Pressespiegel 1992-2002 - Hanna Wolf

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Süddeutsche Zeitung  – Mai 22, 1992

In der Abtreibungsdiskussion:
SPD begrüßt CDU-Vorstoß zur Gemeinsamkeit


Die SPD begrüßt den Vorstoß von fünf CDU-Parlamentariern um Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth für ein gemeinsames Vorgehen bei der Neuregelung des Abtreibungsrechts. Die Abgeordnete und SPD-Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier erklärte am Donnerstag in Bonn: "Wir sind offen für Gespräche." Die CSU-Landesgruppe hingegen wird auf ihrer Sitzung am 1. Juni entscheiden, ob sie nun doch noch einen eigenen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringt.

Die Parlamentarier um Rita Süssmuth, die Vorsitzende der "Frauen-Union", haben sich an die Verfechter des Gruppenantrags gewandt, weil es ihnen nach eigenen Angaben "nicht gelungen" ist, im sogenannten Mehrheitsentwurf der CDU/CSU-Fraktion "substantielle Verbesserungen zu erreichen". Vor allem die CSU lehnt jede "Verwässerung" des Entwurfs, der ein Abtreibungsverbot mit Ausnahmen bei ärztlicher Entscheidungsbefugnis enthält, strikt ab. Rita Süssmuth, Horst Eylmann, Friedbert Pflüger, Klaus-Peter Voigt und Hans-Joachim Sopart wollen jetzt darauf hinwirken, im Gruppenantrag die "Notlage" der schwangeren Frau stärker zum Ausdruck zu bringen. Wettig-Danielmeier und die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Hanna Wolf, meinten, das müsse sehr genau besprochen werden. Es dürfe keine "strafrechtlich relevante" Bestimmung in den Gruppenantrag, der ohnedies ein Kompromiss sei, eingefügt werden.

Süddeutsche Zeitung  – Juni 26, 1992

Die Bundestagsdebatte über die Reform des Paragraphen 218
Marathon mühsam gezügelter Emotionen
In welcher Gemütslage die Abgeordneten quer durch die Fraktionen vor der Entscheidung über das Abtreibungsrecht mit ihren Argumenten angetreten sind

 
Helmut Kohl greift zum wiederholten Male an seine Krawatte und lächelt von der Regierungsbank zu Wolfgang Schäuble. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag nickt kurz und richtet den Blick dann geradeaus. Dorthin, wo gleich Uta Würfel zu sprechen beginnen wird, die Frauenpolitikerin der Freien Demokraten. Schäuble hat die Hände gefaltet und scheint sich ganz auf die Abgeordnete zu konzentrieren. Als Jürgen Rüttgers, der Fraktionsgeschäftsführer, der zu seiner Linken sitzt, sich zu ihm beugt, reagiert Schäuble nicht.

Im Plenum ist es inzwischen wieder still geworden. Inge Wettig-Danielmeier hatte eben die Gemüter etlicher Männer aufgewühlt mit ihrem Satz: "Jede kluge Frau weiß, auf den Vater kann sie sich nicht verlassen." Die erregten Proteste hatten Parlamentspräsidentin Rita Süssmuth veranlasst, der Sozialdemokratin freundschaftlich zu raten: "Vielleicht warten Sie einen Augenblick, bis sich die provozierten Väter wieder beruhigt haben."


Schäubles Gebot

Jetzt ist wieder Ruhe eingekehrt, weil auch die Väter unter den Männern hören wollen, was Uta Würfel, die an diesem Tag in vorderster Front für den überparteilichen Gruppenantrag zur Reform des Abtreibungsrechts in ganz Deutschland streitet, zu sagen hat. Sie ist sich der Aufmerksamkeit Schäubles wohl bewusst und spricht ihn anfangs mit leicht atemloser, gesenkter Stimme direkt an: Seine Bemerkung auf dem letzten Katholikentag, alle Abgeordneten seien sich einig in dem Ziel, das Leben des ungeborenen Kindes zu schützen, "hat gut getan", sagt Uta Würfel. Schäuble rührt sich nicht. Er blickt sie nur an. Ein "faires Verfahren" hätten sie vereinbart, hat Fraktionsgeschäftsführer Jürgen Rüttgers vor der Debatte gesagt, und es ist ihm doch tatsächlich gelungen, dabei nicht zu grinsen. Dabei weiß er natürlich aus Erfahrung, dass die Abgeordneten nach stundenlanger Diskussion und nach ebenso langem Zuhören müde werden. Vielleicht zu müde, um auf den Gruppenantrag zu warten, der als letzter zur Abstimmung steht? Rüttgers unbewegte Miene hat nicht verraten, ob dies die Hoffnung und Marschroute der Unionsfraktion ist.

Natürlich hatte sich sein Fraktionsvorsitzender in den vorangegangenen Sitzungen der Unionsparlamentarier immer wieder um Ausgleich bemüht. Er hatte bis zuletzt versucht, verletzende Wortgefechte zwischen denen, die wie Herbert Werner und Claus Jäger für eine Verschärfung des Abtreibungsverbots kämpfen, und der Gruppe um Horst Eylmann und Rita Süssmuth, die sich für eine liberalere Lösung einsetzen, zu verhindern. Das haben die Abgeordneten auch anerkannt: Schäubles Gebot, die Position des jeweils anderen zu "ertragen" und "in Würde" miteinander zu diskutieren, ist in der Regel befolgt worden; nur dann nicht, wenn es um Rita Süssmuth ging. Aber wie heißt es dazu in der Unionsfraktion salopp? "Das ist eine andere Geschichte."


Mutige sind verstummt

Doch Druck gemacht hat er schon, auf seine ganz eigene, unnachahmliche Weise. Es bleibt gewiss nicht ohne Wirkung auf die Gemütslage der Unionschristen, wenn sich Wolfgang Schäuble, der Protestant, auf dem Katholikentag für das Indikationenmodell einsetzt und die Fristenlösung verdammt. Genauso wenig werden seine in der Fraktion eindringlich wiederholten Worte: "Ich möchte für unseren Mehrheitsentwurf der Fraktion eine Mehrheit im Bundestag erreichen", ohne Hintersinn gesprochen sein. Denn was Schäuble scheinbar freundlich und sanft sagt, ist, auch wenn er es bestreiten würde, durchaus als Drohung aufzufassen: Wer nicht spurt, hat keine Chance hier.

Oder doch? Einigen gelingt es zuweilen, sich dem Versuch einer "Disziplinierung" zu entziehen. Horst Eylmann ist dafür ein Beispiel: Schäuble hatte ihn einbinden wollen, ihm, dem Rechtsanwalt und Notar, den Posten des Vorsitzenden im angesehenen Rechtsausschuss des Bundestages zugeschanzt, und dies natürlich auch, um Eylmann aus der Gruppe der "Abtrünnigen" herauszulösen. Der Abgeordnete hat sich aber nicht herauslösen lassen. Auch er ist freundlich im Ton und im Umgang, doch nicht minder hart in der Sache als der Fraktionschef. Und Eylmann ist ein guter Taktiker: Mehrmals hatte er in zurückliegender Zeit angeboten, noch einmal über den "Mehrheitsentwurf" der Union zu beraten mit dem Ziel, ihn "zu verbessern". Als er zu dem Schluss kam, es bewege sich nichts, jedenfalls nicht genug, sagte Eylmann offen, dass er zum Gruppenantrag tendiere und nun mit den Kollegen der anderen Parteien darüber sprechen wolle, wie dieser zu verbessern sei. Diese formale Unangreifbarkeit garantierte ihm Schutz vor Versuchen, seinen Ruf als Rechtsexperte zu erschüttern. Die SPD freute sich nach den Verhandlungen nicht ohne Grund: Wenn der Vorsitzende des Rechtsausschusses den Gruppenantrag für verfassungskonform halte, "ist das schon einiges wert", meinte eine Abgeordnete.

Andere aber, die früher mutig für die Fristenlösung eintraten, sind in der Zwischenzeit verstummt. Sabine Bergmann-Pohl etwa, die letzte Volkskammerpräsidentin der DDR und heutige Staatssekretärin im Gesundheitsministerium. Möglicherweise steht dahinter, dass sie ihren Posten behalten will, auf dem sie nicht ganz unumstritten ist. Doch auch Angela Merkel, die Frauenministerin, hat derweil das harte politische Geschäft im Westen der Republik kennen gelernt und verhält sich entsprechend. Jetzt tritt sie "bis zum Schluss" für die Streichung der umstrittenen "Dokumentationspflicht" der Gespräche des Arztes mit der schwangeren Frau im Mehrheitsantrag ihrer Fraktion ein. Auf die Frage nach dem Warum lautet ihre Antwort entwaffnend offen: "Ich sehe hier überhaupt die einzige Möglichkeit, Abgeordnete meiner Fraktion, die zum Gruppenantrag neigen wieder zurückgewinnen."

Das ist fraglos ganz in Schäubles Sinne. Denn ihm geht es nicht zuletzt darum, die ostdeutschen Vertreter der CDU "einzufangen", von denen sich viele an ihr Versprechen gebunden fühlen, "keine Verschlechterung" der Situation für die Frauen in Ostdeutschland zuzulassen. Dies jedoch wäre zu erwarten, wenn sich der Mehrheitsentwurf der Union durchsetzte. Also hat der Fraktionsvorsitzende seine Stellvertreterin Maria Michalk aus Dresden vorgeschickt mit der Warnung, wenn die Fristenlösung beschlossen werde, in welcher Form auch immer, werde das Bundesverfassungsgericht angerufen. Und Schäuble hat von allen Abgeordneten, die nicht für den CDU/CSU-Entwurf stimmen wollen, verlangt, ihm vorher Mitteilung zu machen.

Hanna Wolf, der frauenpolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion, ist zugetragen worden, wie bei CDU und CSU gearbeitet wird, um die "Abtrünnigen" doch noch auf den "richtigen" Kurs zu bringen. Sie findet, dass dies mit dem Wort von einem fairen Verfahren nicht recht zusammenpasst, im Gegenteil: Den Versuch, mit einer Streichung der "Dokumentationspflicht" in letzter Minute doch noch einige Unionskollegen von einer Zustimmung zum Gruppenantrag abzuhalten, nennt Hanna Wolf entrüstet "unlauter". Denn klar sei doch, "dass die Ärzte im Fall einer Indikationenregelung, wie sie der CDU/CSU-Entwurf vorsieht, nicht auf schriftliche Feststellungen verzichten können. Die Streichung der Dokumentationspflicht ändert daher in der Sache nichts."

Ob allerdings die Kraft des guten Arguments ausreicht? Uta Würfel und Inge Wettig-Danielmeier, die auf seiten der FDP und der SPD ganz wesentlich dazu beigetragen haben, den Gruppenantrag zustande zu bringen, die in nächtlichen Beratungen um Details gerungen und um Formulierungen gefeilscht haben, machen sich Sorgen. Uta Würfel hat schon vor einiger Zeit in einem Brief an die ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen versucht, diese an ihr Versprechen zu erinnern und bei ihnen ein schlechtes Gewissen zu erzeugen. Die Wirkung ist nicht genau abzuschätzen. Hier und heute treibt die FDP-Abgeordnete jedenfalls die Angst um, dass doch noch geschehen könnte, was aus ihrer Sicht nicht geschehen darf: Dass es Schäuble und seinen Helfern gelingt, in einer "emotionalen Debatte" die Mehrheit für den Gruppenantrag zu verhindern. Bei der Berlin-Debatte des Bundestages habe sich gezeigt, dass dies möglich sei, erklärt Uta Würfel düster. Damals hatte besonders Wolfgang Schäuble die Emotionen geweckt, und nicht wenige sagen, seine Rede habe den Ausschlag für das Berlin-Votum gegeben.

Inge Wettig-Danielmeier, die Sozialdemokratin, sieht das nicht anders. "Eine Mehrheit für den Gruppenantrag ist im Bundestag noch längst nicht gesichert", sagt sie und klingt wie weiland Kassandra. Aber wie Uta Würfel, so kämpft auch sie: Inge Wettig-Danielmeier hat vor der großen Debatte noch rasch an alle, "die eine Reform wirklich wollen", appelliert, für den Gruppenantrag zu votieren, "denn er ist das deutliche Ergebnis eines Kompromisses, in dem sich viele wiederfinden müssen". Beschwörend hört sich ihr Nachsatz an, im Unionsantrag fänden sich "keine Verbesserungen" im Vergleich zur gegenwärtigen Rechtslage. Und richtiggehend böse wirkt ihre Einschätzung, Frauenministerin Merkel und Familienministerin Hannelore Rönsch lockten mit sozialen Versprechungen wie der einmaligen Zahlung eines Familiengeldes für Schwangere in Höhe von 1000 Mark, "enthalten den Frauen aber die eigene Entscheidung vor, die diese seit 70 Jahren fordern".


Die Ministerin zerrissen

Angela Merkel lässt das natürlich nicht unberührt. Sie beklagt im Plenum, dass das Familiengeld "oft als Geburtenprämie diffamiert" werde. Doch seltsam schwach und unentschlossen bleibt die Entgegnung, vor allem viele junge Familien im Osten Deutschlands benötigten es für ihre "Baby-Erstausstattung". Ein fulminantes Plädoyer für den Mehrheitsentwurf der Union ist ihre Rede nicht; mit ihrer Kritik an der "Dokumentationspflicht" hinterlässt sie eher den Eindruck der Zerrissenheit. Die Frauenministerin scheint es zu spüren: Angela Merkel sieht ein wenig bedrückt aus, als Kanzler Kohl ihr anschließend gütig lächelnd und mit einem Zuruf von seinem Platz aus demonstrativ Beifall spendet. Sie schaut da lieber rasch zu Fraktionschef Schäuble. Der applaudiert gleichfalls, aber ein wenig gedämpfter.

Sigrid Semper ist ganz und gar unzufrieden. Es schwingt ein Hauch von Trauer mit, als die SPD-Abgeordnete aus Leipzig an früher erinnert und daran, wie Angela Merkel vor nicht allzu langer Zeit gedacht und geredet haben muss. Warum die Ministerin nicht das sage, was sie wirklich denke, fragt Sigrid Semper. Warum sie jetzt nicht für das eintrete, was die Frauen in Ostdeutschland wirklich wollten, nämlich die Fristenlösung? Und warum Angela Merkel sich habe "verbiegen" lassen? Die Sozialdemokratin stellt rhetorische Fragen, die ganz offenkundig vor allem eines zu erkennen geben sollen: dass sie weiß, wie sehr sich inzwischen ihre Wahrnehmung der deutschen Wirklichkeit von jener der Bundesfrauenministerin unterscheidet. Diese, so will Sigrid Semper anscheinend ausdrücken, ist ein fester Bestandteil der politischen Klasse in Bonn geworden. Das erklärt auch den Hauch von Trauer.

Wie anders präsentiert sich dagegen Angela Merkels Amtsvorgängerin Rita Süssmuth: Nicht mehr auf der Empore des Parlamentspräsidiums, sondern am Rednerpult, scheint sie sich zu befreien von dem Druck, der in den vergangenen Wochen auf sie ausgeübt worden ist. Kreidebleich und sichtlich aufgeregt, aber mit fester Stimme plädiert die katholische Christdemokratin für den liberalen Gruppenantrag, weil "nur die Frau" die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch treffen und die Antwort auf diese "existentielle Frage unseres Lebens" geben könne. Rita Süssmuth ist an diesem Tag sehr bestimmt und dabei trotz aller Verve auch darum bemüht, die Emotionen im Bundestag nicht über die Massen zu schüren, sondern zu zügeln. Sie erreicht die Mehrheit der Zuhörer und die lassen es sie auch spüren, als ihre eigenen Parteifreunde mit Beifall sparen: Die für den Gruppenantrag engagierten Frauen klatschen besonders laut. Bei diesem Auftritt ist Wolfgang Schäuble nicht an seinem Platz und bis zum Schluss der Debatte ergreift er nicht das Wort.

Süddeutsche Zeitung - Oktober 10, 1992

Grosse Einigkeit im Bundestag - Besitz von Kinderpornographie wird bestraft. SPD verlangt auch gesetzliche Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

 
Der Bundestag wird die Gesetze gegen Kinderpornographie verschärfen. Bei der ersten Lesung eines Gesetzantrages der Bundesregierung begrüßten Vertreter aller Fraktionen am Freitag im Parlament die geplanten Neuregelungen: In Zukunft sollen schon der Erwerb und der Besitz von kinderpornographischen Schriften strafbar sein. Außerdem ist die Beschlagnahme vorgesehen. Herstellern und Vertreibern drohen Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren, bei gewerbs- und bandenmäßiger Begehung bis zu fünf Jahren. Unterschiedliche Auffassungen vertraten die Redner in der Frage der Verjährung von Sexualstraftaten an Kindern. Nach Ansicht der SPD darf die Verjährungsfrist erst mit der Volljährigkeit beginnen, nicht - wie derzeit geregelt - nach dem Ende der Tat. Da die Täter meist zur Familie gehörten, seien viele Opfer erst als Erwachsene psychisch und materiell in der Lage, Anzeige zu erstatten, sagte die Abgeordnete Erika Simm (SPD). Dann sei eine Strafverfolgung aber häufig nicht mehr möglich. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sprach sich für das 14. Lebensjahr als Beginn der Verjährungsfrist aus.

Sexueller Missbrauch ist Mord an Kinderseelen, sagte die Ministerin und wies darauf hin, dass die Produktion von Kinder-Pornos fast immer mit Missbrauch verbunden sei. Frau Simm bezeichnete den Maßnahmenkatalog der Bundesregierung als eine wesentliche Verbesserung der Rechtslage, die jedoch nicht weit genug gehe. Wer den Besitz oder Erwerb von derartigen Produkten nur mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr ahnde, verkenne, dass die Porno-Konsumenten die eigentlichen Täter seien, sagte Frau Simm.

Einig waren sich die Fraktionen auch über die Notwendigkeit von Maßnahmen gegen die sexuelle Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz. In der ersten Lesung eines Antrages der SPD-Fraktion kritisierten Sprecher aller Parteien, dass die Belästigung nach wie vor als Kavaliersdelikt gelte. Unterschätzt werde in der Öffentlichkeit außerdem, dass sehr viele Frauen betroffen seien. Differenzen gab es in der Frage, ob Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet werden sollen, ständige Beschwerdekommissionen einzurichten, wie es die SPD vorgeschlagen hatte.

In dem Antrag wird die Bundesregierung darüber hinaus aufgefordert, die rechtlichen Regelungen zu schaffen, damit Vorgesetzte gegen belästigende Arbeitnehmer vorgehen müssen. Die Sanktionen müssten von der Verpflichtung zur offiziellen Entschuldigung bis zur fristlosen Kündigung reichen, sagte die Abgeordnete Hanna Wolf (SPD). Ihre Fraktionskollegin Marliese Dobberthien beklagte, dass Frauen sich gegen sexuelle Nachstellungen häufig nur mit einer Versetzung oder mit einer Kündigung zu helfen wüssten. Damit werden sie zum zweitenmal Opfer, meinte die Abgeordnete.

Die Staatssekretärin im Frauenministerium, Cornelia Yzer (CDU), stimmte der Zielsetzung des Antrages zu, erklärte aber, dass die Bundesregierung sich des Problems bereits angenommen habe. Das Kabinett werde in Kürze den Entwurf für ein Gleichberechtigungsgesetz verabschieden, in dem auch ein verstärkter Schutz vor sexueller Belästigung vorgesehen sei. Der SPD-Antrag sei daher nicht weiterführend.

Süddeutsche Zeitung  - Oktober 17, 1992

Turnübungen mit einer Toten. Gymnastik für hirntote Schwangere angeordnet -  Wachsende Kritik an Erlanger Ärzten

Um dem ungeborenen Kind einer hirntoten Frau eine möglichst normale Entwicklung zu ermöglichen, versuchen die Betreuer in der Universitätsklinik Erlangen, die Mutter zu bewegen und Gymnastik zu machen. Der verantwortliche Arzt, Johannes Scheele, erklärte in einem Interview der Berliner Tageszeitung, damit solle dem vier Monate alten Embryo im Mutterleib die Chance gegeben werden, in dieser Hinsicht möglichst normal aufzuwachsen. Die 18jährige war am 5. Oktober tödlich verunglückt. Der Oberarzt verteidigte erneut den Entschluss, die Körperfunktionen der Frau mit Hilfe von Maschinen bis zum Ende der Schwangerschaft aufrechtzuerhalten. Zugleich äußerte er die Sorge, dass der zur Zeit stabile Zustand der Mutter sich verschlechtern könne. Die gesamte Hirnsubstanz sei zerstört. Ein solcher Zustand lässt sich nicht beliebig lange fortsetzen, sagte er.

Es könne durchaus sein, dass in Zukunft wesentlich eingreifendere Maßnahmen wie Medikamente notwendig werden. Scheele wies darauf hin, dass der Totenschein für die Frau bereits am Donnerstag vergangener Woche ausgestellt worden sei.

Zutiefst erschrocken und ablehnend äußerten sich am Freitag in Bonn Politikerinnen von CDU/CSU, SPD und FDP über das Vorgehen der Erlanger Ärzte. Der Fall zeige, wie wenig die Menschenwürde einer toten Frau wert ist, wenn ihr Körper zwecks Austragung einer Schwangerschaft gebraucht wird. Achtung gegenüber Verstorbenen ist so alt wie die Menschheit, erklärten die Vorsitzende der Gruppe Gleichstellung von Frau und Mann der SPD-Bundestagsfraktion, Ulla Schmidt, die frauenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Uta Würfel, sowie die CDU/CSU-Abgeordnete Angelika Pfeiffer.

Als Skandal bezeichnete die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Hanna Wolf, die Entscheidung: Die Mutter werde zur Nährlösung degradiert, derer man sich nach Gebrauch entledigen könne. Die Politikerin warf den behandelnden Ärzten Unmenschlichkeit vor. Bei ihrem Vorgehen werde weder nach der Menschenwürde der Mutter noch nach dem Wohl des Kindes gefragt. Die Pflicht der Lebenden, ihre Toten zu begraben, sowie die Pietät gegenüber Verstorbenen würden im Falle dieser toten Schwangeren nicht berücksichtigt. Die Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF), Karin Junker warf den Medizinern vor, den Körper der toten 18jährigen Schwangeren als Gebärkörper zu missbrauchen.

Nach Ansicht von Bundesfrauenministerin Angela Merkel (CDU) liegt der Fall im Grenzbereich dessen, was medizinisch machbar und ethisch vertretbar ist. Eine abschließende Beurteilung falle ihr schwer, erklärte Frau Merkel. Neben der Frage, welche Überlebens- und Entwicklungschance das Kind hat und ob das Austragen einer Schwangerschaft auf diese Weise mit der Menschenwürde vereinbar ist, ist für mich vor allem die Haltung des Vaters und der nächsten Angehörigen von Bedeutung, meinte Frau Merkel. In Zukunft müsse verstärkt über derartige Grenzfälle diskutiert werden.

Süddeutsche Zeitung - Oktober 20, 1992

Erlanger Klinik verhängt Nachrichtensperre. Keine Berichte mehr über Befinden der hirntoten Schwangeren - Gericht bestellt Pflegschaft

Im Erlanger Fall der hirntoten Mutter, die ihre Schwangerschaft austragen soll, besteht jetzt eine Nachrichtensperre. Der Vorstand der chirurgischen Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg, wo die 18jährige Schwangere behandelt wird, erklärte am Montag auf Anfrage, dass außer einem Communique von Zeit zu Zeit aus der Klinik keine Nachrichten mehr herausgegeben würden. Die Fülle der Anfragen ist mit unserem Arbeitsablauf nicht mehr zu vereinbaren. Das Amtsgericht Hersbruck hat inzwischen für das ungeborene Kind eine Pflegschaft und für die Mutter eine vorläufige Betreuung angeordnet. Zu der 18jährigen Patientin habe niemand Zutritt außer den betreuenden Ärzten und dem Pflegepersonal. Wie es aus dem Sekretariat des verantwortlichen Arztes, Johannes Scheele, hieß, sei dort nichts von einem angeblichen Fieber bei der Patientin bekannt. Alle Mitarbeiter seien angewiesen, keine Auskunft mehr herauszugeben. Scheele selbst war nach Angaben seiner Mitarbeiter am Montag nicht in der Klinik. Der Vorstand der chirurgischen Klinik, Franz Paul Gall, erklärte, dass er sich zum weiteren Umgang mit den Medien in diesem Fall mit den Eltern der Schwangeren absprechen wolle, die von dem Medienrummel mittlerweile wohl auch genug hätten. Bei der Familie erreichen sie nur noch den Anrufbeantworter.

Zu Pflegern für das Ungeborene hat das Gericht die Eltern der Schwangeren bestellt. Die Interessen der hirntoten Frau soll eine weitere Person aus dem Kreis der Angehörigen wahrnehmen. Vor seiner Entscheidung, mit der juristisches Neuland betreten wurde, hatte sich der Vormundschaftsrichter in der Klinik vom verantwortlichen Arzt über die medizinischen Gegebenheiten unterrichten lassen. Die Betreuung eines im Rechtssinne toten Menschen ist bislang vom Gesetz nicht geregelt. Im Hinblick auf die besonderen Umstände des vorliegenden Falles habe es das Amtsgericht jedoch für erforderlich gehalten, zur Wahrung der postmortalen Interessen der Schwangeren die gesetzlichen Betreuungsvorschriften für lebende Menschen auf die 18jährige zumindest sinngemäß anzuwenden. Die Frau war am 5. Oktober bei einem Verkehrsunfall tödlich verletzt worden.

Die Bundesregierung soll sich nach dem Willen der SPD-Bundestagsabgeordneten Hanna Wolf mit der toten Schwangeren von Erlangen beschäftigen. Wie sie am Montag in München mitteilte, bat sie die Regierung schriftlich um Auskunft, ob das monatelange künstliche Aufrechterhalten der Körperfunktionen einer Toten zum Zweck der Austragung einer Schwangerschaft die in Artikel eins des Grundgesetzes garantierte Menschenwürde der Toten verletzt.

Süddeutsche Zeitung - November 18, 1992

Ärzte hatten Marion lange genug. Eltern lehnen Obduktion ab - SPD fordert gesetzliche Regelungen

Im Fall des Erlanger Babys haben sich die Eltern der 18jährigen Toten gegen eine Obduktion des Fötus und seiner Mutter gewehrt. Nach Auskunft des Erlanger Rechtsmediziners Hans-Bernhard Würmeling hatten sich Ärzte nochmals um die Zustimmung zur Sektion bemüht, um so die Ursachen für die Fehlgeburt finden zu können. Der Vater der Toten, deren Kind nach 40 Tagen im Leib der hirntoten Mutter starb, lehnte aber ab: Die Ärzte haben Marion jetzt lang genug gehabt. Auch am Dienstag ging die öffentliche Kontroverse um das Erlanger Experiment weiter. Der Präsident der Bundesärztekammer, Karsten Vilmar, lehnte ethisch verbindliche Regeln für das Vorgehen in Fällen, in denen schwangere Frauen einen Hirntod sterben, ab. In jedem Einzelfall müsse neu entschieden werden, sagte Vilmar. Die Entscheidung der Erlanger Ärzte, den Körper der hirntoten Schwangeren lebensfähig zu halten, sei ethisch gerechtfertigt gewesen. Wenn es um zwei Menschenleben gehe und das der Mutter ohnehin verloren sei, rechtfertige dies den Versuch, das Leben des Kindes zu retten. Die Würde der hirntoten Mutter sei nicht tangiert.

Alice Schwarzer, die Herausgeberin der Frauenzeitschrift Emma, ist erleichtert, dass die Natur dieses zynische Experiment sozusagen selbst abgebrochen hat. Im ARD-Morgenmagazin meinte sie, bei diesem Versuch sei es um den Größenwahn der Männermedizin gegangen, die nicht nur Herr über den Tod, sondern auch Herr über das Leben sein wolle.

Der katholische Erlanger Klinikseelsorger Rainer Denkler bezweifelte, dass die Ärzte die Eltern der hirntoten Schwangeren ausreichend über die geringen Erfolgsaussichten informiert haben. Ich bin sehr betroffen, wie mit den Eltern umgegangen wurde, sagte Denkler. Er vermute, dass den Eltern zuviel Hoffnung gemacht worden sei.

Die SPD hat für ähnliche Fälle wie die des Erlanger Baby eine gesetzliche Regelung gefordert. Die intensivmedizinische Behandlung von hirntoten Schwangeren müsse durch Gesetz geregelt werden, erklärte die Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion für Frauen und Jugend, Hanna Wolf. Das Erlanger Experiment habe gezeigt, wie verliebt manche Medizinforscher und Intensivpraktiker in künftige medizinische Machbarkeiten sein könnten. Im vom Bundestag behandelten Transplantationsgesetz müsse festgelegt werden, wie lange die künstliche Aufrechterhaltung von Organfunktionen eines hirntoten Menschen zum Zweck der Organentnahme erlaubt werden solle.

Süddeutsche Zeitung - Dezember 1, 1992

Veränderung des Paragraphen 218 - SPD-Frauen warnen Verfassungsrichter. Ablehnung wäre massive Verletzung unseres Demokratieverständnisses


Die Frauen in der SPD warnen vor einer negativen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das neue Abtreibungsrecht. Wenn die Karlsruher Richter die im Juli vom Bundestag mit großer Mehrheit beschlossenen Veränderungen des Paragraphen 218 für verfassungswidrig erklären, bedeute dies eine massive Verletzung unseres Demokratieverständnisses, hieß es auf einem Pressegespräch der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen in München, bei der auch die FDP, die Grünen, die Humanistische Union, der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Arbeiterwohlfahrt und Pro Familia vertreten waren. In diesem Zusammenhang haben die SPD-Frauen zu einer großen § 218-Briefaktion an den zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts aufgerufen. Die Artikel des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes, über die das Bundesverfassungsgericht am 8. und 9. Dezember sein Urteil spricht, sehen für einen Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen Straffreiheit vor. Die übrigen Artikel sind bereits in Kraft getreten, ohne jedoch von der bayerischen Landesregierung tatsächlich umgesetzt zu werden, wie die Sprecherinnen kritisierten. Hanna Wolf, Frauenpolitikerin der SPD-Bundestagsfraktion, warf dem Kultusministerium vor, für das im Bundesgesetz verankerte Recht jedes Kindes auf einen Kindergartenplatz nicht die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Uschi Pausch-Gruber griff als Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen direkt die CSU an und sagte: Der CSU sind Kinder, die bereits geboren sind, längst nicht so wichtig wie die, die noch im Mutterleib sind. Wolf fügte hinzu, der Kampf um das Leben des Kindes einer hirntoten Schwangeren in Erlangen beweise, dass man in Bayern mit dem Schutz ungeborenen Lebens bis ans äußerste ginge.

Bedingungen nicht erfüllt Außerdem bemängelte Helga Haisch von der Münchner Pro Familia, die Landesregierung erfülle weder quantitativ noch qualitativ die im Gesetz formulierten Bedingungen für eine angemessene Beratung von schwangeren Frauen. Sie habe die staatlichen Gesundheitsämter angewiesen, alle verfügbaren Berater künftig in diesem Bereich einzusetzen, ohne dafür Fachkräfte neu einzustellen und die freien Träger stärker zu unterstützen. So führt Bayern das Gesetz in der Praxis schon jetzt ad absurdum, stellte Haisch fest. Die Wahl zwischen Beratungsstellen unterschiedlicher weltanschaulicher Ausrichtung werde noch stärker begrenzt, und die Sozialpädagogen in den Gesundheitsämtern seien für ihre neuen Aufgaben nicht ausreichend qualifiziert.

Margarete Bause, Landessprecherin der Grünen, und FDP-Landtagsabgeordnete Karin Hiersemenzel schlossen sich der Kritik an. Hiersemenzel kündigte an, ihre Partei werde sich mit dem Missstand befassen und möglicherweise einen entsprechenden Antrag vorlegen.

Süddeutsche Zeitung  – Januar 7, 1993

Abgeordnete Hanna Wolf: Bogenhausen-Lösung zur Nachahmung empfohlen

Als ausgesprochen positive Lösung zugunsten der Mieter von rund 300 Wohnungen in der Parkstadt Bogenhausen bezeichnet die Münchner SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf die bei einem Gespräch zwischen dem Käufer der Neuen Heimat Bayern, Alfons Doblinger, und dem Vorsitzenden des Mietervereins München, Kurt Mühlhäuser, zustande gekommenen Vereinbarungen. Insbesondere dankt sie Doblinger dafür, dass er seine ursprüngliche Härte aufgegeben hat. Wie ausführlich berichtet, konnten zusätzliche Mieterschutzklauseln ausgehandelt werden, deren wichtigster Punkt darin besteht, dass derzeitigen Mietern der zum Verkauf stehenden Wohnungen von künftigen Eigentümern nicht wegen Eigenbedarfs gekündigt werden darf. Die Ergebnisse insgesamt möchte sie sehr zur Nachahmung empfehlen, schreibt Hanna Wolf.

Die Abgeordnete hatte im vergangenen Sommer ein lebenslanges Wohnrecht zumindest für diejenigen Mieter verlangt, die seit annähernd 40 Jahren in der Parkstadt Bogenhausen leben - damals noch vergeblich.

Die jetzigen Vereinbarungen mit Doblinger bezeichnet Hanna Wolf als willkommenes Beispiel dafür, dass sich im Mietwohnungsbau ein soziales Verhalten des Bauherrn und Eigentümers mit der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens verbinden können.

Dessen ungeachtet sei die Bundesregierung jedoch nicht aus ihrer Pflicht entlassen, endlich für ein soziales Mietrecht zu sorgen und ein Umwandlungsverbot gesetzlich zu regeln.

Süddeutsche Zeitung  – Februar 18, 1993

Die Ehre - ein Pseudowert. Frauen-Fragen (West 3)

Ungeliebte Programme: In diesem Asylanten-Eintopf auch noch Extrawürste für Frauen?! Immerhin hat West 3 seine Sendung Lebensbedingungen von Asylantinnen (ein Zungenbrecher) kurz nach zehn, nach Fußballverlängerung, ausgestrahlt. Geradezu prime time für anspruchsvolle Themen. Die Moderatorin Inge von Bönningshausen spricht deutliche Worte: Wenn Frauen allein ohne Geld für Tickets und für Schlepperorganisationen die Flucht gelänge, dann würden weltweit die Menschenrechte auf sie nicht angewandt. Entweder seien sie als Familienangehörige Verfolgter rechtlos, nur abgeleitet, oder nach persönlicher, sexistischer Verfolgung nicht schutzwürdig. Auch in Lagern und Heimen geht es ihnen schlecht - überall. Es gibt nur wenig weibliche und selten multikulturelle Betreuung. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf hatte ein schlagendes Exempel: Die Bonn-Debatte über vergewaltigte Frauen wurde von den Männern fix auf die männlichen Kriegsopfer umgeleitet, so dass die Frauen rasch aus dem Blickfeld gerieten. Die Abgeordneten wollten nicht wahrhaben, dass die Täter ausschließlich Männer seien. Männer gaben Männern Täterschutz, folgerte Wolf, die sich konsequent, aber unaufgeregt dieser Probleme annimmt. Auch Bönninghausen führte die Sendung sachlich von ergreifenden Beispielen hin zu hoffnungsvollen Eigeninitiativen ausländischer Frauen: Wenn schon neue Verordnungen so lange auf sich warten ließen, dürfe man gerade nicht untätig bleiben. Vor allem reden, nicht schweigen über die verletzte Ehre der Frau, ein Pseudowert, von Männern geschaffen. Ja, reden. Vielleicht wäre den Ausländerinnen, die am unteren Ende der sozialen Skala stehen, schon durch ein bisschen Deutschunterricht und Konversation geholfen, und das ist ein Geschenk, das jede deutsche Frau ihnen geben könnte. ANNE ROSE KATZ

Süddeutsche Zeitung  – März 9, 1993

Münchner SPD-Tagung zur geplanten Bahn-Privatisierung - Wie der Verkehrsverbund in die Marktwirtschaft fährt. Auf die Kommunen kommen mit der Übernahme des öffentlichen Nahverkehrs schwierige Aufgaben zu

 Von Elisabeth Höfl-Hielscher

Werden S- und U-Bahnen demnächst in Portugal gebaut? Diesen theoretischen Vorschlag machte der Vizepräsident der Bundesbahndirektion München, Heinz Simons, bei einer Fachkonferenz der Münchner SPD im Intercity-Hotel.

Was wie ein verspäteter Faschingsscherz klingt, könnte 1995 durchaus real sein. Denn dann tritt das Föderative Konsolidierungs-Programm in Kraft, der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) wird regionalisiert, also Sache der Kommunen, und die Bonner Subventionen entfallen. Nicht nur die Bahn, auch die Gemeinden werden sich auf die freie Marktwirtschaft einstellen und als Nachfrager und Besteller der Ware Verkehr das preiswerteste Angebot wählen müssen. Und das, so Simons, kann dann das Angebot einer portugiesischen Firma sein. . . Er berichtete, wie die neue privatwirtschaftliche Deutsche Bahn AG die Weichen in Richtung freien Markt stellt: S-Bahn und Regionalverkehr würden sich als Markenartikel behaupten. Er versprach mehr Züge, die auch im Regionalverkehr wie S-Bahnen von 6 bis 24 Uhr, direkt und in rascher Folge die Ziele anpeilen - aber schneller und obendrein kostendeckend. Der Preis werde sich künftig nicht mehr nach der Entfernung, sondern nach der Schnelligkeit richten. Bald würden die Münchner für die Fahrt ins Umland zwischen teuren Expresszügen nach IC-Vorbild und billigeren Bummelzügen wählen können.

Die Kommunen sind aber für den Einzug der freien Marktwirtschaft im Verkehr weit schlechter vorbereitet, gerade in München, so lautete die einstimmige Klage. Der Münchner Verkehrs-und Tarifverbund (MVV) sei zwar vom Angebot her Spitze, doch seine Struktur sei, so Geschäftsführer Dieter Lippert, dieselbe wie im Jahr 1972. Im Klartext: völlig abhängig vom Bonner Subventionstropf. Der Krieg zwischen Stadt und Region müsse sofort aufhören, eine gemeinsame Trägergesellschaft endlich auf dem freien Markt als Besteller auftreten können, sonst werden wir, wenn das FKP Realität wird, blank dastehen!

In seinem Land, berichtete der nordrhein-westfälische Verkehrsminister, Josef Kniola, gebe es ein ganzes Netz von Verkehrsverbünden. Sie würden aber vom Land initiiert, Zug um Zug in allen ländlichen Regionen ausgebaut und bezuschusst. Den Vorrang des ÖPNV lasse man sich viel kosten: Die S-Bahn sei inzwischen zur Landessache gemacht, dafür die Zuschüsse für den Straßenbau gestrichen worden. Mit 100 Millionen jährlich werde das Radlwegenetz unterstützt. Das klang für die Münchner märchenhaft. Hier, das befürchtete die Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf, drohe dem ÖPNV das Aus. Und Co-Moderator Bürgermeister Christian Ude sprach düster von dem Abgrund, vor dem wir stehen. Schon jetzt fahre der MVV jährlich ein Defizit von 40 Millionen Mark ein. Auch mit drastischen Fahrpreiserhöhungen könne er die Betriebskosten ohne Subventionen nie decken. Und noch so effizient als Besteller auftretende Verkehrsverbünde, das erklärt Hans-Günter Naumann, der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, können den klassischen Nahverkehr nie ganz übernehmen. Gerade außerhalb der großen Ballungsräume komme auf die Kommunen eine Riesenaufgabe zu.

Heiner Rogge von der IHK München und Oberbayern dagegen sah die Lage nicht so dramatisch. Der Bund mache halt im Zusammenhang mit der Neuordnung des Bund-Länder-Ausgleichs beim Steueraufkommen eine Rechnung auf. Die Länder werden eine Gegenrechnung machen, und man wird sich schon einigen. Wie, darin ließ die Diskussion keinen Zweifel: Die MVV-Gäste werden zur Kasse gebeten und die Autofahrer gerupft. Einstimmig wurde gefordert, die Mineralölsteuer zu erhöhen und die Kommunen gesetzlich daran zu beteiligen. Stadtbaurätin Christiane Thalgott sorgte noch für einen besonderen Schreckschuss. Warum, sinnierte sie laut, solle die Stadt eigentlich den Straßenparkern nicht generell den Grundstückswert berechnen. Ein Stellplatz in Schwabing ist 300 Mark monatlich wert, in der City 500 Mark. Dagegen sei der MVV auch nach saftigen Preiserhöhungen noch geschenkt.

Süddeutsche Zeitung  – März 22, 1993

Angela Merkel und Hannelore Rönsch - unfreiwillige Konkurrentinnen - Zellteilung, die Substanz frisst. Die Ministerinnen haben viele gemeinsame Aufgaben und ziehen doch nicht an einem Strang

Von Heidrun Graupner

Wartezimmer, das ist der erste Gedanke beim Anblick des alten Paares. Wie sonst könnte es geschehen, dass er sitzt, aufrecht, den Hut auf den Knien, die Hände fast zornig über dem Stock gefaltet, und sie, klein und zerbrechlich, steht. Besorgt und mütterlich beugt sie sich über ihn, die Brille und ein zerknülltes rosa Spitzentaschentuch in der Hand. Doch abgesehen davon, dass die beiden Alten in einer Ecke der Diele aus Pappmach sind - dieses Haus hat schon lange nichts mehr mit Gesundheit und Krankheit zu tun. Mehr als zwei Jahre ist es her, seitdem das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit in drei Stücke geschnitten wurde: in Gesundheit, in Frauen und Jugend und schließlich in Familie und Senioren. Und dort stehen die beiden lebensgroßen Figuren besser für Namen und Konzept. Und irgendwie scheint es bei ihrem Anblick auch verständlicher zu sein, warum der Name Hannelore Rönschs als einziger der Bonner Ministerinnen nicht unter der Initiative Jetzt oder nie. Frauenrechte in die Verfassung zu finden ist. Kritik hatte es Anfang 1991 genügend gegeben, als Bundeskanzler Helmut Kohl die Zellteilung vollzog und drei Ministerien daraus wachsen ließ, mit vielen neuen Posten. Bonner Politikerinnen, sei es von der SPD oder der Union, ärgern sich noch heute über das nicht gerade frauenfreundliche Wort Dreimäderl-Haus, das damals ganz schnell die Runde machte, weil das einstige Mammutministerium nicht reformiert wurde, was schon lange notwendig gewesen wäre, sondern verteilt an drei Frauen, für die Kohl Platz in seinem Kabinett finden wollte. Das Dreimäderl-Haus aber gibt es schon seit fast einem Jahr nicht mehr, weil die Gesundheitsministerin Gerda Hasselfeldt (CSU) reichlich glücklos in dem Versuch blieb, die Gesundheitslobby auf Sparkurs zu zwingen. Und hätte nicht ihr Parteifreund und Nachfolger Horst Seehofer seine Gesundheitsreform mit geballter Kraft durchgesetzt, stünde er nicht auf einer solch soliden Basis des politischen Erfolgs, dann wäre das verdreifachte Ministerium vielleicht doch Thema der Kabinettsumbildung gewesen.

Wenn die Kritik dennoch nicht verstummt ist, dann hat das, wie der Vizepräsident des Bundestags, Dieter-Julius Cronenberg (FDP), betont, nichts mit den handelnden Personen zu tun. Er, und nicht nur er, hält die Teilung grundsätzlich für falsch. Die drei Ministerien seien zu klein und hätten zu wenig Kompetenzen, das ist Parkinson. Und die Herausnahme der Krankenversicherung aus dem Sozialministerium und den übrigen Versicherungen bezeichnet er als den größten Fehler. Die Absicherung des Lebensrisikos muss in einer Hand sein, sonst ist die Versuchung der Rivalität zu groß.

Die Frage der Rivalität, der Kompetenzüberschneidungen drängt sich allerdings bei den beiden anderen Ministerien nicht weniger stark auf, weil es nicht so ganz einfach sein kann, Frauen und Kinder, bei aller Eigenständigkeit, die die Politik ihnen endlich zubilligen muss, auf zwei Ministerien zu verteilen. Nun sind die Kinder wirklich ein wunder Punkt, das sagen beide, die Frauen- und Jugendministerin Angela Merkel und die Familien- und Seniorenministerin Hannelore Rönsch. Doch er sei der einzige und er sei nicht gravierend, sagen beide, und beide zählen zuerst Kompetenzüberschneidungen mit anderen Fachressorts wie Justiz, Arbeit, Inneres auf. Und eigentlich, so betonten beide CDU-Ministerinnen, hätten sie nur wenig miteinander zu tun.

Diese so einhellige Meinung allerdings teilen andere Bonner Politikerinnen und Politiker nicht. Uta Würfel (FDP) ist eine der wenigen, die euphorisch nur Pluspunkte erkennen kann, weil Frauen- und Jugendthemen mit einem eigenen Ausschuss größeres Gewicht hätten. Da wird von einer Aufblähung der Ausschussarbeit gesprochen, die kaum noch zu bewältigen sei, von gewaltigen Reibungsverlusten, und selbst Unionsfrauen klagen, dass manche Frage zwei- und dreifach bearbeitet werde. Es ist eine Atomisierung der Themen, sagt Bundestagsvizepräsidentin Renate Schmidt (SPD). Nach diesen Erklärungen wird es klar, warum zum Beispiel so viele Veröffentlichungen über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Bonn erscheinen: Weil beide Ministerien an diesem Thema arbeiten, das eine mit Studien, das andere mit einem Wettbewerb, weil beide für Betriebskindergärten werben, mit den Gewerkschaften verhandeln, Tagungen veranstalten. Sie treten in derselben Stadt zum selben Thema und zur selben Zeit auf, doch nicht gemeinsam. Und dass beide Ministerinnen energisch die Finger nach der Federführung für einen geplanten Kinderbericht ausgestreckt haben, wobei die Jugendministerin gewonnen hat, ist allen noch frisch im Gedächtnis.

Mit der Dreiteilung wurde die Kompetenz-Armut verdreifacht, sagt Marliese Dobberthien (SPD). Angela Merkel und Hannelore Rönsch sehen das anders. Sie vermissen keine Kompetenzen und fühlen sich völlig ausgelastet. Hannelore Rönsch zählt eine lange Liste von Aufgaben auf, vom Erziehungsgeld bis zur Sozialhilfe: Wir können in der Familienpolitik alles gestalten, was wir wollen.

Das Wort Sozialhilfe aber ist im Zusammenhang mit der Familienministerin zur Zeit etwas belastet. Hannelore Rönsch hatte zwar nicht den Ruf einer Protagonistin der emanzipatorischen Familienpolitik, wohl aber einer Hüterin der Familie. Nicht einmal Unionspolitikerinnen können begreifen, warum sie bereit ist, für die Arbeitspflicht von Sozialhilfeempfängern einzutreten - sie kann sich zum Beispiel arbeitslose Lehrer, die Sozialhilfe bekommen, gut als Schulhelfer vorstellen - und kinderreichen Familien die Sozialhilfe einzufrieren. Das Existenzminimum, welches das Bundesverfassungsgericht für Kinder reicher Eltern festgelegt habe, meint Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU), müsse doch auch für Familien mit Sozialhilfe gelten. Die Ministerin aber wird nicht müde zu wiederholen, dass ihr das Sparvolumen vorgeschrieben worden sei, sie Alleinerziehende und Rentner vor Kürzungen geschützt habe und dass ihr das Ganze schwergefallen sei. Größere Familien, so rechnet sie vor - sie nennt sie Familienbedarfsgemeinschaften -, könnten billiger einkaufen, Wasser und Strom sparen, weil eine Lampe genüge.

Die Fuchtel des Kanzlers Familie, sagt Hannelore Rönsch, ist für mich ein kleines Stück Gemeinsamkeit, Schutz und Geborgenheit, wohin man sich zurückziehen und sich selbst leben kann. Diese Schutzgemeinschaft, aus der jeder Kraft beziehe, will sie stärken. Eine Umfrage im vergangenen Jahr habe gezeigt, dass 75 Prozent der jungen Leute heiraten und Kinder haben wollen. Die SPD-Abgeordnete Christel Hanewinckel aus Halle fragt sich allerdings, wie die Umfrage heute in Ostdeutschland ausfallen würde. Sie wirft der Familienministerin vor, dass sie mehr verspreche, als sie dann halte, und sie denkt dabei auch an die rückwirkende Kürzung des Hilfsfonds Schwangere in Not und die Enttäuschung von Frauen in Ostdeutschland: Eine Familienministerin, die Deutschland vor den Familien schützt.

Eine solche Schelte hält die Ministerin für ungerecht, denn auf die Ausweitung des Erziehungsgeldes etwa ist sie nach wie vor stolz, auch wenn dort der Rotstift angesetzt wurde und eine einkommensabhängige Verteilung angestrebt wird. Außerdem empfindet Hannelore Rönsch gerade die Wiedervereinigung, die Lage in Ostdeutschland als die große Herausforderung in ihrem Ministeramt. Das Wissen über die Menschen in der ehemaligen DDR hat sie sich vor Jahren, noch als Wiesbadener Kommunalpolitikerin, angeeignet: bei Verwandtenbesuchen. Ich bilde mir ein, die eine oder andere Empfindlichkeit nachempfinden zu können.

Frauenministerin Angela Merkel betrachtet die Empfindlichkeiten sicherlich ein wenig anders. Die beiden Jahre ihrer Blitzkarriere zur Ministerin und stellvertretenden CDU-Vorsitzenden haben ihr gezeigt, dass die alte Bundesrepublik kein lernfähiges, flexibles System ist, sondern störrig, verkrustet. Diese Kritik hat nichts mit ihrer Aufgabe zu tun, die sie bekommen hat und mit der sie etwas anfangen könne, und zwar eine Menge. Es gibt kaum jemanden, der ihr nicht zugesteht, dass sie einiges getan hat für Frauen in Ostdeutschland, für Jugendliche, und sie nimmt sich viel Zeit, um mit Jugendlichen zu sprechen, um sie verstehen zu lernen. Eine Kampagne will sie starten, damit Eltern nicht nur das Geld, sondern auch die Zeit mit ihren Kindern teilen. Und sie geht in die Offensive: Das darf ich auch als Jugendministerin.

Einmal allerdings sind die beiden Ministerinnen mit einem gemeinsamen Briefkopf aufgetreten, obwohl sie damals nicht gerade dieselbe Politik vertreten haben. Bei der Diskussion über den Paragraphen 218 aber wollte die Frauenministerin der Familienministerin nun doch nicht allein das Wort überlassen. Dass Angela Merkel sich dann bei der Abstimmung in der Nacht zum 26. Juni 1992 der Stimme enthielt, hat ihr allerdings einiges von der Reputation genommen, die sie auch bei der Opposition hatte. Eine Frauenministerin, sagen SPD-Politikerinnen, hätte ja oder hätte nein sagen müssen.

Die Kompromisse sind es, die die Opposition der Frauenministerin übel nimmt, vielleicht auch, weil sie von ihr mehr erhofft als von der Familienministerin. Man könne Kompromisse in der Politik machen, meint Hanna Wolf (SPD), aber nicht gleich am Anfang, wie beim Gleichberechtigungsgesetz. Reichlich verwässert sei es. Gerade die Diskussion über dieses Gesetz ist aber Gradmesser für den Wandel der Frauenpolitik nach der Wiedervereinigung. Ostdeutsche Frauen, auch so unterschiedliche wie die brandenburgische Sozialministerin Regine Hildebrandt (SPD) und Angela Merkel, haben andere Probleme als jene Fragen der Gleichberechtigung, die westdeutsche Frauen seit Jahren umtreiben und die bereits bei der Sprache anfangen. Nicht, dass Angela Merkel sich scheut, zum Beispiel anzuprangern, dass Existenzgründungen von Frauen benachteiligt würden; nicht, dass sie sich davor fürchtet, noch einmal ein Gesetz zur Vergewaltigung in der Ehe anzupacken. Doch was sie in ihrem Gesetzentwurf besonders vermisst, ist für westdeutsche Frauen nun einmal kein Thema der Gleichberechtigung: Die moralische und gesellschaftliche Anerkennung von Alleinerziehenden und die Versöhnung zwischen berufstätigen Frauen und Hausfrauen, die finanzielle Anerkennung der Leistung von Hausfrauen. Frauen schaden sich gegenseitig, wenn sie sich nicht anerkennen.

Das gilt auch für Angela Merkel und Hannelore Rönsch. Nicht nur der Name Dreimäderl-Haus war frauenfeindlich, glauben Bonner Politikerinnen, sondern die Teilung überhaupt. Dass die Ministerinnen gemeinsam für ein Thema kämpfen, halten selbst Unionsfrauen für ausgeschlossen. Es liege an der Konstruktion, wenn sich die beiden ins Gehege kommen. Der politische Streit wird durch die Teilung regelrecht produziert, sagt Edith Niehuis (SPD). Und dann heiße es, meint Gisela Babel (FDP), eine Krähe hackt der anderen die Augen aus. Die Frauenfragen sind ja so vermint.

In der Union wundern sich heute noch manche, dass gerade die CDU, die immer gegen die Abgrenzung von Frauen und Familie war, ein Frauenministerium geschaffen hat. Die SPD-Politikerin Niehuis rechnet sich schon aus, dass in zwei Jahren niemand mehr ein Frauenministerium abschaffen könne; dann müsse daraus aber ein Gleichberechtigungsministerium werden. Zur Zeit aber hat selbst sie das Gefühl, dass die Frauenpolitik eher in eine Depression geraten ist. Schlechtwetterzeiten, sagt Edith Niehuis, bei Haushaltsproblemen heißt es schnell, dann können wir die Frauensachen lassen. Christel Hanewinckel sieht dies schärfer. Die SPD-Abgeordnete hat in ihren ersten zwei Bonner Jahren eine grundsätzliche Erfahrung gemacht, die sie in Rage bringt: Wenn Kolleginnen und Kollegen sofort unter der Fuchtel des Bundeskanzlers und der Finanzen stehen, dann brauchen wir keine Fachminister.

Süddeutsche Zeitung  – Mai 3, 1993

Tenor der DGB-Maikundgebung auf dem Marienplatz: Die künftigen Lasten gerecht verteilen. Hensche, Dittrich und Kronawitter als Redner - Produktionsstandort München sichern

Von Berthold Neff


Der Tarifkonflikt im Osten Deutschlands hat auch der traditionellen Kundgebung des Münchner DGB zum Tag der Arbeit seinen Stempel aufgedrückt. Vor etwa 4000 Menschen auf dem Marienplatz rief Detlef Hensche, Vorsitzender der IG Medien, zur Unterstützung der vor einem Streik stehenden Metaller auf und übte scharfe Kritik an der Bundesregierung. Während Münchens DGB-Chef Klaus Dittrich forderte, die zukünftigen Lasten gerecht zu verteilen, erneuerte OB Georg Kronawitter seinen Ruf nach einer Vermögensabgabe für Millionäre.

Motto der Mai-Feier des Münchner DGB war diesmal Mensch München bleib offen - Für Toleranz, Gleichberechtigung und Gerechtigkeit. Sie begann mit einer Demonstration zum Marienplatz, wo Klaus Dittrich OB Georg Kronawitter herzlich begrüßte: Wer mit 65 Jahren noch einmal anpackt und seiner Partei beibringt, dass sie wieder die Schutzmacht der kleinen Leute werden muss, der kann mit unserer Unterstützung rechnen. Auch in München, so Dittrich, stehe der 1. Mai im Zeichen der zunehmenden Arbeitslosigkeit, die aber viele kalt lasse. Er habe geradezu den Eindruck, dass sich in dieser Stadt mehr Leute über den Lizenzentzug für einen prominenten Koch und über 40 Meter Radweg in der Dienerstrasse aufregten, als wenn zehntausend Menschen arbeitslos werden.

Jetzt sei die Zeit für energisches Handeln. Dittrich forderte von der Stadt schnelle Entscheidungen, um den Produktionsstandort München zu sichern, und öffentliche Investitionen, um die Lebensqualität zu verbessern. Dazu gehöre auch der längst überfällige Ausbau des MVV durch Land und Bund. Diese Lasten müssten sozial gerecht verteilt werden: Georg Kronawitter hat mit seinem Vorschlag einer Vermögensabgabe für Millionäre den richtigen Weg gewiesen.

Als der Oberbürgermeister zu sprechen begann, ertönte - wie schon im vorigen Jahr - ein Trillerpfeifen-Konzert, und weiße Zettel mit der Aufschrift Für uneingeschränktes Recht auf Asyl flatterten in die Menge. Die bledn Hund, äußerte sich ein alter Gewerkschaftler über die lärmenden Jugendlichen. Kronawitter sagte, er könnte es verstehen, wenn ein paar Dutzend Millionäre pfiffen, aber was diese Leutchen machen, das ist nicht verständlich. Später drängte die Polizei die Störer ab und nahm einen davon, der ein sogenanntes Butterflymesser gegen einen Ordner gezogen hatte, vorläufig fest.

Kronawitter beklagte die Umverteilung in Milliardenhöhe von unten nach oben, das macht die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer. Er forderte, die großen Vermögensbesitzer an den Kosten der Einheit stärker zu beteiligen und zitierte den ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Wilhelm Högner: Wenn schon die braven Schafe Wolle lassen müssen, dann sollen auch die fetten Hammel kräftig geschoren werden. Nach dem Grußwort sprang ihm Dittrich zur Seite: Wer einen Oberbürgermeister auspfeift, der im Kampf gegen die Ungerechtigkeit an unserer Seite steht, ist entweder grenzenlos dumm oder ein Gegner der Gewerkschaften.

Harald Flassbeck, Sekretär der IG Metall München, kündigte für die nächsten Wochen Solidaritätsmaßnahmen für die ostdeutschen Metaller an: Wir werden sie in ihrem gerechten Kampf nicht alleine stehen lassen. Hauptredner Detlef Hensche nahm diesen Gedanken auf und sagte: Was auch immer sie den Schwachen unter uns antun, das tun sie uns allen an. Nunmehr gehe es auch um die Verbindlichkeit bestehender Tarifverträge im Westen Deutschlands.

Viel Beifall erhielt der Vorsitzende der IG Medien, als er es als Niederlage für die Demokratie bezeichnete, wenn das Asylrecht ausgehebelt werden sollte. Er beklagte, dass der Begriff Solidarität selten so verhunzt wurde wie im Wort Solidarpakt, hob die Rolle der Arbeitnehmer hervor (Jede Gewinnmark, jede Maschine ist von uns erarbeitet) und formulierte es bildhaft: Nicht die Geige geigt, der Geiger geigt - und das sind wir. Hensche protestierte gegen die geplante Einführung von Karenztagen. Die Gewerkschaften würden die Lohnfortzahlung auch durch Arbeitskampf verteidigen. Er forderte weitere Arbeitszeitverkürzungen, um die vorhandene Arbeit gerecht zu verteilen.

Zum Podium, auf dem unter anderen Bürgermeister Christian Ude, der Münchner SPD-Vorsitzende Hans-Günter Naumann sowie die SPD-Bundestagsabgeordneten Ulrike Mascher und Hanna Wolf standen, brandete nach der Rede heftiger Applaus. Zum Abschluss intonierte der DGB-Chor das Brüder, zur Sonne, zur Freiheit. Der Feiertag ging mit einem Familienfest mit viel Musik auf dem St.-Jakobs-Platz zu Ende.

Süddeutsche Zeitung  – Mai 17, 1993

Hanna Wolf verteidigt Frauen-Kommission

Die Bestätigung der Gleichstellungskommission für Frauen durch die Stadtratsmehrheit hat die SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) zum Anlass für eine Art Abrechnung mit dem CSU-Fraktionschef Gerhard Bletschacher genommen.

Die Kommission, in der Stadträtinnen, Frauengruppen, Vereine, Verbände und Gewerkschaften jeder politischen Couleur von schwarz bis lila vertreten sind, habe sich als kompetentes Fachgremium für Frauenfragen bewährt. Empfehlungen an den Stadtrat seien auch zu Zeiten, als die CSU noch in der Kommission vertreten war, meist einstimmig verabschiedet worden. Diese Einstimmigkeit störte Bletschacher wohl sehr. Er habe seine Frauen wohl nur abgezogen, damit er seine Obstruktionspolitik betreiben konnte, mutmaßt sie in einer Presseerklärung.

Außerdem habe Bletschacher in einer Schnüffelaktion Frauenprojekte verleumdet, die seiner Meinung nach städtische Gelder vergeudeten. Durch seinen Gesundheitsreferenten (gemeint ist CSU-Parteifreund Thomas Zimmermann, d. R.) habe Bletschacher zudem die Einrichtung einer städtischen Ambulanz für Schwangerschaftsabbrüche immer wieder torpedieren lassen und auch versucht, die Gleichstellungsstelle zu verunglimpfen. Zuletzt habe er gar von der gewählten Schulreferentin behauptet, sie habe in ihrem Leben noch keine einzige Stunde gearbeitet. tom

Frankfurter Allgemeine Zeitung  – Mai 18, 1993

Frauen trauen Frauen alles zu

Gleichstellungsbeauftragte erfinden eine ganz neue Politik der Weiblichkeit

Frauenministerin Merkel ist nach ihrer müde beklatschten Ansprache längst wieder auf dem Heimweg nach Bonn. Die Reden über Arbeitsmarktpolitik für Frauen sind gehalten. Da melden sich einzelne Gleichstellungsbeauftragte zu Wort. Auf dem Bundeskongress kommunaler Frauenbüros im Mainzer Schloss wird es mit einemmal lebendig.

"Ich komme aus dem Land Sachsen, wo die Frauen den Gebärstreik ausgerufen haben", ruft die Frauenbeauftragte aus Dresden pathetisch ins Mikrofon. Seit über drei Jahren diskutiere man gemeinsam immer so schön über die Gleichstellung der Frau, während bei ihr daheim alles kaputtgehe, was Emanzipation erst möglich macht: Kindertagesstätten, Frauenarbeit in der Industrie. Über siebzig Prozent beträgt der Anteil der Frauen an den Arbeitslosen in Ostsachsen, führt die Kollegin aus Görlitz aus - obwohl sich erheblich mehr Frauen als Männer weiterbilden. Die Meldungen aus dem Osten sind verzweifelt: Zuwendungen für Mädchenausbildungen werden gestrichen. Die Kindergärten sollen nur sechs Stunden geöffnet sein - damit werde die Berufstätigkeit der Mutter unmöglich. Systematisch verdränge man die Frauen aus dem Arbeitsleben. Beförderungen seien ihnen wegen der Doppelbelastung von Überstunden und Familie verwehrt. "Die Kinder werden immer nur den Müttern zugeschrieben; für die neue Wirtschaft haben Kinder offenbar keine Wertigkeit", schließt die Frauenbeauftragte aus Merseburg ihren Beitrag.

"Ihr habt es ja nicht anders gewollt", murmelt in den hinteren Reihen eine Kollegin vor sich hin. Und ausgerechnet zwischen den amtlich bestallten Vorkämpferinnen der Emanzipation, die doch ein gemeinsames Ziel verfolgen sollten, ist der Graben zu spüren, der dieses Land durchzieht. Eine bessere "Zusammenarbeit in der Region und der konkreten Umsetzung vor Ort" wünscht sich die Vertreterin aus dem westfälischen Lünen. In ihrem Bundesland soll endlich die "Regionalstelle der Frau und Beruf" flächendeckend eingeführt werden. Aber in der Strukturpolitik wolle eben jeder Provinzhirsch sein Projekt durchsetzen, da stehe dann die Frauenförderung hinten an. Deshalb müsse man, so eine Kollegin vom Niederrhein, "Kontakte mit dem Ministerium aufnehmen und ein Entwicklungskonzept erarbeiten".

Der Weg zur Emanzipation ist im Westen so mühselig wie je: In Erftstadt erwägt man, Gewerbegrundstücke nur noch mit Auflagen zur Frauenförderung zu vergeben. Ein Ratschlag für Bitterfeld? Im Arbeitsamt Flensburg hat die Vertreterin der ÖTV manch verbale Attacke der Kollegen zu ertragen. Empörung in Cottbus? An den westlichen Anträgen dieser neunten Bundeskonferenz von über 1200 organisierten Frauenbüros ist die Machtlosigkeit zu ermessen, neben den gesetzlichen Frauenrechten im öffentlichen Dienst einen Fuß in die Privatwirtschaft zu bekommen: Die Nordrhein-Westfalen fordern Sonderurlaub bei Erkrankung eines Kindes und neue Möglichkeiten für Teilzeitarbeit bei Beamtinnen sowie ein "Arbeitsschutzrahmengesetz". Eine der gewichtigsten Forderungen des neuen Berufsstandes: höhere Besoldung. Baden-Württemberg will die mittelbare Diskriminierung junger Mütter bei der betrieblichen Altersversorgung bekämpfen, und Schleswig-Holstein bekümmert die "Ausbildungssituation von Fachangestellten für Bürokommunikation".

Man hat es mit zwei Welten zu tun. Während im Osten die Strukturen weiblicher Beschäftigung kollabieren und während überall Hunderttausende von Familien mit - gelinde gesagt - patriarchalischen Wertvorstellungen nach Deutschland einwandern, reden die Amtsträgerinnen aus dem Westen weiter von "fehlenden Durchsetzungsstrategien", wollen endlich die Tarifkommissionen beeinflussen und fordern forsch "Antidiskriminierungsgesetze für die Privatwirtschaft". Gewiss, es steht "immer noch" schlecht um die Förderung von Frauen im Berufsleben, und eine Umfrage der Frauenbeauftragten in Wiesbadener Betrieben bestätigt das. Was aber, wenn das "immer noch" auf keine Besserung verweist und alles noch viel schlimmer kommt? Entsteht dann Frauensolidarität oder kommen Verteilungskämpfe?

Die Gleichzeitigkeit zweier ungleichzeitiger Kulturen macht die Seelenlage in Deutschland so viel bitterer als in europäischen Ländern mit noch größeren existenziellen Schwierigkeiten - im Westen etwa Großbritannien und Italien, im Osten Polen oder die Slowakei. Doch hierzulande stoßen zwei Unzufriedenheiten aufeinander: hier die gereizte Wohlstandsdemokratie, die auf ihrem scheinbar linearen Entwicklungsgang in Richtung Skandinavien rüde von der Geschichte gestippt wurde. Viele der trefflichen Frauenprojekte für Reform und Emanzipation müssen nun storniert werden, weil das Geld nach Osten fließt. Das hemmt, das ist ärgerlich. Auf der anderen Seite aber sehen Frauen, die es in ihrer abgeschotteten Gesellschaft mit der Gleichberechtigung schon weit gebracht hatten, wie auf ökonomischen Druck hin die Entlassungen an Frauen verschickt, die Krippen geschlossen werden, während die westlichen Bundesgenossinnen davon unbeeindruckt ihre symbolischen Gremienkämpfe ausfechten und von völlig überschätzten Politikern nutzlose Gesten fordern. Das ist eine Katastrophe. Von beiden Seiten in Mainz fordert die Lage einen Spagat der Gefühle: sich mit denen solidarisieren zu müssen, die man doch für die eigene Malaise verantwortlich macht.

Gerade in den vermeintlich letzten Bastionen von Aufklärung und Reform - Feminismus, Universität, Gewerkschaft - prallen die unverträglichen Ansprüche zweier Lebenswelten am harschesten aufeinander. Das neue Deutschland erweist sich als Solidargemeinschaft der Unsolidarischen. Das macht die öffentliche Rede hier so unangemessen, etwa wenn die SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf von der resignierten Versammlung so flammend wie schwärmerisch das Ende der weiblichen Geduld einklagt. Die Spitze stachelt die Basis an: "Irgendwann müsst ihr doch mal platzen. Wir wollen endlich Gesetze für die Privatwirtschaft!"

Wie auf ihren früheren Kongressen, wie auf jeder Firmen- und Parteiversammlung und wie beim deutschen Karneval haben die Frauen in Mainz ihre Versammlung aufgebaut: an den Tischen die Basis, am Pult die Rednerin, auf der Bühne der Elferrat des Vorstands. Doch durch die Ordnung zieht sich ein Riss, den das hergebrachte Ritual nicht kitten kann. Viele reden leidenschaftlich; viele hören kaum zu.

So mäandert die politische Sprache fort und fort: Bewusstsein, Strategien, Gremien, Projekte, Gesetze - während die Wirklichkeit längst aus den Formeln der westlichen Wohlstands- wie der östlichen Ideologiegesellschaft ausgewandert ist. Eine neue Lage herrscht, die alle kennen, aber die niemand beim Namen zu nennen wagt: Die reformfreudige Wohlstandsgesellschaft ist mit der behütenden Planwirtschaft gestorben. Um die Besitzstände tobt eine Verteidigungsschlacht, die im Osten früher, im Westen später an die Substanz geht.

Eine einzige Gnade ist beiden deutschen Kulturen, die die Teilung hinterlassen hat, gemeinsam: die Gnade des sehr deutschen Glaubens, jemand anderes, nur nicht man selbst, sei für die persönliche Misere verantwortlich. So wird es weitergehen: Gemeinsam fühlen sich beide deutsche Kulturen betrogen, gemeinsam fühlen sie sich unbehaglich. Sie haben einander verdient. DIRK SCHÜMER

Süddeutsche Zeitung  – Mai 29, 1993

Unterschiedliches Echo auf Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - Viele SPD-Frauen über das Abtreibungsurteil empört

Sozialministerin Hildebrandt: Rückfall ins Mittelalter / Bischofskonferenz und Mehrheit der Union begrüßen Richterspruch

Auf ein geteiltes Echo auch innerhalb der Parteien ist das Karlsruher Urteil zum Abtreibungsparagraphen 218 gestoßen. Während sich führende SPD-Politikerinnen empört über den Richterspruch äußerten, wurde bei einer Sondersitzung der Unionsfraktion am Freitag in Bonn erneut deren innere Zerrissenheit in dieser Frage deutlich. Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth sagte, die Entscheidung bedeute für die deutschen Frauen, dass sie mit einem ganz negativen Frauenbild versehen werden. Dagegen sahen sich diejenigen, die schon früher für restriktivere Regeln für Abtreibungen eingetreten waren, in ihrer Meinung bestätigt. Die CSU begrüßte das Urteil, das die Klage im nachhinein rechtfertige. Wenige Stunden nach dem Richterspruch kam es am Freitag in zahlreichen Städten zu Protestveranstaltungen. Aber auch bei den Befürworterinnen der Fristenlösung gab es Stimmen, die das Urteil positiv werteten. Die an dem zu Teilen in Karlsruhe verworfenen Gesetz wesentlich beteiligten Horst Eylmann (CDU) und Uta Würfel (FDP) verwiesen darauf, dass Frauen auch nach dem Urteil noch selbst entscheiden könnten. Es seien aber Nachbesserungen nötig. Eylmann, der auch Vorsitzender des Bundestagsrechtsausschusses ist, meinte, es sei schon ein Durchbruch, dass auf die Anwendung des Strafrechts verzichtet werden könne und ein Beratungsmodell für zulässig erklärt worden sei. Eine Zwischenstellung nahm in der Einschätzung die SPD-Schatzmeisterin Ingrid Wettig-Danielmeier ein. Das Urteil sei kein Sieg auf ganzer Linie, die Frauen hätten aber dennoch einen Fortschritt errungen, wenn es auch der Fortschritt einer Schnecke sei.

Bundeskanzler Helmut Kohl forderte alle staatlichen Organe und gesellschaftlichen Gruppen auf, das Urteil zu respektieren. Der Kanzler begrüßte, dass sich das Gericht in klarer Weise zum wirksamen Schutz des ungeborenen Lebens bekannt habe. CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble sagte mit Blick auf die massive Kritik an dem Richterspruch, es sei unerträglich, wenn in unqualifizierter Weise Urteilsschelte betrieben werde. Schäuble betonte, die überwiegende Mehrheit der Union könne sich in der Auffassung wiederfinden, dass der Schutz des Lebens Vorrang haben und die Beratung im Schwangerschaftskonflikt diesem Ziel dienen müsse. Bundesfrauenministerin Angela Merkel (CDU) wies unter anderem die Äußerung der brandenburgischen Sozialministerin Regine Hildebrandt (SPD) zurück, die von einem Rückfall ins Mittelalter gesprochen hatte. Dies sei nicht der Tenor des Urteils, sagte Merkel. Vielmehr sei die Bedeutung einer Beratung hervorgehoben worden, die zum Kind ermutigen solle. Bundesfamilienministerin Hannelore Rönsch (CDU) begrüßte, dass der Wert des ungeborenen Lebens in seiner besonderen Bedeutung hervorgehoben worden sei.

SPD-Präsidiumsmitglied Heidemarie Wieczorek-Zeul sprach dagegen von einem schrecklichen Akt der Bevormundung von Frauen. Die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Hanna Wolf, nannte den Wegfall des Krankenversicherungsschutzes entwürdigend. Der Richterspruch in Karlsruhe sei auf die Kurzformel zu bringen: Sozialstrafe statt Hilfe. Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Herta Däubler-Gmelin wandte sich gegen zu große Eile bei der gesetzlichen Neuregelung des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch.

Die stellvertretende FDP-Vorsitzende, Bundesbauministerin Irmgard Schwätzer, nannte den Spruch so ziemlich das Weltfremdeste, was ich seit langer Zeit gehört habe. Sie habe die Entscheidung mit tiefer Betroffenheit und Enttäuschung aufgenommen. Man müsse den Eindruck gewinnen, dass in Deutschland der Staat aufs neue versuche, Frauen, die selbstbestimmt leben wollten, unter Kuratel zu nehmen. Schwätzer forderte aufgrund der Entscheidung eine tiefgreifende Diskussion über die Rolle des Verfassungsgerichts. Es kann nicht sein, dass sechs Richter mit einem Federstrich zunichte machen, was die Mehrheit des Parlaments und des Volkes wünscht, sagte sie. Der Vizeregierungschef von Mecklenburg-Vorpommern, Sozialminister Klaus Gollert (FDP), nannte den Spruch des Gerichts niederschmetternd für die Frauen dieses Landes.

Marianne Birthler, Vorstandssprecherin von Bündnis 90/Grüne, sagte: Das Urteil übertrifft meine schlimmsten Erwartungen. Die den Grünen angehörende niedersächsische Frauenministerin Waltraud Schoppe sprach von einer Sauerei. Die PDS-Abgeordnete Petra Bläss sah in dem Richterspruch Zeichen einer reaktionären Wende in diesem Land. Die ÖTV-Vorsitzende Monika Wulf-Mathies forderte Gewerkschaftsmitglieder zu Aktionen gegen den Entscheid auf.

Die Katholische Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) begrüßten den Spruch, mit dem das Lebensrecht des ungeborenen Kindes gestärkt werde. Der wahre Gewinner ist der Mensch, erklärte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Mainzer Bischof Karl Lehmann.

Süddeutsche Zeitung  – Juni 12, 1993

Heidemarie Wieczorek-Zeul kämpft um Parteivorsitz - Eine Frau will es jetzt wissen. Im Hofbräuhaus letzte Vorstellung vor der SPD-Abstimmung

Von Berthold Neff

Viermal reckt Heidemarie Wieczorek-Zeul die rechte Hand zur Siegerpose. Dann lässt sie diese Bewegung sofort in ein Winken übergehen, als hätte sie Angst vor ihrer eigenen Courage, als wäre die Geste zu männlich, zu martialisch gewesen. Auch den lebhaften Beifall, der ihr im Hofbräuhaus-Festsaal entgegenbrandet, kostet sie nicht bis zur Neige aus, sondern setzt sich schon nach kurzer Zeit wieder an den Tisch auf dem Podium. Sind das die äußeren Kennzeichen der neuen Politik, die sie innerhalb der SPD verkörpern will? Vor rund zwanzig Jahren hat sie in München einen ihrer größten Siege gefeiert. Damals jedoch, als die rote Heidi zur Juso-Vorsitzenden gewählt wurde, war sie die einzige Kandidatin. Das ist sie jetzt auch im Rennen um den Parteivorsitz, das morgen mit der Abstimmung in den SPD-Ortsverbänden zu Ende geht: die einzige Frau nämlich, die es mit Gerhard Schröder und Rudolf Scharping aufnimmt.

Letzterer hatte seine Visitenkarte bereits drei Tage zuvor in München abgegeben und dabei so viele Interessenten in den Pschorr-Keller gelockt, dass sich der Schäfflersaal mit seinen 300 Plätzen als viel zu klein erwies. Zum Vorsingen der Kandidatin sind zwar auch etwa 300 Zuhörer erschienen, aber weil in dem großen Saal nahezu jeder zweite Platz leer bleibt, will schon allein deshalb keine rechte Stimmung aufkommen. Ein Handicap ist andererseits aber auch, dass der Saal schon nach zweieinhalb Stunden geräumt sein muss, wie Diskussionsleiter Peter Glotz zu Beginn verkündet - Rudolf Scharping durfte vier Stunden bleiben.

Heidemarie Wieczorek-Zeul erklärt, warum sie nicht - wie Schröder - zugleich Anspruch auf die SPD-Kanzlerkandidatur erhebt: Einer allein kann es nicht schaffen. Gerade bei ihr als Frau stehe jedoch Teamarbeit hoch im Kurs: Mit denen, die antreten, kann ich gut kooperieren. Das bundespolitische Profil der Sozialdemokratie müsse in Bonn geprägt werden. Ein Vorsitzender, dessen Kraft durch Landespolitik und regionale Egoismen geschmälert werde, sei schlecht für die SPD: Wir sollten eine gestaltende Partei bleiben und nicht nur vor der Wahl die Kraft der Mitglieder mobilisieren.

Fünf große Aufgaben würde sie als Parteivorsitzende angehen: die Arbeitslosigkeit bekämpfen, den Umweltschutz vorantreiben, den Sozialstaat verteidigen, eine frauen- und kinderfreundliche Gesellschaft schaffen und eine neue Außenpolitik formulieren. Sie fordert preiswerten Wohnraum für Normalverdiener, die Pflegeversicherung ohne Karenztage oder gestrichene Feiertage und Bekämpfung der Steuerhinterziehung statt Schnitte ins soziale Netz.

Sie trägt dies so vor, dass man es gut versteht, aber eine Woge der Begeisterung kommt im Publikum nicht auf. Rhythmisches Klatschen ertönt erst, als sie Kohls Fernbleiben von der Trauerfeier für die Mordopfer von Solingen schofel nennt und als eine Art Signal für Rechtsextreme bezeichnet, das deren Handeln gleichsam entschuldige.

Die SPD-Prominenz im Publikum ist rar gesät. Bewundernswert die Energie, mit der Josef Felder, Ehrenvorsitzender der bayerischen SPD und so alt wie dieses Jahrhundert, dem Vortrag und der Diskussion folgt. Neben den SPD-Stadträtinnen Gertraud Burkert und Christl Purucker-Seunig sind die Bundestagsabgeordneten Ulrike Mascher (bündelte die auf Zetteln eingereichten Fragen zu Themen) und Hanna Wolf erschienen; die Münchner SPD ist durch die stellvertretenden Vorsitzenden Ingrid Anker und Stefanie Jahn vertreten.

Nach sieben Fragen aus dem Publikum beschwört die Kandidatin noch einmal alle Mitglieder, möglichst viele Genossen in den Ortsvereinen zu mobilisieren, damit eine engagierte Frau eine Chance hat. Peter Glotz lobt, sie habe sich gut geschlagen und wünscht ihr viel Glück. Danach bricht durch die schwüle Münchner Luft, was der SPD offenbar noch bevorsteht: ein klärendes Gewitter.

MORGEN wird sich entscheiden, wie hoch Heidemarie Wieczorek-Zeul in der Gunst der SPD-Mitglieder steht.

Süddeutsche Zeitung  – Juni 16, 1993

Hanna Wolf: Aus A99 West keine Autobahn machen

Das Festhalten der bayerischen CSU am Autobahnmäßigen Ausbau der A99 West stößt bei Hanna Wolf, SPD-Bundestagsabgeordnete und stellvertretendes Mitglied im Verkehrsausschuss, auf Unverständnis. In Zeiten knappen Geldes sei der preiswertere Ausbau als Bundesstrasse im Münchner Westen sinnvoller. Freiham, eine der letzten Siedlungsflächen der Landeshauptstadt, wäre damit an den Verkehr angebunden, aber nicht zerstückelt. Die eingesparten Bundesmittel könnten nach Meinung von Wolf in den dringenderen Ausbau der S-Bahn investiert werden. Dagegen fordert Wolf die bayerische Regierung auf, den Bau des Tangentenanschlusses der A 99 Nord bis zur Stuttgarter Autobahn sofort in Angriff zu nehmen. blu

Süddeutsche Zeitung  – Juli 10, 1993 Leserbrief

Zusammenfassung antifeministischer Vorurteile

Der Autorin sei Dank für die praktische Kurzzusammenfassung aller antifeministischen Vorurteile. Sie seien jedoch mit zwei noch kürzeren Bemerkungen entkräftet:

1. Die Tatsache, dass nur ein verschwindender Prozentsatz der Frauen in Führungspositionen zu finden sind, liegt sicherlich nicht daran, dass Frauen in eben diesem Masse unqualifizierter sind als Männer. Diese Interpretation dürfte die Autorin wohl nicht beabsichtigt haben.

2. Die Autorin führt sehr richtig an, dass für die Frauen der Hemmschuh - jedoch nicht der einzige - der Mangel an Kinderbetreuungsplätzen ist. Warum sie jedoch vermutet, dafür setzten sich Feministinnen nicht ein, ist mir nicht nachvollziehbar. Wir kämpfen jedenfalls seit unzähligen Jahren u. a. für qualifizierte professionelle Betreuungsmöglichkeiten für alle Kinder. Ihre Kritik sollte die Autorin lieber an die konservativen Familienpolitiker richten, die Kinderbetreuungsmöglichkeiten höchstens als kompensatorische Maßnahme sehen, gewisse Kinder vor der Verwahrlosung zu bewahren, der sie wegen ihrer Rabenmütter ausgesetzt zu sein scheinen.

Um aber die entsprechenden Mehrheiten für die Durchsetzung dieser wichtigen frauenpolitischen Forderung zu bekommen, brauchen wir wiederum die vielgescholtene Quote. Die Antwort auf die Frage, warum kinderlose Frauen auch nicht recht viel mehr vorwärtskommen, ist die Autorin schuldig geblieben. Das ist wohl auch der Unterschied zwischen einem Pamphlet und einer politischen Analyse.

