Pressespiegel 1992-2002 - Hanna Wolf
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Süddeutsche Zeitung – Mai 22, 1992
In der
Abtreibungsdiskussion:
SPD begrüßt CDU-Vorstoß zur Gemeinsamkeit
Die SPD begrüßt den Vorstoß von fünf CDU-Parlamentariern
um Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth für ein gemeinsames Vorgehen bei der
Neuregelung des Abtreibungsrechts. Die Abgeordnete und SPD-Schatzmeisterin
Inge Wettig-Danielmeier erklärte am Donnerstag in Bonn: "Wir sind offen
für Gespräche." Die CSU-Landesgruppe hingegen wird auf ihrer Sitzung
am 1. Juni entscheiden, ob sie nun doch noch einen eigenen Gesetzentwurf in
den Bundestag einbringt.
Die Parlamentarier um Rita Süssmuth, die Vorsitzende der "Frauen-Union",
haben sich an die Verfechter des Gruppenantrags gewandt, weil es ihnen nach
eigenen Angaben "nicht gelungen" ist, im sogenannten Mehrheitsentwurf
der CDU/CSU-Fraktion "substantielle Verbesserungen zu erreichen".
Vor allem die CSU lehnt jede "Verwässerung" des Entwurfs, der ein
Abtreibungsverbot mit Ausnahmen bei ärztlicher Entscheidungsbefugnis enthält,
strikt ab. Rita Süssmuth, Horst Eylmann, Friedbert Pflüger, Klaus-Peter Voigt
und Hans-Joachim Sopart wollen jetzt darauf hinwirken, im Gruppenantrag die
"Notlage" der schwangeren Frau stärker zum Ausdruck zu bringen.
Wettig-Danielmeier und die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion,
Hanna Wolf, meinten, das müsse sehr genau besprochen werden.
Es dürfe keine "strafrechtlich relevante" Bestimmung in den Gruppenantrag,
der ohnedies ein Kompromiss sei, eingefügt werden.
Süddeutsche Zeitung – Juni 26, 1992
Die Bundestagsdebatte
über die Reform des Paragraphen 218
Marathon mühsam gezügelter Emotionen
In welcher Gemütslage
die Abgeordneten quer durch die Fraktionen vor der Entscheidung über das Abtreibungsrecht
mit ihren Argumenten angetreten sind
Helmut Kohl greift zum wiederholten Male an seine Krawatte und lächelt von
der Regierungsbank zu Wolfgang Schäuble. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion
im Bundestag nickt kurz und richtet den Blick dann geradeaus. Dorthin, wo
gleich Uta Würfel zu sprechen beginnen wird, die Frauenpolitikerin der Freien
Demokraten. Schäuble hat die Hände gefaltet und scheint sich ganz auf die
Abgeordnete zu konzentrieren. Als Jürgen Rüttgers, der Fraktionsgeschäftsführer,
der zu seiner Linken sitzt, sich zu ihm beugt, reagiert Schäuble nicht.
Im Plenum ist es inzwischen wieder still geworden. Inge Wettig-Danielmeier
hatte eben die Gemüter etlicher Männer aufgewühlt mit ihrem Satz: "Jede
kluge Frau weiß, auf den Vater kann sie sich nicht verlassen." Die erregten
Proteste hatten Parlamentspräsidentin Rita Süssmuth veranlasst, der Sozialdemokratin
freundschaftlich zu raten: "Vielleicht warten Sie einen Augenblick, bis
sich die provozierten Väter wieder beruhigt haben."
Schäubles Gebot
Jetzt ist wieder Ruhe eingekehrt, weil auch die Väter unter den Männern hören
wollen, was Uta Würfel, die an diesem Tag in vorderster Front für den überparteilichen
Gruppenantrag zur Reform des Abtreibungsrechts in ganz Deutschland streitet,
zu sagen hat. Sie ist sich der Aufmerksamkeit Schäubles wohl bewusst und spricht
ihn anfangs mit leicht atemloser, gesenkter Stimme direkt an: Seine Bemerkung
auf dem letzten Katholikentag, alle Abgeordneten seien sich einig in dem Ziel,
das Leben des ungeborenen Kindes zu schützen, "hat gut getan", sagt
Uta Würfel. Schäuble rührt sich nicht. Er blickt sie nur an. Ein "faires
Verfahren" hätten sie vereinbart, hat Fraktionsgeschäftsführer Jürgen
Rüttgers vor der Debatte gesagt, und es ist ihm doch tatsächlich gelungen,
dabei nicht zu grinsen. Dabei weiß er natürlich aus Erfahrung, dass die Abgeordneten
nach stundenlanger Diskussion und nach ebenso langem Zuhören müde werden.
Vielleicht zu müde, um auf den Gruppenantrag zu warten, der als letzter zur
Abstimmung steht? Rüttgers unbewegte Miene hat nicht verraten, ob dies die
Hoffnung und Marschroute der Unionsfraktion ist.
Natürlich hatte sich sein Fraktionsvorsitzender in den vorangegangenen Sitzungen
der Unionsparlamentarier immer wieder um Ausgleich bemüht. Er hatte bis zuletzt
versucht, verletzende Wortgefechte zwischen denen, die wie Herbert Werner
und Claus Jäger für eine Verschärfung des Abtreibungsverbots kämpfen, und
der Gruppe um Horst Eylmann und Rita Süssmuth, die sich für eine liberalere
Lösung einsetzen, zu verhindern. Das haben die Abgeordneten auch anerkannt:
Schäubles Gebot, die Position des jeweils anderen zu "ertragen"
und "in Würde" miteinander zu diskutieren, ist in der Regel befolgt
worden; nur dann nicht, wenn es um Rita Süssmuth ging. Aber wie heißt es dazu
in der Unionsfraktion salopp? "Das ist eine andere Geschichte."
Mutige sind verstummt
Doch Druck gemacht hat er schon, auf seine ganz eigene, unnachahmliche Weise.
Es bleibt gewiss nicht ohne Wirkung auf die Gemütslage der Unionschristen,
wenn sich Wolfgang Schäuble, der Protestant, auf dem Katholikentag für das
Indikationenmodell einsetzt und die Fristenlösung verdammt. Genauso wenig
werden seine in der Fraktion eindringlich wiederholten Worte: "Ich möchte
für unseren Mehrheitsentwurf der Fraktion eine Mehrheit im Bundestag erreichen",
ohne Hintersinn gesprochen sein. Denn was Schäuble scheinbar freundlich und
sanft sagt, ist, auch wenn er es bestreiten würde, durchaus als Drohung aufzufassen:
Wer nicht spurt, hat keine Chance hier.
Oder doch? Einigen gelingt es zuweilen, sich dem Versuch einer "Disziplinierung"
zu entziehen. Horst Eylmann ist dafür ein Beispiel: Schäuble hatte ihn einbinden
wollen, ihm, dem Rechtsanwalt und Notar, den Posten des Vorsitzenden im angesehenen
Rechtsausschuss des Bundestages zugeschanzt, und dies natürlich auch, um Eylmann
aus der Gruppe der "Abtrünnigen" herauszulösen. Der Abgeordnete
hat sich aber nicht herauslösen lassen. Auch er ist freundlich im Ton und
im Umgang, doch nicht minder hart in der Sache als der Fraktionschef. Und
Eylmann ist ein guter Taktiker: Mehrmals hatte er in zurückliegender Zeit
angeboten, noch einmal über den "Mehrheitsentwurf" der Union zu
beraten mit dem Ziel, ihn "zu verbessern". Als er zu dem Schluss
kam, es bewege sich nichts, jedenfalls nicht genug, sagte Eylmann offen, dass
er zum Gruppenantrag tendiere und nun mit den Kollegen der anderen Parteien
darüber sprechen wolle, wie dieser zu verbessern sei. Diese formale Unangreifbarkeit
garantierte ihm Schutz vor Versuchen, seinen Ruf als Rechtsexperte zu erschüttern.
Die SPD freute sich nach den Verhandlungen nicht ohne Grund:
Wenn der Vorsitzende des Rechtsausschusses den Gruppenantrag für verfassungskonform
halte, "ist das schon einiges wert", meinte eine Abgeordnete.
Andere aber, die früher mutig für die Fristenlösung eintraten, sind in der
Zwischenzeit verstummt. Sabine Bergmann-Pohl etwa, die letzte Volkskammerpräsidentin
der DDR und heutige Staatssekretärin im Gesundheitsministerium. Möglicherweise
steht dahinter, dass sie ihren Posten behalten will, auf dem sie nicht ganz
unumstritten ist. Doch auch Angela Merkel, die Frauenministerin, hat derweil
das harte politische Geschäft im Westen der Republik kennen gelernt und verhält
sich entsprechend. Jetzt tritt sie "bis zum Schluss" für die Streichung
der umstrittenen "Dokumentationspflicht" der Gespräche des Arztes
mit der schwangeren Frau im Mehrheitsantrag ihrer Fraktion ein. Auf die Frage
nach dem Warum lautet ihre Antwort entwaffnend offen: "Ich sehe hier
überhaupt die einzige Möglichkeit, Abgeordnete meiner Fraktion, die zum Gruppenantrag
neigen wieder zurückgewinnen."
Das ist fraglos ganz in Schäubles Sinne. Denn ihm geht es nicht zuletzt darum,
die ostdeutschen Vertreter der CDU "einzufangen", von denen sich
viele an ihr Versprechen gebunden fühlen, "keine Verschlechterung"
der Situation für die Frauen in Ostdeutschland zuzulassen. Dies jedoch wäre
zu erwarten, wenn sich der Mehrheitsentwurf der Union durchsetzte. Also hat
der Fraktionsvorsitzende seine Stellvertreterin Maria Michalk aus Dresden
vorgeschickt mit der Warnung, wenn die Fristenlösung beschlossen werde, in
welcher Form auch immer, werde das Bundesverfassungsgericht angerufen. Und
Schäuble hat von allen Abgeordneten, die nicht für den CDU/CSU-Entwurf stimmen
wollen, verlangt, ihm vorher Mitteilung zu machen.
Hanna Wolf, der frauenpolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion,
ist zugetragen worden, wie bei CDU und CSU gearbeitet wird, um die "Abtrünnigen"
doch noch auf den "richtigen" Kurs zu bringen. Sie findet, dass
dies mit dem Wort von einem fairen Verfahren nicht recht zusammenpasst, im
Gegenteil: Den Versuch, mit einer Streichung der "Dokumentationspflicht"
in letzter Minute doch noch einige Unionskollegen von einer Zustimmung zum
Gruppenantrag abzuhalten, nennt Hanna Wolf entrüstet "unlauter".
Denn klar sei doch, "dass die Ärzte im Fall einer Indikationenregelung,
wie sie der CDU/CSU-Entwurf vorsieht, nicht auf schriftliche Feststellungen
verzichten können. Die Streichung der Dokumentationspflicht ändert daher in
der Sache nichts."
Ob allerdings die Kraft des guten Arguments ausreicht? Uta Würfel und Inge
Wettig-Danielmeier, die auf seiten der FDP und der SPD ganz
wesentlich dazu beigetragen haben, den Gruppenantrag zustande zu bringen,
die in nächtlichen Beratungen um Details gerungen und um Formulierungen gefeilscht
haben, machen sich Sorgen. Uta Würfel hat schon vor einiger Zeit in einem
Brief an die ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen versucht, diese an ihr
Versprechen zu erinnern und bei ihnen ein schlechtes Gewissen zu erzeugen.
Die Wirkung ist nicht genau abzuschätzen. Hier und heute treibt die FDP-Abgeordnete
jedenfalls die Angst um, dass doch noch geschehen könnte, was aus ihrer Sicht
nicht geschehen darf: Dass es Schäuble und seinen Helfern gelingt, in einer
"emotionalen Debatte" die Mehrheit für den Gruppenantrag zu verhindern.
Bei der Berlin-Debatte des Bundestages habe sich gezeigt, dass dies möglich
sei, erklärt Uta Würfel düster. Damals hatte besonders Wolfgang Schäuble die
Emotionen geweckt, und nicht wenige sagen, seine Rede habe den Ausschlag für
das Berlin-Votum gegeben.
Inge Wettig-Danielmeier, die Sozialdemokratin, sieht das nicht anders. "Eine
Mehrheit für den Gruppenantrag ist im Bundestag noch längst nicht gesichert",
sagt sie und klingt wie weiland Kassandra. Aber wie Uta Würfel, so kämpft
auch sie: Inge Wettig-Danielmeier hat vor der großen Debatte noch rasch an
alle, "die eine Reform wirklich wollen", appelliert, für den Gruppenantrag
zu votieren, "denn er ist das deutliche Ergebnis eines Kompromisses,
in dem sich viele wiederfinden müssen". Beschwörend hört sich ihr Nachsatz
an, im Unionsantrag fänden sich "keine Verbesserungen" im Vergleich
zur gegenwärtigen Rechtslage. Und richtiggehend böse wirkt ihre Einschätzung,
Frauenministerin Merkel und Familienministerin Hannelore Rönsch lockten mit
sozialen Versprechungen wie der einmaligen Zahlung eines Familiengeldes für
Schwangere in Höhe von 1000 Mark, "enthalten den Frauen aber die eigene
Entscheidung vor, die diese seit 70 Jahren fordern".
Die Ministerin zerrissen
Angela Merkel lässt das natürlich nicht unberührt. Sie beklagt im Plenum,
dass das Familiengeld "oft als Geburtenprämie diffamiert" werde.
Doch seltsam schwach und unentschlossen bleibt die Entgegnung, vor allem viele
junge Familien im Osten Deutschlands benötigten es für ihre "Baby-Erstausstattung".
Ein fulminantes Plädoyer für den Mehrheitsentwurf der Union ist ihre Rede
nicht; mit ihrer Kritik an der "Dokumentationspflicht" hinterlässt
sie eher den Eindruck der Zerrissenheit. Die Frauenministerin scheint es zu
spüren: Angela Merkel sieht ein wenig bedrückt aus, als Kanzler Kohl ihr anschließend
gütig lächelnd und mit einem Zuruf von seinem Platz aus demonstrativ Beifall
spendet. Sie schaut da lieber rasch zu Fraktionschef Schäuble. Der applaudiert
gleichfalls, aber ein wenig gedämpfter.
Sigrid Semper ist ganz und gar unzufrieden. Es schwingt ein Hauch von Trauer
mit, als die SPD-Abgeordnete aus Leipzig an früher erinnert
und daran, wie Angela Merkel vor nicht allzu langer Zeit gedacht und geredet
haben muss. Warum die Ministerin nicht das sage, was sie wirklich denke, fragt
Sigrid Semper. Warum sie jetzt nicht für das eintrete, was die Frauen in Ostdeutschland
wirklich wollten, nämlich die Fristenlösung? Und warum Angela Merkel sich
habe "verbiegen" lassen? Die Sozialdemokratin stellt rhetorische
Fragen, die ganz offenkundig vor allem eines zu erkennen geben sollen: dass
sie weiß, wie sehr sich inzwischen ihre Wahrnehmung der deutschen Wirklichkeit
von jener der Bundesfrauenministerin unterscheidet. Diese, so will Sigrid
Semper anscheinend ausdrücken, ist ein fester Bestandteil der politischen
Klasse in Bonn geworden. Das erklärt auch den Hauch von Trauer.
Wie anders präsentiert sich dagegen Angela Merkels Amtsvorgängerin Rita Süssmuth:
Nicht mehr auf der Empore des Parlamentspräsidiums, sondern am Rednerpult,
scheint sie sich zu befreien von dem Druck, der in den vergangenen Wochen
auf sie ausgeübt worden ist. Kreidebleich und sichtlich aufgeregt, aber mit
fester Stimme plädiert die katholische Christdemokratin für den liberalen
Gruppenantrag, weil "nur die Frau" die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch
treffen und die Antwort auf diese "existentielle Frage unseres Lebens"
geben könne. Rita Süssmuth ist an diesem Tag sehr bestimmt und dabei trotz
aller Verve auch darum bemüht, die Emotionen im Bundestag nicht über die Massen
zu schüren, sondern zu zügeln. Sie erreicht die Mehrheit der Zuhörer und die
lassen es sie auch spüren, als ihre eigenen Parteifreunde mit Beifall sparen:
Die für den Gruppenantrag engagierten Frauen klatschen besonders laut. Bei
diesem Auftritt ist Wolfgang Schäuble nicht an seinem Platz und bis zum Schluss
der Debatte ergreift er nicht das Wort.
Grosse
Einigkeit im Bundestag - Besitz von Kinderpornographie wird bestraft. SPD
verlangt auch gesetzliche Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz
Der Bundestag wird die Gesetze gegen Kinderpornographie verschärfen. Bei der
ersten Lesung eines Gesetzantrages der Bundesregierung begrüßten Vertreter
aller Fraktionen am Freitag im Parlament die geplanten Neuregelungen: In Zukunft
sollen schon der Erwerb und der Besitz von kinderpornographischen Schriften
strafbar sein. Außerdem ist die Beschlagnahme vorgesehen. Herstellern und
Vertreibern drohen Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren, bei gewerbs- und bandenmäßiger
Begehung bis zu fünf Jahren. Unterschiedliche Auffassungen vertraten die Redner
in der Frage der Verjährung von Sexualstraftaten an Kindern. Nach Ansicht
der SPD darf die Verjährungsfrist erst mit der Volljährigkeit
beginnen, nicht - wie derzeit geregelt - nach dem Ende der Tat. Da die Täter
meist zur Familie gehörten, seien viele Opfer erst als Erwachsene psychisch
und materiell in der Lage, Anzeige zu erstatten, sagte die Abgeordnete Erika
Simm (SPD). Dann sei eine Strafverfolgung aber häufig nicht
mehr möglich. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sprach
sich für das 14. Lebensjahr als Beginn der Verjährungsfrist aus.
Sexueller Missbrauch ist Mord an Kinderseelen, sagte die Ministerin und wies
darauf hin, dass die Produktion von Kinder-Pornos fast immer mit Missbrauch
verbunden sei. Frau Simm bezeichnete den Maßnahmenkatalog der Bundesregierung
als eine wesentliche Verbesserung der Rechtslage, die jedoch nicht weit genug
gehe. Wer den Besitz oder Erwerb von derartigen Produkten nur mit einer Freiheitsstrafe
bis zu einem Jahr ahnde, verkenne, dass die Porno-Konsumenten die eigentlichen
Täter seien, sagte Frau Simm.
Einig waren sich die Fraktionen auch über die Notwendigkeit von Maßnahmen
gegen die sexuelle Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz. In der ersten Lesung
eines Antrages der SPD-Fraktion kritisierten Sprecher aller
Parteien, dass die Belästigung nach wie vor als Kavaliersdelikt gelte. Unterschätzt
werde in der Öffentlichkeit außerdem, dass sehr viele Frauen betroffen seien.
Differenzen gab es in der Frage, ob Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet werden
sollen, ständige Beschwerdekommissionen einzurichten, wie es die SPD
vorgeschlagen hatte.
In dem Antrag wird die Bundesregierung darüber hinaus aufgefordert, die rechtlichen
Regelungen zu schaffen, damit Vorgesetzte gegen belästigende Arbeitnehmer
vorgehen müssen. Die Sanktionen müssten von der Verpflichtung zur offiziellen
Entschuldigung bis zur fristlosen Kündigung reichen, sagte die Abgeordnete
Hanna Wolf (SPD). Ihre Fraktionskollegin Marliese Dobberthien
beklagte, dass Frauen sich gegen sexuelle Nachstellungen häufig nur mit einer
Versetzung oder mit einer Kündigung zu helfen wüssten. Damit werden sie zum
zweitenmal Opfer, meinte die Abgeordnete.
Die Staatssekretärin im Frauenministerium, Cornelia Yzer (CDU), stimmte der
Zielsetzung des Antrages zu, erklärte aber, dass die Bundesregierung sich
des Problems bereits angenommen habe. Das Kabinett werde in Kürze den Entwurf
für ein Gleichberechtigungsgesetz verabschieden, in dem auch ein verstärkter
Schutz vor sexueller Belästigung vorgesehen sei. Der SPD-Antrag
sei daher nicht weiterführend.
Süddeutsche Zeitung - Oktober 17, 1992
Turnübungen
mit einer Toten. Gymnastik für hirntote Schwangere angeordnet - Wachsende Kritik an Erlanger Ärzten
Um dem ungeborenen Kind einer hirntoten Frau eine möglichst normale Entwicklung
zu ermöglichen, versuchen die Betreuer in der Universitätsklinik Erlangen,
die Mutter zu bewegen und Gymnastik zu machen. Der verantwortliche Arzt, Johannes
Scheele, erklärte in einem Interview der Berliner Tageszeitung, damit solle
dem vier Monate alten Embryo im Mutterleib die Chance gegeben werden, in dieser
Hinsicht möglichst normal aufzuwachsen. Die 18jährige war am 5. Oktober tödlich
verunglückt. Der Oberarzt verteidigte erneut den Entschluss, die Körperfunktionen
der Frau mit Hilfe von Maschinen bis zum Ende der Schwangerschaft aufrechtzuerhalten.
Zugleich äußerte er die Sorge, dass der zur Zeit stabile Zustand der Mutter
sich verschlechtern könne. Die gesamte Hirnsubstanz sei zerstört. Ein solcher
Zustand lässt sich nicht beliebig lange fortsetzen, sagte er.
Es könne durchaus sein, dass in Zukunft wesentlich eingreifendere Maßnahmen
wie Medikamente notwendig werden. Scheele wies darauf hin, dass der Totenschein
für die Frau bereits am Donnerstag vergangener Woche ausgestellt worden sei.
Zutiefst erschrocken und ablehnend äußerten sich am Freitag in Bonn Politikerinnen
von CDU/CSU, SPD und FDP über das Vorgehen der Erlanger Ärzte.
Der Fall zeige, wie wenig die Menschenwürde einer toten Frau wert ist, wenn
ihr Körper zwecks Austragung einer Schwangerschaft gebraucht wird. Achtung
gegenüber Verstorbenen ist so alt wie die Menschheit, erklärten die Vorsitzende
der Gruppe Gleichstellung von Frau und Mann der SPD-Bundestagsfraktion,
Ulla Schmidt, die frauenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion,
Uta Würfel, sowie die CDU/CSU-Abgeordnete Angelika Pfeiffer.
Als Skandal bezeichnete die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion,
Hanna Wolf, die Entscheidung: Die Mutter werde zur Nährlösung
degradiert, derer man sich nach Gebrauch entledigen könne. Die Politikerin
warf den behandelnden Ärzten Unmenschlichkeit vor. Bei ihrem Vorgehen werde
weder nach der Menschenwürde der Mutter noch nach dem Wohl des Kindes gefragt.
Die Pflicht der Lebenden, ihre Toten zu begraben, sowie die Pietät gegenüber
Verstorbenen würden im Falle dieser toten Schwangeren nicht berücksichtigt.
Die Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen
(ASF), Karin Junker warf den Medizinern vor, den Körper der toten 18jährigen
Schwangeren als Gebärkörper zu missbrauchen.
Nach Ansicht von Bundesfrauenministerin Angela Merkel (CDU) liegt der Fall
im Grenzbereich dessen, was medizinisch machbar und ethisch vertretbar ist.
Eine abschließende Beurteilung falle ihr schwer, erklärte Frau Merkel. Neben
der Frage, welche Überlebens- und Entwicklungschance das Kind hat und ob das
Austragen einer Schwangerschaft auf diese Weise mit der Menschenwürde vereinbar
ist, ist für mich vor allem die Haltung des Vaters und der nächsten Angehörigen
von Bedeutung, meinte Frau Merkel. In Zukunft müsse verstärkt über derartige
Grenzfälle diskutiert werden.
Süddeutsche Zeitung - Oktober 20, 1992
Erlanger
Klinik verhängt Nachrichtensperre. Keine Berichte mehr über Befinden der hirntoten
Schwangeren - Gericht bestellt Pflegschaft
Im Erlanger Fall der hirntoten Mutter, die ihre Schwangerschaft austragen
soll, besteht jetzt eine Nachrichtensperre. Der Vorstand der chirurgischen
Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg, wo die 18jährige Schwangere behandelt
wird, erklärte am Montag auf Anfrage, dass außer einem Communique von Zeit
zu Zeit aus der Klinik keine Nachrichten mehr herausgegeben würden. Die Fülle
der Anfragen ist mit unserem Arbeitsablauf nicht mehr zu vereinbaren. Das
Amtsgericht Hersbruck hat inzwischen für das ungeborene Kind eine Pflegschaft
und für die Mutter eine vorläufige Betreuung angeordnet. Zu der 18jährigen
Patientin habe niemand Zutritt außer den betreuenden Ärzten und dem Pflegepersonal.
Wie es aus dem Sekretariat des verantwortlichen Arztes, Johannes Scheele,
hieß, sei dort nichts von einem angeblichen Fieber bei der Patientin bekannt.
Alle Mitarbeiter seien angewiesen, keine Auskunft mehr herauszugeben. Scheele
selbst war nach Angaben seiner Mitarbeiter am Montag nicht in der Klinik.
Der Vorstand der chirurgischen Klinik, Franz Paul Gall, erklärte, dass er
sich zum weiteren Umgang mit den Medien in diesem Fall mit den Eltern der
Schwangeren absprechen wolle, die von dem Medienrummel mittlerweile wohl auch
genug hätten. Bei der Familie erreichen sie nur noch den Anrufbeantworter.
Zu Pflegern für das Ungeborene hat das Gericht die Eltern der Schwangeren
bestellt. Die Interessen der hirntoten Frau soll eine weitere Person aus dem
Kreis der Angehörigen wahrnehmen. Vor seiner Entscheidung, mit der juristisches
Neuland betreten wurde, hatte sich der Vormundschaftsrichter in der Klinik
vom verantwortlichen Arzt über die medizinischen Gegebenheiten unterrichten
lassen. Die Betreuung eines im Rechtssinne toten Menschen ist bislang vom
Gesetz nicht geregelt. Im Hinblick auf die besonderen Umstände des vorliegenden
Falles habe es das Amtsgericht jedoch für erforderlich gehalten, zur Wahrung
der postmortalen Interessen der Schwangeren die gesetzlichen Betreuungsvorschriften
für lebende Menschen auf die 18jährige zumindest sinngemäß anzuwenden. Die
Frau war am 5. Oktober bei einem Verkehrsunfall tödlich verletzt worden.
Die Bundesregierung soll sich nach dem Willen der SPD-Bundestagsabgeordneten
Hanna Wolf mit der toten Schwangeren von Erlangen beschäftigen.
Wie sie am Montag in München mitteilte, bat sie die Regierung schriftlich
um Auskunft, ob das monatelange künstliche Aufrechterhalten der Körperfunktionen
einer Toten zum Zweck der Austragung einer Schwangerschaft die in Artikel
eins des Grundgesetzes garantierte Menschenwürde der Toten verletzt.
Süddeutsche Zeitung - November 18, 1992
Ärzte
hatten Marion lange genug. Eltern lehnen Obduktion ab - SPD fordert gesetzliche Regelungen
Im Fall des Erlanger Babys haben sich die Eltern der 18jährigen Toten gegen
eine Obduktion des Fötus und seiner Mutter gewehrt. Nach Auskunft des Erlanger
Rechtsmediziners Hans-Bernhard Würmeling hatten sich Ärzte nochmals um die
Zustimmung zur Sektion bemüht, um so die Ursachen für die Fehlgeburt finden
zu können. Der Vater der Toten, deren Kind nach 40 Tagen im Leib der hirntoten
Mutter starb, lehnte aber ab: Die Ärzte haben Marion jetzt lang genug gehabt.
Auch am Dienstag ging die öffentliche Kontroverse um das Erlanger Experiment
weiter. Der Präsident der Bundesärztekammer, Karsten Vilmar, lehnte ethisch
verbindliche Regeln für das Vorgehen in Fällen, in denen schwangere Frauen
einen Hirntod sterben, ab. In jedem Einzelfall müsse neu entschieden werden,
sagte Vilmar. Die Entscheidung der Erlanger Ärzte, den Körper der hirntoten
Schwangeren lebensfähig zu halten, sei ethisch gerechtfertigt gewesen. Wenn
es um zwei Menschenleben gehe und das der Mutter ohnehin verloren sei, rechtfertige
dies den Versuch, das Leben des Kindes zu retten. Die Würde der hirntoten
Mutter sei nicht tangiert.
Alice Schwarzer, die Herausgeberin der Frauenzeitschrift Emma, ist erleichtert,
dass die Natur dieses zynische Experiment sozusagen selbst abgebrochen hat.
Im ARD-Morgenmagazin meinte sie, bei diesem Versuch sei es um den Größenwahn
der Männermedizin gegangen, die nicht nur Herr über den Tod, sondern auch
Herr über das Leben sein wolle.
Der katholische Erlanger Klinikseelsorger Rainer Denkler bezweifelte, dass
die Ärzte die Eltern der hirntoten Schwangeren ausreichend über die geringen
Erfolgsaussichten informiert haben. Ich bin sehr betroffen, wie mit den Eltern
umgegangen wurde, sagte Denkler. Er vermute, dass den Eltern zuviel Hoffnung
gemacht worden sei.
Die SPD hat für ähnliche Fälle wie die des Erlanger Baby
eine gesetzliche Regelung gefordert. Die intensivmedizinische Behandlung von
hirntoten Schwangeren müsse durch Gesetz geregelt werden, erklärte die Sprecherin
der SPD-Bundestagsfraktion für Frauen und Jugend, Hanna
Wolf. Das Erlanger Experiment habe gezeigt, wie verliebt manche Medizinforscher
und Intensivpraktiker in künftige medizinische Machbarkeiten sein könnten.
Im vom Bundestag behandelten Transplantationsgesetz müsse festgelegt werden,
wie lange die künstliche Aufrechterhaltung von Organfunktionen eines hirntoten
Menschen zum Zweck der Organentnahme erlaubt werden solle.
Süddeutsche Zeitung - Dezember 1, 1992
Veränderung
des Paragraphen 218 - SPD-Frauen warnen Verfassungsrichter.
Ablehnung wäre massive Verletzung unseres Demokratieverständnisses
Die Frauen in der SPD warnen vor einer negativen Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts über das neue Abtreibungsrecht. Wenn die Karlsruher
Richter die im Juli vom Bundestag mit großer Mehrheit beschlossenen Veränderungen
des Paragraphen 218 für verfassungswidrig erklären, bedeute dies eine massive
Verletzung unseres Demokratieverständnisses, hieß es auf einem Pressegespräch
der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen in München, bei der auch
die FDP, die Grünen, die Humanistische Union, der Deutsche Gewerkschaftsbund,
die Arbeiterwohlfahrt und Pro Familia vertreten waren. In diesem Zusammenhang
haben die SPD-Frauen zu einer großen § 218-Briefaktion an
den zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts aufgerufen. Die Artikel des
Schwangeren- und Familienhilfegesetzes, über die das Bundesverfassungsgericht
am 8. und 9. Dezember sein Urteil spricht, sehen für einen Schwangerschaftsabbruch
innerhalb der ersten zwölf Wochen Straffreiheit vor. Die übrigen Artikel sind
bereits in Kraft getreten, ohne jedoch von der bayerischen Landesregierung
tatsächlich umgesetzt zu werden, wie die Sprecherinnen kritisierten. Hanna
Wolf, Frauenpolitikerin der SPD-Bundestagsfraktion,
warf dem Kultusministerium vor, für das im Bundesgesetz verankerte Recht jedes
Kindes auf einen Kindergartenplatz nicht die notwendigen Voraussetzungen zu
schaffen. Uschi Pausch-Gruber griff als Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft
sozialdemokratischer Frauen direkt die CSU an und sagte: Der CSU sind Kinder,
die bereits geboren sind, längst nicht so wichtig wie die, die noch im Mutterleib
sind. Wolf fügte hinzu, der Kampf um das Leben des Kindes einer hirntoten
Schwangeren in Erlangen beweise, dass man in Bayern mit dem Schutz ungeborenen
Lebens bis ans äußerste ginge.
Bedingungen nicht erfüllt Außerdem bemängelte Helga Haisch von der Münchner
Pro Familia, die Landesregierung erfülle weder quantitativ noch qualitativ
die im Gesetz formulierten Bedingungen für eine angemessene Beratung von schwangeren
Frauen. Sie habe die staatlichen Gesundheitsämter angewiesen, alle verfügbaren
Berater künftig in diesem Bereich einzusetzen, ohne dafür Fachkräfte neu einzustellen
und die freien Träger stärker zu unterstützen. So führt Bayern das Gesetz
in der Praxis schon jetzt ad absurdum, stellte Haisch fest. Die Wahl zwischen
Beratungsstellen unterschiedlicher weltanschaulicher Ausrichtung werde noch
stärker begrenzt, und die Sozialpädagogen in den Gesundheitsämtern seien für
ihre neuen Aufgaben nicht ausreichend qualifiziert.
Margarete Bause, Landessprecherin der Grünen, und FDP-Landtagsabgeordnete
Karin Hiersemenzel schlossen sich der Kritik an. Hiersemenzel kündigte an,
ihre Partei werde sich mit dem Missstand befassen und möglicherweise einen
entsprechenden Antrag vorlegen.
Süddeutsche Zeitung – Januar 7, 1993
Abgeordnete
Hanna Wolf: Bogenhausen-Lösung zur Nachahmung empfohlen
Als ausgesprochen positive Lösung zugunsten der Mieter von rund 300 Wohnungen
in der Parkstadt Bogenhausen bezeichnet die Münchner SPD-Bundestagsabgeordnete
Hanna Wolf die bei einem Gespräch zwischen dem Käufer der
Neuen Heimat Bayern, Alfons Doblinger, und dem Vorsitzenden des Mietervereins
München, Kurt Mühlhäuser, zustande gekommenen Vereinbarungen. Insbesondere
dankt sie Doblinger dafür, dass er seine ursprüngliche Härte aufgegeben hat.
Wie ausführlich berichtet, konnten zusätzliche Mieterschutzklauseln ausgehandelt
werden, deren wichtigster Punkt darin besteht, dass derzeitigen Mietern der
zum Verkauf stehenden Wohnungen von künftigen Eigentümern nicht wegen Eigenbedarfs
gekündigt werden darf. Die Ergebnisse insgesamt möchte sie sehr zur Nachahmung
empfehlen, schreibt Hanna Wolf.
Die Abgeordnete hatte im vergangenen Sommer ein lebenslanges Wohnrecht zumindest
für diejenigen Mieter verlangt, die seit annähernd 40 Jahren in der Parkstadt
Bogenhausen leben - damals noch vergeblich.
Die jetzigen Vereinbarungen mit Doblinger bezeichnet Hanna Wolf
als willkommenes Beispiel dafür, dass sich im Mietwohnungsbau ein soziales
Verhalten des Bauherrn und Eigentümers mit der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens
verbinden können.
Dessen ungeachtet sei die Bundesregierung jedoch nicht aus ihrer Pflicht entlassen,
endlich für ein soziales Mietrecht zu sorgen und ein Umwandlungsverbot gesetzlich
zu regeln.
Süddeutsche Zeitung – Februar 18, 1993
Die Ehre
- ein Pseudowert. Frauen-Fragen (West 3)
Ungeliebte Programme: In diesem Asylanten-Eintopf auch noch Extrawürste für
Frauen?! Immerhin hat West 3 seine Sendung Lebensbedingungen von Asylantinnen
(ein Zungenbrecher) kurz nach zehn, nach Fußballverlängerung, ausgestrahlt.
Geradezu prime time für anspruchsvolle Themen. Die Moderatorin Inge von Bönningshausen
spricht deutliche Worte: Wenn Frauen allein ohne Geld für Tickets und für
Schlepperorganisationen die Flucht gelänge, dann würden weltweit die Menschenrechte
auf sie nicht angewandt. Entweder seien sie als Familienangehörige Verfolgter
rechtlos, nur abgeleitet, oder nach persönlicher, sexistischer Verfolgung
nicht schutzwürdig. Auch in Lagern und Heimen geht es ihnen schlecht - überall.
Es gibt nur wenig weibliche und selten multikulturelle Betreuung. Die SPD-Bundestagsabgeordnete
Hanna Wolf hatte ein schlagendes Exempel: Die Bonn-Debatte
über vergewaltigte Frauen wurde von den Männern fix auf die männlichen Kriegsopfer
umgeleitet, so dass die Frauen rasch aus dem Blickfeld gerieten. Die Abgeordneten
wollten nicht wahrhaben, dass die Täter ausschließlich Männer seien. Männer
gaben Männern Täterschutz, folgerte Wolf, die sich konsequent, aber unaufgeregt
dieser Probleme annimmt. Auch Bönninghausen führte die Sendung sachlich von
ergreifenden Beispielen hin zu hoffnungsvollen Eigeninitiativen ausländischer
Frauen: Wenn schon neue Verordnungen so lange auf sich warten ließen, dürfe
man gerade nicht untätig bleiben. Vor allem reden, nicht schweigen über die
verletzte Ehre der Frau, ein Pseudowert, von Männern geschaffen. Ja, reden.
Vielleicht wäre den Ausländerinnen, die am unteren Ende der sozialen Skala
stehen, schon durch ein bisschen Deutschunterricht und Konversation geholfen,
und das ist ein Geschenk, das jede deutsche Frau ihnen geben könnte. ANNE
ROSE KATZ
Süddeutsche Zeitung – März 9, 1993
Münchner
SPD-Tagung zur geplanten Bahn-Privatisierung - Wie der Verkehrsverbund
in die Marktwirtschaft fährt. Auf die Kommunen kommen mit der Übernahme des
öffentlichen Nahverkehrs schwierige Aufgaben zu
Von Elisabeth Höfl-Hielscher
Werden S- und U-Bahnen demnächst in Portugal gebaut? Diesen theoretischen
Vorschlag machte der Vizepräsident der Bundesbahndirektion München, Heinz
Simons, bei einer Fachkonferenz der Münchner SPD im Intercity-Hotel.
Was wie ein verspäteter Faschingsscherz klingt, könnte 1995 durchaus real
sein. Denn dann tritt das Föderative Konsolidierungs-Programm in Kraft, der
Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) wird regionalisiert, also Sache der
Kommunen, und die Bonner Subventionen entfallen. Nicht nur die Bahn, auch
die Gemeinden werden sich auf die freie Marktwirtschaft einstellen und als
Nachfrager und Besteller der Ware Verkehr das preiswerteste Angebot wählen
müssen. Und das, so Simons, kann dann das Angebot einer portugiesischen Firma
sein. . . Er berichtete, wie die neue privatwirtschaftliche Deutsche Bahn
AG die Weichen in Richtung freien Markt stellt: S-Bahn und Regionalverkehr
würden sich als Markenartikel behaupten. Er versprach mehr Züge, die auch
im Regionalverkehr wie S-Bahnen von 6 bis 24 Uhr, direkt und in rascher Folge
die Ziele anpeilen - aber schneller und obendrein kostendeckend. Der Preis
werde sich künftig nicht mehr nach der Entfernung, sondern nach der Schnelligkeit
richten. Bald würden die Münchner für die Fahrt ins Umland zwischen teuren
Expresszügen nach IC-Vorbild und billigeren Bummelzügen wählen können.
Die Kommunen sind aber für den Einzug der freien Marktwirtschaft im Verkehr
weit schlechter vorbereitet, gerade in München, so lautete die einstimmige
Klage. Der Münchner Verkehrs-und Tarifverbund (MVV) sei zwar vom Angebot her
Spitze, doch seine Struktur sei, so Geschäftsführer Dieter Lippert, dieselbe
wie im Jahr 1972. Im Klartext: völlig abhängig vom Bonner Subventionstropf.
Der Krieg zwischen Stadt und Region müsse sofort aufhören, eine gemeinsame
Trägergesellschaft endlich auf dem freien Markt als Besteller auftreten können,
sonst werden wir, wenn das FKP Realität wird, blank dastehen!
In seinem Land, berichtete der nordrhein-westfälische Verkehrsminister, Josef
Kniola, gebe es ein ganzes Netz von Verkehrsverbünden. Sie würden aber vom
Land initiiert, Zug um Zug in allen ländlichen Regionen ausgebaut und bezuschusst.
Den Vorrang des ÖPNV lasse man sich viel kosten: Die S-Bahn sei inzwischen
zur Landessache gemacht, dafür die Zuschüsse für den Straßenbau gestrichen
worden. Mit 100 Millionen jährlich werde das Radlwegenetz unterstützt. Das
klang für die Münchner märchenhaft. Hier, das befürchtete die Bundestagsabgeordnete
Hanna Wolf, drohe dem ÖPNV das Aus. Und Co-Moderator Bürgermeister
Christian Ude sprach düster von dem Abgrund, vor dem wir stehen. Schon jetzt
fahre der MVV jährlich ein Defizit von 40 Millionen Mark ein. Auch mit drastischen
Fahrpreiserhöhungen könne er die Betriebskosten ohne Subventionen nie decken.
Und noch so effizient als Besteller auftretende Verkehrsverbünde, das erklärt
Hans-Günter Naumann, der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion,
können den klassischen Nahverkehr nie ganz übernehmen. Gerade außerhalb der
großen Ballungsräume komme auf die Kommunen eine Riesenaufgabe zu.
Heiner Rogge von der IHK München und Oberbayern dagegen sah die Lage nicht
so dramatisch. Der Bund mache halt im Zusammenhang mit der Neuordnung des
Bund-Länder-Ausgleichs beim Steueraufkommen eine Rechnung auf. Die Länder
werden eine Gegenrechnung machen, und man wird sich schon einigen. Wie, darin
ließ die Diskussion keinen Zweifel: Die MVV-Gäste werden zur Kasse gebeten
und die Autofahrer gerupft. Einstimmig wurde gefordert, die Mineralölsteuer
zu erhöhen und die Kommunen gesetzlich daran zu beteiligen. Stadtbaurätin
Christiane Thalgott sorgte noch für einen besonderen Schreckschuss. Warum,
sinnierte sie laut, solle die Stadt eigentlich den Straßenparkern nicht generell
den Grundstückswert berechnen. Ein Stellplatz in Schwabing ist 300 Mark monatlich
wert, in der City 500 Mark. Dagegen sei der MVV auch nach saftigen Preiserhöhungen
noch geschenkt.
Süddeutsche Zeitung – März 22, 1993
Angela
Merkel und Hannelore Rönsch - unfreiwillige Konkurrentinnen - Zellteilung,
die Substanz frisst. Die Ministerinnen haben viele gemeinsame Aufgaben und
ziehen doch nicht an einem Strang
Von Heidrun Graupner
Wartezimmer, das ist der erste Gedanke beim Anblick des alten Paares. Wie
sonst könnte es geschehen, dass er sitzt, aufrecht, den Hut auf den Knien,
die Hände fast zornig über dem Stock gefaltet, und sie, klein und zerbrechlich,
steht. Besorgt und mütterlich beugt sie sich über ihn, die Brille und ein
zerknülltes rosa Spitzentaschentuch in der Hand. Doch abgesehen davon, dass
die beiden Alten in einer Ecke der Diele aus Pappmach sind - dieses Haus hat
schon lange nichts mehr mit Gesundheit und Krankheit zu tun. Mehr als zwei
Jahre ist es her, seitdem das Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen
und Gesundheit in drei Stücke geschnitten wurde: in Gesundheit, in Frauen
und Jugend und schließlich in Familie und Senioren. Und dort stehen die beiden
lebensgroßen Figuren besser für Namen und Konzept. Und irgendwie scheint es
bei ihrem Anblick auch verständlicher zu sein, warum der Name Hannelore Rönschs
als einziger der Bonner Ministerinnen nicht unter der Initiative Jetzt oder
nie. Frauenrechte in die Verfassung zu finden ist. Kritik hatte es Anfang
1991 genügend gegeben, als Bundeskanzler Helmut Kohl die Zellteilung vollzog
und drei Ministerien daraus wachsen ließ, mit vielen neuen Posten. Bonner
Politikerinnen, sei es von der SPD oder der Union, ärgern
sich noch heute über das nicht gerade frauenfreundliche Wort Dreimäderl-Haus,
das damals ganz schnell die Runde machte, weil das einstige Mammutministerium
nicht reformiert wurde, was schon lange notwendig gewesen wäre, sondern verteilt
an drei Frauen, für die Kohl Platz in seinem Kabinett finden wollte. Das Dreimäderl-Haus
aber gibt es schon seit fast einem Jahr nicht mehr, weil die Gesundheitsministerin
Gerda Hasselfeldt (CSU) reichlich glücklos in dem Versuch blieb, die Gesundheitslobby
auf Sparkurs zu zwingen. Und hätte nicht ihr Parteifreund und Nachfolger Horst
Seehofer seine Gesundheitsreform mit geballter Kraft durchgesetzt, stünde
er nicht auf einer solch soliden Basis des politischen Erfolgs, dann wäre
das verdreifachte Ministerium vielleicht doch Thema der Kabinettsumbildung
gewesen.
Wenn die Kritik dennoch nicht verstummt ist, dann hat das, wie der Vizepräsident
des Bundestags, Dieter-Julius Cronenberg (FDP), betont, nichts mit den handelnden
Personen zu tun. Er, und nicht nur er, hält die Teilung grundsätzlich für
falsch. Die drei Ministerien seien zu klein und hätten zu wenig Kompetenzen,
das ist Parkinson. Und die Herausnahme der Krankenversicherung aus dem Sozialministerium
und den übrigen Versicherungen bezeichnet er als den größten Fehler. Die Absicherung
des Lebensrisikos muss in einer Hand sein, sonst ist die Versuchung der Rivalität
zu groß.
Die Frage der Rivalität, der Kompetenzüberschneidungen drängt sich allerdings
bei den beiden anderen Ministerien nicht weniger stark auf, weil es nicht
so ganz einfach sein kann, Frauen und Kinder, bei aller Eigenständigkeit,
die die Politik ihnen endlich zubilligen muss, auf zwei Ministerien zu verteilen.
Nun sind die Kinder wirklich ein wunder Punkt, das sagen beide, die Frauen-
und Jugendministerin Angela Merkel und die Familien- und Seniorenministerin
Hannelore Rönsch. Doch er sei der einzige und er sei nicht gravierend, sagen
beide, und beide zählen zuerst Kompetenzüberschneidungen mit anderen Fachressorts
wie Justiz, Arbeit, Inneres auf. Und eigentlich, so betonten beide CDU-Ministerinnen,
hätten sie nur wenig miteinander zu tun.
Diese so einhellige Meinung allerdings teilen andere Bonner Politikerinnen
und Politiker nicht. Uta Würfel (FDP) ist eine der wenigen, die euphorisch
nur Pluspunkte erkennen kann, weil Frauen- und Jugendthemen mit einem eigenen
Ausschuss größeres Gewicht hätten. Da wird von einer Aufblähung der Ausschussarbeit
gesprochen, die kaum noch zu bewältigen sei, von gewaltigen Reibungsverlusten,
und selbst Unionsfrauen klagen, dass manche Frage zwei- und dreifach bearbeitet
werde. Es ist eine Atomisierung der Themen, sagt Bundestagsvizepräsidentin
Renate Schmidt (SPD). Nach diesen Erklärungen wird es klar,
warum zum Beispiel so viele Veröffentlichungen über die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf in Bonn erscheinen: Weil beide Ministerien an diesem Thema
arbeiten, das eine mit Studien, das andere mit einem Wettbewerb, weil beide
für Betriebskindergärten werben, mit den Gewerkschaften verhandeln, Tagungen
veranstalten. Sie treten in derselben Stadt zum selben Thema und zur selben
Zeit auf, doch nicht gemeinsam. Und dass beide Ministerinnen energisch die
Finger nach der Federführung für einen geplanten Kinderbericht ausgestreckt
haben, wobei die Jugendministerin gewonnen hat, ist allen noch frisch im Gedächtnis.
Mit der Dreiteilung wurde die Kompetenz-Armut verdreifacht, sagt Marliese
Dobberthien (SPD). Angela Merkel und Hannelore Rönsch sehen
das anders. Sie vermissen keine Kompetenzen und fühlen sich völlig ausgelastet.
Hannelore Rönsch zählt eine lange Liste von Aufgaben auf, vom Erziehungsgeld
bis zur Sozialhilfe: Wir können in der Familienpolitik alles gestalten, was
wir wollen.
Das Wort Sozialhilfe aber ist im Zusammenhang mit der Familienministerin zur
Zeit etwas belastet. Hannelore Rönsch hatte zwar nicht den Ruf einer Protagonistin
der emanzipatorischen Familienpolitik, wohl aber einer Hüterin der Familie.
Nicht einmal Unionspolitikerinnen können begreifen, warum sie bereit ist,
für die Arbeitspflicht von Sozialhilfeempfängern einzutreten - sie kann sich
zum Beispiel arbeitslose Lehrer, die Sozialhilfe bekommen, gut als Schulhelfer
vorstellen - und kinderreichen Familien die Sozialhilfe einzufrieren. Das
Existenzminimum, welches das Bundesverfassungsgericht für Kinder reicher Eltern
festgelegt habe, meint Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU), müsse doch
auch für Familien mit Sozialhilfe gelten. Die Ministerin aber wird nicht müde
zu wiederholen, dass ihr das Sparvolumen vorgeschrieben worden sei, sie Alleinerziehende
und Rentner vor Kürzungen geschützt habe und dass ihr das Ganze schwergefallen
sei. Größere Familien, so rechnet sie vor - sie nennt sie Familienbedarfsgemeinschaften
-, könnten billiger einkaufen, Wasser und Strom sparen, weil eine Lampe genüge.
Die Fuchtel des Kanzlers Familie, sagt Hannelore Rönsch, ist für mich ein
kleines Stück Gemeinsamkeit, Schutz und Geborgenheit, wohin man sich zurückziehen
und sich selbst leben kann. Diese Schutzgemeinschaft, aus der jeder Kraft
beziehe, will sie stärken. Eine Umfrage im vergangenen Jahr habe gezeigt,
dass 75 Prozent der jungen Leute heiraten und Kinder haben wollen. Die SPD-Abgeordnete
Christel Hanewinckel aus Halle fragt sich allerdings, wie die Umfrage heute
in Ostdeutschland ausfallen würde. Sie wirft der Familienministerin vor, dass
sie mehr verspreche, als sie dann halte, und sie denkt dabei auch an die rückwirkende
Kürzung des Hilfsfonds Schwangere in Not und die Enttäuschung von Frauen in
Ostdeutschland: Eine Familienministerin, die Deutschland vor den Familien
schützt.
