Abgeordneten nach langen Querelen innerhalb
der Koalition dem Gesetzentwurf zu.
RechtsanwältInnen und Beratungsstellen gegen sexuellen Mißbrauch,
namentlich Wildwasser e. V., weisen seit langem auf die Unzulänglichkeit
der Verjährungsregelung bei Sexualdelikten gegen Kinder und Jugendliche
hin. Denn die geltende Verjährungsfrist von zehn Jahren bei sexuellem
Mißbrauch von Kindern ist häufig bereits abgelaufen, wenn die Opfer
überhaupt erst in der Lage sind, Anzeige zu erstatten. In sehr vielen
Fällen werden die Kinder - meist Mädchen - schon im Alter von vier, fünf
oder sechs Jahren sexuell mißbraucht. Da die Täter meist die eigenen Väter
oder andere Familienangehörige sind, kommt es innerhalb der zehnjährigen
Verjährungsfrist meist nicht zu einer Anzeigeerstattung. Erst wenn die
Opfer erwachsen sind, meist nach Beratungsgesprächen oder Therapien,
können sie sich für eine Anzeige entscheiden.
Mit dem SPD-Gesetzentwurf soll den Opfern geholfen werden, noch eine
Strafverfolgung erreichen zu können. Täter dürfen sich nicht mehr in
Sicherheit wiegen, weil die Tat der Polizei nicht rechtzeitig bekannt
wird. Die Verjährungsfrist soll nicht mit der Tat, sondern erst mit dem
18. Lebensjahr des Opfers zu laufen beginnen. Das bedeutet, daß eine
Strafverfolgung noch bis zum 28. Lebensjahr der Betroffenen möglich ist.
Die FDP, an der Spitze der Abgeordnete Jörg van Essen, wandte sich
vehement gegen diesen Gesetzentwurf und wollte allenfalls ein
Hinausschieben auf das 14. Lebensjahr akzeptieren. Er scheute nicht davor
zurück, den Beschluß des federführenden Rechtsausschusses für den
SPD-Entwurf mit Verfahrenstricks wieder zu kippen. Eine Verabschiedung des
wichtigen Gesetzesvorhabens im Bundestag wurde durch die FDP immer wieder
verhindert.
Die in unserem Gesetzentwurf vorgeschlagene Regelung überzeugte aber
die CDU/CSU-Frauen, so daß sie nicht locker ließen. Letztendlich ist es
gelungen, dem Schutz von sexuell mißbrauchten Opfern den Vorrang vor
scheinliberalen Täterschutzargumenten zu geben. Unverständlich ist
allerdings das Desinteresse der Frauen- und Jugendministerin Merkel und
der Familienministerin Rönsch: Sie fehlten bei der Abstimmung im
Bundestag. 29.04.1994 nnnn