Hanna Wolf, MdB, Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion für Frauen und Jugend Alte Allee 2 81245 München

Süddeutsche Zeitung  – Juli 10, 1993

Schmidt: Umzug legt Institut lahm

Absolut unerträglich ist für die Bundestags-Vizepräsidentin und SPD Landesvorsitzende Renate Schmidt die Verlegung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr München nach Strausberg (Brandenburg). Die Planung bedeute für das Institut eine schwere Beeinträchtigung seiner Arbeitsfähigkeit, wenn nicht sogar seine Zerschlagung, meinte Frau Schmidt, die das Institut in der Winzererstrasse besucht hatte und von ihren Begleiterinnen, den beiden Bundestagsabgeordneten Hanna Wolf und Ulrike Mascher, darin bestärkt wurde. rr

Frankfurter Allgemeine Zeitung  – Juli 21, 1993

Positionen zur Abtreibung

Ein neuer Gruppenantrag? / Die Haltung der CSU

Die Verhandlungen zwischen den Parteien darüber, welche Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Paragraphen 218 zu ziehen seien, werden offenbar schwieriger als zunächst erwartet. Die SPD-Abgeordnete Ulla Schmidt warf am Dienstag der Union vor, das Urteil "möglichst extensiv zu Lasten der Frau" auszulegen. Frau Schmidt, die einer "Querschnittsarbeitsgruppe" der SPD-Bundestagsfraktion zur Frauenpolitik vorsteht, kritisierte einen Beschluss des CSU-Parteivorstands, in dem mehrere strafbewehrte Vorschriften für das neu zu formulierende Beratungsgesetz gefordert werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte Ende Mai entschieden, ein Schwangerschaftsabbruch sei grundsätzlich rechtswidrig, könne aber straffrei sein. Die Kosten seien von den Betroffenen zu tragen. Die Krankenkassen dürften nur zahlen, wenn die Abtreibung medizinische Gründe habe. Nach dem Urteil hatten die Fachleute der Bundestagsfraktionen erste "Sondierungsgespräche" geführt. Zu Detailverhandlungen ist es dabei nicht gekommen. In der Sommerpause wollen die Fraktionen ihre Vorschläge bündeln. Nach den Vorstellungen der SPD können die eigentlichen Verhandlungen dann im September beginnen. Frau Schmidt versicherte, die Initiatoren des "Gruppenvorschlages" aus SPD, FDP und von Teilen der CDU wollten wieder einen gemeinsamen Gesetzentwurf vorlegen; dieses Bündnis hatte vor einem Jahr den später vom Verfassungsgericht verworfenen Gesetzentwurf (Fristenregelung mit Beratungspflicht) formuliert und im Bundestag durchgesetzt. Mit Blick auf die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Unionsfraktion sowie zwischen Union und FDP sagte Frau Schmidt, auch bei den bevorstehenden Beratungen werde es "keine Regierungsmehrheit" geben. Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Würfel habe gesagt, der Gesetzentwurf solle gemeinsam mit der SPD formuliert werden. Doch gibt es bei der SPD offenbar Zweifel an der Stabilität dieses Bündnisses. Bei der Entscheidung im vergangenen Jahr sei grundsätzlich um Fristenregelung oder Indikationsregelung gestritten worden. Nun gebe es eine andere "Gefechtslage".

In dem CSU-Beschluss werden "strafbewehrte Vorschriften über die Pflichten des einen Schwangerschaftsabbruch vornehmenden Arztes" gefordert. Der Arzt müsse sich die Gründe der Frau darlegen lassen und sich ein "eigenständiges Urteil" darüber bilden, ob er den gewünschten Abbruch verantworten könne. Das Betreiben "reiner Abtreibungskliniken oder Ambulanzen" sei zu verbieten; der Anteil der Schwangerschaftsabbrüche an den insgesamt vorgenommenen "ärztlichen Verrichtungen" solle begrenzt werden. Die CSU forderte "strafbewehrte Verhaltensgebote und -verbote für das familiäre Umfeld". Wer eine Frau zum Schwangerschaftsabbruch dränge oder sie in Kenntnis der Schwangerschaft in eine Notlage bringe, "soll ebenso bestraft werden wie derjenige, der der Schwangeren den ihm zumutbaren Beistand in verwerflicher Weise vorenthält". Die Meldepflicht für Schwangerschaftsabbrüche müsse wieder eingeführt werden. Die CSU plädierte für ein bundeseinheitliches Beratungsgesetz, in dem Ziel, Aufgaben und Durchführungsregelungen festgelegt seien.

Frau Schmidt und die SPD-Abgeordnete Hanna Wolf kündigten an, die SPD werde einen Gesetzentwurf ablehnen, der Strafandrohungen für die beteiligten Ärzte und Berater vorsehe. Frau Wolf sagte, über das Beratungsgesetz dürfe nicht "durch die Hintertür" die Indikationsregelung wieder eingeführt werden.

Süddeutsche Zeitung - September 14, 1993

Erster Entwurf für einen neuen Paragraphen 218 - FDP will ungeborenes Leben besser schützen. Die Liberalen schlagen vor einer Abtreibung eingehende Beratung der Schwangeren vor

Den Schutz des ungeborenen Lebens will die FDP-Bundestagsfraktion in einem Entwurf für die Neufassung des Paragraphen 218 stärker als bisher hervorheben. Vorgeschlagen wird eine ausführliche Beratung der Schwangeren in einer anerkannten Stelle nahe dem Wohnort. Die FDP zieht damit die Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai, nach dem das im Juni 1992 vom Bundestag beschlossene Abtreibungsrecht nachgebessert werden muss. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Uta Würfel sagte in Bonn, ihre Fraktion strebe an, die Änderung der Strafgesetzbuch-Paragraphen 218 und 219 bis zum Jahresende im Bundestag zu verabschieden.

Die FDP-Abgeordneten Rainer Funke und Gerhart Rudolf Baum kündigten an, die FDP werde für den Entwurf in der Koalition werben. Es fänden auch Gespräche mit den Befürwortern des früheren Gruppenantrags zur Fristenlösung statt. Die parteiübergreifende Entscheidung des Bundestags, die einen Schwangerschaftsabbruch innerhalb einer Drei-Monats-Frist erlaubt hätte, war vom Bundesverfassungsgericht beanstandet worden. Das Gericht hatte gerügt, dass im Gesetz diese Fristenregelung nicht für rechtswidrig erklärt worden war.

Wie vom Verfassungsgericht verlangt, sieht der FDP-Entwurf nun den Tatbestandsausschluss vor. Danach gilt eine Abtreibung zwar in jedem Fall als rechtswidrig, von einer Bestrafung der Beteiligten wird aber unter bestimmten Bedingungen abgesehen. Frau Würfel erläuterte, das Recht sieht weg, wenn mindestens drei Tage vor einer Abtreibung in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen eine Beratung stattgefunden habe. Der Abbruch müsse vom Arzt auf ausdrückliches Verlangen der Schwangeren ausgeführt werden. Vor dem Eingriff habe sich der Arzt nochmals die Gründe für den Abbruch darlegen zu lassen.

Nach dem Gesetzentwurf der FDP muss das Beratungsgespräch zum Ziel haben, das Leben des ungeborenen Kindes zu schützen. Dennoch solle es ergebnisoffen geführt werden, erläuterte Uta Würfel. Nach dem Willen der FDP soll die abtreibungswillige Schwangere sich anonym beraten lassen können. Beratungsstellen von verschiedenen Trägern müssen nach dem Gesetzentwurf wohnortnah eingerichtet werden. Die Beratungsstellen sollten eng mit den lokalen Hilfseinrichtungen zusammenarbeiten, um Frauen zu unterstützen, die ihr Kind austragen wollen. Die FDP schlägt vor, dass die Landessozialämter sozial Bedürftigen den Schwangerschaftsabbruch bezahlen, um Schwangeren den Gang zum Sozialamt der Gemeinde zu ersparen. Familienangehörige oder Väter sollten bestraft werden können, wenn sie eine Schwangere hartnäckig zum Abbruch drängen oder notwendige Hilfe verweigern. Die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Hanna Wolf, sagte, der FDP-Entwurf ziele tendenziell in die richtige Richtung.

Süddeutsche Zeitung - Oktober 19, 1993

Waigels Sparpläne lösen Bestürzung aus - Alles wird zusammenbrechen. Wohlfahrtsverbände können Einsatz der Zivildienstleistenden nicht allein finanzieren

Von Christian Schneider

Einen Sturm der Entrüstung bei den Wohlfahrtsverbänden und Pflege-Initiativen haben die Kürzungsabsichten von Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) im Zivildienstes-Bereich ausgelöst.

Wenn die Bundesregierung nicht doch noch von ihren Einsparungsplänen abrücke, werde es Hilfeleistungen, die für viele Menschen lebensnotwendig sind, nicht mehr geben, warnte Reinhard Kirchner vom Landesverband Hilfe für Behinderte am Montag auf einem Hearing, zu dem die bayerische SPD-Landesgruppe im Bundestag Vertreter der Wohlfahrtsverbände und Hilfsorganisationen eingeladen hatte. Die vorgesehenen Kürzungen Bonns, so war die einheitliche Meinung der Verbände, seien ein zynischer Umgang mit alten und behinderten Menschen. Das Waigel-Konzept sieht vor, dass die Wohlfahrtsverbände, die Zivildienstleistende beschäftigen, künftig neben den Kosten für die Unterkunft, Verpflegung und Kleidung, die sie jetzt schon tragen müssen, auch noch den Sold, besondere Zuwendungen und das Entlassungsgeld übernehmen müssten. Nach ersten Schätzungen kämen dabei auf die Wohlfahrtsverbände und Hilfsorganisationen allein in Bayern rund 30 Millionen Mark an Mehrbelastung pro Jahr zu. Wir sehen keine Möglichkeiten, dieses Geld selbst aufzubringen oder von anderer Seite zu bekommen, betonte Reinhard Kaisinger vom Diakonischen Werk Bayern, denn auch die Kassen der Bezirke und Kommunen, die als Sozialhilfeträger für die Ersatzfinanzierung der Zivis in Frage kämen, seien leer.

Trügerische Hoffnung Bei den Wohlfahrtsverbänden geht man davon aus, dass von den rund 13 000 Zivildienststellen im Pflege- und Sozialbereich in Bayern etwa 40 Prozent akut gefährdet sind. Das heißt im Klartext: Caritas, Diakonie, Arbeiterwohlfahrt (AWO), Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband (DPWV) und Bayerisches Rotes Kreuz (BRK) müssten auf etwa 5200 Zivildienstleistende verzichten. Betroffen wären Alten- und Pflegeheime ebenso wie Kindertageseinrichtungen und auch ambulante Dienste. Es wird alles zusammenbrechen, prophezeite Joachim Wiedermann vom Caritas-Landesverband. Reinhard Kirchner von der Hilfe für Behinderte meinte, die Hoffnung der Politiker, dass es trotz Einsparungen irgendwie schon weitergehen werde, sei trügerisch, wir werden den Offenbarungseid leisten müssen.

Konkret bedeutet das drastische Einschränkungen bei ambulanten Hilfen - also Einschränkungen bei Essen auf Rädern, weniger Betreuung für Rollstuhlfahrer und auch für Behinderte, die daheim untergebracht sind. Dies wiederum wird nach Überzeugung der Verbands-Experten zu der kontraproduktiven Folge führen, dass viele Pflegefälle und Behinderte wieder in - teuren - stationären Einrichtungen untergebracht werden müssen, wo dann aber auch, dank der Bonner Sparpläne, deutlich weniger Personal zur Verfügung steht.

Dies wiederum werde insgesamt zu weiteren Belastungen des Pflegepersonals führen, was schließlich auch mit einer Abwertung der Pflegeberufe verbunden sei. Claus Fussek vom DPWV nannte es unerträglich, wie die Bundesregierung mit dem Lebensgefühl von Alten, Pflegebedürftigen und Behinderten umgehe. Er sprach von zunehmenden Fällen, wo Betroffene überlegten, Schluss zu machen.

Wenn die Sparpläne Waigels Realität werden, wird es für viele alte Menschen ein bitteres Erwachen geben, fasste die SPD-Bundestagsabgeordnete Ulrike Mascher das Ergebnis des Hearings zusammen. Ihre Parlaments-Kollegin Uta Titze ergänzte, man müsse wohl davon ausgehen, dass dann in manchen Orten auf dem Land alles flachfallen wird. Die Abgeordnete Hanna Wolf warf der Bundesregierung vor, sie verletzte ihre Fürsorgepflicht. Da der Zivildienst Teil der allgemeinen Wehrpflicht sei, müsse der Bund die Kosten dafür ebenso selbst bezahlen wie er das beim Sold für Soldaten tü. Einsparungsmöglichkeiten bis zu 20 Prozent im Zivildienst sieht die SPD, wenn die Dauer des Ersatzdienstes auf die gleiche Länge gekürzt würde, wie sie beim Wehrdienst üblich ist.

Süddeutsche Zeitung - Oktober 29, 1993

Neuaubinger Dasa-Mitarbeiter wehren sich gegen Werksschließung - Airbus Bauer wollen nicht fliegen. Konzernvorstand bleibt knallhart - Finanzminister Waldenfels bietet Geldspritze an

Von Frank Müller

Neue Hoffnung für die von der Werksschließung bedrohten 1200 Neuaubinger Dasa Mitarbeiter - oder auch nicht. Während Finanzminister Georg von Waldenfels (CSU) gestern bei einer Betriebsversammlung Finanzspritzen des Freistaats in Aussicht stellte, verteidigte Konzern-Vorstandsmitglied Hartmut Mehdorn die angekündigten Entlassungen als unumgänglich. Die fast vollständig erschienene Belegschaft quittierte dies mit einem Pfeifkonzert. Waldenfels kündigte eine neue Initiative für die heutige Dasa-Aufsichtsratsitzung in der Ottobrunner Konzernzentrale an: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Der Betriebsrat bot eine Vier-Tage-Woche an.



Wenn es am Geld liegt, dann werden wir unsere Kassen aufmachen, sagte Waldenfels. Als Voraussetzung verlangte der Finanzminister ein gemeinsames Konzept von Vorstand, Belegschaft und Landesregierung für die Rettung des Neuaubinger Betriebs. Waldenfels: Dann kommt es auf die eine oder andere Million nicht an.

Bayern hält 8,58 Prozent an der Daimler-Tochter. Die Dasa will die Neuaubinger Filiale sowie das Werk in Bremen-Lemwerder und vier weitere Zuliefer-Standorte schließen. In München wären 1161 Mitarbeiter betroffen. Waldenfels, der selbst im Aufsichtsrat sitzt, zeigte sich von den Konzernplänen überrascht und kündigte harte Verhandlungen an. Die gesamte Belegschaft will die Aufsichtsratsitzung am Freitag mit einer Protestdemonstration begleiten.

Dasa-Vorstandsmitglied Mehdorn, zugleich Chef der Deutschen Airbus, warnte allerdings vor übertriebenen Hoffnungen. An den Stillegungen und Entlassungen führe kein Weg vorbei, sagte er. Der Luft- und Raumfahrtkonzern will bundesweit bis 1996 16 000 von insgesamt 80 000 Arbeitsplätzen streichen. Mehdorn begründete dies mit einem für heuer zu erwartenden Betriebsverlust von 800 Millionen Mark nach 341 Millionen Mark im Vorjahr. Auch im kommenden Jahr werde die Dasa starke Verluste verkraften müssen, sagte Mehdorn, begleitet von einem heftigen Pfeifkonzert, auf der Betriebsversammlung.

Franz Josef würde kämpfen Der Betriebsrat warf der Konzernspitze erneut vor, ohne Not ein konkurrenzfähiges Werk platt machen zu wollen. Es gebe eine ganze Anzahl von Alternativen zur Schließung, darunter auch die Vier-Tage-Woche nach dem Vorbild von VW, sagte der Betriebsratsvorsitzende Horst Kowalczyk. Der Dasa Vorstand habe ebenso versagt wie Daimler-Benz-Chef Edzard Reuter. Die Stimmung in der Belegschaft sei kämpferisch, sagte der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Fritz Roithmeier zur SZ. Auf einem Transparent wurde der frühere Ministerpräsident Strauss mit den Worten Franz Josef würde für uns kämpfen zurückgewünscht.

Die SPD-Bundestagsabgeordnete im Münchner Westen, Hanna Wolf, fragte unterdessen die Bundesregierung nach den in der Vergangenheit ausgezahlten Bonner Subventionen für die Airbus-Industrie. Auch die Frage, welche Zulieferbetriebe wie stark von den Schließungsplänen betroffen wären, will Hanna Wolf beantwortet haben. Die SPD-Bundestagsfraktion beantragte für die zweite Novemberwoche eine aktuelle Stunde zur Situation der Luft- und Raumfahrtindustrie.

Süddeutsche Zeitung - November 10, 1993

Mandatsträger der Münchner SPD vermuten: DASA-Vorstand will Grundstück verkaufen. Bundesregierung fehlende Wirtschaftskompetenz vorgeworfen - Ude schreibt an Stoiber

Von Christine Burtscheidt

Die Münchner SPD kann die geplante Schließung des Deutschen Aerospace (DASA) Werks in Neuaubing nicht nachvollziehen. Bei einem Besuch der Niederlassung und einem ausführlichen Gespräch mit Vertretern des Betriebsrats seien die örtlichen Mandatsträger zu dem Schluss gekommen, dass sich der DASA-Vorstand nicht nur wegen enormer Umsatzrückgänge zu der Stillegung entschlossen habe, heißt es in einer SPD-Pressemitteilung. Vielmehr vermuten die Sozialdemokraten, dass das Unternehmen möglicherweise daran gedacht habe, das Grundstück zu verkaufen, da es sicherlich einen erheblichen Veräußerungsgewinn verspräche. Kritisiert wird zudem, dass Vorschläge von Seiten des Betriebsrats zur Lösung der akuten Probleme des Werks nicht aufgenommen worden seien, darunter die Rücknahme der 40-Stunden-Woche-Verträge, die Einführung einer Arbeitszeitverkürzung, der stufenweise Übergang in den Ruhestand sowie Freistellungsmodelle für längere Arbeitsunterbrechungen. Keineswegs zufrieden gibt sich auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf mit den Antworten der Bundesregierung auf ihre Anfragen zu den Massenentlassungen bei DASA. So habe die Regierung lediglich über den Zeitraum von 1989 bis 1992 Auskunft darüber geben können, wie viel Steuergelder in jeden einzelnen Arbeitsplatz bei DASA gesteckt worden seien, erklärt die SPD-Frau in einer erneuten Pressemitteilung. Die Entwicklungskostenzuschüsse belaufen sich demnach pro Arbeitsplatz auf rund 25 000 Mark, heißt es weiter. Dabei sei die Zahl der Arbeitsplätze von 17 870 auf 22 309 aufgestockt worden. Nach Informationen der Bundesregierung wolle DASA allerdings diese neugeschaffenen Stellen bis 1996 auf 16 368 wieder reduzieren.

Die Bundestagsabgeordnete kritisiert grundsätzlich, dass die Regierung offensichtlich keinen Zusammenhang zwischen ihren Zahlungen an die DASA und einer daraus resultierenden Verantwortung für das Gemeinwohl sehe, und folgert: Das Wirtschaftsministerium ist offenbar ohne Wirtschaftskompetenz. Zumindest habe es sorglos Zuschüsse gewährt und selbst weder in der Vergangenheit noch jetzt eine Konzeption für die zivile Luftfahrt angeboten.

Oberbürgermeister Christian Ude steht der Werkschließung nicht minder kritisch gegenüber. In einem Brief an Ministerpräsident Edmund Stoiber warnt er vor den Folgen: In Gefahr seien nicht nur die 1.161 Arbeitsplätze, sondern auch die Existenz von über 600 Lieferanten. Um die Luftfahrtindustrie als innovative Branche in Bayern zu halten, sei er jederzeit bereit, sich an einer gemeinsamen Suche nach Lösungen zu beteiligen.

Schriftlich fragt Ude zudem beim DASA-Vorstandsvorsitzenden Jürgen E. Schrempp an, warum das Werk gerade dann seine Tore dicht machen solle, wenn mit einer Stabilisierung der Branche zu rechnen sei. Auch verstehe er nicht, warum DASA unlängst noch in das Werk investiert und im Oktober Interesse an den umliegenden Flächen gezeigt habe, jetzt aber von einer Schließung spreche.

Süddeutsche Zeitung - November 18, 1993

SPD zu 75 Jahren Frauenwahlrecht - Von wegen Gleichberechtigung. Wählerinnen sollen für Kandidatinnen stimmen

Von Anja Pülsch

Die Frauenpolitikerinnen der bayerischen SPD sehen die Gleichberechtigung der Geschlechter in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft noch lange nicht verwirklicht. Bei einem Pressegespräch der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen Bayern und der SPD-Landtagsfraktion erinnerten sie daran, dass der Freistaat vor 75 Jahren das Wahlrecht für Frauen einführte, diese aber bis heute nicht gleichermaßen am politischen Leben beteiligt seien. Die SPD-Vertreterinnen forderten die Wählerinnen auf, im kommenden Wahljahr vorrangig Frauen ihre Stimme zu geben, um besser repräsentiert zu werden. Uschi Pausch-Gruber, Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, berichtete, dass die bayerischen Kandidatinnen für den Bundestag und den Landtag abermals stark in der Minderheit seien, weil sie massiv ausgegrenzt würden und es schwerer hätten, sich durchzusetzen. An der Basis hingegen leisteten Frauen etwa als Ortsvereinsvorsitzende viel Arbeit.

Damit Frauen in Politik und Wirtschaft leichter aufsteigen könnten, müssten ihre Rechte stärker in der Verfassung verankert werden, erläuterte Maria Breithaupt vom Juristinnenbund in Bayern. Unter anderem soll das Grundgesetz festschreiben, dass das Parlament zur Hälfte aus weiblichen Abgeordneten besteht. Als weitere Möglichkeit, Frauen mehr in der Politik zu berücksichtigen, nannte Maria Breithaupt den Volksentscheid.

Die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Hanna Wolf, ging besonders auf die Benachteiligung von Frauen im Arbeitsleben ein. Ihre Fraktion befürworte die bevorzugte Einstellung von Bewerberinnen bei gleicher Qualifikation und Sanktionen bei Diskriminierung von Frauen.

In Bayern kämpft die SPD nach den Worten ihrer frauenpolitischen Sprecherin Monica Lochner-Fischer insbesondere um eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung, ein größeres Angebot der Kinderbetreuung und das Recht auf einen Kindergartenplatz. Zudem müsse ein Landesgesetz verhindern, dass Kommunen Gleichstellungsstellen und Frauenbeauftragte einfach streichen.

Die frauenpolitische Sprecherin der CSU-Landtagsfraktion, Anneliese Fischer, hat der SPD unterdessen eine einseitige Verdrehung der Tatsachen vorgeworfen. Die CSU habe den Ehrgeiz, tatsächlich Betreuungsplätze zu schaffen. Die SPD dagegen gaukele den Menschen nur vor, dass allein durch die gesetzliche Festschreibung eines Kindergarten-Anspruchs irgend etwas erreicht werden könne. Auch für den selbstgestellten Anspruch auf Gleichstellung bei der Mandatsvergabe müssten die SPD-Frauen unterdessen eine Bankrott-Erklärung abgeben.

Focus Magazin - November 22, 1993

SCHEIDUNG: Im Würgegriff der Ex-Frau

Marika Schärtl

Jetzt wurde Langner arbeitslos und hat keine Lust, sich wieder unter die Werktätigen einzureihen: "Ich bin der Zahlsklave meiner Ex, vom Staat entmündigt. Haus und Kinder habe ich verloren. Wozu noch arbeiten?"

Der Sauerländer Fritz Nill, 87, trat im September '93 nach sieben Jahren später Ehe vor den Scheidungsrichter. Seiner 74jährigen Ehemaligen, die ihn wegen eines anderen verließ, muss der blinde Ex-Baggerführer 1100 Mark monatlich von seiner Schwerbehindertenrente abgeben. Für die nötige Putz- und Pflegehilfe hofft er jetzt auf einen Zuschuss vom Staat. Der gehörnte Rentner versteht die Welt nicht mehr: "Bin ich denn nicht mehr lebensberechtigt?" Fußballstar Thomas Doll, 27, zwei Millionen Mark Jahresverdienst, zahlt 4000 Mark Unterhalt im Monat für seine Ex und Töchterchen Denise. Wenn die Kleine 14 ist, gibt's keinen Pfennig mehr. Doll war schlau: Kurz vor der Scheidung ließ er seine Frau einen Ehevertrag unterschreiben, in dem sie auf weitere Ansprüche verzichtete.

Der Berliner Günter W., 39, zahlt gar nichts. Als er im Oktober '92 seine Familie verließ, schloss er kurzerhand sein florierendes Vermögensberaterbüro und zog zu den Eltern. Vom eingeklagten Unterhalt sah seine Ex bis heute keine Mark.

Der Krieg ums Geld zwischen Geschiedenen wird immer härter. Bei 90 Prozent der Scheidungsfälle in zweiter Instanz vor den Oberlandesgerichten, so Siegfried Willutzki vom Deutschen Familiengerichtstag, wird um den Mammon gestritten.

Denn die Männer rebellieren. In Zeiten, in denen das Gespenst Rezession jedem um die Ohren pfeift, feilschen die Deutschen um jede Mark für Ehegatten- und Kindesunterhalt. Mitunter aus Rache, immer öfter aus Not. "Die Geldmittel der meisten Ehemänner reichen nicht aus, um aus einem Haushalt zwei zu finanzieren", weiß Willutzki, "bei 85 Prozent der Geschiedenen liegt die Finanzmasse unter oder knapp über dem Existenzminimum."

Nicht nur für Scheidungswaisen und ihre Mütter ist die staatliche Hilfe oft die letzte Rettung. Auch die Zahl der Männer, denen der peinliche Gang zum Sozialamt nicht erspart bleibt, nimmt drastisch zu.

Wachsende Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und Wuchermieten in den Großstädten treiben immer mehr geschiedene Väter in den Ruin. Zwei Millionen Männer erhielten 1991 Sozialhilfe (1,7 Millionen Frauen mit Kindern). Die Zahl der Scheidungsopfer unter ihnen ist beträchtlich.

Scheidung macht arm. "Geschieden wird heute ohne Rücksicht auf Verluste", sagt der Münchner Scheidungsanwalt Hermann Messmer, "leisten können es sich aber allmählich nur noch Reiche oder Doppelverdiener." Messmer prophezeit die Verelendung der Scheidungs-Gesellschaft: "Wir werden ein Volk von sich finanziell selbst amputierenden Ehekrüppeln."

Jede dritte Ehe zerbricht. 130 000 Scheidungen pro Jahr. Seit der Abschaffung des Schuldprinzips 1986 geht in 60 Prozent der Fälle die Initiative von den Frauen aus. In die Tasche greifen müssen aber immer noch zu 95 Prozent die Männer.

Das Durchschnittseinkommen einer nichtberufstätigen Geschiedenen mit zwei Kindern beträgt 2500 Mark, schätzt Anwalt Messmer. Dem Exmann verbleiben im Schnitt 1500 Mark im eigenen Beutel.

Der soziale Abstieg nach der Scheidung ist vorprogrammiert. Der Upperclass -Bürger muss den Porsche gegen einen Golf tauschen, den Golf-Bag gegen einen Tennisschläger. Zehn Prozent der Männer, so Messmer, gleiten ab ins Asoziale.

Ein klägliches Dasein zwischen Mini-Appartement, Schuldenberg aus Anwaltskosten und Unterhaltsrückständen und einem Lifestyle auf Studentenniveau fristet das Heer der geschiedenen Durchschnittsverdiener.

Einen monatlichen Kinobesuch, Futter fürs Aquarium und ein paar Computerzeitschriften leistet sich Josef Langner: "Und jetzt soll ich den Gürtel noch enger schnallen?"

Der Unterschlupf bei einer neuen Partnerin ist da bei manchen Männern der willkommene Rettungsanker, oft mehr aus materiellen denn amourösen Motiven.

Wer sich jedoch zusätzlich zur Ex-Familie eine Neu-Ehe aufhalst, muss die finanzielle Last selbst ausbaden: Ein BGH-Grundsatzurteil von 1987 erklärt ausdrücklich, dass die Zweitfrau notfalls vom Existenzminimum oder von Sozialhilfe zu leben hat. Die Unterhaltspflicht gegenüber der Erstfamilie steht an erster Stelle.

"Ich hab' doch keine Perspektive mehr", sagt Oberarzt Helmut Hoyme bitter, der für seinen 14jährigen Sohn sowie die Ex-Frau knapp 3000 Mark monatlich überweisen muss, obwohl er für belegbar glaubt, dass seine Geschiedene von Schwarzarbeit ganz einträglich lebt. "Ich habe mich aus einer Arbeiterfamilie hochgeschuftet, und jetzt werde ich bis ans Lebensende kleingehalten."

Der "Diskriminierung fleißiger Männer" will Hoyme mit dem Marsch vor das Bundesverfassungsgericht ein Ende setzen. 66 Mitstreiter klagen mit ihm auf eine Reform des geltenden Unterhaltsrechts, die die Ansprüche von Ex -Gattinnen beschneiden soll.

Der Münchner Vorsitzende des "Interessenverbandes für Unterhalt und Familienrecht" (ISUV) Egon Rennebarth fordert eine Begrenzung des nachehelichen Unterhalts auf sieben Jahre: "Frauen, die während der Ehe nicht gearbeitet haben, werden bisher dafür belohnt."

Auch Rudolf Weihreter, Sprecher der "Nürnberger Herrenrechtler", hält das Gesetz für "männerfeindlich": "Es unterstützt die Weglauf-Frauen."

Doppelt bestraft fühlen sich viele geschiedene Männer durch den Zwang zum monatlichen Scheck: "Sie sehen sich meist als unschuldig Verlassene und sollen dann noch zahlen", erklärt Familienpsychologe Hans Dusolt. "Weil aber die Scheidung für sie ein Versagen bedeutet, versuchen sie, mit allen Mitteln die finanziellen Verbindlichkeiten abzukappen, um die Vergangenheit besser verdrängen zu können."

Schlupflöcher, um sich vor der Zahlungspflicht zu drücken, gibt es wenig. Wer seinen Unterhaltsleistungen nicht nachkommt, muss mit Gefängnis bis zu drei Jahren rechnen. Einen Münchner Ingenieur, der zum Radler-Kurier umstieg, um den Grossteil seiner Einkünfte in der eigenen Tasche zu behalten, verdonnerte das Gericht zum Unterhalt in alter Höhe.

Dennoch sind die Tricks der Zahlemänner vielfältig: Das Repertoire reicht von heimlichen Nebenjobs über retuschierte Einkommensbelege, offiziell gesenkte und unter der Hand ausbezahlte Gehälter bis zur Flucht ins Ausland.

Andere Männer verstecken sich in der eigenen Stadt. "500 Familienväter sind mitten in München abgetaucht", sagt Anwalt Donald Cramer, "melden den Wohnsitz ab, wechseln ständig die Arbeitsstelle. Da ist auch mit dem Gerichtsvollzieher nichts zu holen."

Immer häufiger muss Vater Staat für säumige Unterhaltszahler einspringen. 243 Millionen Mark Unterhaltsvorschuss leisteten Bund und Länder 1991, antwortete die Regierung im Frühjahr auf eine kleine Anfrage der SPD. Nur 29 Prozent der Summe wird wieder eingetrieben.

Familienministerin Hannelore Rönsch sieht "keine Notwendigkeit, am Unterhaltsrecht etwas zu ändern".

Männer- wie Frauenlobbys sind mit den bestehenden Gesetzen gleichermaßen unzufrieden. Die 86er Reform, die vor allem geschiedene Frauen schützen sollte, führt inzwischen zur Verarmung gesellschaftlicher Schichten. Für die Abgeordnete Hanna Wolf ist politisches Handeln gefragt: "Dass Sozial- und Jugendämter zahlen müssen und immer mehr Geschiedene Sozialfälle werden, zeigt, dass mit dem System was nicht stimmt. Die Familien sind überfordert."

Die SPD-Frau fordert die Abschaffung des Ehegattensplittings zugunsten der steuerlichen Gleichheit der Frauen und ein einheitliches Kindergeld von 200 Mark: "Das entlastet die Männer, und der Streit ums Geld wird weniger auf dem Rücken der Kinder ausgetragen."

Eine Erleichterung des finanziellen Drucks der Väter durch das einst in Schweden erfundene Modell der "Scheidungshaftpflichtversicherung" ist immer wieder in der Diskussion. Für Familienrichter Willutzki hat es allerdings erst eine Chance, "wenn jede zweite Ehe geschieden wird".

Auf die einfachste und brutalste Weise entbinden sich die Inder der Pflicht, die Angetraute nach der Trennung zu versorgen. Trotz gesetzlicher Strafe kommt es bei den Hindus immer noch regelmäßig zu "Haushaltsunfällen", bei denen die Gattin einem unerklärlichen Feuer zum Opfer fällt.
 
  SÄUMIGE ZAHLER

399 000 Kinder unter sechs Jahren leben bei einem Alleinerziehenden

Für 134 154 Kinder bezahlte 1991 der Staat den Unterhalt

297,38 Millionen Mark Unterhaltsvorschuss leisteten Bund und Länder 1992

In 14 639 Fällen von Unterhaltsverletzung wurde 1992 ermittelt

3952 säumige Zahler wurden 1990 rechtskräftig verurteilt
 
  195 Mark zum Leben

Die Woche - Dezember 16, 1993

Kaufhaus vs. Kirche
 
Sonntags einkaufen? Die Briten sagen ja. Was sagen die Deutschen?; LADENSCHLUSS

These

Der Sonntag war den Briten jahrhundertelang heilig: Nicht einmal Kneipen und Pubs durften am siebten Tag der Woche die staatskirchlich verordnete Ruhe stören. Doch nun ist sogar schnöder Kommerz ganz offiziell erlaubt.

Nach langer Debatte rang sich das britische Unterhaus zu der Entscheidung durch, dass Warenhäuser und Supermärkte sonntags bis zu sechs Stunden geöffnet haben dürfen, die Besitzer kleiner Läden hingegen selbst entscheiden können, ob, wann und wie lange sie ihre Geschäfte öffnen wollen.

Zustande gekommen ist diese Liberalisierung des britischen Ladenschlusses auf Antrag der großen Supermärkte. Seit sechs Jahren versuchen sie, eine für alle verbindliche Regelung des Sonntag-Shoppings zu erreichen. Bisher durften die Einzelhändler in Wales und England zwar ihre Geschäfte öffnen, aber nur ein ziemlich eingeschränktes Sortiment feilbieten: Zigaretten, Spirituosen, Brot und Zeitschriften. Das neue Gesetz hebt diese Beschränkung auf. Supermärkte und Ladenbesitzer rechnen mit etwa fünf Millionen Sonntagskäufern. 20 Millionen Briten würden unverbindlich durch die Geschäfte bummeln. Selbst die britischen Gewerkschaften machen mit: Ein Verbot des Sonntagsverkaufs hätte den Verlust von 140 000 Arbeitsplätzen bedeutet. Jetzt wird über doppelte Bezahlung der Sonntagsarbeit und speziellen Kündigungsschutz für Verkaufspersonal verhandelt, damit niemand am siebten Tag zur Arbeit gezwungen werden kann.

Ist Großbritanniens Ladenschlussgesetz ein Modell für Deutschland?

RAINER HAUNGS

Wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Für die Union sollte der Beschluss der Briten ein zusätzlicher Ansporn dafür sein, in der nächsten Legislaturperiode mit Volldampf an die Sache heranzugehen. Ich bin sicher, dass unser Ladenschlussgesetz die nächsten vier Jahre nicht überstehen wird. Und die deutschen Einzelhändler sollten mal darüber nachdenken, ob sonntägliche Öffnungszeiten für sie nicht doch ein Geschäft sein könnten schließlich hatten ihre englischen Kollegen ihre Läden schon bisher sonntags "schwarz" geöffnet.

HUBERTUS TESSAR

Sprecher des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels

Statt sonntags in die Kirche zu gehen, können die Briten nun zum Shopping pilgern ein zusätzlicher Werteverfall in einem christlich geprägten Land. Mit dieser Regelung hat es keine Gehaltserhöhung für die privaten Haushalte gegeben. Darum wird es auch im Einzelhandel keine Umsatzsteigerungen geben.

JÜRGEN GLAUBITZ

Hauptabteilungsleiter Einzelhandel der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen

Die HBV ist strikt gegen längere Ladenöffnungszeiten erst recht an Sonn- und Feiertagen. Die Bürger und Bürgerinnen in Deutschland brauchen nicht mehr Zeit fürs Shopping, sondern Arbeit und mehr Geld zum Einkaufen.

PAUL BOCKLET

Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe

Ich halte die Entwicklung in Großbritannien für ganz besonders bedauerlich, weil ja gerade dort die Sonntagsruhe als unantastbar galt. Eine uneingeschränkte Öffnung führt letztlich zur totalen Kommerzialisierung und Profanisierung dieser Sonn- und Feiertage und beraubt sie damit ihres christlichen Gehalts als eines Schutz- und Ruhetages für die Menschen.

GÜNTER REXRODT

Bundeswirtschaftsminister (FDP)

Bei der Liberalisierung der Laden-Öffnungszeiten ist Deutschland eines der Schlusslichter in Europa. Ich sehe nicht ein, warum die Bundesregierung vor der verbraucherfeindlichen Allianz von Kaufhaus-Trusts und bornierten Gewerkschaftsfunktionären klein beigeben sollte.

HANNA WOLF

Frauen- und jugendpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion

Die Öffnung von Familienbetrieben am Sonntag würde die harten Arbeitsbedingungen derartiger Betriebe schon heute wird dort häufig 60 Stunden pro Woche gearbeitet noch verschärfen. Die Frauen als "Mithelfende" und die Kinder wären die Hauptleidtragenden. Für die Familie ist dann auch am Sonntag keine Zeit mehr.

DIETER VOGEL

Sprecher der Bundesregierung

Die Ladenöffnungszeiten nicht nur am Sonntag werden die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Programm zur Verbesserung des Standorts Deutschland beschäftigen. Es ist aber nicht sicher, dass es bereits 1994 zu Ergebnissen kommen wird.

TILMAN WINKLER

Geschäftsführer der Kammer für soziale Ordnung bei der Evangelischen Kirche Deutschlands

Sunday-Shopping bedeutet, dass viele Arbeitnehmer aus wirtschaftlichen Gründen an Sonn- und Feiertagen arbeiten werden. Das ist ein klarer Schritt zur Ökonomisierung des freien Tages. Das Argument "Freizeitausgleich für Arbeitnehmer" heißt, dass es keine gemeinsame Zeit mehr für die Familie geben wird. Ein Schaden weniger für die Kirchen als vielmehr für die gesamte Gesellschaft.

Süddeutsche Zeitung  – Januar 17, 1994

SPD-Abgeordnete gegen neue Telephongebühren


Gegen die vom Vorstand der Telekom vorgelegte Änderung der Tarifstruktur für das Telephon hat sich die frauen- und jugendpolitische Sprecherin der SPD -Bundestagsfraktion und Münchner Abgeordnete, Hanna Wolf, ausgesprochen. Die neue Tarifstruktur mit einer Verteuerung von Ortsgesprächen bei mehr als sechs Minuten Dauer um 100 Prozent und einer Verbilligung von Ortsgesprächen bis zu 90 Sekunden um die Hälfte nütze der Geschäftswelt, treffe aber die Menschen. 90-Sekunden-Gespräche seien Nachrichtenübermittlung im Telegrammstil auf dem Weg in eine autistische Gesellschaft. Hanna Wolf malte drastische Folgen an die Wand: Alle Menschen mit eingeschränkter Mobilität wie alte oder gehbehinderte Menschen würden gänzlich vereinsamen, Hausfrauen und Mütter wären ohne Gespräche mit Gleichgesinnten ohne jegliche Unterstützung, junge Menschen könnten sich nicht richtig ausquatschen. lö

taz, die tageszeitung  – Januar 19, 1994

Was fehlt

Den Frauen immer noch die gesellschaftliche Gleichstellung mit dem männlichen Geschlecht und ein gerechtes Erwerbseinkommen. Das betonte die SPD- Frauenpolitikerin Hanna Wolf, als sie daran erinnerte, dass am 19. Januar 1919, vor 75 Jahren, Frauen in Deutschland zum ersten Mal wählen durften.

Unserem Kanzler ein bisschen Mut. Mit den Worten "Keine Angst, ich singe nicht" beruhigte Kohl die Gäste eines Benefiz-Dinners zugunsten der Hannelore- Kohl-Stiftung, als er unerwartet ans Mikrofon trat, um den Anwesenden zu danken. Helmut, nicht verzagen, beim nächsten Mal klappt's bestimmt.

Süddeutsche Zeitung  – Februar 26, 1994

Am internationalen Frauentag: Die weibliche Armut wird bestreikt. Sozialdemokratinnen rollen 300-Meter-Band mit Forderungen aus

Von Claudia Wessel

Ans Kaffeekochen mussten sich die Herren Mascher und Wolf ohnehin schon gewöhnen. So oft wie wir unterwegs sind. Mit einer spektakulären Arbeitsverweigerung am Frauenstreiktag können die SPD-Bundestagsabgeordneten Hanna Wolf und Ulrike Mascher daher nicht dienen. Auch ihre Abwesenheit in Bonn werde wohl nicht allzu sehr ins Gewicht fallen, mutmaßen sie. Aber darauf komme es auch nicht an. Wir wollen unsere Solidarität mit den Frauen zeigen, die nicht so privilegiert sind wie wir, verkündeten sie auf einer Pressekonferenz zum Frauenstreik, der am Internationalen Frauentag (8. März) bundesweit stattfinden wird.

In München werden die SPD-Frauen ihre Forderungen aufs Pflaster bringen: Ein 300 Meter langes Papierband soll durch die Fußgängerzone gelegt werden. Darauf sind die Forderungen der Sozialdemokratinnen notiert. Von 13 Uhr an wird die SPD am 8. März auf dem Marienplatz vertreten sein. Armut ist noch immer weiblich - diesem Schwerpunkt wollen sich die SPDlerinnen im Superwahljahr widmen. In der Hoffnung, dass sich die Wählerinnen-Übermacht (bundesweit 52 Prozent) für ihr Konzept entscheidet.

Arbeitslosigkeit, kein ausreichendes Kinderbetreuungsangebot und Ausfall der Unterhaltszahlungen bei Alleinerziehenden haben die SPD-Frauen als Ursachen für weibliche Armut ausfindig gemacht. Bekämpfen wollen sie sie unter anderem durch Quotierung von Ausbildungsplätzen und Verbesserung der Berufschancen von Frauen durch ein Gleichstellungsgesetz, durch ausreichende Angebote an Arbeitsbeschaffungsmassnahmen und öffentlich geförderten Arbeitsplätzen sowie durch Arbeitszeitregelungen, die eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen - allerdings nicht nur für Mütter, sondern auch für Väter.

Süddeutsche Zeitung  – März 22, 1994

SPD-Bundestagskandidaten stellen sich vor

Fünf machen sich auf den Weg nach Bonn. Mascher, Glotz, Wolf, Bender, Damaschke und ihr Programm / Biographie und Politik Von Berthold Neff

Die fünf Kandidaten der Münchner SPD für die Bundestagswahl haben sich viel vorgenommen. Während Ulrike Mascher, die 1990 in der Altstadt das einzige SPD -Direktmandat eroberte, es lediglich zu verteidigen braucht, wollen sich Hanna Wolf und Peter Glotz jetzt den Weg nach Bonn und Berlin direkt erobern. Bei einem politisch-biographischen Gespräch mit der Presse zeigten sie sich allesamt optimistisch, wobei Peter Glotz kein Hehl daraus machte, dass er in einer von Rudolf Scharping geführten Regierung Bildungsminister werden will. Mit viel Elan gehen offenbar auch die beiden Neuen im SPD-Quintett zur Sache: der 45jährige Jurist Achim Bender, der als Nachfolger von Rudi Schöfberger im Münchner Süden gegen den Ex-Staatssekretär Erich Riedl (CSU) antritt, und der 36jährige Kurt Damaschke, der sich nach dem Verzicht von Jürgen Vahlberg im Münchner Osten mit dem CSU-Kandidaten Herbert Frankenhauser auseinandersetzen wird.

Achim Bender, SPD-Vorsitzender im Münchner Südosten, war mehrere Jahre im bayerischen Justizdienst tätig (zuletzt als Richter in München), bevor er 1992 zum Bundespatentgericht wechselte. Als Bundestagsabgeordneter will er sich vor allem um den Erhalt von Arbeitsplätzen kümmern, für ein soziales Mietrecht kämpfen und den öffentlichen Verkehr als leistungsfähige Alternative zum Individualverkehr ausbauen.

Er möchte auch dafür sorgen, dass mehr Geld für Forschung bereitgestellt wird. Damit soll der Wechsel von der Waffenproduktion auf zivile Güter beschleunigt werden, den verhindert zu haben er seinem CSU-Gegenspieler Erich Riedl vorwirft (Rüstungslobbyist). Als jüngstes Beispiel für das verhängnisvolle Wechselspiel zwischen einer unzureichenden Wirtschaftspolitik und unfähigen Managern nannte er die Schließung der Firma Merk Telefonbau in Giesing. Dieses Viertel verliere damit einen der letzten großen gewerblichen Arbeitgeber.

Der Diplomverwaltungswissenschaftler Kurt Damaschke ist seit drei Jahren Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Neuperlach. Er arbeitet im Planungsreferat in der Stadtentwicklungsabteilung und gehörte von 1989 bis 1990 zum Planungsstab von Georg Kronawitter in dessen Zeit als Oberbürgermeister. Damaschke war damals für Haushalts- und Finanzplanung sowie für Soziales und Umwelt zuständig.

Als politischen Schwerpunkt seiner Arbeit nannte er den Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit und die steigende Armut. Deshalb werde er sich für eine aktive Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik einsetzen sowie den Wohnungsbau und das Sozialversicherungssystem zu reformieren versuchen. Arbeitsplätze in Deutschland könnten nur durch umfangreiche Investitionen in die Schul- Aus- und Fortbildung gesichert werden.

Süddeutsche Zeitung - April 19, 1994

AsF bestätigt Vorstand - SPD-Frauen lehnen sich nicht zurück

Von Margit Pratschko

Vielleicht wäre es gar nicht schlecht gewesen, wenn so mancher Politiker dabeigewesen wäre, als die Münchner Abteilung der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) im Hofbräuhaus ihre Jahreshauptversammlung abhielt. Denn die Frauen bewiesen, dass es durchaus möglich ist, in einer entspannten, warmherzigen Atmosphäre gute und konstruktive Politik zu machen. Genau das ist den Münchner Frauen nach Ansicht von Hanna Wolf, Mitglied des Bundestages und Vorsitzende der AsF, auch im letzten Jahr gelungen. In ihrem Rechenschaftsbericht ging Hanna Wolf unter anderem auf den Erfolg des Internationalen Frauenstreiktags am 8. März und auf den Ausgang der OB-Wahlen ein. Mit Christian Ude als OB wurde Gertraud Burkert erste SPD-Bürgermeisterin der Stadtgeschichte. Erfreulich sei auch, dass nach dem Reißverschlussverfahren die Hälfte der SPD-Stadträte weiblich seien.

Doch trotz der Freude über alles bislang Erreichte - zufrieden zurücklehnen wollen sich die SPD-Frauen deshalb nicht. Immer noch würden auch bei der Stadt zu wenig Führungsposten mit Frauen besetzt, kritisierte Friedel Schreyögg, die Leiterin der Frauengleichstellungsstelle. Diskutiert wurde in diesem Zusammenhang vor allem die Entscheidung für Reiner Eger als den neuen Leiter der Volkshochschule - einem Institut, an dem hauptsächlich Frauen arbeiten und lernen. Nur drei Frauen aus Deutschland hätten sich beworben, die Münchnerinnen haben es ja schon gar nicht mehr gewagt, weil sie die Situation hier kennen, sagte Hanna Wolf. Bürgermeisterin Sabine Csampai, hieß es, hätte in diesem Zusammenhang mehr tun können.

Grossen Applaus und Standing-ovations- erntete Bürgermeisterin Gertraud Burkert nach ihrer Rede. Unter dem Motto Frauen regieren mit ging sie vor allem auf die oft schwierige Situation von Politikerinnen ein, die sich neben ihrem Job ja auch noch um Kinder, Haushalt und Partnerschaft kümmern sollen. Frauen in der Politik sollten sich jedoch nicht an die Männer anpassen, sondern so bleiben, wie wir sind. Gleichberechtigung sei erst erreicht, wenn wir Frauen ebensolche Flaschen sein dürfen wie Männer.

In der Vorstandswahl wurde Hanna Wolf mit großer Mehrheit als Vorsitzende bestätigt. Deren Stellvertreterin bleibt Ingeborg Keyser, die jetzt noch von der Ex-Stadträtin Monika Renner unterstützt wird. Ebenso im Amt bleibt Brigitte Kampffmeyer-Möhling. Als Beisitzerinnen wurden gewählt: Barbara Marc, Marijke Köhler-Wories, Christine Strobl, Ursel Linder-Kostka, Diana Stachowitz, Brigitte Rechenberg sowie Gertraud Burkert als kooptiertes Mitglied.

Frankfurter Allgemeine Zeitung - April 22, 1994

Der Bundestag beschließt ein "Gleichberechtigungsgesetz"
 
Frauenförderpläne, Frauenbeauftragte, Teilzeitarbeit / Regelungen für die öffentliche Verwaltung

Der Bundestag hat am Donnerstag gegen die Stimmen der Opposition den Regierungsentwurf eines "Gleichberechtigungsgesetzes" verabschiedet. Ein Gesetzentwurf der SPD, der die Vergabe von Arbeitsplätzen in der öffentlichen Verwaltung an Quotenregelungen binden wollte, wurde abgelehnt. Frauenministerin Merkel (CDU) sagte, der Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz sei tatsächlich noch nicht verwirklicht worden. Mit Blick auf die langwierigen Verhandlungen auch in der Koalition äußerte sie, Beharrlichkeit führe zum Ziel. Sie hätte sich noch mehr gewünscht. Doch solle die SPD nicht vertuschen, dass das Gesetz einen Fortschritt darstelle. Für die SPD kritisierten die Abgeordneten Edith Niehuis und Hanna Wolf den Regierungsentwurf, weil dieser auf die "Quote" als Instrument der Gleichstellungspolitik verzichtet habe. Frau Wolf sagte, eine SPD-Regierung werde nach der Bundestagswahl ein neues Gesetz vorlegen. Die FDP-Abgeordnete Margret Funke-Schmitt-Rink würdigte, dass in der öffentlichen Verwaltung künftig verbindliche "Frauenförderpläne" geschaffen werden müssten. Das Artikelgesetz "Zur Förderung von Frauen und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Bundesverwaltung und den Gerichten des Bundes" betrifft in erster Linie die öffentliche Verwaltung. Die Dienststellen sollen alle drei Jahre einen Frauenförderplan aufstellen, der jeweils an die neuen Entwicklungen anzupassen sei. Dieser müsse in der Dienststelle veröffentlicht werden. Damit soll im Sinne der Gleichberechtigung Druck auf den Dienstherrn ausgeübt werden. Im Rahmen einer jährlichen Anpassung sind der nächsthöheren Dienststelle Gründe mitzuteilen, dass der Förderplan nicht verwirklicht werden konnte. Es soll eine Bundesstatistik über weibliche Beschäftigte aufgestellt werden. Stellen dürfen in der Regel nicht nur für ein Geschlecht ausgeschrieben werden. Sie seien auch bei Leitungsaufgaben in "Teilzeitform auszuschreiben, wenn zwingende dienstliche Belange nicht entgegenstehen".

Wenn Frauen in einzelnen Bereichen in geringerer Zahl als Männer beschäftigt sind, hat nach dem Gesetz die Dienststelle unter Beachtung des Vorrangs von Eignung und Leistung ihren Anteil zu erhöhen. Bei der Beurteilung der Eignung dürften sich Ausfallzeiten wegen Kinderbetreuung nicht auswirken. Fortbildungsmaßnahmen müssten Familienpflichten berücksichtigen. Es sei ein ausreichendes Angebot von Teilzeitarbeitsplätzen zu schaffen. Dienststellen hätten Mitarbeitern den Wiedereinstieg zu erleichtern, die aus familiären Gründen beurlaubt gewesen seien. In dem Gesetz heißt es: "Teilzeitbeschäftigung darf das berufliche Fortkommen nicht beeinträchtigen." Eine unterschiedliche Behandlung gegenüber Vollzeitbeschäftigten sei "nur zulässig, wenn sachliche Gründe sie rechtfertigen". Teilzeitbeschäftigung und Beurlaubung aus Familiengründen dürften sich nicht nachteilig auf die dienstliche Beurteilung auswirken. (Fortsetzung Seite 2.)

In jeder Dienststelle mit mehr als 200 Beschäftigten sei aus deren Kreis "nach vorheriger Ausschreibung oder geheimer Wahl" eine Frauenbeauftragte zu bestellen. Die Wahl müsse abgehalten werden, wenn sich die Mehrheit der weiblichen Beschäftigten für sie entscheide. In Dienststellen ohne Frauenbeauftragte sei eine Vertrauensperson als Ansprechpartnerin zu bestellen. Die Frauenbeauftragten werden für drei Jahre bestellt. Sie sollen von den dienstlichen Tätigkeiten freigestellt werden. Sie wirken "bei allen Maßnahmen" der Dienststelle mit, die Fragen der "Gleichstellung" betreffen. Dies gilt auch für Personalangelegenheiten, an denen sie "frühzeitig" zu beteiligen seien. "Die Frauenbeauftragte hat ein unmittelbares Vortragsrecht bei der Dienststellenleitung." Im Einvernehmen mit dieser kann sie Versammlungen einberufen.

Beschlossen wurde auch eine gesetzliche Regelung zum Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. "Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten oder ein Dienstvergehen." Arbeitgeber hätten die Beschäftigten davor zu schützen. "Dieser Schutz umfasst auch vorbeugende Maßnahmen." Arbeitgeber hätten "unverzüglich" dafür zu sorgen, "die Fortsetzung einer festgestellten Belästigung zu unterbinden". In dem beschlossenen Gesetz heißt es: "Bei sexueller Belästigung hat der Arbeitgeber die im Einzelfall angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen." Die Rechte des Personalrats bleiben unverändert.

In dem Artikelgesetz sind Änderungen an anderen Gesetzen enthalten. Verstoßen Arbeitgeber bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses gegen das Benachteiligungsverbot, "so kann der hierdurch benachteiligte Bewerber eine angemessene Entschädigung in Geld in Höhe von drei Monatsverdiensten verlangen". Die FDP hält sich zugute, die mittelständische Wirtschaft nicht überfordert und die Begrenzung auf drei Monatsgehälter durchgesetzt zu haben. Nach dem seit 1980 geltenden Recht zum Benachteiligungsverbot bei Einstellungen habe es insgesamt zehn Klagen vor den Gerichten gegeben.

taz, die tageszeitung - April 28, 1994

Sexueller Missbrauch verjährt zu früh

tissy bruns
 
Bundestag berät heute über die Verlängerung der Verjährungsfristen bei Sexualstraftaten gegen Kinder und Jugendliche / Politikerinnen aus allen Fraktionen sind dafür. Aus Bonn Tissy Bruns


Heute abend, wenn die Öffentlichkeit nicht mehr hinsieht, wird im Bundestag eine der wenigen Debatten stattfinden, deren Ausgang nicht von vornherein feststeht. "Strafrechtsänderungsgesetz - Verjährung von Sexualstraftaten an Kindern und Jugendlichen" weist die Tagesordnung des Parlaments juristisch-nüchtern aus. Zu entscheiden haben die Abgeordneten über ein Gesetz, das den Opfern sexuellen Missbrauchs ein eigentlich selbstverständliches Mindestrecht an die Hand geben soll: das Verbrechen anzuklagen, dessen Folgen für das ganze Leben Wunden schlagen, und den Täter vor Gericht zu bringen. Die Verjährungsfrist für Sexualstraftaten an Kindern und Jugendlichen soll ruhen, bis das Opfer 18 Jahre alt ist. Das sieht der Gesetzentwurf der SPD vor, der seit Juni 1992 vorliegt. Die SPD folgt damit einer Forderung, für die Betroffene, Selbsthilfegruppen, Therapeutinnen und Juristinnen schon lange eintreten. Nach geltendem Recht verjährt der sexuelle Missbrauch von Schutzbefohlenen nach fünf Jahren, sexueller Missbrauch von Kindern nach zehn Jahren, Vergewaltigung nach 20 Jahren. Gewalt und Missbrauch finden in vielen Fällen in der Familie statt, und die Opfer sind oft kleine, sehr kleine Kinder. Oft sind sie erst dann imstande, den Täter (Vater, Onkel oder Bruder) anzuzeigen, wenn sie sich aus der familiären Abhängigkeit gelöst haben - und die Tat verjährt ist. Vor allem Selbsthilfegruppen und Psychologinnen wissen, dass die betroffenen Frauen oft erst viele Jahre nach dem Missbrauch das verdrängte Entsetzen aufdecken können. Das Ruhen der Verjährungsfrist bis zum 18. Lebensjahr wird auch künftig nicht jeden Missbrauch vor Gericht bringen, und es wird auch nichts daran ändern, dass die öffentliche Anklage gegen den Täter allein niemanden von den Folgen des Missbrauchs befreien wird. Aber das Opfer, das als Kind ohnmächtig ist, könnte als erwachsener Mensch immerhin entscheiden, ob es den Täter vor Gericht bringen will. Die Täter begehen ihre Verbrechen häufig im Gefühl der Straffreiheit.

Der zweite Entwurf von Bündnis 90/Die Grünen geht weiter: Die Verjährungsfrist soll erst mit dem 21. Lebensjahr beginnen, die Verjährungsdauer selbst soll auf 30 Jahre ausgedehnt werden. Dass sich im Bundestag eine Mehrheit für diesen Vorschlag finden könnte, war von vornherein unwahrscheinlich. Die ersten parlamentarischen Entscheidungen über den SPD-Entwurf ließen hingegen hoffen. Zwar mahlten auch in diesen Fall die Mühlen des Gesetzgebers langsam. Doch nach einer Anhörung, dem klaren und fraktionsübergreifenden Votum des Frauen- und Jugendausschusses, schloss sich auch der federführende Rechtsausschuss im Oktober 1993 mehrheitlich dem SPD-Entwurf an - mit einigen Stimmen aus der Unionsfraktion. Im Januar dieses Jahres aber mussten die SPD-Abgeordneten Hanna Wolf und Erika Simm enttäuscht melden, dass die Mehrheiten im Rechtsausschuss gekippt waren. Die Verjährungsfrist soll beginnen, wenn das Opfer 14 Jahre alt ist. Über diese Empfehlung hat der Bundestag heute abend zuerst zu entscheiden. Obwohl sie den Segen der Koalitionsmehrheit hat, ist der Ausgang offen. Rund fünfzig Abgeordnete - überwiegend weiblich - hat Claudia Nolte (CDU) in ihrer Fraktion für die 18 Jahre als Beginn der Verjährungsfrist gewonnen. Und wenn auch einige liberale Frauen ihr Unbehagen mit der offiziellen Fraktionsmeinung auch im Stimmverhalten deutlich machen, dann könnte die Koalitionsraison doch aufgebrochen werden.

Denn auf fast unglaubliche Art hat in diesem Fall die Koalitionsraison gegen vernünftige Argumente und gegen Mehrheiten gesiegt. Die Rechtspolitiker der FDP, einschließlich Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, haben frühzeitig signalisiert, dass man über ein Aussetzen der Verjährungsfrist reden könne - aber höchstens bis zum 14. Lebensjahr der Betroffenen. Ins Feld geführt wurden einmal rechtssystematische Gründe: Die Verjährung einer Tat gehöre zur grundgesetzlich fixierten Rechtstaatlichkeit, mit der nicht nach Belieben umgegangen werden dürfe. Immerhin: in Abwägung von Opferinteresse und Rechtssystematik konnte sich die FDP zur 14-Jahres-Regelung durchringen. Aber keinesfalls weiter. In höchst ungewöhnlichem parlamentarischem Stil verweigerte der FDP-Rechtspolitiker Jörg van Essen seine Unterschrift unter den Bericht des Rechtsausschusses von Oktober 1993. Die FDP, so die SPD-Politikerinnen Wolf und Simm, veranstaltete "eine unglaubliche Geschäftsordnungsdebatte im Rechtsausschuss", um die getroffene Entscheidung rückgängig zu machen. Im Januar stimmte aus den Koalitionsparteien nur noch Susanne Rahardt-Vahldieck (die einzige weibliche Anwesende aus der CDU) für die 18 Jahre. Van Essen beruft sich mit seiner Haltung "insbesondere auf den Opferschutz", wie er gegenüber der taz erklärte. Die gerichtspraktische Erfahrung lehre, dass die Betroffene nach so langer Frist zum zweiten und dritten Mal zum Opfer werde, zum zweiten Mal durch das Gerichtsverfahren und schließlich durch den in aller Regel folgenden Freispruch des Angeklagten.

Diese Argumente sind in den parlamentarischen Beratungen, auch in der Anhörung, lange und ausführlich erörtert worden. Vor allem die damit befassten Frauen haben sie nicht überzeugt. Das betroffene Opfer werde selbst entscheiden, ob es die unbestreitbaren Risiken eines Gerichtsverfahrens nach langer Zeit auf sich nehmen will, argumentieren Abgeordnete aus allen Fraktionen. Fast nicht mehr rational erklärbar, sagt Wolf, sei für sie, dass die Rechtspolitiker der FDP sich mit solcher Energie gegen die parlamentarische Mehrheit stemmen. Auch ein Gespräch von Unionsfraktionschef Schäuble mit seinem FDP-Kollegen Solms habe nichts bewirkt, berichtet Nolte. Unter ihrer Unterschriftenliste für die 18 Jahre steht unter anderem Ursula Männle aus der CSU. Frauenministerin Angela Merkel sprach sich der taz gegenüber für die 18-Jahres-Regelung aus.

Süddeutsche Zeitung - April 30, 1994

Sexueller Missbrauch von Kindern: Verjährung beginnt später. Frist läuft künftig erst vom 18.Lebensjahr des Opfers an

Wer als Kind sexuell missbraucht wurde, kann seinen Peiniger künftig noch im Erwachsenenalter anzeigen und strafrechtlich verfolgen lassen: Der Bundestag beschloss, die Verjährungsfrist für Sexualdelikte an Kindern und Jugendlichen erst mit dem vollendeten 18. Lebensjahr des Opfers beginnen zu lassen. Für sexuelle Nötigung beträgt die Frist fünf Jahre, für Vergewaltigung zehn Jahre. Bei der Abstimmung im Parlament fiel die Koalition auseinander: Die Abgeordneten von SPD und Union überstimmten gemeinsam einen großen Teil der FDP. Im Rechtsausschuss des Bundestages hatte die Koalitionsmehrheit von Union und FDP im Januar noch für eine Verjährungsfrist vom 14. Lebensjahr an gestimmt. Gegen die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses waren vor allem die Frauen in der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion Sturm gelaufen. Mehr als fünfzig Frauen brachten noch am Donnerstagmorgen einen Gruppenantrag ein, in dem sie für den Beginn der Verjährung mit 18 Jahren plädierten und sich damit inhaltlich dem SPD-Antrag anschlossen. Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Schäuble, der Verständnis für die Initiative der Frauen aufbrachte, war es in mehreren Versuchen nicht gelungen, FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms zu einem gemeinsamen Votum der Koalition zu bewegen.

Bisher begann die Verjährungsfrist für Sexualdelikte an Kindern und Jugendlichen - wie üblich - mit der Tat. Deshalb waren viele Taten bereits verjährt, ehe die Opfer zur Anzeige in der Lage waren. Eine Anhörung von Experten hatte ergeben, dass dies zumeist erst im Erwachsenenalter, nach Beratungsgesprächen und Therapien, möglich ist. Erfahrungsgemäss schrecken Opfer auch vor Anzeigen von Familienmitgliedern oder Verwandten zurück, solange sie wirtschaftlich und seelisch abhängig sind. Nunmehr muss der Staatsanwalt tätig werden, wenn ein Opfer eine Vergewaltigung in der Kindheit bis zu seinem 28. Lebensjahr anzeigt.

Der FDP-Abgeordnete Jörg van Essen, der die Verjährung mit dem 14. Lebensjahr beginnen lassen wollte, erklärte, auch er sei für einen besseren Opferschutz. Je länger ein sexueller Missbrauch zurückliege, um so schwieriger werde jedoch die Beweislage vor Gericht. Somit wachse die Gefahr, dass das Opfer weitere Male zum Opfer werde: durch den harten Kampf des Täters vor Gericht und dessen anschließend möglichen Freispruch mangels Beweisen, der das Opfer obendrein als Lügner erscheinen lasse. Die FDP-Abgeordnete Uta Würfel wies die Argumente ihres Fraktionskollegen scharf zurück. Die SPD-Abgeordnete Hanna Wolf dankte vor allem den Frauen der CDU/CSU, die sich der Sache wegen über die Koalitionsdisziplin hinweggesetzt hätten.

taz, die tageszeitung  – Mai 3, 1994

Gleiches Recht ist unverbindlich

 mechthild jansen

Auch nach seiner Verabschiedung stößt Angela Merkels Gleichberechtigungsgesetz auf harsche Kritik

Nun ist es also vom Bundestag verabschiedet, das Gleichberechtigungsgesetz, mit dem die Bundesregierung im Wahlkampf hausieren gehen will. Wer handfeste Eingriffe in gesellschaftliche Regeln und Strukturen assoziiert, wird irritiert sein. Es dürfte einmalig sein, dass ein Gesetz letztlich nur aus freundlichen Empfehlungen besteht. Da ist der öffentliche Dienst verpflichtet, "Frauenförderpläne mit verbindlichen Zielvorgaben" aufzustellen und Frauenbeauftragte sollen für deren Verwirklichung sorgen.

Die Öffentlichkeit hatte vor allem die grandiose Unverbindlichkeit des Gesetzentwurfes kritisiert. Zu mehr als sprachlicher Schönung aber sah sich die Regierung nicht veranlasst. Das Wort "verbindlich" kam in den Text, die Frauenbeauftragte "kann" nun gewählt werden. Aber Quotierung und Sanktionen, mit denen tatsächlich Rechte konstituiert und Verstöße geahndet werden könnten, sind weiterhin ebenso tabu wie autonome Machtbefugnisse für Frauenbeauftragte. Auch die Pflicht, familienbedingte Teilzeitarbeit und Beurlaubung zu bewilligen, steht unter Vorbehalt und ist spielend zu unterlaufen. Nur die Schadensersatzregelung bei Diskriminierung berührt unmittelbar die private Wirtschaft. Die Schutz- und Verfolgungsvorschriften gegen sexuelle Diskriminierung bleiben schwach und gehen von einem fragwürdigen Frauenbild aus: Ohne nachweisbare "erkennbare Ablehnung" von Übergriffen, braucht sich frau erst gar nicht zu beschweren. Was die Frauenministerin Angela Merkel selbst als ein "Meilenstein in der Gleichberechtigungspolitik" bezeichnet, ist allenfalls ein bisschen bewusstseinsfördernde Lobbyarbeit. Denn wer Frauen nicht fördern will, braucht auch nichts zu befürchten.

Für Politiker ist das kein Vorgang, den sie kommentieren müssten. "Einen schwarzen Tag für die Gleichberechtigung" aber nannte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer die Verabschiedung des Gesetzes. Sie sprach von einer "herben Enttäuschung" und "Niederlage", weil das Gesetz inhaltsleer und für die Mehrheit der Frauen völlig bedeutungslos sei. Es gelte nur für etwa 600.000 weibliche Beschäftigte im öffentlichen Dienst.

Das neue Gesetz ist eine Verhöhnung der Frauen

Auch die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Hanna Wolf, nennt es eine "Verhöhnung der Frauen", das Gesetz auf ein Prozent der erwerbstätigen Frauen zu beschränken und die private Wirtschaft völlig auszuklammern. Die Regierung sei nicht einmal der Kritik der von ihr selbst berufenen Sachverständigen nachgekommen. Dr. Ute Sacksofsky hatte dem Regierungsentwurf attestiert, "ohne Biss" zu sein. Prof. Ulrich Battis konstatierte, der Entwurf bleibe "weit hinter dem verfassungsrechtlich Möglichen zurück". Die SPD will mit ihrem Gegenentwurf für ein Gleichstellungsgesetz Frauenförderung wirksam honorieren und Diskriminierung wirksam sanktionieren. Dazu soll vor allem eine leistungsbezogene Quotierung bei Einstellungen und Beförderungen dienen. Arbeitsfördermaßnahmen sollen entsprechend dem Anteil von Frauen an der Erwerbslosigkeit quotiert werden. Unternehmen, die Frauen fördern, sollen subventioniert werden. Wer gegen das Gesetz verstößt, handelt sich Geldbussen bis zu 100.000 Mark ein. Wo der Gleichstellungs-Hase im Pfeffer liegt, macht die Erklärung der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände deutlich. Obwohl die private Wirtschaft nicht tangiert wird, machen sich die Herren viel Mühe mit der Gesetzeskritik.. Von einer Beispiel setzenden Wirkung des öffentlichen Dienstes wollen sie nicht viel wissen. Um die Gleichbehandlung von Frau und Mann zu verbessern, halten sie gar "keine neuen gesetzlichen Reglementierungen" für erforderlich. Im Gegenteil, endlich müsse erst einmal das Verbot der Beschäftigung von Frauen im Bauhauptgewerbe, das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen und der Arbeitgeberzuschuss zum Mutterschaftsgeld abgeschafft werden. Das nämlich hemme Frauenbeschäftigung. Einen "überzogenen Schutzgedanken" für Frauen lehnen sie rundherum ab. Die zu erwartenden "Effizienzstörungen" seien kontraproduktiv. Gleichzeitig weisen die Arbeitgeberverbände den Verdacht schwerwiegender Defizite in der Wirtschaft von sich. Ihnen passt nicht, dass Betriebsräte verstärkt auf Frauenförderung achten oder Unternehmen Rücksicht auf "Beschäftigte mit Familienpflichten" nehmen sollen. Ganz besonders empört sie der Gedanke, sexuelle Belästigung könne aus dem "rein subjektiven Blickwinkel des angeblich (!!) Betroffenen" definiert werden. Das wagt das Gesetz freilich gar nicht. Geht es nach den Verbänden der Arbeitgeber, so soll für Frauen alles beim alten bleiben. Und so geschah es denn auch: Den Arbeitgebern stank das ganze Gesetzesbrimborium, und die Bundesregierung ging vor ihnen auf die Knie.

Süddeutsche Zeitung  – Mai 10, 1994

CSU und SPD im Schulterschluss: Unterschriftenliste gegen Killerspiele

 
Zu einer Unterschriftenaktion Bürger gegen Killerspiele hat die CSU -Stadtratskandidatin Ursula Sabathil aufgerufen. Sie wendet sich gegen die Eröffnung eines sogenannten Laserdroms, im Volksmund Killerpalast genannt, in dem Spieler mit Laserpistolen aufeinander feuern. Sabathil will die Regierung auffordern, eine Rechtsgrundlage für das Verbot solcher Spiel-Hallen zu schaffen. Unterschriftenlisten liegen in den Pasinger Geschäften auf; Postkarten mit Unterschriften unter dem Stichwort Bürger gegen Killerspiele können auch an das Büro der Stadtpolitikerin geschickt werden: Klarweinstrasse 9a, 812457 München.

Gegen das Laserbrom-Projekt spricht sich auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf aus und setzt sich ebenfalls dafür ein, dass derartigen Veranstaltungen ein Riegel vorgeschoben wird.

Das Verwaltungsgericht München hatte in einem Eilverfahren vor einigen Tagen keine rechtlichen Möglichkeiten gegen das Laserdrom gesehen, solange sichergestellt sei, dass keine Jugendlichen Zutritt erhalten. emj

Süddeutsche Zeitung  – Mai 27, 1994

Gut gemeint. BR-Feller über seinen CSU-Redakteur

Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Der Fernsehdirektor des Bayerischen Rundfunks (BR), Wolf Feller, hatte es wohl gut mit dem Image seines Senders gemeint, als er auf eine gestern veröffentlichte SZ-Recherche reagierte: Dabei ging es um Markus Söder, einen Nachwuchspolitiker der CSU, den die BR -Chefredaktion nach Bekanntgabe seiner Landtagskandidatur zum Redakteur des politischen Magazins Zeitspiegel ernannte. Außerdem ließ man ihn entgegen einer Anweisung der Intendanz politische Beiträge fertigen. Chefredakteur Gerhard Fuchs berief sich darauf, dass der Kandidat keine harten politischen Themen bearbeite. De facto war jedoch das Gegenteil der Fall. In einem gestern nachgereichten Fall hatte der CSU-Mann laut der SPD-Bundestagsabgeordneten Hanna Wolf beispielsweise gar über eine Veranstaltung mit einem FDP -Landtagskonkurrenten berichtet. Die SPD-Bundestagsabgeordnete hatte sich bei Feller lange vor Söders Festanstellung über den Beitrag beschwert. Der BR ließ Söder jedoch weiterhin im Politmagazin berichten. Nun verfügte Feller, der CSU-Mann dürfe bis zur Wahl im September keine Beiträge mehr machen. Er wird jedoch weiterhin Redakteursarbeit für den Zeitspiegel tun. Er wird also Themen in Auftrag geben, recherchieren und Beiträge von Mitarbeitern überarbeiten. Politisch sicher völlig unabhängig. schul.

taz, die tageszeitung  – Juli 8, 1994

Auch Zivis sollen weniger arbeiten

sven christian

 SPD und Teile der FDP wollen bei Verkürzung des Wehrdienstes auf zehn Monate auch den Zivildienst nicht ungeschoren lassen / Auch Wohlfahrtsverbände für moderate Kürzung des Zivildiensts

Falls der Wehrdienst von zwölf auf zehn Monate reduziert wird, darf der Zivildienst nicht unverändert bleiben. Das forderte gestern die Bremer Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer. "Es wäre ein grobes Unrecht, wenn die Zivildienstleistenden, die schwere, aber friedliche Dienste leisten, künftig weiterhin fünfzehn Monate dienen müssten", sagte der Vorsitzende der Zentralstelle, Ulrich Finckh. Ihr Leistungen dauerten dann um die Hälfte länger als der Wehrdienst. Wie gestern gemeldet, wollen Teile der Bonner Unionsfraktion die Angleichung des Zivildienstes verhindern, indem nach Ablauf des Wehrdienstes eine zweimonatige "Verfügungsbereitschaft" eingeführt wird. Dazu Finckh: "Das hat es seit dem Mauerbau nicht mehr gegeben."

Die SPD und einige FDP-Politiker sprachen sich dagegen gestern für eine Angleichung des Ersatzdienstes aus. Die jugendpolitische Sprecherin der Bonner SPD-Fraktion, Hanna Wolf, sprach von einer "Diskriminierung des Zivildienstes und Verzerrung der Wehrgerechtigkeit", gegen die sich die SPD mit allen Mitteln einsetzen werde. Zwar würde die Beibehaltung der Zivildienstzeit die Kassen der sozialen Dienste vor einer neuen Belastung bewahren. Doch stigmatisiere der offensichtliche Strafcharakter dieser Regelung jegliche soziale Tätigkeit, ob als Ehrenamt, als Ersatzdienst oder als Beruf. Die SPD-Politikerin äußerte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Koalitionspläne, da laut Grundgesetz die Dauer des Ersatzdienstes die Dauer des Wehrdienstes nicht überschreiten dürfe.

Für die Verringerung der Zivildienstzeit sprachen sich gestern auch die Wohlfahrtsverbände aus, sie warnten aber zugleich vor einer zu starken Verkürzung, die die Situation der sozialen Betreuung deutlich verschlechtern würde. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege befürchtet einen Rückgang der Zahl der Zivildienstleistenden, sollte die Ersatzdienstzeit unverändert bleiben. Bereits jetzt könnten nicht alle Stellen besetzt werden. "Bei der Caritas sind von 26.000 Plätzen 9.000 frei", sagte deren Präsident, Helmut Puschmann. Umgekehrt dürfe die Dienstzeit aber auch nicht zu stark gekürzt werden, da den von Zivis betreuten Menschen ständige Wechsel ihrer Bezugspersonen nicht zugemutet werden könnten: "Die Schmerzgrenze liegt bei zwölf Monaten."

Auf Kritik stieß die geplante Verkürzung des Grundwehrdienstes auch bei der Soldatengewerkschaft Bundeswehrverband. Dessen Vorsitzender Bernhard Gertz sagte, dass damit das Bewusstsein und die Einsicht verloren gingen, "dass es die Pflicht jedes Bürgers ist, sich an der Verteidigung des eigenen Landes zu beteiligen". Offiziere und Unteroffiziere sähen die Pläne deshalb nicht mit Begeisterung.

Die Wehrexperten von SPD und CSU haben nach der Bonner Vorentscheidung für eine Verkürzung des Grundwehrdienstes gar eine reine Freiwilligenarmee gefordert. Der CSU-Wehrexperte Benno Zierer sagte dem Kölner Express, die Verkürzung der Wehrpflicht könne nur der erste Schritt sein. "Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, an dessen Ende die Freiwilligenarmee stehen wird."

Sven Christian

Süddeutsche Zeitung  – Juli 18, 1994

Erstmals eine Frau an der Spitze der Münchner SPD - Anker will das Profil der SPD schärfen. Öffnung der Partei neue Devise: In die Betriebe gehen, statt im Hinterzimmer zu sitzen

Von Sven Lörzer

Bei ihrem Jahresparteitag hat die Münchner SPD Ingrid Anker zur neuen Vorsitzenden gewählt. Die 48jährige Sozialwissenschaftlerin und bisherige stellvertretende Unterbezirksvorsitzenden löst den Landtagsabgeordneten Hans-Günter Naumann ab, der nach zwölf Jahren im Amt nicht mehr kandidiert hatte. Von den 190 Delegierten haben 149, rund 80 Prozent, für Ingrid Anker gestimmt, die ohne Gegenbewerber geblieben war. Als Schwerpunkte ihrer Arbeit kündigte sie an, den innerparteilichen Dialog zu verbessern und eine Öffnung der Partei zur Gesellschaft zu fördern. Es sei viel notwendiger, dass die Partei nach draußen geht, sagte Ingrid Anker bei ihrer Vorstellung im Hofbräuhaus, als endlos lange interne Sitzungen abzuhalten: Wir müssen uns in der Münchner Gesellschaft als SPD zeigen, in die Betriebe gehen, den Leuten zuhören, statt im Hinterzimmer zu sitzen. Themenschwerpunkte der nächsten Monate seien die Arbeitsplatzsicherung, die soziale Grundsicherung und der Bildungsbereich.

Voraussetzung dazu sei, Betriebe und soziale Einrichtungen zu besuchen. Wichtigste Aufgabe sei die Vorbereitung der Kommunalwahl 1996. Da angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Rathaus OB Christian Ude ohne Kompromisse kaum handlungsfähig sei, müsse die Partei stärker als bisher Stellung beziehen und Positionen verdeutlichen.

Für die erste Frau an der Spitze der Münchner SPD setzten sich Bürgermeisterin Gertraud Burkert sowie die beiden Bundestagsabgeordneten Ulrike Mascher und Hanna Wolf ein. Ingrid Anker sei eine engagierte und gescheite Frau, die den Münchner Alltag kennt, sagte Ulrike Mascher, während Hanna Wolf meinte: Die kritische Begleitung einer Frauenkandidatur in den Medien ist typisch. Von den 190 abgegebenen Stimmen waren zwei ungültig. Sechs Delegierte enthielten sich, 33 votierten mit Nein, 149 wählten Ingrid Anker. Für sie rückt der Bezirksausschussvorsitzende Alexander Reissl als Stellvertreter nach. Wiedergewählt wurden die beiden weiteren Stellvertreter, der Landtagsabgeordnete Franz Maget und Stefanie Jahn.

In seiner Abschiedsrede hatte Naumann zuvor betont, es gibt nach wie vor eine realistische Möglichkeit, die absolute Mehrheit der CSU im Landtag zu brechen. Die SPD müsse ihre Ausstrahlung verbreitern, sie benötige Gesprächs- und Bündnispartner. Naumann bedauerte die Wahl eines Republikaners zum Korreferenten des Kreisverwaltungsreferats, die SPD-Fraktion sollte Mittel finden, dies zu ändern. Sie dürfe nicht dulden, dass der Mann einer rechtsradikalen Partei in ein solches Amt kommt. Fraktionschef Dietmar Keese beeilte sich zu versichern, wir werden versuchen, die eingetretene Verteilung zu korrigieren. Der scheidende Parteivorsitzende ging auch auf den Streit um die Deserteure aus Ex-Jugoslawien ein. Unsere Sympathie muss jenen gehören, die sich weigern, einen der brutalsten Bürgerkriege zu verlängern.

Als Politiker, der seiner Zeit häufig um Jahre voraus war, würdigte OB Christian Ude den langjährigen SPD-Chef. Bereits 1970, mehr als 15 Jahre bevor es Wirklichkeit wurde, habe er gefordert, den Einbau von Katalysatoren bei Autos gesetzlich vorzuschreiben. Er war schon vernünftig, als man Leute wie mich dazu noch hat überreden müssen, bescheinigte Ude. Dabei habe er eines der undankbarsten Ämter bekleidet, das die deutsche Sozialdemokratie zu vergeben hat. Altoberbürgermeister Georg Kronawitter dankte Naumann, der ihm den Rücken freigehalten habe: Du warst der Sack, der geschlagen wurde, wenn der Esel, das war ich, gemeint war.