Eine solche Schelte hält die Ministerin für ungerecht, denn auf die Ausweitung
des Erziehungsgeldes etwa ist sie nach wie vor stolz, auch wenn dort der Rotstift
angesetzt wurde und eine einkommensabhängige Verteilung angestrebt wird. Außerdem
empfindet Hannelore Rönsch gerade die Wiedervereinigung, die Lage in Ostdeutschland
als die große Herausforderung in ihrem Ministeramt. Das Wissen über die Menschen
in der ehemaligen DDR hat sie sich vor Jahren, noch als Wiesbadener Kommunalpolitikerin,
angeeignet: bei Verwandtenbesuchen. Ich bilde mir ein, die eine oder andere
Empfindlichkeit nachempfinden zu können.
Frauenministerin Angela Merkel betrachtet die Empfindlichkeiten sicherlich
ein wenig anders. Die beiden Jahre ihrer Blitzkarriere zur Ministerin und
stellvertretenden CDU-Vorsitzenden haben ihr gezeigt, dass die alte Bundesrepublik
kein lernfähiges, flexibles System ist, sondern störrig, verkrustet. Diese
Kritik hat nichts mit ihrer Aufgabe zu tun, die sie bekommen hat und mit der
sie etwas anfangen könne, und zwar eine Menge. Es gibt kaum jemanden, der
ihr nicht zugesteht, dass sie einiges getan hat für Frauen in Ostdeutschland,
für Jugendliche, und sie nimmt sich viel Zeit, um mit Jugendlichen zu sprechen,
um sie verstehen zu lernen. Eine Kampagne will sie starten, damit Eltern nicht
nur das Geld, sondern auch die Zeit mit ihren Kindern teilen. Und sie geht
in die Offensive: Das darf ich auch als Jugendministerin.
Einmal allerdings sind die beiden Ministerinnen mit einem gemeinsamen Briefkopf
aufgetreten, obwohl sie damals nicht gerade dieselbe Politik vertreten haben.
Bei der Diskussion über den Paragraphen 218 aber wollte die Frauenministerin
der Familienministerin nun doch nicht allein das Wort überlassen. Dass Angela
Merkel sich dann bei der Abstimmung in der Nacht zum 26. Juni 1992 der Stimme
enthielt, hat ihr allerdings einiges von der Reputation genommen, die sie
auch bei der Opposition hatte. Eine Frauenministerin, sagen SPD-Politikerinnen,
hätte ja oder hätte nein sagen müssen.
Die Kompromisse sind es, die die Opposition der Frauenministerin übel nimmt,
vielleicht auch, weil sie von ihr mehr erhofft als von der Familienministerin.
Man könne Kompromisse in der Politik machen, meint Hanna Wolf (SPD),
aber nicht gleich am Anfang, wie beim Gleichberechtigungsgesetz. Reichlich
verwässert sei es. Gerade die Diskussion über dieses Gesetz ist aber Gradmesser
für den Wandel der Frauenpolitik nach der Wiedervereinigung. Ostdeutsche Frauen,
auch so unterschiedliche wie die brandenburgische Sozialministerin Regine
Hildebrandt (SPD) und Angela Merkel, haben andere Probleme
als jene Fragen der Gleichberechtigung, die westdeutsche Frauen seit Jahren
umtreiben und die bereits bei der Sprache anfangen. Nicht, dass Angela Merkel
sich scheut, zum Beispiel anzuprangern, dass Existenzgründungen von Frauen
benachteiligt würden; nicht, dass sie sich davor fürchtet, noch einmal ein
Gesetz zur Vergewaltigung in der Ehe anzupacken. Doch was sie in ihrem Gesetzentwurf
besonders vermisst, ist für westdeutsche Frauen nun einmal kein Thema der
Gleichberechtigung: Die moralische und gesellschaftliche Anerkennung von Alleinerziehenden
und die Versöhnung zwischen berufstätigen Frauen und Hausfrauen, die finanzielle
Anerkennung der Leistung von Hausfrauen. Frauen schaden sich gegenseitig,
wenn sie sich nicht anerkennen.
Das gilt auch für Angela Merkel und Hannelore Rönsch. Nicht nur der Name Dreimäderl-Haus
war frauenfeindlich, glauben Bonner Politikerinnen, sondern die Teilung überhaupt.
Dass die Ministerinnen gemeinsam für ein Thema kämpfen, halten selbst Unionsfrauen
für ausgeschlossen. Es liege an der Konstruktion, wenn sich die beiden ins
Gehege kommen. Der politische Streit wird durch die Teilung regelrecht produziert,
sagt Edith Niehuis (SPD). Und dann heiße es, meint Gisela
Babel (FDP), eine Krähe hackt der anderen die Augen aus. Die Frauenfragen
sind ja so vermint.
In der Union wundern sich heute noch manche, dass gerade die CDU, die immer
gegen die Abgrenzung von Frauen und Familie war, ein Frauenministerium geschaffen
hat. Die SPD-Politikerin Niehuis rechnet sich schon aus,
dass in zwei Jahren niemand mehr ein Frauenministerium abschaffen könne; dann
müsse daraus aber ein Gleichberechtigungsministerium werden. Zur Zeit aber
hat selbst sie das Gefühl, dass die Frauenpolitik eher in eine Depression
geraten ist. Schlechtwetterzeiten, sagt Edith Niehuis, bei Haushaltsproblemen
heißt es schnell, dann können wir die Frauensachen lassen. Christel Hanewinckel
sieht dies schärfer. Die SPD-Abgeordnete hat in ihren ersten
zwei Bonner Jahren eine grundsätzliche Erfahrung gemacht, die sie in Rage
bringt: Wenn Kolleginnen und Kollegen sofort unter der Fuchtel des Bundeskanzlers
und der Finanzen stehen, dann brauchen wir keine Fachminister.
Süddeutsche Zeitung – Mai 3, 1993
Tenor
der DGB-Maikundgebung auf dem Marienplatz: Die künftigen Lasten gerecht verteilen.
Hensche, Dittrich und Kronawitter als Redner - Produktionsstandort München
sichern
Von Berthold Neff
Der Tarifkonflikt im Osten Deutschlands hat auch der traditionellen Kundgebung
des Münchner DGB zum Tag der Arbeit seinen Stempel aufgedrückt. Vor etwa 4000
Menschen auf dem Marienplatz rief Detlef Hensche, Vorsitzender der IG Medien,
zur Unterstützung der vor einem Streik stehenden Metaller auf und übte scharfe
Kritik an der Bundesregierung. Während Münchens DGB-Chef Klaus Dittrich forderte,
die zukünftigen Lasten gerecht zu verteilen, erneuerte OB Georg Kronawitter
seinen Ruf nach einer Vermögensabgabe für Millionäre.
Motto der Mai-Feier des Münchner DGB war diesmal Mensch München bleib offen
- Für Toleranz, Gleichberechtigung und Gerechtigkeit. Sie begann mit einer
Demonstration zum Marienplatz, wo Klaus Dittrich OB Georg Kronawitter herzlich
begrüßte: Wer mit 65 Jahren noch einmal anpackt und seiner Partei beibringt,
dass sie wieder die Schutzmacht der kleinen Leute werden muss, der kann mit
unserer Unterstützung rechnen. Auch in München, so Dittrich, stehe der 1.
Mai im Zeichen der zunehmenden Arbeitslosigkeit, die aber viele kalt lasse.
Er habe geradezu den Eindruck, dass sich in dieser Stadt mehr Leute über den
Lizenzentzug für einen prominenten Koch und über 40 Meter Radweg in der Dienerstrasse
aufregten, als wenn zehntausend Menschen arbeitslos werden.
Jetzt sei die Zeit für energisches Handeln. Dittrich forderte von der Stadt
schnelle Entscheidungen, um den Produktionsstandort München zu sichern, und
öffentliche Investitionen, um die Lebensqualität zu verbessern. Dazu gehöre
auch der längst überfällige Ausbau des MVV durch Land und Bund. Diese Lasten
müssten sozial gerecht verteilt werden: Georg Kronawitter hat mit seinem Vorschlag
einer Vermögensabgabe für Millionäre den richtigen Weg gewiesen.
Als der Oberbürgermeister zu sprechen begann, ertönte - wie schon im vorigen
Jahr - ein Trillerpfeifen-Konzert, und weiße Zettel mit der Aufschrift Für
uneingeschränktes Recht auf Asyl flatterten in die Menge. Die bledn Hund,
äußerte sich ein alter Gewerkschaftler über die lärmenden Jugendlichen. Kronawitter
sagte, er könnte es verstehen, wenn ein paar Dutzend Millionäre pfiffen, aber
was diese Leutchen machen, das ist nicht verständlich. Später drängte die
Polizei die Störer ab und nahm einen davon, der ein sogenanntes Butterflymesser
gegen einen Ordner gezogen hatte, vorläufig fest.
Kronawitter beklagte die Umverteilung in Milliardenhöhe von unten nach oben,
das macht die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer. Er forderte,
die großen Vermögensbesitzer an den Kosten der Einheit stärker zu beteiligen
und zitierte den ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Wilhelm Högner:
Wenn schon die braven Schafe Wolle lassen müssen, dann sollen auch die fetten
Hammel kräftig geschoren werden. Nach dem Grußwort sprang ihm Dittrich zur
Seite: Wer einen Oberbürgermeister auspfeift, der im Kampf gegen die Ungerechtigkeit
an unserer Seite steht, ist entweder grenzenlos dumm oder ein Gegner der Gewerkschaften.
Harald Flassbeck, Sekretär der IG Metall München, kündigte für die nächsten
Wochen Solidaritätsmaßnahmen für die ostdeutschen Metaller an: Wir werden
sie in ihrem gerechten Kampf nicht alleine stehen lassen. Hauptredner Detlef
Hensche nahm diesen Gedanken auf und sagte: Was auch immer sie den Schwachen
unter uns antun, das tun sie uns allen an. Nunmehr gehe es auch um die Verbindlichkeit
bestehender Tarifverträge im Westen Deutschlands.
Viel Beifall erhielt der Vorsitzende der IG Medien, als er es als Niederlage
für die Demokratie bezeichnete, wenn das Asylrecht ausgehebelt werden sollte.
Er beklagte, dass der Begriff Solidarität selten so verhunzt wurde wie im
Wort Solidarpakt, hob die Rolle der Arbeitnehmer hervor (Jede Gewinnmark,
jede Maschine ist von uns erarbeitet) und formulierte es bildhaft: Nicht die
Geige geigt, der Geiger geigt - und das sind wir. Hensche protestierte gegen
die geplante Einführung von Karenztagen. Die Gewerkschaften würden die Lohnfortzahlung
auch durch Arbeitskampf verteidigen. Er forderte weitere Arbeitszeitverkürzungen,
um die vorhandene Arbeit gerecht zu verteilen.
Zum Podium, auf dem unter anderen Bürgermeister Christian Ude, der Münchner
SPD-Vorsitzende Hans-Günter Naumann sowie die SPD-Bundestagsabgeordneten
Ulrike Mascher und Hanna Wolf standen, brandete nach der
Rede heftiger Applaus. Zum Abschluss intonierte der DGB-Chor das Brüder, zur
Sonne, zur Freiheit. Der Feiertag ging mit einem Familienfest mit viel Musik
auf dem St.-Jakobs-Platz zu Ende.
Süddeutsche Zeitung – Mai 17, 1993
Hanna
Wolf verteidigt
Frauen-Kommission
Die Bestätigung der Gleichstellungskommission für Frauen durch die Stadtratsmehrheit
hat die SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf,
Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) zum
Anlass für eine Art Abrechnung mit dem CSU-Fraktionschef Gerhard Bletschacher
genommen.
Die Kommission, in der Stadträtinnen, Frauengruppen, Vereine, Verbände und
Gewerkschaften jeder politischen Couleur von schwarz bis lila vertreten sind,
habe sich als kompetentes Fachgremium für Frauenfragen bewährt. Empfehlungen
an den Stadtrat seien auch zu Zeiten, als die CSU noch in der Kommission vertreten
war, meist einstimmig verabschiedet worden. Diese Einstimmigkeit störte Bletschacher
wohl sehr. Er habe seine Frauen wohl nur abgezogen, damit er seine Obstruktionspolitik
betreiben konnte, mutmaßt sie in einer Presseerklärung.
Außerdem habe Bletschacher in einer Schnüffelaktion Frauenprojekte verleumdet,
die seiner Meinung nach städtische Gelder vergeudeten. Durch seinen Gesundheitsreferenten
(gemeint ist CSU-Parteifreund Thomas Zimmermann, d. R.) habe Bletschacher
zudem die Einrichtung einer städtischen Ambulanz für Schwangerschaftsabbrüche
immer wieder torpedieren lassen und auch versucht, die Gleichstellungsstelle
zu verunglimpfen. Zuletzt habe er gar von der gewählten Schulreferentin behauptet,
sie habe in ihrem Leben noch keine einzige Stunde gearbeitet. tom
Frankfurter Allgemeine Zeitung – Mai 18, 1993
Frauen
trauen Frauen alles zu
Gleichstellungsbeauftragte erfinden eine ganz neue Politik der Weiblichkeit
Frauenministerin Merkel ist nach ihrer müde beklatschten Ansprache längst
wieder auf dem Heimweg nach Bonn. Die Reden über Arbeitsmarktpolitik für Frauen
sind gehalten. Da melden sich einzelne Gleichstellungsbeauftragte zu Wort.
Auf dem Bundeskongress kommunaler Frauenbüros im Mainzer Schloss wird es mit
einemmal lebendig.
"Ich komme aus dem Land Sachsen, wo die Frauen den Gebärstreik ausgerufen
haben", ruft die Frauenbeauftragte aus Dresden pathetisch ins Mikrofon.
Seit über drei Jahren diskutiere man gemeinsam immer so schön über die Gleichstellung
der Frau, während bei ihr daheim alles kaputtgehe, was Emanzipation erst möglich
macht: Kindertagesstätten, Frauenarbeit in der Industrie. Über siebzig Prozent
beträgt der Anteil der Frauen an den Arbeitslosen in Ostsachsen, führt die
Kollegin aus Görlitz aus - obwohl sich erheblich mehr Frauen als Männer weiterbilden.
Die Meldungen aus dem Osten sind verzweifelt: Zuwendungen für Mädchenausbildungen
werden gestrichen. Die Kindergärten sollen nur sechs Stunden geöffnet sein
- damit werde die Berufstätigkeit der Mutter unmöglich. Systematisch verdränge
man die Frauen aus dem Arbeitsleben. Beförderungen seien ihnen wegen der Doppelbelastung
von Überstunden und Familie verwehrt. "Die Kinder werden immer nur den
Müttern zugeschrieben; für die neue Wirtschaft haben Kinder offenbar keine
Wertigkeit", schließt die Frauenbeauftragte aus Merseburg ihren Beitrag.
"Ihr habt es ja nicht anders gewollt", murmelt in den hinteren Reihen
eine Kollegin vor sich hin. Und ausgerechnet zwischen den amtlich bestallten
Vorkämpferinnen der Emanzipation, die doch ein gemeinsames Ziel verfolgen
sollten, ist der Graben zu spüren, der dieses Land durchzieht. Eine bessere
"Zusammenarbeit in der Region und der konkreten Umsetzung vor Ort"
wünscht sich die Vertreterin aus dem westfälischen Lünen. In ihrem Bundesland
soll endlich die "Regionalstelle der Frau und Beruf" flächendeckend
eingeführt werden. Aber in der Strukturpolitik wolle eben jeder Provinzhirsch
sein Projekt durchsetzen, da stehe dann die Frauenförderung hinten an. Deshalb
müsse man, so eine Kollegin vom Niederrhein, "Kontakte mit dem Ministerium
aufnehmen und ein Entwicklungskonzept erarbeiten".
Der Weg zur Emanzipation ist im Westen so mühselig wie je: In Erftstadt erwägt
man, Gewerbegrundstücke nur noch mit Auflagen zur Frauenförderung zu vergeben.
Ein Ratschlag für Bitterfeld? Im Arbeitsamt Flensburg hat die Vertreterin
der ÖTV manch verbale Attacke der Kollegen zu ertragen. Empörung in Cottbus?
An den westlichen Anträgen dieser neunten Bundeskonferenz von über 1200 organisierten
Frauenbüros ist die Machtlosigkeit zu ermessen, neben den gesetzlichen Frauenrechten
im öffentlichen Dienst einen Fuß in die Privatwirtschaft zu bekommen: Die
Nordrhein-Westfalen fordern Sonderurlaub bei Erkrankung eines Kindes und neue
Möglichkeiten für Teilzeitarbeit bei Beamtinnen sowie ein "Arbeitsschutzrahmengesetz".
Eine der gewichtigsten Forderungen des neuen Berufsstandes: höhere Besoldung.
Baden-Württemberg will die mittelbare Diskriminierung junger Mütter bei der
betrieblichen Altersversorgung bekämpfen, und Schleswig-Holstein bekümmert
die "Ausbildungssituation von Fachangestellten für Bürokommunikation".
Man hat es mit zwei Welten zu tun. Während im Osten die Strukturen weiblicher
Beschäftigung kollabieren und während überall Hunderttausende von Familien
mit - gelinde gesagt - patriarchalischen Wertvorstellungen nach Deutschland
einwandern, reden die Amtsträgerinnen aus dem Westen weiter von "fehlenden
Durchsetzungsstrategien", wollen endlich die Tarifkommissionen beeinflussen
und fordern forsch "Antidiskriminierungsgesetze für die Privatwirtschaft".
Gewiss, es steht "immer noch" schlecht um die Förderung von Frauen
im Berufsleben, und eine Umfrage der Frauenbeauftragten in Wiesbadener Betrieben
bestätigt das. Was aber, wenn das "immer noch" auf keine Besserung
verweist und alles noch viel schlimmer kommt? Entsteht dann Frauensolidarität
oder kommen Verteilungskämpfe?
Die Gleichzeitigkeit zweier ungleichzeitiger Kulturen macht die Seelenlage
in Deutschland so viel bitterer als in europäischen Ländern mit noch größeren
existenziellen Schwierigkeiten - im Westen etwa Großbritannien und Italien,
im Osten Polen oder die Slowakei. Doch hierzulande stoßen zwei Unzufriedenheiten
aufeinander: hier die gereizte Wohlstandsdemokratie, die auf ihrem scheinbar
linearen Entwicklungsgang in Richtung Skandinavien rüde von der Geschichte
gestippt wurde. Viele der trefflichen Frauenprojekte für Reform und Emanzipation
müssen nun storniert werden, weil das Geld nach Osten fließt. Das hemmt, das
ist ärgerlich. Auf der anderen Seite aber sehen Frauen, die es in ihrer abgeschotteten
Gesellschaft mit der Gleichberechtigung schon weit gebracht hatten, wie auf
ökonomischen Druck hin die Entlassungen an Frauen verschickt, die Krippen
geschlossen werden, während die westlichen Bundesgenossinnen davon unbeeindruckt
ihre symbolischen Gremienkämpfe ausfechten und von völlig überschätzten Politikern
nutzlose Gesten fordern. Das ist eine Katastrophe. Von beiden Seiten in Mainz
fordert die Lage einen Spagat der Gefühle: sich mit denen solidarisieren zu
müssen, die man doch für die eigene Malaise verantwortlich macht.
Gerade in den vermeintlich letzten Bastionen von Aufklärung und Reform - Feminismus,
Universität, Gewerkschaft - prallen die unverträglichen Ansprüche zweier Lebenswelten
am harschesten aufeinander. Das neue Deutschland erweist sich als Solidargemeinschaft
der Unsolidarischen. Das macht die öffentliche Rede hier so unangemessen,
etwa wenn die SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf
von der resignierten Versammlung so flammend wie schwärmerisch das Ende der
weiblichen Geduld einklagt. Die Spitze stachelt die Basis an: "Irgendwann
müsst ihr doch mal platzen. Wir wollen endlich Gesetze für die Privatwirtschaft!"
Wie auf ihren früheren Kongressen, wie auf jeder Firmen- und Parteiversammlung
und wie beim deutschen Karneval haben die Frauen in Mainz ihre Versammlung
aufgebaut: an den Tischen die Basis, am Pult die Rednerin, auf der Bühne der
Elferrat des Vorstands. Doch durch die Ordnung zieht sich ein Riss, den das
hergebrachte Ritual nicht kitten kann. Viele reden leidenschaftlich; viele
hören kaum zu.
So mäandert die politische Sprache fort und fort: Bewusstsein, Strategien,
Gremien, Projekte, Gesetze - während die Wirklichkeit längst aus den Formeln
der westlichen Wohlstands- wie der östlichen Ideologiegesellschaft ausgewandert
ist. Eine neue Lage herrscht, die alle kennen, aber die niemand beim Namen
zu nennen wagt: Die reformfreudige Wohlstandsgesellschaft ist mit der behütenden
Planwirtschaft gestorben. Um die Besitzstände tobt eine Verteidigungsschlacht,
die im Osten früher, im Westen später an die Substanz geht.
Eine einzige Gnade ist beiden deutschen Kulturen, die die Teilung hinterlassen
hat, gemeinsam: die Gnade des sehr deutschen Glaubens, jemand anderes, nur
nicht man selbst, sei für die persönliche Misere verantwortlich. So wird es
weitergehen: Gemeinsam fühlen sich beide deutsche Kulturen betrogen, gemeinsam
fühlen sie sich unbehaglich. Sie haben einander verdient. DIRK SCHÜMER
Süddeutsche Zeitung – Mai 29, 1993
Unterschiedliches
Echo auf Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - Viele SPD-Frauen
über das Abtreibungsurteil empört
Sozialministerin Hildebrandt: Rückfall ins Mittelalter / Bischofskonferenz
und Mehrheit der Union begrüßen Richterspruch
Auf ein geteiltes Echo auch innerhalb der Parteien ist das Karlsruher Urteil
zum Abtreibungsparagraphen 218 gestoßen. Während sich führende SPD-Politikerinnen
empört über den Richterspruch äußerten, wurde bei einer Sondersitzung der
Unionsfraktion am Freitag in Bonn erneut deren innere Zerrissenheit in dieser
Frage deutlich. Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth sagte, die Entscheidung
bedeute für die deutschen Frauen, dass sie mit einem ganz negativen Frauenbild
versehen werden. Dagegen sahen sich diejenigen, die schon früher für restriktivere
Regeln für Abtreibungen eingetreten waren, in ihrer Meinung bestätigt. Die
CSU begrüßte das Urteil, das die Klage im nachhinein rechtfertige. Wenige
Stunden nach dem Richterspruch kam es am Freitag in zahlreichen Städten zu
Protestveranstaltungen. Aber auch bei den Befürworterinnen der Fristenlösung
gab es Stimmen, die das Urteil positiv werteten. Die an dem zu Teilen in Karlsruhe
verworfenen Gesetz wesentlich beteiligten Horst Eylmann (CDU) und Uta Würfel
(FDP) verwiesen darauf, dass Frauen auch nach dem Urteil noch selbst entscheiden
könnten. Es seien aber Nachbesserungen nötig. Eylmann, der auch Vorsitzender
des Bundestagsrechtsausschusses ist, meinte, es sei schon ein Durchbruch,
dass auf die Anwendung des Strafrechts verzichtet werden könne und ein Beratungsmodell
für zulässig erklärt worden sei. Eine Zwischenstellung nahm in der Einschätzung
die SPD-Schatzmeisterin Ingrid Wettig-Danielmeier ein. Das
Urteil sei kein Sieg auf ganzer Linie, die Frauen hätten aber dennoch einen
Fortschritt errungen, wenn es auch der Fortschritt einer Schnecke sei.
Bundeskanzler Helmut Kohl forderte alle staatlichen Organe und gesellschaftlichen
Gruppen auf, das Urteil zu respektieren. Der Kanzler begrüßte, dass sich das
Gericht in klarer Weise zum wirksamen Schutz des ungeborenen Lebens bekannt
habe. CDU/CSU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble sagte mit Blick auf die massive
Kritik an dem Richterspruch, es sei unerträglich, wenn in unqualifizierter
Weise Urteilsschelte betrieben werde. Schäuble betonte, die überwiegende Mehrheit
der Union könne sich in der Auffassung wiederfinden, dass der Schutz des Lebens
Vorrang haben und die Beratung im Schwangerschaftskonflikt diesem Ziel dienen
müsse. Bundesfrauenministerin Angela Merkel (CDU) wies unter anderem die Äußerung
der brandenburgischen Sozialministerin Regine Hildebrandt (SPD)
zurück, die von einem Rückfall ins Mittelalter gesprochen hatte. Dies sei
nicht der Tenor des Urteils, sagte Merkel. Vielmehr sei die Bedeutung einer
Beratung hervorgehoben worden, die zum Kind ermutigen solle. Bundesfamilienministerin
Hannelore Rönsch (CDU) begrüßte, dass der Wert des ungeborenen Lebens in seiner
besonderen Bedeutung hervorgehoben worden sei.
SPD-Präsidiumsmitglied Heidemarie Wieczorek-Zeul sprach dagegen
von einem schrecklichen Akt der Bevormundung von Frauen. Die frauenpolitische
Sprecherin der SPD-Fraktion, Hanna Wolf,
nannte den Wegfall des Krankenversicherungsschutzes entwürdigend. Der Richterspruch
in Karlsruhe sei auf die Kurzformel zu bringen: Sozialstrafe statt Hilfe.
Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Herta Däubler-Gmelin
wandte sich gegen zu große Eile bei der gesetzlichen Neuregelung des Rechts
auf Schwangerschaftsabbruch.
Die stellvertretende FDP-Vorsitzende, Bundesbauministerin Irmgard Schwätzer,
nannte den Spruch so ziemlich das Weltfremdeste, was ich seit langer Zeit
gehört habe. Sie habe die Entscheidung mit tiefer Betroffenheit und Enttäuschung
aufgenommen. Man müsse den Eindruck gewinnen, dass in Deutschland der Staat
aufs neue versuche, Frauen, die selbstbestimmt leben wollten, unter Kuratel
zu nehmen. Schwätzer forderte aufgrund der Entscheidung eine tiefgreifende
Diskussion über die Rolle des Verfassungsgerichts. Es kann nicht sein, dass
sechs Richter mit einem Federstrich zunichte machen, was die Mehrheit des
Parlaments und des Volkes wünscht, sagte sie. Der Vizeregierungschef von Mecklenburg-Vorpommern,
Sozialminister Klaus Gollert (FDP), nannte den Spruch des Gerichts niederschmetternd
für die Frauen dieses Landes.
Marianne Birthler, Vorstandssprecherin von Bündnis 90/Grüne, sagte: Das Urteil
übertrifft meine schlimmsten Erwartungen. Die den Grünen angehörende niedersächsische
Frauenministerin Waltraud Schoppe sprach von einer Sauerei. Die PDS-Abgeordnete
Petra Bläss sah in dem Richterspruch Zeichen einer reaktionären Wende in diesem
Land. Die ÖTV-Vorsitzende Monika Wulf-Mathies forderte Gewerkschaftsmitglieder
zu Aktionen gegen den Entscheid auf.
Die Katholische Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen
Katholiken (ZdK) begrüßten den Spruch, mit dem das Lebensrecht des ungeborenen
Kindes gestärkt werde. Der wahre Gewinner ist der Mensch, erklärte der Vorsitzende
der Deutschen Bischofskonferenz, der Mainzer Bischof Karl Lehmann.
Süddeutsche Zeitung – Juni 12, 1993
Heidemarie
Wieczorek-Zeul kämpft um Parteivorsitz - Eine Frau will es jetzt wissen. Im
Hofbräuhaus letzte Vorstellung vor der SPD-Abstimmung
Von Berthold Neff
Viermal reckt Heidemarie Wieczorek-Zeul die rechte Hand zur Siegerpose. Dann
lässt sie diese Bewegung sofort in ein Winken übergehen, als hätte sie Angst
vor ihrer eigenen Courage, als wäre die Geste zu männlich, zu martialisch
gewesen. Auch den lebhaften Beifall, der ihr im Hofbräuhaus-Festsaal entgegenbrandet,
kostet sie nicht bis zur Neige aus, sondern setzt sich schon nach kurzer Zeit
wieder an den Tisch auf dem Podium. Sind das die äußeren Kennzeichen der neuen
Politik, die sie innerhalb der SPD verkörpern will? Vor rund
zwanzig Jahren hat sie in München einen ihrer größten Siege gefeiert. Damals
jedoch, als die rote Heidi zur Juso-Vorsitzenden gewählt wurde, war sie die
einzige Kandidatin. Das ist sie jetzt auch im Rennen um den Parteivorsitz,
das morgen mit der Abstimmung in den SPD-Ortsverbänden zu
Ende geht: die einzige Frau nämlich, die es mit Gerhard Schröder und Rudolf
Scharping aufnimmt.
Letzterer hatte seine Visitenkarte bereits drei Tage zuvor in München abgegeben
und dabei so viele Interessenten in den Pschorr-Keller gelockt, dass sich
der Schäfflersaal mit seinen 300 Plätzen als viel zu klein erwies. Zum Vorsingen
der Kandidatin sind zwar auch etwa 300 Zuhörer erschienen, aber weil in dem
großen Saal nahezu jeder zweite Platz leer bleibt, will schon allein deshalb
keine rechte Stimmung aufkommen. Ein Handicap ist andererseits aber auch,
dass der Saal schon nach zweieinhalb Stunden geräumt sein muss, wie Diskussionsleiter
Peter Glotz zu Beginn verkündet - Rudolf Scharping durfte vier Stunden bleiben.
Heidemarie Wieczorek-Zeul erklärt, warum sie nicht - wie Schröder - zugleich
Anspruch auf die SPD-Kanzlerkandidatur erhebt: Einer allein
kann es nicht schaffen. Gerade bei ihr als Frau stehe jedoch Teamarbeit hoch
im Kurs: Mit denen, die antreten, kann ich gut kooperieren. Das bundespolitische
Profil der Sozialdemokratie müsse in Bonn geprägt werden. Ein Vorsitzender,
dessen Kraft durch Landespolitik und regionale Egoismen geschmälert werde,
sei schlecht für die SPD: Wir sollten eine gestaltende Partei
bleiben und nicht nur vor der Wahl die Kraft der Mitglieder mobilisieren.
Fünf große Aufgaben würde sie als Parteivorsitzende angehen: die Arbeitslosigkeit
bekämpfen, den Umweltschutz vorantreiben, den Sozialstaat verteidigen, eine
frauen- und kinderfreundliche Gesellschaft schaffen und eine neue Außenpolitik
formulieren. Sie fordert preiswerten Wohnraum für Normalverdiener, die Pflegeversicherung
ohne Karenztage oder gestrichene Feiertage und Bekämpfung der Steuerhinterziehung
statt Schnitte ins soziale Netz.
Sie trägt dies so vor, dass man es gut versteht, aber eine Woge der Begeisterung
kommt im Publikum nicht auf. Rhythmisches Klatschen ertönt erst, als sie Kohls
Fernbleiben von der Trauerfeier für die Mordopfer von Solingen schofel nennt
und als eine Art Signal für Rechtsextreme bezeichnet, das deren Handeln gleichsam
entschuldige.
Die SPD-Prominenz im Publikum ist rar gesät. Bewundernswert
die Energie, mit der Josef Felder, Ehrenvorsitzender der bayerischen SPD
und so alt wie dieses Jahrhundert, dem Vortrag und der Diskussion folgt. Neben
den SPD-Stadträtinnen Gertraud Burkert und Christl Purucker-Seunig
sind die Bundestagsabgeordneten Ulrike Mascher (bündelte die auf Zetteln eingereichten
Fragen zu Themen) und Hanna Wolf erschienen; die Münchner
SPD ist durch die stellvertretenden Vorsitzenden Ingrid Anker
und Stefanie Jahn vertreten.
Nach sieben Fragen aus dem Publikum beschwört die Kandidatin noch einmal alle
Mitglieder, möglichst viele Genossen in den Ortsvereinen zu mobilisieren,
damit eine engagierte Frau eine Chance hat. Peter Glotz lobt, sie habe sich
gut geschlagen und wünscht ihr viel Glück. Danach bricht durch die schwüle
Münchner Luft, was der SPD offenbar noch bevorsteht: ein
klärendes Gewitter.
MORGEN wird sich entscheiden, wie hoch Heidemarie Wieczorek-Zeul in der Gunst
der SPD-Mitglieder steht.
Süddeutsche Zeitung – Juni 16, 1993
Hanna
Wolf: Aus
A99 West keine Autobahn machen
Das Festhalten der bayerischen CSU am Autobahnmäßigen Ausbau der A99 West
stößt bei Hanna Wolf, SPD-Bundestagsabgeordnete und stellvertretendes
Mitglied im Verkehrsausschuss, auf Unverständnis. In Zeiten knappen Geldes
sei der preiswertere Ausbau als Bundesstrasse im Münchner Westen sinnvoller.
Freiham, eine der letzten Siedlungsflächen der Landeshauptstadt, wäre damit
an den Verkehr angebunden, aber nicht zerstückelt. Die eingesparten Bundesmittel
könnten nach Meinung von Wolf in den dringenderen Ausbau der S-Bahn investiert
werden. Dagegen fordert Wolf die bayerische Regierung auf, den Bau des Tangentenanschlusses
der A 99 Nord bis zur Stuttgarter Autobahn sofort in Angriff zu nehmen. blu
Süddeutsche Zeitung – Juli 10, 1993 Leserbrief
Zusammenfassung
antifeministischer Vorurteile
Der Autorin sei Dank für die praktische Kurzzusammenfassung aller antifeministischen
Vorurteile. Sie seien jedoch mit zwei noch kürzeren Bemerkungen entkräftet:
1. Die Tatsache, dass nur ein verschwindender Prozentsatz der Frauen in Führungspositionen
zu finden sind, liegt sicherlich nicht daran, dass Frauen in eben diesem Masse
unqualifizierter sind als Männer. Diese Interpretation dürfte die Autorin
wohl nicht beabsichtigt haben.
2. Die Autorin führt sehr richtig an, dass für die Frauen der Hemmschuh -
jedoch nicht der einzige - der Mangel an Kinderbetreuungsplätzen ist. Warum
sie jedoch vermutet, dafür setzten sich Feministinnen nicht ein, ist mir nicht
nachvollziehbar. Wir kämpfen jedenfalls seit unzähligen Jahren u. a. für qualifizierte
professionelle Betreuungsmöglichkeiten für alle Kinder. Ihre Kritik sollte
die Autorin lieber an die konservativen Familienpolitiker richten, die Kinderbetreuungsmöglichkeiten
höchstens als kompensatorische Maßnahme sehen, gewisse Kinder vor der Verwahrlosung
zu bewahren, der sie wegen ihrer Rabenmütter ausgesetzt zu sein scheinen.
Um aber die entsprechenden Mehrheiten für die Durchsetzung dieser wichtigen
frauenpolitischen Forderung zu bekommen, brauchen wir wiederum die vielgescholtene
Quote. Die Antwort auf die Frage, warum kinderlose Frauen auch nicht recht
viel mehr vorwärtskommen, ist die Autorin schuldig geblieben. Das ist wohl
auch der Unterschied zwischen einem Pamphlet und einer politischen Analyse.
Hanna Wolf, MdB, Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion
für Frauen und Jugend Alte Allee 2 81245 München
Süddeutsche Zeitung – Juli 10, 1993
Schmidt:
Umzug legt Institut lahm
Absolut unerträglich ist für die Bundestags-Vizepräsidentin und SPD
Landesvorsitzende Renate Schmidt die Verlegung des Sozialwissenschaftlichen
Instituts der Bundeswehr München nach Strausberg (Brandenburg). Die Planung
bedeute für das Institut eine schwere Beeinträchtigung seiner Arbeitsfähigkeit,
wenn nicht sogar seine Zerschlagung, meinte Frau Schmidt, die das Institut
in der Winzererstrasse besucht hatte und von ihren Begleiterinnen, den beiden
Bundestagsabgeordneten Hanna Wolf und Ulrike Mascher, darin
bestärkt wurde. rr
Frankfurter Allgemeine Zeitung – Juli 21, 1993
Positionen
zur Abtreibung
Ein neuer Gruppenantrag? / Die Haltung der CSU
Die Verhandlungen zwischen den Parteien darüber, welche Konsequenzen aus dem
Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Paragraphen 218 zu ziehen seien,
werden offenbar schwieriger als zunächst erwartet. Die SPD-Abgeordnete
Ulla Schmidt warf am Dienstag der Union vor, das Urteil "möglichst extensiv
zu Lasten der Frau" auszulegen. Frau Schmidt, die einer "Querschnittsarbeitsgruppe"
der SPD-Bundestagsfraktion zur Frauenpolitik vorsteht, kritisierte
einen Beschluss des CSU-Parteivorstands, in dem mehrere strafbewehrte Vorschriften
für das neu zu formulierende Beratungsgesetz gefordert werden. Das Bundesverfassungsgericht
hatte Ende Mai entschieden, ein Schwangerschaftsabbruch sei grundsätzlich
rechtswidrig, könne aber straffrei sein. Die Kosten seien von den Betroffenen
zu tragen. Die Krankenkassen dürften nur zahlen, wenn die Abtreibung medizinische
Gründe habe. Nach dem Urteil hatten die Fachleute der Bundestagsfraktionen
erste "Sondierungsgespräche" geführt. Zu Detailverhandlungen ist
es dabei nicht gekommen. In der Sommerpause wollen die Fraktionen ihre Vorschläge
bündeln. Nach den Vorstellungen der SPD können die eigentlichen
Verhandlungen dann im September beginnen. Frau Schmidt versicherte, die Initiatoren
des "Gruppenvorschlages" aus SPD, FDP und von Teilen
der CDU wollten wieder einen gemeinsamen Gesetzentwurf vorlegen; dieses Bündnis
hatte vor einem Jahr den später vom Verfassungsgericht verworfenen Gesetzentwurf
(Fristenregelung mit Beratungspflicht) formuliert und im Bundestag durchgesetzt.
Mit Blick auf die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Unionsfraktion sowie
zwischen Union und FDP sagte Frau Schmidt, auch bei den bevorstehenden Beratungen
werde es "keine Regierungsmehrheit" geben. Die stellvertretende
FDP-Fraktionsvorsitzende Würfel habe gesagt, der Gesetzentwurf solle gemeinsam
mit der SPD formuliert werden. Doch gibt es bei der SPD
offenbar Zweifel an der Stabilität dieses Bündnisses. Bei der Entscheidung
im vergangenen Jahr sei grundsätzlich um Fristenregelung oder Indikationsregelung
gestritten worden. Nun gebe es eine andere "Gefechtslage".
In dem CSU-Beschluss werden "strafbewehrte Vorschriften über die Pflichten
des einen Schwangerschaftsabbruch vornehmenden Arztes" gefordert. Der
Arzt müsse sich die Gründe der Frau darlegen lassen und sich ein "eigenständiges
Urteil" darüber bilden, ob er den gewünschten Abbruch verantworten könne.
Das Betreiben "reiner Abtreibungskliniken oder Ambulanzen" sei zu
verbieten; der Anteil der Schwangerschaftsabbrüche an den insgesamt vorgenommenen
"ärztlichen Verrichtungen" solle begrenzt werden. Die CSU forderte
"strafbewehrte Verhaltensgebote und -verbote für das familiäre Umfeld".
Wer eine Frau zum Schwangerschaftsabbruch dränge oder sie in Kenntnis der
Schwangerschaft in eine Notlage bringe, "soll ebenso bestraft werden
wie derjenige, der der Schwangeren den ihm zumutbaren Beistand in verwerflicher
Weise vorenthält". Die Meldepflicht für Schwangerschaftsabbrüche müsse
wieder eingeführt werden. Die CSU plädierte für ein bundeseinheitliches Beratungsgesetz,
in dem Ziel, Aufgaben und Durchführungsregelungen festgelegt seien.
Frau Schmidt und die SPD-Abgeordnete Hanna Wolf
kündigten an, die SPD werde einen Gesetzentwurf ablehnen,
der Strafandrohungen für die beteiligten Ärzte und Berater vorsehe. Frau Wolf
sagte, über das Beratungsgesetz dürfe nicht "durch die Hintertür"
die Indikationsregelung wieder eingeführt werden.
Süddeutsche Zeitung - September 14, 1993
Erster
Entwurf für einen neuen Paragraphen 218 - FDP will ungeborenes Leben besser
schützen. Die Liberalen schlagen vor einer Abtreibung eingehende Beratung
der Schwangeren vor
Den Schutz des ungeborenen Lebens will die FDP-Bundestagsfraktion in einem
Entwurf für die Neufassung des Paragraphen 218 stärker als bisher hervorheben.
Vorgeschlagen wird eine ausführliche Beratung der Schwangeren in einer anerkannten
Stelle nahe dem Wohnort. Die FDP zieht damit die Konsequenzen aus dem Urteil
des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai, nach dem das im Juni 1992 vom Bundestag
beschlossene Abtreibungsrecht nachgebessert werden muss. Die stellvertretende
Fraktionsvorsitzende Uta Würfel sagte in Bonn, ihre Fraktion strebe an, die
Änderung der Strafgesetzbuch-Paragraphen 218 und 219 bis zum Jahresende im
Bundestag zu verabschieden.
Die FDP-Abgeordneten Rainer Funke und Gerhart Rudolf Baum kündigten an, die
FDP werde für den Entwurf in der Koalition werben. Es fänden auch Gespräche
mit den Befürwortern des früheren Gruppenantrags zur Fristenlösung statt.
Die parteiübergreifende Entscheidung des Bundestags, die einen Schwangerschaftsabbruch
innerhalb einer Drei-Monats-Frist erlaubt hätte, war vom Bundesverfassungsgericht
beanstandet worden. Das Gericht hatte gerügt, dass im Gesetz diese Fristenregelung
nicht für rechtswidrig erklärt worden war.
Wie vom Verfassungsgericht verlangt, sieht der FDP-Entwurf nun den Tatbestandsausschluss
vor. Danach gilt eine Abtreibung zwar in jedem Fall als rechtswidrig, von
einer Bestrafung der Beteiligten wird aber unter bestimmten Bedingungen abgesehen.
Frau Würfel erläuterte, das Recht sieht weg, wenn mindestens drei Tage vor
einer Abtreibung in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen eine Beratung
stattgefunden habe. Der Abbruch müsse vom Arzt auf ausdrückliches Verlangen
der Schwangeren ausgeführt werden. Vor dem Eingriff habe sich der Arzt nochmals
die Gründe für den Abbruch darlegen zu lassen.
Nach dem Gesetzentwurf der FDP muss das Beratungsgespräch zum Ziel haben,
das Leben des ungeborenen Kindes zu schützen. Dennoch solle es ergebnisoffen
geführt werden, erläuterte Uta Würfel. Nach dem Willen der FDP soll die abtreibungswillige
Schwangere sich anonym beraten lassen können. Beratungsstellen von verschiedenen
Trägern müssen nach dem Gesetzentwurf wohnortnah eingerichtet werden. Die
Beratungsstellen sollten eng mit den lokalen Hilfseinrichtungen zusammenarbeiten,
um Frauen zu unterstützen, die ihr Kind austragen wollen. Die FDP schlägt
vor, dass die Landessozialämter sozial Bedürftigen den Schwangerschaftsabbruch
bezahlen, um Schwangeren den Gang zum Sozialamt der Gemeinde zu ersparen.
Familienangehörige oder Väter sollten bestraft werden können, wenn sie eine
Schwangere hartnäckig zum Abbruch drängen oder notwendige Hilfe verweigern.
Die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion,
Hanna Wolf, sagte, der FDP-Entwurf ziele tendenziell in die
richtige Richtung.
Süddeutsche Zeitung - Oktober 19, 1993
Waigels
Sparpläne lösen Bestürzung aus - Alles wird zusammenbrechen. Wohlfahrtsverbände
können Einsatz der Zivildienstleistenden nicht allein finanzieren
Von Christian Schneider
Einen Sturm der Entrüstung bei den Wohlfahrtsverbänden und Pflege-Initiativen
haben die Kürzungsabsichten von Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) im
Zivildienstes-Bereich ausgelöst.
Wenn die Bundesregierung nicht doch noch von ihren Einsparungsplänen abrücke,
werde es Hilfeleistungen, die für viele Menschen lebensnotwendig sind, nicht
mehr geben, warnte Reinhard Kirchner vom Landesverband Hilfe für Behinderte
am Montag auf einem Hearing, zu dem die bayerische SPD-Landesgruppe
im Bundestag Vertreter der Wohlfahrtsverbände und Hilfsorganisationen eingeladen
hatte. Die vorgesehenen Kürzungen Bonns, so war die einheitliche Meinung der
Verbände, seien ein zynischer Umgang mit alten und behinderten Menschen. Das
Waigel-Konzept sieht vor, dass die Wohlfahrtsverbände, die Zivildienstleistende
beschäftigen, künftig neben den Kosten für die Unterkunft, Verpflegung und
Kleidung, die sie jetzt schon tragen müssen, auch noch den Sold, besondere
Zuwendungen und das Entlassungsgeld übernehmen müssten. Nach ersten Schätzungen
kämen dabei auf die Wohlfahrtsverbände und Hilfsorganisationen allein in Bayern
rund 30 Millionen Mark an Mehrbelastung pro Jahr zu. Wir sehen keine Möglichkeiten,
dieses Geld selbst aufzubringen oder von anderer Seite zu bekommen, betonte
Reinhard Kaisinger vom Diakonischen Werk Bayern, denn auch die Kassen der
Bezirke und Kommunen, die als Sozialhilfeträger für die Ersatzfinanzierung
der Zivis in Frage kämen, seien leer.
Trügerische Hoffnung Bei den Wohlfahrtsverbänden geht man davon aus, dass
von den rund 13 000 Zivildienststellen im Pflege- und Sozialbereich in Bayern
etwa 40 Prozent akut gefährdet sind. Das heißt im Klartext: Caritas, Diakonie,
Arbeiterwohlfahrt (AWO), Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband (DPWV)
und Bayerisches Rotes Kreuz (BRK) müssten auf etwa 5200 Zivildienstleistende
verzichten. Betroffen wären Alten- und Pflegeheime ebenso wie Kindertageseinrichtungen
und auch ambulante Dienste. Es wird alles zusammenbrechen, prophezeite Joachim
Wiedermann vom Caritas-Landesverband. Reinhard Kirchner von der Hilfe für
Behinderte meinte, die Hoffnung der Politiker, dass es trotz Einsparungen
irgendwie schon weitergehen werde, sei trügerisch, wir werden den Offenbarungseid
leisten müssen.
Konkret bedeutet das drastische Einschränkungen bei ambulanten Hilfen - also
Einschränkungen bei Essen auf Rädern, weniger Betreuung für Rollstuhlfahrer
und auch für Behinderte, die daheim untergebracht sind. Dies wiederum wird
nach Überzeugung der Verbands-Experten zu der kontraproduktiven Folge führen,
dass viele Pflegefälle und Behinderte wieder in - teuren - stationären Einrichtungen
untergebracht werden müssen, wo dann aber auch, dank der Bonner Sparpläne,
deutlich weniger Personal zur Verfügung steht.
Dies wiederum werde insgesamt zu weiteren Belastungen des Pflegepersonals
führen, was schließlich auch mit einer Abwertung der Pflegeberufe verbunden
sei. Claus Fussek vom DPWV nannte es unerträglich, wie die Bundesregierung
mit dem Lebensgefühl von Alten, Pflegebedürftigen und Behinderten umgehe.
Er sprach von zunehmenden Fällen, wo Betroffene überlegten, Schluss zu machen.
Wenn die Sparpläne Waigels Realität werden, wird es für viele alte Menschen
ein bitteres Erwachen geben, fasste die SPD-Bundestagsabgeordnete
Ulrike Mascher das Ergebnis des Hearings zusammen. Ihre Parlaments-Kollegin
Uta Titze ergänzte, man müsse wohl davon ausgehen, dass dann in manchen Orten
auf dem Land alles flachfallen wird. Die Abgeordnete Hanna Wolf
warf der Bundesregierung vor, sie verletzte ihre Fürsorgepflicht. Da der Zivildienst
Teil der allgemeinen Wehrpflicht sei, müsse der Bund die Kosten dafür ebenso
selbst bezahlen wie er das beim Sold für Soldaten tü. Einsparungsmöglichkeiten
bis zu 20 Prozent im Zivildienst sieht die SPD, wenn die
Dauer des Ersatzdienstes auf die gleiche Länge gekürzt würde, wie sie beim
Wehrdienst üblich ist.
Süddeutsche Zeitung - Oktober 29, 1993
Neuaubinger
Dasa-Mitarbeiter wehren sich gegen Werksschließung - Airbus Bauer wollen nicht
fliegen. Konzernvorstand bleibt knallhart - Finanzminister Waldenfels bietet
Geldspritze an
Von Frank Müller
Neue Hoffnung für die von der Werksschließung bedrohten 1200 Neuaubinger Dasa
Mitarbeiter - oder auch nicht. Während Finanzminister Georg von Waldenfels
(CSU) gestern bei einer Betriebsversammlung Finanzspritzen des Freistaats
in Aussicht stellte, verteidigte Konzern-Vorstandsmitglied Hartmut Mehdorn
die angekündigten Entlassungen als unumgänglich. Die fast vollständig erschienene
Belegschaft quittierte dies mit einem Pfeifkonzert. Waldenfels kündigte eine
neue Initiative für die heutige Dasa-Aufsichtsratsitzung in der Ottobrunner
Konzernzentrale an: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Der Betriebsrat
bot eine Vier-Tage-Woche an.
Wenn es am Geld liegt, dann werden wir unsere Kassen aufmachen, sagte Waldenfels.
Als Voraussetzung verlangte der Finanzminister ein gemeinsames Konzept von
Vorstand, Belegschaft und Landesregierung für die Rettung des Neuaubinger
Betriebs. Waldenfels: Dann kommt es auf die eine oder andere Million nicht
an.
Bayern hält 8,58 Prozent an der Daimler-Tochter. Die Dasa will die Neuaubinger
Filiale sowie das Werk in Bremen-Lemwerder und vier weitere Zuliefer-Standorte
schließen. In München wären 1161 Mitarbeiter betroffen. Waldenfels, der selbst
im Aufsichtsrat sitzt, zeigte sich von den Konzernplänen überrascht und kündigte
harte Verhandlungen an. Die gesamte Belegschaft will die Aufsichtsratsitzung
am Freitag mit einer Protestdemonstration begleiten.