Süddeutsche Zeitung  – Juli 20, 1994

Kritik an Freispruch für das Laserdrome

Der Freispruch für das Pasinger Laserdrome durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, die SZ berichtete, trifft bei der SPD -Bundestagsabgeordneten Hanna Wolf auf heftige Kritik. Die jugendpolitische Sprecherin ihrer Fraktion forderte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger dringend auf, durch eine Gesetzesinitiative dem makaberen Treiben ein Ende zu setzen. Die Bundesregierung müsse endlich handeln, denn auf der Grundlage divergierender Gerichtsentscheidungen könnten die lokalen Ordnungsbehörden nicht vernünftig arbeiten. emj

Süddeutsche Zeitung - August 20, 1994

46 Bewerber und 17 Gruppierungen treten an - CSU muss vier von fünf Direktmandaten verteidigen

Von Frank Müller

Der vierte - und letzte - Urnengang, zu dem die Münchner im Megawahljahr 1994 aufgerufen sind, wirft seine Schatten voraus: die Bundestagswahl vom 23. Oktober. Seit gestern steht fest, welche Direktkandidaten in den fünf Münchner Wahlkreisen um das Wählervotum - das heißt, um die Erststimme - bitten werden. Der Kreiswahlausschuss machte insgesamt 46 Bewerbern aus zwölf Parteien den Weg auf den Stimmzettel frei. Weitere fünf Parteien werben nur auf Landeslisten um die für die Mandatsverteilung entscheidende Zweitstimme der Münchner (siehe auch Bayernteil). Die Zahl 46 markiert trotz des generellen Rückzugs der NPD vom Wahlschein einen neuen Rekord im Kandidatenrennen. Neben den fünf im Bundestag vertretenen Parteien CSU, SPD, FDP, Bündnis 90/Grüne und PDS treten auch Republikaner, ÖDP und Bürgerrechtsbewegung Solidarität flächendeckend an, dazu kommen in einzelnen Wahlkreisen die Grauen/Graue Panther, die Naturgesetz -Partei sowie die Liberalen Demokraten (LD) und die Marxistisch-Leninistische Partei. Wenn es kein Wunder gibt, wird die Entscheidung um die Direktmandate natürlich auch 1994 zwischen den beiden großen Volksparteien fallen. Bei der ersten gesamtdeutschen Wahl 1990 waren vier an die CSU und eines an die SPD gegangen. In München-Mitte hatte SPD-Bewerberin Ulrike Mascher den Ex -Bundesminister Hans Klein überflügelt, nachdem die Union 1987 noch in allen fünf Wahlkreisen abräumen konnte.

Nur mit diesem Duo und mit den beiden Lokalmatadoren im Münchner Westen, Kurt Faltlhauser (CSU) sowie Hanna Wolf (SPD), gibt es 1994 dieselben Duelle wie 1990. Ansonsten gibt es jeweils ein neues Gesicht. Mit Spannung wird vor allem der Wahlausgang im Münchner Norden erwartet, wo die Genossen am ehesten die Chance auf ein zweites Münchner Direktmandat haben dürften. Dort tritt der bisherige CSU-Kandidat Fritz Wittmann nicht mehr an. Stattdessen kandidiert Gauweiler-Intimus Johannes Singhammer gegen SPD-Vordenker Peter Glotz. 1990 war dieser gegen Wittmann nur ganz knapp unterlegen. Dickere Polster haben da die 1990 direkt gewählten CSU-Abgeordneten Herbert Frankenhauser (Ost) und Erich Riedl (Süd), gegen sie schickt die SPD die beiden Neulinge Kurt Damaschke und Achim Bender ins Rennen. Jürgen Vahlberg und Rudi Schöfberger treten dort nicht mehr an.

Im Münchner Süden kommt es übrigens zum geballten Aufeinandertreffen Münchner Politprominenz: Für die Grünen kandidiert die Rathaus -Fraktionsvorsitzende Angelika Lex, für die FDP Stadtverbandschef Michael Mattar und für die Reps der frühere Fraktionsführer Heinz Kremzow. Die größten Chancen, für eine kleine Partei aus München in den Bundestag einzuziehen, hat wegen seines guten Listenplatzes freilich einer, der gar nicht in München direkt kandidiert, sondern in Augsburg-Stadt: Der Münchner FDP -Stadtrat Hildebrecht Braun.

Süddeutsche Zeitung - September 2, 1994

Kandidatinnen für den Bundestag und den Landtag: Fünf SPD-Frauen zeigen Flagge. Weibliche Abgeordnete gutes Mittel gegen Politikverdrossenheit

Von Claudia Wessel

60 Prozent der Bevölkerung seien dafür, dass mehr Frauen in Führungspositionen gelangen, interessanterweise ebenso viele Männer wie Frauen. Diese Einleitung zur Vorstellung der zwei Münchner SPD-Bundestags- und drei Landtagskandidatinnen gab folgerichtig die parteiintern ranghöchste Sozialdemokratin der Landeshauptstadt: die erst vor wenigen Monaten gewählte Vorsitzende der Münchner SPD, Ingrid Anker. Dass sie selbst ebenso wie die fünfköpfige Damenriege ein Symbol für die Frauenfreundlichkeit der SPD sei, ließ sie zufrieden durchblicken. CSU und FDP haben für die Bundestagswahl in München ausschließlich Männer aufgestellt. Überrundet würden die Sozialdemokraten lediglich noch von den Grünen, die drei Frauen und zwei Männer ins Rennen um Mandate für Bonn schickten.

Hanna Wolf und Ulrike Mascher, beide seit 1990 im Bundestag, wollen auch weiterhin die Interessen der Münchner in Bonn vertreten. Dorle Baumann und Monica Lochner-Fischer möchten wieder in den Landtag gewählt werden, Anne Hirschmann aus dem Stadtrat in die Landespolitik wechseln. Immer wieder habe ich während meiner zehnjährigen Tätigkeit in der Kommunalpolitik erlebt, welche Schwierigkeiten die Stadt aufgrund fehlender finanzieller Unterstützung durch das Land hatte, begründete Frau Hirschmann, erst am 12. Juni erneut in den Stadtrat gewählt, ihre Ambitionen aufs Maximilianeum.

Den Wechsel wollen die fünf Kandidatinnen natürlich alle - am liebsten den von der konservativ-liberalen zur SPD-Regierung. Doch auch den zu mehr Frauen -Mitsprache, sprich einer zahlenmäßigen Vermehrung der weiblichen Abgeordneten, streben sie an. Mehr Frauen in den Parlamenten, das ist ein gutes Mittel gegen Politikverdrossenheit, glaubt Hanna Wolf. Denn Frauen seien näher an den tatsächlichen Bedürfnissen der Bürger orientiert.

taz, die tageszeitung - September 8, 1994

Paragraph 218 zwischen den Stühlen

myriam schönecker
 
Nach Scheitern im Vermittlungsausschuss ist Abtreibungsgesetz bis nach der Wahl vertagt

Es war also vergebliche Liebesmüh. Ausschussitzungen, Anhörungen, Arbeitsgruppen - das monatelange Tauziehen um das neue Abtreibungsrecht war erst mal umsonst. Denn die Entscheidung des Vermittlungsausschusses, das Thema "Paragraph 218" für diese Legislaturperiode ad acta zu legen, bedeutet: Nach der Bundestagswahl geht das ganze Prozedere des Gesetzgebungsprozesses wieder von vorne los. Denn mit dem Zusammentreten des neuen Bundestags nach der Wahl, unabhängig von den dann herrschenden Mehrheiten, "verfällt" das Abtreibungsgesetz der Koalition, das Ende Mai im Bundestag mit nur vier Stimmen Mehrheit angenommen wurde. "Diskontinuitätsprinzip" heißt das. Und dabei war ein Kompromiss zwischen Koalition und SPD in den letzten Tagen so nah wie noch nie. Die Koalition hatte sich in entscheidenden Fragen wie der Finanzierung des Abbruchs und der Bestrafung des familiären Umfeldes auf die SPD zubewegt. Im derzeitigen Wahlkampf ist das natürlich opportun, zumal im Vermittlungsausschuss nach den Wahlen in Sachsen-Anhalt ein Patt herrscht und schon deshalb die Union Zugeständnisse machen musste.

Bis zuletzt wurde allerdings kein Kompromiss über den Charakter der Pflichtberatung erzielt. Die SPD bestand darauf, eine Formulierung aufzunehmen, wonach die Frau "Eigenverantwortung" bei der Entscheidung trägt. Die Koalition wollte dagegen nur eine "Letztverantwortung" der Frau betonen. Doch der Kompromiss scheiterte nicht nur an Differenzen zwischen Koalition und SPD, sondern offenbar auch an Streitigkeiten innerhalb der SPD. Die sozialdemokratische Verhandlungsführerin Inge Wettig-Danielmeier hatte sich in den zwei Wochen sehr kompromissbereit gegenüber der Koalition gezeigt - und stand damit mehr und mehr in ihrer Partei im Abseits. Kritik hagelte es vor allem aus dem Düsseldorfer Frauenministerium. Die nordrhein-westfälische Frauenministerin Ilse Ridder-Melchers, in den Verhandlungen federführend für die SPD-Länder, sah im Gegensatz zum pragmatischen Kurs von Wettig-Danielmeier "gravierende Differenzen" bereits in technischen Einzelfragen, wie zum Beispiel bei der Abwicklung der Finanzierung.

Ridder-Melchers Stimme war denn auch zu vernehmen, als gestern wie zu erwarten die gegenseitigen Schuldzuweisungen einsetzten. Sie begrüßte das Scheitern im Vermittlungsausschuss. Ebenso SPD-Geschäftsführer Peter Struck: Bereits in der Nacht zum Mittwoch hatte Peter Struck in seiner Funktion als SPD-Vorsitzender des Vermittlungsausschusses in Siegerpose das Scheitern des Koalitionsgesetzentwurfs kommentiert mit den Worten: "Das Gesetz ist weg." Auch Hanna Wolf, frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, wertet die Entscheidung des Vermittlungsausschusses als Erfolg.

"Das Ergebnis jahrelanger Arbeit wurde an die Wand gefahren", warf dagegen Uta Würfel von der FDP dem Vermittlungsausschuss sichtlich enttäuscht vor. Würfel war monatelang Verhandlungsführerin ihrer Fraktion in Sachen Neuregelung des Paragraphen 218. Das Scheitern des Abtreibungsrechts ist auch ihr persönliches: Im kommenden Bundestag wird Uta Würfel nicht mehr vertreten sein.

Süddeutsche Zeitung - September 9, 1994

SPD-Abgeordnete Wolf bereist den Münchner Westen: S-Bahnhöfe kritisch getestet. Hochrangige Delegation mit Checkliste als Begleitung

Von Thomas Münster

Auf einer Bereisung zahlreicher S-Bahnhöfe im Münchner Westen nahm die Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf die Qualitäten und die Mängel dieser Stationen persönlich in Augenschein. Die SPD-Politikerin wollte herausfinden, wie sie sich auch nach der Privatisierung der Bahn künftig in Bonn für die Münchner S-Bahn einsetzen kann, sagte sie. Außerdem wolle sie gerade in der derzeitigen Umbruchphase der DB ihre parlamentarische Mittlerrolle wahrnehmen, indem sie alle mit der Verbesserung dieses Verkehrssystems Betrauten abseits der ausgetretenen Funktionärs- und Behördenpfade zusammenführe. Mit auf die von der Deutschen Bahn AG umsichtig organisierte Prüfungsrundreise machten sich deshalb auch Vertreter der Bezirksausschüsse, des Planungsreferats, der Stadtwerke/Verkehrsbetriebe, des MVV und sogar ein Experte des bayerischen Wirtschaftsministeriums, da wohl auch die anstehende Regionalisierung der Bahn und damit die Neuverteilung der Kostenlast zur Sprache kommen würden.

Außer einem beladenen Test-Kinderwagen hatte die kleine Delegation auch Checklisten für Fahrgastfreundlichkeit dabei, die gleich an Ort und Stelle abgehakt wurden. Stichpunkte waren die Erreichbarkeit und Zugänglichkeit der Bahnhöfe zu Fuß mit Kinderwagen, Fahrrad und Rollstuhl, die Fahrradabstellmöglichkeiten, Hinweise auf und Übergänge zu anderen öffentlichen Verkehrsmitteln, Sicherheit, Beleuchtung, Videoüberwachung und das äußere Erscheinungsbild, anzukreuzen von ansprechend bis hässlich.

An Mängeln herrscht kein Mangel, an offenen Fragen auch nicht. Dass im Dreieck zwischen Donnersbergerbrücke, Lochhausen und Neuaubing verpisste Treppenhäuser, labyrinthische Ausgänge, fehlende Rollstuhlzufahrten, bruchstückhafter Wetterschutz, von Fremdparkern zugeparkte P+R-Plätze, falsche Bahnsteighöhen und Anliegerbeschwerden zuhauf anzutreffen waren, konnte die Delegation vorhersehen. Aber was geschieht etwa mit den Anschlüssen zum übrigen Verkehrsverbund, wenn die S-Bahn endlich ihren schnelleren Takt bekommt? Die Verkehrsbetriebe können ja nicht beliebig aufstocken, allenfalls umschichten.

Helmut Müller, für den DB-Geschäftsbereich Netz zuständig, konnte angesichts einer Fülle vollzogener oder konkret geplanter Verbesserungen den Schwarzen Peter gelassen zurückreichen: Es ist doch Sache der Abgeordneten, dass wir mit genügend Geld versorgt werden.

Süddeutsche Zeitung - September 27, 1994

SPD: Keine Zeit zum Trauern - Wir haben die Depression überwunden. Nach dem Zittern das Feiern mit rotem Sekt der Marke Domina

Von Cornelia Glees

Als die ersten Hochrechnungen einliefen, knackte Hanna Wolf, die Münchner Bundestagsabgeordnete, energisch mit dem Messer den Hähnchenschenkel auf ihrem Teller: Gut, dass die FDP raus ist. Aber die sind jetzt alle zur CSU, murrte sie. Doch die SPD kam im Maximlianeum noch in Stimmung. Kurz vor acht ging Oberbürgermeister Christian Ude, essend am Bistro-Tischchen, von mindestens drei Direktmandaten aus. Da setzte er noch auf Klaus Hahnzog. Doch der Dr.jur. zog gegen den Dr. med. (Thomas Zimmermann) den kürzeren. Bei Ude hörte es sich schon einmal so an: Wir haben die Depression der Europa- und Stadtratswahl überwunden. Der 12. Juni war ein Betriebsunfall. Und im nachhinein, vor lauter Freude, ist der OB richtig froh über die herbe Schlappe. Denn erst so sei die Partei hochmotiviert gewesen. Wenig Freude dagegen bei Bayerns DGB-Chef Fritz Schösser, der im Münchner Norden das Nachsehen hatte. Sein Knackpunkt: Feldmoching. In ihrem Bewusstsein sind die Bauern da oben doch längst Großgrundbesitzer, die wählen nicht mehr SPD. Jawohl, seine Stimmung war gedämpft, bayernweit natürlich alles sehr gut. Nicht gerade tröstlich, dass da gerade Alt-OB Hans-Jochen Vogel kurz auf einen Plausch im Treppenhaus stehen blieb und daran erinnerte: In Feldmoching hab ich mal 70 Prozentgeholt, mein Lieber.

Keine Zeit zur Trauer Keine Zeit zum Trauern. Denn endlich zog Renate Schmidt im Triumphzug ins SPD-Lager ein, schnell wurde roter Sekt (der gute Wiebelsberger Dachs, Marke Domina) ausgeschenkt, und da ging die tapfere Gratulation Schössers an seinen erfolgreichen Mitstreiter Franz Maget im minutenlangen Gejohle und Geklatsche unter. Und Maget, wie so oft im dezent -karierten Sakko, genoss den Sieg. Ein ganz stark, Franz nahm der 41jährige Brillenträger strahlend entgegen.

Erst gezittert Riesig gefreut hat sich auch Monica Lochner-Fischer, die am späten Abend schon bei ihren Wahlhelferinnen und Wahlhelfern im Haidhauser Unionsbräu saß. Erst haben wir gezittert, jetzt feiern wir, und natürlich habe sie eben im Landtag gute Arbeit gemacht. Das bescheinigte ihr auch Bürgermeisterin Gertraud Burkert. Hahnzog allerdings habe natürlich den Lokalpolitiker-Bonus nicht mehr gehabt. Der tröstete sich im SPD-Büro Giesing: Ich komm sowieso rein.

Süddeutsche Zeitung - Oktober 6, 1994

Die Stadt braucht den Wechsel in Bonn

Mit großem Optimismus erwartet die Münchner SPD die Ergebnisse der Bundestagswahlen in der Stadt. Ingrid Anker, die Vorsitzende des Unterbezirks, sagte auf einer Pressekonferenz: Der Trend für die SPD geht weg von den Negativergebnissen, wir werden in München zulegen. In Bonn werde die SPD auf jeden Fall an der Regierung beteiligt sein - in welcher Form auch immer. Die Stadt brauche diesen Wechsel in Bonn. OB Christian Ude warf der Bundesregierung vor, sie habe in den zentralen Bereichen der Mieten- und Sozialpolitik versagt. Dies bekämen viele Bürger und Bürgerinnen in der Stadt zu spüren. Die beiden Kandidaten-Neulinge für den Bundestag, Achim Bender (Süden) und Kurt Damaschke (Osten), wollen ihr Schwergewicht auf die Arbeitsplatz- und Sozialpolitik legen. Hanna Wolf, die für den Westen kandidiert und seit vier Jahren im Bundestag ist, fordert außerdem Verbesserungen im öffentlichen Nahverkehr. dü.

Süddeutsche Zeitung - Oktober 12, 1994

Computer wertet die Aktivitäten der örtlichen Bundestagsabgeordneten aus - Wem München besonders am Herzen lag. Rudolf Schöfberger (SPD) engagierte sich 25mal für die bayerische Landeshauptstadt, drei andere überhaupt nicht

 Von Berthold Neff

Noch vier Tage bis zur Bundestagswahl - höchste Zeit also, jene Politiker unter die Lupe zu nehmen, die München in Bonn vertreten. Wie stark haben sich die elf Abgeordneten von CSU, SPD und FDP für die Landeshauptstadt eingesetzt? Die Antwort auf diese Frage kommt aus dem Computer. Unbestechlich, weil parteifarbenblind, listet er all die Worte und Taten der Münchner Matadore in der Bonner Polit-Arena auf: Kleine und Grosse Anfragen, Anträge, Erklärungen, Zwischenrufe und Reden. Insgesamt 1738 solcher Vorgänge sind für die Zeit von 1990 bis zur Sommerpause 1994 im Sach- und Sprechregister des Deutschen Bundestags eingetragen. Um herauszufinden, wer in Bonn stets auch das Wohl und Wehe der Basis an der Isar im Auge hatte, war also ein 2,3 Kilogramm schwerer Stapel Computerpapier durchzusehen. Nun dokumentieren zwei Strich- und Hitlisten, dass sich Ulrich Irmer (FDP) so oft wie kein anderer mit allem Möglichen beschäftigte und dass sich der SPD-Bundestagsabgeordnete Rudolf Schöfberger am häufigsten für Münchens Interessen einsetzte.

Es ist natürlich ein schwieriger Spagat, den jene zwei Frauen und neun Männer tagtäglich zu vollführen haben, seit ihnen am 2. Dezember 1990 der Sprung in den ersten gesamtdeutschen Bundestag glückte. Nicht nur, dass sie den Eindruck erwecken müssen, in Bonn besonders gebraucht zu werden, sie haben auch sooft wie möglich in ihrem Wahlkreis zu erscheinen, zur Arbeit an der Basis. Schließlich wird hier entschieden, ob sie sich der leid- und lustvollen Fron noch einmal unterziehen dürfen, die da besteht aus der unerbittlichen Abfolge von Bürgersprechstunden, Ortsversammlungen, Vereinssitzungen, Geheimtreffen im Hinterzimmer, Flügen zu nachtschlafener Stunde, Schlafen im Nachtzug, Arbeitskreisen und jenen langen Sitzungen im Bonner Plenarsaal, die nur ab und zu durch einen eigenen Redebeitrag gekrönt werden (der zudem meist ohne Direktübertragung nach München bleibt und so fast wirkungslos verpufft).

Obwohl dies alles so schwierig ist, behaupten die Hochglanzbroschüren, die jetzt noch schnell unters Wahlvolk gebracht werden, felsenfest: In seinem Wahlkreis ist er genauso präsent wie in Bonn. Gerne werden dazu noch die Leistungen, die zählen, aufgereiht, etwa so: Pflegeversicherung durchgesetzt, Wohnraum geschaffen, Verbrechen bekämpft, Wirtschaftsstandort gesichert. Das sagt sich so leicht, aber stimmt es auch?

Der Computer macht die Probe aufs Exempel. Er listet minutiös auf, welche Münchner Bundestagsabgeordneten die meisten München-Themen in Bonn zur Sprache gebracht haben. Klar ist natürlich, dass die Zahl der Reden, Anträge oder Zwischenrufe zum Thema München keineswegs alles sagt: Weil sich ihr zum Beispiel nicht entnehmen lässt, welche dieser Aktivitäten letzten Endes Früchte trugen, kann sie nur als Indiz dafür gelten, wer in Bonn überhaupt an München dachte - und es den Bundestag wissen ließ.

Weil aber stetes Klappern zum Polit-Handwerk gehört, ist nicht anzunehmen, dass jemand viel für München erreicht haben kann, dem der Namen der heimlichen Hauptstadt kein einziges Mal über die Lippen kam. Zu erwarten war auch, dass die CSU- und FDP-Abgeordneten ihre Regierung nicht besonders mit kritischen Fragen überziehen würden; diese öffentlichkeitswirksame Aufgabe blieb wie immer der Opposition vorbehalten.

Für alle SPD-Sympathisanten deshalb jetzt die gute Nachricht: Rudolf Schöfberger, SPD-Bundestagsabgeordneter für den Münchner Süden, ist mit 25 aufgegriffenen München-Problemen einsamer Spitzenreiter dieser München -Hitparade. Die schlechte Nachricht ist allerdings die, dass der rote Rudi am 16. Oktober nicht mehr kandidiert, ebenso wie sein CSU-Kollege Fritz Wittmann, der es nur auf ein München-Thema brachte: Nachdem ein Professor der Münchner Universität Soldaten in Uniform aus dem Hörsaal verbannt hatte, erkundigte sich Wittmann, ob dadurch die Zahl der Wehrdienstverweigerer gestiegen sei.

Auch wenn Schöfberger jetzt nicht mehr antritt, sei hier noch einmal skizziert, welch breite Themenpalette er in Bonn zur Sprache brachte: Tunnels am Mittleren Ring, den Schiessplatz am Perlacher Forst, den Wiederaufbau des Holzkirchner Flügelbahnhofs, einen besseren Mieterschutz oder den Garchinger Atomreaktor. Vieles ging er in Kooperation mit seinen SPD-Kollegen Peter Glotz, Ulrike Mascher und Hanna Wolf an, etwa den Schutz der Mieter vor Umwandlungsspekulation oder den harten Einsatz der Polizei beim Weltwirtschaftsgipfel am 6. Juli 1992, den Bayerns damaliger Ministerpräsident Max Streibl als bayerische Art verharmloste.

Herbert Frankenhauser, ihr CSU-Konkurrent aus dem Münchner Osten, interessierte sich weniger für die Polizeiknüppel oder für die Härte, mit der sie auf die Demonstranten niederprasselten, als vielmehr dafür, von welcher Seite die Gegendemonstranten finanziert wurden, wie es dazu kam, dass sich eine Gruppe aus Frankfurt an der Oder daran beteiligte, und wie viel der Münchner Gipfel im Vergleich zu den drei vorangegangenen gekostet habe. Ansonsten regte Frankenhauser, wen wundert's, unter anderem höchste Priorität für die Lärmschutzanlagen an der Bundesbahnstrecke München-Ost an. Seine SPD -Konkurrentin aus dem Westen, Hanna Wolf, beschäftigte sich, ihre Wähler ebenso vor Augen, mit dem Ausbau der B 12 West München-Lindau zur Autobahn und wollte die damit verbundenen Kosten in Beziehung gesetzt sehen zum Ausbau der entsprechenden Bahnstrecke. Ähnlich agierten Peter Glotz (Kleine Anfrage zu den Bundesbediensteten am Münchner Flughafen, Verlagerung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr) oder Ulrike Mascher (Garchinger Heide als Naturschutzgebiet, Verbot waffenfähigen Urans im Garchinger Reaktor).

Zu großer Form liefen (bis auf die FDP-Kollegen) alle Abgeordneten auf, als die Affäre um die Verpachtung von Peter Gauweilers Mandanten hohe Wellen schlug. Die SPD verlangte Aufschluss über die Praxis anwaltschaftlicher Pacht- und Sozietätsverträge und setzte der CSU so zu, dass selbst der bis dahin mit München-Fragen nicht besonders profilierte Kurt Faltlhauser aus der Reserve ging und eine Zusatzfrage stellte, während Herbert Frankenhauser zum Gegenschlag ausholte und die anwaltschaftliche Tätigkeit von Hans-Jochen Vogel und Hans A. Engelhard während derer Ministerjahre aufs Korn nahm.

Der FDP-Abgeordnete Hans A. Engelhard, schon als Justizminister einer der Stillen im Lande, ließ sich nicht einmal dadurch zu einer Wortmeldung hinreißen, so dass er mit null Punkten zu den drei Schlusslichtern der München-Liste gehört. Parteipolitisch angenehme Gesellschaft leistet ihm dort Ulrich Irmer, der es geschafft hat, auf 477 Vorgänge zu kommen und München dabei nur einmal zu streifen - er erwähnte das Münchener Abkommen von 1938.

Erich Riedls München-Liste weist nur einen Eintrag auf - die Frage nämlich, ob die FDP-Justizministerin mit der FDP-Landtagsabgeordneten Karin Hiersemenzel im Laufe der Gauweiler-Affäre die Verpachtung von Mandantenstämmen erörtert habe. Die Chance, sich in eigener Sache zu Wort zu melden, versäumte Riedl. Dafür punkteten die anderen auf seine Kosten. Ulrike Mascher begründete ihre Forderung nach seiner Entlassung als Parlamentarischer Staatssekretär mit seiner Äußerung von der asylantenfreien Zone im Münchner Süden und seiner Rolle bei der umstrittenen Gedenkfeier auf dem V2-Gelände in Peenemünde.

Und wie legte sich Hans (Johnny) Klein diesmal ins Zeug, nachdem ihn Ulrike Mascher 1990 in München-Mitte sensationell besiegt hatte? Zuerst einmal schwieg sich der Bundestagsvizepräsident nach dieser Niederlage gut ein halbes Jahr lang gründlich aus. Am 7. Juni 1991 meldete er sich erstmals mit einer Zwischenfrage zu Wort und bewies am gleichen Tag sogar Humor, wie der Computer aufmerksam registrierte: Hans Klein erkundigte sich nach dem Verbleib jenes Pferdes, von dem der frühere Finanzminister Hans Apel einst meinte, getreten worden zu sein.

Danach ließ es Johnny Klein ruhiger angehen, fand nur noch sporadisch Eingang in das Computerregister. Die Tatsache, dass von seinen insgesamt 21 Einträgen gleich zehn sein Engagement in der Hauptstadt-Frage betreffen (Bonn oder Berlin), zeigt ziemlich klar: Für die heimliche Hauptstadt blieb ihm im hektischen Bonner Treiben einfach keine Zeit.

Süddeutsche Zeitung - Oktober 12, 1994

Sie stellen 100-Tage-Programm der Bundes-SPD vor - Zwei Kandidaten mit Konzept für Bonn. Wolf für Gleichberechtigung - Bender setzt auf High-Tech

Von Christine Burtscheidt

Vier Tage vor der Bundestagswahl halten die Münchner SPD-Kandidaten, Hanna Wolf und Achim Bender, einen Wechsel der Regierung für äußerst wahrscheinlich. Wie die Bundes-SPD die negative Bilanz der Regierung Kohl nach einem Wahlsieg korrigieren will, legte sie in einem 100-Tage-Programm fest. Auf ihm fußend will Hanna Wolf, Kandidatin im Münchner Westen, für die Wiederherstellung des sozialen Friedens im Land einstehen. So stellt sie sich eine soziale Umschichtung zugunsten der schwachen Einkommensgruppen vor: Wir setzen auf ein Steuersenkungsprogramm für Normalverdiener.

Das politische Steckenpferd der langjährigen Münchner Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen wird jedoch das Thema Gleichberechtigung sein. Frauen dürfen nicht mehr so diskriminiert werden wie bisher. Abhilfe soll ein neues Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst und die private Wirtschaft schaffen. Bei gleicher Qualifikation muss das unterprivilegierte Geschlecht bei Stellenausschreibungen bevorzugt werden. Im Rahmen einer allgemeinen Arbeitsmarktoffensive, die umgehend rund 700 000 Arbeitslosen zu einem Job verhelfen soll, fordert sie eine Arbeitszeitverkürzung, um mehr Frauen die Chance zu geben, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Für Jugendliche schwebt ihr ein Ausbildungsgarantiegesetz vor: Jeder soll ein Recht auf einen Arbeitsplatz haben.

Bender, Kandidat im Münchner Süden, sieht hingegen Nachholbedarf im Bereich der Hochtechnologie. Der Standort München ist ernsthaft gefährdet. Selbst große Betriebe wie Siemens dächten wegen struktureller Probleme über Entlassungen nach. Statt auf moderne Technologien wie im Kommunikations- und Umweltbereich zu setzen, investierten Bund und Land in rückschrittliche Projekte der Kernenergie und der Rüstungsindustrie. Zur Ankurbelung der Innovation sei ein Datenaustausch zwischen Hochschule und Industrie dringend erforderlich.

Süddeutsche Zeitung - Oktober 19, 1994

Fünf direkt, fünf über die Liste gewählt: Zehn Münchner in Bonn vertreten. Auch Hildebrecht Braun schafft von Augsburg aus den Sprung

 Von Frank Müller

Fünf schafften es auf direktem Weg - insgesamt wird München allerdings wie bereits während der abgelaufenen Legislaturperiode mit doppelt so viele Abgeordneten im 13. Deutschen Bundestag repräsentiert sein. Neben den fünf Gewinnern der Direktmandate, die über das Erststimmen-Ticket nach Bonn fahren, schaffte es ein weiteres Quintett über die Landesliste ihrer jeweiligen Partei, also über die Zweitstimme. Für die CSU heißt dies, dass neben den vier siegreichen Kandidaten Kurt Faltlhauser (West), Erich Riedl (Süd), Herbert Frankenhauser (Ost) und Johannes Singhammer (Nord) auch der in München -Mitte unterlegene Bundestagsvizepräsident Hans Johnny Klein wieder ins Parlament einzieht.

Ihm hatte für die SPD erneut Ulrike Mascher das Direktmandat abgejagt - der bayernweit einzige Erfolg dieser Art für die Genossen im Freistaat. Neben ihr dürfen für die Münchner SPD die im Norden und im Westen unterlegenen Kandidaten Peter Glotz und Hanna Wolf nach Bonn. Die Bewerber im Süden und im Osten, Achim Bender und Kurt Damaschke, hatten zu schlechte Plätze auf der SPD -Landesliste.

Bei den Grünen zieht Landeschef Gerald Häfner (Wahlkreis München-West) in den Bundestag ein, der den sicheren Listenplatz zwei innehatte. Bei den Liberalen dagegen gibt es einen Sonderfall: Neben Ulrich Irmer (München-Nord) rutscht auch der bisherige Münchner FDP-Stadtrat Hildebrecht Braun auf Platz sechs der FDP-Liste gerade noch ins Parlament. Er allerdings war am Sonntag Direktkandidat in Augsburg. Den örtlichen Interessen dort wolle er auch im Zweifelsfall Vorrang einräumen, sagte Braun gestern. Ohne Vertretung bleibt München damit nur bei der PDS, die bayernweit nur ein Listen-Mandat erhielt. Nach Wahlkreisen aufgeschlüsselt, sind damit der Norden und der Westen der Landeshauptstadt in Bonn am besten vertreten: mit je drei Abgeordneten. Auf München-Mitte entfallen zwei, auf Ost und Süd je einer.

Süddeutsche Zeitung - Oktober 19, 1994

Kreisverwaltungsreferat - Die Macht bis hin zur Fernbedienung

 Von Berthold Neff und Margit Pratschko

Der Erste zu sein, darauf kommt es an in der Politik. Wer so lange im Geschäft ist wie Erich Riedl (CSU), hat diese Weisheit natürlich längst verinnerlicht und erscheint deshalb schon zehn Minuten vor 18 Uhr im Kreisverwaltungsreferat (KVR). So, der Platz in der ersten Reihe vor dem Fernseher ist ihm sicher, und jetzt ist er auch der Herr über die Fernbedienung - er hat die Macht in Händen. Zunächst scheint es, laut Monitoren, als läge sein Konkurrent Achim Bender (SPD) vorn. Doch nach 60 ausgezählten Stimmbezirken klopfen ihm seine Anhänger auf die Schultern zum Beweis des Gegenteils.

Ulrike Mascher (SPD) dagegen muss ihren Sieg über Hans Klein (CSU) ziemlich alleine feiern - einzig Bürgermeisterin Gertraud Burkert (SPD) steht verloren unter all den CSU-Anhängern herum und gratuliert. Ein bisschen gebibbert hab' ich schon, aber eine Vier vorne, das ist toll, sagt Ulrike Mascher. Während die Gulaschsuppe am Buffet weniger und weniger wird, zappt Erich Riedl wie besessen zwischen den Programmen hin und her. Aber auch die Ergebnisse der CDU/CSU lassen keine Jubelstürme aufkommen, und was soll der schwarze Trauerhut von FDP-Stadträtin Heidrun Kaspar signalisieren? Müsste sie ihn jetzt, nach dem unverhofften Einzug ihrer Partei in den Bundestag, nicht vom Kopfe reißen? Kurt Faltlhauser (CSU), seines Sieges über Hanna Wolf (SPD) längst sicher, thront indessen wie ein Feldherr vor dem Monitor und lässt sich um 20.05 Uhr noch einmal sämtliche Zahlen bringen, bevor er sagt, wie dankbar, ganz bescheiden dankbar er sei.

Johannes Singhammer (CSU), der zum ersten Mal kandidierte, feiert den Erfolg über den SPD-Schattenminister Peter Glotz und über den Rep-Chef Franz Schönhuber: Das ist ein großer Vertrauensvorschuss für mich und eine Bringschuld an die Wähler. Das Direktmandat gewonnen hat auch Herbert Frankenhauser (CSU) im Münchner Osten, der sich unentwegt bemüht, die frohe Botschaft durch das Handy in die Welt zu posaunen. Froh ist er, so froh, dass die Schmetterlinge auf seiner Krawatte fast schon zu flattern beginnen.

Süddeutsche Zeitung - November 10, 1994

Münchner Germanistik-Studentin fühlt sich diskriminiert: Kind geboren - kein BAföG mehr. Sachlage mit Nichtbestehen einer Prüfung gleichgesetzt - Anwalt: Frauenfeindlich

 Von Claudia Wessel

Ist die Geburt eines Kindes gleichbedeutend mit dem Nichtbestehen einer Prüfung? Das fragt sich die Germanistik-Studentin Christine Trengler angesichts der Ablehnung ihres Antrags auf Verlängerung der Förderungshöchstdauer nach BAföG. Für diese Ablehnung legte das Amt für Ausbildungsförderung die gleichen Maßstäbe an Trenglers Fall wie an den eines Studenten, der durch die Prüfung gefallen war und sie noch einmal - staatlich gefördert - wiederholen durfte: Leistung aufgrund von Paragraph 15 Absatz 3 Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) setzt voraus, dass der Auszubildende innerhalb der Zeit, für die eine Verlängerung in Frage kommt, das Studium voraussichtlich abschließen kann.

Laut einer Verwaltungsvorschrift des Amtes für Ausbildungsförderung, die Trenglers Anwalt Tillo Guber nachgelesen hat, werden als angemessene Zeit für eine Schwangerschaft ein Semester, für die Erziehung eines Kindes unter fünf Jahren ein weiteres Semester eingeräumt. Jedoch eben unter der Voraussetzung, dass innerhalb dieser Zeit die Ausbildung berufsqualifizierend abgeschlossen werden kann - was die mittlerweile zweifache Mutter nicht garantieren konnte (die übrigens inzwischen bereut, dabei nicht gelogen zu haben). Die zitierten Bedingungen für eine Verlängerung der BAföG-Zahlung bestätigt der stellvertretende Leiter des Amtes für Ausbildungsförderung, Werner Hensgen. Man beziehe sich dabei nicht nur auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1985, das die Weiterförderung eines durch die Prüfung gefallenen Studenten behandelte, sondern auch auf ein weiteres Urteil vom 20. Februar 1992. Letzteres habe die Voraussetzung, dass das Studium innerhalb der verlängerten Zeit abgeschlossen werden muss, für alle fünf im Gesetz angeführten möglichen Verlängerungsgründe festgelegt. In anderen Worten: Ob wegen Schwangerschaft, Krankheit oder einer nicht bestandenen Prüfung verlängert werden muss, spielt keine Rolle. Für alle Gründe gelten dieselben Bedingungen.

Genau das ist für Rechtsanwalt Tillo Guber der Beweis dafür, dass Schwangerschaft und Geburt eines Kindes mit einer nichtbestandenen Prüfung gleichgesetzt werden. Und das findet er frauenfeindlich. Es wäre aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 6 Grundgesetz) nicht zulässig, die Geburt eines Kindes mit dem Nichtbestehen einer Prüfung gleichzustellen. Wegen der Geburt eines Kindes soll dem Auszubildenden gerade kein Vorwurf gemacht werden können. Da dies aber durch den Bezug auf das zitierte Urteil geschehen sei, diagnostiziert Guber eine Diskriminierung von Frauen in der praktischen Handhabung des BAföG-Rechts.

Das Für und Wider des Falles wird derzeit von der Arbeitsgruppe Bildung und Wissenschaft der SPD-Bundestagsfraktion geprüft. Die Münchner Abgeordnete Hanna Wolf, an die sich Christine Trengler gewandt hat, brachte ihn dort ein. Für die unverheiratete Studentin selbst geht derweil ein Semester nach dem anderen ohne Examen ins Land. Um die fehlende BAföG-Förderung selbst zu verdienen, arbeitet sie zwei Tage in der Woche in ihrem alten Beruf als Krankenschwester, versorgt dazu die beiden Kinder Daniel (zwei Jahre, neun Monate) und Nadia (ein Jahr, sieben Monate) und versucht, die Termine für die fehlenden Scheine bei ihren späteren Prüfern mit den anderen Verpflichtungen unter einen Hut zu bringen - was selten gelingt. So etwa hat einer ihrer Prüfer schon im zweiten Semester hintereinander nur zu den Zeitpunkten sein Seminar, an denen die junge Frau entweder arbeitet (donnerstags) oder ihre Kinder aus der Krippe abholen muss (17 bis 19 Uhr).

taz, die tageszeitung - November 15, 1994

Was fehlt

Die Präsidentin und die Schriftführerin im Bundestag. SPD-Politikerin Hanna Wolf hat kritisiert, dass im Bundestag noch immer frauendiskriminierende Bezeichnungen verwendet würden. Sie verwies auf einen Beschluss des Parlaments vom Januar 1993, wonach die Verwendung von "der Präsident" oder "der Schriftführer" als Bezeichnung für beide Geschlechter unzulässig sein sollte. Dies sei aber bei der Sitzung am 10. November in Berlin wieder so geschehen. Wolf forderte Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) auf, die Geschäftsordnung unverzüglich sprachlich an die Beschlusslage von 1993 anzupassen.

Süddeutsche Zeitung - November 18, 1994

CDU-Mittelstandsvereinigung unzufrieden: Berufung Rexrodts bleibt umstritten. SPD kritisiert Besetzung von Umwelt- und Frauenministerium

Schon vor der Vereidigung des neuen Bundeskabinetts ist am Donnerstag in der Bonner Koalition ein Streit um die erneute Berufung von Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) entbrannt. Der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU, Klaus Bregger, kritisierte in Bonn, große Teile des Mittelstands seien gegen diese Entscheidung. FDP-Chef Klaus Kinkel und der Fraktionsvorsitzende der Liberalen im Bundestag, Hermann Otto Solms, wiesen die Vorwürfe als unsachlich zurück. Dagegen begrüßte der Präsident des Bundesverbandes der Industrie (BDI), Tyll Necker, die Wiederberufung Rexrodts. Auf scharfe Kritik von SPD und Naturschützern stieß die Berufung der CDU -Politikerin Angela Merkel an die Spitze des Umweltministeriums. Kritik wurde auch an der neuen Frauenministerin Claudia Nolte laut. Bregger teilte mit, Rexrodt habe in den vergangenen Jahren einseitig auf Industriepolitik gesetzt. Bei der Bewältigung wichtiger mittelstandspolitischer Aufgaben sei der Minister dagegen gescheitert. Bregger kritisierte auch die von Rexrodt geforderte Abschaffung des Rabatt- und des Ladenschlussgesetzes.

Kinkel sagte dazu in Bonn, die FDP werde eine unsachliche und unfaire Kritik an Rexrodt nicht zulassen. Der Minister sei ein überzeugter Marktwirtschaftler und habe als Ressortchef gute Arbeit geleistet. Solms sagte vor Journalisten, Bregger falle mit seiner Kritik letztlich dem Bundeskanzler und der Union in den Rücken.

BDI-Präsident Necker betonte im Südwestfunk, er habe mit Rexrodt immer gut zusammengearbeitet. Der FDP-Politiker habe sich stets sehr engagiert und seinen Beitrag dazu geleistet, dass wir wirtschaftliche Probleme schon konjunkturell mitüberwunden haben. Rexrodt war am Mittwoch trotz innerparteilicher Kritik von den Spitzengremien der FDP wieder als Minister nominiert worden.

Der Wechsel des bisherigen Umweltministers Klaus Töpfer ins Bauministerium und die Berufung Angela Merkels zu seiner Nachfolgerin stieß bei SPD und dem Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) auf heftige Kritik. Der umweltpolitische Sprecher der SPD, Michael Müller, sprach von einem unaufhaltsamen Abstieg der Umweltpolitik in der Regierung Kohl. Merkel sei nicht einmal ansatzweise mit Ideen oder Aussagen in der Umweltpolitik hervorgetreten. Müller fügte hinzu, wenn die bisherige Frauenministerin das Umweltressort übernehme, ist dies eine schreckliche Fehlbesetzung. Dem bisherigen Amtsinhaber Töpfer bescheinigte der SPD-Abgeordnete, zwar durchsetzungsschwach, aber zumindest intellektuell auf der Höhe des Themas gewesen zu sein. Nicht einmal das sei jetzt zu erwarten.

Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Ingrid Matthäus-Maier sieht als wesentlichen Grund für den Wechsel Töpfers in das Bau-Ressort, dass dieser in seinem bisherigen Amt resigniert habe.

Der BUND nannte Merkel als neue Umweltministerin eine Erfüllungsgehilfin von Bundeskanzler Kohl. Ihr Vorgänger Töpfer sei degradiert worden, sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weinzierl in Bonn. Töpfers Wechsel an die Spitze des Bauministeriums sei eine Strafaktion gegen einen international anerkannten Umweltpolitiker.

Die SPD-Frauenpolitikerin Hanna Wolf kritisierte die erzkonservative Haltung der neuen Frauenministerin Claudia Nolte. Sie sei eine erklärte Quotengegnerin in der CDU, gehöre zum Lager der Abtreibungsgegner um den früheren Unionsabgeordneten Herbert Werner und sei für eine Verschärfung des Jugendstrafrechts. Mit der Ernennung von Frau Nolte zur Familien- und Frauenministerin gibt es endgültig für die Gleichstellung von Frauen in der Regierungspolitik keine Hoffnung mehr, meinte die SPD-Parlamentarierin.

Süddeutsche Zeitung  – Dezember 6, 1994

BAföG oder Kind beschäftigt Regierung

Mit dem Fall der Münchner Germanistikstudentin Christine Trengler, die sich vor die Entscheidung BAföG oder Kind gestellt sah (die Süddeutsche Zeitung berichtete), befasst sich jetzt die Bundesregierung. Hanna Wolf, Münchner SPD -Bundestagsabgeordnete, machte die Ablehnung des Münchner BAföG-Amtes zum Inhalt einer Anfrage. Trifft es zu, dass bei der Begründung für die Ablehnung eines Antrags auf Verlängerung der Bundesausbildungsförderung nach Ablauf der Förderungshöchstdauer die Geburt eines Kindes mit einer nicht bestandenen Prüfung gleichgesetzt wird? Inwieweit ein solches Vorgehen mit dem Grundgesetz zu vereinbaren sei, will die Abgeordnete wissen. Mit einer Antwort ist in zwei Wochen zu rechnen. cw

Süddeutsche Zeitung  – Dezember 16, 1994

BAföG: Bei Geburt längerer Bezug

Schwangerschaft und Geburt sind also doch Grund genug, ein Studium länger als vorgesehen staatlich zu fördern. Diese Erfolgsmeldung aus Bonn hat jetzt die Münchner Germanistikstudentin Christine Trengler erhalten.

Aufgrund einer Anfrage der SPD-Bundestagsabgeordneten Hanna Wolf hatte sich die Bundesregierung mit ihrem Fall befasst. Der Studentin war die Förderung durch BAföG über die Höchstförderungsdauer hinaus verweigert worden, weil die Geburt ihrer beiden Kinder nicht als Verlängerungsgrund anerkannt wurde (die Süddeutsche Zeitung berichtete). Wolf stellte einige Fragen an die Bundesregierung; und siehe da, so die Pressemitteilung: Der Antrag wurde am 7. Dezember rückwirkend genehmigt und sogar die Genehmigung für die noch nicht gestellten Folgeanträge angekündigt.

Dies sei möglich gewesen, weil auf Wolfs Anfrage hin das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie mit den zuständigen bayerischen Behörden Einvernehmen erzielt habe. cw

Süddeutsche Zeitung  – Januar 5, 1995

Sexistisches Verhalten der TU

Der Frauenförderplan an der TU ist abgeschmettert von Christine Burtscheidt in der SZ vom 28. 12. 1994

Die Entscheidung des (männlichen) Senats der TU München, einen Frauenförderplan nicht zu installieren, der in weniger abgeschwächter Form an fast allen anderen bayerischen Universitäten schon existiert, zeigt, dass ein hoher akademischer Bildungsgrad - hier insbesondere der eines Professors der Medizin - nicht unbedingt einhergehen muss mit einer entsprechenden gesellschaftlichen Aufgeklärtheit und wissenschaftlichen Rationalität. Der Dekan der medizinischen Fakultät zieht doch tatsächlich den alten Weiblichkeitsmythos wieder hervor: Frauenkarrieren scheitern, weil Frau, weil Kinder, weil weniger wissenschaftliche Publikationen, weil Qualifikation nicht mehr stimmt - die sexistische Variante der Publish-or-perish-Keule. Bekommen die Herren Kollegen keine Kinder? Was tun sie mit den Kindern, die ihnen geschenkt werden? - Die Wahrheit ist, bei Beförderungen kooptieren Männer Männer: Männliche Professoren halten männliche Assistenten für besser, weil sie ihnen ähnlicher sind. Verhaltensweisen, die ihnen neu sind, und neue Ideen verunsichern sie. - Seilschaft statt Netzwerk. Es ist schon richtig, dass die sozialen Infrastrukturen fehlen - ein Versäumnis von Arbeitgebern und Staat. Zu dieser Infrastruktur gehören aber nicht nur Kinderbetreuungseinrichtungen, sondern auch Arbeitszeitstrukturen, die sich nicht mehr an der Arbeitsbiographie des angeblich allzeit verfügbaren Mannes ausrichten. Wären bisher schon Frauen gleichberechtigt in Führungspositionen und an Entscheidungsprozessen beteiligt, wären diese Probleme auch geregelt. Nun müssen sie eben zusammen mit Frauenförderplänen geregelt werden, statt eine aufschiebende Wirkung für diese zu haben . . .

Die wissenschaftliche Rationalität leidet aber ebenso unter dem Ausschluss der Frauen von Führungspositionen und Entscheidungsprozessen gerade in der Wissenschaft. Es ist heute kein Geheimnis mehr, dass zum Beispiel die Medizin in Therapie und Forschung männlich ausgerichtet ist: Mehr Geld fließt in die Erforschung typischer Männerkrankheiten, wie zum Beispiel den Herzinfarkt. Für Männer wird eine aufwendigere Therapie betrieben - auch wenn mehr Frauen in den Wartezimmern zu finden sein mögen. Selbst in der Gynäkologie herrscht männliches Denken vor und die Rede ist immer noch von dem Patienten. Sogar der Aufschwung der kostenintensiven pränatalen Medizin ist Indiz für Androzentrismus.

Zwanzig Jahre nach dem Internationalen Jahr der Frau fordere ich die Mitglieder des Senats der TU München auf, sich selbst entsprechend weiterzubilden und zu erkennen, dass ihr Abblocken der Frauenfrage auf rationalisierten Konkurrenzängsten beruht, dass sie jedoch eine Humanisierung ihrer Arbeitswelt und eine höhere kollektive Fachkompetenz gewinnen würden, wenn sie Frauen, die ebenso qualifiziert sind wie sie, als gleichberechtigte Kolleginnen zuließen. Hanna Wolf, MdB Vorsitzende der Münchner SPD-Frauen (AsF) 53119 Bonn Bundeshaus

Süddeutsche Zeitung  – Januar 12, 1995

Ländervorschlag unzureichend: Kabinett plant Gesetz zur Vergewaltigung in der Ehe

Die Bundesregierung hält einen Vorschlag des Bundesrates für ein Strafgesetz gegen Vergewaltigung in der Ehe für nicht weitreichend genug. Das Kabinett stimmte am Mittwoch in Bonn einem Gesetzentwurf der Länderkammer zwar grundsätzlich zu. Bundesjustizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger (FDP) erklärte jedoch, die in dem Bundesratsentwurf vorgesehene Unterscheidung zwischen sexueller Nötigung einerseits und Vergewaltigung andererseits sei nach Ansicht der Bundesregierung nicht nachvollziehbar. Sexuelle Praktiken, die vom Opfer als genauso demütigend empfunden werden wie der Beischlaf, fielen im Entwurf des Bundesrates immer noch unter den niedrigeren Strafrahmen der sexuellen Nötigung, kritisiert das Kabinett nach Angaben der Justizministerin. Auch in den Fällen, in denen Frauen aus Angst vor Gewalt sexuelle Handlungen über sich ergehen ließen, dürften die Gerichte nicht an einer angemessenen Ahndung der Taten gehindert werden, sagte die Justizministerin. Der Gesetzentwurf des Bundesrates sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung, stelle aber keinen überzeugenden Regelungsvorschlag dar. Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung in der Ehe lasse keinen Raum für gesetzgeberische Zwischenlösungen, betonte Leutheusser. Sie kündigte eine umfassende Lösung im Laufe der Legislaturperiode an.

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf warf der Regierung vor, mit ihrer Haltung die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe weiter zu verzögern. Damit betreibe sie Täterschutz. Offenbar könne sich die Koalition aber auf keine gemeinsame Linie verständigen.

Süddeutsche Zeitung  – Januar 26, 1995

SPD-Bundestagsfraktion bringt Gesetzentwurf erneut ein: Vergewaltigung in der Ehe bestrafen. Vorlage geht weiter als die Initiative der SPD-Länder

 Die SPD-Bundestagsfraktion hat einen neuen Anlauf unternommen, die Vergewaltigung in der Ehe strafbar zu machen. Die Sozialdemokraten brachten am Mittwoch erneut einen entsprechenden Gesetzentwurf ein, der in der vergangenen Legislaturperiode durch Verzögerung gescheitert war. Zugleich machte die Fraktion deutlich, dass ein Gesetzentwurf der SPD-Mehrheit im Bundesrat gegen Vergewaltigung in der Ehe hinter den Erwartungen der Partei zurückbleibt. Der unveränderte Entwurf der SPD-Fraktion sieht vor, dass Vergewaltigung nicht mehr wie bisher nur außerhalb der Ehe strafbar sein soll. Außerdem soll nicht mehr wie bislang nur die Drohung mit Gewalt als Kriterium für eine Vergewaltigung gelten, sondern auch die Ausnutzung einer hilflosen Lage. Die Formulierung zum Beischlaf nötigen soll zudem auch oralen und analen Geschlechtsverkehr umfassen. Mit der durchgehenden geschlechtsneutralen Formulierung will die SPD-Fraktion gewährleisten, dass homosexuelle Vergewaltigungen ebenfalls strafbar werden.

Die SPD-Frauenpolitikerin Hanna Wolf sagte, die Sozialdemokraten unternähmen mit der erneuten Einbringung des Gesetzentwurfs den nunmehr fünften Anlauf in dieser Sache. Es sei ein Skandal, dass nach wie vor das sexuelle Selbstbestimmungsrecht einer verheirateten Frau weniger geschützt sei als das einer unverheirateten. Wolf und ihre Fraktionskollegin Erika Simm warfen vor allem der CSU vor, bislang jede Initiative zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe zu blockieren, obwohl die FDP und auch Teile der CDU die Notwendigkeit einer gesetzlichen Neuregelung sähen. Deutschland sei nach wie vor Schlusslicht in Europa.

Der Entwurf der Fraktion geht über eine Initiative des Bundesrates hinaus, der mit seiner SPD-Mehrheit ebenfalls einen Gesetzentwurf eingebracht hatte. Die Länder hatten aber unter anderem die Formulierung beibehalten, dass Gewalt Voraussetzung für eine Vergewaltigung ist, und damit aus Sicht der Fraktion etwas vergessen, sagte Wolf. Sie teile die entsprechende Kritik von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) an dem Länderentwurf. Nach Angaben der Frauenpolitikerin Simm gibt es einfach verschiedene Positionen von Landes- und Bundespolitikern innerhalb der SPD. Der Bundesratsentwurf sei nicht ausreichend. (Seite 4)

Süddeutsche Zeitung  – Februar 10, 1995

Gesetzentwurf vorgelegt: Koalition will Strafe für Vergewaltigung in der Ehe
 
Vergewaltigungen in der Ehe sollen jetzt auch nach dem Willen der Koalitionsparteien von CDU/CSU und FDP als Verbrechen bestraft werden. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) legte einen entsprechenden Gesetzentwurf vor, der für sexuelle Nötigung und Vergewaltigungen in der Ehe und eheähnlichen Lebensgemeinschaften Strafen zwischen zwölf Monaten und 15 Jahren vorsieht. Die FDP-Politikerin reagierte damit auf einen Gesetzentwurf der SPD, der in der kommenden Woche den Bundestag beschäftigen wird. Die SPD will seit langem Vergewaltigungen innerhalb und außerhalb der Ehe rechtlich gleichstellen. Die Sozialdemokraten waren damit in der Vergangenheit aber immer an Widerständen aus der Union und insbesondere aus der CSU gescheitert.

Jetzt signalisierten auch die Rechtspolitiker der CDU/CSU Zustimmung. Allerdings wollen sie Vergewaltigungen in der Ehe nur auf Antrag der Frau verfolgen. Der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Norbert Geis (CSU), warnte am Donnerstag in Bonn vor blindem Eifer. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, Ehen seien ein Ort der Gewalt. Die Justizministerin will Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und von Männern wie andere Gewaltdelikte von Amts wegen verfolgen lassen. Das Gericht soll von Strafen aber absehen können, wenn sich Täter und Opfer versöhnen. Auch die SPD sieht in der Vergewaltigung ein Offizialdelikt, das der Staat verfolgen müsse. Die Abgeordnete Hanna Wolf (SPD) warnte davor, bei Vergewaltigungen in der Ehe hinter dem geltenden Recht zurückzubleiben.

Süddeutsche Zeitung  – Februar 28, 1995

Vergewaltigung: Reicht die Strafverfolgung aus? Wütend müssen wir sein. Dreistündige Diskussion endet in Schlacht der Emotionen

Von Dieter Fabritius

Was muss sich ändern? Mit dieser Frage hatte die Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf (SPD) die Diskussionsveranstaltung über Defizite bei der Strafverfolgung von Vergewaltigern eröffnet. Gegen Ende der zunehmend erregter geführten dreistündigen Debatte hielt Anita Heiliger, Feministin aus der Ecke des so genannten politischen Lesbianismus und Mitbegründerin zahlreicher autonomer Frauenprojekte und Soziologin am Deutschen Jugendinstitut, die Zeit für gekommen, ihre Antwort vom Podium ins Publikum zu schleudern: Das Manko bei Frauen ist: Sie können einen Mann nicht umbringen. Das bringt ihnen keiner bei.

Ihr vor allem, von Wolf als Wissenschaftlerin mit Berichten über Täterstudien angekündigt, war es zu verdanken, dass die sachliche Auseinandersetzung über Missstände bei Polizei, Justiz und in der Gesetzgebung in der Pasinger Fabrik zu einer emotionalen Saalschlacht gegen Sachargumente von Praktikerinnen aus Staatsanwaltschaft und Therapie ausartete. Motiv Dominanzwünsche

Heiliger korrigierte Wolf: Sie habe die potentiellen Täter studiert, womit Forschungsprojekte mit normalen Jugendlichen gemeint waren. Ihr Resümee aus dem ungehobelten Sexualjargon, den sie dort aufgeschnappt haben will: Sexuelle Gewalt sei durch Dominanzwünsche motiviert. Täter sind ganz normale Männer. Jeder von Ihnen, damit deutete sie ins Publikum, könnte einer sein. Sachlichkeit sei falsch: Wütend müssen wir sein. Sie forderte Sicherungsverwahrung für alle Sexualverbrecher, denn deren Restrisiko sind wir Frauen! Entlassung auf Bewährung bei freiwilliger Therapie sei Mittäterschaft der Justiz.

Heiligen Zorn rief das bei Helga Einhauser hervor, die einer Abteilung von Staatsanwälten vorsteht, welche 1994 mit 83 Anklagen 80 Verurteilungen von Sexualverbrechern erreichte: Pfui, dass eine Wissenschaftlerin so unsachlich sein kann. Seien Sie froh, dass ich nicht so emotional reagiere!, rief sie. Gefühl zeigte sie dann doch, als sie den im Saal anwesenden Angehörigen der ermordeten Stefanie Karl ihr Bedauern dafür aussprach, dass der vorbestrafte Vergewaltiger Mario Abend trotz mehrerer aktueller Anzeigen nicht in Gewahrsam genommen werden konnte, bevor er das Pasinger Mädchen tötete.

Der Vorgang sei in ihrer Behörde untersucht worden, gab Einhauser bekannt: Ein Versagen der Staatsanwaltschaft müsse verneint werden. Hohngeheul im Saal. Ebenso bei Einhausers Einwand gegen den Vorschlag des SPD-Strafrechtsexperten Prof. Jürgen Meyer (MdB), durch Videoaufzeichnung der Erst-Vernehmung Opfern multiple Qualen zu ersparen: Dieses Durchbrechen des Unmittelbarkeitsgrundsatzes vor Gericht, warnte die Oberstaatsanwältin, würde nur zu einer großen Zahl ungerechtfertigter Freisprüche führen.

Beifall erntete Angelika Schauer vom Frauennotruf, die die Ängste vieler Frauen artikulierte, welche nach Vergewaltigungen auf dem Revier erneut Pein erlitten. Die Frauenbeauftragte des Polizeipräsidiums, Christine Steinherr, deren Abteilung bei etwa 600 Anzeigen im Jahr mittlerweile 1430 Beratungen leistet, wunderte sich, dass keine einzige sich bei mir beschwert hat und auch die Notruf-Frauen darüber kein Wort verloren hätten. Das sei nicht ihre Aufgabe, konterte Schauer, die mehr Geld für Lesbenprojekte will: Sie gebe Frauen sowieso nicht den Rat, Anzeige zu erstatten.

Pflichtanwälte Vielleicht liegt es auch daran, dass das Bundeskriminalamt von einer Dunkelziffer von 200 Prozent ausgeht. Und von den Opfern, die anzeigen, kommen in München laut Steinherr nur 40 bis 50 unmittelbar nach der Tat zur Polizei. Um das Anzeigeverhalten zu verbessern, schlugen der SPD -Bundestagsabgeordnete und Strafrechtsexperte Jürgen Meyer und die Anwältin Magdalena Dollinger vor, Vergewaltigten per Gesetz ab der Anzeige Pflichtanwälte zu stellen, die Öffentlichkeit und Täter im Verfahren von Opfervernehmungen ausschließen lassen.

Was dann auf das Urteil folgt - Strafhaft, Therapie - beurteilten Psychotherapeuten aus Stadelheim, wie der Nervenarzt Ingo Wiederholt nicht nur resignativ: Ihre Therapie sei nicht vergebens, aber ein Drittel werde rückfällig. Viel mehr, schrie es da aus dem Publikum, die anderen werden nur nicht angezeigt. Schon beim Blick auf den Busen müsse frau Wehrhaftigkeit beweisen, riefen Wen-do-Kämpferinnen.

Was nützte es dem bei seiner Sisyphus-Arbeit an Sexualtätern und -opfern ergrauten Wiederholt, dass er beklagte, Polemik, Hass und Aggression sind heute wieder mal schrecklich? Seine in Jahrzehnten der Forschung gewonnenen Erkenntnisse, dass Urängste von Männern vor Frauen ein gesellschaftliches Problem darstellen, gingen in dem von Heiliger angestimmten Wutgeheul ihrer Gefolgschaft unter. Und sein jeder Täter war Opfer flüsterte er nur noch trotzig in den weißen Bart.

Immerhin ein Protestruf drang durch: Sind wir hier auf einer Emanzenversammlung oder diskutieren wir ernsthaft? Das rief eine Frau.

taz, die tageszeitung  – März 2, 1995

Auf den Oppositionsbänken lauert die Frauenfrage

Mechthild Jansen

 Ob die Frauen im Bundestag mehr zu bieten haben als ihre Kollegen, wird sich zeigen. Die Voraussetzungen für einen frischen Wind aus der Frauenecke sind jedenfalls gar nicht so schlecht.. Von Mechtild Jansen

"Geschlossen handeln", "eigene Gestaltung", rufen SPD-Frauen. "Klare Opposition", "Opposition mit konstruktivem Charakter", verlangen die Grünen. "Opposition ist wichtigste Aufgabe", hallt es bei der PDS. Schlagworte verkünden sie kaum anders als Männer - die Frauen im neuen Bundestag.

Erstmals sind sie keine machtlose Minderheit mehr. Zahlreicher und stärker denn je sitzen sie nun in drei miteinander konkurrierenden Fraktionen. Wenn die Flickschusterei für Frauen ein Ende nehmen soll, so stehen neue Weichenstellungen ins Haus: der Umbau für eine gerechte Arbeitsgesellschaft, die Neukonstituierung eines modernen Sozialstaates und die Schaffung der Grundlagen für so individuelle wie soziale Lebensformen. Sind die Politikerinnen der Opposition darauf vorbereitet? In der SPD-Fraktion sind die Frauen mit 32,9 Prozent der Abgeordneten und 33 Prozent der Funktionen präsent. Damit ist die für Mandate seit 1994 von 25 Prozent auf 33 Prozent erhöhte Quote erfüllt. Die 86 SPD-Frauen verteilen sich nicht mehr nur auf "frauentypische" Politikfelder. Die beiden stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Anke Fuchs und Ingrid Matthäus-Maier sind für Umwelt, Verkehr und Wirtschaft beziehungsweise Haushalt und Finanzen zuständig. Drei der acht Vorsitzenden von Bundestagsausschüssen, die die SPD stellt, sind Frauen. Edith Niehuis sitzt dem für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vor, Ulrike Mascher dem für Arbeit und Sozialordnung und Edelgard Bulmahn dem für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Als Sprecherinnen von SPD-Arbeitsgruppen wurden Herta Däubler-Gmelin für Rechtspolitik und Heidi Wieczorek-Zeul für Europapolitik gewählt. Die SPD-Fraktion hat eine Querschnittsgruppe Gleichstellung, deren von der Fraktion (wieder-)gewählte Vorsitzende Ulla Schmidt qua Amt in der Geschäftsführung vertreten ist. Sie verfügt nach eigener Einschätzung über großen Freiraum. Sie hat kein formelles, aber ein faktisches Vetorecht, notfalls wird ein Streit in der Fraktion entschieden. Die Querschnittsgruppe lädt wöchentlich zu einer Frauenrunde ein, auf der frau miteinander berät, sich strategisch koordiniert und den Zusammenhalt pflegt. Noch vor dem Sommer soll eine gemeinsame Klausurtagung stattfinden.

Edelgard Bulmahn ist optimistisch: "Als Querschnittsthema spielt die Frauenfrage eine größere Rolle, in allen Politikbereichen sind wir mit mehreren Frauen vertreten, überall werden frauenspezifische Aspekte eingebracht, und es ist selbstverständlicher, dass Frauen Funktionen wahrnehmen." Christel Hanewinkel, Sprecherin der Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen und Jugend, meint: "Das Machtbewusstsein der Frauen in der Fraktion ist sehr viel größer geworden. Die Männer können sich eine Abwesenheit wie im Vorjahr bei der Abstimmung um den Paragraphen 218 nicht mehr leisten." Ihr Konkurrenzproblem haben sie und die vorherige Sprecherin Hanna Wolf gelöst, indem die Ostfrau den Vortritt bekam und die fachliche Arbeit geteilt wird.

Ulla Schmidt will an einer Gleichstellungspolitik festhalten, die mit wirksamen Instrumenten und Kompetenzen bis in die freie Wirtschaft reicht und Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frau und Mann garantiert. Obwohl in der letzten Legislaturperiode die Regierungsmehrheit ihr Gleichberechtigungsgesetz verabschiedete, will sie den Gesetzentwurf der SPD erneut in den Bundestag einbringen und zugleich, auch in Zusammenarbeit mit anderen, fortlaufend Einzelanträge stellen, um CDU und FDP in die Ecke zu treiben. So sollen Wirtschaftsförderung und öffentliche Auftragsvergabe an Frauenförderung gebunden, per Gesetz 50 Prozent der Ausbildungsplätze für Mädchen reserviert, "geringfügige" Beschäftigungsverhältnisse abgeschafft, die Benachteiligung Alleinerziehender im Steuerrecht unterbunden, ein neues Konzept für eigenständige Alterssicherung vorgelegt, das Arbeits- und Strukturförderungsgesetz zugunsten gezielter Frauenförderung fortentwickelt werden.

Edelgard Bulmahn will in ihrem bislang männerdominierten Ausschuss einen gesellschaftlichen Dialog über Zukunftsfragen initiieren. "Die Gleichstellung der Frau ist dabei von übergreifender Bedeutung. Die Frauen sind an der wissenschaftlichen Entwicklung und Anwendung von Technik zu beteiligen. Lehre und Forschung, Bildung und Ausbildung brauchen einen neuen Schub aus der Politik."

Christel Hanewinkel möchte Frauenpolitik vorrangig mit Arbeitsmarktpolitik kombinieren. Die Gestaltung eines gerechten Familienleistungsausgleichs gehört ebenso zu ihren politischen Zielen, wie die Förderung des Wohnungsbaus und die Berücksichtigung von Kinder- und Jugendinteressen in der Politik. Entscheidend seien nicht die Titel von Ministerien, sondern deren Kompetenzen wie Vetorecht oder Quotierungen. "Es gibt weiterhin einen knallharten Machtkampf auf allen Ebenen. Ich frage mich, wie da andere Wahrnehmungsmöglichkeiten der Männer geschaffen werden können. Es ist wohl nach wie vor ein Befreiungskampf der Frauen nötig."

Bei den Grünen sind die Frauen mittlerweile sogar in der Mehrheit.. Von 49 grünen Bundestagsabgeordneten sind 29 weiblich. Das sind immerhin 57 Prozent. Zudem sind die Frauen nun in allen männlichen Domänen präsent. Kristin Heyne ist Koordinatorin des Fraktions-Arbeitskreises für Wirtschaft, Finanzen, Wissenschaft und Technologie, Michaele Huststedt für Umwelt und Verkehr, Andrea Fischer für Frauen, Arbeit, Soziales und Gesundheit. Stellvertretende Koordinatorinnen sind Christa Nickels für Inneres, Recht und Petition und Angelika Köster-Lossack für Außenpolitik, Menschenrecht und Abrüstung. Im Bundestagsausschuss Forschung und Technologie sitzt Elisabeth Altmann, im Innenausschuss Antje Vollmer, im Rechtsausschuss Kerstin Müller, im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Marieluise Beck, im Auswärtigen Ausschuss Waltraud Schoppe, im Verteidigungsausschuss Angelika Beer und im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit Uschi Eid. Für manche schien sich da jede eigene Frauenstruktur schon zu erübrigen. Bei unveränderter Gültigkeit des Partei-Frauenstatus inklusive 50-Prozent-Quote sieht die Fraktionsgeschäftsordnung dieser Legislaturperiode nun als einzige eigenständige Struktur alle sechs Wochen eine Frauenvollversammlung vor den Fraktionssitzungen und eine zweiköpfige Stabsstelle bei der Fraktion vor. Die Vollversammlung soll der Debatte, Konzeptions- und Strategieentwicklung unter den Frauen dienen. Bei Bedarf stellen sie ein informelles Meinungsbild her. Im Prinzip aber sollen Frauenthemen ebenso Sache der Gesamtfraktion sein, feministische Politik ihr Querschnittsthema.

Rita Griesshaber, in offener Abstimmung gegen ihre Konkurrentin Irmingard Schewe-Gerigk siegreiche frauenpolitische Sprecherin, erklärt, frau habe "keine Frauenecke" haben wollen. Ein "Minderheitenschutz" sei nun nicht mehr nötig. Die Männer würden, so ihre Einschätzung, auf die neue Mehrheit überaus gelassen reagieren. Schließlich hätten sie ja auch bereits einige Erfahrung im Umgang mit einem hohen Frauenanteil. Nun müssten sich die Frauen noch weiter "austesten und entwickeln". Unter anderem müssten die Frauen lernen, "nun mit einer neuen Ebene der Konkurrenz untereinander umzugehen". Rita Griesshaber, seit langem dem eher pragmatisch orientierten Flügel der frauenbewegten Grünen zugehörig, setzt auf eine aktive Einmischung in die parlamentarische Arbeit. Sie hat sich entschieden für einen grünen Alternativentwurf für ein Beratungsgesetz eingesetzt, ohne deshalb die Forderung nach Streichung des Paragraphen 218 fallenzulassen.

Marieluise Beck, Sprecherin der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik meint, innerfraktionell gäbe es immer noch eine schleichende Dominanz des Patriarchats und zuwenig Toleranz und bewusste Entscheidung unter Frauen für Frauen. "Im Tandem geraten die Frauen faktisch in die Stellvertreterfunktion. Das ist so eine Mischung aus Zuschreibung und Selbstannahme, eine Art Virus, der Männer faktisch potenter macht."

Marieluise Beck weiß, dass es "stumpf" wäre, das Alte wiederholen zu wollen, das die Grünen einst mit Quote, Feminat und Antidiskriminierungsgesetz vollbracht haben. "Dem politischen Alterungsprozess kann man nicht entgehen. Vor zehn Jahren haben wir zu einem hohen Anteil von Symbolen gelebt, heute kommen wir um einen Aufdifferenzierungs- und Umsetzungsprozess nicht herum." Angesichts finanzieller Knappheiten seien sowohl für den Arbeitsmarkt als auch für die sozialen Sicherungssysteme neue Prinzipien nötig. Ein Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit selbst mit Rückkehrrecht helfe zum Beispiel nur begrenzt, wenn keine gesellschaftliche Umlage für eine dadurch reduzierte Rente erfolge. Marieluise Beck will eine Enquetekommission für eine Neuregelung des Arbeitsvertragsrechts fordern.

Die PDS hat 43 Prozent beziehungsweise 13 Frauen bei 17 Männern im Bundestag. Die Frauen sind noch stärker in den klassisch weiblichen Bereichen zu finden, doch mit Andrea Lederer und Barbara Höll auch im Auswärtigen und Finanzausschuss. Die beiden stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Christa Luft, Ost, und Heidi Knake-Werner, West und Ex-DKP, sind für Wirtschaftspolitik beziehungsweise Arbeit und Soziales zuständig. Nach dem Vorsitzenden Gysi, meint Heidi Knake-Werner, spielen sie lange erst einmal gar keine Rolle. Danach sieht sie für sich vor allem die Aufgabe der inneren Integration der Fraktion. Kompensation für die unerfüllte 50-Prozent-Quote sollen die nun geschaffenen Frauenstrukturen bieten. Ein Arbeitskreis Feministische Politik hat einen eigenen Haushalt, entsendet eine Sprecherin in den Fraktionsvorstand und hält regelmäßig Frauenplenen ab, die über ein Vetorecht verfügen. Die Fraktion muss gegebenenfalls einen Kompromiss finden oder mit Zweidrittelmehrheit entscheiden. Christina Schenk, frauenpolitische Sprecherin, der ihre Vorgängerin Petra Bläss stillschweigend weichen musste, stellt der PDS ein ungewolltes Armutszeugnis aus: "Bislang ist die Geschlechterrelevanz aller Politik kein Thema. Bei den meisten gibt es Nichtwissen und Ahnungslosigkeit. Doch ich habe nirgends Abwehr, sondern Dankbarkeit für die Denkhilfe erfahren." Unstrittig war der Beschluss, eine Grundgesetzänderung zugunsten der freien Entscheidung der Frau über eine Schwangerschaft zu beantragen. Für Heidi Knake-Werner steht die PDS unter Konkurrenzdruck der Grünen. Und sie sieht das Problem zunächst bei den Frauen und ihrer Verständigung, was mit Feminismus gemeint sei. "Wir hatten katastrophische Auseinandersetzungen beim Paragraphen 218 und bei der Verfassungsdebatte über die Institution Ehe und Familie." Unverständnis gab es bei den Ostfrauen für die Kritik an Ehe und Familie und bei den Westfrauen für die Identifikation mit ihnen. Gemeinsam ist den Fraktionen der Anspruch, Frauen- und Geschlechterpolitik nur als Querschnittspolitik betreiben und vor allem die Felder der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Familienpolitik neu erobern zu wollen. Die SPD hat die Wirtschaft besonders im Auge. Die Grünen haben die größte feministische Erfahrung, aber auch die Frauen ersetzen Utopien durch Geduld und machbare Alternativen. Die PDS präsentiert sich als Bewahrer der grünen Grundansätze, ihre Frauen üben sich wie eh als "Vermittlerinnen". Die strukturellen Voraussetzungen zur Umsetzung der Anliegen der Frauen sind ausgebaut wie nie, ob die Frauen sie nutzen, bleibt offen.

Süddeutsche Zeitung  – März 3, 1995

Hilfe statt Strafe für Schwangere gefordert

Hilfe statt Strafe für schwangere Frauen haben die beiden SPD-Politikerinnen Monica Lochner-Fischer (Landtag) und Hanna Wolf (Bundestag) gefordert. Der bayerischen Staatsregierung warfen sie vor, mit der Androhung einer erneuten Verfassungsklage eine vernünftige Neuregelung des Paragraphen 218 zu verhindern.

Gerade konservative Politik, so Lochner-Fischer, erkläre Kinder zur Zukunft der Gesellschaft. In der Praxis aber könnten in Bayern die Frauen weder während der Schwangerschaft noch nach der Geburt eines Kindes auf den Staat rechnen. Vordringlich ist nach Ansicht der SPD-Frauen vor allem ein flächendeckendes Netz von anonym arbeitenden Beratungsstellen. Etwa in München oder in Mittelfranken gebe es hier nach wie vor Engpässe.

Außerdem müsse das Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen dringend ausgebaut werden. Vor allem für Kleinstkinder und für die Nachmittagsbetreuung von Schulkindern sei das Angebot äußerst rar.

Süddeutsche Zeitung  – März 27, 1995

FDP-Vorstoß stößt bei einer Podiumsdiskussion auf Skepsis: Das gemeinsame Sorgerecht entzweit die Gemüter. Befürchtungen werden laut, dass nach einer Scheidung zusätzliche Konflikte zu Lasten der Kinder ausgetragen werden

Von Cornelia Glees

Eine Idee der FDP sorgt für Wirbel: Neuregelung des elterlichen Sorgerechts im Trennungsfall. Der Kern des Bonner Referentenentwurfs im Rahmen der Reform des Kindschaftsrechtes brachte jetzt auch Münchner Väter und Mütter bei einer Podiumsdiskussion der städtischen Gleichstellungsstelle in Rage. Denn in Zukunft soll das gemeinsame Sorgerecht der Regelfall werden, nur noch auf Antrag sollen Richter der Mutter oder dem Vater das alleinige Sorgerecht für die Kinder zusprechen. Das macht offenbar vor allem Frauen Angst. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) verteidigte ihre Pläne. Es gehe keineswegs um eine verordnete Gemeinsamkeit. Jederzeit könne auch nach der Scheidung noch das alleinige Sorgerecht von einer Partei beantragt werden. Diese Regelung kommt Barbara Asenkerschbaumer vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter allerdings wie eine zweite Scheidung vor. Sie brachte die Problematik auf den Punkt: Bei einer Trennung verhielten sich die Menschen nun einmal nicht vernünftig, sondern in der Regel sehr emotional. Ein harmonisch gestaltetes, gemeinsames Sorgerecht sei zwar wünschenswert - darin waren sich alle Podiumsteilnehmer (inklusive CSU-Mann Erich Riedl) einig - doch die Realität sehe eben anders aus. Gestritten wurde also darüber, ob nun das gemeinsame Sorgerecht die Verantwortung der Väter stärke und dem Kind beide Eltern erhalte oder aber nur noch mehr Konflikte auf Kosten der Sprösslinge schaffe. Übrigens soll die FDP-Regelung auch für nicht -verheiratete Paare gelten. Die CSU will lediglich die Hürden für ein alleiniges Sorgerecht höher legen als die FDP. SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf und Almuth Tauche, Chefin des Allgemeinen Sozialdienstes der Stadt, waren skeptisch: Oberstes Gebot aller Regelungen müsse immer das Wohl des Kindes sein. Doch ein automatisches, gemeinsames Sorgerecht lehnten beide ab. Immer noch seien 86 Prozent aller Alleinerziehenden Mütter und die fürchteten, dass den Männern nun mehr Mitsprache und damit mehr Macht gegeben werde. Das Wie sei eben total ungeklärt.

Christian Sowade vom Verein Väteraufbruch wertete dagegen den FDP-Plan, der auf einen SPD-Vorstoß von 1994 zurückgeht, zumindest als ein Signal in die richtige Richtung. Mit der Trennung hört eben Familie nicht auf. Sowade rief seine Geschlechtsgenossen auf, sich mehr für ihre Kinder zu engagieren. Wie blank die Nerven bei dem Thema Sorgerecht liegen, zeigten die endlos vielen Wortmeldungen aus dem Publikum. Wegen der strengen Redezeitkontrolle für das Podium durch BR-Moderatorin Corinna Spies blieben viele Fragen unbeantwortet.

Mütter klagten über die schlechte Zahlungsmoral ihrer Ex-Männer, über die typische Aufteilung, dass Mütter erziehen und Väter die angenehme Freizeitgestaltung übernehmen. Klar müsse sein: Kein Recht für Misshandler und Vergewaltiger. Da waren sich auch alle einig. Väter warfen wiederum ihren Ex-Frauen vor, ihnen die Kinder wegzunehmen, das vereinbarte Besuchsrecht zu missachten. Das geltende Recht sei menschenunwürdig.

Süddeutsche Zeitung  – März 30, 1995

Frauen in den Kirchen und der SPD einig: Für gemeinsame Ziele kämpfen. Gleichstellung immer noch eine der wichtigsten Aufgaben

Von Cornelia Glees

Gemeinsam wollen sie ihre jeweiligen Männer-Hochburgen knacken, die Kirchen- und die SPD-Frauen. Bei einer Diskussion auf der Jahrestagung der Münchner Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) waren sich die Vertreterinnen der Kirchen und der Partei einig, dass an der jeweiligen Basis schon lange keine gegenseitigen Berührungsängste mehr vorhanden seien. Wiltrud Huml von der katholischen Frauenseelsorge im Erzbischöflichen Ordinariat ist froh, dass sich in den vergangenen 15 Jahren viel im Verhältnis ihrer Kirche zu den Parteien geändert habe. Die Themen Ökologie, Frieden und Frauen seien zu neuen Kriterien geworden, an denen Parteien gemessen würden. Gemeinsame Tätigkeitsfelder sehen die Frauen unter anderem im Kampf für eine Aufwertung der schlecht bezahlten sozialen Berufe. Bürgermeisterin Gertraud Burkert appellierte an die Verantwortung der Kirchen, aus denen ja die Pflegeberufe hervorgegangen seien. Auch in dem Papier der beiden großen Kirchen Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, das derzeit bundesweit in den Gemeinden diskutiert wird, sehen die SPD-Frauen einen wichtigen Ansatz zur Zusammenarbeit.

Johanna Beyer von der Gleichstellungsstelle der evangelischen Landeskirche ermunterte ihrerseits die Sozialdemokratinnen ausdrücklich, bei der Forderung nach einem bayerischen Gleichstellungsgesetz trotz der bisherigen Rückschläge im Landtag nicht locker zu lassen. In Zukunft will die Gleichstellungsbeauftragte Friedel Schreyögg noch intensiver als bisher Informationen mit ihren Kolleginnen in der Landeskirche, dem evangelischen Dekanat, der Caritas und dem Erzbistum austauschen. Wir sitzen in einem Boot, beschwor Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf die Solidarität.

Einstimmig wurde bei der AsF-Tagung ein Antrag zum kommunalen Wahlrecht von EU -Bürgern beschlossen. Darin wird der Landtag aufgefordert, möglichst bald ein entsprechendes Ausführungsgesetz zu beschließen. Nur so könnten die vorgeschriebenen Fristen eingehalten werden, um den betroffenen Frauen und Männern die Teilnahme an der Münchner Kommunalwahl 1996 zu ermöglichen. In einem weiteren Antrag wird die Landeshauptstadt aufgefordert, einen 24-Stunden -Notdienst für vergewaltigte Frauen zu gewährleisten. Einstimmig wurde auch eine Resolution verabschiedet, in der unter anderem ein Stop des Garchinger Forschungsreaktors München II gefordert wird. Außerdem sollen alle Strassen, die Namen von Militärs oder Militärformationen tragen, wie etwa die Artilleriestrasse, umbenannt werden.