Dasa-Vorstandsmitglied Mehdorn, zugleich Chef der Deutschen Airbus, warnte
allerdings vor übertriebenen Hoffnungen. An den Stillegungen und Entlassungen
führe kein Weg vorbei, sagte er. Der Luft- und Raumfahrtkonzern will bundesweit
bis 1996 16 000 von insgesamt 80 000 Arbeitsplätzen streichen. Mehdorn begründete
dies mit einem für heuer zu erwartenden Betriebsverlust von 800 Millionen
Mark nach 341 Millionen Mark im Vorjahr. Auch im kommenden Jahr werde die
Dasa starke Verluste verkraften müssen, sagte Mehdorn, begleitet von einem
heftigen Pfeifkonzert, auf der Betriebsversammlung.
Franz Josef würde kämpfen Der Betriebsrat warf der Konzernspitze erneut vor,
ohne Not ein konkurrenzfähiges Werk platt machen zu wollen. Es gebe eine ganze
Anzahl von Alternativen zur Schließung, darunter auch die Vier-Tage-Woche
nach dem Vorbild von VW, sagte der Betriebsratsvorsitzende Horst Kowalczyk.
Der Dasa Vorstand habe ebenso versagt wie Daimler-Benz-Chef Edzard Reuter.
Die Stimmung in der Belegschaft sei kämpferisch, sagte der stellvertretende
Betriebsratsvorsitzende Fritz Roithmeier zur SZ. Auf einem Transparent wurde
der frühere Ministerpräsident Strauss mit den Worten Franz Josef würde für
uns kämpfen zurückgewünscht.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete im Münchner Westen, Hanna
Wolf, fragte unterdessen die Bundesregierung nach den in der Vergangenheit
ausgezahlten Bonner Subventionen für die Airbus-Industrie. Auch die Frage,
welche Zulieferbetriebe wie stark von den Schließungsplänen betroffen wären,
will Hanna Wolf beantwortet haben. Die SPD-Bundestagsfraktion
beantragte für die zweite Novemberwoche eine aktuelle Stunde zur Situation
der Luft- und Raumfahrtindustrie.
Süddeutsche Zeitung - November 10, 1993
Mandatsträger
der Münchner SPD vermuten: DASA-Vorstand will Grundstück
verkaufen. Bundesregierung fehlende Wirtschaftskompetenz vorgeworfen - Ude
schreibt an Stoiber
Von Christine Burtscheidt
Die Münchner SPD kann die geplante Schließung des Deutschen
Aerospace (DASA) Werks in Neuaubing nicht nachvollziehen. Bei einem Besuch
der Niederlassung und einem ausführlichen Gespräch mit Vertretern des Betriebsrats
seien die örtlichen Mandatsträger zu dem Schluss gekommen, dass sich der DASA-Vorstand
nicht nur wegen enormer Umsatzrückgänge zu der Stillegung entschlossen habe,
heißt es in einer SPD-Pressemitteilung. Vielmehr vermuten
die Sozialdemokraten, dass das Unternehmen möglicherweise daran gedacht habe,
das Grundstück zu verkaufen, da es sicherlich einen erheblichen Veräußerungsgewinn
verspräche. Kritisiert wird zudem, dass Vorschläge von Seiten des Betriebsrats
zur Lösung der akuten Probleme des Werks nicht aufgenommen worden seien, darunter
die Rücknahme der 40-Stunden-Woche-Verträge, die Einführung einer Arbeitszeitverkürzung,
der stufenweise Übergang in den Ruhestand sowie Freistellungsmodelle für längere
Arbeitsunterbrechungen. Keineswegs zufrieden gibt sich auch die SPD-Bundestagsabgeordnete
Hanna Wolf mit den Antworten der Bundesregierung auf ihre
Anfragen zu den Massenentlassungen bei DASA. So habe die Regierung lediglich
über den Zeitraum von 1989 bis 1992 Auskunft darüber geben können, wie viel
Steuergelder in jeden einzelnen Arbeitsplatz bei DASA gesteckt worden seien,
erklärt die SPD-Frau in einer erneuten Pressemitteilung.
Die Entwicklungskostenzuschüsse belaufen sich demnach pro Arbeitsplatz auf
rund 25 000 Mark, heißt es weiter. Dabei sei die Zahl der Arbeitsplätze von
17 870 auf 22 309 aufgestockt worden. Nach Informationen der Bundesregierung
wolle DASA allerdings diese neugeschaffenen Stellen bis 1996 auf 16 368 wieder
reduzieren.
Die Bundestagsabgeordnete kritisiert grundsätzlich, dass die Regierung offensichtlich
keinen Zusammenhang zwischen ihren Zahlungen an die DASA und einer daraus
resultierenden Verantwortung für das Gemeinwohl sehe, und folgert: Das Wirtschaftsministerium
ist offenbar ohne Wirtschaftskompetenz. Zumindest habe es sorglos Zuschüsse
gewährt und selbst weder in der Vergangenheit noch jetzt eine Konzeption für
die zivile Luftfahrt angeboten.
Oberbürgermeister Christian Ude steht der Werkschließung nicht minder kritisch
gegenüber. In einem Brief an Ministerpräsident Edmund Stoiber warnt er vor
den Folgen: In Gefahr seien nicht nur die 1.161 Arbeitsplätze, sondern auch
die Existenz von über 600 Lieferanten. Um die Luftfahrtindustrie als innovative
Branche in Bayern zu halten, sei er jederzeit bereit, sich an einer gemeinsamen
Suche nach Lösungen zu beteiligen.
Schriftlich fragt Ude zudem beim DASA-Vorstandsvorsitzenden Jürgen E. Schrempp
an, warum das Werk gerade dann seine Tore dicht machen solle, wenn mit einer
Stabilisierung der Branche zu rechnen sei. Auch verstehe er nicht, warum DASA
unlängst noch in das Werk investiert und im Oktober Interesse an den umliegenden
Flächen gezeigt habe, jetzt aber von einer Schließung spreche.
Süddeutsche Zeitung - November 18, 1993
SPD zu 75 Jahren Frauenwahlrecht -
Von wegen Gleichberechtigung. Wählerinnen sollen für Kandidatinnen stimmen
Von Anja Pülsch
Die Frauenpolitikerinnen der bayerischen SPD sehen die Gleichberechtigung
der Geschlechter in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft noch lange nicht
verwirklicht. Bei einem Pressegespräch der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer
Frauen Bayern und der SPD-Landtagsfraktion erinnerten sie
daran, dass der Freistaat vor 75 Jahren das Wahlrecht für Frauen einführte,
diese aber bis heute nicht gleichermaßen am politischen Leben beteiligt seien.
Die SPD-Vertreterinnen forderten die Wählerinnen auf, im
kommenden Wahljahr vorrangig Frauen ihre Stimme zu geben, um besser repräsentiert
zu werden. Uschi Pausch-Gruber, Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft,
berichtete, dass die bayerischen Kandidatinnen für den Bundestag und den Landtag
abermals stark in der Minderheit seien, weil sie massiv ausgegrenzt würden
und es schwerer hätten, sich durchzusetzen. An der Basis hingegen leisteten
Frauen etwa als Ortsvereinsvorsitzende viel Arbeit.
Damit Frauen in Politik und Wirtschaft leichter aufsteigen könnten, müssten
ihre Rechte stärker in der Verfassung verankert werden, erläuterte Maria Breithaupt
vom Juristinnenbund in Bayern. Unter anderem soll das Grundgesetz festschreiben,
dass das Parlament zur Hälfte aus weiblichen Abgeordneten besteht. Als weitere
Möglichkeit, Frauen mehr in der Politik zu berücksichtigen, nannte Maria Breithaupt
den Volksentscheid.
Die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion,
Hanna Wolf, ging besonders auf die Benachteiligung von Frauen
im Arbeitsleben ein. Ihre Fraktion befürworte die bevorzugte Einstellung von
Bewerberinnen bei gleicher Qualifikation und Sanktionen bei Diskriminierung
von Frauen.
In Bayern kämpft die SPD nach den Worten ihrer frauenpolitischen
Sprecherin Monica Lochner-Fischer insbesondere um eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung,
ein größeres Angebot der Kinderbetreuung und das Recht auf einen Kindergartenplatz.
Zudem müsse ein Landesgesetz verhindern, dass Kommunen Gleichstellungsstellen
und Frauenbeauftragte einfach streichen.
Die frauenpolitische Sprecherin der CSU-Landtagsfraktion, Anneliese Fischer,
hat der SPD unterdessen eine einseitige Verdrehung der Tatsachen
vorgeworfen. Die CSU habe den Ehrgeiz, tatsächlich Betreuungsplätze zu schaffen.
Die SPD dagegen gaukele den Menschen nur vor, dass allein
durch die gesetzliche Festschreibung eines Kindergarten-Anspruchs irgend etwas
erreicht werden könne. Auch für den selbstgestellten Anspruch auf Gleichstellung
bei der Mandatsvergabe müssten die SPD-Frauen unterdessen
eine Bankrott-Erklärung abgeben.
Focus Magazin - November 22, 1993
SCHEIDUNG:
Im Würgegriff der Ex-Frau
Marika Schärtl
Jetzt wurde Langner arbeitslos und hat keine Lust, sich wieder unter die Werktätigen
einzureihen: "Ich bin der Zahlsklave meiner Ex, vom Staat entmündigt.
Haus und Kinder habe ich verloren. Wozu noch arbeiten?"
Der Sauerländer Fritz Nill, 87, trat im September '93 nach sieben Jahren später
Ehe vor den Scheidungsrichter. Seiner 74jährigen Ehemaligen, die ihn wegen
eines anderen verließ, muss der blinde Ex-Baggerführer 1100 Mark monatlich
von seiner Schwerbehindertenrente abgeben. Für die nötige Putz- und Pflegehilfe
hofft er jetzt auf einen Zuschuss vom Staat. Der gehörnte Rentner versteht
die Welt nicht mehr: "Bin ich denn nicht mehr lebensberechtigt?"
Fußballstar Thomas Doll, 27, zwei Millionen Mark Jahresverdienst, zahlt 4000
Mark Unterhalt im Monat für seine Ex und Töchterchen Denise. Wenn die Kleine
14 ist, gibt's keinen Pfennig mehr. Doll war schlau: Kurz vor der Scheidung
ließ er seine Frau einen Ehevertrag unterschreiben, in dem sie auf weitere
Ansprüche verzichtete.
Der Berliner Günter W., 39, zahlt gar nichts. Als er im Oktober '92 seine
Familie verließ, schloss er kurzerhand sein florierendes Vermögensberaterbüro
und zog zu den Eltern. Vom eingeklagten Unterhalt sah seine Ex bis heute keine
Mark.
Der Krieg ums Geld zwischen Geschiedenen wird immer härter. Bei 90 Prozent
der Scheidungsfälle in zweiter Instanz vor den Oberlandesgerichten, so Siegfried
Willutzki vom Deutschen Familiengerichtstag, wird um den Mammon gestritten.
Denn die Männer rebellieren. In Zeiten, in denen das Gespenst Rezession jedem
um die Ohren pfeift, feilschen die Deutschen um jede Mark für Ehegatten- und
Kindesunterhalt. Mitunter aus Rache, immer öfter aus Not. "Die Geldmittel
der meisten Ehemänner reichen nicht aus, um aus einem Haushalt zwei zu finanzieren",
weiß Willutzki, "bei 85 Prozent der Geschiedenen liegt die Finanzmasse
unter oder knapp über dem Existenzminimum."
Nicht nur für Scheidungswaisen und ihre Mütter ist die staatliche Hilfe oft
die letzte Rettung. Auch die Zahl der Männer, denen der peinliche Gang zum
Sozialamt nicht erspart bleibt, nimmt drastisch zu.
Wachsende Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und Wuchermieten in den Großstädten
treiben immer mehr geschiedene Väter in den Ruin. Zwei Millionen Männer erhielten
1991 Sozialhilfe (1,7 Millionen Frauen mit Kindern). Die Zahl der Scheidungsopfer
unter ihnen ist beträchtlich.
Scheidung macht arm. "Geschieden wird heute ohne Rücksicht auf Verluste",
sagt der Münchner Scheidungsanwalt Hermann Messmer, "leisten können es
sich aber allmählich nur noch Reiche oder Doppelverdiener." Messmer prophezeit
die Verelendung der Scheidungs-Gesellschaft: "Wir werden ein Volk von
sich finanziell selbst amputierenden Ehekrüppeln."
Jede dritte Ehe zerbricht. 130 000 Scheidungen pro Jahr. Seit der Abschaffung
des Schuldprinzips 1986 geht in 60 Prozent der Fälle die Initiative von den
Frauen aus. In die Tasche greifen müssen aber immer noch zu 95 Prozent die
Männer.
Das Durchschnittseinkommen einer nichtberufstätigen Geschiedenen mit zwei
Kindern beträgt 2500 Mark, schätzt Anwalt Messmer. Dem Exmann verbleiben im
Schnitt 1500 Mark im eigenen Beutel.
Der soziale Abstieg nach der Scheidung ist vorprogrammiert. Der Upperclass
-Bürger muss den Porsche gegen einen Golf tauschen, den Golf-Bag gegen einen
Tennisschläger. Zehn Prozent der Männer, so Messmer, gleiten ab ins Asoziale.
Ein klägliches Dasein zwischen Mini-Appartement, Schuldenberg aus Anwaltskosten
und Unterhaltsrückständen und einem Lifestyle auf Studentenniveau fristet
das Heer der geschiedenen Durchschnittsverdiener.
Einen monatlichen Kinobesuch, Futter fürs Aquarium und ein paar Computerzeitschriften
leistet sich Josef Langner: "Und jetzt soll ich den Gürtel noch enger
schnallen?"
Der Unterschlupf bei einer neuen Partnerin ist da bei manchen Männern der
willkommene Rettungsanker, oft mehr aus materiellen denn amourösen Motiven.
Wer sich jedoch zusätzlich zur Ex-Familie eine Neu-Ehe aufhalst, muss die
finanzielle Last selbst ausbaden: Ein BGH-Grundsatzurteil von 1987 erklärt
ausdrücklich, dass die Zweitfrau notfalls vom Existenzminimum oder von Sozialhilfe
zu leben hat. Die Unterhaltspflicht gegenüber der Erstfamilie steht an erster
Stelle.
"Ich hab' doch keine Perspektive mehr", sagt Oberarzt Helmut Hoyme
bitter, der für seinen 14jährigen Sohn sowie die Ex-Frau knapp 3000 Mark monatlich
überweisen muss, obwohl er für belegbar glaubt, dass seine Geschiedene von
Schwarzarbeit ganz einträglich lebt. "Ich habe mich aus einer Arbeiterfamilie
hochgeschuftet, und jetzt werde ich bis ans Lebensende kleingehalten."
Der "Diskriminierung fleißiger Männer" will Hoyme mit dem Marsch
vor das Bundesverfassungsgericht ein Ende setzen. 66 Mitstreiter klagen mit
ihm auf eine Reform des geltenden Unterhaltsrechts, die die Ansprüche von
Ex -Gattinnen beschneiden soll.
Der Münchner Vorsitzende des "Interessenverbandes für Unterhalt und Familienrecht"
(ISUV) Egon Rennebarth fordert eine Begrenzung des nachehelichen Unterhalts
auf sieben Jahre: "Frauen, die während der Ehe nicht gearbeitet haben,
werden bisher dafür belohnt."
Auch Rudolf Weihreter, Sprecher der "Nürnberger Herrenrechtler",
hält das Gesetz für "männerfeindlich": "Es unterstützt die
Weglauf-Frauen."
Doppelt bestraft fühlen sich viele geschiedene Männer durch den Zwang zum
monatlichen Scheck: "Sie sehen sich meist als unschuldig Verlassene und
sollen dann noch zahlen", erklärt Familienpsychologe Hans Dusolt. "Weil
aber die Scheidung für sie ein Versagen bedeutet, versuchen sie, mit allen
Mitteln die finanziellen Verbindlichkeiten abzukappen, um die Vergangenheit
besser verdrängen zu können."
Schlupflöcher, um sich vor der Zahlungspflicht zu drücken, gibt es wenig.
Wer seinen Unterhaltsleistungen nicht nachkommt, muss mit Gefängnis bis zu
drei Jahren rechnen. Einen Münchner Ingenieur, der zum Radler-Kurier umstieg,
um den Grossteil seiner Einkünfte in der eigenen Tasche zu behalten, verdonnerte
das Gericht zum Unterhalt in alter Höhe.
Dennoch sind die Tricks der Zahlemänner vielfältig: Das Repertoire reicht
von heimlichen Nebenjobs über retuschierte Einkommensbelege, offiziell gesenkte
und unter der Hand ausbezahlte Gehälter bis zur Flucht ins Ausland.
Andere Männer verstecken sich in der eigenen Stadt. "500 Familienväter
sind mitten in München abgetaucht", sagt Anwalt Donald Cramer, "melden
den Wohnsitz ab, wechseln ständig die Arbeitsstelle. Da ist auch mit dem Gerichtsvollzieher
nichts zu holen."
Immer häufiger muss Vater Staat für säumige Unterhaltszahler einspringen.
243 Millionen Mark Unterhaltsvorschuss leisteten Bund und Länder 1991, antwortete
die Regierung im Frühjahr auf eine kleine Anfrage der SPD.
Nur 29 Prozent der Summe wird wieder eingetrieben.
Familienministerin Hannelore Rönsch sieht "keine Notwendigkeit, am Unterhaltsrecht
etwas zu ändern".
Männer- wie Frauenlobbys sind mit den bestehenden Gesetzen gleichermaßen unzufrieden.
Die 86er Reform, die vor allem geschiedene Frauen schützen sollte, führt inzwischen
zur Verarmung gesellschaftlicher Schichten. Für die Abgeordnete Hanna
Wolf ist politisches Handeln gefragt: "Dass Sozial- und Jugendämter
zahlen müssen und immer mehr Geschiedene Sozialfälle werden, zeigt, dass mit
dem System was nicht stimmt. Die Familien sind überfordert."
Die SPD-Frau fordert die Abschaffung des Ehegattensplittings
zugunsten der steuerlichen Gleichheit der Frauen und ein einheitliches Kindergeld
von 200 Mark: "Das entlastet die Männer, und der Streit ums Geld wird
weniger auf dem Rücken der Kinder ausgetragen."
Eine Erleichterung des finanziellen Drucks der Väter durch das einst in Schweden
erfundene Modell der "Scheidungshaftpflichtversicherung" ist immer
wieder in der Diskussion. Für Familienrichter Willutzki hat es allerdings
erst eine Chance, "wenn jede zweite Ehe geschieden wird".
Auf die einfachste und brutalste Weise entbinden sich die Inder der Pflicht,
die Angetraute nach der Trennung zu versorgen. Trotz gesetzlicher Strafe kommt
es bei den Hindus immer noch regelmäßig zu "Haushaltsunfällen",
bei denen die Gattin einem unerklärlichen Feuer zum Opfer fällt.
SÄUMIGE ZAHLER
399 000 Kinder unter sechs Jahren leben bei einem Alleinerziehenden
Für 134 154 Kinder bezahlte 1991 der Staat den Unterhalt
297,38 Millionen Mark Unterhaltsvorschuss leisteten Bund und Länder 1992
In 14 639 Fällen von Unterhaltsverletzung wurde 1992 ermittelt
3952 säumige Zahler wurden 1990 rechtskräftig verurteilt
195 Mark zum Leben
Die Woche - Dezember 16, 1993
Kaufhaus
vs. Kirche
Sonntags einkaufen? Die Briten sagen ja. Was sagen die Deutschen?; LADENSCHLUSS
These
Der Sonntag war den Briten jahrhundertelang heilig: Nicht einmal Kneipen und
Pubs durften am siebten Tag der Woche die staatskirchlich verordnete Ruhe
stören. Doch nun ist sogar schnöder Kommerz ganz offiziell erlaubt.
Nach langer Debatte rang sich das britische Unterhaus zu der Entscheidung
durch, dass Warenhäuser und Supermärkte sonntags bis zu sechs Stunden geöffnet
haben dürfen, die Besitzer kleiner Läden hingegen selbst entscheiden können,
ob, wann und wie lange sie ihre Geschäfte öffnen wollen.
Zustande gekommen ist diese Liberalisierung des britischen Ladenschlusses
auf Antrag der großen Supermärkte. Seit sechs Jahren versuchen sie, eine für
alle verbindliche Regelung des Sonntag-Shoppings zu erreichen. Bisher durften
die Einzelhändler in Wales und England zwar ihre Geschäfte öffnen, aber nur
ein ziemlich eingeschränktes Sortiment feilbieten: Zigaretten, Spirituosen,
Brot und Zeitschriften. Das neue Gesetz hebt diese Beschränkung auf. Supermärkte
und Ladenbesitzer rechnen mit etwa fünf Millionen Sonntagskäufern. 20 Millionen
Briten würden unverbindlich durch die Geschäfte bummeln. Selbst die britischen
Gewerkschaften machen mit: Ein Verbot des Sonntagsverkaufs hätte den Verlust
von 140 000 Arbeitsplätzen bedeutet. Jetzt wird über doppelte Bezahlung der
Sonntagsarbeit und speziellen Kündigungsschutz für Verkaufspersonal verhandelt,
damit niemand am siebten Tag zur Arbeit gezwungen werden kann.
Ist Großbritanniens Ladenschlussgesetz ein Modell für Deutschland?
RAINER HAUNGS
Wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Für die Union sollte der Beschluss der Briten ein zusätzlicher Ansporn dafür
sein, in der nächsten Legislaturperiode mit Volldampf an die Sache heranzugehen.
Ich bin sicher, dass unser Ladenschlussgesetz die nächsten vier Jahre nicht
überstehen wird. Und die deutschen Einzelhändler sollten mal darüber nachdenken,
ob sonntägliche Öffnungszeiten für sie nicht doch ein Geschäft sein könnten
schließlich hatten ihre englischen Kollegen ihre Läden schon bisher sonntags
"schwarz" geöffnet.
HUBERTUS TESSAR
Sprecher des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels
Statt sonntags in die Kirche zu gehen, können die Briten nun zum Shopping
pilgern ein zusätzlicher Werteverfall in einem christlich geprägten Land.
Mit dieser Regelung hat es keine Gehaltserhöhung für die privaten Haushalte
gegeben. Darum wird es auch im Einzelhandel keine Umsatzsteigerungen geben.
JÜRGEN GLAUBITZ
Hauptabteilungsleiter Einzelhandel der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen
Die HBV ist strikt gegen längere Ladenöffnungszeiten erst recht an Sonn- und
Feiertagen. Die Bürger und Bürgerinnen in Deutschland brauchen nicht mehr
Zeit fürs Shopping, sondern Arbeit und mehr Geld zum Einkaufen.
PAUL BOCKLET
Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe
Ich halte die Entwicklung in Großbritannien für ganz besonders bedauerlich,
weil ja gerade dort die Sonntagsruhe als unantastbar galt. Eine uneingeschränkte
Öffnung führt letztlich zur totalen Kommerzialisierung und Profanisierung
dieser Sonn- und Feiertage und beraubt sie damit ihres christlichen Gehalts
als eines Schutz- und Ruhetages für die Menschen.
GÜNTER REXRODT
Bundeswirtschaftsminister (FDP)
Bei der Liberalisierung der Laden-Öffnungszeiten ist Deutschland eines der
Schlusslichter in Europa. Ich sehe nicht ein, warum die Bundesregierung vor
der verbraucherfeindlichen Allianz von Kaufhaus-Trusts und bornierten Gewerkschaftsfunktionären
klein beigeben sollte.
HANNA WOLF
Frauen- und jugendpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion
Die Öffnung von Familienbetrieben am Sonntag würde die harten Arbeitsbedingungen
derartiger Betriebe schon heute wird dort häufig 60 Stunden pro Woche gearbeitet
noch verschärfen. Die Frauen als "Mithelfende" und die Kinder wären
die Hauptleidtragenden. Für die Familie ist dann auch am Sonntag keine Zeit
mehr.
DIETER VOGEL
Sprecher der Bundesregierung
Die Ladenöffnungszeiten nicht nur am Sonntag werden die Bundesregierung im
Zusammenhang mit dem Programm zur Verbesserung des Standorts Deutschland beschäftigen.
Es ist aber nicht sicher, dass es bereits 1994 zu Ergebnissen kommen wird.
TILMAN WINKLER
Geschäftsführer der Kammer für soziale Ordnung bei der Evangelischen Kirche
Deutschlands
Sunday-Shopping bedeutet, dass viele Arbeitnehmer aus wirtschaftlichen Gründen
an Sonn- und Feiertagen arbeiten werden. Das ist ein klarer Schritt zur Ökonomisierung
des freien Tages. Das Argument "Freizeitausgleich für Arbeitnehmer"
heißt, dass es keine gemeinsame Zeit mehr für die Familie geben wird. Ein
Schaden weniger für die Kirchen als vielmehr für die gesamte Gesellschaft.
Süddeutsche Zeitung – Januar 17, 1994
SPD-Abgeordnete gegen neue Telephongebühren
Gegen die vom Vorstand der Telekom vorgelegte Änderung der Tarifstruktur für
das Telephon hat sich die frauen- und jugendpolitische Sprecherin der SPD
-Bundestagsfraktion und Münchner Abgeordnete, Hanna Wolf,
ausgesprochen. Die neue Tarifstruktur mit einer Verteuerung von Ortsgesprächen
bei mehr als sechs Minuten Dauer um 100 Prozent und einer Verbilligung von
Ortsgesprächen bis zu 90 Sekunden um die Hälfte nütze der Geschäftswelt, treffe
aber die Menschen. 90-Sekunden-Gespräche seien Nachrichtenübermittlung im
Telegrammstil auf dem Weg in eine autistische Gesellschaft. Hanna
Wolf malte drastische Folgen an die Wand: Alle Menschen mit eingeschränkter
Mobilität wie alte oder gehbehinderte Menschen würden gänzlich vereinsamen,
Hausfrauen und Mütter wären ohne Gespräche mit Gleichgesinnten ohne jegliche
Unterstützung, junge Menschen könnten sich nicht richtig ausquatschen. lö
Was fehlt
Den Frauen immer noch die gesellschaftliche Gleichstellung mit dem männlichen
Geschlecht und ein gerechtes Erwerbseinkommen. Das betonte die SPD-
Frauenpolitikerin Hanna Wolf, als sie daran erinnerte, dass
am 19. Januar 1919, vor 75 Jahren, Frauen in Deutschland zum ersten Mal wählen
durften.
Unserem Kanzler ein bisschen Mut. Mit den Worten "Keine Angst, ich singe
nicht" beruhigte Kohl die Gäste eines Benefiz-Dinners zugunsten der Hannelore-
Kohl-Stiftung, als er unerwartet ans Mikrofon trat, um den Anwesenden zu danken.
Helmut, nicht verzagen, beim nächsten Mal klappt's bestimmt.
Süddeutsche Zeitung – Februar 26, 1994
Am internationalen
Frauentag: Die weibliche Armut wird bestreikt. Sozialdemokratinnen rollen
300-Meter-Band mit Forderungen aus
Von Claudia Wessel
Ans Kaffeekochen mussten sich die Herren Mascher und Wolf ohnehin schon gewöhnen.
So oft wie wir unterwegs sind. Mit einer spektakulären Arbeitsverweigerung
am Frauenstreiktag können die SPD-Bundestagsabgeordneten
Hanna Wolf und Ulrike Mascher daher nicht dienen. Auch ihre
Abwesenheit in Bonn werde wohl nicht allzu sehr ins Gewicht fallen, mutmaßen
sie. Aber darauf komme es auch nicht an. Wir wollen unsere Solidarität mit
den Frauen zeigen, die nicht so privilegiert sind wie wir, verkündeten sie
auf einer Pressekonferenz zum Frauenstreik, der am Internationalen Frauentag
(8. März) bundesweit stattfinden wird.
In München werden die SPD-Frauen ihre Forderungen aufs Pflaster
bringen: Ein 300 Meter langes Papierband soll durch die Fußgängerzone gelegt
werden. Darauf sind die Forderungen der Sozialdemokratinnen notiert. Von 13
Uhr an wird die SPD am 8. März auf dem Marienplatz vertreten
sein. Armut ist noch immer weiblich - diesem Schwerpunkt wollen sich die SPDlerinnen
im Superwahljahr widmen. In der Hoffnung, dass sich die Wählerinnen-Übermacht
(bundesweit 52 Prozent) für ihr Konzept entscheidet.
Arbeitslosigkeit, kein ausreichendes Kinderbetreuungsangebot und Ausfall der
Unterhaltszahlungen bei Alleinerziehenden haben die SPD-Frauen
als Ursachen für weibliche Armut ausfindig gemacht. Bekämpfen wollen sie sie
unter anderem durch Quotierung von Ausbildungsplätzen und Verbesserung der
Berufschancen von Frauen durch ein Gleichstellungsgesetz, durch ausreichende
Angebote an Arbeitsbeschaffungsmassnahmen und öffentlich geförderten Arbeitsplätzen
sowie durch Arbeitszeitregelungen, die eine Vereinbarkeit von Familie und
Beruf ermöglichen - allerdings nicht nur für Mütter, sondern auch für Väter.
Süddeutsche Zeitung – März 22, 1994
SPD-Bundestagskandidaten stellen sich
vor
Fünf machen sich auf den Weg nach Bonn. Mascher, Glotz, Wolf, Bender, Damaschke
und ihr Programm / Biographie und Politik Von Berthold Neff
Die fünf Kandidaten der Münchner SPD für die Bundestagswahl
haben sich viel vorgenommen. Während Ulrike Mascher, die 1990 in der Altstadt
das einzige SPD -Direktmandat eroberte, es lediglich zu verteidigen
braucht, wollen sich Hanna Wolf und Peter Glotz jetzt den
Weg nach Bonn und Berlin direkt erobern. Bei einem politisch-biographischen
Gespräch mit der Presse zeigten sie sich allesamt optimistisch, wobei Peter
Glotz kein Hehl daraus machte, dass er in einer von Rudolf Scharping geführten
Regierung Bildungsminister werden will. Mit viel Elan gehen offenbar auch
die beiden Neuen im SPD-Quintett zur Sache: der 45jährige
Jurist Achim Bender, der als Nachfolger von Rudi Schöfberger im Münchner Süden
gegen den Ex-Staatssekretär Erich Riedl (CSU) antritt, und der 36jährige Kurt
Damaschke, der sich nach dem Verzicht von Jürgen Vahlberg im Münchner Osten
mit dem CSU-Kandidaten Herbert Frankenhauser auseinandersetzen wird.
Achim Bender, SPD-Vorsitzender im Münchner Südosten, war
mehrere Jahre im bayerischen Justizdienst tätig (zuletzt als Richter in München),
bevor er 1992 zum Bundespatentgericht wechselte. Als Bundestagsabgeordneter
will er sich vor allem um den Erhalt von Arbeitsplätzen kümmern, für ein soziales
Mietrecht kämpfen und den öffentlichen Verkehr als leistungsfähige Alternative
zum Individualverkehr ausbauen.
Er möchte auch dafür sorgen, dass mehr Geld für Forschung bereitgestellt wird.
Damit soll der Wechsel von der Waffenproduktion auf zivile Güter beschleunigt
werden, den verhindert zu haben er seinem CSU-Gegenspieler Erich Riedl vorwirft
(Rüstungslobbyist). Als jüngstes Beispiel für das verhängnisvolle Wechselspiel
zwischen einer unzureichenden Wirtschaftspolitik und unfähigen Managern nannte
er die Schließung der Firma Merk Telefonbau in Giesing. Dieses Viertel verliere
damit einen der letzten großen gewerblichen Arbeitgeber.
Der Diplomverwaltungswissenschaftler Kurt Damaschke ist seit drei Jahren Vorsitzender
des SPD-Ortsvereins Neuperlach. Er arbeitet im Planungsreferat
in der Stadtentwicklungsabteilung und gehörte von 1989 bis 1990 zum Planungsstab
von Georg Kronawitter in dessen Zeit als Oberbürgermeister. Damaschke war
damals für Haushalts- und Finanzplanung sowie für Soziales und Umwelt zuständig.
Als politischen Schwerpunkt seiner Arbeit nannte er den Kampf gegen soziale
Ungerechtigkeit und die steigende Armut. Deshalb werde er sich für eine aktive
Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik einsetzen sowie den Wohnungsbau und das
Sozialversicherungssystem zu reformieren versuchen. Arbeitsplätze in Deutschland
könnten nur durch umfangreiche Investitionen in die Schul- Aus- und Fortbildung
gesichert werden.
Süddeutsche Zeitung - April 19, 1994
AsF bestätigt
Vorstand - SPD-Frauen lehnen sich nicht zurück
Von Margit Pratschko
Vielleicht wäre es gar nicht schlecht gewesen, wenn so mancher Politiker dabeigewesen
wäre, als die Münchner Abteilung der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer
Frauen (AsF) im Hofbräuhaus ihre Jahreshauptversammlung abhielt. Denn die
Frauen bewiesen, dass es durchaus möglich ist, in einer entspannten, warmherzigen
Atmosphäre gute und konstruktive Politik zu machen. Genau das ist den Münchner
Frauen nach Ansicht von Hanna Wolf, Mitglied des Bundestages
und Vorsitzende der AsF, auch im letzten Jahr gelungen. In ihrem Rechenschaftsbericht
ging Hanna Wolf unter anderem auf den Erfolg des Internationalen
Frauenstreiktags am 8. März und auf den Ausgang der OB-Wahlen ein. Mit Christian
Ude als OB wurde Gertraud Burkert erste SPD-Bürgermeisterin
der Stadtgeschichte. Erfreulich sei auch, dass nach dem Reißverschlussverfahren
die Hälfte der SPD-Stadträte weiblich seien.
Doch trotz der Freude über alles bislang Erreichte - zufrieden zurücklehnen
wollen sich die SPD-Frauen deshalb nicht. Immer noch würden
auch bei der Stadt zu wenig Führungsposten mit Frauen besetzt, kritisierte
Friedel Schreyögg, die Leiterin der Frauengleichstellungsstelle. Diskutiert
wurde in diesem Zusammenhang vor allem die Entscheidung für Reiner Eger als
den neuen Leiter der Volkshochschule - einem Institut, an dem hauptsächlich
Frauen arbeiten und lernen. Nur drei Frauen aus Deutschland hätten sich beworben,
die Münchnerinnen haben es ja schon gar nicht mehr gewagt, weil sie die Situation
hier kennen, sagte Hanna Wolf. Bürgermeisterin Sabine Csampai,
hieß es, hätte in diesem Zusammenhang mehr tun können.
Grossen Applaus und Standing-ovations- erntete Bürgermeisterin Gertraud Burkert
nach ihrer Rede. Unter dem Motto Frauen regieren mit ging sie vor allem auf
die oft schwierige Situation von Politikerinnen ein, die sich neben ihrem
Job ja auch noch um Kinder, Haushalt und Partnerschaft kümmern sollen. Frauen
in der Politik sollten sich jedoch nicht an die Männer anpassen, sondern so
bleiben, wie wir sind. Gleichberechtigung sei erst erreicht, wenn wir Frauen
ebensolche Flaschen sein dürfen wie Männer.
In der Vorstandswahl wurde Hanna Wolf mit großer Mehrheit
als Vorsitzende bestätigt. Deren Stellvertreterin bleibt Ingeborg Keyser,
die jetzt noch von der Ex-Stadträtin Monika Renner unterstützt wird. Ebenso
im Amt bleibt Brigitte Kampffmeyer-Möhling. Als Beisitzerinnen wurden gewählt:
Barbara Marc, Marijke Köhler-Wories, Christine Strobl, Ursel Linder-Kostka,
Diana Stachowitz, Brigitte Rechenberg sowie Gertraud Burkert als kooptiertes
Mitglied.
Frankfurter Allgemeine Zeitung - April 22, 1994
Der Bundestag
beschließt ein "Gleichberechtigungsgesetz"
Frauenförderpläne, Frauenbeauftragte, Teilzeitarbeit / Regelungen für die
öffentliche Verwaltung
Der Bundestag hat am Donnerstag gegen die Stimmen der Opposition den Regierungsentwurf
eines "Gleichberechtigungsgesetzes" verabschiedet. Ein Gesetzentwurf
der SPD, der die Vergabe von Arbeitsplätzen in der öffentlichen
Verwaltung an Quotenregelungen binden wollte, wurde abgelehnt. Frauenministerin
Merkel (CDU) sagte, der Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz sei tatsächlich
noch nicht verwirklicht worden. Mit Blick auf die langwierigen Verhandlungen
auch in der Koalition äußerte sie, Beharrlichkeit führe zum Ziel. Sie hätte
sich noch mehr gewünscht. Doch solle die SPD nicht vertuschen,
dass das Gesetz einen Fortschritt darstelle. Für die SPD
kritisierten die Abgeordneten Edith Niehuis und Hanna Wolf
den Regierungsentwurf, weil dieser auf die "Quote" als Instrument
der Gleichstellungspolitik verzichtet habe. Frau Wolf sagte, eine SPD-Regierung
werde nach der Bundestagswahl ein neues Gesetz vorlegen. Die FDP-Abgeordnete
Margret Funke-Schmitt-Rink würdigte, dass in der öffentlichen Verwaltung künftig
verbindliche "Frauenförderpläne" geschaffen werden müssten. Das
Artikelgesetz "Zur Förderung von Frauen und der Vereinbarkeit von Familie
und Beruf in der Bundesverwaltung und den Gerichten des Bundes" betrifft
in erster Linie die öffentliche Verwaltung. Die Dienststellen sollen alle
drei Jahre einen Frauenförderplan aufstellen, der jeweils an die neuen Entwicklungen
anzupassen sei. Dieser müsse in der Dienststelle veröffentlicht werden. Damit
soll im Sinne der Gleichberechtigung Druck auf den Dienstherrn ausgeübt werden.
Im Rahmen einer jährlichen Anpassung sind der nächsthöheren Dienststelle Gründe
mitzuteilen, dass der Förderplan nicht verwirklicht werden konnte. Es soll
eine Bundesstatistik über weibliche Beschäftigte aufgestellt werden. Stellen
dürfen in der Regel nicht nur für ein Geschlecht ausgeschrieben werden. Sie
seien auch bei Leitungsaufgaben in "Teilzeitform auszuschreiben, wenn
zwingende dienstliche Belange nicht entgegenstehen".
Wenn Frauen in einzelnen Bereichen in geringerer Zahl als Männer beschäftigt
sind, hat nach dem Gesetz die Dienststelle unter Beachtung des Vorrangs von
Eignung und Leistung ihren Anteil zu erhöhen. Bei der Beurteilung der Eignung
dürften sich Ausfallzeiten wegen Kinderbetreuung nicht auswirken. Fortbildungsmaßnahmen
müssten Familienpflichten berücksichtigen. Es sei ein ausreichendes Angebot
von Teilzeitarbeitsplätzen zu schaffen. Dienststellen hätten Mitarbeitern
den Wiedereinstieg zu erleichtern, die aus familiären Gründen beurlaubt gewesen
seien. In dem Gesetz heißt es: "Teilzeitbeschäftigung darf das berufliche
Fortkommen nicht beeinträchtigen." Eine unterschiedliche Behandlung gegenüber
Vollzeitbeschäftigten sei "nur zulässig, wenn sachliche Gründe sie rechtfertigen".
Teilzeitbeschäftigung und Beurlaubung aus Familiengründen dürften sich nicht
nachteilig auf die dienstliche Beurteilung auswirken. (Fortsetzung Seite 2.)
In jeder Dienststelle mit mehr als 200 Beschäftigten sei aus deren Kreis "nach
vorheriger Ausschreibung oder geheimer Wahl" eine Frauenbeauftragte zu
bestellen. Die Wahl müsse abgehalten werden, wenn sich die Mehrheit der weiblichen
Beschäftigten für sie entscheide. In Dienststellen ohne Frauenbeauftragte
sei eine Vertrauensperson als Ansprechpartnerin zu bestellen. Die Frauenbeauftragten
werden für drei Jahre bestellt. Sie sollen von den dienstlichen Tätigkeiten
freigestellt werden. Sie wirken "bei allen Maßnahmen" der Dienststelle
mit, die Fragen der "Gleichstellung" betreffen. Dies gilt auch für
Personalangelegenheiten, an denen sie "frühzeitig" zu beteiligen
seien. "Die Frauenbeauftragte hat ein unmittelbares Vortragsrecht bei
der Dienststellenleitung." Im Einvernehmen mit dieser kann sie Versammlungen
einberufen.
Beschlossen wurde auch eine gesetzliche Regelung zum Schutz vor sexueller
Belästigung am Arbeitsplatz. "Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist
eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten oder ein Dienstvergehen."
Arbeitgeber hätten die Beschäftigten davor zu schützen. "Dieser Schutz
umfasst auch vorbeugende Maßnahmen." Arbeitgeber hätten "unverzüglich"
dafür zu sorgen, "die Fortsetzung einer festgestellten Belästigung zu
unterbinden". In dem beschlossenen Gesetz heißt es: "Bei sexueller
Belästigung hat der Arbeitgeber die im Einzelfall angemessenen arbeitsrechtlichen
Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen."
Die Rechte des Personalrats bleiben unverändert.
In dem Artikelgesetz sind Änderungen an anderen Gesetzen enthalten. Verstoßen
Arbeitgeber bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses gegen das Benachteiligungsverbot,
"so kann der hierdurch benachteiligte Bewerber eine angemessene Entschädigung
in Geld in Höhe von drei Monatsverdiensten verlangen". Die FDP hält sich
zugute, die mittelständische Wirtschaft nicht überfordert und die Begrenzung
auf drei Monatsgehälter durchgesetzt zu haben. Nach dem seit 1980 geltenden
Recht zum Benachteiligungsverbot bei Einstellungen habe es insgesamt zehn
Klagen vor den Gerichten gegeben.
Sexueller
Missbrauch verjährt zu früh
tissy bruns
Bundestag berät heute über die Verlängerung der Verjährungsfristen bei Sexualstraftaten
gegen Kinder und Jugendliche / Politikerinnen aus allen Fraktionen sind dafür.
Aus Bonn Tissy Bruns
Heute abend, wenn die Öffentlichkeit nicht mehr hinsieht, wird im Bundestag
eine der wenigen Debatten stattfinden, deren Ausgang nicht von vornherein
feststeht. "Strafrechtsänderungsgesetz - Verjährung von Sexualstraftaten
an Kindern und Jugendlichen" weist die Tagesordnung des Parlaments juristisch-nüchtern
aus. Zu entscheiden haben die Abgeordneten über ein Gesetz, das den Opfern
sexuellen Missbrauchs ein eigentlich selbstverständliches Mindestrecht an
die Hand geben soll: das Verbrechen anzuklagen, dessen Folgen für das ganze
Leben Wunden schlagen, und den Täter vor Gericht zu bringen. Die Verjährungsfrist
für Sexualstraftaten an Kindern und Jugendlichen soll ruhen, bis das Opfer
18 Jahre alt ist. Das sieht der Gesetzentwurf der SPD vor,
der seit Juni 1992 vorliegt. Die SPD folgt damit einer Forderung,
für die Betroffene, Selbsthilfegruppen, Therapeutinnen und Juristinnen schon
lange eintreten. Nach geltendem Recht verjährt der sexuelle Missbrauch von
Schutzbefohlenen nach fünf Jahren, sexueller Missbrauch von Kindern nach zehn
Jahren, Vergewaltigung nach 20 Jahren. Gewalt und Missbrauch finden in vielen
Fällen in der Familie statt, und die Opfer sind oft kleine, sehr kleine Kinder.
Oft sind sie erst dann imstande, den Täter (Vater, Onkel oder Bruder) anzuzeigen,
wenn sie sich aus der familiären Abhängigkeit gelöst haben - und die Tat verjährt
ist. Vor allem Selbsthilfegruppen und Psychologinnen wissen, dass die betroffenen
Frauen oft erst viele Jahre nach dem Missbrauch das verdrängte Entsetzen aufdecken
können. Das Ruhen der Verjährungsfrist bis zum 18. Lebensjahr wird auch künftig
nicht jeden Missbrauch vor Gericht bringen, und es wird auch nichts daran
ändern, dass die öffentliche Anklage gegen den Täter allein niemanden von
den Folgen des Missbrauchs befreien wird. Aber das Opfer, das als Kind ohnmächtig
ist, könnte als erwachsener Mensch immerhin entscheiden, ob es den Täter vor
Gericht bringen will. Die Täter begehen ihre Verbrechen häufig im Gefühl der
Straffreiheit.
Der zweite Entwurf von Bündnis 90/Die Grünen geht weiter: Die Verjährungsfrist
soll erst mit dem 21. Lebensjahr beginnen, die Verjährungsdauer selbst soll
auf 30 Jahre ausgedehnt werden. Dass sich im Bundestag eine Mehrheit für diesen
Vorschlag finden könnte, war von vornherein unwahrscheinlich. Die ersten parlamentarischen
Entscheidungen über den SPD-Entwurf ließen hingegen hoffen.
Zwar mahlten auch in diesen Fall die Mühlen des Gesetzgebers langsam. Doch
nach einer Anhörung, dem klaren und fraktionsübergreifenden Votum des Frauen-
und Jugendausschusses, schloss sich auch der federführende Rechtsausschuss
im Oktober 1993 mehrheitlich dem SPD-Entwurf an - mit einigen
Stimmen aus der Unionsfraktion. Im Januar dieses Jahres aber mussten die SPD-Abgeordneten
Hanna Wolf und Erika Simm enttäuscht melden, dass die Mehrheiten
im Rechtsausschuss gekippt waren. Die Verjährungsfrist soll beginnen, wenn
das Opfer 14 Jahre alt ist. Über diese Empfehlung hat der Bundestag heute
abend zuerst zu entscheiden. Obwohl sie den Segen der Koalitionsmehrheit hat,
ist der Ausgang offen. Rund fünfzig Abgeordnete - überwiegend weiblich - hat
Claudia Nolte (CDU) in ihrer Fraktion für die 18 Jahre als Beginn der Verjährungsfrist
gewonnen. Und wenn auch einige liberale Frauen ihr Unbehagen mit der offiziellen
Fraktionsmeinung auch im Stimmverhalten deutlich machen, dann könnte die Koalitionsraison
doch aufgebrochen werden.
Denn auf fast unglaubliche Art hat in diesem Fall die Koalitionsraison gegen
vernünftige Argumente und gegen Mehrheiten gesiegt. Die Rechtspolitiker der
FDP, einschließlich Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, haben
frühzeitig signalisiert, dass man über ein Aussetzen der Verjährungsfrist
reden könne - aber höchstens bis zum 14. Lebensjahr der Betroffenen. Ins Feld
geführt wurden einmal rechtssystematische Gründe: Die Verjährung einer Tat
gehöre zur grundgesetzlich fixierten Rechtstaatlichkeit, mit der nicht nach
Belieben umgegangen werden dürfe. Immerhin: in Abwägung von Opferinteresse
und Rechtssystematik konnte sich die FDP zur 14-Jahres-Regelung durchringen.
Aber keinesfalls weiter. In höchst ungewöhnlichem parlamentarischem Stil verweigerte
der FDP-Rechtspolitiker Jörg van Essen seine Unterschrift unter den Bericht
des Rechtsausschusses von Oktober 1993. Die FDP, so die SPD-Politikerinnen
Wolf und Simm, veranstaltete "eine unglaubliche Geschäftsordnungsdebatte
im Rechtsausschuss", um die getroffene Entscheidung rückgängig zu machen.
Im Januar stimmte aus den Koalitionsparteien nur noch Susanne Rahardt-Vahldieck
(die einzige weibliche Anwesende aus der CDU) für die 18 Jahre. Van Essen
beruft sich mit seiner Haltung "insbesondere auf den Opferschutz",
wie er gegenüber der taz erklärte. Die gerichtspraktische Erfahrung lehre,
dass die Betroffene nach so langer Frist zum zweiten und dritten Mal zum Opfer
werde, zum zweiten Mal durch das Gerichtsverfahren und schließlich durch den
in aller Regel folgenden Freispruch des Angeklagten.
Diese Argumente sind in den parlamentarischen Beratungen, auch in der Anhörung,
lange und ausführlich erörtert worden. Vor allem die damit befassten Frauen
haben sie nicht überzeugt. Das betroffene Opfer werde selbst entscheiden,
ob es die unbestreitbaren Risiken eines Gerichtsverfahrens nach langer Zeit
auf sich nehmen will, argumentieren Abgeordnete aus allen Fraktionen. Fast
nicht mehr rational erklärbar, sagt Wolf, sei für sie, dass die Rechtspolitiker
der FDP sich mit solcher Energie gegen die parlamentarische Mehrheit stemmen.
Auch ein Gespräch von Unionsfraktionschef Schäuble mit seinem FDP-Kollegen
Solms habe nichts bewirkt, berichtet Nolte. Unter ihrer Unterschriftenliste
für die 18 Jahre steht unter anderem Ursula Männle aus der CSU. Frauenministerin
Angela Merkel sprach sich der taz gegenüber für die 18-Jahres-Regelung aus.
Süddeutsche Zeitung - April 30, 1994
Sexueller
Missbrauch von Kindern: Verjährung beginnt später. Frist läuft künftig erst
vom 18.Lebensjahr des Opfers an
Wer als Kind sexuell missbraucht wurde, kann seinen Peiniger künftig noch
im Erwachsenenalter anzeigen und strafrechtlich verfolgen lassen: Der Bundestag
beschloss, die Verjährungsfrist für Sexualdelikte an Kindern und Jugendlichen
erst mit dem vollendeten 18. Lebensjahr des Opfers beginnen zu lassen. Für
sexuelle Nötigung beträgt die Frist fünf Jahre, für Vergewaltigung zehn Jahre.
Bei der Abstimmung im Parlament fiel die Koalition auseinander: Die Abgeordneten
von SPD und Union überstimmten gemeinsam einen großen Teil
der FDP. Im Rechtsausschuss des Bundestages hatte die Koalitionsmehrheit von
Union und FDP im Januar noch für eine Verjährungsfrist vom 14. Lebensjahr
an gestimmt. Gegen die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses waren vor
allem die Frauen in der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion Sturm gelaufen. Mehr
als fünfzig Frauen brachten noch am Donnerstagmorgen einen Gruppenantrag ein,
in dem sie für den Beginn der Verjährung mit 18 Jahren plädierten und sich
damit inhaltlich dem SPD-Antrag anschlossen. Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende
Wolfgang Schäuble, der Verständnis für die Initiative der Frauen aufbrachte,
war es in mehreren Versuchen nicht gelungen, FDP-Fraktionschef Hermann Otto
Solms zu einem gemeinsamen Votum der Koalition zu bewegen.
Bisher begann die Verjährungsfrist für Sexualdelikte an Kindern und Jugendlichen
- wie üblich - mit der Tat. Deshalb waren viele Taten bereits verjährt, ehe
die Opfer zur Anzeige in der Lage waren. Eine Anhörung von Experten hatte
ergeben, dass dies zumeist erst im Erwachsenenalter, nach Beratungsgesprächen
und Therapien, möglich ist. Erfahrungsgemäss schrecken Opfer auch vor Anzeigen
von Familienmitgliedern oder Verwandten zurück, solange sie wirtschaftlich
und seelisch abhängig sind. Nunmehr muss der Staatsanwalt tätig werden, wenn
ein Opfer eine Vergewaltigung in der Kindheit bis zu seinem 28. Lebensjahr
anzeigt.
Der FDP-Abgeordnete Jörg van Essen, der die Verjährung mit dem 14. Lebensjahr
beginnen lassen wollte, erklärte, auch er sei für einen besseren Opferschutz.
Je länger ein sexueller Missbrauch zurückliege, um so schwieriger werde jedoch
die Beweislage vor Gericht. Somit wachse die Gefahr, dass das Opfer weitere
Male zum Opfer werde: durch den harten Kampf des Täters vor Gericht und dessen
anschließend möglichen Freispruch mangels Beweisen, der das Opfer obendrein
als Lügner erscheinen lasse. Die FDP-Abgeordnete Uta Würfel wies die Argumente
ihres Fraktionskollegen scharf zurück. Die SPD-Abgeordnete
Hanna Wolf dankte vor allem den Frauen der CDU/CSU, die sich
der Sache wegen über die Koalitionsdisziplin hinweggesetzt hätten.
Gleiches
Recht ist unverbindlich
mechthild jansen
Auch nach seiner Verabschiedung stößt Angela Merkels Gleichberechtigungsgesetz
auf harsche Kritik
Nun ist es also vom Bundestag verabschiedet, das Gleichberechtigungsgesetz,
mit dem die Bundesregierung im Wahlkampf hausieren gehen will. Wer handfeste
Eingriffe in gesellschaftliche Regeln und Strukturen assoziiert, wird irritiert
sein. Es dürfte einmalig sein, dass ein Gesetz letztlich nur aus freundlichen
Empfehlungen besteht. Da ist der öffentliche Dienst verpflichtet, "Frauenförderpläne
mit verbindlichen Zielvorgaben" aufzustellen und Frauenbeauftragte sollen
für deren Verwirklichung sorgen.
Die Öffentlichkeit hatte vor allem die grandiose Unverbindlichkeit des Gesetzentwurfes
kritisiert. Zu mehr als sprachlicher Schönung aber sah sich die Regierung
nicht veranlasst. Das Wort "verbindlich" kam in den Text, die Frauenbeauftragte
"kann" nun gewählt werden. Aber Quotierung und Sanktionen, mit denen
tatsächlich Rechte konstituiert und Verstöße geahndet werden könnten, sind
weiterhin ebenso tabu wie autonome Machtbefugnisse für Frauenbeauftragte.
Auch die Pflicht, familienbedingte Teilzeitarbeit und Beurlaubung zu bewilligen,
steht unter Vorbehalt und ist spielend zu unterlaufen. Nur die Schadensersatzregelung
bei Diskriminierung berührt unmittelbar die private Wirtschaft. Die Schutz-
und Verfolgungsvorschriften gegen sexuelle Diskriminierung bleiben schwach
und gehen von einem fragwürdigen Frauenbild aus: Ohne nachweisbare "erkennbare
Ablehnung" von Übergriffen, braucht sich frau erst gar nicht zu beschweren.
Was die Frauenministerin Angela Merkel selbst als ein "Meilenstein in
der Gleichberechtigungspolitik" bezeichnet, ist allenfalls ein bisschen
bewusstseinsfördernde Lobbyarbeit. Denn wer Frauen nicht fördern will, braucht
auch nichts zu befürchten.
Für Politiker ist das kein Vorgang, den sie kommentieren müssten. "Einen
schwarzen Tag für die Gleichberechtigung" aber nannte die stellvertretende
DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer die Verabschiedung des Gesetzes. Sie
sprach von einer "herben Enttäuschung" und "Niederlage",
weil das Gesetz inhaltsleer und für die Mehrheit der Frauen völlig bedeutungslos
sei. Es gelte nur für etwa 600.000 weibliche Beschäftigte im öffentlichen
Dienst.
Das neue Gesetz ist eine Verhöhnung der Frauen
Auch die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion,
Hanna Wolf, nennt es eine "Verhöhnung der Frauen",
das Gesetz auf ein Prozent der erwerbstätigen Frauen zu beschränken und die
private Wirtschaft völlig auszuklammern. Die Regierung sei nicht einmal der
Kritik der von ihr selbst berufenen Sachverständigen nachgekommen. Dr. Ute
Sacksofsky hatte dem Regierungsentwurf attestiert, "ohne Biss" zu
sein. Prof. Ulrich Battis konstatierte, der Entwurf bleibe "weit hinter
dem verfassungsrechtlich Möglichen zurück". Die SPD
will mit ihrem Gegenentwurf für ein Gleichstellungsgesetz Frauenförderung
wirksam honorieren und Diskriminierung wirksam sanktionieren. Dazu soll vor
allem eine leistungsbezogene Quotierung bei Einstellungen und Beförderungen
dienen. Arbeitsfördermaßnahmen sollen entsprechend dem Anteil von Frauen an
der Erwerbslosigkeit quotiert werden. Unternehmen, die Frauen fördern, sollen
subventioniert werden. Wer gegen das Gesetz verstößt, handelt sich Geldbussen
bis zu 100.000 Mark ein. Wo der Gleichstellungs-Hase im Pfeffer liegt, macht
die Erklärung der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände deutlich. Obwohl
die private Wirtschaft nicht tangiert wird, machen sich die Herren viel Mühe
mit der Gesetzeskritik.. Von einer Beispiel setzenden Wirkung des öffentlichen
Dienstes wollen sie nicht viel wissen. Um die Gleichbehandlung von Frau und
Mann zu verbessern, halten sie gar "keine neuen gesetzlichen Reglementierungen"
für erforderlich. Im Gegenteil, endlich müsse erst einmal das Verbot der Beschäftigung
von Frauen im Bauhauptgewerbe, das Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen und
der Arbeitgeberzuschuss zum Mutterschaftsgeld abgeschafft werden. Das nämlich
hemme Frauenbeschäftigung. Einen "überzogenen Schutzgedanken" für
Frauen lehnen sie rundherum ab. Die zu erwartenden "Effizienzstörungen"
seien kontraproduktiv. Gleichzeitig weisen die Arbeitgeberverbände den Verdacht
schwerwiegender Defizite in der Wirtschaft von sich. Ihnen passt nicht, dass
Betriebsräte verstärkt auf Frauenförderung achten oder Unternehmen Rücksicht
auf "Beschäftigte mit Familienpflichten" nehmen sollen. Ganz besonders
empört sie der Gedanke, sexuelle Belästigung könne aus dem "rein subjektiven
Blickwinkel des angeblich (!!) Betroffenen" definiert werden. Das wagt
das Gesetz freilich gar nicht. Geht es nach den Verbänden der Arbeitgeber,
so soll für Frauen alles beim alten bleiben. Und so geschah es denn auch:
Den Arbeitgebern stank das ganze Gesetzesbrimborium, und die Bundesregierung
ging vor ihnen auf die Knie.
Süddeutsche Zeitung – Mai 10, 1994
CSU und
SPD im Schulterschluss: Unterschriftenliste gegen Killerspiele
Zu einer Unterschriftenaktion Bürger gegen Killerspiele hat die CSU -Stadtratskandidatin
Ursula Sabathil aufgerufen. Sie wendet sich gegen die Eröffnung eines sogenannten
Laserdroms, im Volksmund Killerpalast genannt, in dem Spieler mit Laserpistolen
aufeinander feuern. Sabathil will die Regierung auffordern, eine Rechtsgrundlage
für das Verbot solcher Spiel-Hallen zu schaffen. Unterschriftenlisten liegen
in den Pasinger Geschäften auf; Postkarten mit Unterschriften unter dem Stichwort
Bürger gegen Killerspiele können auch an das Büro der Stadtpolitikerin geschickt
werden: Klarweinstrasse 9a, 812457 München.
Gegen das Laserbrom-Projekt spricht sich auch die SPD-Bundestagsabgeordnete
Hanna Wolf aus und setzt sich ebenfalls dafür ein, dass derartigen
Veranstaltungen ein Riegel vorgeschoben wird.
Das Verwaltungsgericht München hatte in einem Eilverfahren vor einigen Tagen
keine rechtlichen Möglichkeiten gegen das Laserdrom gesehen, solange sichergestellt
sei, dass keine Jugendlichen Zutritt erhalten. emj
Süddeutsche Zeitung – Mai 27, 1994
Gut gemeint.
BR-Feller über seinen CSU-Redakteur
Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Der Fernsehdirektor des Bayerischen
Rundfunks (BR), Wolf Feller, hatte es wohl gut mit dem Image seines Senders
gemeint, als er auf eine gestern veröffentlichte SZ-Recherche reagierte: Dabei
ging es um Markus Söder, einen Nachwuchspolitiker der CSU, den die BR -Chefredaktion
nach Bekanntgabe seiner Landtagskandidatur zum Redakteur des politischen Magazins
Zeitspiegel ernannte. Außerdem ließ man ihn entgegen einer Anweisung der Intendanz
politische Beiträge fertigen. Chefredakteur Gerhard Fuchs berief sich darauf,
dass der Kandidat keine harten politischen Themen bearbeite. De facto war
jedoch das Gegenteil der Fall. In einem gestern nachgereichten Fall hatte
der CSU-Mann laut der SPD-Bundestagsabgeordneten Hanna
Wolf beispielsweise gar über eine Veranstaltung mit einem FDP -Landtagskonkurrenten
berichtet. Die SPD-Bundestagsabgeordnete hatte sich bei Feller
lange vor Söders Festanstellung über den Beitrag beschwert. Der BR ließ Söder
jedoch weiterhin im Politmagazin berichten. Nun verfügte Feller, der CSU-Mann
dürfe bis zur Wahl im September keine Beiträge mehr machen. Er wird jedoch
weiterhin Redakteursarbeit für den Zeitspiegel tun. Er wird also Themen in
Auftrag geben, recherchieren und Beiträge von Mitarbeitern überarbeiten. Politisch
sicher völlig unabhängig. schul.
Auch
Zivis sollen weniger arbeiten
sven christian
SPD und Teile der
FDP wollen bei Verkürzung des Wehrdienstes auf zehn Monate auch den Zivildienst
nicht ungeschoren lassen / Auch Wohlfahrtsverbände für moderate Kürzung des
Zivildiensts
Falls der Wehrdienst von zwölf auf zehn Monate reduziert wird, darf der Zivildienst
nicht unverändert bleiben. Das forderte gestern die Bremer Zentralstelle für
Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer. "Es wäre ein grobes Unrecht,
wenn die Zivildienstleistenden, die schwere, aber friedliche Dienste leisten,
künftig weiterhin fünfzehn Monate dienen müssten", sagte der Vorsitzende
der Zentralstelle, Ulrich Finckh. Ihr Leistungen dauerten dann um die Hälfte
länger als der Wehrdienst. Wie gestern gemeldet, wollen Teile der Bonner Unionsfraktion
die Angleichung des Zivildienstes verhindern, indem nach Ablauf des Wehrdienstes
eine zweimonatige "Verfügungsbereitschaft" eingeführt wird. Dazu
Finckh: "Das hat es seit dem Mauerbau nicht mehr gegeben."
Die SPD und einige FDP-Politiker sprachen sich dagegen gestern
für eine Angleichung des Ersatzdienstes aus. Die jugendpolitische Sprecherin
der Bonner SPD-Fraktion, Hanna Wolf, sprach
von einer "Diskriminierung des Zivildienstes und Verzerrung der Wehrgerechtigkeit",
gegen die sich die SPD mit allen Mitteln einsetzen werde.
Zwar würde die Beibehaltung der Zivildienstzeit die Kassen der sozialen Dienste
vor einer neuen Belastung bewahren. Doch stigmatisiere der offensichtliche
Strafcharakter dieser Regelung jegliche soziale Tätigkeit, ob als Ehrenamt,
als Ersatzdienst oder als Beruf. Die SPD-Politikerin äußerte
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Koalitionspläne, da laut Grundgesetz
die Dauer des Ersatzdienstes die Dauer des Wehrdienstes nicht überschreiten
dürfe.
Für die Verringerung der Zivildienstzeit sprachen sich gestern auch die Wohlfahrtsverbände
aus, sie warnten aber zugleich vor einer zu starken Verkürzung, die die Situation
der sozialen Betreuung deutlich verschlechtern würde. Die Bundesarbeitsgemeinschaft
der Freien Wohlfahrtspflege befürchtet einen Rückgang der Zahl der Zivildienstleistenden,
sollte die Ersatzdienstzeit unverändert bleiben. Bereits jetzt könnten nicht
alle Stellen besetzt werden. "Bei der Caritas sind von 26.000 Plätzen
9.000 frei", sagte deren Präsident, Helmut Puschmann. Umgekehrt dürfe
die Dienstzeit aber auch nicht zu stark gekürzt werden, da den von Zivis betreuten
Menschen ständige Wechsel ihrer Bezugspersonen nicht zugemutet werden könnten:
"Die Schmerzgrenze liegt bei zwölf Monaten."
Auf Kritik stieß die geplante Verkürzung des Grundwehrdienstes auch bei der
Soldatengewerkschaft Bundeswehrverband. Dessen Vorsitzender Bernhard Gertz
sagte, dass damit das Bewusstsein und die Einsicht verloren gingen, "dass
es die Pflicht jedes Bürgers ist, sich an der Verteidigung des eigenen Landes
zu beteiligen". Offiziere und Unteroffiziere sähen die Pläne deshalb
nicht mit Begeisterung.
Die Wehrexperten von SPD und CSU haben nach der Bonner Vorentscheidung
für eine Verkürzung des Grundwehrdienstes gar eine reine Freiwilligenarmee
gefordert. Der CSU-Wehrexperte Benno Zierer sagte dem Kölner Express, die
Verkürzung der Wehrpflicht könne nur der erste Schritt sein. "Es ist
ein Schritt in die richtige Richtung, an dessen Ende die Freiwilligenarmee
stehen wird."
Sven Christian
Süddeutsche Zeitung – Juli 18, 1994
Erstmals
eine Frau an der Spitze der Münchner SPD - Anker will das
Profil der SPD schärfen. Öffnung der Partei neue Devise:
In die Betriebe gehen, statt im Hinterzimmer zu sitzen
Von Sven Lörzer
Bei ihrem Jahresparteitag hat die Münchner SPD Ingrid Anker
zur neuen Vorsitzenden gewählt. Die 48jährige Sozialwissenschaftlerin und
bisherige stellvertretende Unterbezirksvorsitzenden löst den Landtagsabgeordneten
Hans-Günter Naumann ab, der nach zwölf Jahren im Amt nicht mehr kandidiert
hatte. Von den 190 Delegierten haben 149, rund 80 Prozent, für Ingrid Anker
gestimmt, die ohne Gegenbewerber geblieben war. Als Schwerpunkte ihrer Arbeit
kündigte sie an, den innerparteilichen Dialog zu verbessern und eine Öffnung
der Partei zur Gesellschaft zu fördern. Es sei viel notwendiger, dass die
Partei nach draußen geht, sagte Ingrid Anker bei ihrer Vorstellung im Hofbräuhaus,
als endlos lange interne Sitzungen abzuhalten: Wir müssen uns in der Münchner
Gesellschaft als SPD zeigen, in die Betriebe gehen, den Leuten
zuhören, statt im Hinterzimmer zu sitzen. Themenschwerpunkte der nächsten
Monate seien die Arbeitsplatzsicherung, die soziale Grundsicherung und der
Bildungsbereich.
Voraussetzung dazu sei, Betriebe und soziale Einrichtungen zu besuchen. Wichtigste
Aufgabe sei die Vorbereitung der Kommunalwahl 1996. Da angesichts der Mehrheitsverhältnisse
im Rathaus OB Christian Ude ohne Kompromisse kaum handlungsfähig sei, müsse
die Partei stärker als bisher Stellung beziehen und Positionen verdeutlichen.
Für die erste Frau an der Spitze der Münchner SPD setzten
sich Bürgermeisterin Gertraud Burkert sowie die beiden Bundestagsabgeordneten
Ulrike Mascher und Hanna Wolf ein. Ingrid Anker sei eine
engagierte und gescheite Frau, die den Münchner Alltag kennt, sagte Ulrike
Mascher, während Hanna Wolf meinte: Die kritische Begleitung
einer Frauenkandidatur in den Medien ist typisch. Von den 190 abgegebenen
Stimmen waren zwei ungültig. Sechs Delegierte enthielten sich, 33 votierten
mit Nein, 149 wählten Ingrid Anker. Für sie rückt der Bezirksausschussvorsitzende
Alexander Reissl als Stellvertreter nach. Wiedergewählt wurden die beiden
weiteren Stellvertreter, der Landtagsabgeordnete Franz Maget und Stefanie
Jahn.
In seiner Abschiedsrede hatte Naumann zuvor betont, es gibt nach wie vor eine
realistische Möglichkeit, die absolute Mehrheit der CSU im Landtag zu brechen.
Die SPD müsse ihre Ausstrahlung verbreitern, sie benötige
Gesprächs- und Bündnispartner. Naumann bedauerte die Wahl eines Republikaners
zum Korreferenten des Kreisverwaltungsreferats, die SPD-Fraktion
sollte Mittel finden, dies zu ändern. Sie dürfe nicht dulden, dass der Mann
einer rechtsradikalen Partei in ein solches Amt kommt. Fraktionschef Dietmar
Keese beeilte sich zu versichern, wir werden versuchen, die eingetretene Verteilung
zu korrigieren. Der scheidende Parteivorsitzende ging auch auf den Streit
um die Deserteure aus Ex-Jugoslawien ein. Unsere Sympathie muss jenen gehören,
die sich weigern, einen der brutalsten Bürgerkriege zu verlängern.
Als Politiker, der seiner Zeit häufig um Jahre voraus war, würdigte OB Christian
Ude den langjährigen SPD-Chef. Bereits 1970, mehr als 15
Jahre bevor es Wirklichkeit wurde, habe er gefordert, den Einbau von Katalysatoren
bei Autos gesetzlich vorzuschreiben. Er war schon vernünftig, als man Leute
wie mich dazu noch hat überreden müssen, bescheinigte Ude. Dabei habe er eines
der undankbarsten Ämter bekleidet, das die deutsche Sozialdemokratie zu vergeben
hat. Altoberbürgermeister Georg Kronawitter dankte Naumann, der ihm den Rücken
freigehalten habe: Du warst der Sack, der geschlagen wurde, wenn der Esel,
das war ich, gemeint war.
Süddeutsche Zeitung – Juli 20, 1994
Kritik
an Freispruch für das Laserdrome
Der Freispruch für das Pasinger Laserdrome durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
die SZ berichtete, trifft bei der SPD -Bundestagsabgeordneten
Hanna Wolf auf heftige Kritik. Die jugendpolitische Sprecherin
ihrer Fraktion forderte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
dringend auf, durch eine Gesetzesinitiative dem makaberen Treiben ein Ende
zu setzen. Die Bundesregierung müsse endlich handeln, denn auf der Grundlage
divergierender Gerichtsentscheidungen könnten die lokalen Ordnungsbehörden
nicht vernünftig arbeiten. emj
Süddeutsche Zeitung - August 20, 1994
46 Bewerber
und 17 Gruppierungen treten an - CSU muss vier von fünf Direktmandaten verteidigen
Von Frank Müller
Der vierte - und letzte - Urnengang, zu dem die Münchner im Megawahljahr 1994
aufgerufen sind, wirft seine Schatten voraus: die Bundestagswahl vom 23. Oktober.
Seit gestern steht fest, welche Direktkandidaten in den fünf Münchner Wahlkreisen
um das Wählervotum - das heißt, um die Erststimme - bitten werden. Der Kreiswahlausschuss
machte insgesamt 46 Bewerbern aus zwölf Parteien den Weg auf den Stimmzettel
frei. Weitere fünf Parteien werben nur auf Landeslisten um die für die Mandatsverteilung
entscheidende Zweitstimme der Münchner (siehe auch Bayernteil). Die Zahl 46
markiert trotz des generellen Rückzugs der NPD vom Wahlschein einen neuen
Rekord im Kandidatenrennen. Neben den fünf im Bundestag vertretenen Parteien
CSU, SPD, FDP, Bündnis 90/Grüne und PDS treten auch Republikaner,
ÖDP und Bürgerrechtsbewegung Solidarität flächendeckend an, dazu kommen in
einzelnen Wahlkreisen die Grauen/Graue Panther, die Naturgesetz -Partei sowie
die Liberalen Demokraten (LD) und die Marxistisch-Leninistische Partei. Wenn
es kein Wunder gibt, wird die Entscheidung um die Direktmandate natürlich
auch 1994 zwischen den beiden großen Volksparteien fallen. Bei der ersten
gesamtdeutschen Wahl 1990 waren vier an die CSU und eines an die SPD
gegangen. In München-Mitte hatte SPD-Bewerberin Ulrike Mascher
den Ex -Bundesminister Hans Klein überflügelt, nachdem die Union 1987 noch
in allen fünf Wahlkreisen abräumen konnte.
Nur mit diesem Duo und mit den beiden Lokalmatadoren im Münchner Westen, Kurt
Faltlhauser (CSU) sowie Hanna Wolf (SPD), gibt es 1994 dieselben
Duelle wie 1990. Ansonsten gibt es jeweils ein neues Gesicht. Mit Spannung
wird vor allem der Wahlausgang im Münchner Norden erwartet, wo die Genossen
am ehesten die Chance auf ein zweites Münchner Direktmandat haben dürften.
Dort tritt der bisherige CSU-Kandidat Fritz Wittmann nicht mehr an. Stattdessen
kandidiert Gauweiler-Intimus Johannes Singhammer gegen SPD-Vordenker
Peter Glotz. 1990 war dieser gegen Wittmann nur ganz knapp unterlegen. Dickere
Polster haben da die 1990 direkt gewählten CSU-Abgeordneten Herbert Frankenhauser
(Ost) und Erich Riedl (Süd), gegen sie schickt die SPD die
beiden Neulinge Kurt Damaschke und Achim Bender ins Rennen. Jürgen Vahlberg
und Rudi Schöfberger treten dort nicht mehr an.
Im Münchner Süden kommt es übrigens zum geballten Aufeinandertreffen Münchner
Politprominenz: Für die Grünen kandidiert die Rathaus -Fraktionsvorsitzende
Angelika Lex, für die FDP Stadtverbandschef Michael Mattar und für die Reps
der frühere Fraktionsführer Heinz Kremzow. Die größten Chancen, für eine kleine
Partei aus München in den Bundestag einzuziehen, hat wegen seines guten Listenplatzes
freilich einer, der gar nicht in München direkt kandidiert, sondern in Augsburg-Stadt:
Der Münchner FDP -Stadtrat Hildebrecht Braun.
Süddeutsche Zeitung - September 2, 1994
Kandidatinnen
für den Bundestag und den Landtag: Fünf SPD-Frauen zeigen
Flagge. Weibliche Abgeordnete gutes Mittel gegen Politikverdrossenheit
Von Claudia Wessel
60 Prozent der Bevölkerung seien dafür, dass mehr Frauen in Führungspositionen
gelangen, interessanterweise ebenso viele Männer wie Frauen. Diese Einleitung
zur Vorstellung der zwei Münchner SPD-Bundestags- und drei
Landtagskandidatinnen gab folgerichtig die parteiintern ranghöchste Sozialdemokratin
der Landeshauptstadt: die erst vor wenigen Monaten gewählte Vorsitzende der
Münchner SPD, Ingrid Anker. Dass sie selbst ebenso wie die
fünfköpfige Damenriege ein Symbol für die Frauenfreundlichkeit der SPD
sei, ließ sie zufrieden durchblicken. CSU und FDP haben für die Bundestagswahl
in München ausschließlich Männer aufgestellt. Überrundet würden die Sozialdemokraten
lediglich noch von den Grünen, die drei Frauen und zwei Männer ins Rennen
um Mandate für Bonn schickten.
Hanna Wolf und Ulrike Mascher, beide seit 1990 im Bundestag,
wollen auch weiterhin die Interessen der Münchner in Bonn vertreten. Dorle
Baumann und Monica Lochner-Fischer möchten wieder in den Landtag gewählt werden,
Anne Hirschmann aus dem Stadtrat in die Landespolitik wechseln. Immer wieder
habe ich während meiner zehnjährigen Tätigkeit in der Kommunalpolitik erlebt,
welche Schwierigkeiten die Stadt aufgrund fehlender finanzieller Unterstützung
durch das Land hatte, begründete Frau Hirschmann, erst am 12. Juni erneut
in den Stadtrat gewählt, ihre Ambitionen aufs Maximilianeum.
Den Wechsel wollen die fünf Kandidatinnen natürlich alle - am liebsten den
von der konservativ-liberalen zur SPD-Regierung. Doch auch
den zu mehr Frauen -Mitsprache, sprich einer zahlenmäßigen Vermehrung der
weiblichen Abgeordneten, streben sie an. Mehr Frauen in den Parlamenten, das
ist ein gutes Mittel gegen Politikverdrossenheit, glaubt Hanna Wolf.
Denn Frauen seien näher an den tatsächlichen Bedürfnissen der Bürger orientiert.
Paragraph
218 zwischen den Stühlen
myriam schönecker
Nach Scheitern im Vermittlungsausschuss ist Abtreibungsgesetz bis nach der
Wahl vertagt
Es war also vergebliche Liebesmüh. Ausschussitzungen, Anhörungen, Arbeitsgruppen
- das monatelange Tauziehen um das neue Abtreibungsrecht war erst mal umsonst.
Denn die Entscheidung des Vermittlungsausschusses, das Thema "Paragraph
218" für diese Legislaturperiode ad acta zu legen, bedeutet: Nach der
Bundestagswahl geht das ganze Prozedere des Gesetzgebungsprozesses wieder
von vorne los. Denn mit dem Zusammentreten des neuen Bundestags nach der Wahl,
unabhängig von den dann herrschenden Mehrheiten, "verfällt" das
Abtreibungsgesetz der Koalition, das Ende Mai im Bundestag mit nur vier Stimmen
Mehrheit angenommen wurde. "Diskontinuitätsprinzip" heißt das. Und
dabei war ein Kompromiss zwischen Koalition und SPD in den
letzten Tagen so nah wie noch nie. Die Koalition hatte sich in entscheidenden
Fragen wie der Finanzierung des Abbruchs und der Bestrafung des familiären
Umfeldes auf die SPD zubewegt. Im derzeitigen Wahlkampf ist
das natürlich opportun, zumal im Vermittlungsausschuss nach den Wahlen in
Sachsen-Anhalt ein Patt herrscht und schon deshalb die Union Zugeständnisse
machen musste.
Bis zuletzt wurde allerdings kein Kompromiss über den Charakter der Pflichtberatung
erzielt. Die SPD bestand darauf, eine Formulierung aufzunehmen,
wonach die Frau "Eigenverantwortung" bei der Entscheidung trägt.
Die Koalition wollte dagegen nur eine "Letztverantwortung" der Frau
betonen. Doch der Kompromiss scheiterte nicht nur an Differenzen zwischen
Koalition und SPD, sondern offenbar auch an Streitigkeiten
innerhalb der SPD. Die sozialdemokratische Verhandlungsführerin
Inge Wettig-Danielmeier hatte sich in den zwei Wochen sehr kompromissbereit
gegenüber der Koalition gezeigt - und stand damit mehr und mehr in ihrer Partei
im Abseits. Kritik hagelte es vor allem aus dem Düsseldorfer Frauenministerium.
Die nordrhein-westfälische Frauenministerin Ilse Ridder-Melchers, in den Verhandlungen
federführend für die SPD-Länder, sah im Gegensatz zum pragmatischen
Kurs von Wettig-Danielmeier "gravierende Differenzen" bereits in
technischen Einzelfragen, wie zum Beispiel bei der Abwicklung der Finanzierung.
Ridder-Melchers Stimme war denn auch zu vernehmen, als gestern wie zu erwarten
die gegenseitigen Schuldzuweisungen einsetzten. Sie begrüßte das Scheitern
im Vermittlungsausschuss. Ebenso SPD-Geschäftsführer Peter
Struck: Bereits in der Nacht zum Mittwoch hatte Peter Struck in seiner Funktion
als SPD-Vorsitzender des Vermittlungsausschusses in Siegerpose
das Scheitern des Koalitionsgesetzentwurfs kommentiert mit den Worten: "Das
Gesetz ist weg." Auch Hanna Wolf, frauenpolitische Sprecherin
der SPD-Bundestagsfraktion, wertet die Entscheidung des Vermittlungsausschusses
als Erfolg.
"Das Ergebnis jahrelanger Arbeit wurde an die Wand gefahren", warf
dagegen Uta Würfel von der FDP dem Vermittlungsausschuss sichtlich enttäuscht
vor. Würfel war monatelang Verhandlungsführerin ihrer Fraktion in Sachen Neuregelung
des Paragraphen 218. Das Scheitern des Abtreibungsrechts ist auch ihr persönliches:
Im kommenden Bundestag wird Uta Würfel nicht mehr vertreten sein.
Süddeutsche Zeitung - September 9, 1994
SPD-Abgeordnete Wolf bereist den Münchner
Westen: S-Bahnhöfe kritisch getestet. Hochrangige Delegation mit Checkliste
als Begleitung
Von Thomas Münster
Auf einer Bereisung zahlreicher S-Bahnhöfe im Münchner Westen nahm die Bundestagsabgeordnete
Hanna Wolf die Qualitäten und die Mängel dieser Stationen
persönlich in Augenschein. Die SPD-Politikerin wollte herausfinden,
wie sie sich auch nach der Privatisierung der Bahn künftig in Bonn für die
Münchner S-Bahn einsetzen kann, sagte sie. Außerdem wolle sie gerade in der
derzeitigen Umbruchphase der DB ihre parlamentarische Mittlerrolle wahrnehmen,
indem sie alle mit der Verbesserung dieses Verkehrssystems Betrauten abseits
der ausgetretenen Funktionärs- und Behördenpfade zusammenführe. Mit auf die
von der Deutschen Bahn AG umsichtig organisierte Prüfungsrundreise machten
sich deshalb auch Vertreter der Bezirksausschüsse, des Planungsreferats, der
Stadtwerke/Verkehrsbetriebe, des MVV und sogar ein Experte des bayerischen
Wirtschaftsministeriums, da wohl auch die anstehende Regionalisierung der
Bahn und damit die Neuverteilung der Kostenlast zur Sprache kommen würden.
Außer einem beladenen Test-Kinderwagen hatte die kleine Delegation auch Checklisten
für Fahrgastfreundlichkeit dabei, die gleich an Ort und Stelle abgehakt wurden.
Stichpunkte waren die Erreichbarkeit und Zugänglichkeit der Bahnhöfe zu Fuß
mit Kinderwagen, Fahrrad und Rollstuhl, die Fahrradabstellmöglichkeiten, Hinweise
auf und Übergänge zu anderen öffentlichen Verkehrsmitteln, Sicherheit, Beleuchtung,
Videoüberwachung und das äußere Erscheinungsbild, anzukreuzen von ansprechend
bis hässlich.
An Mängeln herrscht kein Mangel, an offenen Fragen auch nicht. Dass im Dreieck
zwischen Donnersbergerbrücke, Lochhausen und Neuaubing verpisste Treppenhäuser,
labyrinthische Ausgänge, fehlende Rollstuhlzufahrten, bruchstückhafter Wetterschutz,
von Fremdparkern zugeparkte P+R-Plätze, falsche Bahnsteighöhen und Anliegerbeschwerden
zuhauf anzutreffen waren, konnte die Delegation vorhersehen. Aber was geschieht
etwa mit den Anschlüssen zum übrigen Verkehrsverbund, wenn die S-Bahn endlich
ihren schnelleren Takt bekommt? Die Verkehrsbetriebe können ja nicht beliebig
aufstocken, allenfalls umschichten.
Helmut Müller, für den DB-Geschäftsbereich Netz zuständig, konnte angesichts
einer Fülle vollzogener oder konkret geplanter Verbesserungen den Schwarzen
Peter gelassen zurückreichen: Es ist doch Sache der Abgeordneten, dass wir
mit genügend Geld versorgt werden.
Süddeutsche Zeitung - September 27, 1994
SPD: Keine Zeit zum Trauern - Wir haben
die Depression überwunden. Nach dem Zittern das Feiern mit rotem Sekt der
Marke Domina
Von Cornelia Glees
Als die ersten Hochrechnungen einliefen, knackte Hanna Wolf,
die Münchner Bundestagsabgeordnete, energisch mit dem Messer den Hähnchenschenkel
auf ihrem Teller: Gut, dass die FDP raus ist. Aber die sind jetzt alle zur
CSU, murrte sie. Doch die SPD kam im Maximlianeum noch in
Stimmung. Kurz vor acht ging Oberbürgermeister Christian Ude, essend am Bistro-Tischchen,
von mindestens drei Direktmandaten aus. Da setzte er noch auf Klaus Hahnzog.
Doch der Dr.jur. zog gegen den Dr. med. (Thomas Zimmermann) den kürzeren.
Bei Ude hörte es sich schon einmal so an: Wir haben die Depression der Europa-
und Stadtratswahl überwunden. Der 12. Juni war ein Betriebsunfall. Und im
nachhinein, vor lauter Freude, ist der OB richtig froh über die herbe Schlappe.
Denn erst so sei die Partei hochmotiviert gewesen. Wenig Freude dagegen bei
Bayerns DGB-Chef Fritz Schösser, der im Münchner Norden das Nachsehen hatte.
Sein Knackpunkt: Feldmoching. In ihrem Bewusstsein sind die Bauern da oben
doch längst Großgrundbesitzer, die wählen nicht mehr SPD.
Jawohl, seine Stimmung war gedämpft, bayernweit natürlich alles sehr gut.
Nicht gerade tröstlich, dass da gerade Alt-OB Hans-Jochen Vogel kurz auf einen
Plausch im Treppenhaus stehen blieb und daran erinnerte: In Feldmoching hab
ich mal 70 Prozentgeholt, mein Lieber.
Keine Zeit zur Trauer Keine Zeit zum Trauern. Denn endlich zog Renate Schmidt
im Triumphzug ins SPD-Lager ein, schnell wurde roter Sekt
(der gute Wiebelsberger Dachs, Marke Domina) ausgeschenkt, und da ging die
tapfere Gratulation Schössers an seinen erfolgreichen Mitstreiter Franz Maget
im minutenlangen Gejohle und Geklatsche unter. Und Maget, wie so oft im dezent
-karierten Sakko, genoss den Sieg. Ein ganz stark, Franz nahm der 41jährige
Brillenträger strahlend entgegen.
Erst gezittert Riesig gefreut hat sich auch Monica Lochner-Fischer, die am
späten Abend schon bei ihren Wahlhelferinnen und Wahlhelfern im Haidhauser
Unionsbräu saß. Erst haben wir gezittert, jetzt feiern wir, und natürlich
habe sie eben im Landtag gute Arbeit gemacht. Das bescheinigte ihr auch Bürgermeisterin
Gertraud Burkert. Hahnzog allerdings habe natürlich den Lokalpolitiker-Bonus
nicht mehr gehabt. Der tröstete sich im SPD-Büro Giesing:
Ich komm sowieso rein.
Süddeutsche Zeitung - Oktober 6, 1994
Die Stadt
braucht den Wechsel in Bonn
Mit großem Optimismus erwartet die Münchner SPD die Ergebnisse
der Bundestagswahlen in der Stadt. Ingrid Anker, die Vorsitzende des Unterbezirks,
sagte auf einer Pressekonferenz: Der Trend für die SPD geht
weg von den Negativergebnissen, wir werden in München zulegen. In Bonn werde
die SPD auf jeden Fall an der Regierung beteiligt sein -
in welcher Form auch immer. Die Stadt brauche diesen Wechsel in Bonn. OB Christian
Ude warf der Bundesregierung vor, sie habe in den zentralen Bereichen der
Mieten- und Sozialpolitik versagt. Dies bekämen viele Bürger und Bürgerinnen
in der Stadt zu spüren. Die beiden Kandidaten-Neulinge für den Bundestag,
Achim Bender (Süden) und Kurt Damaschke (Osten), wollen ihr Schwergewicht
auf die Arbeitsplatz- und Sozialpolitik legen. Hanna Wolf,
die für den Westen kandidiert und seit vier Jahren im Bundestag ist, fordert
außerdem Verbesserungen im öffentlichen Nahverkehr. dü.
Süddeutsche Zeitung - Oktober 12, 1994
Computer
wertet die Aktivitäten der örtlichen Bundestagsabgeordneten aus - Wem München
besonders am Herzen lag. Rudolf Schöfberger (SPD) engagierte
sich 25mal für die bayerische Landeshauptstadt, drei andere überhaupt nicht
Von Berthold Neff
Noch vier Tage bis zur Bundestagswahl - höchste Zeit also, jene Politiker
unter die Lupe zu nehmen, die München in Bonn vertreten. Wie stark haben sich
die elf Abgeordneten von CSU, SPD und FDP für die Landeshauptstadt
eingesetzt? Die Antwort auf diese Frage kommt aus dem Computer. Unbestechlich,
weil parteifarbenblind, listet er all die Worte und Taten der Münchner Matadore
in der Bonner Polit-Arena auf: Kleine und Grosse Anfragen, Anträge, Erklärungen,
Zwischenrufe und Reden. Insgesamt 1738 solcher Vorgänge sind für die Zeit
von 1990 bis zur Sommerpause 1994 im Sach- und Sprechregister des Deutschen
Bundestags eingetragen. Um herauszufinden, wer in Bonn stets auch das Wohl
und Wehe der Basis an der Isar im Auge hatte, war also ein 2,3 Kilogramm schwerer
Stapel Computerpapier durchzusehen. Nun dokumentieren zwei Strich- und Hitlisten,
dass sich Ulrich Irmer (FDP) so oft wie kein anderer mit allem Möglichen beschäftigte
und dass sich der SPD-Bundestagsabgeordnete Rudolf Schöfberger
am häufigsten für Münchens Interessen einsetzte.
Es ist natürlich ein schwieriger Spagat, den jene zwei Frauen und neun Männer
tagtäglich zu vollführen haben, seit ihnen am 2. Dezember 1990 der Sprung
in den ersten gesamtdeutschen Bundestag glückte. Nicht nur, dass sie den Eindruck
erwecken müssen, in Bonn besonders gebraucht zu werden, sie haben auch sooft
wie möglich in ihrem Wahlkreis zu erscheinen, zur Arbeit an der Basis. Schließlich
wird hier entschieden, ob sie sich der leid- und lustvollen Fron noch einmal
unterziehen dürfen, die da besteht aus der unerbittlichen Abfolge von Bürgersprechstunden,
Ortsversammlungen, Vereinssitzungen, Geheimtreffen im Hinterzimmer, Flügen
zu nachtschlafener Stunde, Schlafen im Nachtzug, Arbeitskreisen und jenen
langen Sitzungen im Bonner Plenarsaal, die nur ab und zu durch einen eigenen
Redebeitrag gekrönt werden (der zudem meist ohne Direktübertragung nach München
bleibt und so fast wirkungslos verpufft).
Obwohl dies alles so schwierig ist, behaupten die Hochglanzbroschüren, die
jetzt noch schnell unters Wahlvolk gebracht werden, felsenfest: In seinem
Wahlkreis ist er genauso präsent wie in Bonn. Gerne werden dazu noch die Leistungen,
die zählen, aufgereiht, etwa so: Pflegeversicherung durchgesetzt, Wohnraum
geschaffen, Verbrechen bekämpft, Wirtschaftsstandort gesichert. Das sagt sich
so leicht, aber stimmt es auch?
Der Computer macht die Probe aufs Exempel. Er listet minutiös auf, welche
Münchner Bundestagsabgeordneten die meisten München-Themen in Bonn zur Sprache
gebracht haben. Klar ist natürlich, dass die Zahl der Reden, Anträge oder
Zwischenrufe zum Thema München keineswegs alles sagt: Weil sich ihr zum Beispiel
nicht entnehmen lässt, welche dieser Aktivitäten letzten Endes Früchte trugen,
kann sie nur als Indiz dafür gelten, wer in Bonn überhaupt an München dachte
- und es den Bundestag wissen ließ.
Weil aber stetes Klappern zum Polit-Handwerk gehört, ist nicht anzunehmen,
dass jemand viel für München erreicht haben kann, dem der Namen der heimlichen
Hauptstadt kein einziges Mal über die Lippen kam. Zu erwarten war auch, dass
die CSU- und FDP-Abgeordneten ihre Regierung nicht besonders mit kritischen
Fragen überziehen würden; diese öffentlichkeitswirksame Aufgabe blieb wie
immer der Opposition vorbehalten.
Für alle SPD-Sympathisanten deshalb jetzt die gute Nachricht:
Rudolf Schöfberger, SPD-Bundestagsabgeordneter für den Münchner
Süden, ist mit 25 aufgegriffenen München-Problemen einsamer Spitzenreiter
dieser München -Hitparade. Die schlechte Nachricht ist allerdings die, dass
der rote Rudi am 16. Oktober nicht mehr kandidiert, ebenso wie sein CSU-Kollege
Fritz Wittmann, der es nur auf ein München-Thema brachte: Nachdem ein Professor
der Münchner Universität Soldaten in Uniform aus dem Hörsaal verbannt hatte,
erkundigte sich Wittmann, ob dadurch die Zahl der Wehrdienstverweigerer gestiegen
sei.
Auch wenn Schöfberger jetzt nicht mehr antritt, sei hier noch einmal skizziert,
welch breite Themenpalette er in Bonn zur Sprache brachte: Tunnels am Mittleren
Ring, den Schiessplatz am Perlacher Forst, den Wiederaufbau des Holzkirchner
Flügelbahnhofs, einen besseren Mieterschutz oder den Garchinger Atomreaktor.
Vieles ging er in Kooperation mit seinen SPD-Kollegen Peter
Glotz, Ulrike Mascher und Hanna Wolf an, etwa den Schutz
der Mieter vor Umwandlungsspekulation oder den harten Einsatz der Polizei
beim Weltwirtschaftsgipfel am 6. Juli 1992, den Bayerns damaliger Ministerpräsident
Max Streibl als bayerische Art verharmloste.
Herbert Frankenhauser, ihr CSU-Konkurrent aus dem Münchner Osten, interessierte
sich weniger für die Polizeiknüppel oder für die Härte, mit der sie auf die
Demonstranten niederprasselten, als vielmehr dafür, von welcher Seite die
Gegendemonstranten finanziert wurden, wie es dazu kam, dass sich eine Gruppe
aus Frankfurt an der Oder daran beteiligte, und wie viel der Münchner Gipfel
im Vergleich zu den drei vorangegangenen gekostet habe. Ansonsten regte Frankenhauser,
wen wundert's, unter anderem höchste Priorität für die Lärmschutzanlagen an
der Bundesbahnstrecke München-Ost an. Seine SPD -Konkurrentin
aus dem Westen, Hanna Wolf, beschäftigte sich, ihre Wähler
ebenso vor Augen, mit dem Ausbau der B 12 West München-Lindau zur Autobahn
und wollte die damit verbundenen Kosten in Beziehung gesetzt sehen zum Ausbau
der entsprechenden Bahnstrecke. Ähnlich agierten Peter Glotz (Kleine Anfrage
zu den Bundesbediensteten am Münchner Flughafen, Verlagerung des Sozialwissenschaftlichen
Instituts der Bundeswehr) oder Ulrike Mascher (Garchinger Heide als Naturschutzgebiet,
Verbot waffenfähigen Urans im Garchinger Reaktor).
Zu großer Form liefen (bis auf die FDP-Kollegen) alle Abgeordneten auf, als
die Affäre um die Verpachtung von Peter Gauweilers Mandanten hohe Wellen schlug.
Die SPD verlangte Aufschluss über die Praxis anwaltschaftlicher
Pacht- und Sozietätsverträge und setzte der CSU so zu, dass selbst der bis
dahin mit München-Fragen nicht besonders profilierte Kurt Faltlhauser aus
der Reserve ging und eine Zusatzfrage stellte, während Herbert Frankenhauser
zum Gegenschlag ausholte und die anwaltschaftliche Tätigkeit von Hans-Jochen
Vogel und Hans A. Engelhard während derer Ministerjahre aufs Korn nahm.
Der FDP-Abgeordnete Hans A. Engelhard, schon als Justizminister einer der
Stillen im Lande, ließ sich nicht einmal dadurch zu einer Wortmeldung hinreißen,
so dass er mit null Punkten zu den drei Schlusslichtern der München-Liste
gehört. Parteipolitisch angenehme Gesellschaft leistet ihm dort Ulrich Irmer,
der es geschafft hat, auf 477 Vorgänge zu kommen und München dabei nur einmal
zu streifen - er erwähnte das Münchener Abkommen von 1938.
Erich Riedls München-Liste weist nur einen Eintrag auf - die Frage nämlich,
ob die FDP-Justizministerin mit der FDP-Landtagsabgeordneten Karin Hiersemenzel
im Laufe der Gauweiler-Affäre die Verpachtung von Mandantenstämmen erörtert
habe. Die Chance, sich in eigener Sache zu Wort zu melden, versäumte Riedl.
Dafür punkteten die anderen auf seine Kosten. Ulrike Mascher begründete ihre
Forderung nach seiner Entlassung als Parlamentarischer Staatssekretär mit
seiner Äußerung von der asylantenfreien Zone im Münchner Süden und seiner
Rolle bei der umstrittenen Gedenkfeier auf dem V2-Gelände in Peenemünde.
Und wie legte sich Hans (Johnny) Klein diesmal ins Zeug, nachdem ihn Ulrike
Mascher 1990 in München-Mitte sensationell besiegt hatte? Zuerst einmal schwieg
sich der Bundestagsvizepräsident nach dieser Niederlage gut ein halbes Jahr
lang gründlich aus. Am 7. Juni 1991 meldete er sich erstmals mit einer Zwischenfrage
zu Wort und bewies am gleichen Tag sogar Humor, wie der Computer aufmerksam
registrierte: Hans Klein erkundigte sich nach dem Verbleib jenes Pferdes,
von dem der frühere Finanzminister Hans Apel einst meinte, getreten worden
zu sein.
Danach ließ es Johnny Klein ruhiger angehen, fand nur noch sporadisch Eingang
in das Computerregister. Die Tatsache, dass von seinen insgesamt 21 Einträgen
gleich zehn sein Engagement in der Hauptstadt-Frage betreffen (Bonn oder Berlin),
zeigt ziemlich klar: Für die heimliche Hauptstadt blieb ihm im hektischen
Bonner Treiben einfach keine Zeit.
Süddeutsche Zeitung - Oktober 12, 1994
Sie stellen
100-Tage-Programm der Bundes-SPD vor - Zwei Kandidaten mit
Konzept für Bonn. Wolf für Gleichberechtigung - Bender setzt auf High-Tech
Von Christine Burtscheidt
Vier Tage vor der Bundestagswahl halten die Münchner SPD-Kandidaten,
Hanna Wolf und Achim Bender, einen Wechsel der Regierung
für äußerst wahrscheinlich. Wie die Bundes-SPD die negative
Bilanz der Regierung Kohl nach einem Wahlsieg korrigieren will, legte sie
in einem 100-Tage-Programm fest. Auf ihm fußend will Hanna Wolf,
Kandidatin im Münchner Westen, für die Wiederherstellung des sozialen Friedens
im Land einstehen. So stellt sie sich eine soziale Umschichtung zugunsten
der schwachen Einkommensgruppen vor: Wir setzen auf ein Steuersenkungsprogramm
für Normalverdiener.
Das politische Steckenpferd der langjährigen Münchner Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft
sozialdemokratischer Frauen wird jedoch das Thema Gleichberechtigung sein.
Frauen dürfen nicht mehr so diskriminiert werden wie bisher. Abhilfe soll
ein neues Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst und die private
Wirtschaft schaffen. Bei gleicher Qualifikation muss das unterprivilegierte
Geschlecht bei Stellenausschreibungen bevorzugt werden. Im Rahmen einer allgemeinen
Arbeitsmarktoffensive, die umgehend rund 700 000 Arbeitslosen zu einem Job
verhelfen soll, fordert sie eine Arbeitszeitverkürzung, um mehr Frauen die
Chance zu geben, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Für Jugendliche
schwebt ihr ein Ausbildungsgarantiegesetz vor: Jeder soll ein Recht auf einen
Arbeitsplatz haben.
Bender, Kandidat im Münchner Süden, sieht hingegen Nachholbedarf im Bereich
der Hochtechnologie. Der Standort München ist ernsthaft gefährdet. Selbst
große Betriebe wie Siemens dächten wegen struktureller Probleme über Entlassungen
nach. Statt auf moderne Technologien wie im Kommunikations- und Umweltbereich
zu setzen, investierten Bund und Land in rückschrittliche Projekte der Kernenergie
und der Rüstungsindustrie. Zur Ankurbelung der Innovation sei ein Datenaustausch
zwischen Hochschule und Industrie dringend erforderlich.
Süddeutsche Zeitung - Oktober 19, 1994
Fünf
direkt, fünf über die Liste gewählt: Zehn Münchner in Bonn vertreten. Auch
Hildebrecht Braun schafft von Augsburg aus den Sprung
Von Frank Müller
Fünf schafften es auf direktem Weg - insgesamt wird München allerdings wie
bereits während der abgelaufenen Legislaturperiode mit doppelt so viele Abgeordneten
im 13. Deutschen Bundestag repräsentiert sein. Neben den fünf Gewinnern der
Direktmandate, die über das Erststimmen-Ticket nach Bonn fahren, schaffte
es ein weiteres Quintett über die Landesliste ihrer jeweiligen Partei, also
über die Zweitstimme. Für die CSU heißt dies, dass neben den vier siegreichen
Kandidaten Kurt Faltlhauser (West), Erich Riedl (Süd), Herbert Frankenhauser
(Ost) und Johannes Singhammer (Nord) auch der in München -Mitte unterlegene
Bundestagsvizepräsident Hans Johnny Klein wieder ins Parlament einzieht.