Focus Magazin  – Mai 15, 1995

Art. 218 - Leidvolle Folgen
 
Gesellschaft und Politik tabuisieren die psychischen Auswirkungen einer Abtreibung

Wenn die Frauen das vorher wüssten, würde mancher Arzt arbeitslos." Birgit S., 35, hat vor sieben Monaten abgetrieben. Seither ist ihr Leben eine Katastrophe: "Ich heule, wenn ich Mütter mit Babys sehe. Mir fallen alle Kinderwagen auf, und im Geschäft stehe ich plötzlich vor den Regalen mit Babynahrung. Ich werd' noch verrückt." Die Optikerin hätte nie gedacht, dass Abtreibung für sie zu einem Problem werden könnte. "Frauen, die darunter leiden, sind sicher fromm", dachte sie früher. Eine falsche Einschätzung. Mit einem "Post Abortion Syndrom" (PAS) haben Frauen aller Berufs- und Gesellschaftsschichten zu kämpfen.

Ein Tabu Leid, über das nicht gesprochen wird. Abtreibung wird als politische Frage dauernd diskutiert, aber mit den menschlichen Folgen setzen sich bisher weder Gesellschaft noch Politik genügend auseinander: In der vergangenen Woche debattierten die Parteien zwar erneut über die Neuregelung des Abtreibungsparagraphen 218 psychische Spätfolgen für die Frauen waren aber wieder einmal kein Thema. Trotz des Appells, den Bundesfrauenministerin Claudia Nolte, CDU, erst kürzlich an ihre Kollegen gerichtet hatte: "Das zweite Opfer einer Abtreibung ist immer die Frau. Bei den anstehenden Beratungen in den Ausschüssen und den Anhörungen sollten deshalb auch die Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs auf die körperliche und seelische Gesundheit der Frau beachtet werden."

Peter Petersen, Professor für Psychotherapie an der Medizinischen Hochschule Hannover, schätzt die Quote der betroffenen Frauen nach einer Auswertung internationaler Daten auf 35 Prozent. Das wären allein bei den erfassten Abtreibungen in Deutschland mehr als 38 000 Frauen. Konservative Psychologen wie Maria Simon von der Universitäts-Frauenklinik Würzburg und wertetreu Politiker wie Norbert Geis von der CSU nennen sogar 80 Prozent.

Doch die Bonner Fraktionen wiegeln allesamt ab: "In den Gesetzentwürfen der Parteien steht ja drin, dass eine Frau Anspruch auf Hilfe nach dem Schwangerschaftsabbruch hat", erklärt der Art.-218-Experte der Liberalen, Heinz Lanfermann. Er räumt allerdings ein, dass das Leid einer Frau nach der Abtreibung "immer noch ein Tabu ist. Denn so eine Abtreibung steckt niemand leicht weg."

Trauerzeit: Es gehe nicht darum, jeder Frau eine Depression einzureden, betont die SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf. Wer einen Abbruch vornehmen lasse, habe gute Gründe dafür. Aber: "Wenn wir Abtreibungen akzeptieren, müssen wir auch eine Zeit für Trauerarbeit zugestehen. Jede Frau braucht das. Es darf nicht sein, dass sie auf ewig mit Schuldgefühlen herumläuft, weil sich die Gesellschaft ihrem Problem verschließt."

Bei Bündnis 90; Die Grünen löste das Thema "Post Abortion Syndrom" einen heftigen Streit aus. Nur mit Mühe konnte Rita Griesshaber, Mitglied im Frauenausschuss, durchsetzen, dass im jetzigen Art.-218-Gesetzentwurf ihrer Fraktion ein Hilfsanspruch bei psychischen Spätschäden festgeschrieben wird. Dort heißt es nun: "Die Beratung umfasst das Angebot auf Beratung und Vermittlung von Hilfen (. . .) auch nach einem Schwangerschaftsabbruch."

Für diesen Satz sei sie von "unheimlich vielen linken Frauen massiv angegriffen worden". Nur weil es anscheinend nicht ins Weltbild von bestimmten Leuten passe, dass manche Frau mit einer Abtreibung allein nicht fertig werde, "dürfen wir die Augen nicht verschließen. Man muss doch wenigstens reden können."

Kann man aber nicht. "Welche Frau würde es schon wagen, ins Büro zu kommen, von ihrer Abtreibung zu sprechen und darüber, dass sie sich zu alledem noch Vorwürfe macht?" fragt Ute Otten, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbunds. Abtreibung werde zwar toleriert, aber "es gibt wohl kein Thema, das so tabuisiert wird". Meist hätten die Frauen sogar Hemmungen, sich ihrem Partner anzuvertrauen. Und die Angst vor Entdeckung sei auch der Grund für die vielen ambulanten Abbrüche.

Schuld an der Schweigespirale sind nach Ansicht der Ärztin auch die Politiker, die bei ihrer Gesetzgebungsarbeit zum Art. 218 den Abtreibungsakt nur bis zur Gynäkologenpraxis genauestens festschreiben. Für die Ausgestaltung einer vielfältigen, freiwilligen Nachsorge aber interessierten sie sich wenig. Dies sei kein Plädoyer gegen Abtreibung, aber die Gesellschaft "muss sich fragen lassen, warum es nicht gestattet ist, eine Abtreibung zu problematisieren".

Die Gesprächspartner fehlen. Angelika W., 42: "Ich bin alleinerziehend. Mein erstes Kind ist sechs Jahre alt. Beim zweiten hätte ich aufhören müssen zu arbeiten. Ich hab' keine Zukunft für uns gesehen und abgetrieben." Heute tut es ihr leid. Sprechen könne sie nicht darüber, "ich würde mich schämen, obwohl ich gute Gründe für den Abbruch hatte".

Susanne K., 22, muss nach der Abtreibung nicht nur mit ihrem schlechten Gewissen fertig werden, sondern auch mit einem finanziellen Problem: Ihr Ex -Freund hatte ihr die 642 Mark für den Abbruch geliehen, "weil ich sofort bar bezahlen musste". Jetzt verlangt er das Geld zurück. Das Sozialamt verweigert Susanne K. jedoch die Übernahme der Kosten.

Bei der größten Selbsthilfegruppe für betroffene Frauen, "Rahel" in Bad Homburg, stapeln sich die Berichte. Die Vorsitzende Christa Heinel beklagt bitter, dass Beratungsstellen nicht ausreichend über potentielle Abtreibungsfolgen aufklärten.

Mangelhafte Beratung? "Es ist schon möglich, dass wir in manchen Fällen die Frau nicht erreichen", räumt eine nordrhein-westfälische Pro-Familia-Mitarbeiterin ein. "Aber die meisten Frauen kommen bereits mit einer vorgefestigten Meinung zu uns. Sie wollen den Schein." Viele hörten gar nicht mehr richtig zu.

Zu der Beratungsstelle, in der Petra B., 20, aus Bremen ihren "Schein" bekam, wollte sie nach der Abtreibung auf keinen Fall wieder hin. "Die haben mir mein Kind regelrecht ausgeredet. Da hätten sie meine Traurigkeit doch erst recht nicht verstanden." Mag sein. Denn die Bundesvorsitzende von Pro Familia, Uta Meier, vertritt die Ansicht, die psychischen Folgen hätten "in der Praxis keine große Bedeutung".

Die Bundesfrauenministerin sieht das anders: "Viele Frauen brauchen nach einem Schwangerschaftsabbruch Hilfe, um mit den psychischen Folgen zurechtzukommen."
 
  TENDENZ SINKEND

1987 betrug die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche 171 222

1993 wurden noch 111 236 Abbrüche bekannt

1994 dürfte es etwa 109 000 Abbrüche gegeben haben
 
  SCHULDGEFÜHLE UND TRAUER

Annemarie Dähns Abtreibung liegt 17 Jahre zurück. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits zweifache Mutter ein drittes Kind "passte nicht in die Lebensplanung". Sie fuhr nach Den Haag, weil in ihrem Fall ein Abbruch in Deutschland nicht möglich gewesen wäre. "Mein Mann hat mir die Entscheidung überlassen. Ich glaube, es war ihm schon ganz recht."

Nach dem Abbruch litt sie jahrelang unter Depressionen, ohne die Ursache dafür zu erkennen. Eine Selbsthilfegruppe und therapeutische Betreuung halfen ihr schließlich, Schuldgefühle und Trauer zu überwinden.

Süddeutsche Zeitung  – Juni 17, 1995

SPD-Abgeordnete Wolf: Frage nach Zellen von Embryos und Abtreibung

Überrascht zeigt sich die Münchner SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf, dass ausgerechnet an einem bayerischen Krankenhaus, dem Uni-Klinikum Großhadern, embryonale Hirnzellen zur Transplantation für Parkinson-Kranke verwendet werden sollen. Ginge es nach der Hardliner-CSU, dürfte es in Bayerns öffentlichen Krankenhäusern gar keine Abtreibungen geben, so Wolf.

Um Licht in die Vorgänge zu bringen und die Diskussion auf die parlamentarische Ebene zu verlagern, richtete Hanna Wolf mehrere Fragen an die Bundesregierung. So möchte sie unter anderem wissen, welche Veränderungen der Abtreibungsmethoden für die Gewinnung der Zellen zu erwarten seien und wie der Gefahr entgegengewirkt werde, dass Frauen zu potentiellen Rohstoffquellen von fetalem Gewebe für medizinische Zwecke werden. sis

AP Worldstream – Juli 18, 1995

SPD und Grüne: Nolte soll Änderung des Strafrechts anstoßen
Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe stellen

SPD und Grüne haben Bundesfrauenministerin Claudia Nolte aufgefordert, dafür zu sorgen, dass Vergewaltigung in der Ehe künftig unter Strafe gestellt wird. Sie reagierten damit auf Noltes Forderung nach einer Änderung des Strafrechts als Schlussfolgerungen auf einer Studie über sexuelle Gewalt gegen Frauen in der Familie.

Die SPD-Abgeordnete Hanna Wolf kritisierte allerdings, dass Nolte sich für die sogenannte Versöhnungsklausel ausgesprochen hat, wonach eine von ihrem Mann vergewaltigte Frau die Strafverfolgung stoppen kann. Dass dies natürlich häufig auf Druck des Ehemannes oder anderer Familienangehöriger geschehe, interessiere die Ministerin offenbar nicht.

Die frauenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, Irmingard Schewe-Gerigk, sagte, seit 23 Jahren diskutiere der Bundestag darüber, dass Vergewaltigung in der Ehe strafbar sein müsse. Die Bundesrepublik sei aber eines der letzten europäischen Länder, in dem die Vergewaltigung in der Ehe nicht als solche strafbar ist. Die Regierung aber vergebe nur neue Studien, beschließe eine neue Anhörung und verzögere entsprechende Gesetzesinitiativen immer weiter. Die Grünen-Politikerin erinnerte daran, dass Anfang des Jahres ein Gesetzentwurf der Justizministerin an ''der konservativen Herrenriege der CDU/CSU'' gescheitert sei. ''Hier sollte Ministerin Nolte aktiv werden, damit Ehefrauen nicht länger mit dem Trauschein den Schutz des Strafrechts verlieren.''

Für die PDS verlangte Christina Schenk die strafrechtliche Gleichbehandlung von ehelicher und außerehelicher Vergewaltigung.

taz, die tageszeitung  – Juli 19, 1995

Vergewaltigung:  Strafrecht ändern!

SPD und Grüne haben Bundesfrauenministerin Claudia Nolte aufgefordert, dafür zu sorgen, dass Vergewaltigung in der Ehe künftig unter Strafe gestellt wird. Sie reagierten damit auf Noltes Forderung nach einer Änderung des Strafrechts als Schlussfolgerung aus einer Studie über sexuelle Gewalt gegen Frauen in der Familie. Die SPD-Abgeordnete Hanna Wolf kritisierte, dass Nolte sich für die sogenannte Versöhnungsklausel ausspricht, wonach eine vom Ehemann vergewaltigte Frau die Strafverfolgung stoppen kann. Dies geschehe häufig auf Druck des Ehemanns oder anderer Familienangehöriger.

Süddeutsche Zeitung  – Juli 25, 1995

SPD warnt vor den neuen BAföG-Plänen: 13000 Münchner Studenten und die Stadt betroffen. Die Kommune müsste künftig mehr Wohngeld zahlen

Von Alfred Dürr

Schlimme Konsequenzen für die Hochschulstadt München befürchtet die SPD, falls die neuen BAföG-Pläne des Bundesbildungsministers in die Tat umgesetzt würden. Wenn die Zuwendungen an die Studenten künftig über verzinste Darlehen gewährt werden sollen, wären von den 57 000 Studenten in München 13 000 BAföG-Bezieher betroffen. Auf sie würden doppelt so hohe Tilgungslasten zukommen, warnt die SPD.

Die Vorsitzende des SPD-Unterbezirks, Ingrid Anker, befürchtet aber auch einen finanziellen Schlag gegen die Stadt: Die Zahl der Studierenden, die wohngeldberechtigt seien - und die nach dem bisherigen Modell weitgehend vom Wohngeld ausgeschlossen sind - würde sprunghaft ansteigen. Auch die sozialen Spannungen würden sich verfestigen und ansteigen. Anker: Hochqualifizierte Ausbildung soll nur noch für die Töchter und Söhne aus begütertem Elternhaus möglich sein. Der Trend zur Schickimickistadt verfestigt sich. Wenn in München konsequent fahrlässig an der Zukunftsinvestition Bildung gespart würde, bedeute dies auch eine einschneidende Schwächung des Wirtschaftsstandorts.

Von einem Schnellschuss und einer Kateridee der Bundesminister Waigel und Rüttgers sprach der Bildungsexperte der Bundes-SPD, Peter Glotz, bei der Pressekonferenz des Unterbezirks zu den BAföG-Plänen: Es ist abwegig, ausgerechnet das sozial schwächere Fünftel der Studentenschaften melken zu wollen. Der Bildungsminister provoziere mit seinen Vorstellungen zur Finanzierung seines Etats eine massive Abschreckung sozial schwächerer Schichten vom Hochschulstudium.

Für enorme Aufregung im Bereich des Zweiten Bildungswegs sorgen Bonner Pläne, wonach die finanzielle Förderung der Schüler vom Einkommen der Eltern abhängig gemacht werden soll. In München wären davon das Münchenkolleg, das Abendgymnasium und die drei Berufsoberschulen betroffen. Dieses Jahr haben nahezu 1000 Schülerinnen und Schüler ihre Hochschulreife über diesen Weg erworben. Die Münchner Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf: Der Weg darf nicht abgeschnitten werden. Oder will die Bundesregierung, dass mehr Menschen auf einem niedrigeren Bildungsniveau bleiben sollen, als ihnen von ihren Fähigkeiten her möglich wäre?

Süddeutsche Zeitung - August 11, 1995

Bundesverkehrsministerium hegt offenbar Verkaufsabsichten, die auch den Großraum München betreffen - 12 000 Bahnwohnungen stehen im Feuer. Erlös soll Haushaltsloch von 2,3 Milliarden Mark stopfen - Gewerkschaft sieht Wortbruch und droht mit Streik

Von Thomas Münster

Im Bundesverkehrsministerium wird offenbar erwogen, genossenschaftliche oder von der Bahn selbst gehaltene Eisenbahnerwohnungen zu verkaufen. Nach Pressemeldungen soll der Verkauf von bundesweit insgesamt rund 150 000 bahneigenen Wohnungen zur Deckung des Haushaltes herhalten. Verkehrsminister Matthias Wissman hat vor laufenden Fernsehkameras bestätigt, dass er ein 2,3 Milliarden Mark großes Loch im Etat 1996 durch den Verkauf nicht betriebsnotwendiger Liegenschaften flicken will. Nicht betriebsnotwendig? Damit kann er, außer ein bisschen Schrebergartengelände und Bahnhofsvorplätze, in der Tat nur Eisenbahnerwohnungen gemeint haben. Die machen den wesentlichen Teil der nicht-betrieblichen Immobilien aus. Im Münchner Bezirk der Eisenbahnergewerkschaft GdED übt man seither im Geiste schon den Barrikadenbau. Die Züge stehen still, wenn der Bund tatsächlich Bahnwohnungen verkaufen sollte, warnte Bezirkschef Rudi Zellerer im Gespräch mit der SZ. Es werde mit Sicherheit zu Arbeitsniederlegungen kommen. Allein im Großraum München stünden 12 000, zusammen mit dem Augsburger Bezirk insgesamt 16 000 Wohnungen im Feuer.

Die von Bundesfinanzminister Theo Waigel unterstützten Verkaufsabsichten empfindet Zellerer als Wortbruch der Bundesregierung gegenüber den Eisenbahnern. Als Kernpunkt des Gesetzes zur Neuordnung der Eisenbahn sei nämlich vereinbart worden, dass die Wohnungsfürsorge in den Sondervermögen von Bundesbahn und Reichsbahn fortgeführt werde, und vor allem, dass diese Wohnungen nicht an Dritte veräußert werden dürfen.

Die SPD-Politikerin Hanna Wolf, im Bundestag Fraktionssprecherin für Soziales und Abgeordnete aus dem Münchner Westen, der von Geschichte und Gegenwart der Bahn geprägt ist, bat Wissmann umgehend um eine klare Stellungnahme zu den Verkaufsgerüchten. Immerhin seien allein im Ballungsraum München rund 6000 Wohnungen von solchen Verkaufsabsichten betroffen.

In ihrem Brief betont Hanna Wolf, dass sie der Bahnreform nur zugestimmt habe, weil eine Bestandsgarantie für die Beschäftigten der Bahn damit verbunden gewesen sei. Sie fordert Wissmann deshalb auf, von etwaigen Verkaufsplänen Abstand zu nehmen und dies den Beschäftigten der Bahn auch unmissverständlich zuzusichern.

Rechtlich stellten das Eisenbahn-Neuordnungsgesetz ebenso wie die Sozialbindung durch die genutzten Wohnungsbaufördermittel einem Verkauf Hürden entgegen. Politisch widerspreche die Verkaufsabsicht der einstimmig gefassten Absicht von Bundestag und Bundesrat. Wirtschaftlich drückten das Mietrecht, die Qualität der Bausubstanz und die Besteuerung einen möglichen Erlös nach unten.

Sollte der Minister dennoch nicht auf den Verkauf eines Teils der Wohnungen verzichten wollen, so ergänzte Wolf ihre Argumentation, dann sei allenfalls ein Verkauf an die jetzigen Mieter zu akzeptieren - sofern diese kaufen können. Die übrigen sollten weiterhin Mieter der Bundeseisenbahnvermögensverwaltung bleiben. Nur eine solche Lösung hätte eine soziale Komponente.

Der Münchner Wohnungsmarkt sei jetzt schon durch ein Überangebot an Eigentumswohnungen bei gleichzeitiger Knappheit an bezahlbaren Mietwohnungen für Menschen mit unteren und mittleren Einkommen gekennzeichnet. Und zu letzteren seien besonders viele Bahnbedienstete zu rechnen.

Der CSU-Bundestagsabgeordnete Herbert Frankenhauser, der auf Nachfrage der SZ umgehend selbst recherchiert hat, stieß auf wieder andere Zahlen. Bundesweit gehe es nur um 140 000 Wohnungen, dafür in München aber um rund 12 000. Nach seinen Ermittlungen plant das Bundesverkehrsministerium tatsächlich mittelfristig den Verkauf von Eisenbahnerwohnungen. Dabei gehe es aber lediglich um diejenigen, die fremdbelegt sind. Für die rund 82 Prozent der Wohnungen, in denen aktive oder pensionierte Eisenbahner leben, gelte der zugesicherte Bestandsschutz ebenso wie für Hinterbliebene ehemaliger Eisenbahner.

Frankenhauser bezeichnet die Warnungen der SPD-Kollegin, des Deutschen Mieterbundes und der Gewerkschaft als Panikmache im Sommerloch. Es sei im Gegenteil sogar begrüßenswert, dass der Bundesverkehrsminister die fremdbelegten Eisenbahnerwohnungen verkaufe. Das erhöhe erstens die Investitionsmittel für das umweltfreundliche Verkehrsmittel Bahn und zweitens sei eben diese Bahn ein Verkehrsunternehmen und keine Immobilienverwaltung.

Süddeutsche Zeitung - September 2, 1995

Justizministerin Leutheusser legt Gesetzentwurf vor: Gemeinsames Sorgerecht auch für Unverheiratete. Eheliche und nichteheliche Kinder sollen rechtlich weitgehend gleichgestellt werden

csc Bonn (Eigener Bericht)

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) will eheliche und nichteheliche Kinder rechtlich weitgehend gleichstellen und auch unverheirateten Paaren auf Wunsch das gemeinsame Sorgerecht für ihre Kinder einräumen. Dies soll auch möglich sein, wenn die Eltern nicht zusammenleben. Das sind zentrale Punkte eines neues Kindschaftsrechts. Teile des 470 Seiten starken Gesetzentwurfs des Justizministeriums waren bereits im August bekannt geworden und hatten zum Teil heftigen Widerspruch hervorgerufen. Vor allem das gemeinsame Sorgerecht, das künftig auch nach Scheidungen automatisch weitergelten soll, wenn die Eltern das alleinige Sorgerecht nicht ausdrücklich beantragen, stieß auf Kritik von Frauenverbänden und der SPD. Die FDP-Politikerin sprach nun in Bonn bei der Vorstellung des gesamten Entwurfs von einem der wichtigsten Reformvorhaben der Legislaturperiode. Der Begriff des nichtehelichen Kindes soll soweit als möglich aus der Gesetzessprache entfernt werden.

Als wesentliche Änderung bezeichnete Leutheusser-Schnarrenberger auch ein neues Umgangsrecht, mit dem unverheiratete Väter ein verbindliches Recht auf Umgang mit ihrem Kind erhalten. Einzelheiten regeln dann die Familiengerichte. Dabei sind auch Vollstreckungsmöglichkeiten vorgesehen. Zwar werde man es nicht so weit kommen lassen, dass ein Kind von seinem Vater mit der Polizei geholt werden könne, wenn die Mutter den Besuch beim Vater verweigere, erläuterte die Ministerin, aber an Zwangsgeld für die Mutter sei in extremen Fällen gedacht, weil das neue Recht sonst nur auf dem Papier stünde.

Ein Umgangsrecht soll es künftig auch für Großeltern, Geschwister und Pflegeeltern geben, wenn dies dem Kindeswohl dient. In zahlreichen Petitionen beklagten besonders Großeltern, dass sie nach einer Scheidung ihre Enkel nicht mehr sehen dürften, begründete die FDP-Politikerin die Änderung. Vom Kabinett erwartet die Justizministerin für ihr Reformpaket Zustimmung. Familienministerin Claudia Nolte sei grundsätzlich mit allen Punkten einverstanden.

Die SPD nannte das vorgesehene generelle gemeinsame Sorgerecht weltfremd. Beantrage eine Frau nach der Trennung das alleinige Sorgerecht, werde sie als Spielverderberin angesehen, die dem Vater die elterliche Verantwortung entziehe, kritisierte die Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf. Die SPD hat einen eigenen Gesetzentwurf im Bundestag eingebracht, nach dem das gemeinsame Sorgerecht nach Scheidungen nur bei entsprechender Einigung der Eltern möglich sein soll.

AP Worldstream - September 8, 1995

SPD kritisiert Regierungspläne für Waffendienst von Frauen
Nolting will Grundgesetz notfalls ändern

Die SPD ist gegen Pläne der Koalition, Frauen auch Waffendienst in der Bundeswehr leisten zu lassen. Die Abgeordnete Hanna Wolf erklärte am Freitag in Bonn, die Pläne des Bundesverteidigungsministeriums, Frauen im Wachdienst einzusetzen, seien ebenso abzulehnen wie der FDP-Vorschlag, sie auch zu Kampfeinsätzen zuzulassen.

Wolf meinte, der Hintergrund dieser Vorschläge sei nur zu offensichtlich. Verteidigungsminister Volker Rühe gehe es darum, die Belastungen des Wachdiensts gleichmäßiger zu verteilen, nicht etwa darum, Gleichberechtigungspolitik zu betreiben. ''Das Gleichberechtigungsargument ist natürlich ein geschickter Schachzug, aber doch sehr leicht zu durchschauen'', erklärte die SPD-Politikerin. Frauen sollten doch nur bei der Beseitigung von angeblichen Engpässen herhalten.

Das Bundesverteidigungsministerium hatte am Donnerstag erklärt, es werde geprüft, ob Frauen im Wachdienst der Bundeswehr eingesetzt werden könnten. Zwar verbiete das Grundgesetz Kampfeinsätze für Frauen. Wachdienste seien aber ''eine polizeiliche Aufgabe'', die Frauen auch schon beim Bundesgrenzschutz ausführten.

Der FDP-Verteidigungsexperte Günther Nolting will sogar einen Schritt weiter gehen als das Verteidigungsministerium und notfalls auch das Grundgesetz ändern: Frauen sollten grundsätzlich auch an Kampfeinsätzen teilnehmen können, sagte der verteidigungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion am Freitag im Deutschlandradio Berlin. Auch Fallschirmspringen oder das Steuern eines Tornados sollte Frauen erlaubt sein, vorausgesetzt sie meldeten sich freiwillig dazu. Es sei in der Verfassung nicht eindeutig geregelt, ob Frauen der Dienst an der Waffe grundsätzlich versagt sei, oder ob sie ihn auf freiwilliger Basis doch leisten dürften.

Süddeutsche Zeitung - September 9, 1995

FDP will Frauen Teilnahme an Kampfeinsätzen ermöglichen

Frauen sollten nach Ansicht der FDP an Kampfeinsätzen der Bundeswehr grundsätzlich teilnehmen können. Sogar Fallschirmspringen oder Tornado fliegen müsse Frauen erlaubt sein - allerdings auf freiwilliger Basis, sagte der verteidigungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Günther Nolting. Schätzungen hätten ergeben, dass sich mehrere tausend Frauen für den gleichberechtigten Dienst in der Bundeswehr interessierten, meinte Nolting. Notfalls müsse man das Grundgesetz ändern, das bisher nicht eindeutig festlege, ob der Dienst an der Waffe für Frauen auf freiwilliger Basis möglich oder grundsätzlich nicht zulässig sei. Eine allgemeine Wehrpflicht für Frauen lehnte der FDP-Politiker jedoch ab. Er räumte ein, dass es in der Bundeswehr traditionelle Widerstände gegen den Wehrdienst von Frauen gebe. Insgesamt sei die Bundeswehr aber sehr aufgeschlossen, das letzte geschlechtsspezifische Berufsverbot abzuschaffen. Die SPD-Abgeordnete Hanna Wolf lehnte Noltings Vorschlag strikt ab. Sie erklärte, die FDP-Forderung gehöre in den Papierkorb.

Süddeutsche Zeitung - September 13, 1995

Eisenbahnerwohnungen: Verkauf wird dem Bedarf angepasst

Von Thomas Münster

War das nun viel Lärm um fast nichts, oder gibt es für die Mieter von Eisenbahnerwohnungen doch Anlass zur Besorgnis? Wie berichtet, haben zuerst die Münchner SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf, dann auch die beiden Eisenbahnergewerkschaften und der Deutsche Mieterbund gewarnt, die Bahn wolle mit dem Verkauf von Wohnungen Löcher im Haushaltsetat stopfen. Von den mehr als 140 000 bahneigenen Wohnungen liegen fast 15 000 im Großraum München. Manfred Carstens, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, reagierte in einem Brief an Parlamentskollegin Wolf mit einem klaren Jein.

Natürlich würden Wohnungen verkauft, räumte er ein, aber selbstverständlich unter dem sozialen Aspekt des Besitzstandsschutzes. Die Kritiker der Verkaufsabsichten hätten übersehen, dass der Wohnungsbestand nicht parallel zu dem in den vergangenen Jahren erfolgten Personalabbau bei Bundes- und Reichsbahn mitgeschrumpft sei. Inzwischen seien fast 18 Prozent der Bahnwohnungen durch betriebsfremde Nicht-Eisenbahner belegt, präzisierte der Staatssekretär. Derzeit werde (was die Familien in rund 2700 Münchner Bahnwohnungen kaum beruhigen dürfte) lediglich geprüft, wie der vorhandene Bestand dem gegebenen Bedarf angepasst werden kann.

Für die Abgeordnete Wolf ist die Auskunft aus dem Bundesverkehrsministerium eine Art Entwarnung mit Hintertür. Die 18 Prozent Betriebsfremde habe die Bahn doch durch Rationalisierungen und Streckenstillegungen selbst produziert. Das bedeute, dass ein Mieter, den die Bahn nicht mehr brauchen konnte, heute als Fehlbeleger eingestuft werde und seine Wohnung zum Verkauf anstehe. Eine derartige Bedarfsanpassung sei im höchsten Masse ungerecht. Und im übrigen bedeute sie nichts anderes als einen getarnten Einstieg in den Ausstieg.

Süddeutsche Zeitung  – Oktober 16, 1995

Oberbayerns SPD baut auf Münchner Freunde

München ist in der oberbayerischen SPD gut vertreten. Auf dem Jahresparteitag in Freising wurde die Münchnerin Birgit Grube als stellvertretende Vorsitzende bestätigt; neue Schriftführerin wurde Claudia Tausend vom Münchner SPD -Vorstand und den Jusos, Beisitzerin für die Belange Münchens die Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf. Die Münchner SPD-Chefin, Ingrid Anker, gab ihr Amt als Schatzmeisterin in der Oberbayern-SPD wegen Ämterhäufung ab. Die Bundestagsabgeordnete Ulrike Mascher wird auch weiter in den Bundesparteirat entsandt; im Landesparteirat der Bayern-SPD werden künftig acht Münchner vertreten sein. pim

Focus Magazin  – Oktober 16, 1995

KOALITIONSSTREIT: Schänder ohne Chance
Viele Liberale wollen sich mit dem Kompromiss zur Vergewaltigung in der Ehe nicht abfinden

 Zufrieden präsentierten Norbert Geis und Heinz Lanfermann ihren Gesetzentwurf. Monatelang hatten die beiden Unterhändler von Union und FDP um einen Kompromiss gerungen, der zwar die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe festschreibt, der Ehe aber dennoch eine Chance lassen soll. Es schien vollbracht. Der Eindruck täuscht. Längst gehen die Liberalen auf Distanz. Erst stimmten fünf FDP-Promis in der Fraktion mit einem klaren "Nein" gegen den Kompromiss (siehe unten), jetzt setzt sich auch FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms ab. Er rechnet damit, "dass es bei der Beratung in den Ausschüssen zu Verbesserungen kommen mag, die auch sinnvoll sind".

Wichtigster Kritikpunkt der Kompromissgegner ist die Widerspruchsregelung: Sie gibt der Frau das Recht, ein Strafverfahren gegen den eigenen Gatten zu stoppen. Damit will vor allem die Union verhindern, dass eine Ehe, in der sich die Partner wieder versöhnt haben, durch ein Verfahren gefährdet wird.

Hans-Dietrich Genscher ist dagegen sicher: Diese Regelung öffne "Tür und Tor für alle möglichen Manipulationen des staatlichen Strafanspruchs bis hin zur ,Abkaufsmöglichkeit', und das bei schwerster, widerlichster Gewaltkriminalität". "Wer für diese Art von Widerspruchslösung steht, hat keine Ahnung, wie es im normalen Leben zugeht", protestiert auch Irmgard Schwätzer. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger forderte nochmals: "Gewalt in schlimmster Form und übelste Missachtung des Partners dürfen nicht grundsätzlich hinter den Schutz der Ehe zurücktreten."

Solms versucht zwar noch eine halbherzige Verteidigung diese Formulierung sei das einzige gewesen, "was mit der Koalition machbar war". Der Fraktionschef räumt aber ein, dass "wir mit der Versöhnungsklausel besser leben könnten". Die Klausel ursprüngliche Forderung der Liberalen sieht vor, dass allein der Richter die Möglichkeit hat, auf die Bestrafung des Vergewaltigers zu verzichten oder sie zu mindern, wenn dies im Interesse des Ehepaars liegt.

"Die Versöhnungsklausel nimmt die Last der letzten Entscheidung von den Schultern der Frau", argumentiert Genscher. Zudem entspricht sie der Parteilinie. Erst im Juni hatte die FDP beschlossen, dass "es nicht allein der Frau überlassen bleiben (darf), über die Beendigung des Verfahrens zu entscheiden, weil ansonsten die Gefahr von Repressalien besonders groß ist".

SPD und Grüne warten ab. In wenigen Wochen soll eine Expertenanhörung zum Thema stattfinden. Für die SPD steht jetzt schon fest: "Wir werden nur einem Entwurf mit Versöhnungsklausel zustimmen", so Genossin Hanna Wolf, "sonst wird das Gesetz im Bundesrat gestoppt."

Jede 7. Frau zwischen 20 und 59 Jahren ist mindestens 1 x vergewaltigt worden, in der Regel vom Ehemann. Aus der Studie "Sexuelle Gewalt gegen Frauen im öffentlichen und privaten Raum" des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen

Süddeutsche Zeitung - November 29, 1995

Männerseilschaften wittern Morgenluft

Zur Meldung DHV kritisiert Frauenquote in der SZ vom 30. 10.:

Das umstrittene Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Frauenquote hat über den Einzelfall hinaus kaum bindende Wirkung. Es hat sich jedoch gezeigt, dass seine psychologische Wirkung verheerend ist: Die alten Männerseilschaften wittern wieder Morgenluft. Zum Quotenurteil äußert sich Herr Hinz und Herr Kunz und inzwischen auch der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Schiedermair. Er spricht sich gegen einen Automatismus der Quote und eine rechtswidrige Quotenregelung aus, obwohl es in keinem Landeshochschulgesetz eine starre Quote, also auch keinen Automatismus gibt.

Inzwischen geht aber in den Berufungsgremien die Angst um, die seit Jahrhunderten praktizierten automatischen Männerquoten könnten nicht mehr so reibungslos funktionieren wie bisher. Deshalb versuchen sie immer öfter, qualifizierte Bewerberinnen durch scheinbare Sachargumente erst gar nicht auf eine Berufungsliste zu setzen, denn die Bewerberin könnte vielleicht sogar die Chance haben, sich bei der Endauswahl durchzusetzen.

Wären dagegen anonyme Berufungsverfahren möglich, dann sähe heute die Situation besser aus. Dann hätten wir - bald 100 Jahre nach Zulassung von Frauen zum Studium an deutschen Hochschulen - nicht erst dieses Jahr die erste deutsche Nobelpreisträgerin. Dann wären vielleicht auch insgesamt mehr Nobelpreise an die deutsche Wissenschaft gegangen.

Hanna Wolf, MdB SPD Bundeshaus 53113 Bonn

Süddeutsche Zeitung  – Dezember 15, 1995

Nach Mitgliederentscheid und Rücktritt von Justizministerin Leutheusser - Union: Lauschangriff jetzt rasch einführen. SPD: FDP auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit - Grüne: Frontbegradigung zur CDU

csc Bonn (Eigener Bericht)

Unmittelbar nach dem Rücktritt von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) forderten die Bonner Koalitionspartner der Liberalen jetzt eine möglichst rasche Einführung des Grossen Lauschangriffs. CDU und CSU zeigten sich erfreut über das Ergebnis des FDP-Mitgliederentscheids. Dagegen sprach die SPD vom unaufhaltsamen Zerfall der FDP. Der Deutsche Richterbund zollte Frau Leutheusser Respekt. Er erklärte: Es ist selten, dass führende Politiker von ihren Ämtern zurücktreten, weil sie nicht gegen ihre Grundüberzeugungen handeln wollen. Während die FDP-Politikerin in ihrem Ministerium noch ihren Rücktritt begründete, reagierte CSU-Landesgruppenchef Michael Glos bereits mit der Forderung, den Strafverfolgungsbehörden nun schnell das dringend benötigte Instrument zu einer effizienteren Verbrechensbekämpfung zu verschaffen. CDU -Generalsekretär Peter Hintze sprach von einer Stärkung der Koalition und einem Schulterschluss bei der inneren Sicherheit. Hintze sah einen schönen Erfolg für FDP-Chef Wolfgang Gerhardt. Die Jungen Liberalen und Bayerns FDP -Vorsitzender Max Stadler bedauerten dagegen den Rücktritt. Nach Stadlers Worten ist die bayerische FDP stolz auf Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Baden-Württembergs Regierungschef Erwin Teufel (CDU) empfahl, die von der großen Koalition in Stuttgart bereits eingebrachte Bundesratsinitiative zum Lauschangriff nun als Basis für einen Kompromiss zu nehmen. Jetzt ist schnelles Handeln notwendig, meinte Teufel.

SPD-Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering sieht den Weg der FDP in die Bedeutungslosigkeit vorgezeichnet. Intrigen und persönliche Scharmützel haben sie politikunfähig gemacht. Bundeskanzler Helmut Kohl sollte sich fragen, ob er sein ausgelaugtes Kabinett nicht rundum erneuern müsse. Der innenpolitische Sprecher der SPD, Ulrich Maurer, vermisst rechtsstaatliche Sicherungen gegen den Missbrauch des Abhörens von Wohnungen in dem FDP-Beschluss. Darin fehle auch der Schutz des Zeugnisverweigerungsrechts für Ärzte, Rechtsanwälte und Journalisten. Die SPD-Politikerin Hanna Wolf meinte, nun seien die frauenpolitischen Reformansätze in der Regierung ohne Stimme.

Die Grünen-Sprecher Krista Sager und Jürgen Trittin betonten, die FDP habe die Frontbegradigung zur CDU vorgenommen. Dies komme einer Selbstdemontage gleich. Die FDP habe die Reste ihres Rufs als Verfassungspartei verspielt. Der Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein, Helmut Bäumler, sprach von einem schwarzen Tag für die Privatsphäre der Bürger.

Süddeutsche Zeitung  – Februar 5, 1996

Wolf: Vergeblich gegen Postreform gekämpft

Die andauernde, herbe Kritik an den neuen Telekom-Tarifen veranlasst die Münchner SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf zu einer Stellungnahme: Sie teilt mit, dass die Tarife, die besonders die Privatkunden - von den Kindern bis zur Oma - belasten, für sie im Juni 1994 Grund zur Ablehnung der Postreform waren. Gemeinsam mit vielen bayerischen SPD-Kollegen habe sie sich seinerzeit vehement dafür eingesetzt, dass durch die Reform keine sozialpolitische Verantwortung aufgegeben werde.

Negative Konsequenzen wie die Schließungen von nicht rentablen Postämtern und die erhebliche Kostenerhöhung der Ortsgespräche im Gegensatz zu Ferngesprächen, was unwillkürlich die Kommunikationsmöglichkeiten von ohnehin weniger mobilen Teilen der Bevölkerung erheblich einschränkt, seien in einer Erklärung zu Protokoll gegeben worden. Leider, so Hanna Wolf, waren wir nicht genügend Abgeordnete, diese Art der Reform zu verhindern. Die Rechnung müssen nun die kleinen Leute bezahlen.

Die Privatisierung der Post sei von prominenten Vertretern der CSU in Gang gebracht und vollendet worden. Wenn nun Ministerpräsident Edmund Stoiber und der Leiter der bayerischen Staatskanzlei, Kurt Faltlhauser, gegen die neuen Tarife protestierten, dann sei erinnert, dass damals beide der Postreform zugestimmt haben. Eine Zeitung habe dies bereits Heuchelei genannt. bar

Süddeutsche Zeitung  – Februar 20, 1996

Wichtiger als das Tunnel-Thema: SPD-Damen sehen Druck auf die Frauen steigen

Sie können das CSU-Macho-Thema von den drei Tunnels am Mittleren Ring nicht mehr ertragen: Bürgermeisterin Gertraud Burkert (SPD), Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf (SPD), Betriebsrätin Stefanie Jahn (Rohde und Schwarz) und die SPD -Stadträtinnen Christine Strobl und Monika Renner. Im Wahlkampf gebe es weit Wichtigeres zu fordern, erklärten sie und taten es sogleich. Wir wollen uns heute endlich mal wieder der Mehrheit der Bevölkerung widmen - den Frauen. 51,3 Prozent der Münchner Wahlberechtigten seien weiblich.

Angesichts zunehmender wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Veränderungen müsse besonders auf Verschlechterungen in der Lebenssituation von Frauen geachtet werden, erklärte Burkert. Frauen müssten hellhörig werden angesichts der Experten-Analysen, die die hohe Arbeitslosigkeit unter anderem auf die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen zurückführten. Zwar werde diesen Aussagen sofort hinzugefügt, das könne nicht heißen, Frauen zurück an den Herd. Ich fürchte jedoch, der Druck wird in dieser Richtung immer größer werden.

Sich für Frauen- und Mädchenprojekte einzusetzen sei Ziel der SPD, so Renner. Während die CSU erst vor wenigen Tagen wieder die vollständige Streichung der Zuschüsse für sieben Frauenprojekte (unter anderem für die Frauenrechtsschule, das Lesbentelephon, Kofra und die Fraueninitiative Milbertshofen) und erhebliche Kürzungen für fünf weitere (darunter Frauentherapiezentrum, Pro Familia) gefordert habe, wolle die SPD deren Arbeit weiterhin finanzieren. Stefanie Jahn appellierte für mehr Frauenförderung in der Stadtverwaltung und die Unterstützung von Existenzgründerinnen. cw

Süddeutsche Zeitung  – Februar 23, 1996

Menschenrechte für Kinder lassen sich nicht herbeiregeln

Zu dem Artikel Grenzenlose Brutalität von Christine Brinck in der SZ vom 15. 2.:

Deutschland Schlusslicht im europäischen Vergleich. - Das mag sehr wohl so sein. Aber dieses Hinterherhinken in der Europäischen Menschenrechtskonvention und der UNO-Kinderrechtskonvention am deutschen Kindschaftsrecht festzumachen, heißt, die Chronologie und Kausalität auf den Kopf stellen. Die westdeutsche Familienstruktur heißt immer noch - zumindest während der sogenannten Familienphase: der Ernährer sorgt für den Unterhalt, die Mutter kümmert sich um die Kinder. Wen wundert es dann, wenn bei einer Trennung oder Scheidung sich diese Schieflage nicht wie durch den Zauberstab des automatischen gemeinsamen Sorgerechts geraderücken lässt. Der Tatsache, dass Väter und Mütter nicht plötzlich gleichberechtigt sorgende Eltern werden können, wenn sie es vorher nie waren, muss unser Recht Rechnung tragen. Es wäre Unsinn, das gemeinsame Sorgerecht in solchen Scheidungsfällen automatisch zur Wirkung kommen zu lassen. Die Behauptung, das gemeinsame Sorgerecht erhalte dem Kind den Kontakt zum Vater, ist durch die Erfahrung in den USA längst widerlegt. Die SPD-Bundestagsfraktion berücksichtigt das in ihrem Antrag, den sie zum Kindschaftsrecht in den Bundestag eingebracht hat und der die gemeinsame Sorge bei Trennung und Scheidung nur auf gemeinsamen Antrag der Eltern hin vorsieht. Von einem Recht der Eltern sprechen wir nicht. Das Recht liegt auf seiten des Kindes.

Deutschland ist in der Tat Schlusslicht, was die für Kinder und Eltern bekömmliche Familienstruktur - vor einer Trennung oder Scheidung - betrifft. Bereits hier wäre der Staat gefragt, eine, in anderen europäischen Ländern selbstverständliche Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, die es Eltern ermöglicht, gleichberechtigte Elternschaft zu leben. Dazu gehörten Kinderbetreuungseinrichtungen von der Krippe über den Kindergarten zur Ganztagsschule, aber auch Arbeitsstrukturen, die weit über die - dequalifizierende - Teilzeit von Frauen hinausreichen. Leider habe ich noch nicht gehört, dass dieser Mangel als grenzenlose Brutalität gegen die Väter gesehen worden wäre. Auch meine Kollegin Margot von Renesse kolportiert diesen Spruch nur im Zusammenhang von richterlichen Sorgerechtsentscheidungen gegen die Väter. Ich wünschte mir, dass Väter für Infrastrukturen für Kinder aufstehen würden und nicht erst dann den Kampf ums Kind lostreten, wenn sie - zum Zeitpunkt der Scheidung - ihre Kinder schon längst durch ihre andauernde persönliche Abwesenheit während der Ehe verloren haben.

Die Gleichberechtigung der Eltern lässt sich nicht durch das Kindschaftsrecht herbeiregeln, sie muss vorher vom Staat strukturell unterstützt und gefördert werden. Nur so kommen die UNO-Kinderrechtskonvention und die europäische Menschenrechtskonvention wirklich zum Tragen und nur so bekommen wir Anschluss an den europäischen Standard.

Hanna Wolf, MdB Stv. Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Bonn

Süddeutsche Zeitung  – März 5, 1996

Zwei Münchner SPD-Abgeordnete zeigen auf: Bonner Reformen zu Lasten der Stadt. Dem Kommunal-Haushalt drohen erhebliche Mehrkosten

 Von Alfred Dürr

Die große Bonner Politik, für die auch eine Stadt wie München die Zeche zahlen muss - das ist zur Zeit ein Schwerpunktthema der Sozialdemokraten im Kommunalwahlkampf. Jetzt erläuterten die beiden Münchner Bundestagsabgeordneten Ulrike Mascher und Hanna Wolf, welche zusätzlichen Millionenbeträge die Stadt belasten, wenn die Bonner Reformpläne in die Tat umgesetzt werden. Mascher, die im Parlament auch Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ist, zählt eine Liste von Belastungen auf, die auf den Stadthaushalt zukommen:

Da nach dem Seehofer-Modell die Stadt künftig die geplante Wiedereingliederung arbeitsloser Sozialhilfeempfänger übernehmen soll, drohen jährliche Mehrbelastungen von 150 Millionen Mark. 49 Millionen Mark mehr würde die geplante Kürzung der Bezugsdauer für Arbeitslosenhilfe kosten, weil damit die Zahl der Sozialhilfeempfänger steige. Selbst in einer Stadt wie München, die im Vergleich zu anderen Städten eine erfreulich niedrige Arbeitslosenquote habe, wirke sich die steigende Zahl der Arbeitslosen auf den Sozialhaushalt aus: In den letzten vier Jahren seien die gesetzlichen Leistungen des Sozialamtes von rund 390 Millionen Mark auf über 630 Millionen Mark gestiegen und für dieses Jahr seien bereits über 90 Millionen Mark mehr kalkuliert worden. Durch die Steuergesetzgebung der Bonner Regierung würden der Stadt heuer beim Gemeindeanteil an der Lohn- und Einkommenssteuer Mindereinnahmen in Höhe von 125 Millionen Mark entstehen. Dem würden lediglich 82 Millionen Mark Ausgleichsleistungen des Freistaats gegenüberstehen. Zum Beispiel würde die geplante Einführung der Steuerpflicht für kommunale Entsorgungsbetriebe den Münchnern jährlich bis zu 150 Millionen Mark mehr kosten.

Einen Schaden ganz anderer Art sieht Hanna Wolf auf die Stadt zukommen: Durch die Verzögerungspolitik der Bundesregierung bei der Neuplanung für das Bahngelände zwischen Laim und Pasing würde die Stadt um ein wesentliches Entwicklungsprojekt gebracht. Die Bahn wolle ihren Verkaufsgewinn immer weiter steigern. Damit werde der planerische Spielraum (Wohnungen, Gewerbe, Grünflächen) aber immer weiter eingeengt.

AP Worldstream -– März 5, 1996;

Bremer Gleichstellungsparagraph soll neu geregelt werden
Nölle: Kein Ende der Frauenförderung in Bremen -
Unterschiedliches Echo bei Politikerinnen

Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Bremer Frauenquote hat der Finanzsenator der Hansestadt, Ulrich Nölle, eine Neuregelung des Gleichstellungsgesetzes angekündigt. Frauenförderung werde es in Bremen aber selbstverständlich weiter geben, und Frauenförderpläne würden weiterhin verstärkt eingesetzt, sagte Nölle. Nach dem am Dienstag in Kassel verkündeten Urteil verstößt die automatische Bevorzugung von Frauen im öffentlichen Dienst bei gleicher Qualifikation und ohne Härteklausel für Männer gegen europäisches Recht.

Nölle erklärte dazu, bereits nach dem Urteil des EU-Gerichtshofs sei deutlich geworden, dass beim Paragraphen 4 des Bremer Gesetzes Anpassungsbedarf bestehe. ''Wir werden auch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts gründlich prüfen und demnach den Paragraphen 4 neu gestalten'', sagte Nölle, der auch Leiter der Senatskommission für das Personalwesen ist. Über die Beförderung im Bremer Gartenbauamt, die Anlass zu der Gerichtsentscheidung war, werde nun neu entschieden.

Nölle erklärte, in seinem Urteil sei das Bundesarbeitsgericht konsequent den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes gefolgt und habe einen Automatismus der Beförderung von Frauen bei gleicher Qualifikation abgelehnt. ''Damit spricht sich auch das Oberste Deutsche Gericht in Arbeitssachen für das Prinzip der Chancengleichheit und für das Prinzip der Ergebnisgleichheit aus'', sagte der CDU-Politiker.

Die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Hanna Wolf, kritisierte in Bonn: ''Wenn Männer entscheiden, dann kommen solche frauenfeindlichen Urteile heraus wie das heutige des BAG.'' Der rein männlich besetzte erste Senat des Bundesarbeitsarbeitsgerichts habe sich dem ebenfalls ausschließlich männlich besetzten Europäischen Gerichtshof angeschlossen. Die jetzt geforderte Härteklausel eröffne den Personalverwaltungen in vielen Fällen die Möglichkeit, die Quote zu unterlaufen, beispielsweise weil der männliche Bewerber Alleinverdiener in der Familie sei.

Dagegen sagte die frauenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die Entscheidung sei konsequent und schaffe Klarheit. ''Es ist nicht nur rechtlich, sondern auch politisch vollkommen falsch zu versuchen, die gesellschaftliche Diskriminierung der Frauen mit einer einseitigen Diskriminierung von Männern aufzuheben.''

Süddeutsche Zeitung  – März 7, 1996

Finanzsenator und Personalchef Nölle: Kein Ende der Frauenförderung - Bremen ändert das Gleichstellungsgesetz

Auch Niedersachsen will nach dem Kasseler Gerichtsurteil seine Vorschriften korrigieren

Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Bremer Frauenquote hat der Finanzsenator und Personalchef der Hansestadt, Ulrich Nölle (CDU), eine Neuregelung des Gleichstellungsgesetzes angekündigt. Frauenförderung werde es in Bremen aber selbstverständlich weiter geben, und Frauenförderpläne würden verstärkt in die Tat umgesetzt, sagte Nölle. Nach dem am Dienstag in Kassel verkündeten Urteil verstößt die automatische Bevorzugung von Frauen im Öffentlichen Dienst bei gleicher Qualifikation und ohne Härteklausel für Männer gegen das Recht der Europäischen Union. Am Mittwoch sah auch Niedensachsens Frauenministerin Christina Bührmann (SPD) Anlass, zur Herstellung von Rechtssicherheit in den Text des niedersächsischen Gleichberechtigungsgesetzes eine entsprechende Klarstellung einzufügen. Nach ihren Angaben gibt es in 14 der 16 Bundesländer und für die Bundesverwaltung gesetzliche Regelungen zur Frauenförderung. Zwar gingen die Länder unterschiedliche Wege, das Ziel sei aber dasselbe: die Erhöhung des Frauenanteils in allen Hierarchiestufen des Öffentlichen Dienstes.

Nölle erläuterte, bereits nach dem Urteil des EU-Gerichtshofs vom Oktober sei deutlich geworden, dass beim Paragraphen 4 des Bremer Gesetzes Anpassungsbedarf bestehe. Wir werden auch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts gründlich prüfen und demnach den Paragraphen 4 neu gestalten, kündigte Nölle an, der auch Leiter der Senatskommission für das Personalwesen ist. Über die Beförderung einer Frau im Bremer Gartenbauamt, die Anlass zu der Klage des unterlegenen Mannes und zu den Luxemburger und Kasseler Gerichtsentscheidungen war, werde nun neu entschieden.

Der oberste Bremer Personalchef erklärte, in seinem Urteil sei das Bundesarbeitsgericht konsequent den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes gefolgt und habe einen Automatismus der Beförderung von Frauen bei gleicher Qualifikation abgelehnt. Damit spricht sich auch das oberste deutsche Gericht in Arbeitssachen für das Prinzip der Chancengleichheit und für das Prinzip der Ergebnisgleichheit aus, sagte der CDU-Politiker.

Die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Hanna Wolf, kritisierte in Bonn das Bundesarbeitsgericht: Wenn Männer entscheiden, dann kommen solche frauenfeindlichen Urteile heraus wie das des BAG. Der rein männlich besetzte Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts habe sich dem ebenfalls ausschließlich männlich besetzten Europäischen Gerichtshof angeschlossen. Die jetzt geforderte Härteklausel eröffne den Personalverwaltungen in vielen Fällen die Möglichkeit, die Quote zu unterlaufen, beispielsweise mit der Begründung, der männliche Bewerber sei Alleinverdiener in der Familie.

Die niedersächsische Frauenministerin Bührmann meinte: Obwohl ich mir eine andere Entscheidung gewünscht hätte, bin ich optimistisch. Auf jeden Fall werde das niedersächsische Gleichberechtigungsgesetz als Instrument wirksam bleiben. Zumindest dagegen sagte die frauenpolitische Sprecherin der FDP -Fraktion, die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die Entscheidung sei konsequent und schaffe Klarheit. Es ist nicht nur rechtlich, sondern auch politisch vollkommen falsch zu versuchen, die gesellschaftliche Diskriminierung der Frauen mit einer einseitigen Diskriminierung von Männern aufzuheben. (Seite 4)

Die Woche  – März 22, 1996

Karriere mit Knarre?
Per Hinrichs

Das Grundgesetz verbietet den 3000 Frauen, die bei der Bundeswehr sind, den Dienst mit der Waffe. Doch das Tabu bröckelt

Im Wald herrscht Krieg. Schüsse peitschen durch die Luft, Soldaten robben zwischen Sträuchern und Büschen in Stellung. "Schneller, schneller", treibt Stabsunteroffizier Manja Krull die keuchende Rekrutin Sabine Mordhorst an, die wie eine Raupe über den gefrorenen Boden kriecht. "Da! Ein Feind!" schreit die Ausbilderin und deutet auf eine 20 Meter entfernte Scheibe. Die Soldatin zielt und drückt ab. Treffer. Der Pappkamerad fällt um.

Sanitätssoldatin Mordhorst, stationiert im Sanitätsbataillon 11 im ostfriesischen Leer, leistet vier Jahre Militärdienst freiwillig. Und doch ist sie nicht zufrieden. Denn als Frau darf sie in der Bundeswehr nur Sanitäts- oder Militärmusikdienst leisten. Das Grundgesetz erklärt in Artikel 12a, dass Frauen "auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten dürfen". Nur zur Selbstverteidigung lernt die Sanitätssoldatin zusammen mit 100 anderen Rekruten auf einem Truppenübungsplatz bei Lingen, wie sie sich und "anvertraute Patienten" im Ernstfall schützen soll mit dem Gewehr. Doch das Tabu bröckelt. Längst findet nicht mehr nur Alice Schwarzer, dass dieser "Zopf abgeschnitten gehört". Schon seit 1984 erklärt die Frauenrechtlerin wiederholt, dass sie als Pazifistin zwar gegen Bundeswehr und Wehrpflicht sei, als Feministin aber jeden Ausschluss von Frauen aus politischen oder beruflichen Bereichen ablehne. Von der Grünen Rita Griesshaber über die CSU-Abgeordnete und Parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium Michaela Geiger bis zum FDP-Sicherheitsexperten Günther Nolting reicht heute das Spektrum derer, die "das letzte Berufsverbot für Frauen" (Nolting) zu Fall bringen wollen. Sogar Bundeskanzler Helmut Kohl sperrt sich nicht. In einem Fernseh-Interview sagte er, dass er sich Soldatinnen auch in anderen Truppenteilen der Bundeswehr vorstellen könne. Das Grundgesetz aber möchte er nicht ändern.

Allein die SPD schließt noch kategorisch jede weitere Öffnung der Bundeswehr für Frauen aus. "Der falsche Ort der Emanzipation", urteilt die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Hanna Wolf.

Kein Ort für Frauen, befand 1956 auch der Rechtsausschuss des Bundestages und begründete den Ausschluss vom Waffendienst mit der "Natur und der Bestimmung der Frau". Den ersten Fuß in die Tür der Hardthöhe durften die Frauen 1975 setzen: Ärztinnen konnten sich für den militärischen Dienst bewerben und zum Offizier im Sanitätsdienst aufsteigen. 1989 öffneten die Bundeswehr -Universitäten den medizinischen Studiengang für Frauen, die sich für mindestens 16 Jahre verpflichten. Im Gegenzug zahlt die Bundeswehr das Studium. Und seit 1991 dürfen sich Frauen auch für die Unteroffizierslaufbahn bewerben und die grün-braun gesprenkelten Tarnanzüge anziehen. Sie können sich mindestens vier Jahre verpflichten und beispielsweise den Beruf des Rettungssanitäters lernen.

Annähernd 3000 Soldatinnen leisten heute Dienst in den Streitkräften, das entspricht einem Anteil an der Gesamtarmee von 0,8 Prozent. Tendenz steigend: 73 Prozent aller Anträge auf Einstellung in den Sanitätsdienst der unteren Laufbahn werden von Frauen gestellt.

Männliche Sanitätsoffiziere spüren die neue weibliche Konkurrenz am stärksten. "Streng nach Qualität der Bewerber gesehen, dürften wir keine männlichen Ärzte mehr einstellen. Frauen sind ihnen in Abiturnoten, Abschlüssen und Leistungen überlegen", sagt ein Einstellungsoffizier.

Auch im Kasernenalltag haben sich die Frauen bewährt. "Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht. Das sind hochmotivierte Frauen, die sehr leistungswillig und engagiert sind", lobt ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums die Soldatinnen. Und Mordhorsts Vorgesetzter, der Kommandeur des Sanitätsbataillons 11, Dr. Stefan Kowitz, stellt fest: "Die Frauen bringen einen anderen Ton mit in die Kaserne." Die Männer hielten sich mit zotigen Sprüchen zurück, bestätigt eine Soldatin.

Und warum wollen Frauen zur Bundeswehr? "Ich will Menschen helfen", antwortet eine 20jährige Rekrutin, die am liebsten morgen zum ersten Auslandseinsatz ausrücken würde. Sehnsucht nach "klaren Regeln, die alles viel einfacher machen" ist ein weiteres häufig genanntes Motiv. Das Prinzip "Befehl und Gehorsam" stärkt die Durchsetzungskraft, die viele von ihnen im zivilen Beruf vermissen.

Hinter dem wachsenden Interesse der Frauen am Militärdienst vermutet Oberleutnant Reinhard Menneken allerdings nicht nur ausgeprägte Vaterlandsliebe: "Hier in Leer ist die Arbeitslosigkeit sehr hoch. Außerdem zahlt die Bundeswehr gut. Da lohnt es sich für eine Arzthelferin oder Krankenschwester schon, den weißen Kittel aus- und die Uniform anzuziehen." Denn eine gelernte Krankenschwester dient, für 3000 Mark brutto, vom ersten Tag an als Feldwebel ein Dienstgrad, den die meisten Soldaten erst nach acht Jahren erreichen. Und selbst ungelernte Zeitsoldaten und -soldatinnen fangen mit rund 2300 Mark brutto an.

Doch im Bekanntenkreis bleibt Skepsis. "Meine Freunde finden das nicht alle so gut, dass ich bei der Bundeswehr bin", erzählt eine Arzthelferin aus Münster, die vor zwei Monaten in die Leeraner Kaserne kam. Wenn sie in Uniform durch die Fußgängerzone läuft, kommentieren die Passanten schon mal: "Starkes Kostüm!" Und Kinder rufen ihr hinterher: "Bist du echt?" Doch sie beeilt sich anzufügen: "Meine Mutter ist stolz auf mich. Sie will immer, dass ich in Uniform nach Hause komme." Vier Jahre hat sie sich wie ihre weiblichen Kameraden verpflichtet, der Bundesrepublik treu zu dienen. Das Maximum wären derzeit acht Jahre am Stück, anschließend müsste sie sich erneut entscheiden, ob sie bei der Bundeswehr bleiben will.

Doch dass sich tatsächlich eine Frau für länger als acht Jahre verpflichten würde, bezweifelt Oberst Bernhard Gerdtz, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes, in dem 235 000 Soldaten organisiert sind. Denn eine wichtige Frage ist noch ungeklärt. "Wenn wir wirklich Frauen integrieren wollen, müssen wir es ihnen ermöglichen, Mutter und Soldatin zu sein", sagt Gerdtz. Theoretisch kann eine Soldatin, die schwanger wird, zwar Erziehungsurlaub nehmen. Die freigewordene Stelle jedoch darf nicht besetzt werden, weil die Bundeswehr eine Soldatin nicht durch eine Zivilperson ersetzen kann; qualifiziertes Personal müsste truppenintern an anderer Stelle abgezogen werden. "Die Bundeswehr braucht flexible Teilzeit-Arbeitsmodelle. Das geht in anderen Armeen auch", meint Gerdtz. Solange die Frage der Kinderbetreuung nicht geklärt ist, werde es bei niedrigen Verpflichtungszeiten von maximal acht Jahren bleiben, prophezeit er. Dabei können auch Frauen auf Antrag ebenso Berufssoldat werden wie Männer. Die ranghöchste Soldatin auf Lebenszeit, Generalarzt Verena von Weymarn, leitet derzeit den Stab im Sanitätsamt.

Doch so hoch hinaus wollen die meisten Frauen gar nicht. Sie streiten eher für die gleichen Rechte in den Kasernen. Beim Wachdienst scheint ihnen das jetzt zu gelingen. Denn Soldatinnen dürfen keine Wache schieben noch nicht. Weil aber manche Sanitätsbataillone schon zu 30 bis 40 Prozent aus Frauen bestehen, müssen die Männer überproportional häufig den ungeliebten Dienst übernehmen. Die Frauen fühlen sich zurückgesetzt. Nun haben Juristen des Verteidigungs- und Justizministeriums die Rechtslage geklärt: Es sei mit der Verfassung vereinbar, dass Soldatinnen "in Friedenszeiten" Wach- und Streifendienst versehen. Nur das Bundesinnenministerium muss noch zustimmen.

Auch im Nachschub oder in der Nachrichtenübermittlung sei der Einsatz von Soldatinnen theoretisch denkbar, heißt es aus dem Verteidigungsministerium. "Aber in Krisensituationen müssten wir sie nach Hause schicken, weil sie dann als Teil der kämpfenden Truppe gegen den Artikel 12a verstoßen würden", erklärt ein ranghoher Offizier.

Aber darüber machen sich die ehrgeizigen Nachwuchssoldatinnen keine großen Gedanken. Sie sitzen ums Lagerfeuer und träumen von höheren Aufgaben. "Tornado fliegen wär' super", seufzt eine von ihnen.

Die Krisensituation, einen Menschen erschießen zu müssen, hat die Ausbilderin Manja Krull schon häufiger gedanklich durchgespielt. "Ich weiß natürlich nicht, wie ich dann reagieren würde. Aber darüber nachdenken muss man. Das ist klar."

ZUR SACHE

Eine Frau als U-Boot-Kommandantin: in Deutschland unmöglich, in Norwegen völlig normal. Zwar dienen mittlerweile in fast allen Nato-Staaten auch Frauen in den Armeen, aber nur zwei Länder lassen die Soldatinnen uneingeschränkt zu allen Aufgaben in den Streitkräften zu: Norwegen und Spanien. In Belgien sind Frauen alle Dienstposten außer U-Boot-Stellen zugänglich. Dänemark erlaubt Frauen den Einsatz in Kampftruppen (Infanterie, Artillerie und Panzer). Sie dürfen allerdings nicht in Führungsstäben arbeiten. Die Niederlande nehmen Frauen nur nicht in der Marine an. Für kanadische Frauen sind U-Boote tabu. In den USA und Großbritannien können Frauen in allen Positionen dienen, nur am Einsatz gegen fremde Bodentruppen nehmen sie nicht teil. Portugal, Frankreich und Griechenland und die Türkei lassen Frauen außerhalb der Kampftruppen auf jeden Dienstposten. Die italienische Armee beschäftigt keine Frauen.

Süddeutsche Zeitung- April 18, 1996

Unterschiedliches Echo auf Neuregelungen bei Schwangerschaftsabbruch - CSU begrüßt Mitwirkungspflicht. SPD-Abgeordnete sieht durch Erklärungszwang Qualität des Beratungsgesprächs gefährdet

Von Hans Holzhaider

München - Auf unterschiedliches Echo bei den Parteien sind die am Dienstag vom Ministerrat beschlossenen Neuregelungen zur Schwangerenberatung gestoßen. Wie in einem Teil unserer Auflage schon kurz berichtet, sieht der Entwurf für ein neues bayerisches Schwangerenberatungsgesetz vor, dass eine Frau, die eine Schwangerschaft abbrechen will, bei der gesetzlich vorgeschriebenen Beratung die Gründe für die geplante Abtreibung offen legen muss. Tut sie dies nicht, so kann ihr der Beratungsschein verweigert werden, der Voraussetzung für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch ist. Während der CSU-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Alois Glück, diese Mitwirkungspflicht der betroffenen Frauen begrüßte, erklärte die SPD-Bundestagabgeordnete Hanna Wolf, durch den Gesetzentwurf werde der in Bonn mühsam gefundene Kompromiss völlig aufgebrochen. Ein Erklärungszwang für die Schwangere gefährde die Qualität des Beratungsgesprächs und widerspreche dem Buchstaben und dem Geist des neuen Paragraphen 218. Die Grünen-Abgeordnete Elisabeth Köhler nannte die geplante Regelung rechtswidrig und frauenfeindlich. Der Zwang zur Darlegung der Beweggründe für einen Schwangerschaftsabbruch verstoße klar gegen das Schwangeren- und Familienhilfegesetz des Bundes.

Mit dem neuen Schwangerenberatungsgesetz soll das im Oktober 1995 in Kraft getretene Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz des Bundes in Landesrecht umgesetzt werden. Mit dem Artikel 10 des Gesetzes geht der Freistaat allerdings über die bundesrechtliche Regelung deutlich hinaus. Im Bundesgesetz steht, es werde erwartet, dass die schwangere Frau die Gründe mitteilt, deretwegen sie einen Abbruch der Schwangerschaft erwägt. Der Beratungscharakter schließe jedoch aus, dass die Gesprächs- und Mitwirkungsbereitschaft der schwangeren Frau erzwungen wird. Durch diesen Wortlaut werde die Mitwirkungspflicht der Frau nicht ausreichend geregelt, sagte die bayerische Sozialministerin Barbara Stamm nach der Kabinettssitzung; dies sei auch der Grund gewesen, warum Bayern das Gesetz im Bundesrat abgelehnt habe. In dem bayerischen Gesetz soll es nun wörtlich heißen: Die Beratungsbescheinigung wird der Schwangeren ausgehändigt, wenn sie die Gründe mitgeteilt hat, derentwegen sie einen Abbruch der Schwangerschaft erwägt. In der Begründung dazu heißt es, wenn die Mitteilung der Gründe unterbleibe, habe keine Konfliktberatung stattgefunden mit der Folge, dass dann auch die Beratungsbescheinigung nicht erteilt werden darf. Frau Stamm berief sich ausdrücklich auf den Text des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom Mai 1993. Das Gericht hatte die Mitteilung der Gründe für den Abbruch unerlässlich genannt, im gleichen Satz aber auch festgestellt, die Mitwirkungsbereitschaft der Frau dürfe nicht erzwungen werden.

Deutlicher Anstieg in Bayern Die Ministerin wies darauf hin, dass lediglich die Mitteilung, nicht aber eine Überprüfung der Gründe für den Schwangerschaftsabbruch gefordert werde. Sie habe volles Vertrauen zu den in Bayern tätigen Schwangerschaftsberaterinnen. Ich bin bei keiner Beratung dabei, und da schnüffelt der Staat auch nicht rum, sagte Frau Stamm. Schon jetzt enthalte das bundeseinheitliche Formular für die Beratungsbescheinigung den Satz: Die Ratsuchende hat die Tatsachen mitgeteilt, deretwegen sie einen Abbruch der Schwangerschaft erwägt. Insofern werde durch das neue Gesetz an der bisherigen Praxis der Schwangerenberatung nichts geändert.

Durch eine weitere Gesetzesänderung will die Staatsregierung sicherstellen, dass in Bayern keine reinen Abtreibungskliniken entstehen und dass auch niedergelassene Ärzte sich nicht ausschließlich auf Schwangerschaftsabbrüche spezialisieren. Einrichtungen, die nicht im Krankenhausbedarfsplan enthalten sind, und niedergelassene Ärzte dürfen danach nicht mehr als ein Viertel ihrer jährlichen Einkünfte aus Abtreibungen beziehen. Sie müssen der zuständigen Bezirksregierung jeweils bis Ende Januar die Zahl der im Vorjahr vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche, die daraus erzielten Einnahmen und die Summe der übrigen Einnahmen melden. Das gilt allerdings nur für privat berechnete Abtreibungskosten. Bei einer kriminologischen oder medizinischen Indikation übernehmen die Krankenkassen die Kosten.

Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche ist in Bayern seit dem letzten Abtreibungsurteil des Bundesverfassungsgerichts drastisch angestiegen. Eine vom Sozialministerium vorgelegte Statistik nennt für das Jahr 1992 die Zahl von 5234 Abtreibungen, für 1993 6285, für 1994 9770 und für 1995 die vorläufige Zahl von 9643. Im gesamten Bundesgebiet ging die Zahl der Abtreibungen im gleichen Zeitraum von rund 120 000 auf knapp 98 000 zurück. Erkenntnisse über die Gründe für diesen Anstieg der Abtreibungszahlen in Bayern von mehr als 30 Prozent gibt es nach Angaben des Ministeriums nicht. Naheliegend ist jedoch die Interpretation, dass wegen der in Bayern erst seit 1993 bestehende Möglichkeit, Schwangerschaftsabbrüche auch in Arztpraxen vorzunehmen, viele Frauen in Bayern blieben, die vorher zur Abtreibung in ein anderes Bundesland oder ins Ausland gefahren sind. (Seite 4)

Süddeutsche Zeitung - April 25, 1996

Gesetzentwurf zur Vergewaltigung in der Ehe gebilligt

csc Bonn (Eigener Bericht)

Ex-Ministerin stimmt nicht mit ab. Leutheusser-Schnarrenberger lehnt Widerspruchsklausel ab

Nach jahrelangem Streit hat die Koalitionsmehrheit von CDU/CSU und FDP im Rechtsausschuss des Bundestags einen Gesetzentwurf zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe verabschiedet. Vor der Abstimmung verließ die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) den Saal, weil sie die sogenannte Widerspruchsklausel ablehnt. Nach dieser Regelung sollen Frauen ein Verfahren gegen ihren Ehemann vor Beginn der Hauptverhandlung durch eine persönliche Erklärung vor dem Staatsanwalt oder später vor dem Vorsitzenden des Gerichts stoppen können.

Ebenso wie die Ex-Justizministerin befürchten auch Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen, mit dieser Regelung könnten Frauen, die gegen einen brutalen Partner vorgehen wollen, unter Druck geraten. Die Abgeordnete Hanna Wolf (SPD) betonte, im Strafrecht gebe es bei keinem anderen Offizialdelikt eine derartige Klausel. Rita Griesshaber (Bündnisgrüne) sprach von einem Einfallstor. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wollte den Widerspruch allenfalls als Ausnahme, nicht als Regelfall gelten lassen. Die Richter müssten im Einzelfall frei entscheiden können, ob sie ein Verfahren beendeten, forderte sie. Weil Ausschussmitglieder ihre Fraktionsmeinung vertreten sollen, überließ die FDP-Politikerin einem Vertreter ihre Stimme und verließ den Raum. Andernfalls hätte es keine Mehrheit für den Koalitionsantrag gegeben, über den nun vor der Sommerpause im Plenum des Bundestags beraten werden kann.

Süddeutsche Zeitung  – Mai 13, 1996

Ein eigenes Gesetz zum Abtreibungsrecht: Der Bund lässt Bayern freie Hand

Die Bundesregierung wird nicht gegen die Absicht des Freistaates Bayerns vorgehen, die Vorschriften zum Abtreibungsparagraphen 218 mit einem eigenen Landesgesetz zu verschärfen. Als bislang einziges Bundesland will Bayern bei der Schwangeren-Beratung eine Mitwirkungspflicht der Frauen einführen, die Zahl der Abtreibungen pro Arztpraxis (auf höchstens 25 Prozent der Einnahmen) begrenzen und die Ärzte über eine Änderung des Heilberufegesetzes zu einem zweiten Beratungsgespräch zwingen.

Diese ergänzenden Regelungen gehen über das vom Bundestag vor knapp einem Jahr nach langem politischen und rechtlichem Streit mit großer Mehrheit verabschiedete Abtreibungsrechts hinaus. Bonn will Bayern dennoch gewähren lassen. Dies zeigen Äußerungen des Bonner Familienministeriums, die jetzt im Protokoll der letzten Fragestunde des Bundestags nachzulesen sind. Dort betonte die Bonner Staatssekretärin Gertrud Dempwolf von der CDU, die Bundesregierung sehe keine Verpflichtung, auf die Pläne Bayerns in irgendeiner Form rechtlich Einfluss zu nehmen. Der Landtag in München solle das fragliche Gesetz erst verabschieden, meinte Dempfwolf, dann wären wir wieder an der Reihe. Als Abgeordnete der Opposition kritisierten, die Bundesregierung lasse hier zu, dass ein Land hinter ein Bundesgesetz zurückfällt und damit letztlich Bundesrecht breche, gebrauchte die CDU-Politikerin einen denkwürdigen Satz: Ich kann leider die Folgen eines Unfalls erst dann heilen, wenn er tatsächlich passiert ist. Ob sie schon etwas von Unfallprävention gehört habe, wollte daraufhin der SPD-Abgeordnete und Hochschullehrer für internationales Strafrecht, Jürgen Meyer, von der Regierungsvertreterin wissen. Dempwolf meinte aber nur lakonisch, sie kenne die Vorlagen aus Bayern nicht, deshalb könne sie nicht beurteilen, ob sie dem entsprechen, was wir hier verabschiedet haben.

Abgeordnete der SPD und von Bündnis 90/ Die Grünen vermuten hinter der Unkenntnis Methode, zumal da das Justizministerium angeblich doch prüft, was die Bayern planen. Rita Griesshaber (Grüne) meint, während der dramatischen letzten Stunden des Bonner Ringens um das neue Abtreibungsrecht habe es Absprachen zwischen CDU und CSU gegeben, die Bayern nun den Alleingang erlauben. Hanna Wolf (SPD) spricht gar von einem Abkommen, das allerdings nirgends schriftlich fixiert sein dürfte. Grundlage war offenbar der Wunsch der Bundesregierung, Bayern möge auf eine erneute Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Paragraphen 218 verzichten. Dafür kann der Freistaat das Gesetz offenbar nun selbst auslegen und in seinem Sinne verändern.

Im Bundestag hatte die CSU mit Parteichef Theo Waigel an der Spitze dem neuen Abtreibungsrecht im Juni 1995 zugestimmt; in Bayern lehnte das Kabinett unter Führung von Edmund Stoiber es schon kurz danach mit überwältigender Mehrheit ab. Stoiber gab schon damals die Marschroute für den bayerischen Sonderweg über ein Ergänzungsgesetz vor, das nach einem Gutachten der Strafrechtsprofessorin Monika Frommel in weiten Passagen unzulässig ist. Christiane Schlötzer-Scotland

Süddeutsche Zeitung  – Mai 15, 1996

Neuerungen ärgern SPD-Frauen: Protest gegen Rentenalter und 218-Pläne

Gegen die Heraufsetzung des Rentenalters von Frauen protestierte die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) auf ihrer Jahreshauptversammlung. Auch die Pläne der Bayerischen Staatsregierung, den Abtreibungsparagraphen 218 für Bayern zu verschärfen, lehnten die Münchener SPD-Frauen ab. Europaexpertin Birgit Schmidt am Busch beklagte außerdem die Bremshaltung der Bundesregierung in der europäischen Frauenpolitik. Die Frauen forderten eine Kampagne für Frauenförderung und Chancengleichheit in der Europäischen Union. Die Münchener SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf wurde in ihrem Amt als Vorsitzende der AsF-München bestätigt. peuc

Süddeutsche Zeitung  – Mai 29, 1996

Miststück, Teil II

Eine besonders schöne Episode aus der überwiegend tragischen Reihe Die moderne Sozialdemokratie und die Jugend dreht sich in diesen Tagen um ein Plakat, das in München und anderswo für den Musik-Fernsehsender MTV geworben hat. Das Werbebild zeigt eine junge Frau, die mit dem Etikett Miststück versehen ist. Von einem Werbeverband und einer Fachzeitschrift bekamen die Urheber dieses sogenannten Aufregers im Nachtcafe einen Deutschen Plakat Grand Prix verliehen, da dem Ganzen eine gewisse ästhetische Qualität nicht abzuleugnen und der Erfolg der Werbemaßnahme überwältigend war. Darüber haben wir in zugegebenermaßen etwas ironischem Tonfall berichtet, weil es doch irgendwie wirklich erstaunlich ist, wie bestimmte Ausdrücke von einem bestimmten Publikum eben gerade nicht als Beleidigung, sondern als unmittelbare Symphatieerklärung verstanden werden. Und nun Spaß beiseite, es wird's ernst. Es kommt die SPD in Gestalt der Münchner Bundestagsabgeordneten Hanna Wolf, hört von dem Grand Prix, versteht aber nichts, außer, dass hier mit Miststück eine junge Frau gemeint ist und das Ganze auch noch einen Preis bekommt. Und jetzt: Frau Wolf, Stv. Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion für Frauen und Jugend, übernehmen Sie! - Die Jury wählte auch noch das frauenverachternste Hasswort aus der Serie aus, weil es angeblich das Lebensgefühl der Jugendlichen in den 90ern dokumentiert. . . Eine besonders geschmacklose und menschenverachtende Werbung. . . Ich muss mich in meinem politischen Arbeitsfeld zu viel mit Gewalt gegen (junge) Frauen und sexuellem Missbrauch befassen, als das ich dieses Plakat ohne Beklemmungen ansehen könnte. Die Opferrolle wird hier als chic und trendy hingestellt. . .. Gesellschaftliche Verantwortung der Werbewirtschaft! Entgleisung! Miststück ein Missgriff! Schäumende Wolf an schamlosen Werberat: Ich erwarte eine öffentlich begründete Rücknahme dieses Preises. Das sitzt.

Wir erwarten nun ein Machtwort des Oberbürgermeisters und ein sofortiges Abschalten des Frauenkillers MTV (nicht zu verwechseln mit tvm) aus dem Münchner Kabelnetz, außerdem die Einrichtung einer Werbe-Zentralredaktion bei der SPD am Oberanger, die ja gerade erst beim letzten Wahlkampf eindrucksvoll bewiesen hat, wie witzig und spritzig und vollkommen frei von hintergründiger Botschaft sie zu arbeiten versteht.

Wird wahrscheinlich aber nichts nutzen. Nur die SPD wird ihr Ziel erreichen, endlich die erste jugendfreie Partei der Welt zu werden. Und Frau Wolf wird sich bald ihrer eigentlichen Bestimmung widmen können: Stv. Sprecherin für Bedenkenträger und andere Berufsbetroffene. Michael Grill

Süddeutsche Zeitung  – Juni 17, 1996

Solche Machos kann sich keine Zeitung leisten!

Zum Bericht Miststück, Teil II von Michael Grill vom 29. 5. 1996:

Wie Männer darüber urteilen, was Frauen als frauenfeindlich empfinden dürfen, hat - speziell in der Werbung - Tradition (siehe dazu die Spruchpraxis des Deutschen Werberates).

Dass in o. a. Artikel der Autor Michael Grill in der Arroganz des (vermeintlich) Stärkeren seine eigene Sichtweise als einzig mögliche (= richtig im Sinne von normal) darstellt und dabei das Engagement der SPD -Bundestagsabgeordneten Hanna Wolf in infamer Weise angreift (auch noch in der SZ tun darf), ist der eigentliche Skandal.

Nur noch soviel zu den unterschiedlichen Sichtweisen: Was an diesem Plakat prämierungswürdig ästhetisch sein soll, wird mir und anderen Frauen wohl ein Rätsel bleiben (sexistische Männerphantasien zum Thema Frauenknast! war zum Beispiel eine Spontanreaktion der von mir Befragten) . . .

Monika Stephan 82061 Neuried

Süddeutsche Zeitung  – Juli 1, 1996

Lohnfortzahlung für Schwangere: Stoiber lehnt Kürzung ab. SPD-Abgeordnete Wolf: Scheinheiliges Doppelspiel

Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) hat an die Unternehmen appelliert, Müttern nach der Kindererziehung beim Wiedereinstieg in den Beruf eine faire Chance zu geben. Zwei Tage vor Inkrafttreten des neuen Gleichstellungsgesetzes am 1. Juli betonte Stoiber bei einem Familienempfang der Staatsregierung am Samstag in Kempten, die Arbeit für die Familie müsse neu bewertet werden. Leistungen, die Frauen vollbringen, wenn sie sich ausschließlich für die Familie entscheiden oder aber für Familie und Beruf, seien gleichwertig.

Mit Blick auf das am Freitag vom Bundestag weitgehend verabschiedete Bonner Sparpaket sagte der Ministerpräsident, schwangere Frauen müssten von Kürzungen bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ausgenommen werden. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf kommentierte die Äußerung Stoibers mit den Worten, wenn es um Schwangere gehe, dann sei die CSU an doppelzüngiger Scheinheiligkeit nicht zu überbieten. Die SPD-Sprecherin für Familien und Frauenfragen wies darauf hin, dass ein Antrag auf ungekürzte Lohnfortzahlung für Schwangere im Krankheitsfall mit den Stimmen der CSU im Bundestag abgelehnt worden sei. Hätten nur einige CSU-Abgeordnete im Bundestag mit der Opposition gestimmt, dann hätte der Antrag die nötige Mehrheit gefunden, sagte Hanna Wolf. Die CSU trage den Schutz des ungeborenen Lebens vor sich her, verweigere ihn aber im konkreten Fall. Das sei ein scheinheiliges Doppelspiel.

Süddeutsche Zeitung  – Oktober 16, 1996

Reformwerk auf der Kippe. Scheitert Gesetz über Vergewaltigung in der Ehe am Verfahren?