Ihm hatte für die SPD erneut Ulrike Mascher das Direktmandat
abgejagt - der bayernweit einzige Erfolg dieser Art für die Genossen im Freistaat.
Neben ihr dürfen für die Münchner SPD die im Norden und im
Westen unterlegenen Kandidaten Peter Glotz und Hanna Wolf
nach Bonn. Die Bewerber im Süden und im Osten, Achim Bender und Kurt Damaschke,
hatten zu schlechte Plätze auf der SPD -Landesliste.
Bei den Grünen zieht Landeschef Gerald Häfner (Wahlkreis München-West) in
den Bundestag ein, der den sicheren Listenplatz zwei innehatte. Bei den Liberalen
dagegen gibt es einen Sonderfall: Neben Ulrich Irmer (München-Nord) rutscht
auch der bisherige Münchner FDP-Stadtrat Hildebrecht Braun auf Platz sechs
der FDP-Liste gerade noch ins Parlament. Er allerdings war am Sonntag Direktkandidat
in Augsburg. Den örtlichen Interessen dort wolle er auch im Zweifelsfall Vorrang
einräumen, sagte Braun gestern. Ohne Vertretung bleibt München damit nur bei
der PDS, die bayernweit nur ein Listen-Mandat erhielt. Nach Wahlkreisen aufgeschlüsselt,
sind damit der Norden und der Westen der Landeshauptstadt in Bonn am besten
vertreten: mit je drei Abgeordneten. Auf München-Mitte entfallen zwei, auf
Ost und Süd je einer.
Süddeutsche Zeitung - Oktober 19, 1994
Kreisverwaltungsreferat
- Die Macht bis hin zur Fernbedienung
Von Berthold Neff und Margit Pratschko
Der Erste zu sein, darauf kommt es an in der Politik. Wer so lange im Geschäft
ist wie Erich Riedl (CSU), hat diese Weisheit natürlich längst verinnerlicht
und erscheint deshalb schon zehn Minuten vor 18 Uhr im Kreisverwaltungsreferat
(KVR). So, der Platz in der ersten Reihe vor dem Fernseher ist ihm sicher,
und jetzt ist er auch der Herr über die Fernbedienung - er hat die Macht in
Händen. Zunächst scheint es, laut Monitoren, als läge sein Konkurrent Achim
Bender (SPD) vorn. Doch nach 60 ausgezählten Stimmbezirken
klopfen ihm seine Anhänger auf die Schultern zum Beweis des Gegenteils.
Ulrike Mascher (SPD) dagegen muss ihren Sieg über Hans Klein
(CSU) ziemlich alleine feiern - einzig Bürgermeisterin Gertraud Burkert (SPD)
steht verloren unter all den CSU-Anhängern herum und gratuliert. Ein bisschen
gebibbert hab' ich schon, aber eine Vier vorne, das ist toll, sagt Ulrike
Mascher. Während die Gulaschsuppe am Buffet weniger und weniger wird, zappt
Erich Riedl wie besessen zwischen den Programmen hin und her. Aber auch die
Ergebnisse der CDU/CSU lassen keine Jubelstürme aufkommen, und was soll der
schwarze Trauerhut von FDP-Stadträtin Heidrun Kaspar signalisieren? Müsste
sie ihn jetzt, nach dem unverhofften Einzug ihrer Partei in den Bundestag,
nicht vom Kopfe reißen? Kurt Faltlhauser (CSU), seines Sieges über Hanna
Wolf (SPD) längst sicher, thront indessen wie ein Feldherr vor dem
Monitor und lässt sich um 20.05 Uhr noch einmal sämtliche Zahlen bringen,
bevor er sagt, wie dankbar, ganz bescheiden dankbar er sei.
Johannes Singhammer (CSU), der zum ersten Mal kandidierte, feiert den Erfolg
über den SPD-Schattenminister Peter Glotz und über den Rep-Chef
Franz Schönhuber: Das ist ein großer Vertrauensvorschuss für mich und eine
Bringschuld an die Wähler. Das Direktmandat gewonnen hat auch Herbert Frankenhauser
(CSU) im Münchner Osten, der sich unentwegt bemüht, die frohe Botschaft durch
das Handy in die Welt zu posaunen. Froh ist er, so froh, dass die Schmetterlinge
auf seiner Krawatte fast schon zu flattern beginnen.
Süddeutsche Zeitung - November 10, 1994
Münchner
Germanistik-Studentin fühlt sich diskriminiert: Kind geboren - kein BAföG
mehr. Sachlage mit Nichtbestehen einer Prüfung gleichgesetzt - Anwalt: Frauenfeindlich
Von Claudia Wessel
Ist die Geburt eines Kindes gleichbedeutend mit dem Nichtbestehen einer Prüfung?
Das fragt sich die Germanistik-Studentin Christine Trengler angesichts der
Ablehnung ihres Antrags auf Verlängerung der Förderungshöchstdauer nach BAföG.
Für diese Ablehnung legte das Amt für Ausbildungsförderung die gleichen Maßstäbe
an Trenglers Fall wie an den eines Studenten, der durch die Prüfung gefallen
war und sie noch einmal - staatlich gefördert - wiederholen durfte: Leistung
aufgrund von Paragraph 15 Absatz 3 Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG)
setzt voraus, dass der Auszubildende innerhalb der Zeit, für die eine Verlängerung
in Frage kommt, das Studium voraussichtlich abschließen kann.
Laut einer Verwaltungsvorschrift des Amtes für Ausbildungsförderung, die Trenglers
Anwalt Tillo Guber nachgelesen hat, werden als angemessene Zeit für eine Schwangerschaft
ein Semester, für die Erziehung eines Kindes unter fünf Jahren ein weiteres
Semester eingeräumt. Jedoch eben unter der Voraussetzung, dass innerhalb dieser
Zeit die Ausbildung berufsqualifizierend abgeschlossen werden kann - was die
mittlerweile zweifache Mutter nicht garantieren konnte (die übrigens inzwischen
bereut, dabei nicht gelogen zu haben). Die zitierten Bedingungen für eine
Verlängerung der BAföG-Zahlung bestätigt der stellvertretende Leiter des Amtes
für Ausbildungsförderung, Werner Hensgen. Man beziehe sich dabei nicht nur
auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1985, das die Weiterförderung
eines durch die Prüfung gefallenen Studenten behandelte, sondern auch auf
ein weiteres Urteil vom 20. Februar 1992. Letzteres habe die Voraussetzung,
dass das Studium innerhalb der verlängerten Zeit abgeschlossen werden muss,
für alle fünf im Gesetz angeführten möglichen Verlängerungsgründe festgelegt.
In anderen Worten: Ob wegen Schwangerschaft, Krankheit oder einer nicht bestandenen
Prüfung verlängert werden muss, spielt keine Rolle. Für alle Gründe gelten
dieselben Bedingungen.
Genau das ist für Rechtsanwalt Tillo Guber der Beweis dafür, dass Schwangerschaft
und Geburt eines Kindes mit einer nichtbestandenen Prüfung gleichgesetzt werden.
Und das findet er frauenfeindlich. Es wäre aus verfassungsrechtlichen Gründen
(Art. 6 Grundgesetz) nicht zulässig, die Geburt eines Kindes mit dem Nichtbestehen
einer Prüfung gleichzustellen. Wegen der Geburt eines Kindes soll dem Auszubildenden
gerade kein Vorwurf gemacht werden können. Da dies aber durch den Bezug auf
das zitierte Urteil geschehen sei, diagnostiziert Guber eine Diskriminierung
von Frauen in der praktischen Handhabung des BAföG-Rechts.
Das Für und Wider des Falles wird derzeit von der Arbeitsgruppe Bildung und
Wissenschaft der SPD-Bundestagsfraktion geprüft. Die Münchner
Abgeordnete Hanna Wolf, an die sich Christine Trengler gewandt
hat, brachte ihn dort ein. Für die unverheiratete Studentin selbst geht derweil
ein Semester nach dem anderen ohne Examen ins Land. Um die fehlende BAföG-Förderung
selbst zu verdienen, arbeitet sie zwei Tage in der Woche in ihrem alten Beruf
als Krankenschwester, versorgt dazu die beiden Kinder Daniel (zwei Jahre,
neun Monate) und Nadia (ein Jahr, sieben Monate) und versucht, die Termine
für die fehlenden Scheine bei ihren späteren Prüfern mit den anderen Verpflichtungen
unter einen Hut zu bringen - was selten gelingt. So etwa hat einer ihrer Prüfer
schon im zweiten Semester hintereinander nur zu den Zeitpunkten sein Seminar,
an denen die junge Frau entweder arbeitet (donnerstags) oder ihre Kinder aus
der Krippe abholen muss (17 bis 19 Uhr).
Was fehlt
Die Präsidentin und die Schriftführerin im Bundestag. SPD-Politikerin
Hanna Wolf hat kritisiert, dass im Bundestag noch immer frauendiskriminierende
Bezeichnungen verwendet würden. Sie verwies auf einen Beschluss des Parlaments
vom Januar 1993, wonach die Verwendung von "der Präsident" oder
"der Schriftführer" als Bezeichnung für beide Geschlechter unzulässig
sein sollte. Dies sei aber bei der Sitzung am 10. November in Berlin wieder
so geschehen. Wolf forderte Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) auf,
die Geschäftsordnung unverzüglich sprachlich an die Beschlusslage von 1993
anzupassen.
Süddeutsche Zeitung - November 18, 1994
CDU-Mittelstandsvereinigung
unzufrieden: Berufung Rexrodts bleibt umstritten. SPD kritisiert
Besetzung von Umwelt- und Frauenministerium
Schon vor der Vereidigung des neuen Bundeskabinetts ist am Donnerstag in der
Bonner Koalition ein Streit um die erneute Berufung von Wirtschaftsminister
Günter Rexrodt (FDP) entbrannt. Der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung
der CDU/CSU, Klaus Bregger, kritisierte in Bonn, große Teile des Mittelstands
seien gegen diese Entscheidung. FDP-Chef Klaus Kinkel und der Fraktionsvorsitzende
der Liberalen im Bundestag, Hermann Otto Solms, wiesen die Vorwürfe als unsachlich
zurück. Dagegen begrüßte der Präsident des Bundesverbandes der Industrie (BDI),
Tyll Necker, die Wiederberufung Rexrodts. Auf scharfe Kritik von SPD
und Naturschützern stieß die Berufung der CDU -Politikerin Angela Merkel an
die Spitze des Umweltministeriums. Kritik wurde auch an der neuen Frauenministerin
Claudia Nolte laut. Bregger teilte mit, Rexrodt habe in den vergangenen Jahren
einseitig auf Industriepolitik gesetzt. Bei der Bewältigung wichtiger mittelstandspolitischer
Aufgaben sei der Minister dagegen gescheitert. Bregger kritisierte auch die
von Rexrodt geforderte Abschaffung des Rabatt- und des Ladenschlussgesetzes.
Kinkel sagte dazu in Bonn, die FDP werde eine unsachliche und unfaire Kritik
an Rexrodt nicht zulassen. Der Minister sei ein überzeugter Marktwirtschaftler
und habe als Ressortchef gute Arbeit geleistet. Solms sagte vor Journalisten,
Bregger falle mit seiner Kritik letztlich dem Bundeskanzler und der Union
in den Rücken.
BDI-Präsident Necker betonte im Südwestfunk, er habe mit Rexrodt immer gut
zusammengearbeitet. Der FDP-Politiker habe sich stets sehr engagiert und seinen
Beitrag dazu geleistet, dass wir wirtschaftliche Probleme schon konjunkturell
mitüberwunden haben. Rexrodt war am Mittwoch trotz innerparteilicher Kritik
von den Spitzengremien der FDP wieder als Minister nominiert worden.
Der Wechsel des bisherigen Umweltministers Klaus Töpfer ins Bauministerium
und die Berufung Angela Merkels zu seiner Nachfolgerin stieß bei SPD
und dem Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) auf heftige Kritik. Der umweltpolitische
Sprecher der SPD, Michael Müller, sprach von einem unaufhaltsamen
Abstieg der Umweltpolitik in der Regierung Kohl. Merkel sei nicht einmal ansatzweise
mit Ideen oder Aussagen in der Umweltpolitik hervorgetreten. Müller fügte
hinzu, wenn die bisherige Frauenministerin das Umweltressort übernehme, ist
dies eine schreckliche Fehlbesetzung. Dem bisherigen Amtsinhaber Töpfer bescheinigte
der SPD-Abgeordnete, zwar durchsetzungsschwach, aber zumindest
intellektuell auf der Höhe des Themas gewesen zu sein. Nicht einmal das sei
jetzt zu erwarten.
Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Ingrid Matthäus-Maier
sieht als wesentlichen Grund für den Wechsel Töpfers in das Bau-Ressort, dass
dieser in seinem bisherigen Amt resigniert habe.
Der BUND nannte Merkel als neue Umweltministerin eine Erfüllungsgehilfin von
Bundeskanzler Kohl. Ihr Vorgänger Töpfer sei degradiert worden, sagte der
BUND-Vorsitzende Hubert Weinzierl in Bonn. Töpfers Wechsel an die Spitze des
Bauministeriums sei eine Strafaktion gegen einen international anerkannten
Umweltpolitiker.
Die SPD-Frauenpolitikerin Hanna Wolf kritisierte
die erzkonservative Haltung der neuen Frauenministerin Claudia Nolte. Sie
sei eine erklärte Quotengegnerin in der CDU, gehöre zum Lager der Abtreibungsgegner
um den früheren Unionsabgeordneten Herbert Werner und sei für eine Verschärfung
des Jugendstrafrechts. Mit der Ernennung von Frau Nolte zur Familien- und
Frauenministerin gibt es endgültig für die Gleichstellung von Frauen in der
Regierungspolitik keine Hoffnung mehr, meinte die SPD-Parlamentarierin.
Süddeutsche Zeitung – Dezember 6, 1994
BAföG
oder Kind beschäftigt Regierung
Mit dem Fall der Münchner Germanistikstudentin Christine Trengler, die sich
vor die Entscheidung BAföG oder Kind gestellt sah (die Süddeutsche Zeitung
berichtete), befasst sich jetzt die Bundesregierung. Hanna Wolf,
Münchner SPD -Bundestagsabgeordnete, machte die Ablehnung
des Münchner BAföG-Amtes zum Inhalt einer Anfrage. Trifft es zu, dass bei
der Begründung für die Ablehnung eines Antrags auf Verlängerung der Bundesausbildungsförderung
nach Ablauf der Förderungshöchstdauer die Geburt eines Kindes mit einer nicht
bestandenen Prüfung gleichgesetzt wird? Inwieweit ein solches Vorgehen mit
dem Grundgesetz zu vereinbaren sei, will die Abgeordnete wissen. Mit einer
Antwort ist in zwei Wochen zu rechnen. cw
Süddeutsche Zeitung – Dezember 16, 1994
BAföG:
Bei Geburt längerer Bezug
Schwangerschaft und Geburt sind also doch Grund genug, ein Studium länger
als vorgesehen staatlich zu fördern. Diese Erfolgsmeldung aus Bonn hat jetzt
die Münchner Germanistikstudentin Christine Trengler erhalten.
Aufgrund einer Anfrage der SPD-Bundestagsabgeordneten Hanna
Wolf hatte sich die Bundesregierung mit ihrem Fall befasst. Der Studentin
war die Förderung durch BAföG über die Höchstförderungsdauer hinaus verweigert
worden, weil die Geburt ihrer beiden Kinder nicht als Verlängerungsgrund anerkannt
wurde (die Süddeutsche Zeitung berichtete). Wolf stellte einige Fragen an
die Bundesregierung; und siehe da, so die Pressemitteilung: Der Antrag wurde
am 7. Dezember rückwirkend genehmigt und sogar die Genehmigung für die noch
nicht gestellten Folgeanträge angekündigt.
Dies sei möglich gewesen, weil auf Wolfs Anfrage hin das Bundesministerium
für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie mit den zuständigen bayerischen
Behörden Einvernehmen erzielt habe. cw
Süddeutsche Zeitung – Januar 5, 1995
Sexistisches
Verhalten der TU
Der Frauenförderplan an der TU ist abgeschmettert von Christine Burtscheidt
in der SZ vom 28. 12. 1994
Die Entscheidung des (männlichen) Senats der TU München, einen Frauenförderplan
nicht zu installieren, der in weniger abgeschwächter Form an fast allen anderen
bayerischen Universitäten schon existiert, zeigt, dass ein hoher akademischer
Bildungsgrad - hier insbesondere der eines Professors der Medizin - nicht
unbedingt einhergehen muss mit einer entsprechenden gesellschaftlichen Aufgeklärtheit
und wissenschaftlichen Rationalität. Der Dekan der medizinischen Fakultät
zieht doch tatsächlich den alten Weiblichkeitsmythos wieder hervor: Frauenkarrieren
scheitern, weil Frau, weil Kinder, weil weniger wissenschaftliche Publikationen,
weil Qualifikation nicht mehr stimmt - die sexistische Variante der Publish-or-perish-Keule.
Bekommen die Herren Kollegen keine Kinder? Was tun sie mit den Kindern, die
ihnen geschenkt werden? - Die Wahrheit ist, bei Beförderungen kooptieren Männer
Männer: Männliche Professoren halten männliche Assistenten für besser, weil
sie ihnen ähnlicher sind. Verhaltensweisen, die ihnen neu sind, und neue Ideen
verunsichern sie. - Seilschaft statt Netzwerk. Es ist schon richtig, dass
die sozialen Infrastrukturen fehlen - ein Versäumnis von Arbeitgebern und
Staat. Zu dieser Infrastruktur gehören aber nicht nur Kinderbetreuungseinrichtungen,
sondern auch Arbeitszeitstrukturen, die sich nicht mehr an der Arbeitsbiographie
des angeblich allzeit verfügbaren Mannes ausrichten. Wären bisher schon Frauen
gleichberechtigt in Führungspositionen und an Entscheidungsprozessen beteiligt,
wären diese Probleme auch geregelt. Nun müssen sie eben zusammen mit Frauenförderplänen
geregelt werden, statt eine aufschiebende Wirkung für diese zu haben . . .
Die wissenschaftliche Rationalität leidet aber ebenso unter dem Ausschluss
der Frauen von Führungspositionen und Entscheidungsprozessen gerade in der
Wissenschaft. Es ist heute kein Geheimnis mehr, dass zum Beispiel die Medizin
in Therapie und Forschung männlich ausgerichtet ist: Mehr Geld fließt in die
Erforschung typischer Männerkrankheiten, wie zum Beispiel den Herzinfarkt.
Für Männer wird eine aufwendigere Therapie betrieben - auch wenn mehr Frauen
in den Wartezimmern zu finden sein mögen. Selbst in der Gynäkologie herrscht
männliches Denken vor und die Rede ist immer noch von dem Patienten. Sogar
der Aufschwung der kostenintensiven pränatalen Medizin ist Indiz für Androzentrismus.
Zwanzig Jahre nach dem Internationalen Jahr der Frau fordere ich die Mitglieder
des Senats der TU München auf, sich selbst entsprechend weiterzubilden und
zu erkennen, dass ihr Abblocken der Frauenfrage auf rationalisierten Konkurrenzängsten
beruht, dass sie jedoch eine Humanisierung ihrer Arbeitswelt und eine höhere
kollektive Fachkompetenz gewinnen würden, wenn sie Frauen, die ebenso qualifiziert
sind wie sie, als gleichberechtigte Kolleginnen zuließen. Hanna Wolf,
MdB Vorsitzende der Münchner SPD-Frauen (AsF) 53119 Bonn
Bundeshaus
Süddeutsche Zeitung – Januar 12, 1995
Ländervorschlag
unzureichend: Kabinett plant Gesetz zur Vergewaltigung in der Ehe
Die Bundesregierung hält einen Vorschlag des Bundesrates für ein Strafgesetz
gegen Vergewaltigung in der Ehe für nicht weitreichend genug. Das Kabinett
stimmte am Mittwoch in Bonn einem Gesetzentwurf der Länderkammer zwar grundsätzlich
zu. Bundesjustizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger (FDP) erklärte
jedoch, die in dem Bundesratsentwurf vorgesehene Unterscheidung zwischen sexueller
Nötigung einerseits und Vergewaltigung andererseits sei nach Ansicht der Bundesregierung
nicht nachvollziehbar. Sexuelle Praktiken, die vom Opfer als genauso demütigend
empfunden werden wie der Beischlaf, fielen im Entwurf des Bundesrates immer
noch unter den niedrigeren Strafrahmen der sexuellen Nötigung, kritisiert
das Kabinett nach Angaben der Justizministerin. Auch in den Fällen, in denen
Frauen aus Angst vor Gewalt sexuelle Handlungen über sich ergehen ließen,
dürften die Gerichte nicht an einer angemessenen Ahndung der Taten gehindert
werden, sagte die Justizministerin. Der Gesetzentwurf des Bundesrates sei
zwar ein Schritt in die richtige Richtung, stelle aber keinen überzeugenden
Regelungsvorschlag dar. Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung in der Ehe
lasse keinen Raum für gesetzgeberische Zwischenlösungen, betonte Leutheusser.
Sie kündigte eine umfassende Lösung im Laufe der Legislaturperiode an.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf
warf der Regierung vor, mit ihrer Haltung die Strafbarkeit der Vergewaltigung
in der Ehe weiter zu verzögern. Damit betreibe sie Täterschutz. Offenbar könne
sich die Koalition aber auf keine gemeinsame Linie verständigen.
Süddeutsche Zeitung – Januar 26, 1995
SPD-Bundestagsfraktion bringt Gesetzentwurf
erneut ein: Vergewaltigung in der Ehe bestrafen. Vorlage geht weiter als die
Initiative der SPD-Länder
Die SPD-Bundestagsfraktion
hat einen neuen Anlauf unternommen, die Vergewaltigung in der Ehe strafbar
zu machen. Die Sozialdemokraten brachten am Mittwoch erneut einen entsprechenden
Gesetzentwurf ein, der in der vergangenen Legislaturperiode durch Verzögerung
gescheitert war. Zugleich machte die Fraktion deutlich, dass ein Gesetzentwurf
der SPD-Mehrheit im Bundesrat gegen Vergewaltigung in der
Ehe hinter den Erwartungen der Partei zurückbleibt. Der unveränderte Entwurf
der SPD-Fraktion sieht vor, dass Vergewaltigung nicht mehr
wie bisher nur außerhalb der Ehe strafbar sein soll. Außerdem soll nicht mehr
wie bislang nur die Drohung mit Gewalt als Kriterium für eine Vergewaltigung
gelten, sondern auch die Ausnutzung einer hilflosen Lage. Die Formulierung
zum Beischlaf nötigen soll zudem auch oralen und analen Geschlechtsverkehr
umfassen. Mit der durchgehenden geschlechtsneutralen Formulierung will die
SPD-Fraktion gewährleisten, dass homosexuelle Vergewaltigungen
ebenfalls strafbar werden.
Die SPD-Frauenpolitikerin Hanna Wolf sagte,
die Sozialdemokraten unternähmen mit der erneuten Einbringung des Gesetzentwurfs
den nunmehr fünften Anlauf in dieser Sache. Es sei ein Skandal, dass nach
wie vor das sexuelle Selbstbestimmungsrecht einer verheirateten Frau weniger
geschützt sei als das einer unverheirateten. Wolf und ihre Fraktionskollegin
Erika Simm warfen vor allem der CSU vor, bislang jede Initiative zur Strafbarkeit
der Vergewaltigung in der Ehe zu blockieren, obwohl die FDP und auch Teile
der CDU die Notwendigkeit einer gesetzlichen Neuregelung sähen. Deutschland
sei nach wie vor Schlusslicht in Europa.
Der Entwurf der Fraktion geht über eine Initiative des Bundesrates hinaus,
der mit seiner SPD-Mehrheit ebenfalls einen Gesetzentwurf
eingebracht hatte. Die Länder hatten aber unter anderem die Formulierung beibehalten,
dass Gewalt Voraussetzung für eine Vergewaltigung ist, und damit aus Sicht
der Fraktion etwas vergessen, sagte Wolf. Sie teile die entsprechende Kritik
von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) an dem
Länderentwurf. Nach Angaben der Frauenpolitikerin Simm gibt es einfach verschiedene
Positionen von Landes- und Bundespolitikern innerhalb der SPD.
Der Bundesratsentwurf sei nicht ausreichend. (Seite 4)
Süddeutsche Zeitung – Februar 10, 1995
Gesetzentwurf
vorgelegt: Koalition will Strafe für Vergewaltigung in der Ehe
Vergewaltigungen in der Ehe sollen jetzt auch nach dem Willen der Koalitionsparteien
von CDU/CSU und FDP als Verbrechen bestraft werden. Bundesjustizministerin
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) legte einen entsprechenden Gesetzentwurf
vor, der für sexuelle Nötigung und Vergewaltigungen in der Ehe und eheähnlichen
Lebensgemeinschaften Strafen zwischen zwölf Monaten und 15 Jahren vorsieht.
Die FDP-Politikerin reagierte damit auf einen Gesetzentwurf der SPD,
der in der kommenden Woche den Bundestag beschäftigen wird. Die SPD
will seit langem Vergewaltigungen innerhalb und außerhalb der Ehe rechtlich
gleichstellen. Die Sozialdemokraten waren damit in der Vergangenheit aber
immer an Widerständen aus der Union und insbesondere aus der CSU gescheitert.
Jetzt signalisierten auch die Rechtspolitiker der CDU/CSU Zustimmung. Allerdings
wollen sie Vergewaltigungen in der Ehe nur auf Antrag der Frau verfolgen.
Der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Norbert Geis
(CSU), warnte am Donnerstag in Bonn vor blindem Eifer. Es dürfe nicht der
Eindruck entstehen, Ehen seien ein Ort der Gewalt. Die Justizministerin will
Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und von Männern wie andere
Gewaltdelikte von Amts wegen verfolgen lassen. Das Gericht soll von Strafen
aber absehen können, wenn sich Täter und Opfer versöhnen. Auch die SPD
sieht in der Vergewaltigung ein Offizialdelikt, das der Staat verfolgen müsse.
Die Abgeordnete Hanna Wolf (SPD) warnte davor, bei Vergewaltigungen
in der Ehe hinter dem geltenden Recht zurückzubleiben.
Süddeutsche Zeitung – Februar 28, 1995
Vergewaltigung:
Reicht die Strafverfolgung aus? Wütend müssen wir sein. Dreistündige Diskussion
endet in Schlacht der Emotionen
Von Dieter Fabritius
Was muss sich ändern? Mit dieser Frage hatte die Bundestagsabgeordnete Hanna
Wolf (SPD) die Diskussionsveranstaltung über Defizite bei der Strafverfolgung
von Vergewaltigern eröffnet. Gegen Ende der zunehmend erregter geführten dreistündigen
Debatte hielt Anita Heiliger, Feministin aus der Ecke des so genannten politischen
Lesbianismus und Mitbegründerin zahlreicher autonomer Frauenprojekte und Soziologin
am Deutschen Jugendinstitut, die Zeit für gekommen, ihre Antwort vom Podium
ins Publikum zu schleudern: Das Manko bei Frauen ist: Sie können einen Mann
nicht umbringen. Das bringt ihnen keiner bei.
Ihr vor allem, von Wolf als Wissenschaftlerin mit Berichten über Täterstudien
angekündigt, war es zu verdanken, dass die sachliche Auseinandersetzung über
Missstände bei Polizei, Justiz und in der Gesetzgebung in der Pasinger Fabrik
zu einer emotionalen Saalschlacht gegen Sachargumente von Praktikerinnen aus
Staatsanwaltschaft und Therapie ausartete. Motiv Dominanzwünsche
Heiliger korrigierte Wolf: Sie habe die potentiellen Täter studiert, womit
Forschungsprojekte mit normalen Jugendlichen gemeint waren. Ihr Resümee aus
dem ungehobelten Sexualjargon, den sie dort aufgeschnappt haben will: Sexuelle
Gewalt sei durch Dominanzwünsche motiviert. Täter sind ganz normale Männer.
Jeder von Ihnen, damit deutete sie ins Publikum, könnte einer sein. Sachlichkeit
sei falsch: Wütend müssen wir sein. Sie forderte Sicherungsverwahrung für
alle Sexualverbrecher, denn deren Restrisiko sind wir Frauen! Entlassung auf
Bewährung bei freiwilliger Therapie sei Mittäterschaft der Justiz.
Heiligen Zorn rief das bei Helga Einhauser hervor, die einer Abteilung von
Staatsanwälten vorsteht, welche 1994 mit 83 Anklagen 80 Verurteilungen von
Sexualverbrechern erreichte: Pfui, dass eine Wissenschaftlerin so unsachlich
sein kann. Seien Sie froh, dass ich nicht so emotional reagiere!, rief sie.
Gefühl zeigte sie dann doch, als sie den im Saal anwesenden Angehörigen der
ermordeten Stefanie Karl ihr Bedauern dafür aussprach, dass der vorbestrafte
Vergewaltiger Mario Abend trotz mehrerer aktueller Anzeigen nicht in Gewahrsam
genommen werden konnte, bevor er das Pasinger Mädchen tötete.
Der Vorgang sei in ihrer Behörde untersucht worden, gab Einhauser bekannt:
Ein Versagen der Staatsanwaltschaft müsse verneint werden. Hohngeheul im Saal.
Ebenso bei Einhausers Einwand gegen den Vorschlag des SPD-Strafrechtsexperten
Prof. Jürgen Meyer (MdB), durch Videoaufzeichnung der Erst-Vernehmung Opfern
multiple Qualen zu ersparen: Dieses Durchbrechen des Unmittelbarkeitsgrundsatzes
vor Gericht, warnte die Oberstaatsanwältin, würde nur zu einer großen Zahl
ungerechtfertigter Freisprüche führen.
Beifall erntete Angelika Schauer vom Frauennotruf, die die Ängste vieler Frauen
artikulierte, welche nach Vergewaltigungen auf dem Revier erneut Pein erlitten.
Die Frauenbeauftragte des Polizeipräsidiums, Christine Steinherr, deren Abteilung
bei etwa 600 Anzeigen im Jahr mittlerweile 1430 Beratungen leistet, wunderte
sich, dass keine einzige sich bei mir beschwert hat und auch die Notruf-Frauen
darüber kein Wort verloren hätten. Das sei nicht ihre Aufgabe, konterte Schauer,
die mehr Geld für Lesbenprojekte will: Sie gebe Frauen sowieso nicht den Rat,
Anzeige zu erstatten.
Pflichtanwälte Vielleicht liegt es auch daran, dass das Bundeskriminalamt
von einer Dunkelziffer von 200 Prozent ausgeht. Und von den Opfern, die anzeigen,
kommen in München laut Steinherr nur 40 bis 50 unmittelbar nach der Tat zur
Polizei. Um das Anzeigeverhalten zu verbessern, schlugen der SPD
-Bundestagsabgeordnete und Strafrechtsexperte Jürgen Meyer und die Anwältin
Magdalena Dollinger vor, Vergewaltigten per Gesetz ab der Anzeige Pflichtanwälte
zu stellen, die Öffentlichkeit und Täter im Verfahren von Opfervernehmungen
ausschließen lassen.
Was dann auf das Urteil folgt - Strafhaft, Therapie - beurteilten Psychotherapeuten
aus Stadelheim, wie der Nervenarzt Ingo Wiederholt nicht nur resignativ: Ihre
Therapie sei nicht vergebens, aber ein Drittel werde rückfällig. Viel mehr,
schrie es da aus dem Publikum, die anderen werden nur nicht angezeigt. Schon
beim Blick auf den Busen müsse frau Wehrhaftigkeit beweisen, riefen Wen-do-Kämpferinnen.
Was nützte es dem bei seiner Sisyphus-Arbeit an Sexualtätern und -opfern ergrauten
Wiederholt, dass er beklagte, Polemik, Hass und Aggression sind heute wieder
mal schrecklich? Seine in Jahrzehnten der Forschung gewonnenen Erkenntnisse,
dass Urängste von Männern vor Frauen ein gesellschaftliches Problem darstellen,
gingen in dem von Heiliger angestimmten Wutgeheul ihrer Gefolgschaft unter.
Und sein jeder Täter war Opfer flüsterte er nur noch trotzig in den weißen
Bart.
Immerhin ein Protestruf drang durch: Sind wir hier auf einer Emanzenversammlung
oder diskutieren wir ernsthaft? Das rief eine Frau.
Auf den
Oppositionsbänken lauert die Frauenfrage
Mechthild Jansen
Ob die Frauen im Bundestag mehr zu
bieten haben als ihre Kollegen, wird sich zeigen. Die Voraussetzungen für
einen frischen Wind aus der Frauenecke sind jedenfalls gar nicht so schlecht..
Von Mechtild Jansen
"Geschlossen handeln", "eigene Gestaltung", rufen SPD-Frauen.
"Klare Opposition", "Opposition mit konstruktivem Charakter",
verlangen die Grünen. "Opposition ist wichtigste Aufgabe", hallt
es bei der PDS. Schlagworte verkünden sie kaum anders als Männer - die Frauen
im neuen Bundestag.
Erstmals sind sie keine machtlose Minderheit mehr. Zahlreicher und stärker
denn je sitzen sie nun in drei miteinander konkurrierenden Fraktionen. Wenn
die Flickschusterei für Frauen ein Ende nehmen soll, so stehen neue Weichenstellungen
ins Haus: der Umbau für eine gerechte Arbeitsgesellschaft, die Neukonstituierung
eines modernen Sozialstaates und die Schaffung der Grundlagen für so individuelle
wie soziale Lebensformen. Sind die Politikerinnen der Opposition darauf vorbereitet?
In der SPD-Fraktion sind die Frauen mit 32,9 Prozent der
Abgeordneten und 33 Prozent der Funktionen präsent. Damit ist die für Mandate
seit 1994 von 25 Prozent auf 33 Prozent erhöhte Quote erfüllt. Die 86 SPD-Frauen
verteilen sich nicht mehr nur auf "frauentypische" Politikfelder.
Die beiden stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Anke Fuchs und Ingrid Matthäus-Maier
sind für Umwelt, Verkehr und Wirtschaft beziehungsweise Haushalt und Finanzen
zuständig. Drei der acht Vorsitzenden von Bundestagsausschüssen, die die SPD
stellt, sind Frauen. Edith Niehuis sitzt dem für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend vor, Ulrike Mascher dem für Arbeit und Sozialordnung und Edelgard
Bulmahn dem für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie. Als Sprecherinnen
von SPD-Arbeitsgruppen wurden Herta Däubler-Gmelin für Rechtspolitik
und Heidi Wieczorek-Zeul für Europapolitik gewählt. Die SPD-Fraktion
hat eine Querschnittsgruppe Gleichstellung, deren von der Fraktion (wieder-)gewählte
Vorsitzende Ulla Schmidt qua Amt in der Geschäftsführung vertreten ist. Sie
verfügt nach eigener Einschätzung über großen Freiraum. Sie hat kein formelles,
aber ein faktisches Vetorecht, notfalls wird ein Streit in der Fraktion entschieden.
Die Querschnittsgruppe lädt wöchentlich zu einer Frauenrunde ein, auf der
frau miteinander berät, sich strategisch koordiniert und den Zusammenhalt
pflegt. Noch vor dem Sommer soll eine gemeinsame Klausurtagung stattfinden.
Edelgard Bulmahn ist optimistisch: "Als Querschnittsthema spielt die
Frauenfrage eine größere Rolle, in allen Politikbereichen sind wir mit mehreren
Frauen vertreten, überall werden frauenspezifische Aspekte eingebracht, und
es ist selbstverständlicher, dass Frauen Funktionen wahrnehmen." Christel
Hanewinkel, Sprecherin der Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
meint: "Das Machtbewusstsein der Frauen in der Fraktion ist sehr viel
größer geworden. Die Männer können sich eine Abwesenheit wie im Vorjahr bei
der Abstimmung um den Paragraphen 218 nicht mehr leisten." Ihr Konkurrenzproblem
haben sie und die vorherige Sprecherin Hanna Wolf gelöst,
indem die Ostfrau den Vortritt bekam und die fachliche Arbeit geteilt wird.
Ulla Schmidt will an einer Gleichstellungspolitik festhalten, die mit wirksamen
Instrumenten und Kompetenzen bis in die freie Wirtschaft reicht und Vereinbarkeit
von Beruf und Familie für Frau und Mann garantiert. Obwohl in der letzten
Legislaturperiode die Regierungsmehrheit ihr Gleichberechtigungsgesetz verabschiedete,
will sie den Gesetzentwurf der SPD erneut in den Bundestag
einbringen und zugleich, auch in Zusammenarbeit mit anderen, fortlaufend Einzelanträge
stellen, um CDU und FDP in die Ecke zu treiben. So sollen Wirtschaftsförderung
und öffentliche Auftragsvergabe an Frauenförderung gebunden, per Gesetz 50
Prozent der Ausbildungsplätze für Mädchen reserviert, "geringfügige"
Beschäftigungsverhältnisse abgeschafft, die Benachteiligung Alleinerziehender
im Steuerrecht unterbunden, ein neues Konzept für eigenständige Alterssicherung
vorgelegt, das Arbeits- und Strukturförderungsgesetz zugunsten gezielter Frauenförderung
fortentwickelt werden.
Edelgard Bulmahn will in ihrem bislang männerdominierten Ausschuss einen gesellschaftlichen
Dialog über Zukunftsfragen initiieren. "Die Gleichstellung der Frau ist
dabei von übergreifender Bedeutung. Die Frauen sind an der wissenschaftlichen
Entwicklung und Anwendung von Technik zu beteiligen. Lehre und Forschung,
Bildung und Ausbildung brauchen einen neuen Schub aus der Politik."
Christel Hanewinkel möchte Frauenpolitik vorrangig mit Arbeitsmarktpolitik
kombinieren. Die Gestaltung eines gerechten Familienleistungsausgleichs gehört
ebenso zu ihren politischen Zielen, wie die Förderung des Wohnungsbaus und
die Berücksichtigung von Kinder- und Jugendinteressen in der Politik. Entscheidend
seien nicht die Titel von Ministerien, sondern deren Kompetenzen wie Vetorecht
oder Quotierungen. "Es gibt weiterhin einen knallharten Machtkampf auf
allen Ebenen. Ich frage mich, wie da andere Wahrnehmungsmöglichkeiten der
Männer geschaffen werden können. Es ist wohl nach wie vor ein Befreiungskampf
der Frauen nötig."
Bei den Grünen sind die Frauen mittlerweile sogar in der Mehrheit.. Von 49
grünen Bundestagsabgeordneten sind 29 weiblich. Das sind immerhin 57 Prozent.
Zudem sind die Frauen nun in allen männlichen Domänen präsent. Kristin Heyne
ist Koordinatorin des Fraktions-Arbeitskreises für Wirtschaft, Finanzen, Wissenschaft
und Technologie, Michaele Huststedt für Umwelt und Verkehr, Andrea Fischer
für Frauen, Arbeit, Soziales und Gesundheit. Stellvertretende Koordinatorinnen
sind Christa Nickels für Inneres, Recht und Petition und Angelika Köster-Lossack
für Außenpolitik, Menschenrecht und Abrüstung. Im Bundestagsausschuss Forschung
und Technologie sitzt Elisabeth Altmann, im Innenausschuss Antje Vollmer,
im Rechtsausschuss Kerstin Müller, im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Marieluise Beck, im Auswärtigen Ausschuss Waltraud Schoppe, im Verteidigungsausschuss
Angelika Beer und im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit Uschi Eid.
Für manche schien sich da jede eigene Frauenstruktur schon zu erübrigen. Bei
unveränderter Gültigkeit des Partei-Frauenstatus inklusive 50-Prozent-Quote
sieht die Fraktionsgeschäftsordnung dieser Legislaturperiode nun als einzige
eigenständige Struktur alle sechs Wochen eine Frauenvollversammlung vor den
Fraktionssitzungen und eine zweiköpfige Stabsstelle bei der Fraktion vor.
Die Vollversammlung soll der Debatte, Konzeptions- und Strategieentwicklung
unter den Frauen dienen. Bei Bedarf stellen sie ein informelles Meinungsbild
her. Im Prinzip aber sollen Frauenthemen ebenso Sache der Gesamtfraktion sein,
feministische Politik ihr Querschnittsthema.
Rita Griesshaber, in offener Abstimmung gegen ihre Konkurrentin Irmingard
Schewe-Gerigk siegreiche frauenpolitische Sprecherin, erklärt, frau habe "keine
Frauenecke" haben wollen. Ein "Minderheitenschutz" sei nun
nicht mehr nötig. Die Männer würden, so ihre Einschätzung, auf die neue Mehrheit
überaus gelassen reagieren. Schließlich hätten sie ja auch bereits einige
Erfahrung im Umgang mit einem hohen Frauenanteil. Nun müssten sich die Frauen
noch weiter "austesten und entwickeln". Unter anderem müssten die
Frauen lernen, "nun mit einer neuen Ebene der Konkurrenz untereinander
umzugehen". Rita Griesshaber, seit langem dem eher pragmatisch orientierten
Flügel der frauenbewegten Grünen zugehörig, setzt auf eine aktive Einmischung
in die parlamentarische Arbeit. Sie hat sich entschieden für einen grünen
Alternativentwurf für ein Beratungsgesetz eingesetzt, ohne deshalb die Forderung
nach Streichung des Paragraphen 218 fallenzulassen.
Marieluise Beck, Sprecherin der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik meint, innerfraktionell
gäbe es immer noch eine schleichende Dominanz des Patriarchats und zuwenig
Toleranz und bewusste Entscheidung unter Frauen für Frauen. "Im Tandem
geraten die Frauen faktisch in die Stellvertreterfunktion. Das ist so eine
Mischung aus Zuschreibung und Selbstannahme, eine Art Virus, der Männer faktisch
potenter macht."
Marieluise Beck weiß, dass es "stumpf" wäre, das Alte wiederholen
zu wollen, das die Grünen einst mit Quote, Feminat und Antidiskriminierungsgesetz
vollbracht haben. "Dem politischen Alterungsprozess kann man nicht entgehen.
Vor zehn Jahren haben wir zu einem hohen Anteil von Symbolen gelebt, heute
kommen wir um einen Aufdifferenzierungs- und Umsetzungsprozess nicht herum."
Angesichts finanzieller Knappheiten seien sowohl für den Arbeitsmarkt als
auch für die sozialen Sicherungssysteme neue Prinzipien nötig. Ein Rechtsanspruch
auf Teilzeitarbeit selbst mit Rückkehrrecht helfe zum Beispiel nur begrenzt,
wenn keine gesellschaftliche Umlage für eine dadurch reduzierte Rente erfolge.
Marieluise Beck will eine Enquetekommission für eine Neuregelung des Arbeitsvertragsrechts
fordern.
Die PDS hat 43 Prozent beziehungsweise 13 Frauen bei 17 Männern im Bundestag.
Die Frauen sind noch stärker in den klassisch weiblichen Bereichen zu finden,
doch mit Andrea Lederer und Barbara Höll auch im Auswärtigen und Finanzausschuss.
Die beiden stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Christa Luft, Ost, und
Heidi Knake-Werner, West und Ex-DKP, sind für Wirtschaftspolitik beziehungsweise
Arbeit und Soziales zuständig. Nach dem Vorsitzenden Gysi, meint Heidi Knake-Werner,
spielen sie lange erst einmal gar keine Rolle. Danach sieht sie für sich vor
allem die Aufgabe der inneren Integration der Fraktion. Kompensation für die
unerfüllte 50-Prozent-Quote sollen die nun geschaffenen Frauenstrukturen bieten.
Ein Arbeitskreis Feministische Politik hat einen eigenen Haushalt, entsendet
eine Sprecherin in den Fraktionsvorstand und hält regelmäßig Frauenplenen
ab, die über ein Vetorecht verfügen. Die Fraktion muss gegebenenfalls einen
Kompromiss finden oder mit Zweidrittelmehrheit entscheiden. Christina Schenk,
frauenpolitische Sprecherin, der ihre Vorgängerin Petra Bläss stillschweigend
weichen musste, stellt der PDS ein ungewolltes Armutszeugnis aus: "Bislang
ist die Geschlechterrelevanz aller Politik kein Thema. Bei den meisten gibt
es Nichtwissen und Ahnungslosigkeit. Doch ich habe nirgends Abwehr, sondern
Dankbarkeit für die Denkhilfe erfahren." Unstrittig war der Beschluss,
eine Grundgesetzänderung zugunsten der freien Entscheidung der Frau über eine
Schwangerschaft zu beantragen. Für Heidi Knake-Werner steht die PDS unter
Konkurrenzdruck der Grünen. Und sie sieht das Problem zunächst bei den Frauen
und ihrer Verständigung, was mit Feminismus gemeint sei. "Wir hatten
katastrophische Auseinandersetzungen beim Paragraphen 218 und bei der Verfassungsdebatte
über die Institution Ehe und Familie." Unverständnis gab es bei den Ostfrauen
für die Kritik an Ehe und Familie und bei den Westfrauen für die Identifikation
mit ihnen. Gemeinsam ist den Fraktionen der Anspruch, Frauen- und Geschlechterpolitik
nur als Querschnittspolitik betreiben und vor allem die Felder der Arbeitsmarkt-,
Sozial- und Familienpolitik neu erobern zu wollen. Die SPD
hat die Wirtschaft besonders im Auge. Die Grünen haben die größte feministische
Erfahrung, aber auch die Frauen ersetzen Utopien durch Geduld und machbare
Alternativen. Die PDS präsentiert sich als Bewahrer der grünen Grundansätze,
ihre Frauen üben sich wie eh als "Vermittlerinnen". Die strukturellen
Voraussetzungen zur Umsetzung der Anliegen der Frauen sind ausgebaut wie nie,
ob die Frauen sie nutzen, bleibt offen.
Süddeutsche Zeitung – März 3, 1995
Hilfe
statt Strafe für Schwangere gefordert
Hilfe statt Strafe für schwangere Frauen haben die beiden SPD-Politikerinnen
Monica Lochner-Fischer (Landtag) und Hanna Wolf (Bundestag)
gefordert. Der bayerischen Staatsregierung warfen sie vor, mit der Androhung
einer erneuten Verfassungsklage eine vernünftige Neuregelung des Paragraphen
218 zu verhindern.
Gerade konservative Politik, so Lochner-Fischer, erkläre Kinder zur Zukunft
der Gesellschaft. In der Praxis aber könnten in Bayern die Frauen weder während
der Schwangerschaft noch nach der Geburt eines Kindes auf den Staat rechnen.
Vordringlich ist nach Ansicht der SPD-Frauen vor allem ein
flächendeckendes Netz von anonym arbeitenden Beratungsstellen. Etwa in München
oder in Mittelfranken gebe es hier nach wie vor Engpässe.
Außerdem müsse das Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen dringend ausgebaut
werden. Vor allem für Kleinstkinder und für die Nachmittagsbetreuung von Schulkindern
sei das Angebot äußerst rar.
Süddeutsche Zeitung – März 27, 1995
FDP-Vorstoß
stößt bei einer Podiumsdiskussion auf Skepsis: Das gemeinsame Sorgerecht entzweit
die Gemüter. Befürchtungen werden laut, dass nach einer Scheidung zusätzliche
Konflikte zu Lasten der Kinder ausgetragen werden
Von Cornelia Glees
Eine Idee der FDP sorgt für Wirbel: Neuregelung des elterlichen Sorgerechts
im Trennungsfall. Der Kern des Bonner Referentenentwurfs im Rahmen der Reform
des Kindschaftsrechtes brachte jetzt auch Münchner Väter und Mütter bei einer
Podiumsdiskussion der städtischen Gleichstellungsstelle in Rage. Denn in Zukunft
soll das gemeinsame Sorgerecht der Regelfall werden, nur noch auf Antrag sollen
Richter der Mutter oder dem Vater das alleinige Sorgerecht für die Kinder
zusprechen. Das macht offenbar vor allem Frauen Angst. Bundesjustizministerin
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) verteidigte ihre Pläne. Es gehe keineswegs
um eine verordnete Gemeinsamkeit. Jederzeit könne auch nach der Scheidung
noch das alleinige Sorgerecht von einer Partei beantragt werden. Diese Regelung
kommt Barbara Asenkerschbaumer vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter
allerdings wie eine zweite Scheidung vor. Sie brachte die Problematik auf
den Punkt: Bei einer Trennung verhielten sich die Menschen nun einmal nicht
vernünftig, sondern in der Regel sehr emotional. Ein harmonisch gestaltetes,
gemeinsames Sorgerecht sei zwar wünschenswert - darin waren sich alle Podiumsteilnehmer
(inklusive CSU-Mann Erich Riedl) einig - doch die Realität sehe eben anders
aus. Gestritten wurde also darüber, ob nun das gemeinsame Sorgerecht die Verantwortung
der Väter stärke und dem Kind beide Eltern erhalte oder aber nur noch mehr
Konflikte auf Kosten der Sprösslinge schaffe. Übrigens soll die FDP-Regelung
auch für nicht -verheiratete Paare gelten. Die CSU will lediglich die Hürden
für ein alleiniges Sorgerecht höher legen als die FDP. SPD-Bundestagsabgeordnete
Hanna Wolf und Almuth Tauche, Chefin des Allgemeinen Sozialdienstes
der Stadt, waren skeptisch: Oberstes Gebot aller Regelungen müsse immer das
Wohl des Kindes sein. Doch ein automatisches, gemeinsames Sorgerecht lehnten
beide ab. Immer noch seien 86 Prozent aller Alleinerziehenden Mütter und die
fürchteten, dass den Männern nun mehr Mitsprache und damit mehr Macht gegeben
werde. Das Wie sei eben total ungeklärt.
Christian Sowade vom Verein Väteraufbruch wertete dagegen den FDP-Plan, der
auf einen SPD-Vorstoß von 1994 zurückgeht, zumindest als
ein Signal in die richtige Richtung. Mit der Trennung hört eben Familie nicht
auf. Sowade rief seine Geschlechtsgenossen auf, sich mehr für ihre Kinder
zu engagieren. Wie blank die Nerven bei dem Thema Sorgerecht liegen, zeigten
die endlos vielen Wortmeldungen aus dem Publikum. Wegen der strengen Redezeitkontrolle
für das Podium durch BR-Moderatorin Corinna Spies blieben viele Fragen unbeantwortet.
Mütter klagten über die schlechte Zahlungsmoral ihrer Ex-Männer, über die
typische Aufteilung, dass Mütter erziehen und Väter die angenehme Freizeitgestaltung
übernehmen. Klar müsse sein: Kein Recht für Misshandler und Vergewaltiger.
Da waren sich auch alle einig. Väter warfen wiederum ihren Ex-Frauen vor,
ihnen die Kinder wegzunehmen, das vereinbarte Besuchsrecht zu missachten.
Das geltende Recht sei menschenunwürdig.
Süddeutsche Zeitung – März 30, 1995
Frauen
in den Kirchen und der SPD einig: Für gemeinsame Ziele kämpfen.
Gleichstellung immer noch eine der wichtigsten Aufgaben
Von Cornelia Glees
Gemeinsam wollen sie ihre jeweiligen Männer-Hochburgen knacken, die Kirchen-
und die SPD-Frauen. Bei einer Diskussion auf der Jahrestagung
der Münchner Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) waren sich
die Vertreterinnen der Kirchen und der Partei einig, dass an der jeweiligen
Basis schon lange keine gegenseitigen Berührungsängste mehr vorhanden seien.
Wiltrud Huml von der katholischen Frauenseelsorge im Erzbischöflichen Ordinariat
ist froh, dass sich in den vergangenen 15 Jahren viel im Verhältnis ihrer
Kirche zu den Parteien geändert habe. Die Themen Ökologie, Frieden und Frauen
seien zu neuen Kriterien geworden, an denen Parteien gemessen würden. Gemeinsame
Tätigkeitsfelder sehen die Frauen unter anderem im Kampf für eine Aufwertung
der schlecht bezahlten sozialen Berufe. Bürgermeisterin Gertraud Burkert appellierte
an die Verantwortung der Kirchen, aus denen ja die Pflegeberufe hervorgegangen
seien. Auch in dem Papier der beiden großen Kirchen Zur wirtschaftlichen und
sozialen Lage in Deutschland, das derzeit bundesweit in den Gemeinden diskutiert
wird, sehen die SPD-Frauen einen wichtigen Ansatz zur Zusammenarbeit.
Johanna Beyer von der Gleichstellungsstelle der evangelischen Landeskirche
ermunterte ihrerseits die Sozialdemokratinnen ausdrücklich, bei der Forderung
nach einem bayerischen Gleichstellungsgesetz trotz der bisherigen Rückschläge
im Landtag nicht locker zu lassen. In Zukunft will die Gleichstellungsbeauftragte
Friedel Schreyögg noch intensiver als bisher Informationen mit ihren Kolleginnen
in der Landeskirche, dem evangelischen Dekanat, der Caritas und dem Erzbistum
austauschen. Wir sitzen in einem Boot, beschwor Bundestagsabgeordnete Hanna
Wolf die Solidarität.
Einstimmig wurde bei der AsF-Tagung ein Antrag zum kommunalen Wahlrecht von
EU -Bürgern beschlossen. Darin wird der Landtag aufgefordert, möglichst bald
ein entsprechendes Ausführungsgesetz zu beschließen. Nur so könnten die vorgeschriebenen
Fristen eingehalten werden, um den betroffenen Frauen und Männern die Teilnahme
an der Münchner Kommunalwahl 1996 zu ermöglichen. In einem weiteren Antrag
wird die Landeshauptstadt aufgefordert, einen 24-Stunden -Notdienst für vergewaltigte
Frauen zu gewährleisten. Einstimmig wurde auch eine Resolution verabschiedet,
in der unter anderem ein Stop des Garchinger Forschungsreaktors München II
gefordert wird. Außerdem sollen alle Strassen, die Namen von Militärs oder
Militärformationen tragen, wie etwa die Artilleriestrasse, umbenannt werden.
Focus Magazin – Mai 15, 1995
Art.
218 - Leidvolle Folgen
Gesellschaft und Politik tabuisieren die psychischen Auswirkungen einer Abtreibung
Wenn die Frauen das vorher wüssten, würde mancher Arzt arbeitslos." Birgit
S., 35, hat vor sieben Monaten abgetrieben. Seither ist ihr Leben eine Katastrophe:
"Ich heule, wenn ich Mütter mit Babys sehe. Mir fallen alle Kinderwagen
auf, und im Geschäft stehe ich plötzlich vor den Regalen mit Babynahrung.
Ich werd' noch verrückt." Die Optikerin hätte nie gedacht, dass Abtreibung
für sie zu einem Problem werden könnte. "Frauen, die darunter leiden,
sind sicher fromm", dachte sie früher. Eine falsche Einschätzung. Mit
einem "Post Abortion Syndrom" (PAS) haben Frauen aller Berufs- und
Gesellschaftsschichten zu kämpfen.
Ein Tabu Leid, über das nicht gesprochen wird. Abtreibung wird als politische
Frage dauernd diskutiert, aber mit den menschlichen Folgen setzen sich bisher
weder Gesellschaft noch Politik genügend auseinander: In der vergangenen Woche
debattierten die Parteien zwar erneut über die Neuregelung des Abtreibungsparagraphen
218 psychische Spätfolgen für die Frauen waren aber wieder einmal kein Thema.
Trotz des Appells, den Bundesfrauenministerin Claudia Nolte, CDU, erst kürzlich
an ihre Kollegen gerichtet hatte: "Das zweite Opfer einer Abtreibung
ist immer die Frau. Bei den anstehenden Beratungen in den Ausschüssen und
den Anhörungen sollten deshalb auch die Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs
auf die körperliche und seelische Gesundheit der Frau beachtet werden."
Peter Petersen, Professor für Psychotherapie an der Medizinischen Hochschule
Hannover, schätzt die Quote der betroffenen Frauen nach einer Auswertung internationaler
Daten auf 35 Prozent. Das wären allein bei den erfassten Abtreibungen in Deutschland
mehr als 38 000 Frauen. Konservative Psychologen wie Maria Simon von der Universitäts-Frauenklinik
Würzburg und wertetreu Politiker wie Norbert Geis von der CSU nennen sogar
80 Prozent.
Doch die Bonner Fraktionen wiegeln allesamt ab: "In den Gesetzentwürfen
der Parteien steht ja drin, dass eine Frau Anspruch auf Hilfe nach dem Schwangerschaftsabbruch
hat", erklärt der Art.-218-Experte der Liberalen, Heinz Lanfermann. Er
räumt allerdings ein, dass das Leid einer Frau nach der Abtreibung "immer
noch ein Tabu ist. Denn so eine Abtreibung steckt niemand leicht weg."
Trauerzeit: Es gehe nicht darum, jeder Frau eine Depression einzureden, betont
die SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf.
Wer einen Abbruch vornehmen lasse, habe gute Gründe dafür. Aber: "Wenn
wir Abtreibungen akzeptieren, müssen wir auch eine Zeit für Trauerarbeit zugestehen.
Jede Frau braucht das. Es darf nicht sein, dass sie auf ewig mit Schuldgefühlen
herumläuft, weil sich die Gesellschaft ihrem Problem verschließt."
Bei Bündnis 90; Die Grünen löste das Thema "Post Abortion Syndrom"
einen heftigen Streit aus. Nur mit Mühe konnte Rita Griesshaber, Mitglied
im Frauenausschuss, durchsetzen, dass im jetzigen Art.-218-Gesetzentwurf ihrer
Fraktion ein Hilfsanspruch bei psychischen Spätschäden festgeschrieben wird.
Dort heißt es nun: "Die Beratung umfasst das Angebot auf Beratung und
Vermittlung von Hilfen (. . .) auch nach einem Schwangerschaftsabbruch."
Für diesen Satz sei sie von "unheimlich vielen linken Frauen massiv angegriffen
worden". Nur weil es anscheinend nicht ins Weltbild von bestimmten Leuten
passe, dass manche Frau mit einer Abtreibung allein nicht fertig werde, "dürfen
wir die Augen nicht verschließen. Man muss doch wenigstens reden können."
Kann man aber nicht. "Welche Frau würde es schon wagen, ins Büro zu kommen,
von ihrer Abtreibung zu sprechen und darüber, dass sie sich zu alledem noch
Vorwürfe macht?" fragt Ute Otten, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbunds.
Abtreibung werde zwar toleriert, aber "es gibt wohl kein Thema, das so
tabuisiert wird". Meist hätten die Frauen sogar Hemmungen, sich ihrem
Partner anzuvertrauen. Und die Angst vor Entdeckung sei auch der Grund für
die vielen ambulanten Abbrüche.
Schuld an der Schweigespirale sind nach Ansicht der Ärztin auch die Politiker,
die bei ihrer Gesetzgebungsarbeit zum Art. 218 den Abtreibungsakt nur bis
zur Gynäkologenpraxis genauestens festschreiben. Für die Ausgestaltung einer
vielfältigen, freiwilligen Nachsorge aber interessierten sie sich wenig. Dies
sei kein Plädoyer gegen Abtreibung, aber die Gesellschaft "muss sich
fragen lassen, warum es nicht gestattet ist, eine Abtreibung zu problematisieren".
Die Gesprächspartner fehlen. Angelika W., 42: "Ich bin alleinerziehend.
Mein erstes Kind ist sechs Jahre alt. Beim zweiten hätte ich aufhören müssen
zu arbeiten. Ich hab' keine Zukunft für uns gesehen und abgetrieben."
Heute tut es ihr leid. Sprechen könne sie nicht darüber, "ich würde mich
schämen, obwohl ich gute Gründe für den Abbruch hatte".
Susanne K., 22, muss nach der Abtreibung nicht nur mit ihrem schlechten Gewissen
fertig werden, sondern auch mit einem finanziellen Problem: Ihr Ex -Freund
hatte ihr die 642 Mark für den Abbruch geliehen, "weil ich sofort bar
bezahlen musste". Jetzt verlangt er das Geld zurück. Das Sozialamt verweigert
Susanne K. jedoch die Übernahme der Kosten.
Bei der größten Selbsthilfegruppe für betroffene Frauen, "Rahel"
in Bad Homburg, stapeln sich die Berichte. Die Vorsitzende Christa Heinel
beklagt bitter, dass Beratungsstellen nicht ausreichend über potentielle Abtreibungsfolgen
aufklärten.
Mangelhafte Beratung? "Es ist schon möglich, dass wir in manchen Fällen
die Frau nicht erreichen", räumt eine nordrhein-westfälische Pro-Familia-Mitarbeiterin
ein. "Aber die meisten Frauen kommen bereits mit einer vorgefestigten
Meinung zu uns. Sie wollen den Schein." Viele hörten gar nicht mehr richtig
zu.
Zu der Beratungsstelle, in der Petra B., 20, aus Bremen ihren "Schein"
bekam, wollte sie nach der Abtreibung auf keinen Fall wieder hin. "Die
haben mir mein Kind regelrecht ausgeredet. Da hätten sie meine Traurigkeit
doch erst recht nicht verstanden." Mag sein. Denn die Bundesvorsitzende
von Pro Familia, Uta Meier, vertritt die Ansicht, die psychischen Folgen hätten
"in der Praxis keine große Bedeutung".
Die Bundesfrauenministerin sieht das anders: "Viele Frauen brauchen nach
einem Schwangerschaftsabbruch Hilfe, um mit den psychischen Folgen zurechtzukommen."
TENDENZ SINKEND
1987 betrug die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche 171 222
1993 wurden noch 111 236 Abbrüche bekannt
1994 dürfte es etwa 109 000 Abbrüche gegeben haben
SCHULDGEFÜHLE UND TRAUER
Annemarie Dähns Abtreibung liegt 17 Jahre zurück. Zu diesem Zeitpunkt war
sie bereits zweifache Mutter ein drittes Kind "passte nicht in die Lebensplanung".
Sie fuhr nach Den Haag, weil in ihrem Fall ein Abbruch in Deutschland nicht
möglich gewesen wäre. "Mein Mann hat mir die Entscheidung überlassen.
Ich glaube, es war ihm schon ganz recht."
Nach dem Abbruch litt sie jahrelang unter Depressionen, ohne die Ursache dafür
zu erkennen. Eine Selbsthilfegruppe und therapeutische Betreuung halfen ihr
schließlich, Schuldgefühle und Trauer zu überwinden.
Süddeutsche Zeitung – Juni 17, 1995
SPD-Abgeordnete Wolf: Frage nach Zellen
von Embryos und Abtreibung
Überrascht zeigt sich die Münchner SPD-Bundestagsabgeordnete
Hanna Wolf, dass ausgerechnet an einem bayerischen Krankenhaus,
dem Uni-Klinikum Großhadern, embryonale Hirnzellen zur Transplantation für
Parkinson-Kranke verwendet werden sollen. Ginge es nach der Hardliner-CSU,
dürfte es in Bayerns öffentlichen Krankenhäusern gar keine Abtreibungen geben,
so Wolf.
Um Licht in die Vorgänge zu bringen und die Diskussion auf die parlamentarische
Ebene zu verlagern, richtete Hanna Wolf mehrere Fragen an
die Bundesregierung. So möchte sie unter anderem wissen, welche Veränderungen
der Abtreibungsmethoden für die Gewinnung der Zellen zu erwarten seien und
wie der Gefahr entgegengewirkt werde, dass Frauen zu potentiellen Rohstoffquellen
von fetalem Gewebe für medizinische Zwecke werden. sis
AP Worldstream – Juli 18, 1995
SPD und Grüne: Nolte soll Änderung des
Strafrechts anstoßen
Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe stellen
SPD und Grüne haben Bundesfrauenministerin Claudia Nolte
aufgefordert, dafür zu sorgen, dass Vergewaltigung in der Ehe künftig unter
Strafe gestellt wird. Sie reagierten damit auf Noltes Forderung nach einer
Änderung des Strafrechts als Schlussfolgerungen auf einer Studie über sexuelle
Gewalt gegen Frauen in der Familie.
Die SPD-Abgeordnete Hanna Wolf kritisierte
allerdings, dass Nolte sich für die sogenannte Versöhnungsklausel ausgesprochen
hat, wonach eine von ihrem Mann vergewaltigte Frau die Strafverfolgung stoppen
kann. Dass dies natürlich häufig auf Druck des Ehemannes oder anderer Familienangehöriger
geschehe, interessiere die Ministerin offenbar nicht.
Die frauenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, Irmingard Schewe-Gerigk,
sagte, seit 23 Jahren diskutiere der Bundestag darüber, dass Vergewaltigung
in der Ehe strafbar sein müsse. Die Bundesrepublik sei aber eines der letzten
europäischen Länder, in dem die Vergewaltigung in der Ehe nicht als solche
strafbar ist. Die Regierung aber vergebe nur neue Studien, beschließe eine
neue Anhörung und verzögere entsprechende Gesetzesinitiativen immer weiter.
Die Grünen-Politikerin erinnerte daran, dass Anfang des Jahres ein Gesetzentwurf
der Justizministerin an ''der konservativen Herrenriege der CDU/CSU'' gescheitert
sei. ''Hier sollte Ministerin Nolte aktiv werden, damit Ehefrauen nicht länger
mit dem Trauschein den Schutz des Strafrechts verlieren.''
Für die PDS verlangte Christina Schenk die strafrechtliche Gleichbehandlung
von ehelicher und außerehelicher Vergewaltigung.
Vergewaltigung:
Strafrecht ändern!
SPD und Grüne haben Bundesfrauenministerin Claudia Nolte
aufgefordert, dafür zu sorgen, dass Vergewaltigung in der Ehe künftig unter
Strafe gestellt wird. Sie reagierten damit auf Noltes Forderung nach einer
Änderung des Strafrechts als Schlussfolgerung aus einer Studie über sexuelle
Gewalt gegen Frauen in der Familie. Die SPD-Abgeordnete Hanna
Wolf kritisierte, dass Nolte sich für die sogenannte Versöhnungsklausel
ausspricht, wonach eine vom Ehemann vergewaltigte Frau die Strafverfolgung
stoppen kann. Dies geschehe häufig auf Druck des Ehemanns oder anderer Familienangehöriger.
Süddeutsche Zeitung – Juli 25, 1995
SPD warnt vor den neuen BAföG-Plänen:
13000 Münchner Studenten und die Stadt betroffen. Die Kommune müsste künftig
mehr Wohngeld zahlen
Von Alfred Dürr
Schlimme Konsequenzen für die Hochschulstadt München befürchtet die SPD,
falls die neuen BAföG-Pläne des Bundesbildungsministers in die Tat umgesetzt
würden. Wenn die Zuwendungen an die Studenten künftig über verzinste Darlehen
gewährt werden sollen, wären von den 57 000 Studenten in München 13 000 BAföG-Bezieher
betroffen. Auf sie würden doppelt so hohe Tilgungslasten zukommen, warnt die
SPD.
Die Vorsitzende des SPD-Unterbezirks, Ingrid Anker, befürchtet
aber auch einen finanziellen Schlag gegen die Stadt: Die Zahl der Studierenden,
die wohngeldberechtigt seien - und die nach dem bisherigen Modell weitgehend
vom Wohngeld ausgeschlossen sind - würde sprunghaft ansteigen. Auch die sozialen
Spannungen würden sich verfestigen und ansteigen. Anker: Hochqualifizierte
Ausbildung soll nur noch für die Töchter und Söhne aus begütertem Elternhaus
möglich sein. Der Trend zur Schickimickistadt verfestigt sich. Wenn in München
konsequent fahrlässig an der Zukunftsinvestition Bildung gespart würde, bedeute
dies auch eine einschneidende Schwächung des Wirtschaftsstandorts.
Von einem Schnellschuss und einer Kateridee der Bundesminister Waigel und
Rüttgers sprach der Bildungsexperte der Bundes-SPD, Peter
Glotz, bei der Pressekonferenz des Unterbezirks zu den BAföG-Plänen: Es ist
abwegig, ausgerechnet das sozial schwächere Fünftel der Studentenschaften
melken zu wollen. Der Bildungsminister provoziere mit seinen Vorstellungen
zur Finanzierung seines Etats eine massive Abschreckung sozial schwächerer
Schichten vom Hochschulstudium.
Für enorme Aufregung im Bereich des Zweiten Bildungswegs sorgen Bonner Pläne,
wonach die finanzielle Förderung der Schüler vom Einkommen der Eltern abhängig
gemacht werden soll. In München wären davon das Münchenkolleg, das Abendgymnasium
und die drei Berufsoberschulen betroffen. Dieses Jahr haben nahezu 1000 Schülerinnen
und Schüler ihre Hochschulreife über diesen Weg erworben. Die Münchner Bundestagsabgeordnete
Hanna Wolf: Der Weg darf nicht abgeschnitten werden. Oder
will die Bundesregierung, dass mehr Menschen auf einem niedrigeren Bildungsniveau
bleiben sollen, als ihnen von ihren Fähigkeiten her möglich wäre?
Süddeutsche Zeitung - August 11, 1995
Bundesverkehrsministerium
hegt offenbar Verkaufsabsichten, die auch den Großraum München betreffen -
12 000 Bahnwohnungen stehen im Feuer. Erlös soll Haushaltsloch von 2,3 Milliarden
Mark stopfen - Gewerkschaft sieht Wortbruch und droht mit Streik
Von Thomas Münster
Im Bundesverkehrsministerium wird offenbar erwogen, genossenschaftliche oder
von der Bahn selbst gehaltene Eisenbahnerwohnungen zu verkaufen. Nach Pressemeldungen
soll der Verkauf von bundesweit insgesamt rund 150 000 bahneigenen Wohnungen
zur Deckung des Haushaltes herhalten. Verkehrsminister Matthias Wissman hat
vor laufenden Fernsehkameras bestätigt, dass er ein 2,3 Milliarden Mark großes
Loch im Etat 1996 durch den Verkauf nicht betriebsnotwendiger Liegenschaften
flicken will. Nicht betriebsnotwendig? Damit kann er, außer ein bisschen Schrebergartengelände
und Bahnhofsvorplätze, in der Tat nur Eisenbahnerwohnungen gemeint haben.
Die machen den wesentlichen Teil der nicht-betrieblichen Immobilien aus. Im
Münchner Bezirk der Eisenbahnergewerkschaft GdED übt man seither im Geiste
schon den Barrikadenbau. Die Züge stehen still, wenn der Bund tatsächlich
Bahnwohnungen verkaufen sollte, warnte Bezirkschef Rudi Zellerer im Gespräch
mit der SZ. Es werde mit Sicherheit zu Arbeitsniederlegungen kommen. Allein
im Großraum München stünden 12 000, zusammen mit dem Augsburger Bezirk insgesamt
16 000 Wohnungen im Feuer.
Die von Bundesfinanzminister Theo Waigel unterstützten Verkaufsabsichten empfindet
Zellerer als Wortbruch der Bundesregierung gegenüber den Eisenbahnern. Als
Kernpunkt des Gesetzes zur Neuordnung der Eisenbahn sei nämlich vereinbart
worden, dass die Wohnungsfürsorge in den Sondervermögen von Bundesbahn und
Reichsbahn fortgeführt werde, und vor allem, dass diese Wohnungen nicht an
Dritte veräußert werden dürfen.
Die SPD-Politikerin Hanna Wolf, im Bundestag
Fraktionssprecherin für Soziales und Abgeordnete aus dem Münchner Westen,
der von Geschichte und Gegenwart der Bahn geprägt ist, bat Wissmann umgehend
um eine klare Stellungnahme zu den Verkaufsgerüchten. Immerhin seien allein
im Ballungsraum München rund 6000 Wohnungen von solchen Verkaufsabsichten
betroffen.
In ihrem Brief betont Hanna Wolf, dass sie der Bahnreform
nur zugestimmt habe, weil eine Bestandsgarantie für die Beschäftigten der
Bahn damit verbunden gewesen sei. Sie fordert Wissmann deshalb auf, von etwaigen
Verkaufsplänen Abstand zu nehmen und dies den Beschäftigten der Bahn auch
unmissverständlich zuzusichern.
Rechtlich stellten das Eisenbahn-Neuordnungsgesetz ebenso wie die Sozialbindung
durch die genutzten Wohnungsbaufördermittel einem Verkauf Hürden entgegen.
Politisch widerspreche die Verkaufsabsicht der einstimmig gefassten Absicht
von Bundestag und Bundesrat. Wirtschaftlich drückten das Mietrecht, die Qualität
der Bausubstanz und die Besteuerung einen möglichen Erlös nach unten.
Sollte der Minister dennoch nicht auf den Verkauf eines Teils der Wohnungen
verzichten wollen, so ergänzte Wolf ihre Argumentation, dann sei allenfalls
ein Verkauf an die jetzigen Mieter zu akzeptieren - sofern diese kaufen können.
Die übrigen sollten weiterhin Mieter der Bundeseisenbahnvermögensverwaltung
bleiben. Nur eine solche Lösung hätte eine soziale Komponente.
Der Münchner Wohnungsmarkt sei jetzt schon durch ein Überangebot an Eigentumswohnungen
bei gleichzeitiger Knappheit an bezahlbaren Mietwohnungen für Menschen mit
unteren und mittleren Einkommen gekennzeichnet. Und zu letzteren seien besonders
viele Bahnbedienstete zu rechnen.
Der CSU-Bundestagsabgeordnete Herbert Frankenhauser, der auf Nachfrage der
SZ umgehend selbst recherchiert hat, stieß auf wieder andere Zahlen. Bundesweit
gehe es nur um 140 000 Wohnungen, dafür in München aber um rund 12 000. Nach
seinen Ermittlungen plant das Bundesverkehrsministerium tatsächlich mittelfristig
den Verkauf von Eisenbahnerwohnungen. Dabei gehe es aber lediglich um diejenigen,
die fremdbelegt sind. Für die rund 82 Prozent der Wohnungen, in denen aktive
oder pensionierte Eisenbahner leben, gelte der zugesicherte Bestandsschutz
ebenso wie für Hinterbliebene ehemaliger Eisenbahner.
Frankenhauser bezeichnet die Warnungen der SPD-Kollegin,
des Deutschen Mieterbundes und der Gewerkschaft als Panikmache im Sommerloch.
Es sei im Gegenteil sogar begrüßenswert, dass der Bundesverkehrsminister die
fremdbelegten Eisenbahnerwohnungen verkaufe. Das erhöhe erstens die Investitionsmittel
für das umweltfreundliche Verkehrsmittel Bahn und zweitens sei eben diese
Bahn ein Verkehrsunternehmen und keine Immobilienverwaltung.
Süddeutsche Zeitung - September 2, 1995
Justizministerin
Leutheusser legt Gesetzentwurf vor: Gemeinsames Sorgerecht auch für Unverheiratete.
Eheliche und nichteheliche Kinder sollen rechtlich weitgehend gleichgestellt
werden
csc Bonn (Eigener Bericht)
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) will eheliche
und nichteheliche Kinder rechtlich weitgehend gleichstellen und auch unverheirateten
Paaren auf Wunsch das gemeinsame Sorgerecht für ihre Kinder einräumen. Dies
soll auch möglich sein, wenn die Eltern nicht zusammenleben. Das sind zentrale
Punkte eines neues Kindschaftsrechts. Teile des 470 Seiten starken Gesetzentwurfs
des Justizministeriums waren bereits im August bekannt geworden und hatten
zum Teil heftigen Widerspruch hervorgerufen. Vor allem das gemeinsame Sorgerecht,
das künftig auch nach Scheidungen automatisch weitergelten soll, wenn die
Eltern das alleinige Sorgerecht nicht ausdrücklich beantragen, stieß auf Kritik
von Frauenverbänden und der SPD. Die FDP-Politikerin sprach
nun in Bonn bei der Vorstellung des gesamten Entwurfs von einem der wichtigsten
Reformvorhaben der Legislaturperiode. Der Begriff des nichtehelichen Kindes
soll soweit als möglich aus der Gesetzessprache entfernt werden.
Als wesentliche Änderung bezeichnete Leutheusser-Schnarrenberger auch ein
neues Umgangsrecht, mit dem unverheiratete Väter ein verbindliches Recht auf
Umgang mit ihrem Kind erhalten. Einzelheiten regeln dann die Familiengerichte.
Dabei sind auch Vollstreckungsmöglichkeiten vorgesehen. Zwar werde man es
nicht so weit kommen lassen, dass ein Kind von seinem Vater mit der Polizei
geholt werden könne, wenn die Mutter den Besuch beim Vater verweigere, erläuterte
die Ministerin, aber an Zwangsgeld für die Mutter sei in extremen Fällen gedacht,
weil das neue Recht sonst nur auf dem Papier stünde.
Ein Umgangsrecht soll es künftig auch für Großeltern, Geschwister und Pflegeeltern
geben, wenn dies dem Kindeswohl dient. In zahlreichen Petitionen beklagten
besonders Großeltern, dass sie nach einer Scheidung ihre Enkel nicht mehr
sehen dürften, begründete die FDP-Politikerin die Änderung. Vom Kabinett erwartet
die Justizministerin für ihr Reformpaket Zustimmung. Familienministerin Claudia
Nolte sei grundsätzlich mit allen Punkten einverstanden.
Die SPD nannte das vorgesehene generelle gemeinsame Sorgerecht
weltfremd. Beantrage eine Frau nach der Trennung das alleinige Sorgerecht,
werde sie als Spielverderberin angesehen, die dem Vater die elterliche Verantwortung
entziehe, kritisierte die Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf.
Die SPD hat einen eigenen Gesetzentwurf im Bundestag eingebracht,
nach dem das gemeinsame Sorgerecht nach Scheidungen nur bei entsprechender
Einigung der Eltern möglich sein soll.
AP Worldstream - September 8, 1995
SPD kritisiert Regierungspläne für
Waffendienst von Frauen
Nolting will Grundgesetz notfalls ändern
Die SPD ist gegen Pläne der Koalition, Frauen auch Waffendienst
in der Bundeswehr leisten zu lassen. Die Abgeordnete Hanna Wolf
erklärte am Freitag in Bonn, die Pläne des Bundesverteidigungsministeriums,
Frauen im Wachdienst einzusetzen, seien ebenso abzulehnen wie der FDP-Vorschlag,
sie auch zu Kampfeinsätzen zuzulassen.
Wolf meinte, der Hintergrund dieser Vorschläge sei nur zu offensichtlich.
Verteidigungsminister Volker Rühe gehe es darum, die Belastungen des Wachdiensts
gleichmäßiger zu verteilen, nicht etwa darum, Gleichberechtigungspolitik zu
betreiben. ''Das Gleichberechtigungsargument ist natürlich ein geschickter
Schachzug, aber doch sehr leicht zu durchschauen'', erklärte die SPD-Politikerin.
Frauen sollten doch nur bei der Beseitigung von angeblichen Engpässen herhalten.
Das Bundesverteidigungsministerium hatte am Donnerstag erklärt, es werde geprüft,
ob Frauen im Wachdienst der Bundeswehr eingesetzt werden könnten. Zwar verbiete
das Grundgesetz Kampfeinsätze für Frauen. Wachdienste seien aber ''eine polizeiliche
Aufgabe'', die Frauen auch schon beim Bundesgrenzschutz ausführten.
Der FDP-Verteidigungsexperte Günther Nolting will sogar einen Schritt weiter
gehen als das Verteidigungsministerium und notfalls auch das Grundgesetz ändern:
Frauen sollten grundsätzlich auch an Kampfeinsätzen teilnehmen können, sagte
der verteidigungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion am Freitag im Deutschlandradio
Berlin. Auch Fallschirmspringen oder das Steuern eines Tornados sollte Frauen
erlaubt sein, vorausgesetzt sie meldeten sich freiwillig dazu. Es sei in der
Verfassung nicht eindeutig geregelt, ob Frauen der Dienst an der Waffe grundsätzlich
versagt sei, oder ob sie ihn auf freiwilliger Basis doch leisten dürften.
Süddeutsche Zeitung - September 9, 1995
FDP will
Frauen Teilnahme an Kampfeinsätzen ermöglichen
Frauen sollten nach Ansicht der FDP an Kampfeinsätzen der Bundeswehr grundsätzlich
teilnehmen können. Sogar Fallschirmspringen oder Tornado fliegen müsse Frauen
erlaubt sein - allerdings auf freiwilliger Basis, sagte der verteidigungspolitische
Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Günther Nolting. Schätzungen hätten ergeben,
dass sich mehrere tausend Frauen für den gleichberechtigten Dienst in der
Bundeswehr interessierten, meinte Nolting. Notfalls müsse man das Grundgesetz
ändern, das bisher nicht eindeutig festlege, ob der Dienst an der Waffe für
Frauen auf freiwilliger Basis möglich oder grundsätzlich nicht zulässig sei.
Eine allgemeine Wehrpflicht für Frauen lehnte der FDP-Politiker jedoch ab.
Er räumte ein, dass es in der Bundeswehr traditionelle Widerstände gegen den
Wehrdienst von Frauen gebe. Insgesamt sei die Bundeswehr aber sehr aufgeschlossen,
das letzte geschlechtsspezifische Berufsverbot abzuschaffen. Die SPD-Abgeordnete
Hanna Wolf lehnte Noltings Vorschlag strikt ab. Sie erklärte,
die FDP-Forderung gehöre in den Papierkorb.
Süddeutsche Zeitung - September 13, 1995
Eisenbahnerwohnungen:
Verkauf wird dem Bedarf angepasst
Von Thomas Münster
War das nun viel Lärm um fast nichts, oder gibt es für die Mieter von Eisenbahnerwohnungen
doch Anlass zur Besorgnis? Wie berichtet, haben zuerst die Münchner SPD-Bundestagsabgeordnete
Hanna Wolf, dann auch die beiden Eisenbahnergewerkschaften
und der Deutsche Mieterbund gewarnt, die Bahn wolle mit dem Verkauf von Wohnungen
Löcher im Haushaltsetat stopfen. Von den mehr als 140 000 bahneigenen Wohnungen
liegen fast 15 000 im Großraum München. Manfred Carstens, parlamentarischer
Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, reagierte in einem Brief an Parlamentskollegin
Wolf mit einem klaren Jein.
Natürlich würden Wohnungen verkauft, räumte er ein, aber selbstverständlich
unter dem sozialen Aspekt des Besitzstandsschutzes. Die Kritiker der Verkaufsabsichten
hätten übersehen, dass der Wohnungsbestand nicht parallel zu dem in den vergangenen
Jahren erfolgten Personalabbau bei Bundes- und Reichsbahn mitgeschrumpft sei.
Inzwischen seien fast 18 Prozent der Bahnwohnungen durch betriebsfremde Nicht-Eisenbahner
belegt, präzisierte der Staatssekretär. Derzeit werde (was die Familien in
rund 2700 Münchner Bahnwohnungen kaum beruhigen dürfte) lediglich geprüft,
wie der vorhandene Bestand dem gegebenen Bedarf angepasst werden kann.
Für die Abgeordnete Wolf ist die Auskunft aus dem Bundesverkehrsministerium
eine Art Entwarnung mit Hintertür. Die 18 Prozent Betriebsfremde habe die
Bahn doch durch Rationalisierungen und Streckenstillegungen selbst produziert.
Das bedeute, dass ein Mieter, den die Bahn nicht mehr brauchen konnte, heute
als Fehlbeleger eingestuft werde und seine Wohnung zum Verkauf anstehe. Eine
derartige Bedarfsanpassung sei im höchsten Masse ungerecht. Und im übrigen
bedeute sie nichts anderes als einen getarnten Einstieg in den Ausstieg.
Süddeutsche Zeitung – Oktober 16, 1995
Oberbayerns
SPD baut auf Münchner Freunde
München ist in der oberbayerischen SPD gut vertreten. Auf
dem Jahresparteitag in Freising wurde die Münchnerin Birgit Grube als stellvertretende
Vorsitzende bestätigt; neue Schriftführerin wurde Claudia Tausend vom Münchner
SPD -Vorstand und den Jusos, Beisitzerin für die Belange
Münchens die Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf. Die Münchner
SPD-Chefin, Ingrid Anker, gab ihr Amt als Schatzmeisterin
in der Oberbayern-SPD wegen Ämterhäufung ab. Die Bundestagsabgeordnete
Ulrike Mascher wird auch weiter in den Bundesparteirat entsandt; im Landesparteirat
der Bayern-SPD werden künftig acht Münchner vertreten sein.
pim
Focus Magazin – Oktober 16, 1995
KOALITIONSSTREIT:
Schänder ohne Chance
Viele Liberale
wollen sich mit dem Kompromiss zur Vergewaltigung in der Ehe nicht abfinden
Zufrieden präsentierten Norbert Geis
und Heinz Lanfermann ihren Gesetzentwurf. Monatelang hatten die beiden Unterhändler
von Union und FDP um einen Kompromiss gerungen, der zwar die Strafbarkeit
der Vergewaltigung in der Ehe festschreibt, der Ehe aber dennoch eine Chance
lassen soll. Es schien vollbracht. Der Eindruck täuscht. Längst gehen die
Liberalen auf Distanz. Erst stimmten fünf FDP-Promis in der Fraktion mit einem
klaren "Nein" gegen den Kompromiss (siehe unten), jetzt setzt sich
auch FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms ab. Er rechnet damit, "dass
es bei der Beratung in den Ausschüssen zu Verbesserungen kommen mag, die auch
sinnvoll sind".
Wichtigster Kritikpunkt der Kompromissgegner ist die Widerspruchsregelung:
Sie gibt der Frau das Recht, ein Strafverfahren gegen den eigenen Gatten zu
stoppen. Damit will vor allem die Union verhindern, dass eine Ehe, in der
sich die Partner wieder versöhnt haben, durch ein Verfahren gefährdet wird.
Hans-Dietrich Genscher ist dagegen sicher: Diese Regelung öffne "Tür
und Tor für alle möglichen Manipulationen des staatlichen Strafanspruchs bis
hin zur ,Abkaufsmöglichkeit', und das bei schwerster, widerlichster Gewaltkriminalität".
"Wer für diese Art von Widerspruchslösung steht, hat keine Ahnung, wie
es im normalen Leben zugeht", protestiert auch Irmgard Schwätzer. Justizministerin
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger forderte nochmals: "Gewalt in schlimmster
Form und übelste Missachtung des Partners dürfen nicht grundsätzlich hinter
den Schutz der Ehe zurücktreten."
Solms versucht zwar noch eine halbherzige Verteidigung diese Formulierung
sei das einzige gewesen, "was mit der Koalition machbar war". Der
Fraktionschef räumt aber ein, dass "wir mit der Versöhnungsklausel besser
leben könnten". Die Klausel ursprüngliche Forderung der Liberalen sieht
vor, dass allein der Richter die Möglichkeit hat, auf die Bestrafung des Vergewaltigers
zu verzichten oder sie zu mindern, wenn dies im Interesse des Ehepaars liegt.
"Die Versöhnungsklausel nimmt die Last der letzten Entscheidung von den
Schultern der Frau", argumentiert Genscher. Zudem entspricht sie der
Parteilinie. Erst im Juni hatte die FDP beschlossen, dass "es nicht allein
der Frau überlassen bleiben (darf), über die Beendigung des Verfahrens zu
entscheiden, weil ansonsten die Gefahr von Repressalien besonders groß ist".
SPD und Grüne warten ab. In wenigen Wochen soll eine Expertenanhörung
zum Thema stattfinden. Für die SPD steht jetzt schon fest:
"Wir werden nur einem Entwurf mit Versöhnungsklausel zustimmen",
so Genossin Hanna Wolf, "sonst wird das Gesetz im Bundesrat
gestoppt."
Jede 7. Frau zwischen 20 und 59 Jahren ist mindestens 1 x vergewaltigt worden,
in der Regel vom Ehemann. Aus der Studie "Sexuelle Gewalt gegen Frauen
im öffentlichen und privaten Raum" des Kriminologischen Forschungsinstituts
Niedersachsen
Süddeutsche Zeitung - November 29, 1995
Männerseilschaften
wittern Morgenluft
Zur Meldung DHV kritisiert Frauenquote in der SZ vom 30. 10.:
Das umstrittene Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Frauenquote hat über
den Einzelfall hinaus kaum bindende Wirkung. Es hat sich jedoch gezeigt, dass
seine psychologische Wirkung verheerend ist: Die alten Männerseilschaften
wittern wieder Morgenluft. Zum Quotenurteil äußert sich Herr Hinz und Herr
Kunz und inzwischen auch der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Schiedermair.
Er spricht sich gegen einen Automatismus der Quote und eine rechtswidrige
Quotenregelung aus, obwohl es in keinem Landeshochschulgesetz eine starre
Quote, also auch keinen Automatismus gibt.
Inzwischen geht aber in den Berufungsgremien die Angst um, die seit Jahrhunderten
praktizierten automatischen Männerquoten könnten nicht mehr so reibungslos
funktionieren wie bisher. Deshalb versuchen sie immer öfter, qualifizierte
Bewerberinnen durch scheinbare Sachargumente erst gar nicht auf eine Berufungsliste
zu setzen, denn die Bewerberin könnte vielleicht sogar die Chance haben, sich
bei der Endauswahl durchzusetzen.
Wären dagegen anonyme Berufungsverfahren möglich, dann sähe heute die Situation
besser aus. Dann hätten wir - bald 100 Jahre nach Zulassung von Frauen zum
Studium an deutschen Hochschulen - nicht erst dieses Jahr die erste deutsche
Nobelpreisträgerin. Dann wären vielleicht auch insgesamt mehr Nobelpreise
an die deutsche Wissenschaft gegangen.
Hanna Wolf, MdB SPD Bundeshaus 53113 Bonn
Süddeutsche Zeitung – Dezember 15, 1995
Nach
Mitgliederentscheid und Rücktritt von Justizministerin Leutheusser - Union:
Lauschangriff jetzt rasch einführen. SPD: FDP auf dem Weg
in die Bedeutungslosigkeit - Grüne: Frontbegradigung zur CDU
csc Bonn (Eigener Bericht)
Unmittelbar nach dem Rücktritt von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
(FDP) forderten die Bonner Koalitionspartner der Liberalen jetzt eine möglichst
rasche Einführung des Grossen Lauschangriffs. CDU und CSU zeigten sich erfreut
über das Ergebnis des FDP-Mitgliederentscheids. Dagegen sprach die SPD
vom unaufhaltsamen Zerfall der FDP. Der Deutsche Richterbund zollte Frau Leutheusser
Respekt. Er erklärte: Es ist selten, dass führende Politiker von ihren Ämtern
zurücktreten, weil sie nicht gegen ihre Grundüberzeugungen handeln wollen.
Während die FDP-Politikerin in ihrem Ministerium noch ihren Rücktritt begründete,
reagierte CSU-Landesgruppenchef Michael Glos bereits mit der Forderung, den
Strafverfolgungsbehörden nun schnell das dringend benötigte Instrument zu
einer effizienteren Verbrechensbekämpfung zu verschaffen. CDU -Generalsekretär
Peter Hintze sprach von einer Stärkung der Koalition und einem Schulterschluss
bei der inneren Sicherheit. Hintze sah einen schönen Erfolg für FDP-Chef Wolfgang
Gerhardt. Die Jungen Liberalen und Bayerns FDP -Vorsitzender Max Stadler bedauerten
dagegen den Rücktritt. Nach Stadlers Worten ist die bayerische FDP stolz auf
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Baden-Württembergs Regierungschef Erwin Teufel (CDU) empfahl, die von der
großen Koalition in Stuttgart bereits eingebrachte Bundesratsinitiative zum
Lauschangriff nun als Basis für einen Kompromiss zu nehmen. Jetzt ist schnelles
Handeln notwendig, meinte Teufel.
SPD-Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering sieht den Weg
der FDP in die Bedeutungslosigkeit vorgezeichnet. Intrigen und persönliche
Scharmützel haben sie politikunfähig gemacht. Bundeskanzler Helmut Kohl sollte
sich fragen, ob er sein ausgelaugtes Kabinett nicht rundum erneuern müsse.
Der innenpolitische Sprecher der SPD, Ulrich Maurer, vermisst
rechtsstaatliche Sicherungen gegen den Missbrauch des Abhörens von Wohnungen
in dem FDP-Beschluss. Darin fehle auch der Schutz des Zeugnisverweigerungsrechts
für Ärzte, Rechtsanwälte und Journalisten. Die SPD-Politikerin
Hanna Wolf meinte, nun seien die frauenpolitischen Reformansätze
in der Regierung ohne Stimme.
Die Grünen-Sprecher Krista Sager und Jürgen Trittin betonten, die FDP habe
die Frontbegradigung zur CDU vorgenommen. Dies komme einer Selbstdemontage
gleich. Die FDP habe die Reste ihres Rufs als Verfassungspartei verspielt.
Der Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein, Helmut Bäumler, sprach
von einem schwarzen Tag für die Privatsphäre der Bürger.
Süddeutsche Zeitung – Februar 5, 1996
Wolf:
Vergeblich gegen Postreform gekämpft
Die andauernde, herbe Kritik an den neuen Telekom-Tarifen veranlasst die Münchner
SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf zu
einer Stellungnahme: Sie teilt mit, dass die Tarife, die besonders die Privatkunden
- von den Kindern bis zur Oma - belasten, für sie im Juni 1994 Grund zur Ablehnung
der Postreform waren. Gemeinsam mit vielen bayerischen SPD-Kollegen
habe sie sich seinerzeit vehement dafür eingesetzt, dass durch die Reform
keine sozialpolitische Verantwortung aufgegeben werde.
Negative Konsequenzen wie die Schließungen von nicht rentablen Postämtern
und die erhebliche Kostenerhöhung der Ortsgespräche im Gegensatz zu Ferngesprächen,
was unwillkürlich die Kommunikationsmöglichkeiten von ohnehin weniger mobilen
Teilen der Bevölkerung erheblich einschränkt, seien in einer Erklärung zu
Protokoll gegeben worden. Leider, so Hanna Wolf, waren wir
nicht genügend Abgeordnete, diese Art der Reform zu verhindern. Die Rechnung
müssen nun die kleinen Leute bezahlen.
Die Privatisierung der Post sei von prominenten Vertretern der CSU in Gang
gebracht und vollendet worden. Wenn nun Ministerpräsident Edmund Stoiber und
der Leiter der bayerischen Staatskanzlei, Kurt Faltlhauser, gegen die neuen
Tarife protestierten, dann sei erinnert, dass damals beide der Postreform
zugestimmt haben. Eine Zeitung habe dies bereits Heuchelei genannt. bar
Süddeutsche Zeitung – Februar 20, 1996
Wichtiger
als das Tunnel-Thema: SPD-Damen sehen Druck auf die Frauen
steigen
Sie können das CSU-Macho-Thema von den drei Tunnels am Mittleren Ring nicht
mehr ertragen: Bürgermeisterin Gertraud Burkert (SPD), Bundestagsabgeordnete
Hanna Wolf (SPD), Betriebsrätin Stefanie Jahn (Rohde und
Schwarz) und die SPD -Stadträtinnen Christine Strobl und
Monika Renner. Im Wahlkampf gebe es weit Wichtigeres zu fordern, erklärten
sie und taten es sogleich. Wir wollen uns heute endlich mal wieder der Mehrheit
der Bevölkerung widmen - den Frauen. 51,3 Prozent der Münchner Wahlberechtigten
seien weiblich.
Angesichts zunehmender wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Veränderungen
müsse besonders auf Verschlechterungen in der Lebenssituation von Frauen geachtet
werden, erklärte Burkert. Frauen müssten hellhörig werden angesichts der Experten-Analysen,
die die hohe Arbeitslosigkeit unter anderem auf die zunehmende Erwerbstätigkeit
von Frauen zurückführten. Zwar werde diesen Aussagen sofort hinzugefügt, das
könne nicht heißen, Frauen zurück an den Herd. Ich fürchte jedoch, der Druck
wird in dieser Richtung immer größer werden.
Sich für Frauen- und Mädchenprojekte einzusetzen sei Ziel der SPD,
so Renner. Während die CSU erst vor wenigen Tagen wieder die vollständige
Streichung der Zuschüsse für sieben Frauenprojekte (unter anderem für die
Frauenrechtsschule, das Lesbentelephon, Kofra und die Fraueninitiative Milbertshofen)
und erhebliche Kürzungen für fünf weitere (darunter Frauentherapiezentrum,
Pro Familia) gefordert habe, wolle die SPD deren Arbeit weiterhin
finanzieren. Stefanie Jahn appellierte für mehr Frauenförderung in der Stadtverwaltung
und die Unterstützung von Existenzgründerinnen. cw
Süddeutsche Zeitung – Februar 23, 1996
Menschenrechte
für Kinder lassen sich nicht herbeiregeln
Zu dem Artikel Grenzenlose Brutalität von Christine Brinck in der SZ vom 15.
2.:
Deutschland Schlusslicht im europäischen Vergleich. - Das mag sehr wohl so
sein. Aber dieses Hinterherhinken in der Europäischen Menschenrechtskonvention
und der UNO-Kinderrechtskonvention am deutschen Kindschaftsrecht festzumachen,
heißt, die Chronologie und Kausalität auf den Kopf stellen. Die westdeutsche
Familienstruktur heißt immer noch - zumindest während der sogenannten Familienphase:
der Ernährer sorgt für den Unterhalt, die Mutter kümmert sich um die Kinder.
Wen wundert es dann, wenn bei einer Trennung oder Scheidung sich diese Schieflage
nicht wie durch den Zauberstab des automatischen gemeinsamen Sorgerechts geraderücken
lässt. Der Tatsache, dass Väter und Mütter nicht plötzlich gleichberechtigt
sorgende Eltern werden können, wenn sie es vorher nie waren, muss unser Recht
Rechnung tragen. Es wäre Unsinn, das gemeinsame Sorgerecht in solchen Scheidungsfällen
automatisch zur Wirkung kommen zu lassen. Die Behauptung, das gemeinsame Sorgerecht
erhalte dem Kind den Kontakt zum Vater, ist durch die Erfahrung in den USA
längst widerlegt. Die SPD-Bundestagsfraktion berücksichtigt
das in ihrem Antrag, den sie zum Kindschaftsrecht in den Bundestag eingebracht
hat und der die gemeinsame Sorge bei Trennung und Scheidung nur auf gemeinsamen
Antrag der Eltern hin vorsieht. Von einem Recht der Eltern sprechen wir nicht.
Das Recht liegt auf seiten des Kindes.
Deutschland ist in der Tat Schlusslicht, was die für Kinder und Eltern bekömmliche
Familienstruktur - vor einer Trennung oder Scheidung - betrifft. Bereits hier
wäre der Staat gefragt, eine, in anderen europäischen Ländern selbstverständliche
Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, die es Eltern ermöglicht, gleichberechtigte
Elternschaft zu leben. Dazu gehörten Kinderbetreuungseinrichtungen von der
Krippe über den Kindergarten zur Ganztagsschule, aber auch Arbeitsstrukturen,
die weit über die - dequalifizierende - Teilzeit von Frauen hinausreichen.
Leider habe ich noch nicht gehört, dass dieser Mangel als grenzenlose Brutalität
gegen die Väter gesehen worden wäre. Auch meine Kollegin Margot von Renesse
kolportiert diesen Spruch nur im Zusammenhang von richterlichen Sorgerechtsentscheidungen
gegen die Väter. Ich wünschte mir, dass Väter für Infrastrukturen für Kinder
aufstehen würden und nicht erst dann den Kampf ums Kind lostreten, wenn sie
- zum Zeitpunkt der Scheidung - ihre Kinder schon längst durch ihre andauernde
persönliche Abwesenheit während der Ehe verloren haben.
Die Gleichberechtigung der Eltern lässt sich nicht durch das Kindschaftsrecht
herbeiregeln, sie muss vorher vom Staat strukturell unterstützt und gefördert
werden. Nur so kommen die UNO-Kinderrechtskonvention und die europäische Menschenrechtskonvention
wirklich zum Tragen und nur so bekommen wir Anschluss an den europäischen
Standard.
Hanna Wolf, MdB Stv. Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Bonn
Süddeutsche Zeitung – März 5, 1996
Zwei
Münchner SPD-Abgeordnete zeigen auf: Bonner Reformen zu Lasten
der Stadt. Dem Kommunal-Haushalt drohen erhebliche Mehrkosten
Von Alfred Dürr
Die große Bonner Politik, für die auch eine Stadt wie München die Zeche zahlen
muss - das ist zur Zeit ein Schwerpunktthema der Sozialdemokraten im Kommunalwahlkampf.