Seit 20 Jahren wurde im Bundestag darüber gestritten, ob Vergewaltigung in der Ehe strafbar sein soll. In der vorigen Woche wurde endlich ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Doch nun droht die Fortsetzung des Streits, denn im Bundestag hat es eine kleine Gruppe von Gegnern der Strafrechtsreform in der Hand, das ganze Werk zu kippen. Dies ist Folge einer komplizierten politischen Konstellation, in die sich das Parlament selbst gebracht hat. Am vergangenen Donnerstag war im Bundestag der Versuch der Opposition und mehrerer FDP-Politiker gescheitert, die sogenannte Widerspruchsklausel aus dem Gesetz zu kippen. Die Klausel, von der die Union nicht lassen will, soll es Frauen erlauben, ein Verfahren gegen ihren Ehemann auch wieder zu stoppen. Nun hat der Bundesrat die Möglichkeit, gegen das gesamte Gesetz noch einmal Einspruch einzulegen. Darüber entscheidet das Ländergremium am Freitag. Der Einspruch ist wahrscheinlich, weil die Mehrheit der SPD-geführten Länder das Gesetz (mit der Klausel) nicht akzeptieren will. In öffentlichen Äußerungen hat sich die SPD bereits festgelegt, und auch die Koordinierungsgruppe der SPD -Länder hat sich darauf weitgehend verständigt.

Der Einspruch könnte vom Bundestag nur mit Kanzlermehrheit zurückgewiesen werden. Doch damit schlägt die Stunde der Gegner der gesamten Reform. Der Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion Joachim Hörster hat am Dienstag bereits darauf hingewiesen, dass es in der Union auch Abgeordnete gebe, die dem Gesetz grundsätzlich skeptisch gegenüberstünden. Die SPD-Länder sollten sich ihren Einspruch daher genau überlegen. Kommt es nämlich nicht zur Kanzlermehrheit, ist das Gesetz gescheitert. Es bliebe beim alten Paragraphen 177.

Die Überlegungen in der Union gehen aber offenbar weiter. Für ein Gesetz zum Sexualstrafrecht die Kanzlermehrheit zu bemühen, empfinden manche Unionsabgeordnete als peinlich. So könnte der Einspruch des Bundesrats erst einmal nicht auf die Tagesordnung des Bundestags gesetzt werden. Für die Behandlung von Einsprüchen gibt es keine Fristen. Solange aber der Einspruch im Raum steht, gibt es auch kein neues Gesetz. In der Zwischenzeit lässt sich Druck auf die FDP ausüben.

Nur fünf Stimmen entscheiden über die Kanzlermehrheit. Sechs Abgeordnete der FDP verweigerten sich in der vergangenen Woche beim Streit um die Widerspruchsklausel der Koalitionsdisziplin. Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, eine der Dissidentinnen, will sich jetzt noch nicht festlegen, wie sie sich bei der entscheidenden Abstimmung verhalten wird. Das ist eine Zwickmühle, sagt sie. Einen Ausweg weiß sie noch nicht.

Die SPD-Fraktion hat sich schon auf jeden möglichen Ausgang des Streits eingerichtet. Dabei schreckt die Genossinnen auch eine Fortsetzung der 20jährigen Debatte nicht. Bringt die Koalition keine Mehrheit gegen den Einspruch des Bundesrats zustande, will die SPD einen neuen Gesetzentwurf einbringen - dann wieder ohne Widerspruchsklausel. Hanna Wolf (SPD) wirft der Union ein durchsichtiges Spiel vor. Die Drohung an die FDP-Frauen laute: Kehrt ihr nicht in die Reihen zurück, dann machen unsere Männer das Gesetz kaputt.

Horst Eylmann (CDU), einer der langjährigen Verfechter der Reform, ist über das Verfahren äußerst betrübt. Der Bundesrat sollte den Streit nicht auf die Spitze treiben, bittet er schon fast. Sein Vorschlag: Lassen wir das Gesetz doch laufen und überprüfen es in zwei, drei Jahren. Christiane Schlötzer-Scotland

taz, die tageszeitung  – Januar 3, 1997

"Problemlos Männer zusammenfalten"

Per Hinrichs

Bei der Bundeswehr sind die Frauen auf dem Vormarsch. Die einen wollen dienen, weil sie keine Arbeit haben. Die anderen, weil sie gern Rekruten anschnauzen. Kämpfen dürfen die Soldatinnen nicht. Aus List Per Hinrichs

Heute morgen hätte sie wieder alles hinschmeißen können. Einfach die Sachen zusammenpacken, nach Westerland fahren und auf den nächsten Zug nach Wilhelmshaven warten. Der Marsch war hart, am Ende saß Matrose Andrea Onnen wie ein Häufchen Elend am Boden, wollte nicht mehr weiterlaufen und heulte. "Da hat mich meine Ausbilderin richtig angeschrieen - und damit wieder aufgebaut. Das habe ich eben gebraucht", erzählt sie achselzuckend. Motivation durch Anbrüllen? "Der Ton ist eben rau bei der Marine." Matrose Andrea Onnen steht ihre Frau. Beim Bund.

Bedenken gegen den Dienst an der Waffe sind kein Thema für die einundzwanzigjährige. Geht es ihr jetzt nicht wieder gut? Hat sie das kleine Tief nicht prima überstanden und kann mit ihrer Ausbilderin Tanja Köppen darüber lachen? Schließlich wusste die junge Frau, was die vierjährige Verpflichtung bei der Bundeswehr als Sanitätssoldatin bedeutet. Astrid Albrecht-Heide, Expertin für Frauen im Militär und Professorin für Sozialisationsforschung an der Technischen Universität Berlin, findet drastische Worte für eine solche Entscheidung: die Soldatin wird "Teil einer Maschine und muss ihre Subjektivität und Individualität opfern". Mit dem Alltag von Matrose Onnen hat das wenig zu tun. Sie lernt marschieren. Auf der Insel Sylt, die angeblich "bei jedem Wetter schön ist", wie es in den Immobilienanzeigen der großen Tageszeitungen zu lesen steht. Heute allerdings müssen sich selbst hartgesottene Nordsee-Fans warm anziehen. Ein lausig kalter Wind bläst um die reetgedeckten Häuser, grau in grau liegen die Dünenketten über dem verlassenen Strand. Die Marine hat sich auf den nördlichsten Zipfel der Insel verzogen, nach List, weitab von Whisky-Meile und Westerland-Schickeria.

Den letzten Sturm habe man gut überstanden, berichtet der Kommandeur der "Marineversorgungsschule", Kapitän zur See Roland Koser: "Wenn man bei uns die Fenster auch nur einen Spalt breit offen lässt, fliegen sie gleich aus dem Rahmen." Im übrigen könne er nicht verstehen, was an Frauen in Uniform so interessant sei. "Das ist doch was ganz Normales."

Stimmt nicht ganz. 3.100 Frauen beschäftigt die Bundeswehr - in Militärmusikkorps oder Sanitätseinheiten. Ihr Anteil an der Gesamtarmee beträgt bisher nur etwa zwei Prozent, doch die Tendenz ist steigend: 73 Prozent der Einstellungsanträge für die mittlere Laufbahn kommen von Frauen. Seit 1991 können sie die Unteroffizierslaufbahn in nicht-kämpfenden Einheiten einschlagen. Auch das Medizinstudium steht Bewerberinnen offen. Sie müssen sich für mindestens fünfzehn Jahre verpflichten und Offizierslehrgänge belegen.

Die militärische Karriere interessiert Frauen bisher kaum. Und diejenigen, die bei der Truppe anheuern, haben nur selten die Landesverteidigung im Sinn. "Das gute Gehalt" war für Stabsunteroffizier Sabine Kraack der wichtigste Grund, in die Kaserne einzurücken: "Als Hotelfachfrau habe ich zuviel gearbeitet und zuwenig verdient. Das ist jetzt anders."

Tanja Köppen kommt richtig ins Schwärmen, wenn sie nach der Motivation für ihren Dienst als Wehrausbilderin gefragt wird. "Die Kameradschaft ist toll bei der Bundeswehr. Der Zusammenhalt ist so stark wie in einer Familie", sagt sie. "Man fühlt so etwas wie Geborgenheit. Auch wenn ich manchmal hart zu den Rekruten sein muss." Männer, weiß Unteroffizier Köppen - weibliche Dienstgrade gibt es nicht - Männer sind für sie häufig "Weicheier, die Respekt vor mir haben müssen".

Manchmal dauert es ein bisschen, bis die Jungs sich einer Frau unterordnen. Doch nach ein paar Wochen, wenn die Rekruten kapiert haben, dass sie Tanja Köppen gehorchen müssen wie jedem anderen Vorgesetzten, heult sich schon mal einer in ihrem Büro aus, weil ihm die Freundin weggelaufen ist. "Das gehört eben auch zu meiner Arbeit. Aber es ist manchmal sehr schwer, diesen Spagat auszuhalten: einerseits eine autoritäre Vorgesetzte zu sein, andererseits die Kummerkastentante."

Ihre Kollegin Beate Binger sieht die Sache mit dem Bund deutlich nüchterner. Die Stralsunderin hat gleich drei Freundinnen, die zur Bundeswehr gegangen sind. Nicht aus Idealismus. "Was soll man bei uns sonst machen? Arbeit gibt's ja kaum." Wirtschaftliche Perspektivlosigkeit lässt militärische Strukturen attraktiv erscheinen: Das Prinzip Befehl und Gehorsam schaffe Klarheit, sagt Tanja Köppen - über die Geschlechtergrenzen hinweg. "Ich kann hier problemlos Männer zusammenfalten, wo geht das sonst?"

Die Männer haben allerdings immer weniger Lust, sich zusammenfalten zu lassen. Im Golfkriegsjahr 1991 lehnten 151.000 Wehrpflichtige den Dienst mit der Waffe aus Gewissensgründen ab, das war bis dato ein Rekord. Seither ging die Zahl der Verweigerer langsam zurück. Doch 1995 schnellte sie wieder nach oben: 160.000 entschieden sich für den Zivildienst. Auf der Bonner Hardthöhe wurde der Knick in der Statistik abgewiegelt. Es seien, so das Verteidigungsministerium, 1995 "besonders viele Männer gemustert worden und daher auch verstärkt Anträge auf Kriegsdienstverweigerung gestellt worden". Warum jeder dritte junge Mann der Bundeswehr den Rücken kehrt, könne man sich nicht erklären. "Wir betreiben keine Motivforschung."

Die jungen Soldatinnen, die über die Insel Sylt marschieren, verstehen nicht, warum die "große Familie" (Köppen) im privaten Umfeld auf Ablehnung stößt. Sie freuen sich darüber, dass es in der Armee keine Extras für sie gibt: Frauen tragen die gleichen Kampfanzüge, müssen die gleichen Strecken laufen, das gleiche Pensum erfüllen wie ihre männlichen Kollegen. "Sie werden Teil einer Mega-Männlichkeitsmaschine", nennt Soldatinnen-Expertin Astrid Albrecht-Heide die Metamorphose.

Persönliche Veränderungen bleiben da nicht aus. In der Lister Kaserne hat sich eine Soldatin die Haare wie ein GI aus einem Vietnam-Film abrasiert. Und abends, beim Würfelspiel im Unteroffiziersheim, hören sich die mitspielenden Frauen die Zoten ihrer Kameraden an - und lachen lauthals mit. "Das kann ich ab, das finde ich doch auch witzig", sagt Sabine Kraack. Und verschweigt nicht, dass sich ihr Mann erst damit abfinden musste, dass sie mit einem Haufen Männer zusammenlebt und sinnstiftende Soldatenparolen wie "Bei uns ist es hart, aber herzlich" verinnerlicht.

Ob die wohl helfen, wenn es mal nicht so gut läuft? "Zwei Beziehungen habe ich in meiner Bundeswehrzeit aufzubauen versucht", erzählt Tanja Köppen, "aber es ist immer danebengegangen. Die haben nicht verstanden, warum ich das hier mache." Eine Soldatin als Freundin - mit der Vorstellung können manche Männer offenbar wenig anfangen.

Und nicht nur die. Wenn Unteroffizier Köppen am Wochenende ins heimische Flensburg fährt, dann trifft sie inzwischen "völlig andere Leute als noch vor zwei Jahren. Die alten Freundinnen sind alle weg, seit ich beim Bund bin." Die Gründe dafür sucht sie bei den anderen: "Die kommen damit eben nicht klar."

Die Imageprobleme der Bundeswehr sind nicht neu. Dass die Truppe nun auch als Auffangbecken für Frauen gilt, die im zivilen Berufsleben gescheitert sind, hören die Militärs nicht gern. Sie loben "unsere Soldatinnen", berichten vom "anderen Ton" in den Kasernen, wo Damen dienen. "Freundlicher und gesitteter" gehe es nun zu. Die Rekrutinnen seien "leistungsbereiter" und "anpassungsfähiger" als viele männliche Soldaten. Auch das Bundesverteidigungsministerium zeigt sich begeistert: "Das läuft sehr gut. Wir stellen Frauen gerne ein."

Was nach Gleichberechtigung klingt, hat einen ganz pragmatischen Grund: "Wir brauchen sie, denn wir haben zuwenig Bewerber", gibt das Verteidigungsministerium zu. Was man Frauen bei der Bundeswehr bieten kann, ist allerdings bescheiden. Hochrangige Führungspositionen bleiben ihnen bisher verwehrt. Lediglich bei der Luftwaffe dient eine Ärztin im Generalsrang. Und dass Soldatinnen bei der Truppe mehr dürfen als in der Musikkapelle oder im Sanitätskorps zu marschieren, verhindert Artikel 12 a des Grundgesetzes. Der schließt Frauen explizit vom "Kriegsdienst an der Waffe" aus. In einer Begründung des Rechtsausschusses des Bundestages aus dem Jahre 1948 heißt es, dies sei mit der "natürlichen Bestimmung der Frau nicht zu vereinbaren".

Was auch immer die "natürliche Bestimmung der Frau" sein mag: Die Meinungen über eine weibliche Wehrpflicht gehen weit auseinander. Aus verschiedensten Parteien melden sich Stimmen, die sich für eine weitergehende Beschäftigung von Frauen bis zum Waffendienst einsetzen. Allen voran forderte Emma-Chefin Alice Schwarzer 1984 die Öffnung der Kasernen für Frauen. Sie lehnt die Bundeswehr zwar als Institution ab, möchte Frauen aber auch dort nicht diskriminiert wissen - und plädiert für deren Einsatz in Panzern und Düsenjägern.

Auch bei den Grünen ist das Tabu von Frauen in der Bundeswehr aufgebrochen. Rita Grieshaber, Mitglied der Bundestagsfraktion, könnte sich eine weitere Öffnung der Armee vorstellen. Und Günther Nolting (FDP) spricht seit Jahren vom "letzten Berufsverbot für Frauen", das er gerne kippen würde. Die SPD dagegen lehnt jedes Engagement von Frauen in der Bundeswehr kategorisch ab. "Der falsche Ort der Emanzipation", sagt Hanna Wolf, die frauenpolitische Sprecherin der Fraktion.

Die Sylter Soldatinnen stört das nicht weiter. Abends, lange nach Dienstschluss, brennt in Stube 10 noch Licht. Beate Binger brütet im Schein einer Nachttischlampe über ihren Lehrbüchern. Der Resopaltisch in der Mitte des Raumes ist mit Büchern und Blättern übersät. "Helfen" möchte sie bei der Bundeswehr, "am liebsten in Bosnien". Neben die Unterlagen hat sie ein Bild von ihrem Freund gestellt. "Jetzt, wo ich hier bin, sehen wir uns natürlich nicht so oft", sagt die Zwanzigjährige. "Aber er steht voll zu dem, was ich hier mache."

Wenn Beate Binger ihren Unteroffizierslehrgang hinter sich gebracht hat, will sie sich überlegen, ob sie sich weiterverpflichtet. "Es gefällt mir schon sehr gut." Das war nicht immer so im Berufsleben: Eine angefangene Friseurlehre hat sie nicht beendet, die Schule für Wirtschaft und Verwaltung abgebrochen. Gefragt, was sie denn gemacht hätte, wenn die Bundeswehr sie nicht genommen hätte, zögert sie mit der Antwort. Dann schaut sie auf und sagt: "Ich habe keine Ahnung."

Süddeutsche Zeitung  – März 19, 1997

Ingrid Anker will in den Bundestag - Vorentscheidung gefallen

Lange ist sie mit der Frage schwanger gegangen, doch nun hat sich die Münchner SPD-Vorsitzende Ingrid Anker fest entschlossen, die Glotz-Nachfolge im Münchner Norden anzutreten und 1998 für den Bundestag zu kandidieren. 'Der Ruf von der Basis ist nicht zu überhören gewesen. Ich bin von meinem Ortsverein und Harthof-Hasenbergl aufgefordert worden', erklärte die SPD-Stadträtin gestern gegenüber der SZ. Sie habe so lange gezögert, da sie erst neu in den Stadtrat gewählt worden sei. Doch nun sei sie für den Sprung nach Bonn bereit.

Festen Willens scheint sie auch zu sein, den Wahlkampf gegen den CSU-Kandidaten Johannes Singhammer erfolgreich zu meistern: 'Eine Person, die mehr in dem Wahlkreis verankert ist als Glotz, kann auch mehr Punkte machen.' Und das würde schon reichen, denn Glotz sei Singhammer nur knapp unterlegen gewesen. Darüber hinaus schloss Anker nicht aus, auch andere Möglichkeiten zu nutzen, um sich den Platz im Berliner Parlament zu sichern. 'Ich denke, wenn man ein Mandat holen will, ist es normal, sich um einen Listenplatz zu kümmern.' Die Frage wäre jedoch, wer stattdessen darauf verzichtet. Für den Bundestag hat die Münchner SPD nur drei sichere Listenplätze zu vergeben, die bereits bei Fritz Schösser, Ulrike Mascher und Hanna Wolf in festen Händen sein dürften.

Bevor es jedoch um diese Detailfragen geht, muss sich die SPD-Chefin erst einmal ihrem Mitkonkurrenten Axel Berg stellen. Am 14. Juli versammeln sich die Wahlkreisdelegierten zur Aufstellungskonferenz. Siegesbewusst gibt sich Anker in der Frage, wer die besseren Chancen hat, da ihr mittlerweile auch die Parteiführung im Münchner Norden ihr Wohlwollen bekundet habe. burt

Süddeutsche Zeitung  – März 27, 1997

Baugebiete unter die Lupe genommen
 
Von Gabi Vögele

Eigentlich wollten die Mandatsträgerinnen der SPD im Münchner Westen die künftigen Baugebiete, gegen die die Initiative 'Wir lassen uns die Zukunft nicht verbauen' mit Hilfe eines Bürgerentscheids vorgehen will, nur einmal unter die Lupe nehmen. Als fachkundige Führerin hatten die Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf, die Landtagsabgeordnete Anne Hirschmann und Stadträtin Heidemarie Köstler zu ihrer Ortsbesichtigung die Stadtbaurätin Christiane Thalgott eingeladen. Aus dem Ortstermin der Genossinnen wurde dann aber unversehens doch wieder ein Streitgespräch zwischen der städtischen Planungschefin und ihren Kritikern von der Aubinger Bürgerinitiative .

Die Gegner der geplanten Bebauung hatten es sich nämlich nicht nehmen lassen, dem Besichtigungstross der SPD vor Ort zu folgen und jeweils ihre Meinung zu den einzelnen Bauprojekten kundzutun. Als Thalgott etwa die Baupläne für die vorgesehenen 100 Wohnungen an der Wasserturmwiese in Neuaubing vorstellte, warf Joachim Krämer von der Bürgerinitiative ein: 'Diese brutale Bebauung passt absolut nicht in die Umgebung.' Dreimal so dicht wie auf den umliegenden Einfamilienhaus-Grundstücken wolle die Stadt dort bauen, kritisierte er. Auf diese Dichte komme man jedoch nur, erwiderte Thalgott, wenn man die dazugehörigen Grünflächen nicht mit in die Berechnung einbeziehe. 'Und die machen immerhin etwa zwei Fünftel der gesamten Fläche aus.' Auch den Vorwurf, die Stadt habe auf ihren ursprünglichen Entwurf, der 65 Wohnungen auf dem Gelände vorsah, nachträglich noch einmal kräftig draufgesattelt, relativierte Thalgott. Zwar habe sich die Zahl der Wohnungen in der Tat von 65 auf 100 erhöht, 'aber nur weil wir dem Bedarf entsprechend kleinere Wohnungen eingeplant haben.' Am Bauvolumen habe sich durch diese Umplanung nichts geändert.

Auch auf dem künftigen Baugebiet in Freiham, wo nach den Plänen der Stadt in den nächsten 15 Jahren knapp 10 000 neue Wohnungen entstehen sollen, tauschten vor allem Thalgott und Krämer heftig ihre Argumente aus. Krämer: 'Erst die Infrastruktur, dann erst neue Wohnungen!' Thalgott: 'Ohne eine entsprechende Bebauung gibt es keine Läden, keine Schulen, keinen S- Bahnanschluss.' In Lochhausen schließlich, wo die Stadt auf dem Manzinger-Gelände rund 1000 neue Wohnungen bauen will, noch mal dasselbe Spiel. Krämer: 'Erst die Infrastruktur, dann Wohnbebauung!' Thalgott: 'Beides muss zur gleichen Zeit kommen.'

Die SPD-Politikerinnen, die den Ortstermin mit der Stadtbaurätin eigentlich vereinbart hatten, zeigten sich von dem massiven Auftreten der Baugegner bei der abschließenden Diskussionsrunde dann doch einigermaßen genervt. Hier werde zum großen Teil aus egoistischen Motiven massiv gegen den Wohnungsbau Front gemacht, vermutete etwa Stadträtin Heidemarie Köstler. 'Schließlich ist Krämer Immobilienmakler, ihm ist also an hohen Wohnungsmieten gelegen.' Und die Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf bereute öffentlich ihr früheres Eintreten für den Bürgerentscheid in der jetzigen Form. 'Inzwischen sehe ich das anders', betonte sie.

Thalgott gab sich jedoch erneut selbstkritisch. Die Stadt habe es versäumt, ausführlich über die Wohnungsbauprojekte zu informieren . So hätte man aus ihrer Sicht etwa deutlicher darauf hinweisen müssen, dass die geplanten 10 000 Wohnungen in Freiham in drei auf insgesamt 15 Jahre verteilten Bauabschnitten errichtet würden. 'Genau diese gestaffelte Bebauung wünschen sich ja viele, die jetzt das Bürgerbegehren unterstützen', glaubt sie. Bis zur Abstimmung am 27. April will Thalgott daher noch eine Informationsoffensive starten. Unter anderem ist am 9. April um 19 Uhr eine Diskussionsveranstaltung zum Thema mit OB Christian Ude im 'Wienerwald' an der Limesstrasse 63 angesetzt. In den Räumen des Planungsreferats will Thalgott zudem eine Ausstellung mit detaillierten Plänen für die drei Baugebiete in Freiham, Lochhausen und Neuaubing organisieren. Der Termin dafür steht aber noch nicht fest.

Süddeutsche Zeitung  – Mai 22, 1997

Konzentration und Kontrolle ist alles
Die Frauen der Sektion München West-Land: 'Flintenweiber'

Von Gabi Fischer

Im Schiessstand herrscht absolute Stille. Konzentriert und angespannt stehen die Frauen an ihrem Platz, die Luftgewehre angelegt. In unregelmäßigen Abständen durchbrechen Schüsse das Schweigen in dem niedrigen, holzvertäfelten Raum. Surrend fahren die Schiessscheiben anschließend an den Schnüren zurück zur Schützin. Sie zieht ihren schwarzen Handschuh aus und prüft mit kritischem Blick das Resultat. Hat sie ins Schwarze getroffen? Verärgert schüttelt sie den Kopf und bereitet sich auf den nächsten Schuss vor.

Die Frauen in dem Schiessstand feuern nicht auf Holzscheiben, sondern auf Ziele, die auf Papierstreifen aufgedruckt und in zehn Metern Entfernung aufgehängt sind. Natürlich wollen alle bei 40 Versuchen möglichst oft ins Schwarze treffen. An diesem Tag messen 52 Frauen aus dem Westen Münchens und dem westlichen Landkreis ihre Schiesskünste beim Damenpokalschiessen. Mittlerweile kennen sich alle. Die Namen auf der Teilnehmerinnenliste lassen auf die Motivation schließen, die die Schützinnen das erste Mal das Gewehr in die Hand nehmen ließ: Ein Familienmitglied hat angefangen zu schießen und die anderen zogen nach. So kommt es nicht selten vor, dass Mutter und Tochter gemeinsam am Schiessstand stehen. Natürlich entwickelt sich dabei ein Konkurrenzverhältnis zwischen den Familienmitgliedern, vor allem zwischen Ehepaaren. 'Mein Mann hat aufgehört, mit dem Luftgewehr zu schießen, als er merkte, dass ich besser war als er', erinnert sich Elisabeth Stiffel. Er hat die Disziplin gewechselt und schießt jetzt mit der Luftpistole. Andere Männer haben ganz aufgehört.

Nicht selten müssen sich die Frauen den diskriminierenden Vorwurf anhören, sie seien 'Flintenweiber' . Obwohl mittlerweile sehr viele Frauen schießen, hat sich dieses Bild 'Frauen und Gewehre passen nicht zusammen' gehalten. 'Im Schiesssport geht es nicht darum, schießen zu lernen, um sich möglicherweise gegen andere tätlich zur Wehr zu setzen', erklärt Elisabeth Stiffel. 'Der Reiz des Schiessens liegt in der Konzentration, die man aufbringen muss, um einen guten Schuss zu machen.'

Die Frauen sehen einen engen Zusammenhang zwischen dem Schiesssport und ihrem Alltag. Die Fähigkeit, sich zu konzentrieren und unter Kontrolle zu haben, helfe ihnen beispielsweise auch im Beruf. Einige gehen sogar so weit, dass sie die Leistung im Schiessen damit in Verbindung bringen, wie die Frauen ihr Leben anpacken. 'Bei uns im Verein sind zahlreiche selbständige Frauen, Jungunternehmerinnen, die in ihrem Beruf viel leisten müssen, aber - oder vielleicht gerade deshalb - auch zu den besten Schützinnen im Verein gehören', erzählt Helga Dauerer, die 1. Damenleiterin der Sektion München West-Land. Wobei sie hinzufügt, dass es möglicherweise auch am Ehrgeiz dieser Frauen liegen könne, sowohl beruflich als auch im Sport erfolgreich zu sein.

Sei es Ehrgeiz oder Talent - was jede Frau braucht, ist Zeit zum Üben. Monika Gruschke hat das am eigenen Leib erfahren. Die Verkäuferin muss aufgrund der neuen Ladenöffnungszeiten jetzt öfters länger arbeiten und kann deswegen nicht mehr regelmäßig trainieren. 'Ich habe das heute gemerkt, ich komme an meine früheren Leistungen nicht mehr heran', folgert sie.

Die Frauen schießen bei Wettkämpfen unter den gleichen Bedingungen und mit den gleichen Waffen wie Männer. Sie haben die Wahl zwischen Luftgewehr, Luftpistole oder dem sogenannten Zimmerstutzen. Sie schießen, außer beim Pokalschiessen, in der Mannschaft im Stehen oder im Drei-Stellungs-Kampf, das heißt stehend, liegend und kniend. Bei den Wettkämpfen, aber auch beim Training wird streng auf die Sicherheitsvorschriften geachtet, da mit der Munition auch Menschen verletzt werden können. So darf der Lauf des Gewehrs beim Laden nur nach vorne in Richtung Schiessscheibe zielen, niemals auf die benachbarte Schützin. Wenn man den Schiessstand verlässt, muss die Waffe gesichert sein, um niemand anderen zu gefährden. Die Einhaltung dieser Vorschriften wird von einem Aufseher hinter dem Schiessstand kontrolliert, und wer sich nicht daran hält, wird sofort disqualifiziert.

Bei diesem Pokalschiessen ist das nicht vorgekommen. Am Nachmittag packen die letzten Schützinnen ihre Gewehre in die Taschen und warten auf die Siegerehrung. Mag manch eine sich auch ärgern, wenn sie sich in der Rangliste nicht so weit nach vorne geschossen hat, materiell hat sie dadurch keinen Nachteil. Für alle Schützinnen sind von Sponsoren und Politikern Preise an Land gezogen worden. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf wunderte sich allerdings schon ein wenig, als die Reise nach Bonn, die sie als ersten Preis gestiftet hatte, verlost wurde. Der Grund: Die Gewinnerin des Pokalschiessens ist schon seit längerer Zeit immer die gleiche.

Wer sich für Damenschiesssport interessiert, kann sich an Helga Dauerer (Telephon: 83 32 63) wenden. Schützengemeinschaften oder -vereine gibt es unter anderem in Aubing, Neuaubing, Pasing, Lochhausen und Langwied.

Süddeutsche Zeitung  – Mai 22, 1997

Zwei Kandidatinnen liegen sich in den Haaren
Streit in der SPD: Wer bekommt das sichere Ticket in den Bundestag?
Die Münchner Parteichefin Ingrid Anker und die Abgeordnete Hanna Wolf feilschen um einen sicheren Listenplatz

Ende November wird die SPD Oberbayern die Kandidaten für die Bundestagswahl 1998 nominieren und damit die Reihung auf der Liste festlegen; tatsächlich abgesichert sind die Bewerber um ein Bundestagsmandat jedoch erst dann, wenn die Landes-SPD auf ihrer Vertreterversammlung am 13. Dezember ihren Segen gibt. Doch schon jetzt gibt es Zank um die sicheren Plätze in der Landeshauptstadt. In den Haaren liegen sich noch dazu in der Partei, die erstmals die Quote einführte, zwei Frauen: die Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf und die Münchner SPD-Chefin Ingrid Anker. Beide nämlich haben ihren Anspruch auf den sicheren Listenplatz drei signalisiert.

Regel in der Münchner SPD war bisher, dass es nur drei Kandidaten gelingt, über die Liste in den Bundestag zu kommen. Bei der letzten Wahl, 1994, waren Peter Glotz (im Norden), Hanna Wolf (im Westen) und Ulrike Mascher (Stadtmitte) entsprechend gut positioniert. Mascher hätte den sicheren Platz rückblickend nicht gebraucht: Sie stach ihren CSU-Kontrahenten Johnny Klein aus und ergatterte das Direktmandat.

Als gefeierte Siegerin bei der letzten Bundestagswahl soll Mascher nun auch bei der kommenden Bundestagswahl mit einem sicheren Listenplatz in München-Mitte belohnt werden. Unangefochten ist in dieser Hinsicht ebenso der bayerische DGB-Vorsitzende und SPD-Landtagsabgeordnete Fritz Schösser, der seine Kandidatur im Münchner Osten bereits bekannt gegeben hat.

Die Abgeordnete Hanna Wolf wäre nach dem Reißverschlussverfahren bei der Listennominierung - eine Frau/ein Mann - die dritte im Bunde. Dann müsste wiederum ein Mann folgen: Im Zuge der Verjüngungskur, die sich die Partei derzeit verpasst, wird für den vierten Platz ein Juso favorisiert; und will man Gerüchten Glauben schenken, läuft alles auf den Münchner Juso-Vorsitzenden Christoph Moosbauer zu, der dann im Süden kandidieren würde.

SPD-Chefin Anker, die im März verkündete, die Glotz-Nachfolge im Münchner Norden anzutreten, müsste sich demnach mit dem fünften Listenplatz begnügen; doch das will sie nicht. So hat sie nicht nur gegenüber der SZ betont, sich um einen guten Listenplatz kümmern zu wollen. Wie aus Parteikreisen verlautet, soll sie bei Aufstellungsrunden im Wahlkreis München-Nord angekündigt haben, dass sie auf Listenplatz drei antreten werde; gestern war Anker auf erneute Anfrage der SZ hin nicht zu erreichen. Allerdings verbreiteten Parteigenossen, dass die SPD-Chefin bei einem Gespräch mit den Mandatsträgern des Münchner Nordens, am 13. März, diese Absicht auch gegenüber OB Christian Ude bekundet haben soll.

Nun ist Hanna Wolf darüber verärgert, dass ihr eine Frau den sicheren Listenplatz streitig machen will, die sie als Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen einst mit auf den Chefsessel der SPD München gehievt habe: 'Ich empfinde das als unnötige Konkurrenzsituation. Ankers Verhalten beschädigt die Frauenpolitik', sagte die stellvertretende Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion für Frauen.

Süddeutsche Zeitung  – Mai 30, 1997

Noch eine Redeschlacht um Abtreibungsrecht?
Nach Verhandlung in Karlsruhe bahnt sich eine Änderung des 'Schwangerenhilfeergänzungsgesetzes' an:
Lücken in der flächendeckenden Versorgung mit geeigneten Kliniken erfordern vermutlich Übergangsregeln

Karlsruhe/München - Der bayerische Landtag muss sich möglicherweise wie im Vorjahr noch vor der Sommerpause intensiv mit dem Abtreibungsrecht befassen. Die Staatsregierung müsste nach ihren Quasi-Zusagen vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe auch im Fall eines vorläufigen Obsiegens auf eine sofortige Korrektur des 'Schwangerenhilfeergänzungsgesetzes' drängen und insbesondere stufenweise Übergangsregelungen zugunsten der beiden 'Abtreibungsärzte' Friedrich Stapf (München) und Andreas Freudemann (Nürnberg) herbeiführen. Das ergibt sich aus dem Prozessverlauf (wir berichteten) und den detailliert vorgetragenen 'Erwägungen' des bayerischen Prozessbevollmächtigten, Professor Peter Lerche (München), am Dienstagabend unmittelbar vor dem Ende der mündlichen Verhandlung über die Anträge der beiden Mediziner auf einstweilige Anordnungen gegen das bayerische Sonderrecht. Deren Praxen müssten bei Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Juli schließen.


 ÜBERRASCHENDE WENDUNG

Für den Fall, dass sich daraus Lücken in der flächendeckenden Versorgung mit Abtreibungseinrichtungen ergeben, hatte Arbeits- und Sozialministerin Barbara Stamm (CSU) in Karlsruhe zunächst mehrmals 'Maßnahmen des Ministerrats' zugesagt. Offenbar nach einer Besprechung in der letzten Verhandlungspause konkretisierte Lerche in seinem Schlusswort überraschend diese 'Maßnahmen'. Die zentrale Regelung des Gesetzes, nach der Gynäkologen maximal 25 Prozent ihrer Einnahmen aus Schwangerschaftseinbrüchen erzielen dürfen, stand urplötzlich zur Disposition. Lerche hielt es nun für 'vorstellbar', dass die 25-Prozent-Regel 1997 gar nicht angewandt werde, 1998 'eventuell' bei 75 Prozent und 1999 bei 50 Prozent liege. Die Überleitungsregeln könnten als Initiative der Staatsregierung in den Landtag kommen, für den dessen Prozessvertreter Thomas Kreuzer (CSU) in Karlsruhe zusicherte: 'Im Fall des Falles ginge es in relativ kurzer Zeit'. Die Grünen-Landeschefin Ruth Paulig wertete die Ankündigung der Staatsregierung als 'Rückzug in Raten' und als Eingeständnis von Fehlern. Die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Monica Lochner- Fischer, warf der Regierung eine 'Verweigerungs- und Verschleierungspolitik' in Karlsruhe vor.

Die Staatsregierung, die schon vorher mit einer Entschädigungszusage an die beiden Ärzte überrascht hatte, könnte sich mit der Darlegung der Übergangslösung mit knapper Not vor einem Gesetzes-Stop gerettet haben. Nach furiosem Auftakt mit teilweise feindseligen Fragen von zwei Verfassungsrichterinnen an die zwei Mediziner hatte sich nämlich am Nachmittag das Blatt gewendet. Spätestens während der geradezu quälenden Befragung der Ministerin Stamm zum 'Sicherstellungsauftrag' der Staatsregierung für eine flächendeckende Versorgung mit Einrichtungen zum Schwangerschaftsabbruch schien der Prozess schnurgerade auf eine einstweilige Anordnung hinauszulaufen.


 BUNDESRECHT IN FRAGE GESTELLT

Mit der Schließung der beiden auf Schwangerschaftsabbrüche spezialisierten Praxen, die derzeit weit mehr als die Hälfte der jährlichen Abtreibungen in Bayern vornehmen, wäre nämlich offenkundig die bundesrechtlich vorgeschriebene Versorgung mit geeigneten Einrichtungen nicht mehr garantiert - weder durch dafür zugelassene Frauenärzte, noch durch dazu bereite Krankenhäuser. Etwas anderes vertrat im Gerichtssaal außer der Sozialministerin Stamm nur noch der an ihrer Seite fechtende Vertreter der Landesärztekammer, Horst Frenzel.

Das Problem: Sowohl das Schwangerschaftskonfliktgesetz des Bundes als auch das Bundesverfassungsgericht verlangt von den Ländern die Sicherstellung eines ausreichenden Angebots an Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen. So heißt es im Karlsruher Abtreibungsurteil vom Mai 1993, auf das sich Staatsregierung und CSU-Mehrheit im Landtag ansonsten bei jeder Gelegenheit stützen, 'dass der Staat zur Verwirklichung des Schutzkonzepts für das Bereitstehen ärztlicher Hilfe zum Abbruch der Schwangerschaft in einer Entfernung zu sorgen hat, die von der Frau nicht die Abwesenheit über einen Tag hinaus verlangt'.

Zur Begründung wird zum einen gesagt, es diene gerade dem Konzept des Lebensschutzes, 'wenn sich der Arzt nicht wegen einer weiten Anreise der schwangeren Frau gedrängt sieht, den Schwangerschaftsabbruch an dem Tage, an dem sie sich zum ersten Mal bei ihm einfindet, vorzunehmen'. Zum anderen kann es laut Karlsruhe 'in einer solchen Situation auch der Schwangeren eine Hilfe in der Not sein, wenn sie für einen ersten Arztbesuch die An- und Rückreise - auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln - an einem Tag bewältigen kann'.


 BISHER 14 ANTRÄGE

Welche Möglichkeiten zum Schwangerschaftsabbruch blieben aber in Bayern ohne die beiden Spezialpraxen? Am Dienstag hatte die Regierung nach Angaben von Ministerin Stamm noch keinem einzigen Arzt eine Erlaubnis zum ambulanten Abbruch von Schwangerschaften erteilt. Sie konnte lediglich mitteilen, dass 14 Anträge vorlägen, die wahrscheinlich genehmigt würden. Sie wies darauf hin, dass es mindestens 133 Gynäkologen in Bayern gebe, die ausweislich der Abrechnungen ihrer Praxen die Voraussetzungen für den Abbruch von Schwangerschaften erfüllten. Es blieb allerdings unklar, wie viele Gynäkologen eine solche Erlaubnis beantragen werden - zumal damit 'ungewöhnliche Offenbarungspflichten' über die Einnahmen verbunden sind, wie Professor Armin Malter vom Berufsverband der Frauenärzte sagte.

Auch die Situation an den Krankenhäusern, deren Anteil an Schwangerschaftsabbrüchen ohnehin stark rückläufig ist, blieb im Dunklen. Es gebe 80 Krankenhäuser, die Schwangerschaftsabbrüche vornähmen, mit weiteren Meldungen sowie 'Bereitschaftsanzeigen' sei zu rechnen, sagten die Regierungsvertreter.

Die Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf, stellvertretende Frauensprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, wies darauf hin, dass die CSU bisher 'mit Erfolg' alles getan habe, öffentliche Krankenhäuser daran zu hindern, Einrichtungen zum Schwangerschaftsabbruch vorzuhalten. Damit habe man den niedergelassenen Ärzten diese Aufgabe zugeschoben, die man jetzt an den Pranger stelle.

Rechtsanwältin Christine Roth (Nürnberg), die sich nach der Verhandlung sehr zuversichtlich zeigte, sah nur einen sicheren Weg für die Erfüllung des 'Sicherstellungsauftrags': den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Professorin Monika Frommel (Kiel) prophezeite bei einem Inkrafttreten des Gesetzes eine 'Rückkehr der Wanderungsbewegungen' von abtreibungswilligen bayerischen Frauen nach Hessen.

Süddeutsche Zeitung  – Juni 14, 1997

'Unglaublicher Vorgang' - Empörung über Ministerin Stamm:
Fragebogenaktion wird als 'Panikreaktion' bezeichnet

München - Mit Empörung und Sarkasmus haben die bayerischen Oppositionsparteien und die FDP auf den Versuch von Sozialministerin Barbara Stamm reagiert, mittels einer anonymen Fragebogenaktion den Nachweis zu führen, dass es in Bayern auch ohne die Abtreibungsspezialisten Stapf und Freudemann eine flächendeckende Versorgung mit Einrichtungen zum ambulanten Schwangerschaftsabbruch gibt.

Die SPD-Abgeordnete Monica Lochner-Fischer sprach von einem 'erbärmlichen und dreisten Versuch der Staatsregierung', mit dem sie den von ihr angerichteten 'Scherbenhaufen' beim Abtreibungsrecht verdecken wolle. Die landespolitische Sprecherin der FDP, Gisela Bock, nannte die Fragebogenaktion einen 'unglaublichen Vorgang', mit dem das Verfassungsgericht 'über die wahren Auswirkungen der bayerischen Sondergesetze' getäuscht werden solle. Die Grünen-Abgeordnete Petra Münzel sieht in der Aktion eine 'Panikreaktion' der Staatsregierung, die sich Verfassungsrichtern gegenübersehe, 'bei denen sie nicht so leichtes Spiel hat wie bei ihren geradezu weisungsgebundenen CSU-Landtagsabgeordneten'.

Die Landesvorsitzende der Grünen, Ruth Paulig, hielt der Sozialministerin vor, sie wolle 'jetzt von denen gerettet werden, denen sie zuvor alle erdenklichen und demokratisch fragwürdigen Hindernisse in den Weg gelegt hat'. Ähnlich argumentiert die SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf. Nachdem vor dem Bundesverfassungsgericht offensichtlich geworden sei, dass Bayern den bundesgesetzlichen Auftrag, eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten, gröblich verletze, suche die Ministerin Stamm nun händeringend nach Ärzten, die unter diesen Umständen noch bereit seien, eine Abtreibung vorzunehmen, schreibt Frau Wolf.

Wie berichtet, hat die Kassenärztliche Vereinigung im Auftrag des Sozialministeriums an diejenigen Ärzte, die im vergangenen Jahr Schwangerschaftsabbrüche abgerechnet haben, einen Fragebogen geschickt, auf dem die Mediziner angeben sollen, ob sie die Absicht haben, eine Genehmigung für die Durchführung ambulanter Abtreibungen zu beantragen. Weiter sollten die Ärzte angeben, wie viele Schwangerschaftsabbrüche sie monatlich vornehmen könnten. Die Fragebogen sollen in anonymisierter Form bis zum 16. Juni an das Ministerium gefaxt werden.


 ENTSCHEIDUNG SCHON FERTIG

Das Ergebnis dieser Befragung will das Ministerium eigenen Angaben zufolge dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts unterbreiten, noch bevor dieser am 24. Juni die Entscheidung im Einstweiligen Verfahren gegen das bayerische Schwangerenhilfeergänzungsgesetz verkündet. Es handele sich um 'entscheidungserhebliche Tatsachen', sagte Ministeriumssprecher Georg Moser. Als Entscheidungshilfe werden diese Daten allerdings zu spät in Karlsruhe ankommen. Dem Vernehmen nach steht die Entscheidung des Ersten Senats inhaltlich bereits fest und wird höchstens noch redaktionell bearbeitet.

Süddeutsche Zeitung  – Juni 21, 1997

Wer bleibt, wer geht, wer kommt
Bei SPD und CSU drehen sich mit Blick auf Landtags- und Bundestagswahl die Kandidatenkarusselle
Neben wenig Bekannten drängen auch zahlreiche Stadträte in die Parlamente, so dass Kampfabstimmungen drohen

FRANK MÜLLER

Noch dauert es mehr als ein Jahr bis zu den Wahlen in Bund und Land. Doch in beiden großen Volksparteien werfen die Urnengänge ihre Schatten voraus: Sowohl in der SPD als auch in der CSU steht schon ein Schwung von Kandidaten für die innerparteilichen Vorwahlkämpfe bereit. Viele davon sind bekannte Namen aus der Kommunalpolitik - offenbar drängt es viele Münchner Politiker vom Rathaus weg und hin zu Maximilianeum oder gleich dem 'Langen Eugen'

Aus dem Münchner Regierungslager auf die harten Oppositionsbänke des Landtags: Das könnte (ohne den Wahlausgang vorwegnehmen zu wollen) die Devise für eine ganze Reihe von SPD- Stadtratsmitgliedern sein: Als Nachfolger von Hans Kolo will im Stimmkreis Bogenhausen/Berg-am-Laim der Gesundheitsexperte der SPD-Rathausfraktion, Hans-Ulrich Pfaffmann, ins Maximilianeum einziehen. Gleich drei amtierende beziehungsweise ehemalige Stadtratsmitglieder treten im Stimmkreis Neuhausen-Nymphenburg/Laim/Hadern an, wo es um die Nachfolge von Max von Heckel geht: Barbara Scheuble-Schäfer, Rainer Volkmann und der frühere Stadtplanungssprecher der Fraktion, Wolfgang Czisch.

Sowohl Scheuble-Schäfer als auch Volkmann gehören dem Stadtrat seit fast 20 Jahren an. Ein gewisser Startvorteil wird zur Zeit Rainer Volkmann eingeräumt, weil er im Gegensatz zu Scheuble-Schäfer auch im Stimmkreis wohnt und als Vize-Chef des Mietervereins das für die SPD sehr wichtige wohnungspolitische Feld beackert.

Auf der anderen Seite verfügt Barbara Scheuble-Schäfer über einen relativ hohen Bekanntheitsgrad. Außerdem ist sie für die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktion zuständig. Ihre angriffslustige Art könne auch der in dieser Beziehung etwas verschlafenen Landtagsfraktion ganz gut tun, heißt es bei Rathausgenossen. Für viele überraschend ist es, dass Wolfgang Czisch nun wieder als Landtagskandidat auftaucht, nachdem er bei seinem Rückzug aus dem Stadtrat vor zwei Jahren angekündigt hatte, dass er ganz mit der Politik aufhören wolle.

Das größte Kandidatengedränge mit sechs Männern und Frauen herrscht im Innenstadt-Stimmkreis, den Alt-Oberbürgermeister Georg Kronawitter aufgeben wird. Sein Favorit für die Nachfolge ist Volker Riegger, ein selbständiger Unternehmensberater, der für den SPD-Parteivorstand in Bonn und für Münchner Oberbürgermeisterwahlen die Kampagnen organisiert hat. Der örtliche Stallgeruch fehle ihm noch, heißt es in Parteikreisen. Das könnte schwierig für ihn werden, zumal ihm mit Ludwig Wörner, Personalratsvorsitzender bei den Stadtwerken, Chef des Bezirksausschusses der Schwanthalerhöhe und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, ein starker Konkurrent erwächst.

Ohne innerparteilichen Gegenkandidaten sind die bisherigen Landtagsabgeordneten Monica Lochner-Fischer, Klaus Hahnzog, Dorle Baumann, Franz Maget, Hermann Memmel und Anne Hirschmann. Den bayerischen DGB-Vorsitzenden und Landtagsabgeordneten Fritz Schösser zieht es in den Bundestag. Um die Landtagskandidatur bewerben sich drei Genossen, darunter auch der Historiker, Germanist und Volkskundler Reinhard Bauer, der sich beruflich besonders im Bereich der bayerischen Namensforschung profiliert hat.

Innerparteiliche Kandidatenduelle bei den Aufstellungskonferenzen für die Bundestagswahl - sie finden bei der SPD alle im Juli statt - wird es im Münchner Norden und im Süden geben. Im Norden geht die Unterbezirksvorsitzende Ingrid Anker, gegen die der Bezirksausschussvorsitzende Axel Berg antritt, als Favoritin um die Nachfolge von Peter Glotz ins Rennen. Interessant wird es auch im Süden, wo zwei junge SPD-Politiker in den Bundestag wollen: Der 35jährige promovierte Soziologe Thomas Hinz und der 28jährige Juso-Chef Christoph Moosbauer, der als Politiktalent in der Münchner SPD gilt. Ohne Gegenkandidaten sind Ulrike Mascher, Fritz Schösser und Hanna Wolf.

Auch bei der CSU gibt es gleich um zwei Bundestagswahlkreise Gerangel: um den im Westen, der durch den Wechsel von Kurt Faltlhauser von Bonn an die Spitze der bayerischen Staatskanzlei frei ist, sowie um den bislang von dem kürzlich verstorbenen Hans 'Johnny' Klein vertretenen Wahlkreis München-Mitte. Im Münchner Westen gibt es zwei großkalibrige Bewerber, nämlich den Bonner Regierungssprecher Peter Hausmann und Münchens Kreisverwaltungsreferent, der zugleich als möglicher OB-Kandidat gehandelte Hans-Peter Uhl. Zugleich verursacht Faltlhausers Wechsel noch ein weiteres Problem: er hat noch keinen Landtagsstimmkreis, bräuchte aber zur Landtagswahl 98 einen, weswegen derzeit mehrere Rochademodelle diskutiert werden.

Und auch in München-Mitte haben mittlerweile, nachdem die übliche Pietätsfrist vorbei ist, zahlreiche Münchner Bekannte ihren Hut in den Ring geworfen: darunter der in den Schoss der Partei zurückgekehrte Ex-CSU-Rebell Aribert Wolf, welcher die Mutterpartei mehrere Jahre lang mit der CSU-Absplitterung 'Junge Liste' in Atem gehalten hatte. Aussichtsreichster Gegenkandidat dürfte ein Bekannter aus alten Parteijugendtagen sein: der frühere Münchner Chef des unionsnahen Studentenverbands RCDS, Ulrich-Konstantin Rieger, derzeit Büroleiter beim Bonner CSU-Landesgruppen-Chef Michael Glos.

Doch auch dem prominenten CSU-Rathaus-Mann Walter Zöller wird Interesse nachgesagt, ebenso dem früheren Handwerkspräsidenten Heribert Späth, der zu Beginn seiner Karriere auch einmal Münchner Stadtrat war. Das Rennen ist noch offen, die Delegierten entscheiden im Herbst.

Süddeutsche Zeitung  – Juni 25, 1997

Richterspruch löst Freude und Bedauern aus
Unterschiedliche Reaktionen auf Entscheidung zum218
Stoiber: Keine Änderung der Sonderregelung - Schmidt: Grandiose Bauchlandung

München - Bei Parteien, Verbänden und Kirchen hat die Einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts, das bayerische Abtreibungsrecht vorläufig außer Kraft zu setzen, die erwarteten Reaktionen hervorgerufen. Während Oppositionspolitiker, Frauenärzte und der Verein 'Pro Familia' den Karlsruher Richterspruch begrüßen, befürwortet das Landeskomitee der Katholiken weiterhin die bayerischen Sondergesetze. Ministerpräsident Edmund Stoiber bedauerte gestern die Entscheidung des Bundesgerichts.

Stoiber sieht jedoch 'Chancen für einen Sieg in der Hauptsache'. Die Staatsregierung sei zuversichtlich, dass die bayerische Konzeption des Lebensschutzes den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspreche, erklärte die Staatskanzlei am Nachmittag. Der Ministerpräsident lehne eine Änderung der Sonderregelung ab.

Die bayerische SPD-Vorsitzende Renate Schmidt bezeichnete die Entscheidung als 'grandiose Bauchlandung' für Sozialministerin Barbara Stamm. Es sei skandalös, dass die Ministerin nicht vor der Verhandlung in Karlsruhe klären konnte, wie viele Ärzte in Bayern Abtreibungen vornehmen wollen. 'So blamiert hat sich noch selten jemand', kommentierte Renate Schmidt die Rolle von Barbara Stamm im jetzigen Verfahren. Das Gericht habe die Bedenken der SPD gegen den Sonderweg voll bestätigt. Die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Hanna Wolf, erklärte, die Karlsruher Richter hätten zu verstehen gegeben, dass dem Schutz werdenden Lebens nicht mit rigider Durchsetzung alter Ideologien gedient sei. Die Frauenpolitikerin der Grünen im Landtag, Petra Münzel, sagte nach dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts, die Staatsregierung stehe nun mit ihren fundamentalistischen Gesetzen vor einem Scherbenhaufen. Bayern müsse deshalb jetzt die 'Notbremse' ziehen und die nicht haltbaren Regelungen in den Sondergesetzen einkassieren. Die Landesvorsitzende von Bündnis 90/ Die Grünen, Ruth Paulig, forderte, es müsse möglichst bald in Bayern ein flächendeckendes Angebot wohnortnaher Einrichtungen für Schwangerschaftsabbrüche geben.

Die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nannte die Entscheidung 'eine schallende Ohrfeige für Sozialministerin Stamm'. Das Bundesgericht habe der Staatsregierung einen klaren Pflichtverstoß vorgeworfen. Die bayerische FDP wird - von Samstag, 28. Juni, an - Unterschriften für ein Volksbegehren gegen das Abtreibungsrecht sammeln.

Auch die Bundesvorsitzende von 'Pro Familia', Uta Meier, appellierte an die Landesregierung, ihre Sondergesetze zurückzunehmen. 'Auch in Bayern haben die Frauen nun Grund zu der Hoffnung, künftig Hilfe in ihrem eigenen Bundesland zu erhalten', sagte Uta Meier . Der Bundesverband der Frauenärzte begrüßte die Einstweilige Anordnung. 'Der Richterspruch deckt sich mit unseren Erwartungen', sagte Geschäftsführerin Barbara Nolte. Im Ärzteverband sei der Sonderweg auf wenig Wohlwollen gestoßen. Barbara Stamm habe jetzt eine Quittung dafür bekommen, dass sie 'konzeptionslos' in die Verhandlung nach Karlsruhe gegangen sei.

Das Landeskomitee der Katholiken wollte sich nicht konkret zu der Entscheidung äußern. Man wolle den Richterspruch im Herbst abwarten, sagte Pressesprecher Winfried Röhmel. Röhmel kritisierte aber, dass ein Bundesgesetz, das die flächendeckende Versorgung mit Abtreibungseinrichtungen fordere, im Widerspruch zum Ethos des ärztlichen Berufes stehe. Die Umfrage der Sozialministerin bei Frauenärzten habe bei einem Grossteil eine bemerkenswert positive Einstellung zum Lebensrecht ergeben.

Süddeutsche Zeitung - September 20, 1997München

Zwei Frauen und drei Männer wollen Bonn erobern
Die Münchner SPD -Bundestagskandidaten sind laut Maget eine 'gelungene Mischung'
Unterbezirks -Chef: Bewerber decken breites Spektrum ab - Kommt Schösser in Schattenkabinett Schröders?

Eines hat die Münchner SPD der Konkurrenz von der CSU schon voraus: Während die Schwarzen noch nicht wissen, welche Kandidatinnen und Kandidaten zur Bundestagswahl im nächsten Jahr antreten sollen und hinter den Kulissen heftig um Macht und Einfluss gerangelt wird, haben die Roten ihre Liste bereits komplett. Der geschäftsführende Vorsitzende des SPD-Unterbezirks, Franz Maget, bezeichnete gestern vor der Presse das Team als 'gelungene Mischung aus Erfahrung und Jugendlichkeit, das mit den verschiedenen Themenschwerpunkten ein breites Spektrum der politischen Arbeit abdeckt'.

Ulrike Mascher (Wahlkreis München-Mitte) und Hanna Wolf (West) sind bereits Profis im Bonner Politikbetrieb. Mascher ist Vorsitzende des Sozialausschusses im Bundestag. Wolf will weiter ihren Schwerpunkt auf die Frauen- und Jugendpolitik legen. Christoph Moosbauer (Süd) und der promovierte Jurist Axel Berg (Nord) stehen für die junge Generation in der Münchner SPD. Moosbauer (28) wird sich vor allem um bessere Arbeitsplatzangebote für Jugendliche kümmern. Berg (38) ist ein Quereinsteiger, der erst vor vier Jahren in die Partei kam. Er hatte bei der Kandidatenaufstellung gegen die damalige Unterbezirksvorsitzende Ingrid Anker gesiegt, die daraufhin von ihrem Amt zurücktrat. Berg setzt in erster Linie auf den Ausbau von Spitzentechnologie und will 'neues Leben' in den Münchner Norden bringen. Mit dem Landtagsabgeordneten Fritz Schösser (50) tritt für den Osten ein profilierter Gewerkschafter an. Der bayerische DGB-Vorsitzende, der im März nächsten Jahres erneut für diesen Posten kandidieren will, möchte jetzt seine Ideen zu Wirtschaft, Arbeit und Renten auf bundespolitischer Ebene durchsetzen. In einem Schattenkabinett Gerhard Schröders wird Schösser bereits als Sozialminister gehandelt.

Der zeitliche Vorsprung vor der CSU bei der Kandidatenaufstellung soll sich auch in Wählerstimmen auszahlen, hofft Maget: 'Wir rechnen mit einer Flut von Direktmandaten.' Am 6. November wird auch die Liste der Landtagskandidatinnen und -kandidaten abgeschlossen sein. Und am 15. Dezember soll dann der Münchner SPD-Parteichef gewählt werden. Franz Maget wird aller Voraussicht nach der einzige Bewerber sein.

Süddeutsche Zeitung - September 23, 1997 Anzeiger W

Kandidaten, Kunst und Käfer - Altweiber-Sommerfest vor Schloss Blutenburg - SPD-Frauen feiern Jubiläum mit rund 200 Bürgern

Sonnenschein, Dixieland und gute Stimmung gab es zum 20jährigen Jubiläum des Altweiber-Sommerfests der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen vor Schloss Blutenburg. 'Petrus hat ein Einsehen gehabt', freute sich SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf, denn in den vergangenen Jahren war das Fest wegen Kälte und Regen ins Wasser gefallen. Gut 200 Bürger aus dem Münchner Westen, darunter auch Andreas Ellmaier (CSU), Chef des Bezirksausschusses Pasing/Obermenzing (BA 21), kamen zu der Veranstaltung vor historischer Kulisse, obwohl am Samstag auch das Oktoberfest auf der Theresienwiese anfing.

Die SPD aus dem Münchner Westen nutzte die Gelegenheit, alte und neue Kandidaten für Bezirkstag, Landtag sowie Bundestag vorzustellen. Bei der CSU sind dagegen die Würfel noch nicht gefallen. Alte Bekannte sind Wolf für den Bundestag, Anne Hirschmann aus Aubing, die wieder zu den Landtagswahlen antritt, sowie Gerda Schneider-Köther aus Pasing und Werner Brandl aus Laim für den Bezirkstag. Einziger 'Neuling' ist Ludwig Wörner, Vorsitzender des Bezirksausschusses Schwanthalerhöhe (BA 8), der um einen Platz im Landtag kämpft.

Nach der kleinen KandidatenPremiere stellten die Genossen den Wahlkampf jedoch hinten an und beschränkten sich auf das Feiern. Bei Bier und Wein vom Fass sowie bayerischen Schmankerln ließen es sich die Besucher gut gehen. Für den musikalischen Rahmen sorgte die 'Allied Dixieland Corporation', die Swing der 20er und 30er Jahre zum Besten gab. Für die kleinen Besucher gab es ebenfalls etliche Attraktionen: Die sportlichen Kinder tummelten sich auf einer langen Hüpfschlange. Grossen Anklang fand auch die Mal-Ecke, bei der teilweise bis zu 20 Zwergerl gleichzeitig an ihren Kunstwerken arbeiteten. Besonders groß fiel dieses Jahr der Kinderflohmarkt aus, bei dem es nicht nur alle Arten Spielzeug, Bücher sowie Kleidung zu erwerben gab. Vielmehr bemalten sich die Kinder auch gegenseitig als Katze, Prinzessin oder Marienkäfer.

Süddeutsche Zeitung  – Oktober 15, 1997München

Münchner Kandidatenwerden gut platziert
SPD-Liste für Bundestag

Gut abgesichert wurden die meisten Münchner SPD-Kandidatinnen und Kandidaten für die Bundestagswahl bei einer Reihungskonferenz des oberbayerischen SPD-Bezirks. Wie schon 1994 wurde Ulrike Mascher (Wahlkreis München Mitte) auf Platz 1 des Oberbayern-Vorschlags gesetzt und gleichzeitig als Nummer 1 der SPD-Landesliste empfohlen. Der bayerische DGB-Chef Fritz Schösser (München-Ost) wurde auf Platz 6 nominiert, was auf der von allen sieben bayerischen SPD-Bezirken gebildeten Landesliste dem sicheren Platz 15 entspricht. Einen Rang abgestuft wurde Hanna Wolf (München-West), die in Oberbayern Platz 7 und auf der Landesliste voraussichtlich Platz 24 belegt.

Nur wenn er seinen Wahlkreis München-Süd direkt gewinnt oder wenn die bayerische SPD ihr Ergebnis von 1994 (29,6 Prozent) verbessert, kommt auch der Jungsozialist Christoph Moosbauer in den Bundestag. Überhaupt nicht abgesichert wurde Axel Berg (München-Nord). Der Nachfolger von Peter Glotz, der die Münchner SPD-Vorsitzende Ingrid Anker zunächst bei der Nominierung aus dem Rennen geworfen und dann zum Rücktritt gebracht hatte, ist auf ein Direktmandat angewiesen. 1994 hatte lediglich Ulrike Mascher ihren Wahlkreis direkt gewonnen; es blieb das einzige SPD- Direktmandat in Bayern.

<CENTER><AUTHOR> Ob die Vorsitzende des Bundestags-Sozialausschusses tatsächlich wieder wie 1994 die Nummer 1 auf der Landesliste wird, ist aber noch nicht sicher. Der Landesvorstand hat sich vorbehalten, die Bezirksvorschläge zu verändern. Es gibt einen Antrag aus Ostbayern, den stellvertretenden Landesvorsitzenden Ludwig Stiegler (Weiden) zum Spitzenmann zu machen. Wenig Chancen dürften Bestrebungen haben, Fritz Schösser auf Platz 5 zu hieven.(Bayern) sti.

Süddeutsche Zeitung  – Oktober 15, 1997Bayern

Otto Schily landet wieder im Hinterfeld
Schlechter Listenplatz für oberbayerischen SPD-Bundestagskandidaten
Der umstrittene Rechtsexperte zieht gegen Klaus Barthel mit 22 : 77 den kürzeren

München - Der stellvertretende Vorsitzende und Rechtsexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Otto Schily, hat auch bei der Reihung der Bewerber für die Bundestagswahl 1998 von den oberbayerischen SPD-Delegierten einen Denkzettel erhalten. Auf einem Bezirksparteitag zur Nominierung der oberbayerischen SPD-Bewerber für die Landesliste zur Bundestagswahl landete Schily, der in einer rot-grünen Koalition Chancen auf das Amt des Justizministers hat, nur auf dem achten Platz. 1994 war Schily sogar auf Platz 9 gesetzt worden, was dem aussichtslosen Platz 36 auf der SPD-Landesliste entsprochen hätte. Nach einer Empfehlung des Parteipräsidiums hatte sich Schily bei der landesweiten Aufstellungskonferenz zum Unwillen der Oberbayern auf Platz 19 vorgeboxt und so sein Bundestagsmandat gesichert. 1994 hatte die oberbayerische SPD einschließlich der Landeshauptstadt München acht Abgeordnete nach Bonn entsandt, die bayerische SPD insgesamt 29. Genau mit diesem 29. Platz müsste Schily jetzt auf der Landesliste vorliebnehmen, wenn die Aufteilung der Plätze unter den sieben bayerischen SPD-Bezirken auf der Landesvertreterversammlung am 13. Dezember so wie 1994 vorgenommen wird. Damals hatte die SPD knapp 30 Prozent erzielt. Mit einer neuerlichen Einmischung der Parteispitze um Renate Schmidt zugunsten Schilys ist diesmal nicht zu rechnen, auch wenn Generalsekretär Wolfgang Hoderlein darauf hinweist, dass es Sache des Landesvorstands sei, der Landesvertreterversammlung eine Reihung vorzuschlagen. 'Ich kann mir vorstellen, dass das Ergebnis des Landesvorstands nicht in jedem Fall mit der Reihung der Bezirke übereinstimmt', sagte Hoderlein am Dienstag der SZ. Schily hat sich bei der SPD-Basis nie durchsetzen können und ist als SPD-Verhandlungsführer beim mit Union und FDP vereinbarten 'Grossen Lauschangriff' äußerst umstritten. Im SPD-Landesvorstand haben er und Renate Schmidt kürzlich wegen des Kompromisses Schiffbruch erlitten.

Da die bayerischen Sozialdemokraten für 1998 eine spürbare Verbesserung ihres Ergebnisses erhoffen, dürfte Schily, der im Wahlkreis 208 (München-Land) kandidiert, sein Bundestagsmandat trotz des Oberbayern-Vorschlags sicher sein. Schily, Mitbegründer der Grünen und seit 1990 SPD-Bundestagsabgeordneter, lag 1994 in seinem Wahlkreis bei den persönlichen Stimmen mit 32, 7 Prozent fast sechs Prozent vor seiner Partei.

Mit seinem Anspruch, auf Platz vier in der Oberbayern-Reihung gesetzt und damit im Vorderfeld der Landesliste placiert zu werden, scheiterte Schily mit 22:77 Stimmen an seinem Mitbewerber Klaus Barthel aus Kochel. Der 41jährige Gewerkschaftssekretär war 1994 das Opfer der Neureihung zugunsten Schilys durch die Parteispitze gewesen. Vor Schily landete noch Fritz Schösser, DGB-Landesvorsitzender und 'Job-Hopper' bei der bayerischen SPD, der nach vier glücklosen Jahren im Landtag nun in den Bundestag strebt.

So sieht die von den oberbayerischen Delegierten beschlossene Liste nach dem 'Reißverschlusssystem' - Frauen und Männer werden abwechselnd gereiht - aus: 1. und als bayerische Spitzenkandidatin vorgeschlagen: Ulrike Mascher (München), 2. Hans Büttner (Ingolstadt), 3. Uta Titze-Stecher (Dachau), 4. Klaus Barthel (Starnberg), 5.Angelika Graf (Rosenheim), 6. Fritz Schösser (München), 7. Hanna Wolf (München), 8. Otto Schily (München-Land),9.Bärbel Kofler (Traunstein), 10. Ewald Schurer (Altötting), 11. Jutta Harrer (Freising), 12. Christoph Moosbauer (München) 13. Albert Thurner (Weilheim), 14. Axel Berg (München).

Süddeutsche Zeitung - November 15, 1997München

Fingerabdrücke, die sich einprägen
17. November 1996: Eine Demonstration und ihre Folgen
Weil ihr Sohn 'erkennungsdienstlich behandelt' wurde, entwickelte sich eine Münchnerin zur Polizeikritikerin

Wie fühlt sich eine Mutter , wenn sie einen solchen Anruf bekommt? Wahrscheinlich erschrickt sie erst mal furchtbar, wenn ihr ein Polizeibeamter am Telephon sagt, man habe ihren Sohn nach einer Demonstration festgenommen, jetzt möge sie ihn bitte persönlich im Polizeipräsidium an der Ettstraße abholen, weil er sich sonst vielleicht 'etwas antun' würde. 'Man denkt im ersten Moment: Um Gottes Willen, was hat das für Folgen - in der Schule und danach', sagt Hildegard Müller (Name geändert). Zweifel an der staatlichen Autorität hatte die resolute, eher brav wirkende Frau damals noch nicht, wie sie heute sagt: 'Ich hab ja immer gedacht, man wird von der Polizei nur mitgenommen, wenn man etwas Furchtbares getan hat.' An jenem 17. November 1996, als ihr damals 16jähriger Sohn mittags beim Demonstrieren festgenommen und stundenlang 'erkennungsdienstlich behandelt' wurde, fuhr Hildegard Müller also um fünf Uhr nachmittags zur Ettstraße. Als sie ihren Sohn aus dem Polizeipräsidium herauskommen sah, tat sie etwas, was sie heute bereut: Sie begann Streit mit ihm, weil er nicht in die Schule wollte. 'Ich hab mir gedacht, wenn er demonstrieren kann, dann kann er auch am nächsten Tag in die Schule gehen.'

Als er am nächsten Tag aus dem Unterricht zurückkam und sichtlich krank war, bemerkte sie: 'Mein Sohn war nervlich völlig fertig.' Er versuchte zu erklären, wie sehr ihn die fünf Stunden Gefängnis mitgenommen hatten, 'und da ist mir aufgegangen, dass ich mich falsch verhalten habe', sagt sie heute.

Allmählich dämmerte Hildegard Müller, dass die Polizei ihren Sohn und 25 andere jugendliche Demonstranten so behandelt hatte wie sonst Attentäter oder Bankräuber: Man fertigte Photos, Fingerabdrücke, Schriftproben, Stimmproben, einen Gebissabdruck sowie eine genaue Liste aller körperlichen Merkmale samt Beobachtung des Ganges; sogar 'Ohrabdrücke' wurden genommen, mit denen Ermittler sonst Einbrecher identifizieren, die an Türen gelauscht haben.

Der 17. November 1996 hat das Leben von Hildegard Müller auch deshalb etwas durcheinandergewirbelt, weil eine andere Mutter die Telephonnummern der Betroffenen notierte und man sich zu einem Treffen verabredete. 'Es war tröstlich zu sehen, dass man nicht alleine war', sagt Hildegard Müller heute. Mit den anderen Eltern trifft sie sich seitdem einmal pro Monat, was ihr auch die Energie gibt, ihre neue politische Haltung gegenüber Verwandten zu verteidigen: 'Da höre ich immer wieder, dass man sich doch nicht gegen alles auflehnen kann.'

Zufällig hat Hildegard Müller einige Monate nach der Polizeiaktion festgestellt, wo Photos und andere Daten ihres Sohnes bereits gelandet sind: in der Täterkartei der Polizei, Abteilung 'Jahrgang 80/81, ohne Bart und ohne Brille'. Diese Kartei musste ein Freund ihres Sohnes einmal durchblättern, als er wegen einer unpolitischen Sache Anzeige erstattet hatte; er sah dabei erstaunt, dass unter diversen zwielichtigen Typen auch der Sohn von Hildegard Müller war.

So gut die Daten bei der Polizei offensichtlich intern verteilt werden, so wenig dringt darüber etwas nach draußen. So weiß Hildegard Müller zwar, dass seit der Demonstration ein Ermittlungsverfahren gegen ihren Sohn wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz läuft: Er habe mit den 25 anderen die offizielle Kundgebung zum Volkstrauertag gestört, lautet der Vorwurf. 'Doch was ich empörend finde, ist, dass ich vom Verfahren gegen meinen Sohn von den Behörden offiziell nichts erfahren habe.'

Einmal immerhin hat Günther Beckstein, der bayerische Innenminister, sich bereits geäußert. Zwar nicht zu Hildegard Müller persönlich, sondern zur Abgeordneten Hanna Wolf (SPD). Ihr hat er erklärt, dass die Polizei damals sogar so fürsorglich war, am 17. November für Anfragen der Eltern 'eine spezielle Telephonnummer' einzurichten. Hildegard Müller fragt sich seitdem eines: 'Soll ich jetzt immer, wenn mein Sohn ein paar Stunden nicht heimkommt, die Polizei anrufen, weil er vielleicht festgenommen worden ist?'

Süddeutsche Zeitung  – Dezember 10, 1997Anzeiger W

Aufgelockerte Geschichtsstunde in Sachen Politik
 
Vor 90Jahren wurden in der neugegründeten SPD-'Vorortssektion Allach' ähnliche Probleme wie heute diskutiert

Viel ist von den Anfängen der SPD in Allach/Untermenzing nicht übrig. Ein 1907 gestiftetes Fahnenband an der Fahne des Pasinger Ortsvereins ist das einzige Zeugnis der Gründung der Sektion Allach der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vor 90 Jahren. Mitgliederverzeichnisse und Gründungsprotokoll sind während der Diktatur der Nationalsozialisten verlorengegangen. Ihre Parteibücher haben viele SPDler im Dritten Reich vorsorglich vernichtet. Aber immerhin gibt es aus der Vorkriegszeit noch die Erwähnung der 'Vorortssektion Allach' im Bericht des Bezirkstags aus dem Jahr 1908. Und so konnte der heute knapp 100 Mitglieder zählende Ortsverein im Stadtbezirk 23 jetzt auf neun Jahrzehnte Parteiarbeit zurückblicken. Die Genossen verbanden dies mit ihrer Weihnachtsfeier im Vereinsheim Allach/Untermenzing. Rund 100 feierten mit, so dass der Raum gut gefüllt war und die Stühle gerade so ausreichten. Glühwein, Weihnachtsgebäck, satirische Lieder von Sepp Raith und 'weiß-blaue Hüttengaudi' mit Reinhard Puscher lockerten den feierlichen Anlass auf. Denn immerhin gab es sogar Geschenke für den Ortsverein: Bezirksrätin Gerda Schneider-Köther überbrachte eine Kachel des Pasinger Ortsvereins. Denn schließlich seien die Pasinger der 'Mutterverein' der Allacher, wie Schneider-Köther betonte. Die Sektion Allach spaltete sich 1907 von der Pasinger SPD ab, die bereits 15 Jahre früher entstanden war.

Grosse Reden wurden nicht geschwungen. Die Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf und die Landtagsabgeordnete Anne Hirschmann machten Mut für das kommende Wahljahr und gratulierten zum Jubiläum. Geehrt wurde natürlich auch. Unter anderen Josef Morigl, der vor 50 Jahren in die SPD eintrat. Damals nach dem Zweiten Weltkrieg sei er Mitglied Nummer 37 gewesen, erinnert sich der 74jährige mit den schneeweißen Haaren. Doch der Ortsverein hat noch längere Mitgliedschaften vorzuweisen. Auf stolze 77 Jahre SPD kann Josef Felder zurückblicken. Der Ehrenvorsitzende der bayerischen SPD, der seit einigen Jahren in Allach/Untermenzing lebt, saß 1932/33 als Abgeordneter im Reichstag und stimmte gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz.

Damals in den 30er Jahren waren die Problem in Allach ähnlich gelagert wie heute: Der Bau von Schulen, die Verbindung der Bahn nach München und soziale Schwierigkeiten. Auch Finanzprobleme gab es schon - trotz der großen Steuerzahler wie Krauss-Maffei, Diamalt und Sager & Wörner. Immerhin brachte die Ansiedlung verschiedener Fabriken - 1902 entstand die Diamalt - den Sozialdemokraten ihr Klientel. Die Wahlerfolge waren beachtlich; 1929 konnten sie knapp 50 Prozent der Allacher Wählerstimmen verbuchen.

Und noch 1933 bei der letzten freien Wahl vor der Gleichschaltung durch die NSDAP erhielt die SPD mit 31 Prozent einen Prozentpunkt mehr als die Nationalsozialisten. 1938 verlor Allach den Status einer eigenständigen Gemeinde und wurde zum Stadtteil Münchens. 1945 folgte dann die Zusammenlegung mit Untermenzing. Seitdem wählten die Bürger aus Allach/Untermenzing immer wieder SPDler aus ihrem Viertel in den Stadtrat. Hans Fischer saß von 1956 bis 1972 im Rathaus. Ihm folgte Benno Kreitmair bis 1990. Nach sechs Jahren Pause ist nun seit vergangenem Jahr die Genossin Heidemarie Köstler für Allach/Untermenzing im Stadtrat.

Eine Zukunftsprognose für die zu feierlichen Anlässen wohl unvermeidbaren 'nächsten 90 Jahre' bleibt aber schwierig. 'Politik wird immer unattraktiver für die Leute', bedauert Julian Hömberg - 'obwohl es sie immer mehr angeht.' Der 19jährige ist seit drei Jahren in der SPD, allerdings in Obermenzing, und Jugendpolitischer Sprecher im Münchner Westen. Etwa 100 junge Erwachsene sind dort SPD-Mitglied, ein Viertel davon in Allach/Untermenzing. Inga Nobel

Süddeutsche Zeitung  – Dezember 15, 1997Bayern

'Das soll uns die CSU mal nachmachen'
Im Reißverschluss-Verfahren

Schwabach - Auf der SPD-Landesliste für die Bundestagswahl sind die ersten 36 der insgesamt 45 Plätze nach dem Reißverschlusssystem von jeweils einem Mann oder einer Frau besetzt: 'Das soll uns die CSU erst einmal nachmachen', freute sich SPD-Landeschefin Renate Schmidt. Angeführt wird die Liste allerdings von einem Mann.

Ludwig Stiegler (197 Ja- und elf Nein-Stimmen), Ulrike Mascher (199/10), Günther Verheugen (191/16), Sigrid Skarpelis-Sperk (187/25), Walter Kolbow (193/17), Heide Mattischek (190/15), Hans Büttner (179/30), Erika Simm (198/11), Robert Leidinger (171/32), Susanne Kastner (171/37), Martin Pfaff (154/42), Uta Titze-Stecher (176/21), Horst Schmidbauer (193/12), Angelika Graf (172/28), Klaus Barthel (177/28), Verena Wohlleben (180/26), Horst Kubatschka (136/17), Petra Ernstberger (189/9), Fritz Schösser (113/86), Gabriele Fograscher (163/39), Uwe Hiksch (162/38), Heidi Wright (178/19), Günter Gloser (172/19), Hanna Wolf (158/44), Georg Pfannenstein (184/18), Brunhilde Iber (177/8), Frank Hofmann (186/15), Jella Teuschner (185/14), Otto Schily (160/48), Marlene Ruprecht (172/21), Ewald Schurer (171/17), Anette Kramme (162/24), Reinhold Strobl (126/77), Bärbel Kofler (170/13), Roland Eichmann (162/25), Jutta Harrer (177/12), Rainer Glaab (155/10), Kurt Unger, Manfred Heeb, Günter Elsberger, Christoph Moosbauer, Albert Thurner, Josef Haas, Wolfgang Peitsch, Axel Berg.

Süddeutsche Zeitung  – Dezember 19, 1997Bayern

Karlsruhe setzt Abtreibungsrecht weiter aus
Bundesverfassungsgericht entscheidet
Sozialministerin Stamm bedauert den Beschluss - Die Landtagsopposition triumphiert

 BIRGIT MATUSCHECK-LABITZKE

Karlsruhe - Bis auf weiteres wird in Bayern ein Grossteil der jährlich mindestens 12 000 Schwangerschaftsabbrüche in den Spezialpraxen von Andreas Freudemann (Nürnberg) und Friedrich Stapf (München) vorgenommen werden. Das widerspricht zwar dem von der CSU-Mehrheit beschlossenen 'Schwangerenhilfergänzungsgesetz', dessen letzter Teil am 1. Juli dieses Jahres in Kraft treten sollte. Es entspricht aber der übergeordneten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Dessen Erster Senat hat jetzt in einem von den Beteiligten seit Tagen mit großen Anspannung erwarteten Beschluss seine einstweilige Anordnung vom 24. Juni gegen Teile des bayerischen Sonderrechts wiederholt, die an Weihnachten mit Ablauf der gesetzlichen Sechs-Monats-Frist wirkungslos geworden wäre. Nach dem Karlsruher Beschluss können wesentliche Teile des Gesetzes weiterhin nicht in Kraft treten. Das Gericht zeigte sich nach wie vor nicht ganz davon überzeugt, dass die geforderte 'flächendeckende Versorgung' mit zur Abtreibung bereiten Ärzten und Krankenhäusern gesichert ist. Mit einer endgültigen Entscheidung Karlsruhes ist im Sommer 1998 zu rechnen. (Aktenzeichen: 1 BvR 2306;2314/96) Die bayerische Staatsregierung erzielte zwar mit ihren neuesten Zahlen über 94 Abtreibungsgenehmigungen für Gynäkologen und 31 zur Abtreibung bereite Krankenhäuser beim Gericht eine gewisse Wirkung. Das Zahlenwerk wurde aber offenbar durch Gegenrechnungen von Rechtsanwältin Christine Roth (Nürnberg) wieder erschüttert. Sie hatte aus den Zahlen der Staatsregierung errechnet, dass sich die bislang schon unzureichenden Möglichkeiten zu 'wohnortnahen' Schwangerschaftsabbrüchen noch weiter reduziert hätten. Sogar nach den Angaben der Staatsregierung ergebe sich eine Lücke von mehr als 4000. Hinzu käme eine weitere Lücke von fast 4000 Schwangerschaftsabbrüchen, die sich aus unterschiedlichen Angaben über die 1996 in Bayern vorgenommenen Abbrüche ergäben: Die Staatsregierung lege die Zahl 12 482 zugrunde, Pro Familia komme auf 16 000 Abbrüche.


 FRAGE NACH DEM SONDERWEG

Rechtsanwältin Roth zeigte sich über den am Donnerstag mittag bekanntgegebenen Karlsruher Beschluss sehr erfreut und erleichtert. Dadurch sei auch in Bayern weiterhin die wohnortnahe Versorgung von Frauen gesichert und ihr Mandant Freudemann könne seine Praxis uneingeschränkt weiterbetreiben. Das dirigistische Vorgehen der Staatsregierung habe dazu geführt, dass sich die Zahl abtreibungswilliger Ärzte um ein Drittel, in Krankenhäusern sogar um zwei Drittel verringert habe. Stapfs Anwältin Monika Frommel betonte, für die Entscheidung in der Hauptsache spiele der Sicherstellungsauftrag gar nicht mehr die wichtigste Rolle: 'Dann kommt es darauf an, ob Bayern überhaupt einen Sonderweg gegen ein bereits abschließend geregeltes Bundesrecht einschlagen darf', sagte die Kieler Kriminologin.

Während die Verlängerung einer einstweiligen Anordnung in Karlsruhe im allgemeinen nicht viel mehr als Routine ist, gab es dieses Mal bis zum letzten Augenblick erhebliche Unsicherheiten über das Ergebnis. Nach der gesetzlichen Regelung ist für die 'Wiederholung' einer einstweiligen Anordnung eine Zwei-Drittel-Mehrheit des Gerichts erforderlich. Bereits drei der acht Mitglieder des Ersten Senats hätten also eine Verlängerung verhindern und für ein Inkrafttreten des Abtreibungsrechts sorgen können.

Nicht zuletzt aufgrund eines am Montag bekanntgewordenen schweren Konflikts im Verfassungsgericht zur Frage der Arzthaftung bei ungewollten Kindern, hatten Beobachter das Abstimmungsverhalten als unberechenbar eingestuft.

Während die bayerische Sozialministerin Barbara Stamm (CSU) die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bedauerte, wurde sie von der Landtagsopposition begrüßt. Stamm ist aber zuversichtlich, dass das Gericht in der Hauptsacheentscheidung den von Bayern eingeschlagenen Weg zum Lebensschutz bestätigen wird.