Jetzt erläuterten die beiden Münchner Bundestagsabgeordneten Ulrike Mascher
und Hanna Wolf, welche zusätzlichen Millionenbeträge die
Stadt belasten, wenn die Bonner Reformpläne in die Tat umgesetzt werden. Mascher,
die im Parlament auch Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
ist, zählt eine Liste von Belastungen auf, die auf den Stadthaushalt zukommen:
Da nach dem Seehofer-Modell die Stadt künftig die geplante Wiedereingliederung
arbeitsloser Sozialhilfeempfänger übernehmen soll, drohen jährliche Mehrbelastungen
von 150 Millionen Mark. 49 Millionen Mark mehr würde die geplante Kürzung
der Bezugsdauer für Arbeitslosenhilfe kosten, weil damit die Zahl der Sozialhilfeempfänger
steige. Selbst in einer Stadt wie München, die im Vergleich zu anderen Städten
eine erfreulich niedrige Arbeitslosenquote habe, wirke sich die steigende
Zahl der Arbeitslosen auf den Sozialhaushalt aus: In den letzten vier Jahren
seien die gesetzlichen Leistungen des Sozialamtes von rund 390 Millionen Mark
auf über 630 Millionen Mark gestiegen und für dieses Jahr seien bereits über
90 Millionen Mark mehr kalkuliert worden. Durch die Steuergesetzgebung der
Bonner Regierung würden der Stadt heuer beim Gemeindeanteil an der Lohn- und
Einkommenssteuer Mindereinnahmen in Höhe von 125 Millionen Mark entstehen.
Dem würden lediglich 82 Millionen Mark Ausgleichsleistungen des Freistaats
gegenüberstehen. Zum Beispiel würde die geplante Einführung der Steuerpflicht
für kommunale Entsorgungsbetriebe den Münchnern jährlich bis zu 150 Millionen
Mark mehr kosten.
Einen Schaden ganz anderer Art sieht Hanna Wolf auf die Stadt
zukommen: Durch die Verzögerungspolitik der Bundesregierung bei der Neuplanung
für das Bahngelände zwischen Laim und Pasing würde die Stadt um ein wesentliches
Entwicklungsprojekt gebracht. Die Bahn wolle ihren Verkaufsgewinn immer weiter
steigern. Damit werde der planerische Spielraum (Wohnungen, Gewerbe, Grünflächen)
aber immer weiter eingeengt.
AP Worldstream -– März 5, 1996;
Bremer
Gleichstellungsparagraph soll neu geregelt werden
Nölle: Kein Ende der Frauenförderung in Bremen -
Unterschiedliches Echo bei Politikerinnen
Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Bremer Frauenquote hat der Finanzsenator
der Hansestadt, Ulrich Nölle, eine Neuregelung des Gleichstellungsgesetzes
angekündigt. Frauenförderung werde es in Bremen aber selbstverständlich weiter
geben, und Frauenförderpläne würden weiterhin verstärkt eingesetzt, sagte
Nölle. Nach dem am Dienstag in Kassel verkündeten Urteil verstößt die automatische
Bevorzugung von Frauen im öffentlichen Dienst bei gleicher Qualifikation und
ohne Härteklausel für Männer gegen europäisches Recht.
Nölle erklärte dazu, bereits nach dem Urteil des EU-Gerichtshofs sei deutlich
geworden, dass beim Paragraphen 4 des Bremer Gesetzes Anpassungsbedarf bestehe.
''Wir werden auch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts gründlich prüfen und
demnach den Paragraphen 4 neu gestalten'', sagte Nölle, der auch Leiter der
Senatskommission für das Personalwesen ist. Über die Beförderung im Bremer
Gartenbauamt, die Anlass zu der Gerichtsentscheidung war, werde nun neu entschieden.
Nölle erklärte, in seinem Urteil sei das Bundesarbeitsgericht konsequent den
Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes gefolgt und habe einen Automatismus
der Beförderung von Frauen bei gleicher Qualifikation abgelehnt. ''Damit spricht
sich auch das Oberste Deutsche Gericht in Arbeitssachen für das Prinzip der
Chancengleichheit und für das Prinzip der Ergebnisgleichheit aus'', sagte
der CDU-Politiker.
Die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion,
Hanna Wolf, kritisierte in Bonn: ''Wenn Männer entscheiden,
dann kommen solche frauenfeindlichen Urteile heraus wie das heutige des BAG.''
Der rein männlich besetzte erste Senat des Bundesarbeitsarbeitsgerichts habe
sich dem ebenfalls ausschließlich männlich besetzten Europäischen Gerichtshof
angeschlossen. Die jetzt geforderte Härteklausel eröffne den Personalverwaltungen
in vielen Fällen die Möglichkeit, die Quote zu unterlaufen, beispielsweise
weil der männliche Bewerber Alleinverdiener in der Familie sei.
Dagegen sagte die frauenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, die frühere
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die Entscheidung
sei konsequent und schaffe Klarheit. ''Es ist nicht nur rechtlich, sondern
auch politisch vollkommen falsch zu versuchen, die gesellschaftliche Diskriminierung
der Frauen mit einer einseitigen Diskriminierung von Männern aufzuheben.''
Süddeutsche Zeitung – März 7, 1996
Finanzsenator
und Personalchef Nölle: Kein Ende der Frauenförderung - Bremen ändert das
Gleichstellungsgesetz
Auch Niedersachsen will nach dem Kasseler Gerichtsurteil seine Vorschriften
korrigieren
Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Bremer Frauenquote hat der Finanzsenator
und Personalchef der Hansestadt, Ulrich Nölle (CDU), eine Neuregelung des
Gleichstellungsgesetzes angekündigt. Frauenförderung werde es in Bremen aber
selbstverständlich weiter geben, und Frauenförderpläne würden verstärkt in
die Tat umgesetzt, sagte Nölle. Nach dem am Dienstag in Kassel verkündeten
Urteil verstößt die automatische Bevorzugung von Frauen im Öffentlichen Dienst
bei gleicher Qualifikation und ohne Härteklausel für Männer gegen das Recht
der Europäischen Union. Am Mittwoch sah auch Niedensachsens Frauenministerin
Christina Bührmann (SPD) Anlass, zur Herstellung von Rechtssicherheit
in den Text des niedersächsischen Gleichberechtigungsgesetzes eine entsprechende
Klarstellung einzufügen. Nach ihren Angaben gibt es in 14 der 16 Bundesländer
und für die Bundesverwaltung gesetzliche Regelungen zur Frauenförderung. Zwar
gingen die Länder unterschiedliche Wege, das Ziel sei aber dasselbe: die Erhöhung
des Frauenanteils in allen Hierarchiestufen des Öffentlichen Dienstes.
Nölle erläuterte, bereits nach dem Urteil des EU-Gerichtshofs vom Oktober
sei deutlich geworden, dass beim Paragraphen 4 des Bremer Gesetzes Anpassungsbedarf
bestehe. Wir werden auch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts gründlich prüfen
und demnach den Paragraphen 4 neu gestalten, kündigte Nölle an, der auch Leiter
der Senatskommission für das Personalwesen ist. Über die Beförderung einer
Frau im Bremer Gartenbauamt, die Anlass zu der Klage des unterlegenen Mannes
und zu den Luxemburger und Kasseler Gerichtsentscheidungen war, werde nun
neu entschieden.
Der oberste Bremer Personalchef erklärte, in seinem Urteil sei das Bundesarbeitsgericht
konsequent den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes gefolgt und habe einen
Automatismus der Beförderung von Frauen bei gleicher Qualifikation abgelehnt.
Damit spricht sich auch das oberste deutsche Gericht in Arbeitssachen für
das Prinzip der Chancengleichheit und für das Prinzip der Ergebnisgleichheit
aus, sagte der CDU-Politiker.
Die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion,
Hanna Wolf, kritisierte in Bonn das Bundesarbeitsgericht:
Wenn Männer entscheiden, dann kommen solche frauenfeindlichen Urteile heraus
wie das des BAG. Der rein männlich besetzte Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts
habe sich dem ebenfalls ausschließlich männlich besetzten Europäischen Gerichtshof
angeschlossen. Die jetzt geforderte Härteklausel eröffne den Personalverwaltungen
in vielen Fällen die Möglichkeit, die Quote zu unterlaufen, beispielsweise
mit der Begründung, der männliche Bewerber sei Alleinverdiener in der Familie.
Die niedersächsische Frauenministerin Bührmann meinte: Obwohl ich mir eine
andere Entscheidung gewünscht hätte, bin ich optimistisch. Auf jeden Fall
werde das niedersächsische Gleichberechtigungsgesetz als Instrument wirksam
bleiben. Zumindest dagegen sagte die frauenpolitische Sprecherin der FDP -Fraktion,
die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die
Entscheidung sei konsequent und schaffe Klarheit. Es ist nicht nur rechtlich,
sondern auch politisch vollkommen falsch zu versuchen, die gesellschaftliche
Diskriminierung der Frauen mit einer einseitigen Diskriminierung von Männern
aufzuheben. (Seite 4)
Die Woche – März 22, 1996
Karriere
mit Knarre?
Per Hinrichs
Das Grundgesetz verbietet den 3000 Frauen, die bei der Bundeswehr sind, den
Dienst mit der Waffe. Doch das Tabu bröckelt
Im Wald herrscht Krieg. Schüsse peitschen durch die Luft, Soldaten robben
zwischen Sträuchern und Büschen in Stellung. "Schneller, schneller",
treibt Stabsunteroffizier Manja Krull die keuchende Rekrutin Sabine Mordhorst
an, die wie eine Raupe über den gefrorenen Boden kriecht. "Da! Ein Feind!"
schreit die Ausbilderin und deutet auf eine 20 Meter entfernte Scheibe. Die
Soldatin zielt und drückt ab. Treffer. Der Pappkamerad fällt um.
Sanitätssoldatin Mordhorst, stationiert im Sanitätsbataillon 11 im ostfriesischen
Leer, leistet vier Jahre Militärdienst freiwillig. Und doch ist sie nicht
zufrieden. Denn als Frau darf sie in der Bundeswehr nur Sanitäts- oder Militärmusikdienst
leisten. Das Grundgesetz erklärt in Artikel 12a, dass Frauen "auf keinen
Fall Dienst mit der Waffe leisten dürfen". Nur zur Selbstverteidigung
lernt die Sanitätssoldatin zusammen mit 100 anderen Rekruten auf einem Truppenübungsplatz
bei Lingen, wie sie sich und "anvertraute Patienten" im Ernstfall
schützen soll mit dem Gewehr. Doch das Tabu bröckelt. Längst findet nicht
mehr nur Alice Schwarzer, dass dieser "Zopf abgeschnitten gehört".
Schon seit 1984 erklärt die Frauenrechtlerin wiederholt, dass sie als Pazifistin
zwar gegen Bundeswehr und Wehrpflicht sei, als Feministin aber jeden Ausschluss
von Frauen aus politischen oder beruflichen Bereichen ablehne. Von der Grünen
Rita Griesshaber über die CSU-Abgeordnete und Parlamentarische Staatssekretärin
im Verteidigungsministerium Michaela Geiger bis zum FDP-Sicherheitsexperten
Günther Nolting reicht heute das Spektrum derer, die "das letzte Berufsverbot
für Frauen" (Nolting) zu Fall bringen wollen. Sogar Bundeskanzler Helmut
Kohl sperrt sich nicht. In einem Fernseh-Interview sagte er, dass er sich
Soldatinnen auch in anderen Truppenteilen der Bundeswehr vorstellen könne.
Das Grundgesetz aber möchte er nicht ändern.
Allein die SPD schließt noch kategorisch jede weitere Öffnung
der Bundeswehr für Frauen aus. "Der falsche Ort der Emanzipation",
urteilt die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion,
Hanna Wolf.
Kein Ort für Frauen, befand 1956 auch der Rechtsausschuss des Bundestages
und begründete den Ausschluss vom Waffendienst mit der "Natur und der
Bestimmung der Frau". Den ersten Fuß in die Tür der Hardthöhe durften
die Frauen 1975 setzen: Ärztinnen konnten sich für den militärischen Dienst
bewerben und zum Offizier im Sanitätsdienst aufsteigen. 1989 öffneten die
Bundeswehr -Universitäten den medizinischen Studiengang für Frauen, die sich
für mindestens 16 Jahre verpflichten. Im Gegenzug zahlt die Bundeswehr das
Studium. Und seit 1991 dürfen sich Frauen auch für die Unteroffizierslaufbahn
bewerben und die grün-braun gesprenkelten Tarnanzüge anziehen. Sie können
sich mindestens vier Jahre verpflichten und beispielsweise den Beruf des Rettungssanitäters
lernen.
Annähernd 3000 Soldatinnen leisten heute Dienst in den Streitkräften, das
entspricht einem Anteil an der Gesamtarmee von 0,8 Prozent. Tendenz steigend:
73 Prozent aller Anträge auf Einstellung in den Sanitätsdienst der unteren
Laufbahn werden von Frauen gestellt.
Männliche Sanitätsoffiziere spüren die neue weibliche Konkurrenz am stärksten.
"Streng nach Qualität der Bewerber gesehen, dürften wir keine männlichen
Ärzte mehr einstellen. Frauen sind ihnen in Abiturnoten, Abschlüssen und Leistungen
überlegen", sagt ein Einstellungsoffizier.
Auch im Kasernenalltag haben sich die Frauen bewährt. "Wir haben sehr
gute Erfahrungen gemacht. Das sind hochmotivierte Frauen, die sehr leistungswillig
und engagiert sind", lobt ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums
die Soldatinnen. Und Mordhorsts Vorgesetzter, der Kommandeur des Sanitätsbataillons
11, Dr. Stefan Kowitz, stellt fest: "Die Frauen bringen einen anderen
Ton mit in die Kaserne." Die Männer hielten sich mit zotigen Sprüchen
zurück, bestätigt eine Soldatin.
Und warum wollen Frauen zur Bundeswehr? "Ich will Menschen helfen",
antwortet eine 20jährige Rekrutin, die am liebsten morgen zum ersten Auslandseinsatz
ausrücken würde. Sehnsucht nach "klaren Regeln, die alles viel einfacher
machen" ist ein weiteres häufig genanntes Motiv. Das Prinzip "Befehl
und Gehorsam" stärkt die Durchsetzungskraft, die viele von ihnen im zivilen
Beruf vermissen.
Hinter dem wachsenden Interesse der Frauen am Militärdienst vermutet Oberleutnant
Reinhard Menneken allerdings nicht nur ausgeprägte Vaterlandsliebe: "Hier
in Leer ist die Arbeitslosigkeit sehr hoch. Außerdem zahlt die Bundeswehr
gut. Da lohnt es sich für eine Arzthelferin oder Krankenschwester schon, den
weißen Kittel aus- und die Uniform anzuziehen." Denn eine gelernte Krankenschwester
dient, für 3000 Mark brutto, vom ersten Tag an als Feldwebel ein Dienstgrad,
den die meisten Soldaten erst nach acht Jahren erreichen. Und selbst ungelernte
Zeitsoldaten und -soldatinnen fangen mit rund 2300 Mark brutto an.
Doch im Bekanntenkreis bleibt Skepsis. "Meine Freunde finden das nicht
alle so gut, dass ich bei der Bundeswehr bin", erzählt eine Arzthelferin
aus Münster, die vor zwei Monaten in die Leeraner Kaserne kam. Wenn sie in
Uniform durch die Fußgängerzone läuft, kommentieren die Passanten schon mal:
"Starkes Kostüm!" Und Kinder rufen ihr hinterher: "Bist du
echt?" Doch sie beeilt sich anzufügen: "Meine Mutter ist stolz auf
mich. Sie will immer, dass ich in Uniform nach Hause komme." Vier Jahre
hat sie sich wie ihre weiblichen Kameraden verpflichtet, der Bundesrepublik
treu zu dienen. Das Maximum wären derzeit acht Jahre am Stück, anschließend
müsste sie sich erneut entscheiden, ob sie bei der Bundeswehr bleiben will.
Doch dass sich tatsächlich eine Frau für länger als acht Jahre verpflichten
würde, bezweifelt Oberst Bernhard Gerdtz, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes,
in dem 235 000 Soldaten organisiert sind. Denn eine wichtige Frage ist noch
ungeklärt. "Wenn wir wirklich Frauen integrieren wollen, müssen wir es
ihnen ermöglichen, Mutter und Soldatin zu sein", sagt Gerdtz. Theoretisch
kann eine Soldatin, die schwanger wird, zwar Erziehungsurlaub nehmen. Die
freigewordene Stelle jedoch darf nicht besetzt werden, weil die Bundeswehr
eine Soldatin nicht durch eine Zivilperson ersetzen kann; qualifiziertes Personal
müsste truppenintern an anderer Stelle abgezogen werden. "Die Bundeswehr
braucht flexible Teilzeit-Arbeitsmodelle. Das geht in anderen Armeen auch",
meint Gerdtz. Solange die Frage der Kinderbetreuung nicht geklärt ist, werde
es bei niedrigen Verpflichtungszeiten von maximal acht Jahren bleiben, prophezeit
er. Dabei können auch Frauen auf Antrag ebenso Berufssoldat werden wie Männer.
Die ranghöchste Soldatin auf Lebenszeit, Generalarzt Verena von Weymarn, leitet
derzeit den Stab im Sanitätsamt.
Doch so hoch hinaus wollen die meisten Frauen gar nicht. Sie streiten eher
für die gleichen Rechte in den Kasernen. Beim Wachdienst scheint ihnen das
jetzt zu gelingen. Denn Soldatinnen dürfen keine Wache schieben noch nicht.
Weil aber manche Sanitätsbataillone schon zu 30 bis 40 Prozent aus Frauen
bestehen, müssen die Männer überproportional häufig den ungeliebten Dienst
übernehmen. Die Frauen fühlen sich zurückgesetzt. Nun haben Juristen des Verteidigungs-
und Justizministeriums die Rechtslage geklärt: Es sei mit der Verfassung vereinbar,
dass Soldatinnen "in Friedenszeiten" Wach- und Streifendienst versehen.
Nur das Bundesinnenministerium muss noch zustimmen.
Auch im Nachschub oder in der Nachrichtenübermittlung sei der Einsatz von
Soldatinnen theoretisch denkbar, heißt es aus dem Verteidigungsministerium.
"Aber in Krisensituationen müssten wir sie nach Hause schicken, weil
sie dann als Teil der kämpfenden Truppe gegen den Artikel 12a verstoßen würden",
erklärt ein ranghoher Offizier.
Aber darüber machen sich die ehrgeizigen Nachwuchssoldatinnen keine großen
Gedanken. Sie sitzen ums Lagerfeuer und träumen von höheren Aufgaben. "Tornado
fliegen wär' super", seufzt eine von ihnen.
Die Krisensituation, einen Menschen erschießen zu müssen, hat die Ausbilderin
Manja Krull schon häufiger gedanklich durchgespielt. "Ich weiß natürlich
nicht, wie ich dann reagieren würde. Aber darüber nachdenken muss man. Das
ist klar."
ZUR SACHE
Eine Frau als U-Boot-Kommandantin: in Deutschland unmöglich, in Norwegen völlig
normal. Zwar dienen mittlerweile in fast allen Nato-Staaten auch Frauen in
den Armeen, aber nur zwei Länder lassen die Soldatinnen uneingeschränkt zu
allen Aufgaben in den Streitkräften zu: Norwegen und Spanien. In Belgien sind
Frauen alle Dienstposten außer U-Boot-Stellen zugänglich. Dänemark erlaubt
Frauen den Einsatz in Kampftruppen (Infanterie, Artillerie und Panzer). Sie
dürfen allerdings nicht in Führungsstäben arbeiten. Die Niederlande nehmen
Frauen nur nicht in der Marine an. Für kanadische Frauen sind U-Boote tabu.
In den USA und Großbritannien können Frauen in allen Positionen dienen, nur
am Einsatz gegen fremde Bodentruppen nehmen sie nicht teil. Portugal, Frankreich
und Griechenland und die Türkei lassen Frauen außerhalb der Kampftruppen auf
jeden Dienstposten. Die italienische Armee beschäftigt keine Frauen.
Süddeutsche Zeitung- April 18, 1996
Unterschiedliches
Echo auf Neuregelungen bei Schwangerschaftsabbruch - CSU begrüßt Mitwirkungspflicht.
SPD-Abgeordnete sieht durch Erklärungszwang Qualität des
Beratungsgesprächs gefährdet
Von Hans Holzhaider
München - Auf unterschiedliches Echo bei den Parteien sind die am Dienstag
vom Ministerrat beschlossenen Neuregelungen zur Schwangerenberatung gestoßen.
Wie in einem Teil unserer Auflage schon kurz berichtet, sieht der Entwurf
für ein neues bayerisches Schwangerenberatungsgesetz vor, dass eine Frau,
die eine Schwangerschaft abbrechen will, bei der gesetzlich vorgeschriebenen
Beratung die Gründe für die geplante Abtreibung offen legen muss. Tut sie
dies nicht, so kann ihr der Beratungsschein verweigert werden, der Voraussetzung
für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch ist. Während der CSU-Fraktionsvorsitzende
im Landtag, Alois Glück, diese Mitwirkungspflicht der betroffenen Frauen begrüßte,
erklärte die SPD-Bundestagabgeordnete Hanna Wolf,
durch den Gesetzentwurf werde der in Bonn mühsam gefundene Kompromiss völlig
aufgebrochen. Ein Erklärungszwang für die Schwangere gefährde die Qualität
des Beratungsgesprächs und widerspreche dem Buchstaben und dem Geist des neuen
Paragraphen 218. Die Grünen-Abgeordnete Elisabeth Köhler nannte die geplante
Regelung rechtswidrig und frauenfeindlich. Der Zwang zur Darlegung der Beweggründe
für einen Schwangerschaftsabbruch verstoße klar gegen das Schwangeren- und
Familienhilfegesetz des Bundes.
Mit dem neuen Schwangerenberatungsgesetz soll das im Oktober 1995 in Kraft
getretene Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz des Bundes in Landesrecht
umgesetzt werden. Mit dem Artikel 10 des Gesetzes geht der Freistaat allerdings
über die bundesrechtliche Regelung deutlich hinaus. Im Bundesgesetz steht,
es werde erwartet, dass die schwangere Frau die Gründe mitteilt, deretwegen
sie einen Abbruch der Schwangerschaft erwägt. Der Beratungscharakter schließe
jedoch aus, dass die Gesprächs- und Mitwirkungsbereitschaft der schwangeren
Frau erzwungen wird. Durch diesen Wortlaut werde die Mitwirkungspflicht der
Frau nicht ausreichend geregelt, sagte die bayerische Sozialministerin Barbara
Stamm nach der Kabinettssitzung; dies sei auch der Grund gewesen, warum Bayern
das Gesetz im Bundesrat abgelehnt habe. In dem bayerischen Gesetz soll es
nun wörtlich heißen: Die Beratungsbescheinigung wird der Schwangeren ausgehändigt,
wenn sie die Gründe mitgeteilt hat, derentwegen sie einen Abbruch der Schwangerschaft
erwägt. In der Begründung dazu heißt es, wenn die Mitteilung der Gründe unterbleibe,
habe keine Konfliktberatung stattgefunden mit der Folge, dass dann auch die
Beratungsbescheinigung nicht erteilt werden darf. Frau Stamm berief sich ausdrücklich
auf den Text des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom Mai 1993. Das Gericht
hatte die Mitteilung der Gründe für den Abbruch unerlässlich genannt, im gleichen
Satz aber auch festgestellt, die Mitwirkungsbereitschaft der Frau dürfe nicht
erzwungen werden.
Deutlicher Anstieg in Bayern Die Ministerin wies darauf hin, dass lediglich
die Mitteilung, nicht aber eine Überprüfung der Gründe für den Schwangerschaftsabbruch
gefordert werde. Sie habe volles Vertrauen zu den in Bayern tätigen Schwangerschaftsberaterinnen.
Ich bin bei keiner Beratung dabei, und da schnüffelt der Staat auch nicht
rum, sagte Frau Stamm. Schon jetzt enthalte das bundeseinheitliche Formular
für die Beratungsbescheinigung den Satz: Die Ratsuchende hat die Tatsachen
mitgeteilt, deretwegen sie einen Abbruch der Schwangerschaft erwägt. Insofern
werde durch das neue Gesetz an der bisherigen Praxis der Schwangerenberatung
nichts geändert.
Durch eine weitere Gesetzesänderung will die Staatsregierung sicherstellen,
dass in Bayern keine reinen Abtreibungskliniken entstehen und dass auch niedergelassene
Ärzte sich nicht ausschließlich auf Schwangerschaftsabbrüche spezialisieren.
Einrichtungen, die nicht im Krankenhausbedarfsplan enthalten sind, und niedergelassene
Ärzte dürfen danach nicht mehr als ein Viertel ihrer jährlichen Einkünfte
aus Abtreibungen beziehen. Sie müssen der zuständigen Bezirksregierung jeweils
bis Ende Januar die Zahl der im Vorjahr vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche,
die daraus erzielten Einnahmen und die Summe der übrigen Einnahmen melden.
Das gilt allerdings nur für privat berechnete Abtreibungskosten. Bei einer
kriminologischen oder medizinischen Indikation übernehmen die Krankenkassen
die Kosten.
Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche ist in Bayern seit dem letzten Abtreibungsurteil
des Bundesverfassungsgerichts drastisch angestiegen. Eine vom Sozialministerium
vorgelegte Statistik nennt für das Jahr 1992 die Zahl von 5234 Abtreibungen,
für 1993 6285, für 1994 9770 und für 1995 die vorläufige Zahl von 9643. Im
gesamten Bundesgebiet ging die Zahl der Abtreibungen im gleichen Zeitraum
von rund 120 000 auf knapp 98 000 zurück. Erkenntnisse über die Gründe für
diesen Anstieg der Abtreibungszahlen in Bayern von mehr als 30 Prozent gibt
es nach Angaben des Ministeriums nicht. Naheliegend ist jedoch die Interpretation,
dass wegen der in Bayern erst seit 1993 bestehende Möglichkeit, Schwangerschaftsabbrüche
auch in Arztpraxen vorzunehmen, viele Frauen in Bayern blieben, die vorher
zur Abtreibung in ein anderes Bundesland oder ins Ausland gefahren sind. (Seite
4)
Süddeutsche Zeitung - April 25, 1996
Gesetzentwurf
zur Vergewaltigung in der Ehe gebilligt
csc Bonn (Eigener
Bericht)
Ex-Ministerin stimmt nicht mit ab. Leutheusser-Schnarrenberger lehnt Widerspruchsklausel
ab
Nach jahrelangem Streit hat die Koalitionsmehrheit von CDU/CSU und FDP im
Rechtsausschuss des Bundestags einen Gesetzentwurf zur Strafbarkeit der Vergewaltigung
in der Ehe verabschiedet. Vor der Abstimmung verließ die frühere Bundesjustizministerin
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) den Saal, weil sie die sogenannte
Widerspruchsklausel ablehnt. Nach dieser Regelung sollen Frauen ein Verfahren
gegen ihren Ehemann vor Beginn der Hauptverhandlung durch eine persönliche
Erklärung vor dem Staatsanwalt oder später vor dem Vorsitzenden des Gerichts
stoppen können.
Ebenso wie die Ex-Justizministerin befürchten auch Sozialdemokraten und Bündnis
90/Die Grünen, mit dieser Regelung könnten Frauen, die gegen einen brutalen
Partner vorgehen wollen, unter Druck geraten. Die Abgeordnete Hanna
Wolf (SPD) betonte, im Strafrecht gebe es bei keinem anderen Offizialdelikt
eine derartige Klausel. Rita Griesshaber (Bündnisgrüne) sprach von einem Einfallstor.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wollte den Widerspruch allenfalls als Ausnahme,
nicht als Regelfall gelten lassen. Die Richter müssten im Einzelfall frei
entscheiden können, ob sie ein Verfahren beendeten, forderte sie. Weil Ausschussmitglieder
ihre Fraktionsmeinung vertreten sollen, überließ die FDP-Politikerin einem
Vertreter ihre Stimme und verließ den Raum. Andernfalls hätte es keine Mehrheit
für den Koalitionsantrag gegeben, über den nun vor der Sommerpause im Plenum
des Bundestags beraten werden kann.
Süddeutsche Zeitung – Mai 13, 1996
Ein eigenes
Gesetz zum Abtreibungsrecht: Der Bund lässt Bayern freie Hand
Die Bundesregierung wird nicht gegen die Absicht des Freistaates Bayerns vorgehen,
die Vorschriften zum Abtreibungsparagraphen 218 mit einem eigenen Landesgesetz
zu verschärfen. Als bislang einziges Bundesland will Bayern bei der Schwangeren-Beratung
eine Mitwirkungspflicht der Frauen einführen, die Zahl der Abtreibungen pro
Arztpraxis (auf höchstens 25 Prozent der Einnahmen) begrenzen und die Ärzte
über eine Änderung des Heilberufegesetzes zu einem zweiten Beratungsgespräch
zwingen.
Diese ergänzenden Regelungen gehen über das vom Bundestag vor knapp einem
Jahr nach langem politischen und rechtlichem Streit mit großer Mehrheit verabschiedete
Abtreibungsrechts hinaus. Bonn will Bayern dennoch gewähren lassen. Dies zeigen
Äußerungen des Bonner Familienministeriums, die jetzt im Protokoll der letzten
Fragestunde des Bundestags nachzulesen sind. Dort betonte die Bonner Staatssekretärin
Gertrud Dempwolf von der CDU, die Bundesregierung sehe keine Verpflichtung,
auf die Pläne Bayerns in irgendeiner Form rechtlich Einfluss zu nehmen. Der
Landtag in München solle das fragliche Gesetz erst verabschieden, meinte Dempfwolf,
dann wären wir wieder an der Reihe. Als Abgeordnete der Opposition kritisierten,
die Bundesregierung lasse hier zu, dass ein Land hinter ein Bundesgesetz zurückfällt
und damit letztlich Bundesrecht breche, gebrauchte die CDU-Politikerin einen
denkwürdigen Satz: Ich kann leider die Folgen eines Unfalls erst dann heilen,
wenn er tatsächlich passiert ist. Ob sie schon etwas von Unfallprävention
gehört habe, wollte daraufhin der SPD-Abgeordnete und Hochschullehrer
für internationales Strafrecht, Jürgen Meyer, von der Regierungsvertreterin
wissen. Dempwolf meinte aber nur lakonisch, sie kenne die Vorlagen aus Bayern
nicht, deshalb könne sie nicht beurteilen, ob sie dem entsprechen, was wir
hier verabschiedet haben.
Abgeordnete der SPD und von Bündnis 90/ Die Grünen vermuten
hinter der Unkenntnis Methode, zumal da das Justizministerium angeblich doch
prüft, was die Bayern planen. Rita Griesshaber (Grüne) meint, während der
dramatischen letzten Stunden des Bonner Ringens um das neue Abtreibungsrecht
habe es Absprachen zwischen CDU und CSU gegeben, die Bayern nun den Alleingang
erlauben. Hanna Wolf (SPD) spricht gar von einem Abkommen,
das allerdings nirgends schriftlich fixiert sein dürfte. Grundlage war offenbar
der Wunsch der Bundesregierung, Bayern möge auf eine erneute Klage vor dem
Bundesverfassungsgericht gegen den Paragraphen 218 verzichten. Dafür kann
der Freistaat das Gesetz offenbar nun selbst auslegen und in seinem Sinne
verändern.
Im Bundestag hatte die CSU mit Parteichef Theo Waigel an der Spitze dem neuen
Abtreibungsrecht im Juni 1995 zugestimmt; in Bayern lehnte das Kabinett unter
Führung von Edmund Stoiber es schon kurz danach mit überwältigender Mehrheit
ab. Stoiber gab schon damals die Marschroute für den bayerischen Sonderweg
über ein Ergänzungsgesetz vor, das nach einem Gutachten der Strafrechtsprofessorin
Monika Frommel in weiten Passagen unzulässig ist. Christiane Schlötzer-Scotland
Süddeutsche Zeitung – Mai 15, 1996
Neuerungen
ärgern SPD-Frauen: Protest gegen Rentenalter und 218-Pläne
Gegen die Heraufsetzung des Rentenalters von Frauen protestierte die Arbeitsgemeinschaft
sozialdemokratischer Frauen (AsF) auf ihrer Jahreshauptversammlung. Auch die
Pläne der Bayerischen Staatsregierung, den Abtreibungsparagraphen 218 für
Bayern zu verschärfen, lehnten die Münchener SPD-Frauen ab.
Europaexpertin Birgit Schmidt am Busch beklagte außerdem die Bremshaltung
der Bundesregierung in der europäischen Frauenpolitik. Die Frauen forderten
eine Kampagne für Frauenförderung und Chancengleichheit in der Europäischen
Union. Die Münchener SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna
Wolf wurde in ihrem Amt als Vorsitzende der AsF-München bestätigt.
peuc
Süddeutsche Zeitung – Mai 29, 1996
Miststück,
Teil II
Eine besonders schöne Episode aus der überwiegend tragischen Reihe Die moderne
Sozialdemokratie und die Jugend dreht sich in diesen Tagen um ein Plakat,
das in München und anderswo für den Musik-Fernsehsender MTV geworben hat.
Das Werbebild zeigt eine junge Frau, die mit dem Etikett Miststück versehen
ist. Von einem Werbeverband und einer Fachzeitschrift bekamen die Urheber
dieses sogenannten Aufregers im Nachtcafe einen Deutschen Plakat Grand Prix
verliehen, da dem Ganzen eine gewisse ästhetische Qualität nicht abzuleugnen
und der Erfolg der Werbemaßnahme überwältigend war. Darüber haben wir in zugegebenermaßen
etwas ironischem Tonfall berichtet, weil es doch irgendwie wirklich erstaunlich
ist, wie bestimmte Ausdrücke von einem bestimmten Publikum eben gerade nicht
als Beleidigung, sondern als unmittelbare Symphatieerklärung verstanden werden.
Und nun Spaß beiseite, es wird's ernst. Es kommt die SPD
in Gestalt der Münchner Bundestagsabgeordneten Hanna Wolf,
hört von dem Grand Prix, versteht aber nichts, außer, dass hier mit Miststück
eine junge Frau gemeint ist und das Ganze auch noch einen Preis bekommt. Und
jetzt: Frau Wolf, Stv. Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion
für Frauen und Jugend, übernehmen Sie! - Die Jury wählte auch noch das frauenverachternste
Hasswort aus der Serie aus, weil es angeblich das Lebensgefühl der Jugendlichen
in den 90ern dokumentiert. . . Eine besonders geschmacklose und menschenverachtende
Werbung. . . Ich muss mich in meinem politischen Arbeitsfeld zu viel mit Gewalt
gegen (junge) Frauen und sexuellem Missbrauch befassen, als das ich dieses
Plakat ohne Beklemmungen ansehen könnte. Die Opferrolle wird hier als chic
und trendy hingestellt. . .. Gesellschaftliche Verantwortung der Werbewirtschaft!
Entgleisung! Miststück ein Missgriff! Schäumende Wolf an schamlosen Werberat:
Ich erwarte eine öffentlich begründete Rücknahme dieses Preises. Das sitzt.
Wir erwarten nun ein Machtwort des Oberbürgermeisters und ein sofortiges Abschalten
des Frauenkillers MTV (nicht zu verwechseln mit tvm) aus dem Münchner Kabelnetz,
außerdem die Einrichtung einer Werbe-Zentralredaktion bei der SPD
am Oberanger, die ja gerade erst beim letzten Wahlkampf eindrucksvoll bewiesen
hat, wie witzig und spritzig und vollkommen frei von hintergründiger Botschaft
sie zu arbeiten versteht.
Wird wahrscheinlich aber nichts nutzen. Nur die SPD wird
ihr Ziel erreichen, endlich die erste jugendfreie Partei der Welt zu werden.
Und Frau Wolf wird sich bald ihrer eigentlichen Bestimmung widmen können:
Stv. Sprecherin für Bedenkenträger und andere Berufsbetroffene. Michael Grill
Süddeutsche Zeitung – Juni 17, 1996
Solche
Machos kann sich keine Zeitung leisten!
Zum Bericht Miststück, Teil II von Michael Grill vom 29. 5. 1996:
Wie Männer darüber urteilen, was Frauen als frauenfeindlich empfinden dürfen,
hat - speziell in der Werbung - Tradition (siehe dazu die Spruchpraxis des
Deutschen Werberates).
Dass in o. a. Artikel der Autor Michael Grill in der Arroganz des (vermeintlich)
Stärkeren seine eigene Sichtweise als einzig mögliche (= richtig im Sinne
von normal) darstellt und dabei das Engagement der SPD -Bundestagsabgeordneten
Hanna Wolf in infamer Weise angreift (auch noch in der SZ
tun darf), ist der eigentliche Skandal.
Nur noch soviel zu den unterschiedlichen Sichtweisen: Was an diesem Plakat
prämierungswürdig ästhetisch sein soll, wird mir und anderen Frauen wohl ein
Rätsel bleiben (sexistische Männerphantasien zum Thema Frauenknast! war zum
Beispiel eine Spontanreaktion der von mir Befragten) . . .
Monika Stephan 82061 Neuried
Süddeutsche Zeitung – Juli 1, 1996
Lohnfortzahlung
für Schwangere: Stoiber lehnt Kürzung ab. SPD-Abgeordnete
Wolf: Scheinheiliges Doppelspiel
Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) hat an die Unternehmen
appelliert, Müttern nach der Kindererziehung beim Wiedereinstieg in den Beruf
eine faire Chance zu geben. Zwei Tage vor Inkrafttreten des neuen Gleichstellungsgesetzes
am 1. Juli betonte Stoiber bei einem Familienempfang der Staatsregierung am
Samstag in Kempten, die Arbeit für die Familie müsse neu bewertet werden.
Leistungen, die Frauen vollbringen, wenn sie sich ausschließlich für die Familie
entscheiden oder aber für Familie und Beruf, seien gleichwertig.
Mit Blick auf das am Freitag vom Bundestag weitgehend verabschiedete Bonner
Sparpaket sagte der Ministerpräsident, schwangere Frauen müssten von Kürzungen
bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ausgenommen werden. Die SPD-Bundestagsabgeordnete
Hanna Wolf kommentierte die Äußerung Stoibers mit den Worten,
wenn es um Schwangere gehe, dann sei die CSU an doppelzüngiger Scheinheiligkeit
nicht zu überbieten. Die SPD-Sprecherin für Familien und
Frauenfragen wies darauf hin, dass ein Antrag auf ungekürzte Lohnfortzahlung
für Schwangere im Krankheitsfall mit den Stimmen der CSU im Bundestag abgelehnt
worden sei. Hätten nur einige CSU-Abgeordnete im Bundestag mit der Opposition
gestimmt, dann hätte der Antrag die nötige Mehrheit gefunden, sagte Hanna
Wolf. Die CSU trage den Schutz des ungeborenen Lebens vor sich her,
verweigere ihn aber im konkreten Fall. Das sei ein scheinheiliges Doppelspiel.
Süddeutsche Zeitung – Oktober 16, 1996
Reformwerk
auf der Kippe. Scheitert Gesetz über Vergewaltigung in der Ehe am Verfahren?
Seit 20 Jahren wurde im Bundestag darüber gestritten, ob Vergewaltigung in
der Ehe strafbar sein soll. In der vorigen Woche wurde endlich ein entsprechendes
Gesetz verabschiedet. Doch nun droht die Fortsetzung des Streits, denn im
Bundestag hat es eine kleine Gruppe von Gegnern der Strafrechtsreform in der
Hand, das ganze Werk zu kippen. Dies ist Folge einer komplizierten politischen
Konstellation, in die sich das Parlament selbst gebracht hat. Am vergangenen
Donnerstag war im Bundestag der Versuch der Opposition und mehrerer FDP-Politiker
gescheitert, die sogenannte Widerspruchsklausel aus dem Gesetz zu kippen.
Die Klausel, von der die Union nicht lassen will, soll es Frauen erlauben,
ein Verfahren gegen ihren Ehemann auch wieder zu stoppen. Nun hat der Bundesrat
die Möglichkeit, gegen das gesamte Gesetz noch einmal Einspruch einzulegen.
Darüber entscheidet das Ländergremium am Freitag. Der Einspruch ist wahrscheinlich,
weil die Mehrheit der SPD-geführten Länder das Gesetz (mit
der Klausel) nicht akzeptieren will. In öffentlichen Äußerungen hat sich die
SPD bereits festgelegt, und auch die Koordinierungsgruppe
der SPD -Länder hat sich darauf weitgehend verständigt.
Der Einspruch könnte vom Bundestag nur mit Kanzlermehrheit zurückgewiesen
werden. Doch damit schlägt die Stunde der Gegner der gesamten Reform. Der
Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion Joachim Hörster hat am Dienstag bereits
darauf hingewiesen, dass es in der Union auch Abgeordnete gebe, die dem Gesetz
grundsätzlich skeptisch gegenüberstünden. Die SPD-Länder
sollten sich ihren Einspruch daher genau überlegen. Kommt es nämlich nicht
zur Kanzlermehrheit, ist das Gesetz gescheitert. Es bliebe beim alten Paragraphen
177.
Die Überlegungen in der Union gehen aber offenbar weiter. Für ein Gesetz zum
Sexualstrafrecht die Kanzlermehrheit zu bemühen, empfinden manche Unionsabgeordnete
als peinlich. So könnte der Einspruch des Bundesrats erst einmal nicht auf
die Tagesordnung des Bundestags gesetzt werden. Für die Behandlung von Einsprüchen
gibt es keine Fristen. Solange aber der Einspruch im Raum steht, gibt es auch
kein neues Gesetz. In der Zwischenzeit lässt sich Druck auf die FDP ausüben.
Nur fünf Stimmen entscheiden über die Kanzlermehrheit. Sechs Abgeordnete der
FDP verweigerten sich in der vergangenen Woche beim Streit um die Widerspruchsklausel
der Koalitionsdisziplin. Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
eine der Dissidentinnen, will sich jetzt noch nicht festlegen, wie sie sich
bei der entscheidenden Abstimmung verhalten wird. Das ist eine Zwickmühle,
sagt sie. Einen Ausweg weiß sie noch nicht.
Die SPD-Fraktion hat sich schon auf jeden möglichen Ausgang
des Streits eingerichtet. Dabei schreckt die Genossinnen auch eine Fortsetzung
der 20jährigen Debatte nicht. Bringt die Koalition keine Mehrheit gegen den
Einspruch des Bundesrats zustande, will die SPD einen neuen
Gesetzentwurf einbringen - dann wieder ohne Widerspruchsklausel. Hanna
Wolf (SPD) wirft der Union ein durchsichtiges Spiel vor. Die Drohung
an die FDP-Frauen laute: Kehrt ihr nicht in die Reihen zurück, dann machen
unsere Männer das Gesetz kaputt.
Horst Eylmann (CDU), einer der langjährigen Verfechter der Reform, ist über
das Verfahren äußerst betrübt. Der Bundesrat sollte den Streit nicht auf die
Spitze treiben, bittet er schon fast. Sein Vorschlag: Lassen wir das Gesetz
doch laufen und überprüfen es in zwei, drei Jahren. Christiane Schlötzer-Scotland
"Problemlos
Männer zusammenfalten"
Per Hinrichs
Bei der Bundeswehr sind die Frauen auf dem Vormarsch. Die einen wollen dienen,
weil sie keine Arbeit haben. Die anderen, weil sie gern Rekruten anschnauzen.
Kämpfen dürfen die Soldatinnen nicht. Aus List Per Hinrichs
Heute morgen hätte sie wieder alles hinschmeißen können. Einfach die Sachen
zusammenpacken, nach Westerland fahren und auf den nächsten Zug nach Wilhelmshaven
warten. Der Marsch war hart, am Ende saß Matrose Andrea Onnen wie ein Häufchen
Elend am Boden, wollte nicht mehr weiterlaufen und heulte. "Da hat mich
meine Ausbilderin richtig angeschrieen - und damit wieder aufgebaut. Das habe
ich eben gebraucht", erzählt sie achselzuckend. Motivation durch Anbrüllen?
"Der Ton ist eben rau bei der Marine." Matrose Andrea Onnen steht
ihre Frau. Beim Bund.
Bedenken gegen den Dienst an der Waffe sind kein Thema für die einundzwanzigjährige.
Geht es ihr jetzt nicht wieder gut? Hat sie das kleine Tief nicht prima überstanden
und kann mit ihrer Ausbilderin Tanja Köppen darüber lachen? Schließlich wusste
die junge Frau, was die vierjährige Verpflichtung bei der Bundeswehr als Sanitätssoldatin
bedeutet. Astrid Albrecht-Heide, Expertin für Frauen im Militär und Professorin
für Sozialisationsforschung an der Technischen Universität Berlin, findet
drastische Worte für eine solche Entscheidung: die Soldatin wird "Teil
einer Maschine und muss ihre Subjektivität und Individualität opfern".
Mit dem Alltag von Matrose Onnen hat das wenig zu tun. Sie lernt marschieren.
Auf der Insel Sylt, die angeblich "bei jedem Wetter schön ist",
wie es in den Immobilienanzeigen der großen Tageszeitungen zu lesen steht.
Heute allerdings müssen sich selbst hartgesottene Nordsee-Fans warm anziehen.
Ein lausig kalter Wind bläst um die reetgedeckten Häuser, grau in grau liegen
die Dünenketten über dem verlassenen Strand. Die Marine hat sich auf den nördlichsten
Zipfel der Insel verzogen, nach List, weitab von Whisky-Meile und Westerland-Schickeria.
Den letzten Sturm habe man gut überstanden, berichtet der Kommandeur der "Marineversorgungsschule",
Kapitän zur See Roland Koser: "Wenn man bei uns die Fenster auch nur
einen Spalt breit offen lässt, fliegen sie gleich aus dem Rahmen." Im
übrigen könne er nicht verstehen, was an Frauen in Uniform so interessant
sei. "Das ist doch was ganz Normales."
Stimmt nicht ganz. 3.100 Frauen beschäftigt die Bundeswehr - in Militärmusikkorps
oder Sanitätseinheiten. Ihr Anteil an der Gesamtarmee beträgt bisher nur etwa
zwei Prozent, doch die Tendenz ist steigend: 73 Prozent der Einstellungsanträge
für die mittlere Laufbahn kommen von Frauen. Seit 1991 können sie die Unteroffizierslaufbahn
in nicht-kämpfenden Einheiten einschlagen. Auch das Medizinstudium steht Bewerberinnen
offen. Sie müssen sich für mindestens fünfzehn Jahre verpflichten und Offizierslehrgänge
belegen.
Die militärische Karriere interessiert Frauen bisher kaum. Und diejenigen,
die bei der Truppe anheuern, haben nur selten die Landesverteidigung im Sinn.
"Das gute Gehalt" war für Stabsunteroffizier Sabine Kraack der wichtigste
Grund, in die Kaserne einzurücken: "Als Hotelfachfrau habe ich zuviel
gearbeitet und zuwenig verdient. Das ist jetzt anders."
Tanja Köppen kommt richtig ins Schwärmen, wenn sie nach der Motivation für
ihren Dienst als Wehrausbilderin gefragt wird. "Die Kameradschaft ist
toll bei der Bundeswehr. Der Zusammenhalt ist so stark wie in einer Familie",
sagt sie. "Man fühlt so etwas wie Geborgenheit. Auch wenn ich manchmal
hart zu den Rekruten sein muss." Männer, weiß Unteroffizier Köppen -
weibliche Dienstgrade gibt es nicht - Männer sind für sie häufig "Weicheier,
die Respekt vor mir haben müssen".
Manchmal dauert es ein bisschen, bis die Jungs sich einer Frau unterordnen.
Doch nach ein paar Wochen, wenn die Rekruten kapiert haben, dass sie Tanja
Köppen gehorchen müssen wie jedem anderen Vorgesetzten, heult sich schon mal
einer in ihrem Büro aus, weil ihm die Freundin weggelaufen ist. "Das
gehört eben auch zu meiner Arbeit. Aber es ist manchmal sehr schwer, diesen
Spagat auszuhalten: einerseits eine autoritäre Vorgesetzte zu sein, andererseits
die Kummerkastentante."
Ihre Kollegin Beate Binger sieht die Sache mit dem Bund deutlich nüchterner.
Die Stralsunderin hat gleich drei Freundinnen, die zur Bundeswehr gegangen
sind. Nicht aus Idealismus. "Was soll man bei uns sonst machen? Arbeit
gibt's ja kaum." Wirtschaftliche Perspektivlosigkeit lässt militärische
Strukturen attraktiv erscheinen: Das Prinzip Befehl und Gehorsam schaffe Klarheit,
sagt Tanja Köppen - über die Geschlechtergrenzen hinweg. "Ich kann hier
problemlos Männer zusammenfalten, wo geht das sonst?"
Die Männer haben allerdings immer weniger Lust, sich zusammenfalten zu lassen.
Im Golfkriegsjahr 1991 lehnten 151.000 Wehrpflichtige den Dienst mit der Waffe
aus Gewissensgründen ab, das war bis dato ein Rekord. Seither ging die Zahl
der Verweigerer langsam zurück. Doch 1995 schnellte sie wieder nach oben:
160.000 entschieden sich für den Zivildienst. Auf der Bonner Hardthöhe wurde
der Knick in der Statistik abgewiegelt. Es seien, so das Verteidigungsministerium,
1995 "besonders viele Männer gemustert worden und daher auch verstärkt
Anträge auf Kriegsdienstverweigerung gestellt worden". Warum jeder dritte
junge Mann der Bundeswehr den Rücken kehrt, könne man sich nicht erklären.
"Wir betreiben keine Motivforschung."
Die jungen Soldatinnen, die über die Insel Sylt marschieren, verstehen nicht,
warum die "große Familie" (Köppen) im privaten Umfeld auf Ablehnung
stößt. Sie freuen sich darüber, dass es in der Armee keine Extras für sie
gibt: Frauen tragen die gleichen Kampfanzüge, müssen die gleichen Strecken
laufen, das gleiche Pensum erfüllen wie ihre männlichen Kollegen. "Sie
werden Teil einer Mega-Männlichkeitsmaschine", nennt Soldatinnen-Expertin
Astrid Albrecht-Heide die Metamorphose.
Persönliche Veränderungen bleiben da nicht aus. In der Lister Kaserne hat
sich eine Soldatin die Haare wie ein GI aus einem Vietnam-Film abrasiert.
Und abends, beim Würfelspiel im Unteroffiziersheim, hören sich die mitspielenden
Frauen die Zoten ihrer Kameraden an - und lachen lauthals mit. "Das kann
ich ab, das finde ich doch auch witzig", sagt Sabine Kraack. Und verschweigt
nicht, dass sich ihr Mann erst damit abfinden musste, dass sie mit einem Haufen
Männer zusammenlebt und sinnstiftende Soldatenparolen wie "Bei uns ist
es hart, aber herzlich" verinnerlicht.