Die SPD-Landtagsfraktion hat die Karlsruher Entscheidung als 'logische Antwort' auf die 'Verweigerungspolitik' der Staatsregierung ausdrücklich gutgeheißen. Die frauenpolitische Sprecherin der Fraktion, Monica Lochner-Fischer, warf der Staatsregierung vor, sie habe die ihr gewährte 'Schonfrist' nicht genutzt. Die Münchner SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf ging sogar noch weiter: 'Die bayerische Staatsregierung wäre gut beraten, wenn sie noch rechtzeitig vor der Entscheidung in der Hauptsache ihre Abtreibungssondergesetze zurückziehen würde, bevor sie damit vor dem Bundesverfassungsgericht endgültig unterliegt', heißt es in einer Stellungnahme.

Als 'blamables Resultat für die Staatsregierung' wertete die Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen die Entscheidung des Ersten Senats. Sie zeige, dass die bayerischen Sondergesetze 'auf tönernen Füssen' stünden.

Süddeutsche Zeitung  – Dezember 23, 1997 Anzeiger

Ein Jahr anders leben - Deutsch-Amerikanischer Jugendaustausch
Schülerin Alexa gewann in den USA neue Perspektiven

'Als ich nach einem Jahr nach Hause zurückkam, war bei meinen Freunden nicht viel passiert. Ich hatte dagegen das außergewöhnlichste und prägendste Jahr überhaupt hinter mir.' Mit einem Stipendium des Deutschen Bundestags war Alexa Heuche, 17jährige Schülerin des Ludwigsgymnasiums, für ein Jahr als Gastschülerin in den USA. 'Meine zweite Heimat ist seither Dell Rapids/South Dakota.'

In der nordamerikanischen Kleinstadt mit rund 3000 Einwohnern besuchte die Münchnerin die Abschlussklasse der High School. Graduation-Zeremonie im schwarzen Talar und großer Schulball im teuren Abendkleid, wie sie ihre Altersgenossen nur aus amerikanischen Serien kennen, konnte die 17jährige dabei live miterleben. Und auch im Sportzirkus der High School - ebenfalls ein fernsehbekanntes Klischee - mischte die Gastschülerin aus Deutschland als Mitglied des Basketball-Teams ihrer Schule mit. 'Eine amerikanische High School unterscheidet sich doch erheblich von einem deutschen Gymnasium', stellte sie dabei fest. Zwei Stunden Sport täglich auf dem Stundenplan und die Nationalhymne vor dem Spiel einer Schulmannschaft, das gibt es an keiner deutschen Schule. Aber eben auch nicht, dass man von der Schule fliegt, wenn man beim Rauchen erwischt wird. Am augenfälligsten sei zunächst aber einmal der Kontrast von der Großstadt München zu der schier endlosen Weite der Prärien im Land der Sioux-Indianer gewesen, erzählt Alexa. Und dass man im Winter dort schon mal bei minus 50 Grad für ein paar Tage eingeschneit ist und deshalb die Schule ausfällt, das wollte sie zuerst gar nicht glauben - bis sie es selbst erlebte.

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf hatte Alexa Heuche als Teilnehmerin für das Patenschafts-Programm des Deutschen Bundestags und des amerikanischen Kongresses vorgeschlagen. Seit 1983 soll es Deutschen und Amerikanern im Alter von 15 bis 17 Jahren ermöglichen, das jeweils andere Land gründlich kennenzulernen. Nähere Informationen dazu gibt es im Wahlkreisbüro an der Alten Allee 2 in Pasing, Telephon 820 31 91.

AP Worldstream – Januar 6, 1998

SPD wertet Äußerungen Kardinal Wetters als Amtverstoß
Nolte zur Beendigung der Debatte um Abtreibungsrecht aufgefordert


Als Verstoß gegen sein Amt und das Gebot der Barmherzigkeit haben SPD-Politiker die jüngsten Äußerungen des Münchner Kardinals Friedrich Wetter zu Schwangerschaftsabbrüchen verurteilt. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf warf am Dienstag in München die Frage auf, ob man einen Kardinal nicht ähnlich wie einen Politiker bei Verfehlungen im Amt zum Rücktritt auffordern könne. Der stellvertretende bayerische SPD-Fraktionschef Franz Maget warf Wetter vor, den mühsam gefundenen Bonner Kompromiss zum Abtreibungsrecht wieder aufgebrochen zu haben.

Wetter hatte in seiner Silvesterpredigt Schwangerschaftsabbrüche mit dem Sexualmord an der siebenjährigen Natalie Astner verglichen und damit nicht nur bei der Familie des Kindes, sondern auch unter Politikern heftige Kritik ausgelöst. Maget bezeichnete es als eine ungeheure Entgleisung, dass Wetter Frauen in Konfliktsituationen in eine Linie stelle mit dem Mann, der die kleine Natalie missbraucht und getötet habe.

Wolf warf Bundesfrauenministerin Claudia Nolte vor, Wetter den Weg bereitet zu haben mit ihrer Forderung, den Paragraphen 218 erneut vom Verfassungsgericht prüfen zu lassen. Sie forderte Nolte auf, die Diskussion zu diesem Thema wieder einzufangen und sich nicht länger als Lobbyistin rechtskonservativer Kirchenkreise zu gebärden.

Süddeutsche Zeitung  – Januar 7, 1998 Bayern

Wetter ein Verleumdungsopfer
Erzbischöfliches Ordinariat weist Vorwürfe zurück:
Silvesterpredigt stößt nach wie vor auf heftige Resonanz

München (KNA) - Die Pressestelle des Erzbischöflichen Ordinariats München hat Kritik an Äußerungen von Kardinal Friedrich Wetter zur Abtreibung zurückgewiesen. Es grenze an Verleumdung, dem Kardinal zu unterstellen, er habe Abtreibungen und einen Sexualmord miteinander vergleichen wollen, unterstrich Pressesprecher Winfried Röhmel in einer Erklärung.

Wetter hatte - wie berichtet - in seiner Silvesterpredigt gesagt, mit Recht sei das ganze Land empört über den Sexualmord an der siebenjährigen Natalie Astner. Man müsse sich aber fragen, wo das Entsetzen angesichts der Tatsache bleibe, dass 'Jahr um Jahr Tausende und Abertausende kleiner Natalies bereits im Schoss der Mutter getötet' würden. Der Erzbischof von München und Freising habe in seiner Predigt klargestellt, dass der Mensch als Person 'mit unantastbarer Würde und unantastbaren Rechten ausgestattet ist' und deutlich gemacht, dass dies für jeden gelte, für den ungeborenen, behinderten, kranken und sterbenden Menschen, so Röhmel. Der Vergleich, den Wetter dabei gewählt habe, sei 'kein Vergleich zweier Tötungen und ihrer Motive, sondern das ausdrückliche Hervorheben des Wertes jeder Person und ihres Lebensrechtes'. Der Kardinal habe es als nicht hinnehmbar bezeichnet, dass niemand gegen die Tötung ungeborener Kinder aufbegehre, während dies mit Recht bei der Ermordung des Kindes Natalie geschehen sei. Er habe auch mit keinem Wort damit eine Anklage gegen Frauen erhoben. Vielmehr 'kritisierte er das Wertebewusstsein in weiten Teilen der Gesellschaft, die mit allen Kräften nicht mehr wahrhaben wolle, dass Abtreibung Tötung menschlichen Lebens ist'.

Unterdessen hat die stellvertretende frauenpolitische Sprecherin der SPD- Bundestagsfraktion, Hanna Wolf aus München, Frauenministerin Claudia Nolte (CDU) dafür verantwortlich gemacht, dass die Diskussion zum Paragraphen 218 wieder aufgebrochen ist. Mit ihrer 'Fehlinterpretation der Abtreibungsstatistiken' und der Forderung nach Nachverhandlung des Kompromisses zum Abtreibungsrecht habe sie 'schlafende Hunde' geweckt. Deshalb stehe die Ministerin 'in unheiliger Allianz mit Kardinal Wetter', der in seiner Neujahrsansprache auf vermeintliche Täter eingeschlagen und nur die Opfer getroffen habe. Die Unbarmherzigkeit Wetters verstoße gegen seinen Amtsauftrag.

Süddeutsche Zeitung  – Januar 20, 1998 Anzeiger

Rechtzeitig die Reise planen - Jugendaustausch

Jugendliche, die gerne einmal ein Jahr in den USA verbringen würden, müssen langfristig planen. Wer am nächsten von Bundestag und amerikanischem Kongress organisierten Austauschprogramm teilnehmen möchte, das im Sommer nächsten Jahren startet, sollte sich schon jetzt kundig machen. Bereits im Frühjahr dieses Jahres erscheint die Info-Broschüre des Bundestags, Anmeldeschluss für die Bewerber ist dann im September. Schüler sollten zum Ausreisezeitpunkt im Sommer '99 die 10. Klasse abgeschlossen haben und nicht älter als 17 Jahre sein. Alltagstaugliche Englischkenntnisse werden bei allen Bewerbern vorausgesetzt. Info-Broschüren sind bei allen Abgeordneten des Bundestags erhältlich. Auskunft erteilt auch die SPD-Abgeordnete Hanna Wolf unter der Rufnummer 820 31 91. gv

AP Worldstream - German  – Januar 27, 1998

München: Stoiber fordert von Bischöfen
Hintze: CDU hält an Gesetz fest

 (Bonn) CDU-Generalsekretär Peter Hintze stellte klar, dass seine Partei auch nach dem Schreiben des Papstes und der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz an dem Abtreibungsgesetz festhält. Es bleibe zu hoffen, schrieb Hintze in einer Stellungnahme am Dienstag in Bonn, dass die katholische Kirche ''in den nun anstehenden innerkirchlichen Beratungen'' einen Weg finde, ihre Beratungstätigkeit so auszugestalten, dass sie sowohl dem Konsens des Gesetzes wie auch dem eigenen ethischen Anspruch gerecht werde.

SPD: Papst kündigt Volkskirche auf

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Renate Schmidt nannte die Entscheidung der Bischofskonferenz bedauerlich. Nun müssten ''sorgfältige und parteiübergreifende Gespräche mit der Katholischen Kirche geführt werden'', schrieb sie in einer in München veröffentlichten Presseerklärung.

Die SPD-Bundestagsabgeordneten Edith Niehuis und Hanna Wolf erklärten, der Papst kündige mit seiner Erklärung ''in Deutschland die katholische Kirche als Volkskirche auf''. Wenn Lehmann meine, viel Spielraum bezüglich des Beratungsscheins zu haben, ''dann irrt er''. ''Die Bischöfe sind aufgefordert, schnellstens für Klarheit zu sorgen, damit der Staat überlegen kann, inwieweit die katholische Kirche im sozialen Bereich noch ein verlässlicher Partner ist'', schloss die Erklärung.

FDP sieht nur Kirchenkonflikt entschärft

Der FDP-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt kritisierte: ''Das Papst-Wort mag theologisch begründbar sein, aber es ist fernab jeder Lebenswirklichkeit.'' Mit ihrer Entscheidung hätten die Bischöfe einen Kirchenkonflikt entschärft. ''Der Schwangerschaftskonflikt vieler Frauen wird dadurch eher verschärft.''

Grüne loben Standhaftigkeit der Bischöfe

Die Grünen-Abgeordneten Christa Nickels und Rita Griesshaber begrüßten, dass die katholische Kirche weiterhin ''Beratung mit Ausstellung des Scheins anbietet''. Dennoch bleibe es problematisch, dass der Vatikan der deutschen Gesellschaft diese Diskussion von außen aufgezwungen habe. ''Wenn die Katholiken, als Laien oder als Bischöfe, ... nach einer Lösung im Papstkonflikt suchen, sollten wir als Gesellschaft versuchen, dieses Problem gemeinsam zu lösen''.

Süddeutsche Zeitung  – Januar 28, 1998 Anzeiger W

Ude und die 'Power-Frauen'

'Wer in diesem Jahr noch einen Platz bei der SPD bekommen will, muss früh kommen.' Mit Humor reagierte Oberbürgermeister Christian Ude auf den großen Andrang von mehr als 300 Besuchern beim Neujahrsempfang der SPD München-West in der Pasinger Traditionsgaststätte 'Zur Goldenen Gans'. Neben dem OB präsentierten sich die drei 'SPD-Powerfrauen' aus dem Münchner Westen, Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf (rechts), Landtagsabgeordnete Anne Hirschmann (links) und Bezirksrätin Gerda Schneider-Köther: 'Ohne die Frauen gibt es keinen Fortschritt' brachte Wolf die Einstellung der SPD-Frauen im Westen auf den Punkt. Klare Worte fand Ude zu den speziellen Problemen des Münchner Westens wie der A 99: 'Man kann nicht Jahrzehnte in den Schützengräben liegen. Es müssen auch Entscheidungen fallen. Das finde ich gut.' Die Stadt werde sich nicht gegen den Bau in Form einer Autobahn stellen. Die Stadt wisse sehr wohl, dass sich der Verkehr verschärfen werde. Deshalb sei es höchste Zeit, die Planungen zur Oberen Mühlstrasse, Bergson- sowie Lochhausener Strasse voranzutreiben. Eine 'unseriöse Argumentation' warf Ude der CSU vor: 'Die Gelder werden rechtzeitig bereitstehen, doch zuerst müssen die Planungen fertig sein.' Volle Unterstützung sicherte Ude den Stadtwerken beim Neubau des Westbads zu: 'Es wäre sinnwidrig gewesen, Abermillionen in das alte Westbad zu stecken und danach sähe es genauso popelig aus.' Dem neuen Westbad werde der gleiche Erfolg wie dem Nordbad beschieden sein. Den Vorwurf der CSU, München solle wohl zur Bäderstadt ausgebaut werden, könne er nicht nachvollziehen, sagte der OB. 'Nach der Eröffnung des neuen Westbades wird sich sicherlich kein CSU-Politiker vor eine Kamera drängen, um zu erklären, dass er gegen das neue Westbad ist.'

Süddeutsche Zeitung  – Januar 28, 1998 Politik

Bischöfe beugen sich der Bitte des Papstes
Konfliktberatung für Schwangere
Katholische Kirche stellt von 1999 an keine Beratungsscheine mehr aus - Hilfe für Frauen wird aber verstärkt - Bonner Koalition bekennt sich zum geltenden Abtreibungsrecht - SPD: Johannes Paul II. kündigt Volkskirche auf
 
ck Mainz (Eigener Bericht) - Die katholische Kirche in Deutschland wird vom kommenden Jahr an keine Beratungsscheine mehr ausstellen, die Voraussetzung für eine straffreie Abtreibung sind. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Karl Lehmann, sagte in Mainz, die Kirche wolle aber nicht vollständig aus der Schwangerschaftsberatung aussteigen. Sie könne sich jedoch der 'dringenden Bitte' des Papstes nicht verschließen. Eine Arbeitsgruppe soll nun eine Alternative zur bisherigen Beratungspraxis ausarbeiten. Bundeskanzler Helmut Kohl meinte zu der Erklärung der deutschen Bischöfe, er hoffe, dass die katholische Kirche einen Weg finden werde, der ihren Beratungsstellen weiter das Vertrauen der werdenden Mütter sichert. Lehmann betonte auf einer Pressekonferenz, die Kirche werde abtreibungswillige Frauen nicht im Stich lassen. Die Beratung für Schwangere solle sogar intensiviert werden. Im Detail habe man aber auf der Sitzung am Wochenende in Würzburg, auf der die Diözesanbischöfe über das Schreiben des Papstes diskutierten, noch keine Lösung gefunden, ob und wodurch der 'ins Zwielicht geratene Beratungsschein' ersetzt werden könne. Im Gespräch sei eine Art 'Beraterbrief' oder eine 'eidesstattliche Erklärung' der beratenden Stelle.

Der Papst hatte in seinem am Dienstag vorgestellten Brief beklagt, die Beraterinnen kirchlicher Stellen würden gegen ihren Willen 'in den Vollzug eines Gesetzes verwickelt, der zur Tötung unschuldiger Menschen führt'. Johannes Paul II. forderte, 'nicht der Zwang der Vorschrift' dürfe es sein, der Frauen zu kirchlichen Beratungsstellen treibe, 'sondern die sachliche Kompetenz, die Bereitschaft zu konkreter Hilfe'.

Bischof Lehmann sagte: 'Wir werden dem Papst Folge leisten. Wir werden diese Scheine nicht mehr ausstellen.' Allerdings könne die derzeitige Praxis nicht sofort geändert werden. Bis zu ihrer Frühjahrsvollversammlung wollen die Bischöfe eine Arbeitsgruppe bilden, die Wege für eine 'wirksame' Beratung auch ohne Schein finden soll. Er hoffe, dass die Neuregelung Anfang 1999 in Kraft treten könne, meinte Lehmann.

Der Vorsitzende der Bischofskonferenz merkte an, dass rund 85 Prozent der Frauen von kirchlichen Beratungsstellen gar keinen Schein verlangten. Zwar hätten die Bischöfe bislang das Verbleiben im derzeitigen Beratungssystem verteidigt, um zur Rettung ungeborenen Lebens beizutragen. Doch der Papst hege die Sorge, dass 'hier eine Zweideutigkeit besteht, welche die Klarheit des Zeugnisses der Kirche verdunkelt'. Nun müsse darüber diskutiert werden, ob eine Gesetzesänderung im Bund oder in den Ländern oder eine Änderung von Verwaltungsvorschriften ausreichten, damit die katholische Kirche auf neuem Weg ihre Konfliktberatung fortsetzen könne, ohne Scheine ausstellen zu müssen.

Die Entscheidung der deutschen Bischöfe, die Beratungsscheine bald nicht mehr auszustellen, wurde in der Politik mit Bedauern und Kritik aufgenommen. Die CDU werde der Aufforderung der Kirche, das Abtreibungsrecht zu ändern, nicht nachkommen, sagte CDU-Generalsekretär Peter Hintze in Bonn. Hintze äußerte die Hoffnung, dass die katholische Kirche einen Weg finden werde, ihre Beratungstätigkeit so auszugestalten, dass sie sowohl dem Konsens des Gesetzes als auch dem eigenen ethischen Anspruch gerecht werde. Der FDP-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt sagte, mit seiner Partei werde es beim Paragraphen 218 kein Zurück geben. Die SPD-Bundestagsabgeordneten Edith Niehuis und Hanna Wolf kritisierten, der Papst kündige mit

seiner Erklärung 'in Deutschland die katholische Kirche als Volkskirche auf'. Hingegen begrüßten die Grünen-Politikerinnen Christa Nickels und Rita Griesshaber, dass die katholische Kirche die

Beratung fortführe und vorläufig auch Beratungsnachweise anbiete.

Der Kölner Kardinal Joachim Meisner warf Bundeskanzler Kohl einen Mangel an Engagement für den Lebensschutz vor. Kohls 'langes Schweigen' müsse den Eindruck erwecken, als ob ihm dieses Anliegen nicht ganz so wichtig sei, sagte Meisner der Rheinischen Post. Es wäre zu wünschen gewesen, 'dass der Bundeskanzler für dieses Problem zumindest soviel Energie aufgewandt hätte wie für den Euro'.

Focus Magazin  – Februar 2, 1998

ABTREIBUNG - IM SCHATTEN ROMS

 Nicola Brüning, Norbert Robers

 Das Papstschreiben vergrößert die Kluft zwischen Frauen und Kirche. Auch den Bischöfen weist es keinen eindeutigen Weg

Der bibelfeste Katholik muss nicht lange suchen. Gleich auf den ersten Seiten des Alten Testaments findet er das Urteil: Das Weib ist böse (Genesis 3, 124). Eva und ihre Gier tragen die Schuld, dass die Menschheit nicht im Paradies leben darf seither hat die Kirche oft über Frauen gerichtet.

Die Zeiten der Inquisition liegen hinter uns, längst begehrt das schwache Geschlecht gegen die scheinbar unangreifbare vatikanische Allmacht auf. Seit der Veröffentlichung des Papstbriefes zur deutschen Abtreibungspraxis droht ein neuer Exodus. Johannes Paul II., urteilten die SPD-Politikerinnen Edith Niehuis und Hanna Wolf, "kündigt die katholische Kirche als Volkskirche auf". In seltener Eintracht verdammen seitdem Politiker aller Parteien die "eindringliche Bitte" des Papstes, die Beratungsscheine als formale Voraussetzung für eine straffreie Abtreibung aus den 269 katholischen Beratungsstellen zu verbannen. "Unwürdig für diese große Kirche", schimpft die stellvertretende SPD-Vorsitzende Renate Schmidt. FDP-Chef Wolfgang Gerhardt kommentiert: "Die Verweigerung des Scheins ist ein Rückzug aus der Lebenswirklichkeit."

Eine Woche der Abrechnung. Politiker, Laien, Theologen: Sie alle nutzten den Papstbrief, um der vermeintlich frauenfeindlichen, prüden und autoritär regierten katholischen Kirche tage- und seitenlang die Meinung zu sagen. Es klang wie eine Bitte um Gnade, als Karl Lehmann, Vorsitzender der Bischofskonferenz, fast beschwörend appellierte: "Auch in Zukunft sind schwangere Frauen in Not bei katholischen Beratungsstellen am besten aufgehoben."

Kaum einer widersprach, als sich Christa Nickels, kirchenpolitische Sprecherin der Grünen, durch das "Agieren von Rom in der Forderung nach einer Trennung von Kirche und Staat bestätigt" fühlte.

Niemand wird die katholische Kirche daran hindern können, aus dem Beratungssystem auszusteigen. Damit würde der 1995 mühsam errungene Abtreibungskompromiss in Frage gestellt, der zwar Politik und Gesellschaft weitgehend befriedete, die Kirche jedoch in ein Dilemma stürzte. Auf der einen Seite gläubige "Lebensschützer", die einen Ausstieg aus der Beratung verlangen, auf der anderen Seite die Katholiken, die das Gespräch zum "Schutz des ungeborenen Lebens" befürworten. Freilich müsste die Kirche den Ausstieg und dessen Folgen auch allein verantworten.

Der Schein bestätigt zwar, dass eine Beratung zugunsten des Kindes stattfand. Er hat aber nach Ansicht des Pontifex Maximus auch eine "Schlüsselfunktion für die Durchführung straffreier Abtreibung".

Einen Persilschein "solcher Art" lehnt der Papst ab. Mit der Forderung nach einer katholisch reinen Beratungsvariante, die er jedoch im Schreiben nicht näher erläutert, lässt er seine Bischöfe mit ihren "bescheidenen Geistesblitzen" (Lehmann) ratlos zurück.

Die ersten Momente der Erleichterung, als die 27 Bischöfe auf den "brüderlichen Ton" des Papstschreibens ihr Hosianna anstimmten, sind ernsten Zweifeln gewichen. Was der Limburger Oberhirte Franz Kamphaus formvollendet als "Quadratur des Kreises" bezeichnet, bedeutet für die Würdenträger ein unlösbares Problem.

Den Ausstieg aus dem Staatssystem verlangt der Papst nicht. Der in diesen Tagen oft geäußerte Vorschlag, die Frau zur Geburt zu ermutigen, sie dann mit einem "Beraterbrief" statt des Beratungsscheins zur nächsten nichtkatholischen Stelle zu schicken, wirkt wie reiner Formalismus. "Trotz lebensbejahender Beratung müssen wir damit rechnen, dass sich die Frau gegen das Kind entscheidet. Eine gewisse Zweideutigkeit wird bleiben", fürchtet Triers Bischof Hermann Josef Spital (Interview Seite 23).

Viele der Konferenzteilnehmer verbargen ihre Enttäuschung über das päpstliche Dekret nicht. In langen Sitzungen hatten die Bistumsleiter der Kurienspitze und dem Papst ihre moraltheologischen Argumente für den Verbleib in der Beratung erläutert. Ohne Erfolg: "Davon wurde nichts berücksichtigt", klagt ein Bischof. "Der Brief verurteilt die Zweideutigkeit des Scheins, ist aber selbst alles andere als eindeutig."

Der Schaden für die katholische Kirche bleibt, unabhängig von der künftigen Schein-Lösung, immens. Zahlreiche Frauen fühlen sich vor den Kopf gestoßen, weil sie mehr erwarten als Worte. "Viele, die eine Abtreibung erwägen, werden nicht mehr zu einer katholischen Beratungsstelle gehen", prophezeit Maria Eichhorn (CSU), Vorsitzende der Unions-Arbeitsgruppe Familie.

Wie sehr die katholischen Verantwortlichen mit dem Rücken an der Wand stehen, zeigte sich, als nur einen Tag nach der päpstlichen Offenbarung Stimmen laut wurden, die den Entzug der Fördergelder für die konfessionellen Beratungsstellen forderten. Die Replik einiger Bischöfe, dass man doch gar nicht den Rückzug aus dem staatlichen System plane, ging unter. Ebenfalls der Verweis darauf, dass 85 Prozent der bei katholischen Stellen hilfesuchenden Frauen keinen Beratungsschein verlangen.

Zeitgleich beeilten sich Politiker aller Parteien kundzutun, dass an eine erneute Änderung des Paragraphen 218 nicht zu denken sei. An vorderster Front christdemokratische Wahlkämpfer, denen eine Abtreibungsdebatte geradezu als teuflische Sendung erscheint.

Eine Reform des Abtreibungsrechts hatten die Bischöfe keineswegs gefordert. Wohl aber hatte das Bundesverfassungsgericht schon 1993 die Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers für den Fall betont, dass das Konzept nicht zu einem Rückgang der Schwangerschaftsabbrüche führe. Tatsächlich steigen die Zahlen stetig: 1996 wurden 130 899 Föten abgetrieben, im ersten Halbjahr 1997 waren es bereits 68 170.

Der sächsische CDU-Generalsekretär Steffen Flath gibt zu Bedenken, dass Mütter, die sich für ein Kind entschieden, sich "nicht selten einer kalten Welt" ausgesetzt sähen. Ein Blick in die Statistik belegt den Vorwurf: Mehr als ein Drittel aller Sozialhilfeempfänger sind alleinerziehende Frauen.

Mit keinem Satz erwähnten der Papst und die deutschen Bischöfe die Pflichten des starken Geschlechts für das ungeborene Leben. "Ich halte es für zwingend, dass verstärkt auch die unbestreitbare Verantwortung des Mannes einbezogen wird", meint Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU). Häufig gerieten Frauen erst in den Schwangerschaftskonflikt, weil der Partner Druck auf sie ausübe oder sie allein lasse.

Bis 1999 wird sich vermutlich wenig ändern: Mit Ausnahme des Bistums Fulda halten alle Bischöfe an der vorläufigen Scheinausgabe fest. Mit "aller Kraft" wird sich die Caritas als größter katholischer Träger bemühen, ihre letztjährige Erfolgsbilanz zu wiederholen. 1996 war die Zahl Ratsuchender in der katholischen Konfliktberatung bundesweit auf 20 117 Frauen gestiegen. Nachweislich 5000 Frauen entschieden sich für das Kind.
 
  KEIN SCHEIN kein Geld?

Die Finanzierung der katholischen Beratungsstellen regeln die Bundesländer unterschiedlich. Nach dem Papstschreiben droht nun die Mittelkürzung:

HESSEN kündigt wie Rheinland-Pfalz an, die Zuschüsse von insgesamt 800 000 Mark zu streichen, wenn die 14 Beratungsstellen im Bistum Mainz keine Beratungsscheine mehr ausstellen. Das Bistum will seine Arbeit für schwangere Frauen in Not auch ohne staatliche Mittel fortsetzen.

BADEN-WÜRTTEMBERG: Stellen die 42 katholischen Beratungsstellen im Land keine Scheine mehr aus, wird der jährliche Zuschuss von 50 000 Mark je Beraterstelle auf 23 500 gekürzt.

NRW förderte 49 von 63 katholischen Beratungsstellen mit drei Millionen Mark (1997). Das Land will zunächst abwarten, wie die Kirche vorgeht, ehe es Finanzfragen entscheidet.

BAYERN unterstützte 23 katholische Beratungsstellen mit fünf Millionen Mark (1997). Sozialministerin Barbara Stamm (CSU) erklärt: "Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, über finanzielle Fragen zu reden."

taz, die tageszeitung  – Februar 13, 1998

Vier Parteien warnen Bischöfe

 Markus Franz

Bundestag debattiert Schwangerenberatung. SPD, Grüne, FDP, PDS: Falls Beratungsscheine entfallen, sollen katholische Einrichtungen keine Staatsgelder erhalten. Union bleibt unschlüssig

Der Staat soll die finanzielle Unterstützung für die Schwangerenberatung der katholischen Kirche einstellen, sobald diese keine Beratungsscheine mehr ausstellt. Das haben gestern SPD, Bündnisgrüne, FDP und PDS in einer aktuellen Stunde zum "Schwangerenkonfliktgesetz und zur beabsichtigten Neuordnung der kirchlichen Beratungstätigkeit" gefordert. CDU und CSU legten sich in dieser Frage nicht fest. Die katholische Kirche hatte Anfang Februar auf Weisung des Papstes angekündigt, sie wolle ab 1999 keine Beratungsscheine mehr ausstellen, die für eine legale Abtreibung erforderlich sind. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagte gestern für die FDP, sie sehe die Entscheidung der katholischen Kirche vollkommen unaufgeregt. Wenn die Kirche keine Beratungsscheine mehr ausstelle, bekomme sie eben kein Geld mehr vom Staat. Statt dessen müssten andere Beratungsstellen in die Bresche springen und entsprechend finanziert werden. "Der Staat ist verpflichtet, seine Gelder so auszugeben, dass das Schutzkonzept für das ungeborene Leben realisiert werden kann." Das fordert auch die SPD. Hanna Wolf sagte, gerade in Bayern müssten erhebliche Fördermittel für freie Träger neu verteilt werden. 46 Prozent der Beratungen freier Träger würden von katholischen Beratungsstellen durchgeführt. "Nicht die katholischen Beratungsrichtlinien sind maßgeblich", so Hanna Wolf, "sondern die bundesgesetzlichen." Die CDU-Redner legten sich in der Frage der Weiterfinanzierung der Kirche nicht fest. Die Vorsitzende der Gruppe der Frauen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Bärbel Sothmann, wandte sich allerdings dagegen, das Abtreibungsrecht wieder in Frage zu stellen, wie es die katholische Kirche und auch die CSU in jüngster Zeit gefordert hatten. Nach jahrelangem Kampf und quälenden Diskussionen müsse damit jetzt Schluss sein, sagte Bärbel Sothmann, die nicht verhehlte, dass sie eine Gegnerin von Abtreibung und Fristenlösung bleibe.

Die CSU tritt dafür ein, die katholische Kirche auch weiterhin finanziell zu unterstützen. Theo Waigel und Norbert Geis hatten sich im Vorfeld der aktuellen Stunde dafür ausgesprochen. Die Rednerin der CSU, Maria Eichhorn, legte sich gestern allerdings nicht fest. Dafür gebe es keinen Grund, solange die Kirche noch Beratungsscheine ausstelle.

Die FDP-Fraktion geht davon aus, dass sich die CSU mit ihrer Ansicht nicht durchsetzen kann. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagte, die Bundesregierung habe sich dahingehend bereits klar geäußert. In einer schriftlichen Anfrage über die Konsequenzen der kirchlichen Entscheidung, ab 1999 keine Beratungsscheine mehr auszustellen, habe die Bundesregierung geantwortet, es werde keine Maßnahme von Bundesseite geben. Das, so Frau Leutheusser, bedeute eine Absage an die Änderung des geltenden Rechts, das den öffentlich finanzierten Beratungsstellen die Bescheinigung der Beratung vorschreibe. Kritik an Frauenministerin Claudia Nolte übte Rita Griesshaber (Grüne). Es sei Aufgabe der Politik, "den zynischen Umgang mit den Frauen anzuprangern". Statt dessen gebe es mit Claudia Nolte eine Ministerin, die nicht in der Lage sei, gegenüber dem Vatikan klare Worte zu finden.

Markus Franz

Süddeutsche Zeitung  – März 10, 1998 München

Ein Plakat, das zum Hinschauen auffordert

'Es gibt keine Rechtfertigung für Belästigung, Übergriffe, Demütigung, Missbrauch und Vergewaltigung', wirbt derzeit auf Plakaten die Münchner Kampagne 'Aktiv gegen Männergewalt'. Die Kontakt- und Informationsstelle für Mädchenarbeit (Imma) ergänzte die Protestnote durch den Zusatz: 'Mädchen und Frauen mit Behinderung wehren sich.' Imma zufolge sollen diese nämlich aufgrund ihrer Lebensumstände besonders gefährdet sein, Opfer sexuellen Missbrauchs zu werden. Diese Gefahr drückten Betroffene auf ihre Art aus und gestalteten ein Plakat am U-Bahnhof Sendlinger Tor. 'Schauen Sie nicht weg, wenn andere Hilfe brauchen', wird unter anderem an Passanten appelliert. Zumindest bei den SPD-Bundestagsabgeordneten Ulrike Mascher und Hanna Wolf trafen die Mädchen mit der Forderung auf Gehör. burt/Photo: Andreas Heddergott

Süddeutsche Zeitung  – März 25, 1998 München

Eigene vier Wände - nur für Genossinnen
Ein neues Modell auf dem Gelände der Waldmann-Stetten-Kaserne
Pläne für bundesweit größtes Frauenwohnprojekt unterhalb des Olympiaberges reifen

Ein neuartiges Wohnmodell könnte es bald im Münchner Nordwesten südlich des Olympiaparks geben. Bei der Bebauung des ehemaligen Waldmann-Stetten-Kasernengeländes an der Ackermann-/Schwere-Reiter-Strasse soll erstmalig in München eine Wohnanlage nur für Frauen entstehen - ganz zufällig auf einem Areal, auf dem jahrzehntelang Männer dominierten.

Zur Verwirklichung dieses ungewöhnlichen Projekts gründeten 50 Frauen vor einigen Wochen in der bayerischen Landeshauptstadt die 'erste bayerische FrauenWohn- und Baugenossenschaft'. Prominentestes Mitglied ist die Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf (SPD), die sich mit ihren Geschlechtsgenossinnen einiges vorgenommen hat: 'Wir wollen bezahlbaren Wohnraum für Frauen schaffen und spezielle, auf Fraueninteressen ausgerichtete Wohnungen entwickeln', beschreibt Initiatorin Lilo Becker-Gmahl die Idee der 'Genossinnenschaft' - nach eigenen Angaben das 'bundesweit größte Frauenwohnprojekt'. In der modellhaften Anlage am Ackermannboden an der Stadtviertelgrenze zwischen Schwabing-West und Neuhausen sollen insgesamt rund 100 Wohnungen unterschiedlicher Größe sowie nach individuellen Wünschen gebaut werden. Besondere Bedeutung kommt bei dem vom Verein 'FrauenWohnen e.V.' gegründeten Genossenschaftsmodell dem 'nachbarschaftlichen Miteinander' zu. So sollen unter dem Motto 'Achtsamkeit statt Anonymität' in der Wohnanlage insbesondere auch viele Gemeinschaftszentren eingerichtet werden.

MÄNNER MIT WENIGER RECHTEN

Männer bekommen bei diesem nur von Frauen geführten Wohneigentumsmodell übrigens nicht von vornherein die Rote Karte, sondern dürfen in die Anlage als Mitbewohner einziehen - jedoch mit weniger Rechten. Denn nur 'eine Frau kann einen Genossenschaftsanteil kaufen und ,Mitfrau in der Genossenschaft werden', erläutert Lilo Becker-Gmahl.

Ob dieses einzigartige Wohnmodell unterhalb des Olympiabergs tatsächlich verwirklicht wird, steht allerdings noch nicht fest. Denn die Entscheidung, wie viele und welche der interessierten Bauträgergesellschaften und Genossenschaften das Areal bebauen und vermarkten können, muss erst noch im Stadtrat fallen. Vorab müsse sorgfältig geprüft werden, ob die Bewerber alle Voraussetzungen erfüllten, um einen reibungslosen Ablauf des Großprojekts zu gewährleisten, erklärt Sprecher Günter Suska vom Planungsreferat.

Auf dem ehemaligen Gelände der Waldmann-Stetten-Kaserne sollen im ersten Bauabschnitt zunächst rund 1000 Wohnungen entstehen. Nach den Prognosen der Stadt könnten voraussichtlich Mitte 1999 die ersten Bagger auf dem Areal anrollen - falls es zu keinen zeitlichen Verzögerungen beim derzeit laufenden Planungsverfahren für das Großprojekt kommt. Doch 'wir arbeiten mit Hochdruck an den Planungen', versichert Suska.

INFORMATIONSVERANSTALTUNG

Einzelheiten über die Frauenwohngenossenschaft gibt es beim Verein Frauen Wohnen. Dieser ist zu erreichen über die Initiative 'Urbanes Wohnen' in der Schwabinger Seidlvilla, Nikolaiplatz 1b (Telephonnummer 34 46 69) sowie bei einer Informationsveranstaltung am Mittwoch, 25. März, um 20 Uhr im Kulturladen Westend an der Ligsalzstrasse 20.

Abendzeitung, Freitag, 27. März 1998, S.8

Hanna Wolf - eine Eisbärin im Bundestag

Bei den Münchner SPD-Frauen macht sie einer jüngeren Platz

von Eva-Maria Schreiner

Eisblau strahlt die Bluse, stahlgrau das Jackett. Die Münchner Bundestagsabgeordnete wirkt wie eine Eisbärin: ruhig und stark - mit polarweißem Haarschopf, tiefblauen Augen.

Hanna Wolf kam von Berlin über Hamburg und Düsseldorf als Sportfotografin nach München. Sie ist die Frau, die im Grünwalder Stadion das erste Bundesliga-Tor fotografierte. "Ich war miserabel bezahlt, hatte aber einen spannenden Beruf", resumiert sie heute. Anfang der 70er Jahre, angetan von Willy Brandts Ostpolitik und der ersten Marienplatz-Groß-Demo gegen den § 218, engagierte sich Hanna Wolf in der SPD - um dann 17 Jahre lang die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (AsF) zu bleiben. Morgen legt die 61jährige Frauenpolitikerin im Löwenbräukeller ihr Münchner Mandat nieder. Eine jüngere soll zu Zuge kommen: Christine Strobl (37), Stadträtin und Vorsitzende der Gleichstellungskommission. Der AsF-Vorstand schlägt die Politologin als Wolf-Nachfolgerin vor - gewählt wird morgen zwischen 10 und 16 Uhr.

Das Thema Generationswechsel liegt eben in der Luft. Doch die Power-Politikerin aus dem Münchner Westen ist über diesen Abschied nicht traurig: "Das private fehlt mir. Schon lange komme ich wenig ins Kino, weiß nicht mehr, was es in den Theatern gibt."

1990 zog die starke Hanna, als "personifizierte bayerische Toleranz" für den Wahlkreis München West in den Bundestag ein - als zweite Münchnerin in Bonn. Die damals 55jährige, die auch eine ostdeutsche Biographie hat (1945 floh sie mit Eltern und fünf Geschwistern auf dem Pferdewagen aus Mecklenburg nach Brandenburg, später nach Westberlin), war fasziniert vom neuen gesamtdeutschen Bundestag. Kleine Sensation: "Die Neue" avancierte sofort zur frauenpolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. "Die Frage kam: Wer will’s machen?" "Ich habe gesagt, ich traue mich", erinnert sich Hanna Wolf.

Pressefotografie und die hohe Politik - Hanna Wolf setzte sich beruflich in zwei Männerdomänen durch. Die erklärte Feministin reagiert hellhörig, wenn der Begriff als Schimpfwort deklamiert wird ("wenn Jutta Limbach sagt, ich bin Feministin, sage ich das auch"). Sie ist eine Quotenfrau der SPD und stolz darauf - weil sie eine von denen war, die die Paritätische Zusammenstellung von Wahllisten in harten Kämpfen mit durchgesetzt hat. "Mittlerweile gibt es auch schon Quotenmänner", knurrt sie und ergänzt verschmitzt: Sie mache ja auch ganz bewußt Männerpolitik. Es ist ihr ernst mit dieser Aussage: Männer sollen nicht länger "amputiert leben", sondern die zweite Hälfte der Welt gewinnen - die Welt ihrer Kinder.

Kinderlos ("ich wollte selbständig sein") gibt es für Hanna Wolf keine Trennung zwischen Privatleben und der Politik. Die SPD ist die Gemeinschaft, in der Hanna Wolf die Großfamilie gesucht hat, aus der sie stammt: "Bei allem Ärger und Frust, die Bindung an Menschen ist für mich etwas glückliches".

Hanna Wolf lebt gern in Gern. Die SPD Lochhausen ist ihr Münchner Heimat-Ortsverein. Im Münchner Westen kandidiert die "Eisbärin" dieses Jahr erneut für den Bundestag. Sie will die alte Profi-Kamera auspacken, um das letzte Jahr "Bundesrepublik von Bonn aus" festzuhalten. Nach Berlin will die Politikerin auf jeden Fall mit. In der Wolfschen Wahrnehmung ist Berlin nur einen "Steinwurf" von ihrem Mecklenburgischen Geburtsort entfernt: "Dort schließt sich für mich ein Kreis."

Süddeutsche Zeitung  – März 28, 1998 München

Es ging um mehr als nur um Posten
 
Nach 16 Jahren übergibt Hanna Wolf heute den AsF-Vorsitz an Christine Strobl

Die Frau gehört ins Haus - und zwar ins Rathaus! Mit frechen Wahlkampf-Slogans machten die Frauen in der Münchner SPD 1984 erstmals so richtig auf sich aufmerksam. Und sie warben erfolgreich dafür, dass man auf der Stadtratsliste den zu wählenden Personen bis zu drei Stimmen geben kann: Die Kandidatinnen der SPD wurden bei der Kommunalwahl deutlich nach vorne 'gehäufelt'. 1990 erreichten die Frauen noch mehr - sie hatten die innerparteiliche Quote durchgesetzt. Die SPD ist damals mit einer Stadtratsliste angetreten, die je zur Hälfte mit Frauen und Männern besetzt war. Inzwischen haben die Frauen im Rathaus viel zu sagen: In der seit 1996 amtierenden SPD-Fraktion sind die 18 Stadträtinnen in der Überzahl gegenüber den 13 Männern. Auf verschiedenen politischen Ebenen haben sich die SPD-Frauen Mandate erkämpft. In der Stadt stellen sie an Führungspositionen immerhin mit Gertraud Burkert die Zweite Bürgermeisterin und mit Elisabeth Weiß-Söllner die Stadtschulrätin. 1985 setzten die Politikerinnen im Rathaus die Gleichstellungsstelle für Frauen durch. Sie war die erste ihrer Art in Bayern und wurde zum Vorbild für Kommunen, aber auch für andere öffentliche Einrichtungen und Verbände.

Seit 1982 ist die heute 61jährige Hanna Wolf Vorsitzende der 'Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen' (AsF) beim Unterbezirk. Nach 16 Jahren, auf die Wolf besonders stolz ist, sei es nun Zeit für einen Generationswechsel, so die stellvertretende Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Stadträtin Christine Strobl (37) soll heute auf der AsF-Jahreskonferenz im Löwenbräukeller neue Chefin der Arbeitsgemeinschaft werden.

Nur um das Ergattern von Posten, von denen aus sie sich für die Veränderung von männerdominierten Strukturen einsetzen können, geht es den Frauen freilich nicht. Beim Streben nach wirklicher Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern brauche man einen neuen 'Gesellschaftsvertrag', sagt Hanna Wolf. Ein konkretes Beispiel: die Steuerpolitik. Helga Schulz, die Vorsitzende des Deutschen Frauenrats, wird heute um 13 Uhr im Bennosaal des Löwenbräu-Kellers am Stiglmairplatz darüber sprechen. Ihr Vortrag ist öffentlich. Hanna Wolf: 'Im bisherigen Steuerrecht sind die Rollen festgeschrieben - der gutverdienende Ehemann und die Frau als Mitverdienerin.' Auch in der Ehe solle es eine Individualbesteuerung geben und jeder für das bezahlen, was er oder sie verdiene.

Wie schwierig es oft ist, den Alltag zu organisieren und die Doppelbelastung durch Beruf und Familie zu meistern - da kann Christine Strobl, die ihr zweites Kind erwartet, mitreden. Obwohl auch ihr Mann Familienarbeit leistet, reicht das nicht aus. Die Stadt hat viel für den Ausbau von Kindergärtenplätzen getan. Im Bereich der Hort-Betreuung, so Strobl, sei die Situation aber nach wie vor katastrophal.

Süddeutsche Zeitung  – Mai 7, 1998 München

Gerichtsentscheid löst Betroffenheit aus
Nach Baustop für Kindergarten

Mit Bestürzung haben Politiker aller Parteien auf den gerichtlich verhängten Baustop für einen Kindergarten in Obermenzing reagiert (die SZ berichtete gestern ausführlich). Bürgermeisterin Gertraud Burkert nannte die juristische Eilentscheidung 'unverständlich'. Kindertageseinrichtungen oder Spielplätze in der Nachbarschaft müssten eher als Gewinn betrachtet werden. 'Sollte es Schule machen, dass diese mit Hilfe der Gerichte zunehmend be- und verhindert werden, würde dies letztlich nur zu einem weiteren Abwandern von Familien mit Kindern ins Umland führen - dies wäre ein Verlust, den niemand wollen und verantworten kann.' Die Landtagskandidatin und langjährige Kreisvorsitzende der ÖDP in Pasing/Obermenzing, Ingrid Widmann, fragt: 'Wo denn sonst, als in einem reinen Wohngebiet, sind Kinder am besten aufgehoben - sollen sie in ein Gewerbegebiet abgeschoben werden?' Auch Vögel könnten im Morgengrauen sehr laut sein - 'sollen sie demnächst per Gerichtsurteil aus den Gärten verbannt werden?' Als 'alte Obermenzingerin' ist die SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf tief betroffen. Wenn es Konsequenz des Baurechts wäre, dass in reinen Wohngebieten die soziale Grundversorgung fehle, müsse das Gesetz geändert werden. Und Constanze Lindner-Schädlich, SPD-Stadträtin, warnt: 'Kinder dürfen nicht zur Belastung erklärt werden!' emj

Süddeutsche Zeitung  – Juni 12, 1998 Bayern

Tülay O. soll bleiben dürfen - Appell an Innenminister Beckstein:

München (dm) - Die junge Kurdin Tülay O. aus Kempten im Allgäu, die - wie berichtet - nach einem Ehemartyrium geschieden worden war und deshalb in den Augen der bayerischen Behörden ihr Aufenthaltsrecht verloren hat, soll bis zum kommenden Montag Deutschland verlassen. Weil das Innenministerium bislang die Ansicht vertrat, 'eine sehr unglückliche Ehe allein begründet keine besondere Härte', hat jetzt die bayerische SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf eindringlich an Innenminister Günther Beckstein appelliert, einzulenken und der von Abschiebung bedrohten Frau und ihren zwei Kindern 'ein eigenständiges Aufenthaltsrecht' zu gewähren. 'In keinem anderen Bundesland würde Tülay O. ausgewiesen werden', argumentiert Hanna Wolf. Beckstein solle alles veranlassen, 'um diesen unerträglichen Zustand, in dem der Täter im Lande bleiben darf und das Opfer ausgewiesen wird', zu beenden. Dies entspreche der neuen Regelung des Ausländergesetzes für außergewöhnliche Härtefälle. Mit ihr wolle der Bundesgesetzgeber Opfer von Gewalttaten schützen - unabhängig von der Dauer der Ehe in Deutschland.

Die bisherige Rechtsauslegung der Staatsregierung werde aber dem vorliegenden Fall nicht gerecht. Die von ihrem Mann geschundene Frau solle zumindest bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens hier bleiben dürfen, fordert Wolf.

taz, die tageszeitung  – Juni 18, 1998

Bundestag ächtet Klitorisbeschneidung

 Astrid Prange

 Künftig sollen Frauen, die aus Angst vor einer genitalen Verstümmelung aus ihrem Heimatland fliehen, Aufenthaltsrecht in Deutschland erhalten. Der Entschließungsantrag wurde von allen Fraktionen unterstützt

130 Millionen Frauen sind weltweit an ihren Genitalien verstümmelt, schätzt das Kinderhilfswerk Unicef der Vereinten Nationen, jährlich kommen demnach 2 Millionen hinzu. Der Bundestag hat gestern einstimmig diese Praxis geächtet. Durch die von allen Fraktionen gemeinsam getragene Empfehlung soll in der Praxis ein Aufenthaltsrecht für die betroffenen Frauen in Deutschland erwirkt werden. Grundlage für das Votum des Bundestages war eine fraktionsübergreifende Beschlussempfehlung des Frauen- und Familienausschusses. Darin forderten die Abgeordneten Ilse Falk (CDU), Heidemarie Lüth (PDS), Hanna Wolf (SPD), Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), Irmingard Schewe-Gerigk (Grüne) und die Ausschussvorsitzende Edith Niehuis (SPD) die Bundesregierung auf, die "genitale Verstümmelung an Mädchen und Frauen in der praktischen Anwendung des Ausländerrechtes und des Asylrechtes als Menschenrechtsverletzung zu berücksichtigen".

Außerdem soll in den Länderberichten der Botschaften an das Auswärtige Amt künftig auch die Praxis der Verstümmelung weiblicher Geschlechtsorgane beschrieben werden, um Entscheidungsträgern in Deutschland den Zugang zu Informationen zu erleichtern. Die Zahl der Frauen, die aus Angst vor einer Genitalverstümmelung oder weil sie ihre Töchter davor bewahren möchten, nach Deutschland fliehen, ist nach Schätzungen des Frauen- und Familienausschusses bisher äußerst gering gewesen.

Die SPD-Abgeordnete Ulla Schmidt, Vorsitzende der Querschnittsgruppe Gleichstellung von Frau und Mann, feierte den Beschluss des Bundestages als "Einstieg in frauenspezifische Asylgründe". Es sei jetzt klargeworden, dass es außer politischer Verfolgung auch noch andere Gründe für ein Asylgesuch gebe. Wenn der Staat das Recht auf die körperliche Unversehrtheit seiner Bürgerinnen nicht garantieren könne, sei dies ein Asylgrund.

Nach geltendem Recht können Richter schon heute Frauen, denen eine Genitalverstümmelung droht, ein humanitäres Bleiberecht gewähren. Diese Genehmigung wurde allerdings bisher nur ein einziges Mal einer Asylbewerberin aus Elfenbeinküste erteilt, und zwar im vergangenen Jahr vom Verwaltungsgericht in Magdeburg. "Aus Furcht vor möglichem Missbrauch können wir den Frauen eine Einzelfallprüfung nicht ersparen", meint Ilse Falk. Die CDU-Abgeordnete hatte sich angesichts der "sehr guten und ernsthaften Zusammenarbeit" zwischen den Abgeordneten aus dem Frauen- und Familienausschuss eigentlich auf einen Rüffel aus dem Innenministerium gefasst gemacht. Doch der blieb aus. "Ich bin angenehm überrascht, es kam keinerlei Kritik", versicherte sie, "wir haben die Grausamkeit dieser Körperverletzung sehr deutlich gemacht."

Man schätzt, dass auch in Deutschland bereits 20.000 Frauen von der Beschneidung betroffen sind. "Das Votum des Bundestages ist deshalb ein wichtiges Signal dafür, dass Genitalverstümmelungen in Deutschland verboten sind", stellt Irmingard Schewe-Gerigk klar. Ärzte, die entsprechende Eingriffe vornähmen, machten sich strafbar.

Astrid Prange

Süddeutsche Zeitung  – Juni 25, 1998

Neuer Hausherr Doblinger?
 
Unternehmen als Mitbewerber für Eisenbahnerwohnungen

 Notariell ist der Verkauf noch nicht abgesichert, aber die Verträge sind paraphiert: Ein Bieterkreis von zehn regionalen Gesellschaften hat den Zuschlag für den Kauf der insgesamt 112 600 Eisenbahnerwohnungen des Bundes bekommen. Regionaler Bieter für die rund 5500 Wohnungen im Großraum München ist die Bayerische Städte- und Wohnungsbau GmbH des Immobiliengroßhändlers Alfons Doblinger, der seinerzeit die Bestände der Neuen Heimat Bayern aufgekauft hat und diesmal auch noch Treuhandbestände des Bundeseisenbahnvermögens in Sachsen und Thüringen mitkaufen soll. Das Unternehmen bestätigte auf SZ-Anfrage nur die 'Bewerbung'.

Als Gesamtpreis nannte Hans Jochen Henke, Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, 7,1 Milliarden Mark, die 'Investitionen in die Schienenwege' zufließen sollen und damit der 'Sicherung von Arbeitsplätzen der Eisenbahner und der Bauwirtschaft' dienen. Das entspräche rechnerisch einem Preis von weniger als 64 000 Mark pro Wohnung, was gemessen an Eigentumswohnungen extrem billig wäre. Allerdings sind im Gesamtbestand auch Kleinwohnungen von miserabler Bausubstanz.

Bei den Käufern habe man besonders darauf geachtet, erklärte Henke, dass diese 'über die wohnungswirtschaftliche und soziale Kompetenz verfügen, um dauerhaft die Wohnungsfürsorge...aufrecht zu erhalten' - und zwar nicht nur für die Eisenbahner selbst, sondern auch für die Verwaltungsangestellten des Bundeseisenbahnvermögens. Dazu habe man sich auf eine Fülle vorbildlicher Schutzklauseln geeinigt, etwa Wohnrecht auf Lebenszeit, Verbot von Luxussanierung, Begrenzung des Mieterhöhungsspielraums auf drei Prozent pro Jahr plus Inflationszuschlag, Ausschluss von Eigenbedarfskündigungen - und das alles 'einzelvertraglich garantiert'.

Herbert Frankenhauser (CSU) ist von der Losung angetan. Sie biete Schutzvorkehrungen weit über das Übliche hinaus. Hanna Wolf (SPD) warnt, dass die bejubelten Klauseln nicht für alle Mieter, nur für einen 'Berechtigtenkreis' gälten. Ob der Gesamtpersonalrat - für SPD-Stadtrat Rainer Volkmann 'unsere letzte Hoffnung' - dem Verkauf zustimmt, ist noch offen.

Süddeutsche Zeitung  – Juli 9, 1998

Widerspruch gegen Ude
 
Parteifreunde kritisieren 'Befreiungsschlag' im Fall Mehmet

Die Pläne von OB Christian Ude, den kriminellen 'Mehmet' auszuweisen, stoßen auch bei anderen Sozialdemokraten auf Kritik. Klaus Hahnzog, ehemaliger dritter Münchner Bürgermeister und Vorsitzender des Verfassungsausschusses im Landtag, hält eine Ausweisung für rechtlich unzulässig: 'Wenn man einen ausländischen Jugendlichen ausweisen will, kommt es ja laut Gesetz nicht nur auf die Schwere seiner Straftaten an, sondern auch auf seine Verankerung in Deutschland.' Diese sei bei 'Mehmet' vergleichsweise hoch, weil der Junge hier geboren wurde und in München aufgewachsen ist; die Türkei könne man wohl 'nicht einmal als Heimatland des Jungen bezeichnen', sagte Hahnzog zur SZ.

Ulrike Mascher, Bundestagsabgeordnete für München-Mitte, fordert ebenfalls, den Jungen nach hiesigem Recht zu behandeln und zu verurteilen: 'Ihn auszuweisen scheint mir keine Losung.' Zwar seien 'Mehmets' Straftaten unerträglich, doch in der Türkei würde er sich möglicherweise noch krimineller verhalten und noch mehr Menschen Gewalt antun. Außerdem, so Ulrike Mascher, fordere die Bundes-SPD ein neues Staatsbürgerschaftsrecht, das eine Ausweisung unmöglich machen würde. Dazu passe Christian Udes Forderung nicht.

Ihre Bundestagskollegin Hanna Wolf hält eine Ausweisung ebenfalls für problematisch. Das Grundprinzip müsse lauten: 'Der Junge ist hier geboren, ist hier kriminell geworden - er muss auch hier seine Strafe absitzen.' Allerdings habe sie Verständnis für den 'Befreiungsschlag' Udes, der das 'zugespitzte Thema' erledigen soll. In dieser Situation sei eine Abschiebung von 'Mehmet' vielleicht die letzte Möglichkeit.

Auch in der SPD-Stadtratsfraktion sitzen zahlreiche Kritiker von Udes Vorstoß. Etwa zehn von 31 Stadträten sind gegen eine Abschiebung von 'Mehmet', wie aus der Fraktion zu hören ist. Doch zitiert werden will damit niemand. fex

Süddeutsche Zeitung - September 4, 1998 Anzeiger W

Jubiläum der Schützen

Beim Aubinger Herbstfest wird mit Musik und Politikgefeiert

Nachdem der Startschuss zum diesjährigen Aubinger Herbstfest mit dem Einzug der Aubinger und Neuaubinger Vereine bereits gefallen ist, geht es am heutigen Freitag politisch weiter: Um 19 Uhr lädt die CSU ins Festzelt am Germeringer Weg ein. Bei dem Abend wird auch Ministerpräsident Edmund Stoiber sprechen. Das Wochenende nutzt dann die Aubinger Schützengesellschaft, um ihr 125. Gründungsjubiläum zu begehen. Auch die Schützensektion München West-Land, die ihrerseits auf 75 Jahre Bestehen zurückblickt, beteiligt sich an der Feier - vor einer Hintergrundkulisse voll bayerischer Nostalgie: Am Samstag treten im Festzelt 'Sepp & die Steigerwälder', Frank Raimond, 'Gitti & Erika' sowie Edward Simoni auf. Einlass zu dem Bunten Abend ist um 17.30 Uhr.

Den Sonntag will man dann etwas getragener einleiten. Nachdem die Schützenvereine in aller Frühe um 7.30 Uhr im Festzelt empfangen werden, steht um 10 Uhr eine Festmesse in Sankt Quirin auf dem Programm. Danach treten ab 11 Uhr die etwa 1200 Schützen ihren Zug durch Aubing an. Der Nachmittag gehört ganz den Aubinger Musikanten, danach finden Preisverleihung und Königsproklamation statt. Der Abschied der Schützen wird ab 19 Uhr musikalisch von den 'Unterbrunner Haderlumpen' begleitet.

So wie das Herbstfest begonnen hat, nimmt auch sein Ende einen politischen Lauf. Am Montag will die SPD mit Unterstützung der 'Blechblos n' ab 18 Uhr im Festzelt für Stimmung sorgen. Den rednerischen Part übernehmen Oberbürgermeister Christian Ude, Hanna Wolf und Anne Hirschmann. Anja Schroeder

Süddeutsche Zeitung - September 11, 1998 München

Münchens Abgeordnete nur im Mittelfeld
Test vor der Wahl: Wie aktiv sind die 672 Volksvertreter im Bundestag?
Riedl ist am bekanntesten, Frankenhauser am stillsten, Ulrike Mascher hat die Bestnote

Wahltag ist Zahltag - oder Zähltag? Der Stern jedenfalls hat nachgeprüft, wie lange jeder der 672 Bundestagsabgeordneten im Plenum geredet hat, an wie vielen Gesetzen er mitgewirkt hat, wie stark seine Position in der Fraktion ist und wie er von der Basis eingeschätzt wird. Und wie schneiden dabei Münchens acht Volksvertreter in Bonn ab?

Ein Blick auf die Rednerliste zeigt, dass Herbert Frankenhauser, der den Osten seit 1990 am Rhein repräsentiert, der große Schweiger ist. In den vergangenen vier Jahren (Stichtag 1. März) erfreute er seine Kollegen insgesamt nur 22 Minuten mit seiner Stimme, also 5,5 Minuten pro Jahr (Zwischenrufe inklusive). Dafür zeigte er sich aber relativ oft an der Basis und wird von immerhin 9,6 der Befragten als ihr Bonner Repräsentant genannt. Nur Erich Riedl (CSU), seit 1969 für den Münchner Süden im Bundestag, fährt da mit 12,3 Prozent einen höheren Wert ein und ist auch mit Abstand (66,8 Prozent) derjenige Name, der den Münchnern am bekanntesten ist. Das ist für Riedl andererseits ein Problem, denn er bekommt (mit 3,9 für die politische Arbeit und 3,6 für den Einsatz im Wahlkreis) die schlechtesten Noten. In dieser Beziehung punktet Johannes Singhammer, 1994 im Norden direkt nach Bonn gewählt, am deutlichsten (2,3 und 2,4), also etwas besser als die beiden SPD-Frauen Ulrike Mascher (2,4 und 2,9) und Hanna Wolf (2,5 und 2,8), die ziemlich fleißig waren: Ulrike Mascher arbeitete an 76 Gesetzen mit und redete fünf Stunden und 40 Minuten, Hanna Wolf feilte an 56 Gesetzen und stand zwei Stunden und 17 Minuten am Rednerpult. Der PDS-Abgeordnete Heinrich Graf von Einsiedel, der zwar in München-Süd nominiert war, aber über die Landesliste Sachsen nach Bonn kam, rang sich nur zur Mitarbeit an 6 Gesetzen durch.

Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, das den Abgeordneten-Test konzipierte, schätzt die Münchner Abgeordneten als nicht sehr einflussreich ein. Auf einer Skala von 1 bis 62 erreicht Hanna Wolf 5, der Grüne Gerald Häfner 7 (trotz einer Redezeit von 8 Stunden und 20 Minuten), Erich Riedl 8, Frankenhauser und Singhammer je 10 und Ulrike Mascher immerhin 18. Den Vogel schießt in diesem Punkt aber ein beim Wahlvolk weitgehend Unbekannter ab. Ulrich Irmer, 1987 für München-Nord über die FDP-Landesliste nach Bonn gekommen, kennen nur 32,2 Prozent seiner Wähler. In Bonn soll er aber - mit 55 Punkten in Sachen Einfluss - ziemlich wichtig sein.

Eine Zahl allerdings dürfte Herbert Frankenhauser zum Trost gereichen: Der CDU-Abgeordnete Otto Hauser sprach - 19 Minuten in vier Jahren - noch weniger. Dennoch hat ihn der Bundeskanzler befordert - zum Regierungssprecher.

Süddeutsche Zeitung - September 21, 1998 München

Ein fünffaches Duell um die Stimmen
Bundestagswahl: Der Kampf um die Direktmandate
In allen Münchner Wahlkreisen tritt jeweils ein Neuling gegen einen alten Hasen an

Auftakt zum Endspurt: Eine Woche nach dem Münchner CSU-Triumph bei der Landtagswahl wird nun mit Spannung erwartet, ob es der SPD im Wahlkampffinale gelingt, verlorenes Terrain zurückzuerobern. Oder ob die Union noch eins draufsetzt. Neben den für die Zusammensetzung des Bundestags entscheidenden Zweitstimmen richtet sich die Aufmerksamkeit in München traditionell sehr stark auf die Erststimmenduelle. Die SZ stellt von heute an in Form von Fragebogen die Münchner Direktkandidaten von CSU, SPD, Grünen und FDP in den fünf Münchner Wahlkreisen vor, beginnend mit dem Wahlkreis München-Mitte (siehe Tabelle unten). München-Mitte ist einer jener Bezirke, die mit bayern- und bundesweiter Aufmerksamkeit bedacht werden. Denn er ist bislang der einzige rote Fleck in der tiefschwarzen politischen Landkarte Bayerns. Vor vier Jahren holte die SPD-Bundestagsabgeordnete Ulrike Mascher das einzige bayerische SPD-Direktmandat gegen den mittlerweile verstorbenen CSU-Politiker Hans 'Johnny' Klein mit drei Prozentpunkten Unterschied. Ihr Gegenkandidat ist der frühere Münchner Chef der Jungen Union, Aribert Wolf. Wolf hatte die Mutterpartei zu Beginn der 90er Jahre mit der CSU-Abspaltung Junge Liste in Atem gehalten.

Nicht nur in München-Mitte, auch in den vier weiteren, bisher von der CSU gehaltenen Bundestagswahlkreisen Süd, Ost, West und Nord kommt es zufälligerweise zu ein und derselben Konstellation, nämlich alter Hase gegen Neuling: Im Münchner Norden tritt der SPD-Quereinsteiger Axel Berg gegen den CSU-Bundestagsabgeordneten Johannes Singhammer an. Im Osten probiert es für die SPD erstmals der bisherige Landtagsabgeordnete und bayerische DGB-Chef Fritz Schosser gegen den CSU-Platzhirschen Herbert Frankenhauser. Im Süden steigt der Juso-Politiker Christoph Moosbauer neu in den Ring gegen den langjährigen CSU-Abgeordneten Erich Riedl. Im Westen dagegen gibt es bei der SPD Kontinuität: Hanna Wolf, bisher nur über die Liste in Bonn, versucht es erneut direkt; ihr neuer Gegner ist Münchens früherer Kreisverwaltungsreferent Hans-Peter Uhl.

Der Westen ist zugleich der aus CSU-Sicht sicherste Münchner Wahlkreis. Uhls Wahlergebnis wird vor allem innerparteilich Beachtung finden, weil sich Uhl zugleich als OB-Kandidat empfehlen mochte. Aus SPD-Sicht am chancenreichsten dürfte neben Mitte München-Nord sein, wo die CSU 1994 mit vier Prozentpunkten am knappsten vorne lag. Grünen-Direktkandidat Martin Ottensmann hat dort selbst zur Wahl des SPD-Bewerbers Berg aufgerufen, in der Einsicht, dass er wie alle Kandidaten der kleinen Parteien chancenlos sein dürfte.

Süddeutsche Zeitung - September 26, 1998München

'Münchens Herz muss rot bleiben'
SPD-Schlusskundgebung zur Bundestagswahl
Vor2500 Zuhörern greifen Scharping, Schmidt, Riester und Ude die Bonner Koalition an

Die Kulisse ist diesmal weniger bombastisch als beim Auftritt des Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder vor der Landtagswahl: Bühne und Publikum sind an diesem Freitagnachmittag etwa dreimal kleiner, als SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping zusammen mit DGB-Vize Walter Riester (dem designierten Arbeits- und Sozialminister) bei der Abschlusskundgebung der bayerischen SPD zur Bundestagswahl die Anhänger auf Gerhard Schröders Sieg einschwort.

Etwa 2500 Zuhörer sind an diesem sonnigen Nachmittag vor das Münchner Rathaus gekommen. Einige haben rote Juso-Fahnen mitgebracht, SPD-Stadträtinnen verteilen rote Rosen, und eine Frau in der vorderen Reihe hält ein Plakat hoch, auf dem steht: 'München wählt Schröder'. Genau dies ist auch die Botschaft der Redner auf dem Podium. Ulrike Mascher, die 1994 als einzige SPD-Kandidatin in Bayern ihren Wahlkreis (München-Mitte) direkt gewann, stellt die vier anderen Bewerber (Hanna Wolf, Axel Berg, Christoph Moosbauer und Fritz Schosser) vor und bittet um genügend Stimmen, 'damit das Herz von München rot bleibt'. Ludwig Stiegler, der Bonner SPD-Landesgruppenchef, ist in seiner Rede nicht weniger farbig. Seine Mutter, sagt der Oberpfälzer, sei hier in München Dienstmädchen gewesen und habe es sich gewiss nicht träumen lassen, 'dass ihr Erstgeborener einmal hier auf dem Marienplatz reden darf'. Und wie er redet: Die CSU, sagt er, habe Kohl die ganze Zeit über versteckt 'wie die schäbige Verwandtschaft', seit Seehofer hielten viele Menschen das Wort 'Reform' für dasselbe wie 'Raubüberfall', und wenn Lügen kurze Beine hätten, bräuchten Kohl und Waigel längst eine Feuerwehrdrehleiter, um ihre Sessel zu erreichen.

Dann erzählt Rudolf Scharping, was er dem Bundeskanzler im Bundestag gesagt hat: 'Wenn Sie so sehr an Ihrem Sessel hängen, dann nehmen Sie ihn doch einfach mit!' Scharping empört sich darüber, dass man im Finanzamt Starnberg 1997 mehr Einkommenssteuer zurückzahlen musste, als eingenommen wurde. Er geißelt das Steuersystem als Dschungel, in dem nur vorankomme, wer imstande sei, sich einen Fremdenführer (also Steuerberater) zu leisten. Er verspricht, dass eine SPD-Regierung die Steuer-Schlupflöcher schließen werde. Er wirft Waigel vor, durch die Abschaffung der Vermogenssteuer vier Milliarden Mark aus den Taschen der einfachen Leute in die Geldbeutel der Reichen geschaufelt zu haben. Scharping sagt, die SPD werde vor allem in die Ausbildung junger Menschen investieren, weil davon 'die Zukunft des ganzen Volkes abhängt'. Er fordert alle dazu auf, SPD zu wählen, 'damit es besser wird in Deutschland'.

Genau dies tut auch Münchens Oberbürgermeister Christian Ude, der die erfolgreiche Politik der drei SPD-Oberbürgermeister Thomas Wimmer, Hans-Jochen Vogel (stand als Zuschauer bescheiden in der Menge) und Georg Kronawitter als Beleg dafür anführt, dass man der SPD getrost die Regierungsverantwortung übertragen könne. Bevor Rudolf Scharping nach Berlin weiterfliegt, eilt er noch zu Hans-Jochen Vogel und umarmt diesen, während Renate Schmidt um jede Stimme wirbt: 'Wer nicht wählt, wählt immer die anderen.'

Süddeutsche Zeitung - September 28, 1998

Die tiefe Schmach ist vergessen
 
Bei der Bundestagswahl haben die Münchner Sozialdemokraten Grund, sich vor Freude in den Armen zuliegen

Um 18 Uhr bricht bei der SPD der Freudentaumel aus: Die ersten Jubelsprünge vollführt SPD-Stadträtin Brigitte Meier im Foyer des Kreisverwaltungsreferats. An diesem Abend darf endlich gefeiert werden - von dieser Stimmung geprägt sind auch die völlig überfüllten Räume im Erdgeschoss der Münchner SPD-Parteizentrale am Oberanger. Fast vergessen ist die tiefe Schmach nur zwei Wochen zuvor. Besonders bei den Jüngeren stellt sich schnell ein Triumphgefühl ein. 'Es ist saugut', sagt SPD-Sprecher Hannes Gräbner. 'Ich bin seit 1983 in der SPD und warte auf diesen Tag.' Gegen 18.35 Uhr ist dann der erste Wahlbezirk im Münchner Süden ausgezählt: Von 228 Erststimmen 47,6 Prozent für den Juso-Chef Christoph Moosbauer und 36 Prozent für Erich Riedl (CSU). Brigitte Meier fällt Moosbauer um den Hals ('jetzt darfst du regieren') und verkündet in überschäumender Siegerlaune: 'Wir haben den Süden wieder geholt.' Gegen 18.40 Uhr läuft das erste Ergebnis für den Norden ein: Auch der SPD-Newcomer Axel Berg liegt deutlich vorn. SPD-Stadträtin Meier kann es kaum fassen: 'Wir sind mit der Kohl-Regierung groß geworden, das ist das erste Mal.'

Für die Bundestagsabgeordnete Ulrike Mascher zeichnet sich gegen 19 Uhr ab, dass sie ihr Direktmandat erfolgreich verteidigt. 'Ich bin jetzt schon Mitglied der Regierungsfraktion', sagt sie erleichtert, während sie sich freilich zu diesem Zeitpunkt bang fragt, zu welcher Koalition es reichen wird: 'Entscheidend ist das Abschneiden der PDS.' Bürgermeisterin Gertraud Burkert dagegen wünscht sich ein schlechtes Ergebnis für Hans-Peter Uhl: 'Dann sieht es miserabel aus für seine OB-Kandidatur.' Inzwischen hat der Vorsitzende der Münchner SPD, Franz Maget, strahlend den Raum durchmessen und Moosbauer in die Arme genommen. Maget spricht von der Enttäuschung 14 Tage zuvor, doch er betont, er sei sich sicher gewesen, dass der 'Stoiber-Wahl' eine 'Schröder-Wahl' folgt. Deshalb sei er auch zuversichtlich für die OB-Wahl im nächsten Jahr: 'Stoiber, Schröder und dann Ude, weil er seinen Job gut macht.'

Als hätte er die Klänge des Triumphmarsches im Ohr, hält OB Christian Ude gegen 19.30 Uhr im Kreisverwaltungsreferat Einzug und strahlt mit Maget um die Wette. Der Bundestagsabgeordneten Hanna Wolf, im Münchner Westen auf für die SPD traditionell schwierigem Terrain, hat der aus Indien mitgebrachte Talisman nicht das Direktmandat bringen können, doch das Ende der Oppositionszeit ist für sie mehr als Trost genug. Ude preist unterdessen den großartigen Erfolg für Gerhard Schröder: 'Die Münchner SPD hat plakatiert: München wählt Schröder. Und so ist es gekommen.' Vor 14 Tagen sei es für die SPD 'nicht so lustig gewesen', doch jetzt scheine festzustehen, dass Ulrike Mascher München-Mitte verteidige: 'Das Herz der Stadt bleibt rot.' Axel Berg habe ein fulminantes Ergebnis erzielt, doch die wahre Sensation habe sich im Süden ereignet: 'Unser jüngster Kandidat liegt gegen ein prominentes CSU-Mitglied in Führung.' Zur Koalitionsfrage ließ sich Ude auf keine aussagekräftige Empfehlung für Schröder ein: 'Ich empfehle Gerhard Schröder, es genau so zu machen, wie er es macht: Heute keine Spekulationen anstellen und nicht schon Losungen aus dem Ärmel schütteln.'

Etwas unsicher bewegt sich noch Axel Berg auf dem politischen Parkett. Während Moosbauer längst in staatsmännischer Manier die Ursachen seines Erfolges ('toller Wahlkampf, ein engagiertes Team') erläutert, kann Axel Berg den sich abzeichnenden Erfolg kaum fassen: 'Ich mach das alles das erste Mal - wann ist das sicher? Erst dann riskiere ich eine dicke Lippe.'

Im Erdgeschoss der Parteizentrale am Oberanger herrscht dichtes Gedränge, als Brigitte Meier kurz nach 20 Uhr die Jubelbotschaft aus dem Kreisverwaltungsreferat überbringt: 'Die SPD hat fast fünf Prozent zugelegt in München.' Der Beifall ist grandios, die Freude wächst noch an, als sie von den drei Direktmandaten berichtet, die sich für die SPD ergeben werden. Und immer wieder liegen sich Parteimitglieder in den Armen, mit fast immer der gleichen Bemerkung: 'Endlich!'

Süddeutsche Zeitung - September 29, 1998München

Fünf kommen über die Liste in den Bundestag

Acht Männer und zwei Frauen aus der CSU, SPD und FDP werden München im 14. Bundestag vertreten. Das sind einmal die fünf direkt gewählten Abgeordneten, die in der Wahlnacht schon feststanden, zum anderen fünf weitere Politiker, die über die Liste in den Bundestag einziehen: Johannes Singhammer, der für die CSU im Norden antrat, schaffte es auf Platz fünf der neun Listenplätze, und Neuling Aribert Wolf, Kandidat in München-Mitte, erreichte Listenplatz acht. Für die SPD gehen über die Landesliste die bundestagserfahrene Hanna Wolf und Fritz Schosser, ebenfalls ein Neuling, nach Bonn. Schosser schaffte Platz 16 von 27 Listenplätzen, Hanna Wolf Platz 19. Als zehnter Abgeordneter erreichte Ulrich Irmer von der FDP das Ziel. Er kandidierte in München-Nord und ist seit 1987 im Bundestag.

Für den CSU-Mann Erich Riedl, der seit 1969 Abgeordneter war, führt dagegen kein Weg mehr nach Bonn. Riedl war diesmal auf der Liste nicht abgesichert, im Gegensatz zu Gerald Häfner von den Grünen, der den Einzug über die Liste verpasste. Er steht an Rang zwei der Nachfolger, hat also die Chance, eventuell nachzurücken. Die übrigen Kandidaten von FDP und Grünen sind mehr oder weniger auf verlorenem Posten. Die im neuen Bundestag wieder vertretene PDS entsendet keinen Münchner Kandidaten nach Bonn. Brigitte Wolf erreichte das beste Ergebnis mit dem Nachrückerplatz zwei. uw

Süddeutsche Zeitung  – Oktober 2, 1998München

Sie wollen in Bonn für München da sein
 
SPD-Bundestagsabgeordnete erläutern ihre politischen Pläne

Die fünf Bundestagsabgeordneten der SPD sollen zur Hauptadresse für die Wünsche werden, die Bürger und das Rathaus an die Bonner Regierung richten. Die Präsenz und das politische Gewicht der SPD in München habe sich deutlich erhöht, sagte Unterbezirkschef Franz Maget gestern vor der Presse. Nach langer Zeit sind die Münchner Sozialdemokraten wieder stark in der Bundespolitik vertreten: Ulrike Mascher, Axel Berg und Christoph Moosbauer hatten ihre Bundestagsmandate direkt gewonnen, Hanna Wolf und Fritz Schosser schafften es über die Liste nach Bonn.

Der Arbeitsmarkt ist für alle fünf das wichtigste Thema. Die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen und Ausbildungsplätze für Jugendliche sollen Schwerpunkte werden. Ein erfolgreicher Kampf gegen die Arbeitslosigkeit entlaste die Sozialsysteme und bringe zusätzliche Steuereinnahmen. Damit könne man dann wieder die Kommunen stärken, die in den letzten Jahren zunehmend über die finanziellen Daumenschrauben, die ihnen durch die Bonner Regierung angelegt worden seien, geklagt hatten.

Eher in Bescheidenheit üben sich noch die beiden Sensationssieger vom vergangenen Sonntag. Axel Berg (er gewann gegen den fleißigen Johannes Singhammer von der CSU und färbte den Norden wieder rot) sieht sich als ein 'Dienstleister' für die Bürger im Kontakt mit dem 'Raumschiff Bonn'. Der Münchner Juso-Chef Christoph Moosbauer, der den CSU-Veteranen Erich Riedl im Süden entthronte, war vor der ersten Fraktionssitzung aufgeregt wie am ersten Schultag: 'Wo ist der Eingang zum Zimmer und wie findet man wieder raus, wo darf man sitzen und wer ist der Lehrer?' dü.

AP Worldstream - German  – Oktober 27, 1998

Gegner des bayerischen Abtreibungswegs hochzufrieden
CSU-Fraktion sieht in Urteil kein Scheitern der Landesregelung

Die Gegner der bayerischen Sonderregelungen zum Abtreibungsrecht haben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit Erleichterung aufgenommen. Zahlreiche Politiker begrüßten die Karlsruher Entscheidung, wonach die bayerischen Vorschriften für die Abtreibung weitgehend verfassungswidrig sind. Dagegen wandte sich die CSU-Landtagsfraktion gegen die Auslegung, dass der bayerische Sonderweg gescheitert sei: ''Das Kernstück der bayerischen Regelungen zum bestmöglichen Schutz des ungeborenen Lebens, das Beratungskonzept, ist unangetastet.'' Fraktionschef Alois Glück erklärte in München, das BVG habe der bayerischen Position inhaltlich nicht widersprochen, sondern das Urteil lediglich auf formale Aspekte und Kompetenzfragen gestützt.

Die bayerische SPD-Vorsitzende Renate Schmidt sprach von einem ''großartigen Erfolg für Bayerns Frauen und für die SPD''. Mit dem Urteil sei der Schutz des ungeborenen Lebens und die Rechtssicherheit für die Frauen wiederhergestellt. ''Der bayerische Sonderweg hat sich als Irrweg erwiesen.''

Nach Ansicht der bayerischen Grünen-Landtagsfraktion hingegen hat sich die Staatsregierung in Karlsruhe ''nach Kräften blamiert''. ''Verloren haben die sturen Fundamentalisten in der bayerischen Staatsregierung'', erklärte die Abgeordnete Petra Münzel.

Die Beratungsorganisation Pro Familia äußerte Befriedigung und Erleichterung. Die Vorsitzende Brigitte Unger-Soyka meinte, der Versuch, das Bundesgesetz von 1995 zu unterlaufen und ''den Hebel bei den Ärzten anzusetzen'', sei gescheitert. Sie forderte, dass dem Bundesgesetz in Bayern volle Geltung verschafft wird. So gebe es noch immer kein plurales Beratungsangebot. Gerade mal vier Beratungsstellen von Pro Familia seien dort anerkannt.

Der Vorsitzende des Landeskomitees der Katholiken in Bayern, Bernhard Sutor, bezeichnete das Urteil als Ärgernis, betonte aber zugleich, dass es nur eines der beiden bayerischen Gesetze betreffe. Das bayerische Schwangerenberatungsgesetz gelte nach wie vor.

''Karlsruhe hat München die rote Karte gezeigt''

Die familienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Maria Eichhorn, erklärte, sie verstehe die Gerichtsentscheidung nicht und sei enttäuscht. Sie appellierte an die Ärzte, ''sich ihrer besonderen Verantwortung bewusst zu sein''.

Für die SPD-Bundestagsfraktion erklärte die Abgeordnete Hanna Wolf, endlich könnten sich alle Frauen in Bayern auf das Bundesrecht berufen. ''Zur straffreien Abtreibung bereite Ärzte sollten über aberwitzige Regelungen kujoniert werden. Dieser Spuk hat nun hoffentlich ein Ende.''

Der bayerische FDP-Bundestagsabgeordnete Hildebrecht Braun betonte, die verantwortliche Entscheidung der Frau sei nach eingehender Beratung vom Gesetzgeber zu respektieren: ''Dabei bleibt es. Auch in Bayern.'' ''Ein großes Lob'' sprach die FDP-Bundespolitikern Sabine Leutheusser-Schnarrenberger dem BVG aus. ''Karlsruhe hat München die rote Karte gezeigt.''

Die brandenburgische Gesundheitsministerin Regine Hildebrandt (SPD) äußerte sich ''hoch erfreut''. Denn jetzt gälten für alle Frauen in allen Teilen Deutschlands die gleichen Bedingungen. Die hessische Frauenministerin Barbara Stolterfoht (SPD) erklärte, die Bayerinnen müssten nun nicht mehr fürchten, im Falle eines Schwangerschaftskonflikts in andere Bundesländer ausweichen zu müssen.

Süddeutsche Zeitung  – Januar 13, 1999

Irritationen beim Kamingespräch
 
Harsche Worte einiger SPD-Frauen hätten Johannes Rau fast vom Besuch in Irsee abgehalten

IRSEE - Bei den Beratungen der Bayern-SPD auf ihrer Klausurtagung im schwäbischen Bildungszentrum Irsee bei Kaufbeuren gibt sich die Prominenz aus der Bundespolitik fast im Stundentakt die Klinke in die Hand. Erst war Bundesinnenminister Otto Schily da, dann der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Günter Verheugen, dazwischen reisten ein paar Staatssekretäre aus Bonn und auch Bundesarbeitsminister Walter Riester an. Mit besonderer Spannung erwartet wurde Johannes Rau, den Präsidium und Bundesvorstand der SPD bekanntlich als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten nominiert haben.
 ANSICHTEN EINES STAATSMANNES

Rau sollte bei einem abendlichen Kamingespräch nicht nur aus seiner reichen politischen Erfahrung als langjähriger Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen plaudern und Grundsätzliches zum Föderalismus in Deutschland sagen, sondern auch seine Vorstellungen über das von ihm angestrebte höchste Amt in der Bundesrepublik darlegen. Ein elder statesman eben, von dessen politischen Ein- und Ansichten man noch profitieren mochte. Um ein Haar allerdings hätten die bayerischen Genossen auf ihren illustren Gast am Kamin verzichten müssen, denn kurzfristig hatte sich Rau überlegt, ob er wirklich die Reise ins winterlich verschneite Irsee auf sich nehmen sollte. Aus der Klausur der Bayern-SPD hatten ihn nämlich hässliche Tone erreicht.

'Ich dachte, Irsee ist die Klausur der Hoffnungsträger und der Zukunft', wurde die Erlanger Bundestagsabgeordnete und neue Vizevorsitzende der bayerischen Landesgruppe in der SPD-Bundestagsfraktion, Heide Mattischeck, in einer Pressemeldung zitiert. Die Münchner Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf wurde in der gleichen Zeitungsmeldung noch deutlicher: 'Wir haben Rau aufgefordert, auf seine Kandidatur zu verzichten und damit die historischen Weichen für die erste Frau an der Spitze Deutschlands zu stellen. Aber dafür fehlt ihm wohl die Grosse.'

Rau kam dann doch noch und wurde von SPD-Landeschefin Renate Schmidt sogleich in Obhut genommen. Gegenüber der Presse blockte Rau dann ab, er wolle und könne das alles nicht kommentieren. Dafür stellte Renate Schmidt klar, dass die Äußerungen der beiden SPD-Frauen 'nicht die Meinung der Bayern-SPD' seien. Wortwahl und Inhalt der Schelte am Kandidaten seien 'unmöglich'. Später drängte es auch noch die Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF), Monika Lochner-Fischer, dem prominenten Gast beizuspringen. Die Frauen seien mit ihrer Kritik am Kandidaten 'zu spät dran'. Es gebe keinen Grund, Rau jetzt noch zu demontieren. Im übrigen, so sagte Lochner-Fischer, finde sie es 'nicht gut, was da jetzt läuft'.


 OHNE EINSCHRÄNKUNG BEGEISTERT

Beim späteren Gespräch am Kamin war die Bayern-SPD dann ohne Einschränkung begeistert von ihrem Gast. Als Präsident wolle er 'versöhnen, statt spalten', kündigte Rau an, womit er nicht die 'Soße der Harmonie' über alles gießen, sondern Konflikte aufdecken wolle mit dem Ziel des Konsenses. Zum Schluss zeigte sich die bayerische SPD-Landeschefin Schmidt überzeugt: 'Rau wird das Amt des Bundespräsidenten in der ihm eigenen Art ausfüllen und ihm Statur verleihen - genauso wie sein Vorgänger.'

Süddeutsche Zeitung  – Januar 25, 1999 Anzeiger W

Weyl-Gelände geht an die Stadt zurück
Christian Ude beim SPD -Neujahrsempfang in Pasing:
Der Oberbürgermeister kündigt vor rund 300Gästen das 'Ende eines Trauerspiels' an

Ein kleines Feuerwerk guter Nachrichten hat Oberbürgermeister Christian Ude beim Neujahrsempfang der SPD München-West gezündet. Damit legte er in Pasing einen guten Start in den OB-Wahlkampf hin. In dem Stadtteil trägt sich neuerdings auch der ortlichte Bezirksausschuss-Vorsitzende Andreas Ellmaier (CSU) mit dem Gedanken, Ude das Amt streitig zu machen. Der Oberbürgermeister verlor jedoch weder über diesen möglichen Gegenspieler ein Wort, noch über Aribert Wolf, den die CSU-Spitze favorisiert. Der stürmisch begrüßte OB sprach in der Pasinger 'Post' vor vollem Haus; rund 300 Menschen drängten sich im großen Saal der Traditionsgaststätte - darunter Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf, die Landtagsabgeordneten Anne Hirschmann, Ludwig Wörner und Rainer Volkmann, etliche Stadträte und Bezirksräte sowie zahlreiche Vertreter von Vereinen und Institutionen. Besonderer Ehrengast war der 99jährige Allacher Josef Felder, Ehrenpräsident der bayerischen SPD und letzter noch lebender ehemaliger Reichstagsabgeordneter der SPD.

Im 80-Millionen-Streit um das Weyl-Gelände wagte OB Ude als erster offiziell, den angekündigten Vergleich zwischen Stadt und Bauland GmbH grob zu umreißen. Wie berichtet, hatten die Kontrahenten den Zwist vor dem Oberlandesgericht München - in zweiter Instanz - abgebrochen und verhandeln seitdem eifrig hinter den Kulissen. Die Stadt nehme das Weyl-Areal nun 'für Gegenleistungen anderer Art' zurück, so Ude. Dann werde die Stadt das Gelände gründlich sanieren. Der ursprüngliche Plan, dort Wohnungen zu bauen, sei nicht mehr realistisch. Die Experten seien sich einig, dass ein solches Areal mit dem Makel, ehemals Altlasten getragen zu haben, nie mehr vermarktbar sei. Der Kompromiss stehe noch vor der Sommerpause an. Udes Fazit: 'Dann wird dieses Trauerspiel endlich beendet sein.'

'Die Trambahnlinie 19 bleibt auf jeden Fall erhalten', verkündete der OB. Im vergangenen Jahr hätten die Trambahnfreunde München die geplante Verlängerung der U-Bahn nach Pasing niedergemacht; dann hätten die U-Bahnbauer die Tram in Zweifel gezogen. 'Das muss ein Ende haben.' Seine Argumentation: Die Trambahnlinie 19 sei die einzige Verkehrsanbindung an das Westbad. Außerdem werde das Einzugsgebiet der Linie künftig eher dichter besiedelt. Tram- und U-Bahn träfen sich künftig am Pasinger Bahnhof, einer Verkehrsdrehscheibe schlechthin. 'Der Bau der U-Bahn ist zwar mit 100 Millionen Mark pro gebautem Kilometer sündteuer, doch bleibt er notwendig,' betonte Ude. Das Fahrgastaufkommen werde mit der Bebauung von Freiham und dem Großprojekt Hauptbahnhof - Laim - Pasing drastisch zunehmen. Dagegen behandele die Bahn AG den Pasinger Bahnhof bislang stiefmütterlich. Auch müsse der Freistaat endlich in den Ausbau der S-Bahn investieren.

Im Fall der bereits seit 20 Jahren geplanten Pasinger Nordumgehung sprach OB Ude mahnende Worte: 'Die Bürgerschaft sollte zu einem klaren Votum kommen.' Das Projekt dürfe nicht im Streit unterschiedlicher Anwohnerinteressen liegen bleiben. So hatten sich Pasinger Bürger einmal klar für die Umgehung und einmal klar dagegen entschieden. 'Im mittelfristigen Finanzplan stehen die Gelder für die Nordumgehung bereit', versprach der Oberbürgermeister.

Als 'klares Versäumnis der Stadt' wertete OB Ude die schlechte Versorgung des Münchner Westens mit Kindergarten- und Hortplätzen. Dies müsse in den nächsten Jahren ausgeglichen werden. Kritik äußerte Ude auch am Eigentümer und den Untermietern des Aubinger Wienerwaldsaals: 'Keiner will haften.' Bevor die Stadt jedoch eine Million Mark an Steuergeldern für die Sanierung ausgebe, müsse die öffentliche Nutzung für die Vereine garantiert sein.

Süddeutsche Zeitung  – Mai 4, 1999

Bonn interessiert an Münchner Jugend: SPD-Arbeitskreis im Rathaus

 Dürr, Alfred

Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit standen im Mittelpunkt eines Treffens der Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen und Jugend der SPD-Bundestagsfraktion mit der SPD-Stadtratsfraktion im Rathaus. Die direkten Erfahrungen in den Kommunen seien für die Regierungspolitik von entscheidender Bedeutung, so die Sprecherin der Bonner Gruppe, Hildegard Wester. Jugendliche ohne entsprechende Schulabschlüsse hätten gerade auf dem hochqualifizierten und hochspezifizierten Münchner Ausbildungsmarkt große Probleme. Das Sofortprogramm "100 000 Jobs für Junge" der Bundesregierung habe sich als wirksam gegen die Arbeitslosigkeit und das Bildungsproblem erwiesen, sagte die Münchner Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf. Christian Böhnisch forderte aus der Sicht eines freien Trägers aus dem Bereich der berufsbezogenen Jugendhilfe ein noch größeres finanzielles Engagement - zum Beispiel bei der Ausstattung von Schulen und Freizeiteinrichtungen mit Computern. Die jugendpolitische Sprecherin der SPD-Stadtratsfraktion, Christine Strobl, will eine weitere Entlastung von Familien durch Steuersenkungen oder höhere Freibeträge, um die hohen Lebenshaltungskosten in München tragen zu können. Außerdem müsse man die Integration von ausländischen Jugendlichen verstärkt fördern. dü.

AP Worldstream – Juni 24, 1999

Kontroverse über Folgen der Entscheidung der Bischöfe

Bergmann will Konsequenzen mit Ländern klären; Däubler will katholische Beratungsstellen zunächst beobachten

Nach der Entscheidung der katholischen Bischöfe über die weitere Beteiligung am Beratungssystem für Schwangerschaftskonflikte will Bundesfamilienministerin Christine Bergmann voraussichtlich schon nächste Woche mit den Ländern über die rechtlichen Folgen für die straffreie Abtreibung sprechen. In einer Aktuellen Stunde des Bundestages sagte Bergmann am Donnerstag, die Konsequenzen des Zusatzes auf der Bescheinigung katholischer Beratungsstellen, dass diese nicht zur Durchführung einer straffreien Abtreibung verwendet werden könne, seien noch nicht geklärt.

Auf jeden Fall müsse aus der Bescheinigung hervorgehen, dass ergebnisoffen beraten worden sei, betonte Bergmann. Der neue Zusatz heiße eigentlich: ''Dieser Schein ist kein Schein.'' In der Bundestagsdebatte und in Kommentaren außerhalb des Parlaments gingen die meisten Stellungnahmen davon aus, dass der auf Anweisung des Papstes erfolgte Zusatz auf dem Beratungsschein juristisch ohne Bedeutung ist. Einige Politiker sahen dadurch aber auch die Vorgaben des Gesetzes verletzt und verlangten ein Ausscheiden der katholischen Beratungsstellen aus dem staatlichen System.

Die Grünen-Abgeordnete Christa Nickels warf den Bischöfen ''Taschenspielertricks'' sowie die Absicht vor, die ''strukturelle Unwahrhaftigkeit'' der Kirche auf die gesamte Gesellschaft übertragen zu wollen. Die CSU-Abgeordnete Maria Eichhorn bedauerte die Entscheidung der Oberhirten, weil sie Verunsicherung auslöse. Die SPD-Politikerin Hanna Wolf meinte, der Zusatz habe ''das Niveau eines mittelalterlichen Ablassbriefes''. Für die FDP erklärte die Abgeordnete Ina Lenke, Verlierer der bischöflichen Entscheidung seien die in Not geratenen Frauen. Die PDS-Abgeordnete Petra Bläss sprach von einer ''unerträglichen Zumutung''.

Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin kündigte eine genaue Beobachtung der katholischen Beratungsstellen an. Im Südwestrundfunk sagte sie, im Moment lasse sich noch nicht eindeutig sagen, ob der modifizierte Beratungsschein den juristischen Anforderungen entspreche. Nach Ansicht der ehemaligen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger verstoßen Abtreibungen auf der Basis der neuen Beratungsscheine gegen das Gesetz. Der entsprechende Textzusatz mache eindeutig deutlich, ''dass es sich nicht um eine Beratung im Sinne des Schwangerschafts-Konfliktgesetzes gehandelt hat''.

Abtreibungsgegner kündigen Klage an

Abtreibungsgegner kündigten unterdessen an, die katholische Schwangerschaftsberatung gerichtlich prüfen zu lassen, wenn auf deren Grundlage Abtreibungen vorgenommen werden. Die Vorsitzende der Aktion Lebensrecht für Alle (Alfa), Claudia Kaminski, sagte der ''Rheinischen Post'', dass eine juristische Entscheidung zur Klärung der Lage beitragen könne, egal wie sie ausfalle.

Kritik kam auch aus den Reihen der Bischöfe selbst. Der Limburger Bischof Franz Kamphaus erklärte, für jedes Beratungsgespräch sei die Formulierung, die Bescheinigung könne nicht zu einer straffreien Abtreibung verwendet werden, ''ein Hammer''. Aber auch im Verhältnis zu den Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche vornähmen, sei die neue Formulierung eine Hypothek. Er selbst verstehe die eingefügte Formulierung in erster Linie als ethischen Appell, ''auch wenn er leider nicht als solcher formuliert ist''.

taz, die tageszeitung  – Juni 25, 1999

Bischöfe ernten gnädige Kritik

Der Schein-Kompromiss der deutschen Oberhirten stößt allüberall auf Kritik: im Bundestag, bei den katholischen Laien. Doch von Konsequenzen ist nicht die Rede

Die Entscheidung der katholischen Bischöfe zur Schwangerenberatung ist gestern im Bundestag auf breite Kritik gestoßen. Mit dem neuen Beratungsschein würden Frauen, Beraterinnen und Ärzte verunsichert, rügten Sprecherinnen aller Fraktionen, befürworteten aber dennoch den Verbleib der katholischen Kirche im staatlichen Beratungssystem.

Frauenministerin Bergmann (SPD) betonte, nun müsse rasch Rechtsklarheit geschaffen werden. Die gesetzlich verlangte ergebnisoffene Schwangerschaftskonfliktberatung müsse auch künftig gewahrt werden. Voraussichtlich nächste Woche will Bergmann mit den zuständigen Länderministerien die rechtlichen Folgen des einschränkenden Zusatzes erörtern, der eine Verwendung der Bescheinigung zur straffreien Abtreibung untersagt. Die Parlamentarische Staatsekretärin Christa Nickels (Grüne) warnte, die Kirche mache sich als Vertragspartnerin bei der Übernahme staatlicher Aufgaben unglaubwürdig. Für die SPD-Fraktion warf Hanna Wolf den Bischöfen vor, der geplante Zusatz auf dem Beratungsnachweis habe das "Niveau des mittelalterlichen Ablasshandels". Damit werde die Tätigkeit katholischer Beratungsstellen zur Farce, die Bischöfe schafften die ergebnisoffene Beratung und den Beratungsnachweis "im Prinzip" ab. Wolf befürwortete die Zulassung weiterer Beratungsstellen anderer Träger in einzelnen Bundesländern.

Kritik kam auch von der Laienorganisation "Kritische Katholiken". Der Papst habe die deutschen Bischöfe entmündigt und sie zu "Marionetten" gemacht, erklärte die Organisation gestern in Berlin. Zugleich forderte sie die Überführung der Beratungsstellen in eine "von mündigen katholischen Laien zu gründende Trägerschaft", die unabhängig vom Vatikan und den Bischöfen arbeitet.

Die Bundesländer streben trotz unterschiedlicher Auffassung Einigkeit bei der weiteren Förderung der katholischen Beratungsstellen an. Niedersachsen will dazu eine Konferenz der Fachminister einberufen, so Frauenministerin Heidi Merk (SPD). Zwar werde der von den Bischöfen gefundene Kompromiss für die künftige Beratung noch überprüft. Niedersachsen habe gleichwohl Zweifel, ob die Beratung in katholischen Einrichtungen weiterhin den staatlichen Anforderungen genüge.

Demgegenüber wollen Bayern und Sachsen die Beratungsstellen auf jeden Fall weiter fördern. Die bayerische Sozialministerin Stamm (CSU) sagte, der von den Bischöfen geforderte Zusatz sei keine rechtliche Verpflichtung im staatlichen Sinne, sondern als ernsthafter sittlicher Appell zu verstehen, andere Auswege als die Abtreibung zu sehen.

Keine klare Stellung in der Frage bezog bislang das Bundesjustizministerium. Ministerin Däubler-Gmelin (SPD) sagte, es lasse sich derzeit nicht eindeutig sagen, ob auch der modifizierte Beratungsschein den juristischen Anforderungen entspreche. Der Zusatz auf dem Beratungsschein sei "nicht so bedeutsam", sofern in den katholischen Einrichtungen weiterhin entsprechend dem Schwangerenkonfliktgesetz beraten werde. Der Staat werde daher künftig genau beobachten, wie in diesen Beratungsstellen gearbeitet werde.

VK

Süddeutsche Zeitung  – Juni 25, 1999

Politiker beraten über Folgen für Schwangeren-Beratung nach der Entscheidung der Deutschen Bischofskonferenz
 
Bund und Länder streben einheitliche Regelung an / Einhellige Kritik von Frauen im Bundestag an den Bischöfen

csc Bonn (Eigener Bericht) - Kritik an der Entscheidung der Katholischen Bischofskonferenz zur Schwangerenberatung haben am Donnerstag im Bundestag Politikerinnen der Regierung geübt. Aber auch Rednerinnen der konservativen Opposition zeigten ihr Bedauern über das einhellige Votum der Bischöfe, die von den katholischen Beratungsstellen künftig verlangen, nur noch Scheine auszustellen mit dem Zusatz: "Diese Bescheinigung kann nicht zur Durchführung straffreier Abtreibungen verwendet werden." Über die rechtlichen Folgen dieser Entscheidung wollen die Frauenministerinnen von Bund und Ländern in der kommenden Woche beraten. Bund und Länder wollen sich dabei um eine einheitliche Regelung bemühen. Dies zeichnet sich bereits im Vorfeld der Beratungen ab. Bisher sind die Positionen allerdings noch unterschiedlich. Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wollen die kirchliche Beratung nach wie vor akzeptieren. Die Generalstaatsanwälte von Koblenz und Zweibrücken, Norbert Weise und Ursula Reichling, versicherten am Donnerstag in Mainz, in Rheinland-Pfalz blieben Abtreibungen auch mit den neuen kirchlichen Beratungsscheinen straffrei.

Niedersachens Frauenministerin Angelika Birk (SPD) äußerte dagegen deutliche Zweifel, ob die Beratung in den katholischen Einrichtungen weiterhin den staatlichen Anforderungen genügt und damit auch förderungswürdig bleibt. Das Land Sachsen wiederum erklärte, man wolle auf keinen Fall aus der Förderung der katholischen Einrichtungen aussteigen. Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) äußerte sich zurückhaltend. Die rechtliche Qualität der neuen Scheine lasse sich derzeit noch nicht eindeutig klären. Der Zusatz auf den Bescheinigungen sei aber "nicht so bedeutsam", wenn wirklich beraten und in den Einrichtungen nicht nur über den Standpunkt der Kirche informiert werde, meinte die Justizministerin.

In der Aktuellen Stunde des Bundestags erinnerten Maria Eichhorn (CSU) und Rita Griesshaber (Grüne) daran, wie lange das Parlament 1995 um eine bundesweit einheitliche Praxis zum Paragraphen 218 gerungen habe. Gerade die Kirche habe Wert auf die Pflichtberatung gelegt. Bündnis 90/Die Grünen hatten die Debatte beantragt. Ihre kirchenpolitische Sprecherin Christa Nickels hielt den Bischöfen vor, "ein Dilemma gewinnt nicht an Eindeutigkeit, wenn man das Problem verlagert". Nickels sprach von einem "Taschenspielertrick", wenn die Bischöfe nun Beratungsscheine nach dem Motto vergäben "unerlaubt, aber gültig". Auch Griesshaber warf der katholischen Kirche vor, ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren, wenn sie ihre Beratungsscheine mit dem Verbotssatz versehe, aber gleichzeitig stillschweigend in Kauf nehme, dass diese Scheine dann doch vom Staat als Beratungsnachweis und damit Voraussetzung für eine straffreie Abtreibung akzeptiert würden.

Nur ein Mann meldete sich in der Debatte zu Wort, bei der auch das Plenum nur mäßig (vor allem von Frauen) besetzt war. Norbert Geis (CSU) riet den Bischöfen zu Verfassungsklagen, sollte einzelne Länder den kirchlichen Beraterinnen nun die Zuschüsse streichen. Geis gilt in den eigenen Reihen als kompromissloser Abtreibungsgegner. Die CDU-Politikerin Dorothea Störr-Ritter äußerte zwar ebenfalls Verständnis für die Entscheidung der Bischöfe, sie bedauerte aber auch den sich daraus ergebenden "juristischen Unsicherheitsfaktor". Maria Eichhorn (CSU) sagte, als Katholikin bedaure sie, dass die Entscheidung der Bischöfe "so gefällt werden musste".

Die Arbeit der katholischen Beratungsstellen wurde nahezu von allen Rednerinnen gelobt. Die SPD-Abgeordnete Hanna Wolf (SPD) meinte, der Zusatz auf den Beratungsscheinen habe das "Niveau eines mittelalterlichen Ablasshandels". Die Kirche setzte Frauen in Konfliktsituationen unter Druck, die Beratung werde so zur Farce. Auch Ina Lenke (FDP) sprach von "drastisch erhöhtem Druck" auf die Frauen. Die Kirche trage einen Konflikt auf dem Rücken der Frauen aus. Bergmann bescheinigte dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Karl Lehmann, er habe sich "sehr bemüht". Vorrangig sei nun rechtliche Klarheit, zumal da auch die Ärzte nicht verunsichert werden dürften. "Wir brauchen alle Sicherheit und keine neue Debatte über das Gesetz", sagte Bergmann.

Frankfurter Allgemeine Zeitung  – Juli 28, 1999

Frau sein ist kein Beruf

 Den Anfang machte Lieselotte Funcke
 
Warum viele Frauen nicht mehr als solche bezeichnet werden wollen / Von Katrin Hummel
 
Den Anfang machte Lieselotte Funcke (FDP). Als die damals zweiunddreißig Jahre alte Diplomkauffrau 1950 in den nordrhein-westfälischen Landtag einzog und im amtlichen Handbuch auf Seite 243 auf die Liste mit den Berufen der Abgeordneten stieß, las sie folgendes: "Beamte: 14", "Handwerker: 11", "Arbeiter und Angestellte: 101". Und so weiter. Ganz am Ende der Liste fand sie den Eintrag: "Frauen: 15". Eine davon war sie. "Da habe ich gesagt, Frau sein sei kein Beruf", sagt die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin. Die "Berufsbezeichnung Frau" fiel noch in den fünfziger Jahren weg, es wurde eine Rubrik für Hausfrauen eingerichtet, die berufstätigen Frauen wurden zu den berufstätigen Abgeordneten gezählt.

Einen weiteren Vorstoß machte 1990 Hanna Wolf. Die Bundestagsabgeordnete der SPD nahm Anstoß daran, dass auf den Bundestagsdrucksachen die Antragsteller nur mit dem Nachnamen aufgeführt wurden, also etwa als "Fuchtel", "Dr. Hoffacker" oder "Maas", die Antragstellerinnen indes mit dem Zusatz "Frau" genannt wurden, also "Frau Dempwolf", "Frau Fischer" oder "Frau Dr. Hellwig". Sie erhob Einspruch, und die Sache wurde geändert. Seitdem werden Männer und Frauen mit Vor- und Nachnamen genannt, auf den Zusatz "Frau" wird verzichtet. ",Frau' ist keine Bezeichnung, die man immer wieder betonen muss", sagte Lieselotte Funcke 1950. "Ich fand das zu verstaubt, ich wollte gerne erkennbar sein mit meinem ganzen Namen", sagt Hanna Wolf heute. Viele andere Frauen sind ebenfalls dieser Meinung. Das war nicht immer so. Was hat sich geändert? Warum ist es vielen Frauen heute lieber, wenn sie mit Vor- und Zunamen oder dem bloßen Nachnamen genannt werden, etwa in wissenschaftlichen, amtlichen oder journalistischen Texten, als das Anredenomen "Frau" vor ihrem Nachnamen zu lesen?

Es gibt viele Gründe für diese Entwicklung, ihr gemeinsamer Ausgangspunkt aber ist die Frauenbewegung: Nicht nur die Benachteiligung der Frauen wurde bemängelt, sondern immer häufiger auch die Art und Weise des sprachlichen Bezugnehmens auf sie, da die Sprache das Bewusstsein präge und daher auch das Handeln. Nach den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Soziologie und Politik begannen also auch jene in der Linguistik, sich Gedanken über Gleichberechtigung und Chancengleichheit zu machen.

So wehrten sich die Vertreterinnen der neu entstandenen "feministischen Linguistik" etwa gegen die im Deutschen gebräuchliche Form des Plurals, die männlich ist, sobald mindestens ein Mann Bestandteil der Gruppe ist ("die Bürger" und nicht "die Bürgerinnen"). Auch die Tatsache, dass in Stellenausschreibungen nur die männliche Form der Berufsbezeichnung genannt wurde ("Lehrer", nicht aber "Lehrerinnen" gesucht wurden), monierten sie. Und sie kritisierten eine "Aufrechterhaltung der überkommenen sozialen Klassifizierungen, die in den Anrede- und Bezeichnungsasymmetrien ihren sprachlichen Niederschlag finden", wie Luise Pusch, Professorin für Linguistik und freie Publizistin, schreibt. Damit meint sie die Tatsache, dass Frauen anders angeredet und bezeichnet werden als Männer - dass ihrem Namen zum Beispiel das Anredenomen "Frau" vorangestellt wird, auch wenn das nicht sprachökonomisch ist.

"Hast du nichts Wichtigeres zu tun, als an der Sprache herumzukritteln?" wurde die Abgeordnete Hanna Wolf gefragt, als sie sich nicht nur für die Nennung der Frauen mit vollständigem Namen, sondern auch für eine Änderung der Sprache in den vom Bundestag verabschiedeten Gesetzesänderungen einsetzte, um zu erreichen, dass Frauen auch sprachlich in die Formulierungen einbezogen werden. "Das haben viele nicht verstanden", sagt sie, "aber für mich ist Sprache ein wichtiges Instrument des Weglassens und der Verschleierung."

Der Ältestenrat des Bundestages beugte sich dieser Denkweise zumindest im Ansatz. In seiner Begründung von 1991, in der er den Wegfall des Anredenomens "Frau" in allen Bundestagsdrucksachen beschließt, heißt es: "Die bisher geübte unterschiedliche Benennung von männlichen und weiblichen Abgeordneten wird im Hinblick auf die Gleichstellung von Mann und Frau aufgegeben." Die Rechtssprache wurde ebenfalls nach und nach geändert. Eine eigens eingerichtete Arbeitsgruppe empfahl, die "einseitig männlich ausgerichteten Definitionen" abzuschaffen und durch "weibliche Definitionen oder geschlechtsneutrale Formulierungen" zu ersetzen.

Den ersten Erfolg in sprachlicher Gleichbehandlung hatten die Frauen schon 1955 errungen. Damals wies das Bundesinnenministerium die Behörden an, im amtlichen Verkehr für Frauen ab dreißig die Anrede "Fräulein" durch das Wort "Frau" zu ersetzen, falls die Frauen dies wünschten. 1972 kam es zu einem abschließenden Erlass, in dem das Ministerium die Anrede "Frau" für alle volljährigen Frauen durchsetzte. Frauenverbände begrüßten damals, dass "ein den Familienstand offenlegender Diminutiv, der anzeigt, ob die Frau für den Mann noch verfügbar ist", abgeschafft wurde.

Auch im Ausland war die sprachliche Gleichbehandlung in den vergangenen Jahren ein Thema. So stellte das kanadische Finanzministerium schon im Jahre 1981 verbindliche Richtlinien für die sprachliche Gleichbehandlung von Mann und Frau auf, die für den gesamten Schriftverkehr gelten. Symmetrische Anredeformen (also die Nennung des Vornamens bei Mann und Frau und die Vermeidung des Anredenomens "Miss ") wurden ausdrücklich vorgeschrieben.

In einem Leitfaden zur sprachlichen Gleichbehandlung der Schweizerischen Bundeskanzlei aus dem Jahre 1996 heißt es: "Genauso wie im Bildungswesen, in der Politik, am Arbeitsplatz und anderswo werden auch im Bereich der Sprache Anstrengungen unternommen, um die Gleichstellung zu gewährleisten." Empfohlen wird, "dass Frauen und Männer sprachlich in gleicher Weise aufgeführt werden".

In Frankreich machte jüngst Justizministerin Elisabeth Guigou von sich reden, als sie durchsetzte, als "Madame la Ministre" und nicht mehr als "Madame le Ministre" angeredet zu werden. Lediglich die Briten brauchen sich um derlei keine Gedanken zu machen, werden doch die Abgeordneten im Unterhaus ohnehin nicht mit ihren Namen genannt, sondern als "member" für einen bestimmten Wahlkreis bezeichnet. Eine Tendenz, Frauennamen mit dem Zusatz "Mrs." zu versehen, Männernamen indes ohne "Mr." zu gebrauchen, gibt es nicht.

Manche Männer (und auch Frauen) sind in einigen Fällen der Meinung, die sprachliche Gleichbehandlung sei weniger wichtig. Sie finden es höflich, Frauen die Tür aufzuhalten, und genauso höflich, auch sprachlich etwas mehr Aufhebens um sie zu machen als um Männer, etwa durch die Hinzufügung eines Anredenomens, das sie bei Männern unnötig finden. So sagt Hartwig Kalverkämper, Professor für Romanische Philologie und angewandte Linguistik an der Humboldt -Universität in Berlin: "Wenn ich auf eine Frau als ,Frau X' Bezug nehme und nicht einfach als ,XY', dann ist das ein Zeichen der Sensibilisierung und der Achtung und Beachtung der Frau. Warum soll das nicht möglich sein, die Frau zu beachten auf charmante Weise? Männer haben die Nullform, Frauen die besetzte Form. Das ist doch in Ordnung."

Kalverkämper wirft den Vertreterinnen der feministischen Linguistik vor, sie forderten einerseits eine Beachtung der Frauen, nämlich indem sie darauf bestünden, dass etwa in Stellenanzeigen auch die weibliche Form genannt werde. Andererseits wehrten sie sich gegen die Beachtung in Form des Anredenomens. Linguistinnen wie Luise Pusch entgegnen, sie wollten nicht mehr und nicht weniger sprachliche Beachtung als Männer: Werde die männliche Form genannt, solle auch die weibliche genannt werden. Werde das männliche Anredenomen nicht genannt, solle auch das weibliche nicht genannt werden. Denn die Ursache für die Hinzufügung eines nicht unbedingt nötigen Wortes, die in der Sprache sehr selten zu beobachten sei, da Ökonomie ein wichtiges Funktionsprinzip ist, diene dazu, Frauen als etwas Besonderes zu markieren. "Das Selbstverständliche, die Norm, wird indes nicht extra benannt", so Luise Pusch.

In vielen Fällen hat sich die Öffentlichkeit inzwischen die in der feministischen Linguistik und unter Politikern gängige Denkweise zu eigen gemacht. "Heute ist es nicht mehr nötig, ,Frau' statt den Vornamen zu schreiben", sagt Inge Wolff, Vorsitzende des Arbeitskreises Umgangsformen International, der von vielen Unternehmen in Fragen der Etikette zu Rate gezogen wird. In wissenschaftlichen Texten werden Frauen und Männer gleichermaßen ohne Anredenomen zitiert. Karin Frank-Cyrus, Geschäftsführerin der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS), sagt: "Wenn ich von Schröder rede, muss ich auch von Süssmuth reden. Das ist eine Frage der Gleichbehandlung." Und der Sprachberatungsdienst der GfdS empfiehlt, zumindest in Todesanzeigen unbedingt auf die Zusätze "Herr" und "Frau" zu verzichten.

Lediglich das renommierte Handbuch "Namenforschung " aus dem Jahre 1995 vermerkt: "Zur Nennung weiblicher Personen ist nach wie vor das Anredepronomen üblich. Bei männlichen Referenten soll darauf verzichtet werden." Doch das werde sich auch noch ändern, sagt Luise Pusch: Irgendwann bemerkten sicherlich auch die Herausgeber des Handbuchs, dass sie der gesellschaftlichen Strömung hinterher schwimmen.

Süddeutsche Zeitung - November 4, 1999

Autobahn-Projekte bleiben auf der Strecke - Nach dem Berliner Beschluss

 Hutter, Dominik

Letzte Ausfahrt Lochhausener Strasse: Die Bundesregierung hat entschieden, welche Autobahnen bis 2002 finanziert werden - und die A 99-West ist nicht dabei. Das Bundesverkehrsministerium bestätigte, dass in dem Investitionsprogramm weder die Münchner West-Umfahrung, noch der sechsspurige Ausbau der Nürnberger Autobahn zwischen Schenkendorfstrasse und Kreuz München-Nord enthalten ist. Keine Mark fließen soll auch für den Ausbau der A 92 zwischen Flughafen und Kreuz Neufahrn sowie die Fortführung der A 94 München-Mühldorf durchs Isental. Das Programm muss nächsten Mittwoch noch vom Verkehrsausschuss des Bundestages bestätigt werden. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Uhl appellierte an seine SPD-Kollegen, das Programm abzulehnen. Das allerdings hat die SPD nicht vor. "Die derzeitige Haushaltslage hat es nicht ermöglicht", begründete die Abgeordnete Hanna Wolf den Kabinettsbeschluss. Im Frühjahr, wenn eine "Neubewertung der finanziellen Situation" vorgenommen wird, will Wolf erreichen, dass die A 99 noch in die Liste aufgenommen wird: "Sie ist verschoben, aber nicht aufgehoben." dh

Deutsche Presse-Agentur (DPA) - Europadienst  – Dezember 14, 1999

Rot-Grün beschloss Verbesserungen für misshandelte Ausländerinnen


Misshandelte ausländische Ehefrauen können künftig schneller und leichter ein eigenständiges Aufenthaltsrecht in Deutschland erhalten. Die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen legten am Dienstag in Berlin einen gemeinsamen Gesetzentwurf vor, der die vorgeschriebene Mindest-Ehedauer von vier auf zwei Jahre reduziert. Außerdem werden Kriterien benannt, nach denen die Frauen in Härtefällen ohne Wartezeit ein eigenständiges Aufenthaltsrecht in Anspruch nehmen können. Die Frauenpolitikerinnen Hanna Wolf (SPD)und Irmingard Schewe-Gerigk (Grüne) wiesen darauf hin, dass bisher ausländische Ehefrauen aus Angst vor Ausweisung vier Jahre lang bei ihren gewalttätigen Ehemännern ausharren mussten. Denn nur in außergewöhnlichen Härtefällen hatten sie ein eigenes Bleiberecht erhalten. Das Ausländergesetz werde zudem nun so geändert, dass nicht "außergewöhnliche" Harte, sondern "besondere" Harte vorliegen muss. Sie könne sowohl im Inland als auch im Herkunftsland begründet sein. Der Gesetzentwurf stelle auch klar, dass die Gründe für die Anerkennung von Härtefällen bundeseinheitlich geregelt werden. Bisher seien die Bundesländer hier sehr unterschiedlich verfahren. Darüber hinaus werde endlich das Kindeswohl berücksichtigt und könne zur Erteilung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts führen. Weitere Gründe seien sexuelle Gewalt oder Missbrauch von Kindern, drohende Diskriminierung im Rückkehrland, Zwangsabtreibung oder die Betreuung eines behinderten Kindes. Auf diese Regelung hatten die betroffenen Frauen schon lange gewartet, erklärten die beiden Koalitionspolitikerinnen. Auch die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (Grüne), begrüßte den Gesetzentwurf. Damit werde ein positiver Schlussstrich unter eine lange Diskussion um das Bleiberecht ausländischer Ehegatten gezogen. dpa dr yy rm

Süddeutsche Zeitung  – Dezember 15, 1999

Schutz vor dem prügelnden Ehemann

 Büchner, Gerold

Ausländische Frauen sollen bereits nach zwei Jahren ein Bleiberecht in Deutschland erhalten

Im Alter von 16 Jahren heiratete Nuriye den gleichaltrigen Yusuf, folgte ihm aus ihrem Heimatdorf in Anatolien nach Deutschland und versuchte, eine gute Ehefrau zu sein. Bald schon gab es Streit, der Mann und seine Verwandtschaft schlugen Nuriye und misshandelten sie mit dem heißen Bügeleisen. Aus der gemeinsamen Wohnung fliehen konnte die junge Frau nicht, weil sie erst nach vier Jahren Ehe ein eigenständiges Bleiberecht in Deutschland gehabt hätte. Erst als sie lebensgefährlich verletzt in ein Krankenhaus kam, wurde sie von ihrem Leiden erlöst; im Oktober verurteilte das Landgericht Ingolstadt Yusuf, seine Eltern und mehrere seiner Geschwister zu hohen Haftstrafen.

Um Frauen wie Nuriye zu helfen, haben SPD und Bündnisgrüne nun eine Änderung des Ausländergesetzes auf den parlamentarischen Weg gebracht. Ausländische Frauen sollen bereits nach zwei statt nach vier Jahren ein eigenes Aufenthaltsrecht haben. In besonderen Härtefällen können sie künftig auch ohne Einhaltung dieser Frist ihren gewalttätigen Ehemann verlassen, ohne eine Ausweisung fürchten zu müssen. Der Gesetzentwurf ziehe endlich den Schlussstrich unter eine mühsame Diskussion, sagte die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (Grüne), am Dienstag in Berlin. Dabei sei zu wenig von der Gewalt gegen Frauen und zu oft von Angst vor neuer Zuwanderung die Rede gewesen. "Nicht der Missbrauch der Frau, sondern der Missbrauch des Rechts" habe für viele im Vordergrund gestanden.

Die Grünen-Frauenpolitikerin Irmingard Schewe-Gerigk sieht in der bisherigen Regelung vor allem einen "Täterschutz": Wenn ein Mann prügelte und seine ausländische Frau vor ihm floh, konnte er den Behörden melden, dass die eheliche Gemeinschaft nicht mehr bestehe. Die Frau wurde dann oftmals ausgewiesen und in der Heimat weiter drangsaliert, der Mann hatte sich nebenbei seiner Unterhaltspflicht entledigt. Auch eine Neuregelung 1997 bewirkte nach Angaben von Schewe-Gerigk keine Besserung, weil die Hürden für "außergewöhnliche Härten" zu hoch waren. Entscheidungen von Ausländerbehörden und Gerichten hierzu seien willkürlich und von Land zu Land unterschiedlich ausgefallen.

Das neue Gesetz bringt nun einheitliche Regelungen. Auch dem Wohl von Kindern wird größeres Gewicht beigemessen, wie die SPD-Abgeordnete Hanna Wolf betont. Sie spricht von einem "Meilenstein". Querschüsse erwarten die Frauenpolitikerinnen der Koalition nicht mehr: Innenminister Otto Schily ließ den Vorstoß begrüßen, aus FDP und Union wird vereinzelte Unterstützung erwartet, und der Bundesrat muss nicht zustimmen. Wolf und Schewe-Gerigk rechnen damit, dass das Gesetz zum 1. April in Kraft treten kann. Dann beginnt für Beck die nächste Etappe im Kampf gegen häusliche Gewalt bei Ausländern. Sie will sich verstärkt um soziale Ursachen kümmern und stellt klar: religiöse oder kulturelle Begründungen für Misshandlung seien nicht akzeptabel. Gerold Büchner

AP Worldstream – Januar 28, 2000

Koalition will besseres Bleiberecht für geprügelte Frauen
Rückgabe und Umtausch von Ehefrauen beenden

Misshandelte ausländische Ehefrauen sollen nach dem Willen der Regierungskoalition künftig rascher ein eigenständiges Aufenthaltsrecht in Deutschland erhalten, um der Qual und der Erpressung durch den Ehemann zu entkommen. Der am Freitag im Parlament debattierte Entwurf einer Gesetzesänderung sieht vor, das Aufenthaltsrecht bereits nach zwei Jahren statt, wie bisher, nach vier Jahren zu erteilen. Hinzu kommen noch Regelungen für Härtefälle. CDU/CSU und FDP warnten in der Debatte, durch ein solches Gesetz würden Scheinehen und Menschenhandel gefördert. Der CSU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl lehnte die Änderung ab und betonte, die Bundesrepublik sei nach wie vor kein Einwanderungsland. Er berichtete über der Justiz bekannte Fälle, in denen Ausländer durch Heirat mit deutschen Frauen das Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik erhielten.

So habe sich in München ein junger Ägypter durch Heirat seiner über 60-jährigen Vermieterin Vorteile verschafft. Nach der Heirat habe er jedoch die Frau geschlagen und wirtschaftlich ausgebeutet. ''Und solche Leute wollen Sie schützen?'', fragte der CSU-Abgeordnete die Regierungskoalition. Die Liberalen vertraten die Ansicht, die gewünschte Reform müsse in den Ausschüssen noch eingehend diskutiert werden.

Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen streben eine Änderung des Paragraphen 19 des Ausländergesetzes an. Sie soll sowohl für ausländische Ehegattinnen als auch für Ehegatten in Streitfällen ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bereits nach zwei Jahren sichern. Der Gesetzentwurf wurde den zuständigen Bundestagsausschüssen überwiesen.

Für die PDS stimme Ulla Jelpke den Zielen voll zu. Die Verbesserung reiche aber nicht aus. Die Wartezeiten sei weiter zu verkürzen.

In Härtefällen noch schneller Aufenthalt möglich

In der kontroversen Debatte bekräftigte die Koalition ihre Absicht, weitere Gewalt abzuwehren. Sie argumentierte ferner, man wolle auch die von Ehemännern oft praktizierte Rückgabe und den Umtausch ihrer ausländischen Frauen beenden.

Die parlamentarische Staatssekretärin Cornelie Sonntag-Wolgast aus dem Bundesinnenministerium erklärte, es werde auch Regelungen für Härtefälle geben. Das seien Situationen, in denen die Ehepartner oder Ehepartnerinnen schon nach kurzer Zeit des Aufenthalts in Deutschland ''unerträglich schikaniert werden''. In solchen Fällen dürfe es keine Wartefrist geben, sagte die SPD-Politikerin. Durch die angestrebte Reform sollten auch die in solchen Familien bedrohten Kinder vor körperlichen und seelischen Schäden geschützt werden.

Die Grünen-Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk beklagte, dass gegenwärtig der Paragraph 19 des Ausländergesetzes ''ein Machtmittel in den Händen des Ehemanns'' sei. Das sei Täterschutz statt Opferschutz. Die SPD-Abgeordnete Hanna Wolf kritisierte, dass Ausländerbehörden teils ''auf schändliche Weise'' missbräuchliches Verhalten der Ehemänner unterstützt hätten. Die Parlamentarierin appellierte an die Opposition das Gesetz letztlich mitzutragen. Es diene dem Schutz der Menschenrechte.

taz, die tageszeitung  – Januar 29, 2000

Weglaufen nach zwei Jahren

 Karin Nink

 Ausländerinnen, die einen Deutschen geheiratet haben, bekommen ihr eigenes Aufenthaltsrecht frühzeitiger als bisher

Die 1997 reformierte Regelung für ein Aufenthaltsrecht von ausländischen Ehefrauen taugt nicht viel. In diesem Ergebnis waren sich die Vertreter und Vertreterinnen aller Fraktionen gestern im Bundestag einig - auch die Rednerinnen und Redner von CDU und FDP.

Demnächst sollen Ausländerinnen, die mit einem Deutschen verheiratet sind, bereits nach zwei Jahren Ehe ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhalten - bisher müssen sie vier Jahre darauf warten. Diese Änderung soll im April in Kraft treten. Außerdem wird die "außergewöhnlichen Härte", von der eine Frau bisher getroffen sein musste, um vor den vier Jahren, ein eingeständiges Bleiberecht zu erhalten, durch "besondere Härte" ersetzt werden. Bisher war es so, dass der Begriff der "außergewöhnlichen Härte" im Gesetz nicht klar definiert war.

Hanna Wolf, SPD, begründete die Neuregelung damit, dass es darum gehe, "gleiche Lebensverhältnisse für alle Ausländerinnen in ganz Deutschland zu schaffen". Bisher seien alle Gesetzreformen für ausländische Frauen und Kinder "Stückwerke geblieben".

So wurden in einigen Bundesländern auch Frauen abgeschoben, wenn sie von ihren deutschen Ehemännern zuvor misshandelt worden waren. So hatte etwa in Bayern eine Zuwanderin kaum die Chance sich auf die Härteklausel zu berufen. Dort musste eine ausländische Ehefrau eine schwere Körperverletzung erlitten haben, um sich von ihrem Ehemann trennen zu können, ohne Gefahr zu laufen, abgeschoben zu werden.

"Das heißt, sie musste ein lebenswichtiges Glied oder das Sehvermögen verlieren, gelähmt oder geisteskrank sein", erläuterte die frauenpolitische Sprecherin der Grünen, Irmingard Schewe-Gerigk gestern in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs die unwürdige Praxis. Eine für alle Bundesländer verbindliche Regelung soll nun Abhilfe schaffen. Dem Argument der CDU-Frau, Ilse Falk, mit dem Absenken der Frist von vier auf zwei Ehejahre, werde "das Problem der Scheinehen mit ihren menschenverachtenden Folgen" weiter verschärft, trat Schewe-Gerigk entgegen: "Nach Zahlen des statistischen Bundesamts sind binationale Ehen und Ehen von Migranten und Migrantinnen nicht stärker von Scheidungen betroffen als deutsche Ehen."

Die FDP signalisierte Zustimmung für den neuen Gesetzentwurf, weil der alte "in keiner Weise befriedigend" sei, so Innenpolitiker Max Stadler. Er kritisiert aber, dass die Sozialhilfeklausel kaum geändert worden sei. Nach bisherigem Recht kann eine Migrantin ausgewiesen werden, wenn sie auf Sozialhilfe angewiesen ist. Das will er bei den Diskussionen in dem Gremien geändert wissen. "Kleinlich und menschlich schäbig" habe Otto Graf Lambsdorff diese Regelung schon 1997 genannt, erinnert sich Stadler in der Debatte. Und Lambsdorff steht bestimmt nicht im Ruf, ein Sozialromantiker zu sein.

Karin Nink

AP Worldstream – März 16, 2000

Über 140 Abgeordnete laufen Sturm gegen Erd-Kunstwerk
Vollmer: Haacke wollte Debatte über den Begriff Volk

Berlin
 
Über 140 Abgeordnete der CSU/CDU, der FDP sowie der Koalitionsfraktionen laufen Sturm gegen die Realisierung eines umstrittenen Kunstprojekts von Hans Haacke in einem Innenhof des Reichstagsgebäudes. In einem am Donnerstag in Berlin veröffentlichten Antrag wird das Parlament aufgefordert, sich gegen das Vorhaben mit dem Titel ''Der Bevölkerung'' auszusprechen, damit es nicht verwirklicht wird.

Für die Installation des tonnenschweren Objekts mit Erde aus den Wahlkreisen hatten sich die zwölf Mitglieder des Kunstbeirats unter Leitung von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse zwei Mal mehrheitlich entschieden. Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer von Bündnis 90/Die Grünen war als Mitglied dieses Gremiums dagegen.

Nach den Vorstellungen Haackes soll im nördlichen Hof des Reichstagsgebäudes ein 21 mal sieben Meter großer Holztrog entstehen, den die 669 Abgeordneten mit je einem Zentner Erde aus ihrem Wahlkreis füllen sollen. In der Mitte soll der Schriftzug ''Der Bevölkerung'' angebracht werden. Die 1,20 Meter hohen Leuchtbuchstaben sollen dieselbe Form haben, wie die Widmung ''Dem deutschen Volk'' über dem Portal des Reichstagsgebäudes.

Die Initiative zum Parlamentsantrag ging von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unter Federführung des nordrhein-westfälischen Abgeordneten Norbert Lammert aus. Zu den Unterzeichnern des Antrages gehören neben Antje Vollmer unter anderen auch Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms und die SPD-Abgeordnete Hanna Wolf aus München.

Vollmer betonte am Donnerstag in Berlin: ''Das Kunstwerk kann nicht realisiert werden ohne die Beteiligung der Abgeordneten.'' So viel Demokratie und parlamentarisches Selbstbewusstsein sollte auch der provokative Künstler Haacke akzeptieren. ''Wenn keiner der Abgeordneten mitmacht, muss er sich etwas anderes überlegen, falls er selbst sein Projekt ernst nimmt.'' Haacke wollte nach Ansicht Vollmers vor allem eine Debatte über den Begriff Volk. ''Diese Debatte hat er bekommen und damit ist die Hauptaufgabe von uns für ihn nun auch erledigt.''

Süddeutsche Zeitung  – März 31, 2000

Stadt wirbt um Bürgerstiftungen

 Dürr, Alfred

Bricht in der Stadt bald das große Spendenfieber aus? Der Münchner SPD-Chef Franz Maget und die Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf (SPD) wünschen sich das jedenfalls: Jetzt könne auch Otto Normalverbraucher zum Mäzen werden und eine eigene Bürgerstiftung gründen oder eine andere unterstützen. Der Bundestag hat vor kurzem nämlich ein neues Stiftungsrecht beschlossen. Bürger können künftig bis zu 40 000 Mark steuerfrei spenden, und der Katalog der Stiftungszwecke ist auf die Bereiche Sport, Entwicklungshilfe und Umweltschutz ausgeweitet worden.

Auch der Vize-Vorsitzende des Münchner Sportbeirats, Horst Staimer, und der Geschäftsführer der Münchner Arbeiterwohlfahrt, Jürgen Salzhuber, werben für die Stiftungs-Idee. Gerade für die Jugendbetreuung in den Sportvereinen oder für bessere soziale Dienstleistungen würde zusätzliches Geld gebraucht.

Durch den Finanzskandal bei der CDU haben die Begriffe Spenden und Stiftungen einen schlechten Ruf bekommen. Die Abgeordnete Wolf hofft nun auf eine "Resozialisierung" dieser Begriffe. Immerhin fließen schon jetzt jedes Jahr bis zu 14 Millionen Mark an Stiftungsgeldern, die vom Sozialreferat verwaltet werden. Dort bekommt man auch Auskunft über die Möglichkeiten, verschiedene Projekte zu unterstützen (näheres unter Telefon 23325646). Der Staat verzichtet durch Änderungen in den verschiedenen Steuergesetzen auf rund eine Milliarde Mark Einnahmen, dafür sollen die Bürger beim Geldausgeben für gute Zwecke selbst aktiv werden. dü.

Frankfurter Allgemeine Zeitung - April 6, 2000

Das System hat gesiegt
 
Nach bestürzender Bundestagsdebatte darf Haacke sein Projekt im Reichstag verwirklichen
 
Hans Haacke hat gewonnen, er darf damit rechnen, dass sein umstrittenes Projekt im nördlichen Ehrenhof des Reichstags installiert wird. Aber darf er sich des Siegs freuen? Äußerst knapp ist die namentliche Abstimmung ausgefallen, äußerst gering die Zustimmung zu seinem Kunstwerk: die erste Auszählung ergab 260 Stimmen seiner Befürworter versus 258 Stimmen seiner Gegner, dies bei 31 Enthaltungen. Ärgerlicher noch: die endlose Kontroverse um sein im Grunde banales, mit platter Symbolik aufgeladenes Werk hatte ihre kongeniale Entsprechung in der Debatte des Bundestages. Schlichtweg bestürzend war die Argumentationsführung auf beiden Seiten; sowohl Gegner wie Befürworter des Projekts brillierten mit großem rhetorischem Aufwand, aber ästhetischer Ahnungslosigkeit. Man muss sich nach dieser Debatte und der wiederholten emphatischen Berufung der Redner auf ihre angeblich erwiesene Kompetenz bei der Bundestagsdebatte um Christos Reichstagsverhüllung ernstlich fragen, ob auch schon damals die Einbildungskraft hauptsächlich das Wort geführt hat. Es ist nicht nur ein Sieg des politischen Interventionisten Haacke, es ist vor allem ein Sieg des Systems, das ihn trägt. Außer der Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer, Mitglied des Kunstbeirats, war sich keiner der Redner aus allen im Bundestag vertretenen Parteien bewusst, dass mit dem Projekt auch ein Gremium zur Debatte stand, dass sich mit außerparlamentarischen Experten in ein Netz gegenseitiger Freundschaftsbeweise begibt. So ist der Sieg Hans Haackes auch der des Kunstsystems, an das die Demokratie, unfähig zu schlüssigen repräsentativen Symbolen, letztlich die Entscheidung über ihre Kunsteinkäufe delegiert hat. Es folgen Auszüge aus der Debatte. I.L.

NORBERT LAMMERT, CDU:

Die Verwandlung von Konzeptkunst in eine skurrile Bundesgartenschau ist kein großer Wurf, sondern eine große Albernheit, die der Ernsthaftigkeit nicht gerecht wird, die dieses Thema verdient. Das Bedürfnis nach Selbstinszenierung des Künstlers ist legitim, es ist in diesem konkreten Fall offensichtlich ausgeprägter als das Bedürfnis nach Aufklärung. Die künstliche Gegenüberstellung von Volk und Bevölkerung wird dem Volk nicht gerecht. Das Projekt ist politisch und ästhetisch misslungen. Die anstehende Entscheidung des Bundestages über ein ebenso diskussionswürdiges wie diskussionsbedürftiges künstlerisches Projekt in seinem Hause ist nicht nur ein Anwendungsfall für die Freiheit der Kunst, sondern auch für die Souveränität dieses Parlaments. Das hat nicht nur etwas zu tun mit der gelegentlich strapazierten Würde des Hohen Hauses, sondern auch und vor allem mit der Würde des Menschen, die wir in diesem Hause zu vertreten haben und die wir nicht als Volk und Bevölkerung gegeneinander in Stellung bringen lassen dürfen.

GERD WEISSKIRCHEN, SPD:

Hier wird nicht die Widmung "Dem deutschen Volke" der Widmung "Der Bevölkerung" gegenüber gestellt als Feindbegriffe, sondern sie werden zueinander gestellt, um miteinander einen Dialog zu führen, in welcher Gesellschaft wollen wir künftig leben. Der Künstler ist autonom, sein Werk muss stören, Eingeschliffenes aufbrechen, neues Sehen möglich machen, er braucht nicht Rücksicht nehmen auf die Mehrheit, er braucht nicht Rücksicht nehmen auf die Sehweisen, die eingeschliffen sind. Wir müssen das. Kunst, sagt Gadamer, die sich nicht dekorativ in den Zusammenhang einschmiegt, sondern eher aus ihm heraussteht, sie gefällt nicht nur, sie muss und darf wirken wie eine Zumutung. Und Haacke ergänzt die Inschrift, auf ebener Erde, dreißig Zentimeter ist das Behältnis hoch, Blumen werden darauf wachsen, was denn bitte, ist denn daran Kitsch? Sein Werk fragt uns, wie weit fassen wir den Begriff des Bürgers. Wollen wir denn leugnen, dass wir in einem Land leben, in dem es eine wachsende Zahl von nicht-deutschen Bürgern gibt? Die kritischen Künstler dürfen wir nicht verlieren, damit unsere Gesellschaft ständig wach und lebendig bleibt. Kunst, das ist ihre herausstechende Eigenart, durchbricht die Logik von Interessen. Die Gegenwart der Kunst kann manchmal viel realer sein als die empirische Realität, von der die Politik meint, dass sie in ihr lebt. Sorgen Sie dafür, dass die Kunst ihre Freiheit bekommt.

ANTJE VOLLMER, GRÜNE:

Worüber wir aber heute debattieren, ist ein ganz praktisches Problem. Wie kann ein Kunstwerk realisiert werden, das essenziell zu seiner Verwirklichung die Teilnahme von frei gewählten Abgeordneten des Bundestages an einem höchst merkwürdigen und geradezu skurrilen Erdritual erfordert. Ich finde, wir sollten uns dieser Art Gesinnungs-TÜV nicht unterziehen. Es geht um die Freiheit der Kunst, aber auch um die Freiheit von Abgeordneten.

ULRICH HEINRICH, FDP:

Wer im Bundestag den Begriff Volk in Frage stellt, darf sich über Kritik nicht wundern. Ich gebe uns hier die Freiheit, uns nicht sklavisch daran festzuhalten, was der Künstler in sein eigenes Projekt interpretiert, sondern dass wir ihm unsere eigene Interpretation geben. Die Inschrift am Westgiebel, "Dem deutschen Volke", gab Haacke die Gelegenheit, zu zeigen, wie stark der Begriff des Volkes missbraucht worden ist. Gerade dieser Missbrauch des Wortes Volk hat den Künstler veranlasst, einen Bogen zu spannen zur Bevölkerung. Ganz besonders herausfordernd ist das Heranschleppen von Erde durch die Abgeordneten. Diese Interaktion und Partizipation macht deutlich, dass es sich um ein Kunstwerk handelt, welches man nicht überall aufstellen kann, sondern das ausschließlich für den Deutschen Bundestag geschaffen wurde. Was die Erdsymbolik betrifft, meine Damen und Herren, wir alle haben schon einen Ersten Spatenstich vorgenommen. Die Frage ist, wer hat da nicht auch schon seinen Teil zu der Symbolik beigetragen. Die Freiheit der Kunst erfordert Toleranz von allen.

HANNA WOLF, SPD:

Dass die Nazis diesen Begriff des Volks missbraucht haben, gehört zur Tragik unserer Geschichte. 1989 riefen die Menschen in Leipzig "Wir sind das Volk", das war eine Provokation für die Machthaber. Und niemand hat es chauvinistisch verstanden. Diese revolutionäre Tradition des Begriffs Volk möchte ich nicht begraben sehen. In meiner Arbeit als Bundestagabgeordnete gilt für mich das Grundgesetz. In Artikel 1 heißt es: Die Würde des Menschen ist unantastbar, In Artikel 3 steht: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Da wird ohne Einschränkung immer von den Menschen gesprochen, das heißt von allen Menschen, die in der Bundesrepublik leben. Das ist mir Verpflichtung genug.

WOLFGANG THIERSE, SPD:

Kunst ist Freiheit, das ist ihr inneres Wesen. Sie lässt Unterschiede zu, lädt ein zu Streit, zu Diskussion, zu Subjektivität, zu Artikulation unseres je eigenen Geschmacks, Fühlens und Denkens. Deshalb ist unterschiedliches ästhetisches Urteil legitim, ist gegensätzliche Meinungsäußerung selbstverständlich. Wie sähe die Kunst aus, wenn sie von politischen Gremien abgehangen hätte? Die Verfremdung ist fundamentaler Bestandteil der Kunst.

taz, die tageszeitung - April 7, 2000

Hanfsamen in Heimaterde

 HARALD FRICKE

Der Bundestag hat abgestimmt: Hans Haackes umstrittenes Projekt "Der Bevölkerung" wird nun als Kunstwerk im Reichstag installiert

Es gibt offenbar 549 Bundestagsabgeordnete, die sich für Kunst interessieren. Das ist bei insgesamt 669 Parlamentariern eine enorme Zahl: Als am Mittwoch eine Stunde zuvor noch über den Antrag der Grünen zur "Unterstützung des Stabilitätspakts Südosteuropa" abgestimmt wurde, waren nicht einmal halb so viele Abgeordnete im Plenarsaal anwesend, um die Zukunft der Kosovo-Flüchtlinge zu diskutieren. Dass sich so viele Politikerinnen und Politiker mit Kunst beschäftigen, liegt allerdings auch daran, dass sie am Mittwochabend entscheiden durften, ob Hans Haacke sein "Bevölkerung"-Projekt im Reichstag realisieren kann. Und siehe da: Er wird. Zwar haben 258 Bundestagsabgeordnete seinen Entwurf abgelehnt, Erde in einem Beet mit der Neoninschrift "Der Bevölkerung" zu installieren. Aber dann haben sie doch um zwei Stimmen gegen 260 Abgeordnete verloren, die sich entweder auf das Haacke-Beet freuen oder aber der Meinung waren, dass man nicht darüber abstimmen kann, was gute, gelungene oder überhaupt Kunst ist - und deshalb dafür votiert haben, dass man nicht gegen ein Kunstwerk stimmen darf. Zuletzt gab es noch 31 Enthaltungen - wohl auch als Zeichen einer entschiedenen Nichtentscheidung in künstlerischen Fragen.

Mit einem dermaßen knappen Ergebnis hatte indes kaum jemand gerechnet. Zumindest nicht die Befürworter des Projekts. Tatsächlich sah es während der einstündigen Debatte aus, als würde Haacke abgeschmettert werden. Der Block der CDU/CSU-Fraktion war offensichtlich ganz fest entschlossen, sich nicht von einem Künstler "lächerlich" machen zu lassen, wie ihr kulturpolitischer Sprecher Norbert Lammert gleich zu Beginn klarstellte. Und dafür gewaltigen Applaus bekam. Da nützte es wenig, dass nach ihm der freundliche SPD-Vertreter im Kunstbeirat, Gert Weisskirchen, den Philosophen Hans-Georg Gadamer mit seiner Idee von Kunst als "Zumutung" zitierte. Denn Lammert hatte mit einiger Empörung erklärt, er brauche "von niemandem Nachhilfeunterricht", wenn es darum geht, per Kunstwerk zu zeigen, dass das Grundgesetz eben nicht nur für das deutsche Volk gilt, sondern auch für die Bevölkerung, die hierzulande lebt.

Vor allem diese symbolische Umwidmung, die Haacke mit seiner Arbeit vorschlägt, kam denn auch bei einigen PolitikerInnen sehr schlecht an. Antje Vollmer sprach von "Gesinnungs-TÜV", mit dem die Abgeordneten per Kunstwerk "genötigt" werden sollen. Dafür durfte sich die Bundestagsvizepräsidentin der Grünen von der CDU/CSU beklatschen lassen, wo doch sonst die Fronten ein wenig anders verlaufen. Auch die SPD-Politikerin Hanna Wolf sagte verärgert, dass sie den "revolutionären Begriff" des Volkes, für den ja schließlich die Bürgerrechtler im Osten 1989 auf die Strasse gegangen waren, nicht von einem Künstler "begraben sehen" will.

Wahrscheinlich darf sich Hans Haacke dennoch für seinen Erfolg am Ende ausgerechnet bei der CDU/CSU bedanken. Ohne die beiden Reden von Rita Süssmuth und ihrem Parteikollegen Volker Kauder wäre seine Arbeit vermutlich doch als seltsame Mischung aus Mitmach-Happening für Politiker und zäher Geschichtsstunde abgekanzelt worden. Zu Unrecht. Denn Süssmuth machte noch einmal deutlich, wie wichtig gerade die Einbeziehung der gesamten Bevölkerung ist für eine Integrationspolitik, die über nationale Interessen hinausreicht. Im Gegenzug brauchte sie nur zu erzählen, wie viele Briefe sie täglich von Bundesbürgern bekommt, die sich darüber aufregen, dass Haacke auch "Gelbe oder Türken" meint, wenn er an Deutschland denkt.

Und genau dieses rassistische Stereotyp kam dann plötzlich bei Kauder zum Vorschein, der hysterisch schwäbelnd über Haacke meinte, er wolle nur provozieren und mit "seiner Agitation" das deutsche Volk beleidigen. Als Kauder auch noch davon zu reden anfing, dass "wir Deutschen" endlich wie Franzosen und Engländer zu "unserer Nation" stehen sollten, war klar: Das Ding wird gebaut. Als Zeichen gegen Kauder und Co. Als Zeichen gegen eine Politik, die mit Slogans von "Kindern statt Indern" Wahlkampf macht.

Oder vielleicht doch eher in der Art, wie sich Franziska Eichstädt-Bohlig von den Grünen das Projekt "Der Bevölkerung" vorstellt? Sie hatte nämlich kurz vorher erklärt, dass gerade die jungen Kollegen in ihrer Partei kein Problem mit der Heimaterde haben: "Die bringen dann Sonnenblumen- und Hanfsamen mit", damit das Haacke-Beet schön zuwächst. Kein schlechter Gedanke - Cannabis im Bundestag.. Aus ästhetischen Gründen. Das hätte auch Joseph Beuys gefallen. Und Wolfgang Neuss.

HARALD FRICKE

Hinweis: Im Grunde darf sich Hans Haacke für seinen Erfolg ausgerechnet bei der CDU/CSU-Fraktion bedanken

Süddeutsche Zeitung - April 8, 2000

Münchner Erde bleibt hier

 Von Michael Zirnstein

Keiner der Abgeordneten will sich an der Kunstaktion beteiligen

Wie schaffen die zehn Münchner Bundestagsabgeordneten je einen Zentner Heimaterde nach Berlin? Mit der S-Bahn zum Flughafen, auf ihren Nebensitzen in der Business-Class zum Tegel-Airport, in zehn Taxis zum Parlament? "Totaler Blödsinn", sagt Aribert Wolf (CSU) zum Aufruf des Künstlers Hans Haacke, jeder Parlamentarier solle Erde aus dem Wahlkreis in sein Reichstag-Kunstwerk "Der Bevölkerung" schütten. "Nur weil das unter dem Stichwort Kunst läuft, hat das noch lange keinen Tiefgang", sagt Wolf, "wir Parlamentarier sollen die Hampelmänner spielen. Politik ist was Ernstes." Aribert Wolf und seine drei CSU-Kollegen aus München zählten zu den 150 Parlamentariern, die im Bundestag den Antrag gegen das Haacke-Stück gestellt hatten. Ohne Erfolg, am Mittwoch in der Abstimmung siegten die Befürworter des Werks mit zwei Stimmen Mehrheit. Die Installation kommt, die Erde wohl nicht.

"Ich kenne keinen, der sich an der Aktion beteiligen will", sagt Christoph Moosbauer, SPD-Gesandter der Münchner Südens. Er ist für Haacke - für ihn schaufeln wird er nicht. Er hält es für "Quatsch", die Botschaft des Objekts "Der Bevölkerung" der Giebel-Inschrift "Dem deutschen Volke" gegenüberzustellen. Aber man habe Haacke eingeladen, und jetzt dürfe der sich auch künstlerisch frei äußern - "selbst provokativ und überzogen". Moosbauer hält es für "gespenstisch", dass im Bundestag über Kunst abgestimmt werden muss.

Seine Genossin Hanna Wolf (München-West) wollte abstimmen. Schließlich habe Haacke für die Erdinstallation "kein Gartencenter beauftragt", sondern die Abgeordneten, wie sie vor dem Plenum sagte. Auch sie wird Münchens Bäume nicht der Scholle berauben. Sie sei "irritiert" von der "durch die Nazis besetzten Erdkultsymbolik" der Installation. Und sie wolle die "revolutionäre Tradition des Begriffs Volk" - einst eine Provokation für den Kaiser, jüngst für die Oberen der DDR - "nicht begraben sehen".

Münchens Gesandte werden ihren Boden gar nicht nach Berlin schaffen. Johannes Singhammer, Chef der Münchner CSU, weiß von keinem Kollegen, der bei dem Ritual mitmachen wird. "Das ist doch Unsinn, einen Kübel Dreck mitzubringen." Haacke könne sein Stück gerne aufstellen, "nur nicht im Reichstag", wo jeden Tag tausende Touristen daran vorbei gehen müssten. "Die werden nur mit dem Kopf schütteln." Wer weiß, vielleicht helfen sie ja, den Trog zu füllen.

BUNTE  – Juli 13, 2000

Mobbing mit Kultur

 Peter Königsfeld

MACHTKAMPF

Elke Leonhard: Warum sie nicht mehr Vorsitzende des Kulturausschusses im Bundestag ist. Ein Drama

So muss es einst an den Höfen zugegangen sein: abschwören oder in den Kerker - die Alternative für Andersdenkende. Ähnlich muss sich heute Elke Leonhard, 51 (SPD), fühlen, nachdem sie gezwungen wurde, den Vorsitz des Kulturausschusses im Bundestag zurückzugeben. Ihr Parteigenosse und Fraktionschef Peter Struck, 57, hatte ihr "das Vertrauen der Fraktion" entziehen lassen. Struck übergab der Vorsitzenden Leonhard einen Brief, in dem sechs SPD-Genossen aus dem Kulturausschuss (Eckhardt Barthel, Monika Griefahn, Michael Roth, Gisela Schröter, Gert Weisskirchen und Hanna Wolf) verlangten, Elke Leonhard habe "Äußerungen im Bereich Kultur und Medien zukünftig mit dem Kulturstaatsminister abzustimmen". Der Kulturstaatsminister heißt Michael Naumann, 58, kein erklärter Freund der Vorsitzenden. Auch umgekehrt nicht: Ob Holocaust-Mahnmal, Stiftungsrecht, Nationalstiftung oder auswärtige Kulturpolitik - immer war Elke Leonhard einen Schritt schneller und setzte die Vorschläge des Kulturausschusses im Bundestag medienwirksam durch - ehe Naumann reagierte. Produzierte so eine Niederlage nach der anderen für den Staatsminister. Ihr Credo: "Wir brauchen keine Kulturpolitik aus dem stillen Kämmerlein, wir brauchen auch keine erbärmlichen Jasager im Parlament, sondern den Diskurs, die Streitkultur und ein selbstbewusstes Parlament."

Die SPD-Mitglieder des Kulturausschusses im Bundestag sehen das wohl etwas anders und schickten der streitbaren Vorsitzenden den Maulkorb-Brief. Die empörte Elke Leonhard zerriss das Schreiben, nachdem sie es gelesen hatte, und erklärte ihren Rücktritt. Gegenüber BUNTE sagte sie: "Das Parlament ist doch nicht der verlängerte Arm der Regierung. Wo sind wir denn gelandet!"

Das Ende eines jahrelangen Streits zwischen zwei Diven der deutschen Kulturpolitik: Elke Leonhard und Michael Naumann. Für Naumann kam der Rücktritt angeblich überraschend: "Ich habe inhaltlich unterschiedliche Bewertungen nie als Hindernis für eine gedeihliche Zusammenarbeit gesehen, anders als Frau Leonhard." Der Fraktionsvorsitzende Struck äußert sich erst gar nicht zu dem Vorgang.

Als Leonhard-Nachfolgerin hat die SPD Monika Griefahn, 45, ausgeguckt. Die Ex -Grüne und -Umweltministerin aus Niedersachsen gehört zu den Unterzeichnern des Maulkorb-Briefes an Elke Leonhard. Ein SPD-MdB ist sich deshalb sicher: "Mit der wird Naumann also kaum Probleme bekommen."

AP Worldstream - German  – Juli 27, 2000

Umstrittenes Haacke-Kunstwerk im Reichstag installiert
Bisher noch keine gefüllten Erd-Säcke eingetroffen

Das umstrittene Erd-Kunstwerk mit der Inschrift ''Der Bevölkerung'' des Konzeptkünstlers Hans Haacke ist im Lichthof des Reichstages installiert worden. Das teilte die Bundestagsverwaltung am Donnerstag in Berlin mit. Am 12. September soll das Kunstwerk von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse eingeweiht werden. Die Inschrift befindet sich in einem 21 mal sieben Meter langen Holztrog. Nach den Vorstellungen von Haacke sollen die 669 Bundestagsabgeordneten den Trog mit einem Zentner Erde aus ihren Wahlkreisen füllen. Das Projekt kostet 375.000 Mark. In einem Brief hatte der Konzeptkünstler die Parlamentarier Anfang Juli aufgefordert, sich an dieser ''symbolischen Handlung'' zu beteiligen. Ganz besonders richte er die Einladung an jene Abgeordneten, die dem Projekt ablehnend gegenüberstünden. Jedem Abgeordneten hatte der in New York lebende Haacke für den Erd-Transport zwei 25 Kilogramm fassende Jutesäcke zugeschickt. Einen Sack sollten die Parlamentarier nach der Erdablieferung zurückerhalten, der zweite werde mit Namen im Reichstag öffentlich ausgestellt, schrieb Haacke in dem Brief. Einige Abgeordnete hatten bereits angekündigt, aus ihren Wahlkreisen Erde nach Berlin zu bringen.

Nach Informationen einer Sprecherin des Berliner Büros des Künstlers sind bisher noch keine gefüllten Säcke im Reichstag oder im Haacke-Büro eingetroffen. Einige Abgeordnete hätten jedoch ihrer Ablehnung über das Kunstwerk Luft gemacht und die Säcke leer zurückgeschickt. Das Büro des Künstlers habe extra eine Spedition mit Lagerung und Transport der Erde beauftragt. Nach der Einweihung des Haacke-Projektes sollen die Worte ''Der Bevölkerung'' in grüner Leuchtschrift für alle Besucher des Reichstages sichtbar sein. Sie nehmen Bezug auf die Inschrift ''Dem deutschen Volke'' über dem Eingangsportal.

Kritik war fraktionsübergreifend

Kritik gegen das Haacke-Projekt kam nach dem Entscheid des Kunstbeirates aus allen Fraktionen. Über 140 Parlamentarier erreichten in einem Gruppenantrag, dass der Bundestag erneut über das Kunstwerk abstimmen musste. Die Kritik richtete sich vor allem gegen die Inschrift, der sie nationalistischen Charakter vorwarfen. Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer kritisierte das Haacke-Werk als ''Biokitsch''. Zu den Unterzeichnern des Antrages gehörten auch der Bundestagsvizepräsident und FDP-Politiker Hermann Otto Solms sowie die SPD-Abgeordnete Hanna Wolf aus München.

Der Kunstbeirat des Bundestages hatte sich zwei Mal für die Haacke-Installation entschieden. Zu den Kosten des Objektes erklärte die Bundestagsverwaltung, die Installation werde aus dem rund acht Millionen Mark finanziert, die insgesamt für ''Kunst am Bau'' zur Verfügung stünden.

Süddeutsche Zeitung  – Oktober 7, 2000

Aus Berlin fließt Geld

 Von Christian Betz
 
Ministerin Bergmann stellt im Presseclub die Reformen der Bundesregierung dar

"Was macht Berlin für München?" - eine Frage, die der Münchner Presseclub gestern in einem Gespräch mit Familienministerin Christine Bergmann (SPD) klären wollte. "Ich bin selbst sehr gespannt, was hier in München passiert", zeigte sich Bergmann gegenüber ihren Parteigenossinnen, der Bundestagsabgeordneten Hanna Wolf und der Bürgermeisterin Gertraud Burkert, interessiert. Die Auswirkungen der Berliner Politik? Sie seien "ein wahrer Geldsegen für München", dankte Burkert. Münchens Familienpolitik sei durch die neue Bundesregierung finanziell unterstützt worden: Die Kindergeldreform habe allein im letzten Jahr zusätzliche Leistungen von 4,68 Millionen Mark erbracht. Heuer würde sie gegenüber 1998 weitere 7,8 Millionen ausmachen. Münchens CSU-Chef Johannes Singhammer sah das anders: "Die als Großwohltat von Rot-Grün verkaufte Erhöhung des Kindergeldes wird völlig von der Ökosteuer aufgefressen. "

Als wichtige Unterstützung der Bundesregierung für Familien wertete Bergmann auch das Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Elf Millionen Mark sollen dieses Jahr dafür nach München fließen. "Damit können weitgehend alle Jugendlichen vermittelt werden, die auch nur irgendwie Bereitschaft zeigen", so Burkert.

Die Mietkosten - gerade in München ein Dauerproblem. Auch hier brachte Bergmann Neuigkeiten aus Berlin mit: Im Januar 2001 werde das Wohngeld erhöht und familienfreundlicher gestaltet. Eine Familie mit zwei Kindern werde damit 80 bis 100 Mark mehr pro Monat erhalten.

Als ein "großes Anliegen der Regierung" sah Bergmann die Ächtung der Gewalt in der Erziehung. Vor allem in den Großstädten müsse durch Kampagnen auf das Problem hingewiesen werden. "Gewalt ruft wieder Gewalt hervor", stellte die Ministerin fest. "Wir müssen es schaffen, dass die Gesellschaft anders reagiert. " Auch in München werde zu oft weggeschaut, pflichtete ihr Bürgermeisterin Burkert bei, aber "wir werden darauf hinarbeiten, dass die Öffentlichkeit aufmerksamer wird. " Die drei Damen der SPD waren sich einig: Berlin tut etwas für München.

Der Spiegel  – Oktober 30, 2000

Erkan und die regen Würmer
 
Deutschlands meistumstrittenes Kunstobjekt, die Erd-Installation im Reichstag, stand unter Verdacht, Blut und Boden zu verherrlichen - Irrtum. KZ-Erde und Hanfsamen, Gorleben-Salz und Genmais fügen sich zu einem Gesamtkunstwerk, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Von Jochen Bölsche

Dunkel war's, als die acht Vermummten nahten. Unter den Hieben ihrer Baseballschläger zersplitterten Fenster und Türen. Als die Stiefel der Eindringlinge die Treppe empordonnerten, konnten sich die Bewohner des ersten Stockwerks, vier Flüchtlinge aus Sierra Leone, nur noch durch einen Sprung aus dem Fenster retten.

Taghell war's, als sich 16 Monate nach dem Skinhead-Überfall vom Mai 1999 eine ganz andere Gruppe dem Asylbewerberheim im niedersächsischen Kutenholz näherte. Mit Schaufel und Spaten füllten Dorfbewohner auf dem Gelände einen Zentner Mutterboden in zwei Jutesäcke. Viele trugen einen Button mit dem Slogan "Gegen Fremdenhass und Gewalt".

Ende vergangenen Monats deponierte die Initiatorin der Aktion, die promovierte Philosophin Margrit Wetzel, 50, die Krume aus Kutenholz an ihrem Bestimmungsort: in einem 21 mal 7 Meter großen Rechteck aus Robinienholz im nördlichen Lichthof des Reichstagsgebäudes zu Berlin. Wie die Stader SPD-Abgeordnete haben rund 200 Parlamentarier ihren Beitrag zu dem wohl meistumstrittenen Kunstwerk der Berliner Republik geleistet: dem Vorhaben des Künstlers Hans Haacke, den Holztrog von den Bundestagsabgeordneten mit insgesamt 33 Tonnen Erde aus allen Wahlkreisen der Republik füllen und dann die Saat ungestört aufgehen zu lassen.

Der Bundestag hatte die Haacke-Installation im April lediglich mit einer hauchdünnen Zweistimmenmehrheit gebilligt. Das lag nicht zuletzt daran, dass der Künstler sein Objekt mit Hilfe von Leuchtbuchstaben "DER BEVÖLKERUNG" widmen wollte (also auch den derzeit 7,4 Millionen Nichtdeutschen im Lande) - statt lediglich --- S.98

"DEM DEUTSCHEN VOLKE", dem der Reichstagsbau per bronzener Portikus-Inschrift seit 1916 zugedacht ist.

Haacke-Kritiker aus allen Lagern stießen sich zudem an der Idee, Erde als Gestaltungsmittel einzusetzen: Auf politische Korrektheit abonniert, unterstellten viele dem in New York lebenden Linken geradezu reflexhaft, er wolle mit seinem Werk an "Blubo" anknüpfen, wie der großdeutsche Volksmund einst die Blut-und-Boden-Schwiemelei der NSDAP bespöttelte.

Anstoß an der "durch die Nazis besetzten Erdkultsymbolik" nahmen nicht nur SPD-Mitglieder wie die Münchner Abgeordnete Hanna Wolf. Auch den Heidelberger FDP-Mann Dirk Niebel erinnerte der Trog "fatal an das Ritual der Olympischen Spiele von 1936, zu denen jeder deutsche Teilnehmer einen Klumpen Erde aus seinem Heimat-Gau anzuschleppen hatte".

Grünen-Politiker gingen, unisono mit der Union, gleichfalls auf Distanz zu Haacke. Antje Vollmer sprach vor dem Bundestag verächtlich von "Kitsch in Eimern", der schleswig-holsteinische CDU-Abgeordnete Michael von Schmude mokierte sich über "Biokitsch hoch drei".

Mittlerweile jedoch, gut sechs Wochen nach der so genannten primären Beschüttung des Trogs, lässt sich beurteilen, ob die Warnungen vor nationalem Schwulst und bräunlichem Pathos berechtigt waren. Und siehe da: Das Gegenteil ist der Fall.

Im Lichthof entsteht, Sack für Sack, etwas völlig anderes als befürchtet: ein Werk, wie es die Welt noch nicht gesehen hat - teils ernsthafter Ausdruck der von Kanzler Gerhard Schröder propagierten "Zivilgesellschaft", teils skurriler Auswuchs der deutschen Fun-Fun-Fun-Society 2000.

Wie bei "Big Brother" dokumentiert eine Live-Kamera das Gedeihen des Beetes. Aktuelle Fotos sind im Internet (www.derbevölkerung.de) abrufbar.

Wie viele und welche der 669 Abgeordneten das Projekt aus welchen Motiven fördern und wer warum die Mitwirkung verweigert - die Antworten auf diese Fragen erlauben Rückschlüsse auf den geistigen wie moralischen Zustand des Landes. Schon scheint es, als entstehe im Berliner Sandkasten so etwas wie ein maßstabsgerechtes Modell der politischen Landschaft samt all ihrer Bös- und Gutmenschen, ihrer Witzbolde und Wichtigtür.

Zu den Akteuren der ersten Stunde - noch ist der Rahmen des Beetes kaum zu einem Drittel gefüllt - zählen Politiker wie der SPD-Mann Peter Zumkley, der die Aktion geschickt zur Stammwählerpflege nutzte und die beiden 25-Kilo-Säcke, die jedem Abgeordneten zugestellt worden sind, mit Humus aus mehreren Laubenpieperkolonien in seinem Wahlkreis Hamburg-Wandsbek füllte - unter eifriger Mithilfe örtlicher Vereinsfunktionäre. "Kleingärtner", sagt Zumkley, "haben doch am meisten mit Erde zu tun."

Und da gibt es so tüchtige Genossinnen wie Waltraud Lehn aus dem nördlichen Ruhrgebiet, die ihrem Frachtgut für Berlin publikumswirksam Kohlebrocken beifügte, die sie selbst unter Tage abgebaut hatte. Mit der Gabe will sie, wie sie tief schürfend erklärte, "auf die Bedeutung der Steinkohle" für ihren Wahlkreis hinweisen.

Viele ihrer SPD-Kollegen nehmen die Erd-Arbeiten unterdessen zum Anlass, um wie die Staderin Wetzel ein "Zeichen gegen den Fremdenhass" zu setzen und mit der Saat der Gewaltlosigkeit ganz nebenbei den bösen Blubo-Verdacht ad absurdum zu führen. Wetzel lud zur Schüttaktion eigens den Algerier Kamil Abu-Mahfouz nach Berlin ein, den Ausländerbeauftragten der Stader Arbeiterwohlfahrt.

Der Hanauer Abgeordnete Bernd Reuter, gelernter Betonbauer, hat seine Säcke demonstrativ in Anwesenheit von Muharrem Caglayan, dem Vorsitzenden des lokalen Ausländerbeirats, gefüllt. Caglayan trug während der kleinen Zeremonie auf einem Bauhof die Erkenntnis bei, so bunt gemischt wie die Erde für Berlin sei auch die Bevölkerung Hessens.

Fraktionskollege Rainer Arnold aus Baden-Württemberg entdeckte in der schwäbischen Scholle, die er in Nürtingen einsackte, drei Würmer, die er zu "Botschaftern der Heimat" erklärte. Sogleich gab der Bevölkerungsvertreter den "regen Würmern" die typisch deutschen Vornamen Gabriele, Fritz und Erkan.

Arnolds Wurmtaufe war wie die meisten Buddelaktionen in den Wahlkreisen frei von jener "nicht mehr zu überbietenden Schwerstbedeutsamkeit", die ein Feuilletonist der "Welt" einigen Linken ankreidete - etwa der gestrengen Justizministerin Hertha Däubler-Gmelin, die Humus am Grabe des Verfassungsvaters Carlo Schmid zusammenkratzte.

Zur Symbolistik neigen auch die Postkommunisten. Der thüringische PDS-Abgeordnete Carsten Hübner füllte seine Säcke im ehemaligen KZ Buchenwald, seine sächsische Kollegin Christine Ostrowski schaufelte auf dem Gelände der Dresdner Synagoge. Der Berliner Professor Heinrich Fink holte Erde aus Raben Steinfeld, einst Endstation der Todesmärsche aus den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Ravensbrück.

Inspiriert hat einige der PDS-Politiker womöglich das --- S.102 Beispiel des Parlamentspräsidenten Wolfgang Thierse. Der Rotbart hatte am 12. September den ersten Sack im Trog entleert und damit offiziell die so genannte partizipatorische Phase des Werkes (Haacke) eingeleitet. Sein Mitbringsel, exakt platziert neben den ö-Pünktchen der Neon-Lettern des Wortes BEVÖLKERUNG, stamme vom Jüdischen Friedhof in seinem Heimatkiez Prenzlauer Berg, verriet Thierse - und warf damit kritische Fragen auf.

Reporter der "Süddeutschen Zeitung", die flugs den Friedhof vis-a-vis von Thierses Schlafzimmerfenster inspizierten, fanden dort zwischen den Grabstellen ausschließlich asphaltierte Wege. Der Bundestagspräsident - ein Grabschänder? "Nein, nein, von den Gräbern, um Gottes willen, niemals", beteuerte ein Friedhofswärter den Rechercheuren und versicherte hoch und eilig: "Es war Kompost."

Thierses Initiative war ganz im Sinne des Künstlers Haacke, der seinen Trog bei der Erstbeschüttung abermals der Bevölkerung widmete - und speziell dem Mosambikaner Alberto Adriano, "der auch zur Bevölkerung gehörte". Der Familienvater war im Juni in Dessau von Neonazis zu Tode geprügelt worden.

Sonst aber erinnerte die Aktion bereits bei ihrem Start eher an ein Happening als an eine Feierstunde. Milde Heiterkeit kam auf, als Elke Leonhard, Ex-Vorsitzende des parlamentarischen Kulturausschusses, auf Highheels zum Pflanztrog stöckelte und ein Goldfischglas mit sieben Sorten vulkanischen Gesteins aus der Eifel leerte; jemand vom Bodenpersonal Gottes hatte die Lavabrocken zuvor gesegnet.

Andere Abgeordnete waren mit Säcken und mit Aktencontainern, Waschschüsseln und Tuppertöpfen erschienen, um heimische Erde aufs Beet rieseln zu lassen, versetzt mit Stroh und mit Parteiabzeichen, mit Dung und Sonnenblumenkernen. Am Rande kursierte der Herrenwitz, Feministinnen hätten bereits gegen die Widmung "Der Bevölkerung" protestiert: "Es muss doch ,Die Bevölkerung' heißen."

Seit jenem Eröffnungstag hat sich der Slapstick-Charakter der Aktion von Woche zu Woche verstärkt. Helle Aufregung erfasste die Boulevardpresse, als Ende September zwei anonyme Koalitionsabgeordnete per Bekenneranruf bei SPIEGEL ONLINE kundtaten, sie hätten Hanfsamen der besonders wirkstoffreichen Sorte "Super Skunk" ins Beet gemischt.

Die "Bild-Zeitung, die das Biotop zuvor als "Biokitsch" abgetan hatte, empörte sich nun scheinheilig: "Wer jubelte der heiligen Erde Hanfsamen unter?" Für die Unbedarften fügte das Blatt hinzu: "Hanf! Daraus könnte man Haschisch machen! Haschisch!"

Einen Zentner Salz aus einem Stollen am Nuklearlager Gorleben steuerte Hedi Wegener bei, SPD-Abgeordnete aus dem Lüneburgischen. Nachdem sie die weißen Kristalle in Form eines Kreuzes auf dem Beet verteilt hatte, konterte sie den Vorwurf, sie erschwere auf diese Weise die von Haacke gewünschte Spontanbegrünung: "Im atomaren Zwischenlager wächst schließlich auch nichts mehr."

Einen Eklat löste vorigen Monat die CSU-Abgeordnete und Gartenfreundin Renate Blank aus, als sie eine Schwertlilienknolle in die Berliner Scholle drückte. Die Schwarze mit dem grünen Daumen durchbrach damit einen von den CSU-Herren ausgerufenen Boykott.

Die Nürnbergerin, Obfrau ihrer Partei im Kunstbeirat des Parlaments, habe sich "selbst disqualifiziert", giftete CSU-Parlamentsgeschäftsführer Peter Ramsauer. Er selbst schwor, er werde eher "einen Sack Zement auf den Watzmann schleppen" als Wahlkreiserde nach Berlin.

Die meisten Unionspolitiker zeigen sich außer Stande, cool oder gar humorvoll auf Haackes Werk zu reagieren. "Scharlatanerie", "Unfug", "Verarscherei" - so grobes Vokabular bevorzugt CDU/CSU-Innenexperte Erwin Marschewski, wenn er in der Presse zu dem fremdenfreundlichen Projekt Stellung nimmt: "Auf Drecksäcke, die in einen Trog ausgeschüttet werden, kann der Bundestag doch wirklich verzichten."

Sein schleswig-holsteinischer Fraktionskollege von Schmude hörte sich schon im Frühjahr: "Bestimmt wird die Schüssel bald voller Zigarettenkippen sein." Andere Unionsabgeordnete kündigten an, sie wollten die mit den Nationalfarben geschmückten Jutesäcke an den Absender retournieren (Fraktionschef Friedrich Merz) oder damit "ein Sackhüpfen im Wahlkreis" veranstalten (CSU-MdB Christian Schmidt).

Doch allmählich gehen der Union die Sackargumente aus. Der Blubo-Vorwurf jedenfalls hat sich als völlig abwegig erwiesen - schon deshalb, weil auf Grund der Boykottaufrufe von rechts überwiegend rosa und rote Erde ins Terrarium gelangt, --- S.106 versetzt mit Scholle von Stätten nationalsozialistischen Terrors.

Nicht ohne Neid registrieren CDU/CSU-Abgeordnete, welche Publicity der Sediment-Event selbst noch den blassesten Hinterbänklern aus der Regierungskoalition beschert.

Vielerorts wird in der Lokalpresse unter lebhafter Leserbeteiligung diskutiert, wo überall eine Handvoll Heimaterde für Berlin entnommen werden soll. "Selbst Obscht- und Gartenbauvereine habe mitgemacht", schwäbelt Baden-Württembergs neue SPD-Spitzenfrau Ute Vogt.

Hoch im Norden, am plattdeutschen Strand, verfolgte das Publikum voller Mitgefühl die Unbill, die der Plöner Abgeordnete Michael Bürsch erlitt, als er bei Möltenort an der Ostsee ein paar Schaufeln Sand für den Reichstag einsackte.

Die CDU-geführte Kreisverwaltung brummte dem SPD-Mann ein Bußgeld wegen Verstoßes gegen das Landeswassergesetz auf (SPIEGEL 41/2000), zog es dann aber vor, das unpopuläre Verfahren rasch niederzuschlagen. Landrat Volkram Gebel verfasste eine gereimte Einstellungsverfügung:

Das Gesetz haben wir nicht erdacht,
über uns wird zu Unrecht gelacht.
Der Bevölkerung zwei Säcke Sand
schadet nicht dem Möltenorter Strand.

Mancherorts starten sogar Kutschen, um Heimisches in die Hauptstadt zu karren. Und immer wieder rücken ganze Schulklassen mit Erde in Sack und Tasche bei ihrem Wahlkreisvertreter im Reichstag an.

"260 Bundestagsabgeordnete haben im April für das Kunstwerk gestimmt, 258 dagegen. Die 258 haben jetzt Pech. Denn die 260 haben einen Medienauftritt", beobachtete die "Berliner Zeitung". Im Übrigen erweise sich das zunächst belächelte Objekt nun "als eines der erfolgreichsten Kunstwerke in der Geschichte der Bundesrepublik": "Hans Haackes listenreiches Spiel mit den Medien und der öffentlichen Meinung ist grandios aufgegangen."

Kein Wunder, dass selbst eingefleischte Haacke-Kritiker mittlerweile darüber nachsinnen, wie sie selbst auch ein wenig von dem Pressewirbel profitieren können.

Der Berliner CDU-Abgeordnete Siegfried Helias streute, er habe statt Heimischem auch Erde aus anderen Ländern, darunter auch aus Österreich, für den Trog gesammelt. Die Mülheimer FDP-Frau Ulrike Flach kündigte an, sie werde aus Protest gegen die rot-grüne Koalition "genveränderten Mais" aussäen, "weil die Regierung diese neuen Techniken boykottiert".

Unterdessen ließ ihr Heidelberger Parteifreund Niebel demonstrativ einen Kanister Neckarwasser, "selbstverständlich aus meinem Wahlkreis", in den Trog plätschern. Niebels "Kunstbegießung" ("Der dabei zu Tage getretene braune Matsch sollte meine Kritik sichtbar machen") trug dem Liberalen jedoch den Ruch bodenlosen Banausentums ein: Die "FAZ" attestierte ihm "spätpubertäre Geschmacklosigkeit".

"Das ist das eigentlich Unwürdige und Beschämende an der Aktion: dass sie unter den gegnerischen Parlamentariern dumpfe, nach öffentlicher Aufmerksamkeit lechzende Ideen produziert", schrieb das liberalkonservative Blatt, das der Haacke-Aktion lange Zeit kritisch gegenübergestanden hatte, neuerdings aber zu der Ansicht tendiert, dass das Projekt schon "kein Kunstwerk mehr ist, sondern ein Denkmal": "Man mag es Indifferenz nennen, vielleicht auch Indolenz - Schwerfälligkeit und Trägheit -, dass Hans Haacke bislang so wenig Mitspieler zur Teilnahme an seinem Reichstagsprojekt animieren konnte."

Der Meinungsumschwung in der Öffentlichkeit hat den Oppositionstruppen bereits erste Bodenverluste beschert.

Er fühle sich dem Mehrheitswunsch der Bürger verpflichtet, erklärt der freidemokratische Haacke-Kritiker Jürgen Koppelin. Auch der baden-württembergische Christdemokrat Paul Laufs will trotz seiner Aversion gegen "Erdrituale" mitmachen, "sofern der Rems-Murr-Kreis ausdrücklich Wert darauf legt". Er wolle, so der Unionschrist, schließlich nicht als der "Bösewicht" dastehen, der es zu verantworten habe, dass am Ende sein Wahlkreis der einzige ohne Boden in Berlin ist.

Ein harter Kern von Haacke-Gegnern schart sich unterdessen erbitterter denn je um ein fragwürdiges Kampfargument: Das Bodendenkmal gründe nicht auf dem Boden der Grundordnung.

Das Werk "der Bevölkerung" zu widmen bedeute eine "Verneinung des deutschen Volkes", behauptet CSU-Ramsauer. "Das ist kein Kunstwerk, das ist politische Agitation", tönt CDU-Rechtsaußen Peter Kurt Würzbach.

Solchen Parolen halten liberale Unionsabgeordnete wie Rita Süssmuth das Argument entgegen, zwar gehe laut Grundgesetz alle Staatsgewalt "vom Volke" aus, zugleich aber garantiere die Verfassung sämtlichen Bewohnern des Bodens der Bundesrepublik, gleich welchen Blutes, den Schutz der Menschenrechte.

Auch die Nürnberger CSU-Dissidentin Blank kommt, wie sie Reportern eröffnete, mit der Haacke-Widmung ganz gut zurecht: "Ich bin vom deutschen Volk gewählt worden, aber der Bevölkerung verantwortlich. Das ist doch ganz einfach."

Was die Lilie betreffe, die sie ohne Genehmigung der Parteispitze in den Kunsttrog gepflanzt habe, folge sie allerdings einem ganz anderen Prinzip: "Ich vertrete meinen Garten."

DER KÜNSTLER

Dem gebürtigen Kölner Hans Haacke, 64, gelingt es immer wieder, die Mächtigen mit seiner Prozesskunst zu provozieren. In seiner Wahlheimat New York etwa warnt seine Installation "Sanitation" (Hygiene) vor faschistoiden Tendenzen in der US-Kulturpolitik.

DAS WERK

Haackes Berliner Projekt "DER BEVÖLKERUNG" wurde im April vom Bundestag mit 260 zu 258 Stimmen gebilligt. Der Holztrog mit Kiesbett und Neonschrift soll von den Abgeordneten mit 33 Tonnen Erde gefüllt und dann einer "Spontanbegrünung" ausgesetzt werden.

DIE IDEE

Mit dem Schriftzug "DER BEVÖLKERUNG" will Haacke die Reichstags-Inschrift "DEM DEUTSCHEN VOLKE" und deren "möglicherweise nationalistisches Potenzial" konterkarieren und auf die Verantwortung der Politik auch für den nichtdeutschen Teil der Bevölkerung hinweisen.

DIE KOSTEN

Für Haackes Kunst am Bau hat der Kunstbeirat des Bundestags 375 000 Mark vorgesehen. Die Kosten für den Erd-Transport aus den Wahlkreisen nach Berlin sollen die Abgeordneten tragen.

AP Worldstream - German - November 10, 2000

Bundestag ermöglicht Homo-Ehe: Erste Zusammenfassung
Eingetragene Lebenspartnerschaft ab Mitte 2001 -
Wortgefechte im Bundestag - Union prüft Verfassungsklage

Auch homosexuelle Paare können ihre Partnerschaft ab dem nächsten Jahr amtlich besiegeln lassen. Der Bundestag verabschiedete am Freitag mit der Koalitionsmehrheit das Gesetz zur eingetragenen Lebenspartnerschaft, die damit als neues familienrechtliches Institut neben der Ehe etabliert wird. Offen ist noch, ob das Standesamt oder eine andere Behörde für die Eintragung zuständig sein wird. Die Union kritisierte das Gesetz als Angriff auf Ehe und Familie und kündigte eine Verfassungsklage an. Der Abstimmung gingen teilweise erbitterte Wortgefechte voraus. Der CSU-Abgeordnete Norbert Geis sagte, das Gesetz stehe nicht nur im Widerspruch zum Grundgesetz, das die Ehe unter den besonderen Schutz des Staates stellt, sondern auch zu religiösen Grundsätzen. Die so genannte Homo-Ehe sei ein ''Verstoß gegen unsere Kultur'' und ''der schlimmste Angriff auf Familie und Gesellschaft''.

SPD und Grüne verteidigten die Verabschiedung dagegen als ''historische'' Entscheidung. ''Die langen Jahre der Diskriminierung sind vorbei, Lesben und Schwule bekommen heute ihr Recht'', sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Kerstin Müller. Die SPD-Abgeordnete Hanna Wolf sprach von einem ''längst überfälligen Akt der Wiedergutmachung an Schwule und Lesben'' nach jahrhundertelanger Diskriminierung. Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin sagte, es gehe bei dem Gesetz darum, dauerhafte Beziehungen zu fördern: ''Der Anspruch auf Würde muss jedem zukommen, egal welche Orientierung er oder sie hat'', betonte die SPD-Politikerin.

Wie die Union bezeichnete auch die FDP das Gesetz als verfassungswidrig und sprach sich für eine notarielle statt einer behördlichen Eintragung aus. ''Eine Kopie der Ehe kann nicht die Lösung sein'', sagte Parteichef Wolfgang Gerhardt. Der PDS geht der Koalitionsentwurf dagegen nicht weit genug. Der Abstand der eingetragenen Partnerschaft zur Ehe sei nicht akzeptabel, sagte die PDS-Abgeordnete Christina Schenk.

Gesetz in zwei Teilen verabschiedet

Die rot-grüne Koalition hatte ihren Gesetzentwurf kurz vor der Abstimmung in zwei Teile gesplittet, um eine Blockade des gesamten Vorhabens durch den Bundesrat zu verhindern. Die Länderkammer wird voraussichtlich Anfang Dezember über das Gesetz beraten.

Der zustimmungsfreie Teil regelt neben der behördlichen Eintragung der Lebenspartner das Namensrecht, den Güterstand und zahlreiche weitere familienrechtliche Fragen. Die Lebenspartner sind künftig einander zur Fürsorge und Unterstützung sowie zur gemeinsamen Lebensgestaltung verpflichtet. Sie übernehmen damit umfassende gegenseitige Unterhaltspflichten.

Ebenfalls nicht der Zustimmung der Länder bedarf die Anerkennung der Lebenspartnerschaft im Mietrecht, im gesetzlichen Erbrecht, bei Kranken- und Pflegeversicherung, im Ausländergesetz und im Arbeitsförderungsrecht. Auch wird ein ''kleines Sorgerecht'' für Kinder geschaffen, die in einer Lebenspartnerschaft aufwachsen. Der zustimmungsfreie Teil wird voraussichtlich spätestens Mitte 2001 in Kraft treten.

Zustimmungspflichtig sind dagegen die Folgeregelungen im Öffentlichen Dienstrecht und im Steuerrecht. In diese Kategorie fallen aber auch die Pflichten für die Lebenspartner wie die Einbeziehung des Partnereinkommens in die Bedürftigkeitsprüfung bei Sozialhilfe und Wohngeld.

Agence France Presse - November 10, 2000

Bundestag nimmt rot-grünen Gesetzentwurf zur Homo-Ehe an - Vorhaben gegen heftige Kritik der Opposition verteidigt

Der Bundestag hat am Freitag mit den Stimmen der rot-grünen Koalition den Gesetzentwurf für homosexuelle Lebensgemeinschaften angenommen. Damit sollen schwule und lesbische Paare künftig eine eingetragene Partnerschaft eingehen können, die in vielen Bereichen der Ehe gleichgestellt ist. Die Koalition hatte das Vorhaben aufgesplittet, um den Kernbereich des Rechtsinstituts der eingetragenen Partnerschaft trotz der Ablehnung der Union umsetzen zu können. Dafür wurden die im Bundesrat zustimmungspflichtigen Teile und die zustimmungsfreien Passagen auf zwei Gesetzentwürfe aufgeteilt. FDP und PDS hatten ebenfalls mehrheitlich gegen den rot-grünen Gesetzentwurf im Bundestag votiert. Sie hatten eigene Vorschläge zur rechtlichen Besserstellung homosexueller Partnerschaften gemacht. Die erste Vorlage, die nicht die Zustimmung des Bundesrates benötigt, umfasst das eigentliche familienrechtliche Institut der Lebenspartnerschaft und regelt deren behördliche Eintragung. Enthalten sind außerdem das so genannte "kleine Sorgerecht" für schwule und lesbische Paare sowie Regelungen zum Miet-, Erb- und Ausländerrecht. Der zweite Gesetzentwurf, der die Zustimmung des Bundesrates benötigt, beinhaltet Regelungen zur steuerlichen Gleichstellung sowie Veränderungen im öffentlichen Dienstrecht und der Bedürftigkeitsprüfung bei Sozialhilfe und Wohngeld.

Vertreter der rot-grünen Koalition verteidigten im Bundestag das geplante Gesetz gegen heftige Kritik aus der Union. Die SPD-Abgeordnete Margot von Renesse betonte, es gebe eine Mehrheit dafür, dass Beziehungen zwischen zwei Männern oder zwei Frauen endlich anerkannt würden. Dies sei eine "Frage der Menschenrechte". Grünen-Fraktionschefin Kerstin Müller erinnerte daran, dass am Vortag mehr als 200.000 Menschen in Berlin für Toleranz und gegen Diskriminierung auf die Strasse gegangen seien. Nun habe der Bundestag die Gelegenheit, etwas gegen die Diskriminierung von Minderheiten zu unternehmen. Die SPD-Abgeordnete Hanna Wolf sprach von einem "längst überfälligen Akt der Wiedergutmachung nach Jahrhunderten" der Diskriminierung. Der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, sagte: "Ab heute sind Schwule und Lesben nicht mehr Bürger zweiter Klasse."

Der CSU-Abgeordnete Norbert Geis sagte dagegen, das Gesetz gefährde den besonderen Schutz der Familien. Daher müsse sorgfältig geprüft werden, ob nicht das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingeschaltet werden müssen. Geis betonte zudem, das Gesetz sei nicht notwendig, da es keine rechtliche Diskriminierung homosexueller Lebensgemeinschaften gebe. Gesellschaftliche Diskriminierung werde es immer geben, dies könne auch nicht per Gesetz verhindert werden. Ein Antrag der Union, die Debatte am Freitag zu vertagen, war abgelehnt worden.

taz, die tageszeitung - November 11, 2000

Überfälliger Akt der Versöhnung

 JAN FEDDERSEN
 
Gestern beschloss der Bundestag das Gesetz über die "Homoehe". Die Union drohte eine Verfassungsklage an

BERLIN taz Um 12.32 Uhr war es passiert. Mit den Stimmen von SPD und Grünen beschloss der Bundestag gestern in Berlin das Gesetz zu Eingetragenen Partnerschaften homosexueller Männer und Frauen. Applaus in der Mitte des Parlaments, wo SPD und Grüne sitzen, eisige Mienen an deren Rändern. Denn Union und FDP sowie einige PDS-Abgeordnete stimmten gegen das Gesetz. Die meisten PDS-Fraktionsmitglieder enthielten sich. Zu Beginn der Plenarsitzung hatte die Union noch versucht, die Debatte durch Geschäftsordnungsanträge zu vertagen. Man habe sich nicht ausreichend mit dem Gegenstand der Debatte vertraut machen können, sagte Norbert Geis, rechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion.. Von einem Vorwand sprach Alfred Hartenbach, der das Gesetz mitverantwortet hat. Schließlich sei die Geschäftsordnung des Hauses nicht verletzt worden. Die Union wolle nur jede inhaltliche Diskussion vermeiden, weil sie kompromisslos das gesamte Gesetzespaket ablehne.

In der anschließenden zweistündigen Debatte beklagte FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt, dass sich die Regierungsfraktionen auf kein parteiübergreifendes Reformwerk eingelassen hätten. Dabei verschwieg er, dass SPD und Grüne eben dies versucht hatten - was FDP und Union ablehnten.

Die PDS-Abgeordnete Christina Schenk lehnte das Gesetz gestern ebenfalls vehement ab. Sie befürworte eine Regelung, die "kein Sonderrecht für Homosexuelle" schaffe. Das jetzige Gesetz enthalte beispielsweise nicht die Adoption für Homosexuelle und sei von den Rechten und Pflichten weit unterhalb der Ehe angesiedelt.

Die SPD-Abgeordnete Hanna Wolf verteidigte das Gesetz als "längst überfälligen Akt der Wiedergutmachung an Schwulen und Lesben".. Aus der Union kam der Zwischenruf, dass alle monotheistischen Religionen (Christen- und Judentum) in ihren Schriften Homosexualität für unwert hielten.

Da sei das Grundgesetz offenkundig "barmherziger" als die Bibel, konterte SPD-Abgeordnete Margot von Renesse, zusammen mit dem Grünen Volker Beck maßgeblich an der Formulierung des Gesetzes beteiligt.

Ilse Falk von der Union berichtete, sie habe zahllose Briefe erhalten, in der ihrer Partei das C im Parteinamen abgesprochen würde, falls diese sich auf die homosexuelle Lebenspartnerschaft einlasse.

Falk wies dies zurück. Sie war die Einzige ihrer Partei, die sich überhaupt vorstellen mochte, dass es Regelungsbedürfnisse für homosexuelle Partnerschaften gibt.

Am Ende der Debatte, bei der rot-grüne Redner von der Union mit Worten wie "ehrlos" und "würdelos" bedacht wurden, mahnte Justizministerin Herta Däubler-Gmelin an die Demonstration vom Vorabend, auf der auch Unionspolitiker sich zur Toleranz bekannt hatten. Resonanz fand sie damit keine.

Nach der Abstimmung nahm Grünen-Fraktionschefin Kerstin Müller ihren Kollegen Volker Beck in den Arm und gab ihm einen dicken Kuss auf die Stirn. Die Union machte sich derweil an die Arbeit. Wortführer Norbert Geis: "Wir prüfen den Gang nach Karlsruhe."

JAN FEDDERSEN

Frankfurter Allgemeine Zeitung - November 11, 2000

11.17 UHR, REICHSTAG, PLATZ DER REPUBLIK
 
 
Die Debatte war alles andere als leidenschaftlich. Nach Johannes Singhammer (CSU), der von einer fehlgeleiteten Familienpolitik sprach, trat Christina Schenk (PDS) ans Pult, die den Gesetzentwurf der Regierungskoalition als diskriminierend ablehnte, weil er zwischen den Lebensformen Homosexueller und Heterosexueller immer noch zu sehr unterscheide. Dann sprach die Münchner SPD-Abgeordnete Hanna Wolf, die sich gegen den Begriff "Homo-Ehe" verwehrte ("Genauso wie der Leberkäse kein Käse ist, sind eingetragene Lebensgemeinschaften keine Ehen"), gefolgt von der CDU-Abgeordnete Ilse Falk, die dafür plädierte, "Anderssein und Andersdenken" zu ertragen. Etwas beschwingter war nur die Rede des Abgeordneten der Grünen Volker Beck. Beck gilt als Vater der Initiative für die Schaffung eingetragener Lebenspartnerschaften. Von nun an, so Beck, werde es mehr Familienfeste, Polterabende und sonstige freudige Ereignisse zu feiern geben: "Auch Sie, Herr Merz, werden Ihre Heimatzeitung aufschlagen und unter Bekanntmachungen Anzeigen sehen wie ,Peter Meier und Klaus Müller haben sich eintragen lassen'." Seine Rede schließt er mit den Worten: "An diesem Tag möchte ich Ihnen ein Geheimnis verraten." Rhetorische Pause. "Ein bisschen bin ich heute glücklich!" Den munteren Worten Volker Becks folgen die belehrenden Ausführungen der Bundesjustizministerin, die in dieser Debatte das letzte Wort hat. Im Plenum kommt Unruhe auf, Telefongespräche, Zeitungsgeraschel. Nach der Ministerin werden noch zwei Kurzreden gehalten, über deren Form und Länge Bundestagspräsidenten Antje Vollmer höflich, aber bestimmt wacht, eine des Abgeordneten Westerwelle (FDP) und eine des Abgeordneten Hartenbach (SPD). Als letzten Versuch, die Gesetzesinitiative der Koalition noch aufzuhalten, stellt der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion den Antrag, vor der Abstimmung die Staatssekretäre des Bundesinnenministeriums zu verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesinnenministers befragen zu dürfen. Der Antrag wird vom Plenum mehrheitlich abgelehnt. Antje Vollmer ruft nun zur Abstimmung auf. Für den Gesetzentwurf stimmen die Abgeordneten der Koalition. Gegen den Gesetzentwurf stimmen die Abgeordneten der CDU, der CSU und (bis auf eine Stimme) der FDP sowie eine Handvoll Abgeordnete der PDS. Mehrheitlich enthält sich die PDS-Fraktion der Stimme. Das Gesetz ist nun verabschiedet. In der ersten Reihe drückt die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Kerstin Müller, ihrem Nachbarn Volker Beck einen Kuss auf die Wange. 12.33 UHR avs

Süddeutsche Zeitung  – Mai 14, 2001

SPD begrüßt Ende der "Doppelmoral"

Beifall aus den Reihen der Rathaus-SPD für den rot-grünen Gesetzentwurf zur Prostitution. Eine Rechtsänderung sei "überfällig", sagt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Barbara Scheuble-Schäfer in einer gemeinsamen Erklärung mit der Münchner Bundestagsabgeordneten Hanna Wolf. Prostituierten den Zugang zur Sozialversicherung zu verschaffen und ihnen zu ermöglichen, sich auf andere Jobs umschulen zu lassen, sei notwendig, um die soziale Lage dieser Frauen zu verbessern. Bislang hätten Frauen, die aus dem Milieu aussteigen wollten, kein Geld vom Arbeitsamt bekommen können, da sie offiziell "gar keiner Tätigkeit" nachgegangen seien. Es sei an der Zeit gewesen, sagt Wolf, den Begriff der "Sittenwidrigkeit" aus dem Gesetz zu streichen und damit endlich die "Doppelmoral" zu beenden. math

DPA - AFX  – Mai 31, 2001

Schröder wirbt vor Bundestag für verantwortbare Gentechnik

  Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat vor dem Bundestag für eine maßvolle Öffnung bei der Gentechnik und der Embryonenforschung geworben. "Wir haben eine Verantwortung für das, was wir tun. Aber wir haben auch eine Verantwortung für das, was wir unterlassen", sagte er am Donnerstag mit Blick auf die Hoffnungen der Forscher im Kampf gegen schwerste Krankheiten. Deutlicher als bisher setzte sich der Kanzler damit von der kritischen Rede des Bundespräsidenten Johannes Rau zur Gentechnik ab, ebenso von Mahnungen seiner Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD).

Auch in der Union traten die unterschiedlichen Auffassungen zur Gentechnik zwischen CDU-Parteichefin Angela Merkel und CDU/CSU- Fraktionschef Friedrich Merz offen zu Tage. Die Kirchen bekräftigten ihre Ablehnung der Embryonenforschung.

WARNUNG VOR UBEREILTER ANDERUNG DES DEUTSCHEN EMBRYONENSCHUTZGESETZES

Schröder wie auch alle anderen Redner warnten allerdings in der vierstündigen, äußerst sachlich geführten Grundsatzdebatte vor einer übereilten Änderung des strengen deutschen Embryonenschutzgesetzes. Darüber soll erst in der nächsten Legislaturperiode entschieden werden - in einer Abstimmung ohne Fraktionszwang.

Nach Schröders Worten liegt das "eigentliche Potenzial" der Gentechnik in der Entwicklung neuer Medikamente und Heilverfahren. Das Gesetz erlaube die Erzeugung von Embryonen nur, um eine Schwangerschaft herbeizuführen, nicht aber zu Forschungszwecken. Der Kanzler: "Und ich denke, dabei sollte es auch bleiben." Allein in den deutschen Labors lagerten aber auf Eis mehr als 100 überzahlige Embryonen, die irgendwann einmal weggeworfen wurden. Angesichts dieser Alternative "wird uns die Frage nicht loslassen", ob diese Embryonen nicht doch für Forschungen eingesetzt werden können.

MAHUNG VOR UBERBEWERTUNG DER AKTÜLLE DISKUSSION UM PID

Der Kanzler mahnte zugleich vor einer Uberbewertung der aktuellen Diskussion um die Präimplantationsdiagnostik (PID) und den damit verbundenen Gentests bei im Reagenzglas erzeugten Embryonen. "Ist der Rubikon schon überschritten, wenn ein Diagnoseverfahren angewendet wird, was im Mutterleib erlaubt ist?", fragte Schröder unter Anspielung auf die äußerst ablehnenden Äußerungen Raus vor zwei Wochen.

Merkel forderte die deutsche Wissenschaft auf, im Rahmen eines Moratoriums die geplanten Forschungen an aus dem Ausland importierten embryonalen Stammzellen bis zu einem anderen Votum des Parlaments auszusetzen. Auch der Import solcher Embryos sei "nicht im Sinne" des strengen deutschen Gesetzes. Anders als CDU/CSU-Fraktionschef Merz wandte sich Merkel gegen "ein radikales Nein" bei PID, verlangte aber zuvor eine grundlegende politische Entscheidung.

Merz hatte zuvor gewarnt, mit PID werde der Selektion von Kindern "Tür und Tor geöffnet". Auch in der SPD ist diese Technik heftig umstritten. Wahrend die SPD-Politikerin Margot von Renesse, Vorsitzende der Bundestags-Ethik-Kommission, eine begrenzte Zulassung unter strengen Auflagen für möglich halt, verlangte ihre Fraktionskollegin, die Frauenpolitikerin Hanna Wolf, ein klares Nein.

Die Grünen plädierten in der Debatte geschlossen gegen PID. Ihre frühere Gesundheitsministerin Andrea Fischer sagte, keine noch so ernst gemeinte Begrenzung ließe sich später in der Praxis einhalten. Werde erst einmal der Zeitpunkt, wann menschliches Leben tatsachlich beginne, "unter Nutzenkriterien" definiert, so lasse sich diese Grenze jederzeit verändern. Der Grünen-Fraktionschef Rezzo Schlauch versicherte allerdings, seine Partei stehe in der Gentechnik nicht in "Fundamentalopposition". Ziel sei eine enge Verbindung zwischen Forschungsfreiheit und ethischer Verantwortung.

FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt wies Kritik zurück, seine Partei habe sich ihr klares Ja zu PID und zu einer Ausweitung der Embryonenforschung zu leicht gemacht. Angst vor möglichen Missbrauch dürfe eine Gesellschaft "nicht kopflos machen". Man dürfe nicht auf die britischen und französischen Nachbarn herab blicken, weil sie bei der Gentechnik anders entschieden hatten, als dies in Deutschland "die Fundamentalisten empfehlen". Die FDP wolle bei der Gentechnik "kein Wild-West", sondern Hilfe für Kranke in engen Grenzen, sagte die FDP-Politikerin Ulrike Flach.

Die PDS warnte eindringlich vor der Ausweitung von Gentests im Arbeitsleben und bei der Krankenversicherung. "Ich bin lieber ein Bedenkenträger als ein Träger von Gedankenlosigkeit", sagte PDS- Fraktionschef Roland Claus./th/DP/ep

taz, die tageszeitung  – Juli 4, 2001

Ein bisschen fördern statt fordern  

Die Regierung ist umgefallen: Die Wirtschaft verspricht, ihren Mitgliedern frauenfreundliche Maßnahmen zu empfehlen - Pflichten bleiben ihr erspart

von HEIDE ÖSTREICH

Passgenau kam die Warnung: 30.000 Unternehmen in Deutschland droht die Schließung, eine Million Arbeitsplätze seien gefährdet, meldet der Bundesverband mittelständischer Wirtschaft. Warum? Weil die Chefs keine Nachfolger mehr finden. Der Mittelstand, der am vehementesten darüber klagte, dass man sich nicht mit Firlefanz wie der Qualifizierung von Frauen und familienfreundlichen Arbeitszeiten aufhalten könne, findet plötzlich keinen Führungsnachwuchs mehr. Na so was. Da gab es doch mal die Idee, der Wirtschaft mit einem Gleichstellungsgesetz auf die Sprünge zu helfen, das den Unternehmen genau diese Maßnahmen verpasst hätte. Dann sähe der Nachwuchsmangel vielleicht nicht ganz so gravierend aus. Vorbei. Am Montagabend haben Kanzler Schröder, Wirtschaftsminister Müller und die Unternehmerverbände eine "Vereinbarung" getroffen: Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) und der Bund der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) versprechen, ihren Mitgliedern einen bunten Strauss an frauen- und familienfreundlichen Maßnahmen zu empfehlen, die Regierung verspricht, dass sie auf keinen Fall ein Gesetz macht, wenn die Vereinbarung "erfolgreich umgesetzt" wird. Ach ja, Frauenministerin Bergmann war auch dabei. Um daran zu erinnern, dass die Vereinbarung ja fast genauso aussieht, wie ihr Gesetzentwurf. Nur steht nicht Gesetz drüber, es steht auch nicht Verpflichtung drüber, sondern: Die Verbände "empfehlen".

"Da bleibt einem die Sprache weg", ist das Erste, was der Frauenreferentin des DGB, Maria Kathmann, dazu einfällt. "Den Teufel werden die Unternehmen tun", sagt die Gewerkschaftsfrau. Einlullen lassen habe sich die Regierung. Eine herbe Enttäuschung nennt auch die Arbeitsrichterin Ingrid Weber vom Deutschen Juristinnenbund das Arrangement. Weber hatte in der Expertinnengruppe des Frauenministeriums an dem Gesetzentwurf mitgearbeitet. Die Vereinbarung sei die "Garantie dafür, dass das Gesetz nie kommen wird". Es heißt dort, dass die Empfehlungen der Verbände von einer Kommission begleitet und überprüft werden. Diese mit Vertretern der Unternehmerverbände und der Politik besetzte Gruppe "Chancengleichheit und Familienfreundlichkeit der Wirtschaft" werde die Maßnahmen 2003 erstmals und danach alle zwei Jahre evaluieren. Dann werde sie Empfehlungen entwickeln, wie mit dem Thema weiter umzugehen sei. "Es gibt keine verbindlichen Maßstäbe", klagt Weber. Der Gesetzentwurf hätte die gleichen Regelungen verbindlicher gemacht.

Frauenministerin Bergmann dagegen betrübt dies nicht: "Ein Durchbruch" sei die Vereinbarung, verkündet sie frohgemut, und in ihrer Presseerklärung wimmelt es nur so vor "Verpflichtungen". Zu einer Situationsanalyse "verpflichten sich" die Unternehmen angeblich, und zu "geeigneten betrieblichen Maßnahmen". Für den BDI allerdings sieht die Verpflichtung ganz anders aus: "Wir werden unsere Mitglieder wahrscheinlich über ein Rundschreiben informieren. Ob es gleich zu einer Broschüre reicht, weiß ich nicht", erklärt der Pressesprecher. Aber die Arbeitsmarktlage werde den Unternehmen schon auf die Sprünge helfen. Gerade davon sind die Frauenverbände nicht überzeugt: "Sie sehen doch an der Green Card, dass alles andere passiert, als dass man Frauen in die Firmen holt", sagt Maria Kathmann. Und Richterin Weber betont: "Frauen sind doch keine Lückenbüßerinnen. Nach Artikel drei des Grundgesetzes muss die Gleichstellung gefördert werden. Diesen Artikel nimmt die Regierung nicht ernst."

Hatten die Fraktionen noch vor kurzem gedroht, den Gesetzentwurf vom Parlament aus auf den Weg zu bringen, sollte die Verpflichtung der Wirtschaft nicht überzeugend sein, so ist diese Hoffnung nun dahin. Während die frauenpolitische Sprecherin der SPD, Hanna Wolf, noch bis nach der Sommerpause prüfen will, gab Fraktionschef Struck schon mal die Linie vor: Bergmann habe von einem Durchbruch gesprochen, ein Gesetz sei damit unnötig. Bergmann allerdings lässt sich nicht verdrießen: Man werde die Evaluation 2003 abwarten. "Und wenn sich nichts getan hat," so Bergmann zur taz, "dann liegt das Gesetz wieder auf dem Tisch."

Süddeutsche Zeitung - November 13, 2001

Schwule Schuhplattler tanzen im Reichstag

Berlin - Zwölf schwule Schuhplattler wollen sich am Donnerstag mit einem Folklore-Tanz in der Kuppel des Reichstags für das Lebenspartnerschaftsgesetz bedanken. Sie seien der lebende Beweis dafür, das Schwul-Sein selbst im bayerischen Brauchtum seinen Platz haben könne, hieß es in einer Mitteilung der Münchner SPD-Bundestagsabgeordneten Hanna Wolf. Die so genannten "Schwuhplattler" kommen mit einer Besuchergruppe der SPD- Politikerin in die Bundeshauptstadt. Das Bundesgesetz, das homosexuellen Paaren weitgehend gleiche Rechte und Pflichten einräumt wie Ehepaaren, war zum 1. August in Kraft getreten. Als letztes Bundesland hatte Bayern die Homo-Ehe landesrechtlich umgesetzt. dpa

AP Worldstream - November 21, 2001

"Ich bin sehr glücklich über diesen Parteitag"
Zufriedener Bundeskanzler Kanzler lobt zufriedene Delegierte beim SPD-Parteiabend

 Korrespondentin Isabell Scheuplein

"Jetzt seid mal eben ruhig". Ein Satz vom Bundeskanzler genügt zum Auftakt des SPD-Parteiabends in Nürnberg, und die eben noch wild durcheinander redenden Genossen lauschen Gerhard Schröder einhellig. Der lobt prompt das "Maß an Geschlossenheit" auf dem Parteitag, das viele Beobachter nicht erwartet hätten. "Ich bin glücklich über diesen Parteitag", sagt Schröder mit einem zufriedenen Lächeln. Glück und Zufriedenheit macht sich zwischen den hoch aufgetürmten Büfetts auch unter den Genossen breit. "Wir lieben Gerhard Schröder", sagt Wolfgang Grotthaus, Bundestagsabgeordneter aus Oberhausen, mit breitem Grinsen. "Wir müssen zu unserem Kanzler und Parteivorsitzenden stehen, wenn wir diese Republik verändern wollen", fügt er ernst hinzu.

Schröder war mit 88,6 Prozent als Parteivorsitzender wiedergewählt worden, und auch sein innen- und außenpolitischer Kurs stieß auf dem Parteitag auf keine nennenswerte Ablehnung. Nach der überstandenen Vertrauensfrage im Bundestag vom Freitag äußerten die Delegierten in ihren Redebeiträgen kaum Kritik. "Man lässt seinen Kanzler doch nicht ohne eigene Mehrheit stehen, und dass er die Richtlinien der Politik und der Partei vorgibt, versteht sich von selbst", erklärt Grotthaus.

Natürlich habe es intensive Diskussion gegeben vor der Entscheidung über den Einsatz der Bundeswehr im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Innerhalb der Fraktion, wie auch zu Hause im Ortsverein sei das Für und Wider genau abgewägt worden. Schließlich habe man sich, wenn auch oft mit Murren, der Meinung der Mehrheit angeschlossen. "Es ist doch nichts Negatives, wenn man mit der Leitfigur einer Meinung ist", sagt der Abgeordnete. Zum Kanzlerwahlverein sei die SPD deshalb noch lange nicht geworden.

"Diskussionen finden statt, das war schon immer so, und das ist auch jetzt noch so", sagt Elia Albrecht-Mainz, stellvertretende Vorsitzende des Unterbezirks Oberhausen. Das zeigten alleine die Abstimmungen, von denen schließlich keine mit 100 Prozent ausgegangen sei.

"Wir werden nie zum Kanzlerwahlverein", ist sich auch Rita Schmiele, Delegierte aus dem Bezirk Hessen-Süd, sicher. "Das hieße, dass wir eine Vorlage bekämen, und nicht wagten, dazu etwas zu sagen." Die Themen, die der Parteitag mit großer Mehrheit und ohne große Diskussion verabschiedet habe, seien bereits vor dem Parteitag breit diskutiert worden, sagt Schmiele. Da könne es bei Einwanderung und innere Sicherheit gar keinen großen Dissens in der Partei mehr geben. Und angesichts der Bedrohung durch den Internationalen Terrorismus sei es keine Frage, dass alle zusammenstehen müssten.

SPD soll nicht zum Chaotenverein werden

Die SPD trage Regierungsverantwortung und da könne auf dem Parteitag nicht Alles und Jedes diskutiert werden, sagt Gisela Schröter, Mitglied der Antragskommission aus Thüringen. "Da würden wir ja sonst zum Chaotenverein." Die Vertrauensfrage habe die gesamte Partei "sehr, sehr bewegt". In der SPD werde aber keine Meinung glatt gebügelt. Schließlich habe der Bundeskanzler wissen müssen, dass seine Fraktion hinter ihm stehe. Und die Vokabel "Kanzlerwahlverein" verbinde sie ausdrücklich nur mit der CDU unter dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl, betont Schröter.

"Schröder hat eine herausragende Arbeit gemacht, gerade im letzten Jahr", sagt die Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf aus München. Da habe er die breite Unterstützung voll verdient. Dennoch kritisiert sie, dass die dominanten Themen wie der Kampf gegen den Terrorismus andere überdeckten. Gerade über die Risiken der Biotechnologie hätte der Parteitag viel mehr diskutieren müssen. "Schließlich ist das das Thema der Zukunft", sagt sie.

Süddeutsche Zeitung  – Dezember 3, 2001 Pg. 43

Kein sicherer Platz für Moosbauer

Wenn sich Bayerns SPD am kommenden Samstag in Erlangen im Redoutensaal trifft, ist nicht nur mit einem Scharmützel, sondern mit einer Schlacht zu rechnen. Für München geht es dabei um viel - und zwar darum, wie gut die Landeshauptstadt durch SPD-Abgeordnete in Berlin vertreten sein wird. Nachdem es zunächst so aussah, als ob Bayerns DGB-Chef Fritz Schösser, der erneut im Münchner Osten gegen Berti Frankenhauser (CSU) antritt, keinen sicheren Platz auf der Liste bekommen würde, droht dieses Schicksal nun einem der Hoffnungsträger der Münchner SPD: Christoph Moosbauer. Er war ursprünglich auf den sicheren Platz 9 der Liste gesetzt und rutschte nun, nach der SPD- Präsidiumssitzung in Nürnberg, auf den ziemlich aussichtlosen Rang 35 ab, auf dem zuvor Schösser gelegen hatte. Der Münchner SPD-Vorsitzende Franz Maget, der auch Chef der SPD- Fraktion im Maximilianeum ist, will das nicht akzeptieren. "Das kann so nicht bleiben", sagte Maget gestern zur SZ. Bliebe Moosbauer auf Platz 35, wäre er zum direkten Gewinn in München-Süd verdammt, was angesichts seiner Gegner (der frühere Münchner CSU-Chef Peter Gauweiler und der Grünen-Landeschef Jerzy Montag) kein Spaziergang wird.

Der heute 32-jährige Moosbauer stand früher an der Spitze der Münchner Jusos, nahm 1998 Erich Riedl (CSU) das Direktmandat ab und hat sich mittlerweile im Bundestag einen Namen gemacht. "Er ist für uns sehr wichtig", sagte Maget und kündigte an, dass er zusammen mit OB Christian Ude dafür kämpfen werde, damit Moosbauer aussichtsreich platziert wird. Moosbauer selbst hatte bereits im Vorfeld der nun erfolgten Rochade zur SZ gesagt, dass er einen solchen Wechsel für "nicht vermittelbar" halte, und auch Schösser bekräftigte noch am Freitag: "Christoph Moosbauer darf nicht auf der Strecke bleiben."

Axel Berg, der 1998 durch einen Sieg über den CSU-Bezirkschef Johannes Singhammer den direkten Sprung in den Bundestag schaffte, ist noch schlechter platziert. Stephanie Jung, die im Westen die Nachfolge von Hanna Wolf antritt und gegen den ehemaligen Kreisverwaltungsreferenten Hans-Peter Uhl (CSU) kaum eine Chance hat, liegt auf Platz 32. Ihr kommt die Frauenquote zugute: Als einzige Frau im Münchner Kandidaten-Quartett rutschte sie deshalb nach vorn.

Angesichts des guten Ergebnisses, das die Oberbayern - insbesondere die Münchner - bei der Bundestagswahl 1998 einfuhren, müssten sie mit zehn sicheren Plätzen auf der Liste belohnt werden. Der oberpfälzische Chef der SPD- Landesgruppe im Bundestag, Ludwig Stiegler, will den Oberbayern aber - wie berichtet - nur noch sechs sichere Plätze gönnen. Was sicher ist, entscheidet allerdings der Wähler. Schneidet die SPD im Herbst 2002 schlechter ab, dürften es kaum nochmals 34 Abgeordnete aus Bayern nach Berlin schaffen.

Die Tatsache, dass Bayerns SPD Wahlen vor allem oder nur in München gewinnen kann, wurde bereits 1994 bewiesen. Damals holte Ulrike Mascher in München-Mitte das einzige Direktmandat in ganz Bayern.

Berthold Neff

Frankfurter Allgemeine Zeitung, Mai 8, 2002

Veränderungen an der Basis

 Wer von der SPD nicht mehr für den Bundestag kandidiert / Von Günter Bannas
BERLIN, 7. Mai

Die Funktion der SPD als Regierungspartei hat es mit sich gebracht, dass sich die Zusammensetzung der SPD-Bundestagsfraktion nach der Bundestagswahl nicht in den oberen Rängen, sondern an der Fraktionsbasis verändern wird. Die örtlichen Gliederungen und die Landesverbände gingen bei der Nominierung der Direktkandidaten und bei der Aufstellung der Landeslisten mit dem politischen Führungspersonal pfleglich um. Nicht ein Minister und auch kein führendes Mitglied der Bundestagsfraktion muss darum bangen, in der nächsten Wahlperiode dem Parlament wieder anzugehören. Selbst der früher in der Partei wenig gelittene Abgeordnete Schily wurde anders als früher ganz vorn plaziert - weil es der Bundeskanzler und Parteivorsitzende Schroeder so wollte. Die Minister Eichel und Riester, die bislang dem Bundestag nicht angehören, sind abgesichert. Auch Minister, die - wie Rudolf Scharping oder Ulla Schmidt - im eigenen Betrieb umstritten sind, brauchen nichts zu befürchten. Diszipliniert haben die Partei und ihre Gliederungen darauf geachtet, dass aus der Aufstellung der Bundestagskandidaten kein öffentlicher Streit entsteht. Die kommende SPD-Fraktion wird in ihrem Mittel- und Unterbau das Gesicht verändern. Etwa 80 der zuletzt 293 Abgeordneten kandidieren nicht wieder dazu werden einige nicht zurückkehren, weil sie auf den Landeslisten nur "unsichere" Plätze erhalten haben und ihre Wahlkreise alles andere als "sicher" sind. Deren Schicksal dürfte für die Außenwirkung der Partei keine Rolle spielen. Für den Binnenbetrieb des Fraktionsapparates waren sie von Bedeutung. Anders als die Unionsfraktion ( führende Politiker der Ära Kohl wie Blüm, Waigel, Rita Süssmuth, Seiters, Bohl werden dem nächsten Bundestag nicht wieder angehören) wird die SPD "bekannte Gesichter" nicht verlieren.

Eine Ausnahme gibt es: Anke Fuchs, die in den letzten Monaten der Amtszeit Bundeskanzler Schmidts Jugendministerin, später SPD-Bundesgeschäftsführerin, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und in der zu Ende gehenden Legislaturperiode Bundestagsvizepräsidentin war, kandidiert nicht wieder für den Bundestag. Diesem hatte sie seit 1980 angehört.

Kennzeichnend für den bevorstehenden Wandel sind die Parlamentarischen Staatssekretäre, die ausscheiden werden. Siegmar Mosdorf ist schon im März aus dem Wirtschaftsministerium in die Wirtschaft gewechselt. Es wird wohl ein Abschied von der Politik sein. Mosdorf gehörte zu den - schrödernahen - marktwirtschaftlichen "Modernisierern" in der Partei, was auch einen Teil seiner Schwierigkeiten mit der SPD erklärt. Weitere Parlamentarische Staatssekretäre werden die Fraktion verlassen. Wolf-Michael Catenhusen (Forschungsministerium) gehört dazu, der der Fraktionslinken zuzurechnen ist, ohne einer ihrer Ideologen gewesen zu sein. Auch die "Parlamentarischen" des Justizministeriums (Eckhart Pick), des Sozialministeriums (Ulrike Mascher) und des Familien- und Jugendministeriums (Edith Niehuis) werden aus dem Bundestag ausscheiden, werden also auch ihre bisherigen Regierungsfunktionen verlieren, selbst wenn die SPD weiterhin an der Regierung beteiligt bleiben wird.

Die parlamentarische Linke der Fraktion wird zwei ihrer Kämpfer verlieren. Nach drei Wahlperioden scheidet der Niedersachse von Larcher aus, der den Zusammenschluss der SPD-Linken - zu Schroeders Verdruss - einige Zeit organisiert hatte. Auch der links angesiedelte Kölner Abgeordnete Gilges wird nicht mehr kandidieren - wie überhaupt alle Kölner Abgeordneten (neben Gilges und Frau Fuchs sind dies Oesinghaus und Schultz) nicht mehr in den Bundestag zurückkehren werden.

Die Innen- und Rechtspolitiker verlieren neben Pick den Polizeifachmann Graf und die Rechtspolitiker Jürgen Meyer und Margot von Renesse. Es gehen auch der Sicherheitspolitiker Schloten, der frühzeitig dafür gestritten hatte, dass die Partei Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht länger vorbehaltlos ablehne, sowie die Berliner Sozialpolitikerin Renate Rennebach, der Saarländer Lothar Fischer und die Frauenpolitikerin Hanna Wolf.

Die schon jetzt abzusehenden Veränderungen in der SPD-Fraktion kennzeichnen auch den Beginn eines Generationenwechsels. Die überwiegende Zahl der Ausscheidenden stammt aus den Jahrgängen zwischen 1940 und 1945, jener Altersgruppe also, die in der SPD besonders stark vertreten ist. Die ehedem "Enkel" genannten Sozialdemokraten wie Schroeder, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Scharping und Herta Däubler-Gmelin bleiben zwar alle; doch sie verlieren ihre Altersgenossen. Die meisten von diesen waren drei oder vier Legislaturperioden im Bundestag; auch das ist eher die Regel des parlamentarischen Betriebes als die Ausnahme. Nur zwei der jetzt Ausscheidenden waren schon im Bundestag, als Willy Brandt noch Bundeskanzler war: Hans-Eberhard Urbaniak - sozialdemokratisches "Urgestein" aus Dortmund - war im März 1970 in den Bundestag nachgerückt; der Wirtschaftspolitiker Jens wurde 1972 in das Parlament gewählt.

taz, die tageszeitung, Mai 13, 2002

Mehr Kinder, mehr Stimmen

HEIDE OESTREICH

16 Millionen junge Deutsche ohne Wahlrecht. Ein Skandal? Um Kindern mehr Einfluss zu verschaffen, bildet sich mal wieder eine bunte Allianz für das Familienwahlrecht

BERLIN taz Als ahnten sie bereits, dass den vollmundigen Wahlversprechen für Familien wenig Taten folgen würden, werben die eifrigsten unter den Familienpolitikern dieses Jahr mal wieder für ein "Familienwahlrecht". Der Familienverband will es ebenso wie Roman Herzog und Rainer Eppelmann (CDU), Renate Schmidt oder Lore-Maria Peschel-Gutzeit (SPD).

Das Wahlvolk wird immer älter, die Lobby für die Kinder damit immer dünner - so eines der Argumente für das Familienwahlrecht -, da wäre es nur gerecht, mit dem Satz "Alle Gewalt geht vom Volke aus" mal Ernst zu machen und auch die Kinder wählen zu lassen. Ein Mensch - eine Stimme? Nicht direkt. So viel Demokratie wollen die Kinderrechtler den Knirpsen nicht zumuten. Die Eltern sollen für sie mitwählen. Eltern mit drei Kindern hätten also nicht zwei, sondern fünf Stimmen. Das hält die ehemalige Hamburger Justizsenatorin Peschel-Gutzeit durchaus für verfassungskonform, schließlich sei es erlaubt, seine Stimme mittels einer "Vertrauensperson" abzugeben. Mit 16 Millionen mehr Stimmberechtigten hätte sich damit die schönste Kinderlobby gebildet, so das Kalkül. Denn die Eltern, meinen die vereinigten MenschenfreundInnen, geben die Kinderstimmen der Partei, die am meisten für die Kleinen bietet. So jedenfalls die Hoffnung.

Aber tun die Eltern das auch? Wer garantiert, dass Eltern nicht nach ganz anderen Interessen abstimmen als nach denen ihrer Kinder? Was tut der CSU-Wähler, dessen 17-jährige Tochter ihn bittet, für sie die Grünen zu wählen? Wer von den Eltern stimmt für das Einzelkind?

Einzelne katholische Gemeinden praktizieren das Familienwahlrecht bei ihren Pfarrgemeinderatswahlen. Doch ob da Herr Müller oder Frau Meier die Übungszeiten des Kinderchors festlegen, ist vielleicht doch weniger ausschlaggebend als die Zusammensetzung des Bundestages. Auch dass die rechtsextremistische Front National in Frankreich das Familienwahlrecht seit langem propagiert, lässt aufhorchen: Populismuspotenzial ist augenscheinlich vorhanden.

Das größte Problem liegt wohl in der Halbheit des Vorschlags: Kinder sollen ein Wahlrecht haben, aber ausüben dürfen sie es nicht. Damit ist die Wahl nicht "allgemeiner" als zuvor. Sie nähere sich eher wieder dem preußischen Dreiklassenwahlrecht an, bemerkte denn auch die familienpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag, Hanna Wolf. Zudem entmündige das Familienwahlrecht die Kinder, weil andere stellvertretend für sie handelten.

Wolf findet Vertretungen besser, in denen die jungen Leute ein direktes Mitspracherecht haben. Über Jugendparlamente beispielsweise könnten sie geeigneten Einfluss auf die Politik in ihrer Region nehmen.

HEIDE OESTREICH

Süddeutsche Zeitung 9. Sept. 2002

Die Wahl 2002 - Abgearbeitet

Drei Münchner ziehen sich aus dem Bundestag zurück
Von Jan Bielicki

Neulich ist sie zum Schwimmen gefahren. An den Starnberger See, an einem Sonntagabend, einfach so. Sie hat es genossen. „Sonst“, sagt Hanna Wolf, „saß ich zu der Zeit immer im Flugzeug.“ Nach Köln/Bonn, später nach Berlin – wie in dieser Woche wohl zum vorletzten Mal, jedenfalls mit dem Plastikkärtchen, das sie als Mitglied des Deutschen Bundestages ausweist. Denn an diesem Freitag tagt der 14. Bundestag das letzte Mal, und wenn im Oktober nach der Wahl das Parlament seine 15. Legislaturperiode beginnt, werden die alten und die neu gewählten Abgeordneten einmal noch zusammen kommen. Danach ist Hanna Wolf (München), SPD, eine Ex-Abgeordnete – egal, wie die Wahl ausgeht. Denn sie tritt nicht mehr an.

Auch die Namen Ulrike Mascher und Aribert Wolf werden die Wähler am 22. September nicht auf den Stimmzetteln finden. Die beiden SPD-Frauen und der CSU- Mann kandidieren nicht mehr – drei der bisher elf Münchner Abgeordneten scheiden damit ganz bestimmt aus dem Parlament aus. Am Wahlabend werden zwar noch weitere zu den Aussteigern stoßen, der Liberale Ulrich Irmer etwa und der Grüne Gerald Häfner, die sich zwar noch als Direktkandidaten versuchen, aber von ihren Parteien nicht auf der Liste abgesichert sind. Doch mehr oder minder freiwillig ausgestiegen sind nur Mascher und die beiden Wolfs.

Es sei „gut zu gehen, wenn es die meisten noch bedauern“, begründet Hanna Wolf ihr Servus. „Sehr gelassen und immer noch fröhlich“ fühlt sie sich. Immerhin saß die 66-Jährige „zwölf spannende, entscheidende Jahre“ im Parlament. 1989, als die SPD sie zur Kandidatin wählte, war Deutschland noch zweigeteilt. Für die gebürtige Mecklenburgerin Wolf, die ihr Abitur in der DDR gemacht hatte, waren die Wiedervereinigung und der Parlamentsumzug von Bonn nach Berlin damit „so etwas wie ein Ringschluss in meiner Biografie“.

Auch sonst sieht sie die Republik verändert – und zwar gerade dort, wo es ihr wichtig war: in der Frauenpolitik. Wolf zieht „eine gute Bilanz“: Vieles habe sie erreicht – und zählt auf, was sie und die anderen „Powerfrauen, die wir 1990 so viele nach Bonn gekommen sind“, durchgesetzt haben: den liberalen Abtreibungsparagraphen 218 in einer Zeit, als „mit den Memminger Abtreibungsprozessen noch Frauenverfolgung herrschte“ im Land. Vergewaltigung in der Ehe wurde ein Offizialdelikt, die Verjährungsfrist bei sexuellem Missbrauch verlängert, zuletzt Frauen per Gesetz besser vor häuslicher Gewalt geschützt. Die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ist Rot-Grün angegangen. „Wir haben“, glaubt Wolf, „ein neues Gesellschafts-Ethos geschaffen.“ Sie jedenfalls meint, alle meine Themen abgearbeitet zu haben: „Mehr kann ich nicht mehr machen.“

Ulrike Mascher dagegen hat beim Aufhören auch ein paar „sicher bittere“ Gefühle, geweckt von der nach wie vor hohen Arbeitslosigkeit. Immerhin ist sie noch Parlamentarische Staatssekretärin im Arbeitsministerium, das die Zahlen verwaltet. Jetzt, im Wahlkampf, muss sie sich verteidigen, gestern in Dessau und Regensburg, morgen in Kempten und Weilheim: „Wir sind nicht untätig dagesessen.“ Auch sie zählt gerne auf, was sie geleistet hat: Gleichstellungsgesetze für Behinderte, Rentenreform, Armutsberichte. Nur: „Was können Sie gegen die Arbeitslosigkeit tun?“ – wenn darüber nicht im Ministerium, „sondern bei Siemens“ entschieden wird: „Das beste Arbeitsamt schafft keine Arbeitsplätze.“

Auch Mascher kam 1990 in den Bundestag. Vorsitzende des Sozialausschusses war sie, dann, als die SPD die Regierung übernahm, eben Staatssekretärin im Ressort mit dem größten Etat – und damit die Münchner Abgeordnete mit dem meisten Einfluss. Doch nachdem ihr Wahlkreis München-Mitte der Verkleinerung des Bundestags zum Opfer fiel, stand sie vor einer Zäsur. Für die SPD einen Wahlkreis etwa in Schongau zu übernehmen, nein, sagt sie, „das hätte bei einer Großstadtpflanze wie mir aufgesetzt gewirkt“. Sie hat sich entschieden: „Es gibt ein Leben nach der Politik.“ In dem sei man endlich Herr über die eigene Zeit, kann ins Theater gehen – und Politik betreiben: Stellvertretende bayerische SPD-Vorsitzende bleibt die 62-Jährige vorerst, die SPD-nahe Georg- von-Vollmar-Akademie wird sie leiten: „Ich werde mich nicht zur Ruhe setzen.“

Mit seinen 42 Jahren will Aribert Wolf das natürlich erst recht nicht. „Vorläufig das letzte Mal“ wird er in dieser Woche im Bundestag sitzen – so spricht einer, der noch Pläne hat. Er nahm ja auch nicht ganz freiwillig Abschied, auch wenn er sagt, dass er sich „am Ende doch freiwillig zurückgezogen“ hat. Damals, als der Parteifreund Peter Gauweiler ihn aus dem Wahlkreis Süd drängte und dabei den OB-Kandidaten Wolf bereits unreparierbar beschädigte. Bald war Wolf nicht nur den Wahlkreis und Listenplatz los, sondern auch die OB-Kandidatur, zusammen „schon eine Brutalstbelastung“, wie er sich erinnert.

Zumal gerade für einen Abgeordneten in vier Jahren Opposition Erfolgserlebnisse rar bleiben: „Man lernt die Akteure hautnah kennen, man lernt, über welche Stränge was läuft, aber durchsetzen kann man wenig.“ Jetzt arbeitet der Jurist in einer Medienfirma – aber „auf meinen politischen Gestaltungswillen verzichte ich nicht“. In den Landtag will er nun, vorerst und wenn er sich diesmal in seiner CSU durchsetzt.

Da hat Hanna Wolf ganz andere Ziele. Mit Video und digitalen Kameras will sich die gelernte Pressefotografin nun beschäftigen – und endlich tun, wozu eine Abgeordnete nicht kommt: „Endlich wieder München kennen lernen.“

 

Anhang: Veranstaltungen

März 1, 1993

Diskussionsabend über Probleme mit dem Nahverkehr
Nach Herausforderungen und Lösungsmöglichkeiten im öffentlichen Personennahverkehr wollen die Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf und Bürgermeister Christian Ude auf einem Diskussionsabend am Freitag, 5. März, um 19 Uhr, im Intercity-Hotel (Bayerstrasse 10, Salon Die Galerie) suchen. Franz-Josef Kniola, Minister für Stadtentwicklung und Verkehr in Nordrhein-Westfalen, wird zur Einführung einen Vortrag halten. Auf dem Podium sitzen: Heinz Simons, Vizepräsident der Bundesbahndirektion München; MVV-Geschäftsführer Dieter Lippert; Stadtbaurätin Christiane Thalgott; Hans-Günter Naumann, verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, und Heiner Rogge, Leiter der Verkehrsabteilung der Industrie- und Handwerkskammer für München und Oberbayern. emj

Mai 28, 1993

Paragraphen und Praxis Podiumsdiskussion mit Hanna Wolf, Jutta Bartling, Helga Poschenrieder, Heidi Spanl, Christine Hofmann, Moderation: Cornelia Maierhofer über die Gesetzentwürfe zur Verjährungsfrist bei sexuellem Missbrauch, Vergewaltigung in der Ehe u.a. Veranstaltungsreihe des Frauennotrufs München Sexuelle Gewalt - verjährt und nicht vergessen. 20 Uhr, Gasteig, Raum 0.131.

August 24, 1993

SPD-Diskussion auf dem Rotkreuzplatz
Die Stadtpolitik von A bis Z - darüber wollen heute nachmittag auf dem Rotkreuzplatz der Oberbürgermeister-Kandidat der SPD, Christian Ude, Stadträtin Angelika Gebhardt und die Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf mit Bürgerinnen und Bürgern aus dem Münchner Westen diskutieren. Geplante Dauer: 16 bis 18 Uhr. ehh

Februar 19, 1994

Wunden, die nie heilen werden
Das Leid der Frauen in Bosnien steht im Mittelpunkt einer Ausstellung, die Bürgermeisterin Sabine Csampai am Sonntag um 19.30 Uhr im Carl-Orff-Saal des Gasteigs eröffnen wird. Unter dem Titel Den Krieg überleben werden bis zum 13. März Photos von Christel Becker-Rau mit Texten von Erica Fischer gezeigt. Zur Eröffnung findet eine Podiumsdiskussion über Völkermord und Vergewaltigungen in Bosnien statt, mit Hanna Wolf, SPD, Roswitha Riess, CSU, Maria Duic von der Münchner Informationsstelle für Flüchtlingsfrauen, und Azra Blazvic, ehemalige Lager-Inhaftierte. Die Moderation hat ZDF-Redakteurin Maria von Welser, deren Dokumentarfilm Am Ende wünschst du dir nur noch den Tod vor der Diskussion gezeigt wird. Christel Becker-Rau

März 14, 1994

SPD erörtert Fragen zur Beschäftigungspolitik
München hat zwar im Vergleich mit anderen deutschen Großstädten immer noch die geringste Arbeitslosigkeit, dennoch ist auch hier die Zahl der Arbeitslosen stark angestiegen. Viele Münchnerinnen und Münchner machen sich zunehmend Sorgen um ihren Arbeitsplatz. Am morgigen Dienstag beginnt um 19 Uhr im Hofbräukeller am Wiener Platz eine Fachdiskussion der Münchner SPD, welche die Frage zu klären versucht, wie Arbeitsplätze erhalten, neue geschaffen und die Arbeit gerecht verteilt werden können. An der Veranstaltung nehmen die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer, Manfred Rademacher sowie die Bundestagsabgeordneten Hanna Wolf und Peter Glotz teil.bred

März 16, 1994

Waffenexport: Erleichtern, einschränken, verbieten? Podiumsdiskussion mit Hanna Wolf, SPD-MdB, und Kurt Faltlhauser, CSU-MdB. 19 Uhr, Louise-Schroeder-Gymnasium, Musiksaal, Pfarrer-Grimm-Str. 1.

Juni 25, 1994

Kabarett und Diskussion um Pflegeprobleme
Sozialpolitik muss nicht immer trocken sein: Kabarettist Dieter Hildebrandt wird sich auf Einladung der Münchner Jusos am Dienstag, 28. Juni, um 20 Uhr im Augustinerkeller der Frage Satt, sauber, warm - genug Menschlichkeit in der Pflege? auf seine Weise annehmen. Mit von der Partie bei Kabarett und Diskussion: die SPD-Bundestagsabgeordneten Hanna Wolf und Rudolf Dressler, außerdem Claus Fussek vom Verein Vereinigte Integrationsförderung (VIF). Der Erlös der Veranstaltung (Eintritt 20 Mark, ermäßigt zehn Mark) kommt der VIF zugute. gl

Juli 13, 1994

Fragen über Arbeit und Soziales beantworten die SPD-Politiker Anne Hirschmann, Franz Maget, Gerda Schneider-Koether, Fritz Schösser und Hanna Wolf. 20 Uhr, Schiessstätte, Servetstr. 1.

September 6, 1994

Georg Kronawitter, Hanna Wolf und Anne Hirschmann beim SPD-Abend auf dem Aubinger Herbstfest. 19 Uhr, Festzelt am Germeringer Weg.

September 29, 1994

Demokratie - Politik - Staat: Alles nur für Grufties?: Herta Däubler-Gmelin und Hanna Wolf, SPD-MdBs, diskutieren mit jungen Leuten. 20 Uhr, von 19 Uhr an Musikprogramm, Post, Bodenseestr. 4.

Oktober 1, 1994

Eine bessere Politik in Bonn. SPD-Frühschoppen mit Hans-Jochen Vogel und Hanna Wolf. 10.30 Uhr, Goldener Hirsch, Renatastr. 35.

Oktober 5, 1994

Zur Sache Kandidatin. Frauen fragen Politikerinnen. Mit Hanna Wolf (SPD), Karin Hiersemenzel (FDP), Lilli Schlumberger-Dogu (Die Grünen), Eva Bulling -Schröter (PDS). Moderation: Anja Timmermann, Susanne Petz. 19 Uhr, Hofbräukeller am Wiener Platz.

Oktober 6, 1994

A 99 - pro oder contra? Podiumsdiskussion der AG Münchner Umweltverbände mit Kurt Faltlhauser (CSU-MdB), Hanna Wolf (SPD-MdB), Axel Schmitt (FDP), Gerald Häfner (Bündnis 90/Die Grünen), Claus Obermeier (LBV), Thomas Bohlender (BI Bürger gegen A 99), Moderator: Kai Buhmann (Bund). 19 Uhr, Pasinger Fabrik, August-Exter-Str. 1.

Februar 21, 1995

Debatte zur Strafverfolgung bei Vergewaltigung
Zum vierten Mal innerhalb von zwei Wochen wird ein Münchner Kriminalfall zum Anlass genommen, mögliche Defizite bei Gesetzgebung, Justiz oder Polizei öffentlich zu erörtern. Nach der Vergewaltigung und Ermordung von Stefanie K. lädt der Frauennotruf München (Tel. 76 37 37) am morgigen Mittwoch zu einer sachlichen Debatte über Strafverfolgung bei Vergewaltigung ein. Sie beginnt um 19 Uhr in die Pasinger Fabrik an der August-Exter-Strasse 1. Unter Leitung der SPD-Frauenpolitikerin Hanna Wolf diskutieren ihr Bundestagskollege Jürgen Meyer, ein Strafrechtsprofessor, die Münchner Oberstaatsanwältin Helga Einhauser, die Frauenbeauftragte des Polizeipräsidiums Christine Steinherr, außerdem die Soziologin Anita Heiliger (Deutsches Jugendinstitut und Kofra), die Psychologin Angelika Schauer vom Frauennotruf und schließlich die feministische Anwältin Magdalena Dollinger. df

März 24, 1995

Den Vätern das Recht - den Müttern die Sorge?
Am heutigen Freitag um 18 Uhr diskutieren unter dem Motto Den Vätern das Recht - den Müttern die Sorge? im Alten Rathaussaal die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die Bundestagsabgeordneten Hanna Wolf (SPD) und Erich Riedl (CSU) und die Leiterin des Allgemeinen Sozialdienstes Almuth Tauche mit Vertretern Münchner Verbände über die geplante Neuregelung des elterlichen Sorgerechts. Eintritt frei. ehh

April 4, 1995

Vergewaltigung in Beziehungen - und bist du nicht willig... Diskussion mit Hanna Wolf (SPD-MdB), Monika Frommel (Uni Kiel), Magdalena Dollinger, RA. 19.30 Uhr, Selbsthilfezentrum, Bayerstr. 77/Rgb.

Oktober 21, 1995

Geschlecht als grundlegende soziale Unterscheidung. Tagesseminar der SPD-Frauen und des Evangelischen Forums. Referentinnen: MdB Hanna Wolf, LMU -Frauenbeauftragte Hardumod Bußmann, Gitta Mühlen Achs von der Uni, Jo Anne Birnie Danzker, Museum Villa Stuck. 10 bis 17 Uhr, Haus der Kirche, Herzog -Wilhelm-Str. 24.

Januar 23, 1996

Wer kann sich noch Kinder leisten? Podiumsdiskussion der Arbeiterwohlfahrt (SPD -Betriebsgruppe) mit Hanna Wolf (MdB), Christine Strobl (Stadträtin), Alois Weidacher (DJU), Jürgen Salzhuber (AWO-Geschäftsführer). 18.30 Uhr, AWO -Haus, Gravelottestr. 6.

Februar 23, 1996

Frauenpolitik auf Bundesebene. Podiumsdiskussion mit Hanna Wolf (MdB der SPD), Christina Schenk (MdB, Parteilos-Liste PDS), Theresa Schopper (MdL Bündnis 90/Die Grünen), Bettina Bremser (Feministische Partei Die Frauen), Moderation Ingegerd Schäuble. 19 Uhr, FraünStadtteilZentrum Haidhausen, Sedanstr. 37.

Mai 14, 1996

Die Bonner Sparbeschlüsse und die Europäische Währungsunion. SPD-Diskussion mit Wolfgang Ochel (ifo-Institut München) und den Abgeordneten Jannis Sakellariou (MdEP), Hanna Wolf (MdB). 20 Uhr, Gaststätte zur Post, Bodenseestr. 4 (Pasing).

September 10, 1996

SPD-Ortsverein Aubing feiert 75. Geburtstag
75jähriges Bestehen feiert der SPD-Ortsverein Aubing am heutigen Dienstag im Festzelt am Germeringer Weg. Die Festansprache wird von der SPD -Landesvorsitzenden Renate Schmidt gehalten; Grußworte sprechen die Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf, die Landtagsabgeordnete Anne Hirschmann und Stadträtin Heidemarie Köstler. Für Unterhaltung ist natürlich auch gesorgt: Die Kabarettistin Maria Peschek tritt in Aktion, und die Aubinger Musikanten spielen auf. Der Festabend beginnt 18.30 Uhr. vt

November 19, 1996

Die Informationsgesellschaft im freiheitlichen Rechtsstaat (SPD -WirtschaftsForum) mit Siegmar Mosdorf (MdB, Vorsitzender der Medien -Kommission des Bundestags), Hanna Wolf (SPD-MdB), Vertretern der Siemens AG u.a. 19 Uhr, Unionsbräu, Einsteinstr. 42.

Januar 23, 1997

Sozialdemokratische Steuerpolitik. Diskussion mit Christiane Berger, DGB, Rainer Gerloff, IHK, Stadtkämmerer Klaus Jungfer und Joachim Poss, MdB, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion; Leitung: Otto Schily und Hanna Wolf. 19.30 Uhr, Augustiner, Neuhauser Str. 27.

April 12, 1997

Für eine gerechte Verteilung der Arbeit. SPD-Veranstaltung mit Frauenministerin Ilse Ridders-Melchers (Nordrhein-Westfalen), Prof. Friedrich Hengsbach S.J., Hanna Wolf (MdB), Kabarett: Maria Peschek. 10.30 Uhr, BIZ des Arbeitsamtes.

Juni 18, 1997

Die Polizei - (k)ein Freund und Helfer: Podiumsdiskussion im Haidhauser Bürgersaal mit Rolf Gössner (Rechtsanwalt), Jens Dobler (Autor), Hanna Wolf (SPD- MdB), Roland Koller (Polizeipräsidium), Rudolf Brettmeister (Ombudsmann für Ausländerangelegenheiten); Moderation: Felix Berth (AZ), 19.30 Uhr, Rosenheimer Str. 123.

Februar 13, 1998

Valentinstag - 1000 Blumen verteilen Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf, Landtagsabgeordnete Anne Hirschmann und Bezirksrätin Gerda Schneider-Koether bei den Marktgesprächen der SPD am Pasinger Viktualienmarkt. Samstag, 14.2., 11 Uhr.

Mai 13, 1998

Renate Schmidt, SPD-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl, kommt in den Hirschgarten, zusammen mit MdB Hanna Wolf, Stadtrat und Landtagskandidat Rainer Volkmann und Bezirksrat Werner Brand. 19 Uhr, von 18 Uhr an Musik der Gruppe Schlagsaite.

Mai 15, 1998

15 bis 18 Uhr. Marktgespräch - auf dem Rotkreuzplatz mit den SPD-Bundestagsmitgliedern Anke Fuchs und Hanna Wolf.

Juli 12, 1998

Jazz-Frühschoppen mit MdL Anne Hirschmann, MdB Hanna Wolf und Bezirksrätin Gerda Schneider-Koether; Musik: Allied Dixiland Corporation. 11 Uhr, Biergarten Aubinger Einkehr, Gossweinsteinplatz 7.

Juli 13, 1998

Diskussion zum Thema Arbeit mit MdL Fritz Schosser, DGB-Vorsitzender, MdL Anne Hirschmann, MdB Hanna Wolf, Bezirksrätin Gerda Schneider-Koether. 19.30 Uhr, Zur Post, Bodenseestr. 4

Juli 19, 1998

'Musik + Politik' mit MdB Hanna Wolf, MdL Anne Hirschmann, BezRin Gerda Schneider-Koether. 11 bis 13 Uhr, Biergarten der Inselmühle, Von-Kahr-Str. 87.

Juli 24, 1998

Tag des Kindes - Veranstaltung des Kreisverbands München 'Die Falken' in der Freizeitstätte am Hirschgarten, Arnulfstr. 251. Samstag, 25.7., ab 14 Uhr: Aktionen für Kids, Politiker antworten auf Fragen von Kindern und Eltern. Mit den SPD-Abgeordneten Hanna Wolf und Anne Hirschmann

August 21, 1998

'Frauen vorn'. Diskussion mit Hanna Wolf, MdB. 14 bis 17 Uhr, Infostand Ecke Gleichmann-/Schützenstrasse, Pasing.

August 26, 1998

'Kein Blatt vorm Mund' - Talkshow, Kabarett und Musik mit Heide Simonis, Ministerpräsidentin von Schleswig-Hostein, MdB Hanna Wolf, Kabarettistin Maria Peschek und Winny Matthias, Ethno-Jazz; Moderation: Ada Brandes. 20 Uhr, Zur Post, Pasing, Bodenseestr. 4.

September 7, 1998

Christian Ude, Anne Hirschmann, Hanna Wolf und Gerda Schneider-Koether beim Aubinger Herbstfest. 18.30 Uhr, Festzelt am Germeringer Weg.

September 12, 1998

Altweibersommerfest vor Schloss Blutenburg mit Hanna Wolf, Anne Hirschmann und Gerda Schneider-Koether. 14 Uhr. - Monica Lochner-Fischer stellt sich den Fragen der Bürger. 10 bis 12 Uhr, Berliner Str./Fritz-Hommel-Weg

September 18, 1998

Hanna Wolf stellt sich den Fragen der Bürger von 16 bis 18 Uhr beim Infostand am Romanplatz.

September 18, 1998 München

Rudolf Scharping spricht auf dem Marienplatz

Rudolf Scharping, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Europas und der SPD-Fraktion im Bundestag, kommt am heutigen Freitag zur SPD-Kundgebung auf den Marienplatz. Außerdem sprechen die Bundestagskandidaten Axel Berg, Ulrike Mascher, Christoph Moosbauer, Fritz Schosser und Hanna Wolf (Beginn 11.30 Uhr). - Die zur gleichen Zeit vorgesehene Kundgebund auf dem Odeonsplatz entfällt. vt

September 23, 1998

MdB Hanna Wolf versorgt mit Lesestoff zur Bundestagswahl. 7 Uhr, S-Bhf Laim; in Obermenzing: 16 bis 18 Uhr, vor 'Tengelmann', Verdistr.

September 24, 1998

Hanna Wolf verteilt Infomaterial: 7 Uhr, S-Bhf Pasing, und spricht auf dem Baürnmarkt: 13 Uhr, Rotkreuzplatz; Telephonsprechstunde mit dem Kandidaten für München-Nord Axel Berg: 15 bis 16 Uhr, Tel. 39 41 80.

September 25, 1998

Schlusskundgebung der bayerischen SPD mit Rudolf Scharping, Vorsitzender der Bundestagsfraktion, Renate Schmidt, Vorsitzende der Landtagsfraktion, Oberbürgermeister Christian Ude und Walter Riester, stellv. Vorsitzender der IG Metall. 15 Uhr, Marienplatz. - Hanna Wolf verteilt rote Rose und stellt sich den Fragen der Bürger. 13 Uhr, S-Bahnhof Pasing.

März 22, 2001

Erziehungsgehalt - Die zarteste Versuchung, seit es Familienpolitik gibt. Podiumsdiskussion mit den Politikerinnen Christa Matschl, MdL CSU; Theresa Schopper, MdL Bündnis 90/Die Grünen; Hanna Wolf, MdB SPD; Moderation: Gisela Göllner-Kesting. Veranstalter: Katholische Frauengemeinschaft. 18 Uhr, Akademiker-Centrum, Lämmerstr. 3.