Ob die wohl helfen, wenn es mal nicht so gut läuft? "Zwei Beziehungen
habe ich in meiner Bundeswehrzeit aufzubauen versucht", erzählt Tanja
Köppen, "aber es ist immer danebengegangen. Die haben nicht verstanden,
warum ich das hier mache." Eine Soldatin als Freundin - mit der Vorstellung
können manche Männer offenbar wenig anfangen.
Und nicht nur die. Wenn Unteroffizier Köppen am Wochenende ins heimische Flensburg
fährt, dann trifft sie inzwischen "völlig andere Leute als noch vor zwei
Jahren. Die alten Freundinnen sind alle weg, seit ich beim Bund bin."
Die Gründe dafür sucht sie bei den anderen: "Die kommen damit eben nicht
klar."
Die Imageprobleme der Bundeswehr sind nicht neu. Dass die Truppe nun auch
als Auffangbecken für Frauen gilt, die im zivilen Berufsleben gescheitert
sind, hören die Militärs nicht gern. Sie loben "unsere Soldatinnen",
berichten vom "anderen Ton" in den Kasernen, wo Damen dienen. "Freundlicher
und gesitteter" gehe es nun zu. Die Rekrutinnen seien "leistungsbereiter"
und "anpassungsfähiger" als viele männliche Soldaten. Auch das Bundesverteidigungsministerium
zeigt sich begeistert: "Das läuft sehr gut. Wir stellen Frauen gerne
ein."
Was nach Gleichberechtigung klingt, hat einen ganz pragmatischen Grund: "Wir
brauchen sie, denn wir haben zuwenig Bewerber", gibt das Verteidigungsministerium
zu. Was man Frauen bei der Bundeswehr bieten kann, ist allerdings bescheiden.
Hochrangige Führungspositionen bleiben ihnen bisher verwehrt. Lediglich bei
der Luftwaffe dient eine Ärztin im Generalsrang. Und dass Soldatinnen bei
der Truppe mehr dürfen als in der Musikkapelle oder im Sanitätskorps zu marschieren,
verhindert Artikel 12 a des Grundgesetzes. Der schließt Frauen explizit vom
"Kriegsdienst an der Waffe" aus. In einer Begründung des Rechtsausschusses
des Bundestages aus dem Jahre 1948 heißt es, dies sei mit der "natürlichen
Bestimmung der Frau nicht zu vereinbaren".
Was auch immer die "natürliche Bestimmung der Frau" sein mag: Die
Meinungen über eine weibliche Wehrpflicht gehen weit auseinander. Aus verschiedensten
Parteien melden sich Stimmen, die sich für eine weitergehende Beschäftigung
von Frauen bis zum Waffendienst einsetzen. Allen voran forderte Emma-Chefin
Alice Schwarzer 1984 die Öffnung der Kasernen für Frauen. Sie lehnt die Bundeswehr
zwar als Institution ab, möchte Frauen aber auch dort nicht diskriminiert
wissen - und plädiert für deren Einsatz in Panzern und Düsenjägern.
Auch bei den Grünen ist das Tabu von Frauen in der Bundeswehr aufgebrochen.
Rita Grieshaber, Mitglied der Bundestagsfraktion, könnte sich eine weitere
Öffnung der Armee vorstellen. Und Günther Nolting (FDP) spricht seit Jahren
vom "letzten Berufsverbot für Frauen", das er gerne kippen würde.
Die SPD dagegen lehnt jedes Engagement von Frauen in der
Bundeswehr kategorisch ab. "Der falsche Ort der Emanzipation", sagt
Hanna Wolf, die frauenpolitische Sprecherin der Fraktion.
Die Sylter Soldatinnen stört das nicht weiter. Abends, lange nach Dienstschluss,
brennt in Stube 10 noch Licht. Beate Binger brütet im Schein einer Nachttischlampe
über ihren Lehrbüchern. Der Resopaltisch in der Mitte des Raumes ist mit Büchern
und Blättern übersät. "Helfen" möchte sie bei der Bundeswehr, "am
liebsten in Bosnien". Neben die Unterlagen hat sie ein Bild von ihrem
Freund gestellt. "Jetzt, wo ich hier bin, sehen wir uns natürlich nicht
so oft", sagt die Zwanzigjährige. "Aber er steht voll zu dem, was
ich hier mache."
Wenn Beate Binger ihren Unteroffizierslehrgang hinter sich gebracht hat, will
sie sich überlegen, ob sie sich weiterverpflichtet. "Es gefällt mir schon
sehr gut." Das war nicht immer so im Berufsleben: Eine angefangene Friseurlehre
hat sie nicht beendet, die Schule für Wirtschaft und Verwaltung abgebrochen.
Gefragt, was sie denn gemacht hätte, wenn die Bundeswehr sie nicht genommen
hätte, zögert sie mit der Antwort. Dann schaut sie auf und sagt: "Ich
habe keine Ahnung."
Süddeutsche Zeitung – März 19, 1997
Ingrid
Anker will in den Bundestag - Vorentscheidung gefallen
Lange ist sie mit der Frage schwanger gegangen, doch nun hat sich die Münchner
SPD-Vorsitzende Ingrid Anker fest entschlossen, die Glotz-Nachfolge
im Münchner Norden anzutreten und 1998 für den Bundestag zu kandidieren. 'Der
Ruf von der Basis ist nicht zu überhören gewesen. Ich bin von meinem Ortsverein
und Harthof-Hasenbergl aufgefordert worden', erklärte die SPD-Stadträtin
gestern gegenüber der SZ. Sie habe so lange gezögert, da sie erst neu in den
Stadtrat gewählt worden sei. Doch nun sei sie für den Sprung nach Bonn bereit.
Festen Willens scheint sie auch zu sein, den Wahlkampf gegen den CSU-Kandidaten
Johannes Singhammer erfolgreich zu meistern: 'Eine Person, die mehr in dem
Wahlkreis verankert ist als Glotz, kann auch mehr Punkte machen.' Und das
würde schon reichen, denn Glotz sei Singhammer nur knapp unterlegen gewesen.
Darüber hinaus schloss Anker nicht aus, auch andere Möglichkeiten zu nutzen,
um sich den Platz im Berliner Parlament zu sichern. 'Ich denke, wenn man ein
Mandat holen will, ist es normal, sich um einen Listenplatz zu kümmern.' Die
Frage wäre jedoch, wer stattdessen darauf verzichtet. Für den Bundestag hat
die Münchner SPD nur drei sichere Listenplätze zu vergeben,
die bereits bei Fritz Schösser, Ulrike Mascher und Hanna Wolf
in festen Händen sein dürften.
Bevor es jedoch um diese Detailfragen geht, muss sich die SPD-Chefin
erst einmal ihrem Mitkonkurrenten Axel Berg stellen. Am 14. Juli versammeln
sich die Wahlkreisdelegierten zur Aufstellungskonferenz. Siegesbewusst gibt
sich Anker in der Frage, wer die besseren Chancen hat, da ihr mittlerweile
auch die Parteiführung im Münchner Norden ihr Wohlwollen bekundet habe. burt
Süddeutsche Zeitung – März 27, 1997
Baugebiete
unter die Lupe genommen
Von Gabi Vögele
Eigentlich wollten die Mandatsträgerinnen der SPD im Münchner
Westen die künftigen Baugebiete, gegen die die Initiative 'Wir lassen uns
die Zukunft nicht verbauen' mit Hilfe eines Bürgerentscheids vorgehen will,
nur einmal unter die Lupe nehmen. Als fachkundige Führerin hatten die Bundestagsabgeordnete
Hanna Wolf, die Landtagsabgeordnete Anne Hirschmann und Stadträtin
Heidemarie Köstler zu ihrer Ortsbesichtigung die Stadtbaurätin Christiane
Thalgott eingeladen. Aus dem Ortstermin der Genossinnen wurde dann aber unversehens
doch wieder ein Streitgespräch zwischen der städtischen Planungschefin und
ihren Kritikern von der Aubinger Bürgerinitiative .
Die Gegner der geplanten Bebauung hatten es sich nämlich nicht nehmen lassen,
dem Besichtigungstross der SPD vor Ort zu folgen und jeweils
ihre Meinung zu den einzelnen Bauprojekten kundzutun. Als Thalgott etwa die
Baupläne für die vorgesehenen 100 Wohnungen an der Wasserturmwiese in Neuaubing
vorstellte, warf Joachim Krämer von der Bürgerinitiative ein: 'Diese brutale
Bebauung passt absolut nicht in die Umgebung.' Dreimal so dicht wie auf den
umliegenden Einfamilienhaus-Grundstücken wolle die Stadt dort bauen, kritisierte
er. Auf diese Dichte komme man jedoch nur, erwiderte Thalgott, wenn man die
dazugehörigen Grünflächen nicht mit in die Berechnung einbeziehe. 'Und die
machen immerhin etwa zwei Fünftel der gesamten Fläche aus.' Auch den Vorwurf,
die Stadt habe auf ihren ursprünglichen Entwurf, der 65 Wohnungen auf dem
Gelände vorsah, nachträglich noch einmal kräftig draufgesattelt, relativierte
Thalgott. Zwar habe sich die Zahl der Wohnungen in der Tat von 65 auf 100
erhöht, 'aber nur weil wir dem Bedarf entsprechend kleinere Wohnungen eingeplant
haben.' Am Bauvolumen habe sich durch diese Umplanung nichts geändert.
Auch auf dem künftigen Baugebiet in Freiham, wo nach den Plänen der Stadt
in den nächsten 15 Jahren knapp 10 000 neue Wohnungen entstehen sollen, tauschten
vor allem Thalgott und Krämer heftig ihre Argumente aus. Krämer: 'Erst die
Infrastruktur, dann erst neue Wohnungen!' Thalgott: 'Ohne eine entsprechende
Bebauung gibt es keine Läden, keine Schulen, keinen S- Bahnanschluss.' In
Lochhausen schließlich, wo die Stadt auf dem Manzinger-Gelände rund 1000 neue
Wohnungen bauen will, noch mal dasselbe Spiel. Krämer: 'Erst die Infrastruktur,
dann Wohnbebauung!' Thalgott: 'Beides muss zur gleichen Zeit kommen.'
Die SPD-Politikerinnen, die den Ortstermin mit der Stadtbaurätin
eigentlich vereinbart hatten, zeigten sich von dem massiven Auftreten der
Baugegner bei der abschließenden Diskussionsrunde dann doch einigermaßen genervt.
Hier werde zum großen Teil aus egoistischen Motiven massiv gegen den Wohnungsbau
Front gemacht, vermutete etwa Stadträtin Heidemarie Köstler. 'Schließlich
ist Krämer Immobilienmakler, ihm ist also an hohen Wohnungsmieten gelegen.'
Und die Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf bereute öffentlich
ihr früheres Eintreten für den Bürgerentscheid in der jetzigen Form. 'Inzwischen
sehe ich das anders', betonte sie.
Thalgott gab sich jedoch erneut selbstkritisch. Die Stadt habe es versäumt,
ausführlich über die Wohnungsbauprojekte zu informieren . So hätte man aus
ihrer Sicht etwa deutlicher darauf hinweisen müssen, dass die geplanten 10
000 Wohnungen in Freiham in drei auf insgesamt 15 Jahre verteilten Bauabschnitten
errichtet würden. 'Genau diese gestaffelte Bebauung wünschen sich ja viele,
die jetzt das Bürgerbegehren unterstützen', glaubt sie. Bis zur Abstimmung
am 27. April will Thalgott daher noch eine Informationsoffensive starten.
Unter anderem ist am 9. April um 19 Uhr eine Diskussionsveranstaltung zum
Thema mit OB Christian Ude im 'Wienerwald' an der Limesstrasse 63 angesetzt.
In den Räumen des Planungsreferats will Thalgott zudem eine Ausstellung mit
detaillierten Plänen für die drei Baugebiete in Freiham, Lochhausen und Neuaubing
organisieren. Der Termin dafür steht aber noch nicht fest.
Süddeutsche Zeitung – Mai 22, 1997
Konzentration
und Kontrolle ist alles
Die Frauen der Sektion München West-Land: 'Flintenweiber'
Von Gabi Fischer
Im Schiessstand herrscht absolute Stille. Konzentriert und angespannt stehen
die Frauen an ihrem Platz, die Luftgewehre angelegt. In unregelmäßigen Abständen
durchbrechen Schüsse das Schweigen in dem niedrigen, holzvertäfelten Raum.
Surrend fahren die Schiessscheiben anschließend an den Schnüren zurück zur
Schützin. Sie zieht ihren schwarzen Handschuh aus und prüft mit kritischem
Blick das Resultat. Hat sie ins Schwarze getroffen? Verärgert schüttelt sie
den Kopf und bereitet sich auf den nächsten Schuss vor.
Die Frauen in dem Schiessstand feuern nicht auf Holzscheiben, sondern auf
Ziele, die auf Papierstreifen aufgedruckt und in zehn Metern Entfernung aufgehängt
sind. Natürlich wollen alle bei 40 Versuchen möglichst oft ins Schwarze treffen.
An diesem Tag messen 52 Frauen aus dem Westen Münchens und dem westlichen
Landkreis ihre Schiesskünste beim Damenpokalschiessen. Mittlerweile kennen
sich alle. Die Namen auf der Teilnehmerinnenliste lassen auf die Motivation
schließen, die die Schützinnen das erste Mal das Gewehr in die Hand nehmen
ließ: Ein Familienmitglied hat angefangen zu schießen und die anderen zogen
nach. So kommt es nicht selten vor, dass Mutter und Tochter gemeinsam am Schiessstand
stehen. Natürlich entwickelt sich dabei ein Konkurrenzverhältnis zwischen
den Familienmitgliedern, vor allem zwischen Ehepaaren. 'Mein Mann hat aufgehört,
mit dem Luftgewehr zu schießen, als er merkte, dass ich besser war als er',
erinnert sich Elisabeth Stiffel. Er hat die Disziplin gewechselt und schießt
jetzt mit der Luftpistole. Andere Männer haben ganz aufgehört.
Nicht selten müssen sich die Frauen den diskriminierenden Vorwurf anhören,
sie seien 'Flintenweiber' . Obwohl mittlerweile sehr viele Frauen schießen,
hat sich dieses Bild 'Frauen und Gewehre passen nicht zusammen' gehalten.
'Im Schiesssport geht es nicht darum, schießen zu lernen, um sich möglicherweise
gegen andere tätlich zur Wehr zu setzen', erklärt Elisabeth Stiffel. 'Der
Reiz des Schiessens liegt in der Konzentration, die man aufbringen muss, um
einen guten Schuss zu machen.'
Die Frauen sehen einen engen Zusammenhang zwischen dem Schiesssport und ihrem
Alltag. Die Fähigkeit, sich zu konzentrieren und unter Kontrolle zu haben,
helfe ihnen beispielsweise auch im Beruf. Einige gehen sogar so weit, dass
sie die Leistung im Schiessen damit in Verbindung bringen, wie die Frauen
ihr Leben anpacken. 'Bei uns im Verein sind zahlreiche selbständige Frauen,
Jungunternehmerinnen, die in ihrem Beruf viel leisten müssen, aber - oder
vielleicht gerade deshalb - auch zu den besten Schützinnen im Verein gehören',
erzählt Helga Dauerer, die 1. Damenleiterin der Sektion München West-Land.
Wobei sie hinzufügt, dass es möglicherweise auch am Ehrgeiz dieser Frauen
liegen könne, sowohl beruflich als auch im Sport erfolgreich zu sein.
Sei es Ehrgeiz oder Talent - was jede Frau braucht, ist Zeit zum Üben. Monika
Gruschke hat das am eigenen Leib erfahren. Die Verkäuferin muss aufgrund der
neuen Ladenöffnungszeiten jetzt öfters länger arbeiten und kann deswegen nicht
mehr regelmäßig trainieren. 'Ich habe das heute gemerkt, ich komme an meine
früheren Leistungen nicht mehr heran', folgert sie.
Die Frauen schießen bei Wettkämpfen unter den gleichen Bedingungen und mit
den gleichen Waffen wie Männer. Sie haben die Wahl zwischen Luftgewehr, Luftpistole
oder dem sogenannten Zimmerstutzen. Sie schießen, außer beim Pokalschiessen,
in der Mannschaft im Stehen oder im Drei-Stellungs-Kampf, das heißt stehend,
liegend und kniend. Bei den Wettkämpfen, aber auch beim Training wird streng
auf die Sicherheitsvorschriften geachtet, da mit der Munition auch Menschen
verletzt werden können. So darf der Lauf des Gewehrs beim Laden nur nach vorne
in Richtung Schiessscheibe zielen, niemals auf die benachbarte Schützin. Wenn
man den Schiessstand verlässt, muss die Waffe gesichert sein, um niemand anderen
zu gefährden. Die Einhaltung dieser Vorschriften wird von einem Aufseher hinter
dem Schiessstand kontrolliert, und wer sich nicht daran hält, wird sofort
disqualifiziert.
Bei diesem Pokalschiessen ist das nicht vorgekommen. Am Nachmittag packen
die letzten Schützinnen ihre Gewehre in die Taschen und warten auf die Siegerehrung.
Mag manch eine sich auch ärgern, wenn sie sich in der Rangliste nicht so weit
nach vorne geschossen hat, materiell hat sie dadurch keinen Nachteil. Für
alle Schützinnen sind von Sponsoren und Politikern Preise an Land gezogen
worden. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf
wunderte sich allerdings schon ein wenig, als die Reise nach Bonn, die sie
als ersten Preis gestiftet hatte, verlost wurde. Der Grund: Die Gewinnerin
des Pokalschiessens ist schon seit längerer Zeit immer die gleiche.
Wer sich für Damenschiesssport interessiert, kann sich an Helga Dauerer (Telephon:
83 32 63) wenden. Schützengemeinschaften oder -vereine gibt es unter anderem
in Aubing, Neuaubing, Pasing, Lochhausen und Langwied.
Süddeutsche Zeitung – Mai 22, 1997
Zwei
Kandidatinnen liegen sich in den Haaren
Streit in der SPD: Wer bekommt das sichere Ticket in den
Bundestag?
Die Münchner Parteichefin Ingrid Anker und die Abgeordnete Hanna Wolf
feilschen um einen sicheren Listenplatz
Ende November wird die SPD Oberbayern die Kandidaten für
die Bundestagswahl 1998 nominieren und damit die Reihung auf der Liste festlegen;
tatsächlich abgesichert sind die Bewerber um ein Bundestagsmandat jedoch erst
dann, wenn die Landes-SPD auf ihrer Vertreterversammlung
am 13. Dezember ihren Segen gibt. Doch schon jetzt gibt es Zank um die sicheren
Plätze in der Landeshauptstadt. In den Haaren liegen sich noch dazu in der
Partei, die erstmals die Quote einführte, zwei Frauen: die Bundestagsabgeordnete
Hanna Wolf und die Münchner SPD-Chefin Ingrid
Anker. Beide nämlich haben ihren Anspruch auf den sicheren Listenplatz drei
signalisiert.
Regel in der Münchner SPD war bisher, dass es nur drei Kandidaten
gelingt, über die Liste in den Bundestag zu kommen. Bei der letzten Wahl,
1994, waren Peter Glotz (im Norden), Hanna Wolf (im Westen)
und Ulrike Mascher (Stadtmitte) entsprechend gut positioniert. Mascher hätte
den sicheren Platz rückblickend nicht gebraucht: Sie stach ihren CSU-Kontrahenten
Johnny Klein aus und ergatterte das Direktmandat.
Als gefeierte Siegerin bei der letzten Bundestagswahl soll Mascher nun auch
bei der kommenden Bundestagswahl mit einem sicheren Listenplatz in München-Mitte
belohnt werden. Unangefochten ist in dieser Hinsicht ebenso der bayerische
DGB-Vorsitzende und SPD-Landtagsabgeordnete Fritz Schösser,
der seine Kandidatur im Münchner Osten bereits bekannt gegeben hat.
Die Abgeordnete Hanna Wolf wäre nach dem Reißverschlussverfahren
bei der Listennominierung - eine Frau/ein Mann - die dritte im Bunde. Dann
müsste wiederum ein Mann folgen: Im Zuge der Verjüngungskur, die sich die
Partei derzeit verpasst, wird für den vierten Platz ein Juso favorisiert;
und will man Gerüchten Glauben schenken, läuft alles auf den Münchner Juso-Vorsitzenden
Christoph Moosbauer zu, der dann im Süden kandidieren würde.
SPD-Chefin Anker, die im März verkündete, die Glotz-Nachfolge
im Münchner Norden anzutreten, müsste sich demnach mit dem fünften Listenplatz
begnügen; doch das will sie nicht. So hat sie nicht nur gegenüber der SZ betont,
sich um einen guten Listenplatz kümmern zu wollen. Wie aus Parteikreisen verlautet,
soll sie bei Aufstellungsrunden im Wahlkreis München-Nord angekündigt haben,
dass sie auf Listenplatz drei antreten werde; gestern war Anker auf erneute
Anfrage der SZ hin nicht zu erreichen. Allerdings verbreiteten Parteigenossen,
dass die SPD-Chefin bei einem Gespräch mit den Mandatsträgern
des Münchner Nordens, am 13. März, diese Absicht auch gegenüber OB Christian
Ude bekundet haben soll.
Nun ist Hanna Wolf darüber verärgert, dass ihr eine Frau
den sicheren Listenplatz streitig machen will, die sie als Vorsitzende der
Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen einst mit auf den Chefsessel
der SPD München gehievt habe: 'Ich empfinde das als unnötige
Konkurrenzsituation. Ankers Verhalten beschädigt die Frauenpolitik', sagte
die stellvertretende Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion
für Frauen.
Süddeutsche Zeitung – Mai 30, 1997
Noch
eine Redeschlacht um Abtreibungsrecht?
Nach Verhandlung in Karlsruhe bahnt sich eine Änderung des 'Schwangerenhilfeergänzungsgesetzes'
an:
Lücken in der flächendeckenden Versorgung mit geeigneten Kliniken erfordern
vermutlich Übergangsregeln
Karlsruhe/München - Der bayerische Landtag muss sich möglicherweise wie im
Vorjahr noch vor der Sommerpause intensiv mit dem Abtreibungsrecht befassen.
Die Staatsregierung müsste nach ihren Quasi-Zusagen vor dem Bundesverfassungsgericht
in Karlsruhe auch im Fall eines vorläufigen Obsiegens auf eine sofortige Korrektur
des 'Schwangerenhilfeergänzungsgesetzes' drängen und insbesondere stufenweise
Übergangsregelungen zugunsten der beiden 'Abtreibungsärzte' Friedrich Stapf
(München) und Andreas Freudemann (Nürnberg) herbeiführen. Das ergibt sich
aus dem Prozessverlauf (wir berichteten) und den detailliert vorgetragenen
'Erwägungen' des bayerischen Prozessbevollmächtigten, Professor Peter Lerche
(München), am Dienstagabend unmittelbar vor dem Ende der mündlichen Verhandlung
über die Anträge der beiden Mediziner auf einstweilige Anordnungen gegen das
bayerische Sonderrecht. Deren Praxen müssten bei Inkrafttreten des Gesetzes
am 1. Juli schließen.
ÜBERRASCHENDE WENDUNG
Für den Fall, dass sich daraus Lücken in der flächendeckenden Versorgung mit
Abtreibungseinrichtungen ergeben, hatte Arbeits- und Sozialministerin Barbara
Stamm (CSU) in Karlsruhe zunächst mehrmals 'Maßnahmen des Ministerrats' zugesagt.
Offenbar nach einer Besprechung in der letzten Verhandlungspause konkretisierte
Lerche in seinem Schlusswort überraschend diese 'Maßnahmen'. Die zentrale
Regelung des Gesetzes, nach der Gynäkologen maximal 25 Prozent ihrer Einnahmen
aus Schwangerschaftseinbrüchen erzielen dürfen, stand urplötzlich zur Disposition.
Lerche hielt es nun für 'vorstellbar', dass die 25-Prozent-Regel 1997 gar
nicht angewandt werde, 1998 'eventuell' bei 75 Prozent und 1999 bei 50 Prozent
liege. Die Überleitungsregeln könnten als Initiative der Staatsregierung in
den Landtag kommen, für den dessen Prozessvertreter Thomas Kreuzer (CSU) in
Karlsruhe zusicherte: 'Im Fall des Falles ginge es in relativ kurzer Zeit'.
Die Grünen-Landeschefin Ruth Paulig wertete die Ankündigung der Staatsregierung
als 'Rückzug in Raten' und als Eingeständnis von Fehlern. Die frauenpolitische
Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Monica Lochner- Fischer,
warf der Regierung eine 'Verweigerungs- und Verschleierungspolitik' in Karlsruhe
vor.
Die Staatsregierung, die schon vorher mit einer Entschädigungszusage an die
beiden Ärzte überrascht hatte, könnte sich mit der Darlegung der Übergangslösung
mit knapper Not vor einem Gesetzes-Stop gerettet haben. Nach furiosem Auftakt
mit teilweise feindseligen Fragen von zwei Verfassungsrichterinnen an die
zwei Mediziner hatte sich nämlich am Nachmittag das Blatt gewendet. Spätestens
während der geradezu quälenden Befragung der Ministerin Stamm zum 'Sicherstellungsauftrag'
der Staatsregierung für eine flächendeckende Versorgung mit Einrichtungen
zum Schwangerschaftsabbruch schien der Prozess schnurgerade auf eine einstweilige
Anordnung hinauszulaufen.
BUNDESRECHT IN FRAGE GESTELLT
Mit der Schließung der beiden auf Schwangerschaftsabbrüche spezialisierten
Praxen, die derzeit weit mehr als die Hälfte der jährlichen Abtreibungen in
Bayern vornehmen, wäre nämlich offenkundig die bundesrechtlich vorgeschriebene
Versorgung mit geeigneten Einrichtungen nicht mehr garantiert - weder durch
dafür zugelassene Frauenärzte, noch durch dazu bereite Krankenhäuser. Etwas
anderes vertrat im Gerichtssaal außer der Sozialministerin Stamm nur noch
der an ihrer Seite fechtende Vertreter der Landesärztekammer, Horst Frenzel.
Das Problem: Sowohl das Schwangerschaftskonfliktgesetz des Bundes als auch
das Bundesverfassungsgericht verlangt von den Ländern die Sicherstellung eines
ausreichenden Angebots an Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen.
So heißt es im Karlsruher Abtreibungsurteil vom Mai 1993, auf das sich Staatsregierung
und CSU-Mehrheit im Landtag ansonsten bei jeder Gelegenheit stützen, 'dass
der Staat zur Verwirklichung des Schutzkonzepts für das Bereitstehen ärztlicher
Hilfe zum Abbruch der Schwangerschaft in einer Entfernung zu sorgen hat, die
von der Frau nicht die Abwesenheit über einen Tag hinaus verlangt'.
Zur Begründung wird zum einen gesagt, es diene gerade dem Konzept des Lebensschutzes,
'wenn sich der Arzt nicht wegen einer weiten Anreise der schwangeren Frau
gedrängt sieht, den Schwangerschaftsabbruch an dem Tage, an dem sie sich zum
ersten Mal bei ihm einfindet, vorzunehmen'. Zum anderen kann es laut Karlsruhe
'in einer solchen Situation auch der Schwangeren eine Hilfe in der Not sein,
wenn sie für einen ersten Arztbesuch die An- und Rückreise - auch mit öffentlichen
Verkehrsmitteln - an einem Tag bewältigen kann'.
BISHER 14 ANTRÄGE
Welche Möglichkeiten zum Schwangerschaftsabbruch blieben aber in Bayern ohne
die beiden Spezialpraxen? Am Dienstag hatte die Regierung nach Angaben von
Ministerin Stamm noch keinem einzigen Arzt eine Erlaubnis zum ambulanten Abbruch
von Schwangerschaften erteilt. Sie konnte lediglich mitteilen, dass 14 Anträge
vorlägen, die wahrscheinlich genehmigt würden. Sie wies darauf hin, dass es
mindestens 133 Gynäkologen in Bayern gebe, die ausweislich der Abrechnungen
ihrer Praxen die Voraussetzungen für den Abbruch von Schwangerschaften erfüllten.
Es blieb allerdings unklar, wie viele Gynäkologen eine solche Erlaubnis beantragen
werden - zumal damit 'ungewöhnliche Offenbarungspflichten' über die Einnahmen
verbunden sind, wie Professor Armin Malter vom Berufsverband der Frauenärzte
sagte.
Auch die Situation an den Krankenhäusern, deren Anteil an Schwangerschaftsabbrüchen
ohnehin stark rückläufig ist, blieb im Dunklen. Es gebe 80 Krankenhäuser,
die Schwangerschaftsabbrüche vornähmen, mit weiteren Meldungen sowie 'Bereitschaftsanzeigen'
sei zu rechnen, sagten die Regierungsvertreter.
Die Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf, stellvertretende Frauensprecherin
der SPD-Bundestagsfraktion, wies darauf hin, dass die CSU
bisher 'mit Erfolg' alles getan habe, öffentliche Krankenhäuser daran zu hindern,
Einrichtungen zum Schwangerschaftsabbruch vorzuhalten. Damit habe man den
niedergelassenen Ärzten diese Aufgabe zugeschoben, die man jetzt an den Pranger
stelle.
Rechtsanwältin Christine Roth (Nürnberg), die sich nach der Verhandlung sehr
zuversichtlich zeigte, sah nur einen sicheren Weg für die Erfüllung des 'Sicherstellungsauftrags':
den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Professorin Monika Frommel (Kiel)
prophezeite bei einem Inkrafttreten des Gesetzes eine 'Rückkehr der Wanderungsbewegungen'
von abtreibungswilligen bayerischen Frauen nach Hessen.
Süddeutsche Zeitung – Juni 14, 1997
'Unglaublicher
Vorgang' - Empörung über Ministerin Stamm:
Fragebogenaktion wird als 'Panikreaktion' bezeichnet
München - Mit Empörung und Sarkasmus haben die bayerischen Oppositionsparteien
und die FDP auf den Versuch von Sozialministerin Barbara Stamm reagiert, mittels
einer anonymen Fragebogenaktion den Nachweis zu führen, dass es in Bayern
auch ohne die Abtreibungsspezialisten Stapf und Freudemann eine flächendeckende
Versorgung mit Einrichtungen zum ambulanten Schwangerschaftsabbruch gibt.
Die SPD-Abgeordnete Monica Lochner-Fischer sprach von einem
'erbärmlichen und dreisten Versuch der Staatsregierung', mit dem sie den von
ihr angerichteten 'Scherbenhaufen' beim Abtreibungsrecht verdecken wolle.
Die landespolitische Sprecherin der FDP, Gisela Bock, nannte die Fragebogenaktion
einen 'unglaublichen Vorgang', mit dem das Verfassungsgericht 'über die wahren
Auswirkungen der bayerischen Sondergesetze' getäuscht werden solle. Die Grünen-Abgeordnete
Petra Münzel sieht in der Aktion eine 'Panikreaktion' der Staatsregierung,
die sich Verfassungsrichtern gegenübersehe, 'bei denen sie nicht so leichtes
Spiel hat wie bei ihren geradezu weisungsgebundenen CSU-Landtagsabgeordneten'.
Die Landesvorsitzende der Grünen, Ruth Paulig, hielt der Sozialministerin
vor, sie wolle 'jetzt von denen gerettet werden, denen sie zuvor alle erdenklichen
und demokratisch fragwürdigen Hindernisse in den Weg gelegt hat'. Ähnlich
argumentiert die SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna
Wolf. Nachdem vor dem Bundesverfassungsgericht offensichtlich geworden
sei, dass Bayern den bundesgesetzlichen Auftrag, eine flächendeckende Versorgung
zu gewährleisten, gröblich verletze, suche die Ministerin Stamm nun händeringend
nach Ärzten, die unter diesen Umständen noch bereit seien, eine Abtreibung
vorzunehmen, schreibt Frau Wolf.
Wie berichtet, hat die Kassenärztliche Vereinigung im Auftrag des Sozialministeriums
an diejenigen Ärzte, die im vergangenen Jahr Schwangerschaftsabbrüche abgerechnet
haben, einen Fragebogen geschickt, auf dem die Mediziner angeben sollen, ob
sie die Absicht haben, eine Genehmigung für die Durchführung ambulanter Abtreibungen
zu beantragen. Weiter sollten die Ärzte angeben, wie viele Schwangerschaftsabbrüche
sie monatlich vornehmen könnten. Die Fragebogen sollen in anonymisierter Form
bis zum 16. Juni an das Ministerium gefaxt werden.
ENTSCHEIDUNG SCHON FERTIG
Das Ergebnis dieser Befragung will das Ministerium eigenen Angaben zufolge
dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts unterbreiten, noch bevor dieser
am 24. Juni die Entscheidung im Einstweiligen Verfahren gegen das bayerische
Schwangerenhilfeergänzungsgesetz verkündet. Es handele sich um 'entscheidungserhebliche
Tatsachen', sagte Ministeriumssprecher Georg Moser. Als Entscheidungshilfe
werden diese Daten allerdings zu spät in Karlsruhe ankommen. Dem Vernehmen
nach steht die Entscheidung des Ersten Senats inhaltlich bereits fest und
wird höchstens noch redaktionell bearbeitet.
Süddeutsche Zeitung – Juni 21, 1997
Wer bleibt,
wer geht, wer kommt
Bei SPD und CSU drehen sich mit Blick auf Landtags- und Bundestagswahl
die Kandidatenkarusselle
Neben wenig Bekannten drängen auch zahlreiche Stadträte in die Parlamente,
so dass Kampfabstimmungen drohen
FRANK MÜLLER
Noch dauert es mehr als ein Jahr bis zu den Wahlen in Bund und Land. Doch
in beiden großen Volksparteien werfen die Urnengänge ihre Schatten voraus:
Sowohl in der SPD als auch in der CSU steht schon ein Schwung
von Kandidaten für die innerparteilichen Vorwahlkämpfe bereit. Viele davon
sind bekannte Namen aus der Kommunalpolitik - offenbar drängt es viele Münchner
Politiker vom Rathaus weg und hin zu Maximilianeum oder gleich dem 'Langen
Eugen'
Aus dem Münchner Regierungslager auf die harten Oppositionsbänke des Landtags:
Das könnte (ohne den Wahlausgang vorwegnehmen zu wollen) die Devise für eine
ganze Reihe von SPD- Stadtratsmitgliedern sein: Als Nachfolger
von Hans Kolo will im Stimmkreis Bogenhausen/Berg-am-Laim der Gesundheitsexperte
der SPD-Rathausfraktion, Hans-Ulrich Pfaffmann, ins Maximilianeum
einziehen. Gleich drei amtierende beziehungsweise ehemalige Stadtratsmitglieder
treten im Stimmkreis Neuhausen-Nymphenburg/Laim/Hadern an, wo es um die Nachfolge
von Max von Heckel geht: Barbara Scheuble-Schäfer, Rainer Volkmann und der
frühere Stadtplanungssprecher der Fraktion, Wolfgang Czisch.
Sowohl Scheuble-Schäfer als auch Volkmann gehören dem Stadtrat seit fast 20
Jahren an. Ein gewisser Startvorteil wird zur Zeit Rainer Volkmann eingeräumt,
weil er im Gegensatz zu Scheuble-Schäfer auch im Stimmkreis wohnt und als
Vize-Chef des Mietervereins das für die SPD sehr wichtige
wohnungspolitische Feld beackert.
Auf der anderen Seite verfügt Barbara Scheuble-Schäfer über einen relativ
hohen Bekanntheitsgrad. Außerdem ist sie für die Öffentlichkeitsarbeit der
Fraktion zuständig. Ihre angriffslustige Art könne auch der in dieser Beziehung
etwas verschlafenen Landtagsfraktion ganz gut tun, heißt es bei Rathausgenossen.
Für viele überraschend ist es, dass Wolfgang Czisch nun wieder als Landtagskandidat
auftaucht, nachdem er bei seinem Rückzug aus dem Stadtrat vor zwei Jahren
angekündigt hatte, dass er ganz mit der Politik aufhören wolle.
Das größte Kandidatengedränge mit sechs Männern und Frauen herrscht im Innenstadt-Stimmkreis,
den Alt-Oberbürgermeister Georg Kronawitter aufgeben wird. Sein Favorit für
die Nachfolge ist Volker Riegger, ein selbständiger Unternehmensberater, der
für den SPD-Parteivorstand in Bonn und für Münchner Oberbürgermeisterwahlen
die Kampagnen organisiert hat. Der örtliche Stallgeruch fehle ihm noch, heißt
es in Parteikreisen. Das könnte schwierig für ihn werden, zumal ihm mit Ludwig
Wörner, Personalratsvorsitzender bei den Stadtwerken, Chef des Bezirksausschusses
der Schwanthalerhöhe und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen,
ein starker Konkurrent erwächst.
Ohne innerparteilichen Gegenkandidaten sind die bisherigen Landtagsabgeordneten
Monica Lochner-Fischer, Klaus Hahnzog, Dorle Baumann, Franz Maget, Hermann
Memmel und Anne Hirschmann. Den bayerischen DGB-Vorsitzenden und Landtagsabgeordneten
Fritz Schösser zieht es in den Bundestag. Um die Landtagskandidatur bewerben
sich drei Genossen, darunter auch der Historiker, Germanist und Volkskundler
Reinhard Bauer, der sich beruflich besonders im Bereich der bayerischen Namensforschung
profiliert hat.
Innerparteiliche Kandidatenduelle bei den Aufstellungskonferenzen für die
Bundestagswahl - sie finden bei der SPD alle im Juli statt
- wird es im Münchner Norden und im Süden geben. Im Norden geht die Unterbezirksvorsitzende
Ingrid Anker, gegen die der Bezirksausschussvorsitzende Axel Berg antritt,
als Favoritin um die Nachfolge von Peter Glotz ins Rennen. Interessant wird
es auch im Süden, wo zwei junge SPD-Politiker in den Bundestag
wollen: Der 35jährige promovierte Soziologe Thomas Hinz und der 28jährige
Juso-Chef Christoph Moosbauer, der als Politiktalent in der Münchner SPD
gilt. Ohne Gegenkandidaten sind Ulrike Mascher, Fritz Schösser und Hanna
Wolf.
Auch bei der CSU gibt es gleich um zwei Bundestagswahlkreise Gerangel: um
den im Westen, der durch den Wechsel von Kurt Faltlhauser von Bonn an die
Spitze der bayerischen Staatskanzlei frei ist, sowie um den bislang von dem
kürzlich verstorbenen Hans 'Johnny' Klein vertretenen Wahlkreis München-Mitte.
Im Münchner Westen gibt es zwei großkalibrige Bewerber, nämlich den Bonner
Regierungssprecher Peter Hausmann und Münchens Kreisverwaltungsreferent, der
zugleich als möglicher OB-Kandidat gehandelte Hans-Peter Uhl. Zugleich verursacht
Faltlhausers Wechsel noch ein weiteres Problem: er hat noch keinen Landtagsstimmkreis,
bräuchte aber zur Landtagswahl 98 einen, weswegen derzeit mehrere Rochademodelle
diskutiert werden.
Und auch in München-Mitte haben mittlerweile, nachdem die übliche Pietätsfrist
vorbei ist, zahlreiche Münchner Bekannte ihren Hut in den Ring geworfen: darunter
der in den Schoss der Partei zurückgekehrte Ex-CSU-Rebell Aribert Wolf, welcher
die Mutterpartei mehrere Jahre lang mit der CSU-Absplitterung 'Junge Liste'
in Atem gehalten hatte. Aussichtsreichster Gegenkandidat dürfte ein Bekannter
aus alten Parteijugendtagen sein: der frühere Münchner Chef des unionsnahen
Studentenverbands RCDS, Ulrich-Konstantin Rieger, derzeit Büroleiter beim
Bonner CSU-Landesgruppen-Chef Michael Glos.
Doch auch dem prominenten CSU-Rathaus-Mann Walter Zöller wird Interesse nachgesagt,
ebenso dem früheren Handwerkspräsidenten Heribert Späth, der zu Beginn seiner
Karriere auch einmal Münchner Stadtrat war. Das Rennen ist noch offen, die
Delegierten entscheiden im Herbst.
Süddeutsche Zeitung – Juni 25, 1997
Richterspruch
löst Freude und Bedauern aus
Unterschiedliche Reaktionen auf Entscheidung zum218
Stoiber: Keine Änderung der Sonderregelung - Schmidt: Grandiose Bauchlandung
München - Bei Parteien, Verbänden und Kirchen hat die Einstweilige Anordnung
des Bundesverfassungsgerichts, das bayerische Abtreibungsrecht vorläufig außer
Kraft zu setzen, die erwarteten Reaktionen hervorgerufen. Während Oppositionspolitiker,
Frauenärzte und der Verein 'Pro Familia' den Karlsruher Richterspruch begrüßen,
befürwortet das Landeskomitee der Katholiken weiterhin die bayerischen Sondergesetze.
Ministerpräsident Edmund Stoiber bedauerte gestern die Entscheidung des Bundesgerichts.
Stoiber sieht jedoch 'Chancen für einen Sieg in der Hauptsache'. Die Staatsregierung
sei zuversichtlich, dass die bayerische Konzeption des Lebensschutzes den
verfassungsrechtlichen Anforderungen entspreche, erklärte die Staatskanzlei
am Nachmittag. Der Ministerpräsident lehne eine Änderung der Sonderregelung
ab.
Die bayerische SPD-Vorsitzende Renate Schmidt bezeichnete
die Entscheidung als 'grandiose Bauchlandung' für Sozialministerin Barbara
Stamm. Es sei skandalös, dass die Ministerin nicht vor der Verhandlung in
Karlsruhe klären konnte, wie viele Ärzte in Bayern Abtreibungen vornehmen
wollen. 'So blamiert hat sich noch selten jemand', kommentierte Renate Schmidt
die Rolle von Barbara Stamm im jetzigen Verfahren. Das Gericht habe die Bedenken
der SPD gegen den Sonderweg voll bestätigt. Die frauenpolitische
Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Hanna Wolf,
erklärte, die Karlsruher Richter hätten zu verstehen gegeben, dass dem Schutz
werdenden Lebens nicht mit rigider Durchsetzung alter Ideologien gedient sei.
Die Frauenpolitikerin der Grünen im Landtag, Petra Münzel, sagte nach dem
Spruch des Bundesverfassungsgerichts, die Staatsregierung stehe nun mit ihren
fundamentalistischen Gesetzen vor einem Scherbenhaufen. Bayern müsse deshalb
jetzt die 'Notbremse' ziehen und die nicht haltbaren Regelungen in den Sondergesetzen
einkassieren. Die Landesvorsitzende von Bündnis 90/ Die Grünen, Ruth Paulig,
forderte, es müsse möglichst bald in Bayern ein flächendeckendes Angebot wohnortnaher
Einrichtungen für Schwangerschaftsabbrüche geben.
Die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nannte die Entscheidung
'eine schallende Ohrfeige für Sozialministerin Stamm'. Das Bundesgericht habe
der Staatsregierung einen klaren Pflichtverstoß vorgeworfen. Die bayerische
FDP wird - von Samstag, 28. Juni, an - Unterschriften für ein Volksbegehren
gegen das Abtreibungsrecht sammeln.
Auch die Bundesvorsitzende von 'Pro Familia', Uta Meier, appellierte an die
Landesregierung, ihre Sondergesetze zurückzunehmen. 'Auch in Bayern haben
die Frauen nun Grund zu der Hoffnung, künftig Hilfe in ihrem eigenen Bundesland
zu erhalten', sagte Uta Meier . Der Bundesverband der Frauenärzte begrüßte
die Einstweilige Anordnung. 'Der Richterspruch deckt sich mit unseren Erwartungen',
sagte Geschäftsführerin Barbara Nolte. Im Ärzteverband sei der Sonderweg auf
wenig Wohlwollen gestoßen. Barbara Stamm habe jetzt eine Quittung dafür bekommen,
dass sie 'konzeptionslos' in die Verhandlung nach Karlsruhe gegangen sei.
Das Landeskomitee der Katholiken wollte sich nicht konkret zu der Entscheidung
äußern. Man wolle den Richterspruch im Herbst abwarten, sagte Pressesprecher
Winfried Röhmel. Röhmel kritisierte aber, dass ein Bundesgesetz, das die flächendeckende
Versorgung mit Abtreibungseinrichtungen fordere, im Widerspruch zum Ethos
des ärztlichen Berufes stehe. Die Umfrage der Sozialministerin bei Frauenärzten
habe bei einem Grossteil eine bemerkenswert positive Einstellung zum Lebensrecht
ergeben.
Süddeutsche Zeitung - September 20, 1997München
Zwei
Frauen und drei Männer wollen Bonn erobern
Die Münchner SPD -Bundestagskandidaten sind laut Maget eine
'gelungene Mischung'
Unterbezirks -Chef: Bewerber decken breites Spektrum ab - Kommt Schösser in
Schattenkabinett Schröders?
Eines hat die Münchner SPD der Konkurrenz von der CSU schon
voraus: Während die Schwarzen noch nicht wissen, welche Kandidatinnen und
Kandidaten zur Bundestagswahl im nächsten Jahr antreten sollen und hinter
den Kulissen heftig um Macht und Einfluss gerangelt wird, haben die Roten
ihre Liste bereits komplett. Der geschäftsführende Vorsitzende des SPD-Unterbezirks,
Franz Maget, bezeichnete gestern vor der Presse das Team als 'gelungene Mischung
aus Erfahrung und Jugendlichkeit, das mit den verschiedenen Themenschwerpunkten
ein breites Spektrum der politischen Arbeit abdeckt'.
Ulrike Mascher (Wahlkreis München-Mitte) und Hanna Wolf (West)
sind bereits Profis im Bonner Politikbetrieb. Mascher ist Vorsitzende des
Sozialausschusses im Bundestag. Wolf will weiter ihren Schwerpunkt auf die
Frauen- und Jugendpolitik legen. Christoph Moosbauer (Süd) und der promovierte
Jurist Axel Berg (Nord) stehen für die junge Generation in der Münchner SPD.
Moosbauer (28) wird sich vor allem um bessere Arbeitsplatzangebote für Jugendliche
kümmern. Berg (38) ist ein Quereinsteiger, der erst vor vier Jahren in die
Partei kam. Er hatte bei der Kandidatenaufstellung gegen die damalige Unterbezirksvorsitzende
Ingrid Anker gesiegt, die daraufhin von ihrem Amt zurücktrat. Berg setzt in
erster Linie auf den Ausbau von Spitzentechnologie und will 'neues Leben'
in den Münchner Norden bringen. Mit dem Landtagsabgeordneten Fritz Schösser
(50) tritt für den Osten ein profilierter Gewerkschafter an. Der bayerische
DGB-Vorsitzende, der im März nächsten Jahres erneut für diesen Posten kandidieren
will, möchte jetzt seine Ideen zu Wirtschaft, Arbeit und Renten auf bundespolitischer
Ebene durchsetzen. In einem Schattenkabinett Gerhard Schröders wird Schösser
bereits als Sozialminister gehandelt.
Der zeitliche Vorsprung vor der CSU bei der Kandidatenaufstellung soll sich
auch in Wählerstimmen auszahlen, hofft Maget: 'Wir rechnen mit einer Flut
von Direktmandaten.' Am 6. November wird auch die Liste der Landtagskandidatinnen
und -kandidaten abgeschlossen sein. Und am 15. Dezember soll dann der Münchner
SPD-Parteichef gewählt werden. Franz Maget wird aller Voraussicht
nach der einzige Bewerber sein.
Süddeutsche Zeitung - September 23, 1997 Anzeiger W
Kandidaten,
Kunst und Käfer - Altweiber-Sommerfest vor Schloss Blutenburg - SPD-Frauen
feiern Jubiläum mit rund 200 Bürgern
Sonnenschein, Dixieland und gute Stimmung gab es zum 20jährigen Jubiläum des
Altweiber-Sommerfests der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen
vor Schloss Blutenburg. 'Petrus hat ein Einsehen gehabt', freute sich SPD-Bundestagsabgeordnete
Hanna Wolf, denn in den vergangenen Jahren war das Fest wegen
Kälte und Regen ins Wasser gefallen. Gut 200 Bürger aus dem Münchner Westen,
darunter auch Andreas Ellmaier (CSU), Chef des Bezirksausschusses Pasing/Obermenzing
(BA 21), kamen zu der Veranstaltung vor historischer Kulisse, obwohl am Samstag
auch das Oktoberfest auf der Theresienwiese anfing.
Die SPD aus dem Münchner Westen nutzte die Gelegenheit, alte
und neue Kandidaten für Bezirkstag, Landtag sowie Bundestag vorzustellen.
Bei der CSU sind dagegen die Würfel noch nicht gefallen. Alte Bekannte sind
Wolf für den Bundestag, Anne Hirschmann aus Aubing, die wieder zu den Landtagswahlen
antritt, sowie Gerda Schneider-Köther aus Pasing und Werner Brandl aus Laim
für den Bezirkstag. Einziger 'Neuling' ist Ludwig Wörner, Vorsitzender des
Bezirksausschusses Schwanthalerhöhe (BA 8), der um einen Platz im Landtag
kämpft.
Nach der kleinen KandidatenPremiere stellten die Genossen den Wahlkampf jedoch
hinten an und beschränkten sich auf das Feiern. Bei Bier und Wein vom Fass
sowie bayerischen Schmankerln ließen es sich die Besucher gut gehen. Für den
musikalischen Rahmen sorgte die 'Allied Dixieland Corporation', die Swing
der 20er und 30er Jahre zum Besten gab. Für die kleinen Besucher gab es ebenfalls
etliche Attraktionen: Die sportlichen Kinder tummelten sich auf einer langen
Hüpfschlange. Grossen Anklang fand auch die Mal-Ecke, bei der teilweise bis
zu 20 Zwergerl gleichzeitig an ihren Kunstwerken arbeiteten. Besonders groß
fiel dieses Jahr der Kinderflohmarkt aus, bei dem es nicht nur alle Arten
Spielzeug, Bücher sowie Kleidung zu erwerben gab. Vielmehr bemalten sich die
Kinder auch gegenseitig als Katze, Prinzessin oder Marienkäfer.
Süddeutsche Zeitung – Oktober 15, 1997München
Münchner
Kandidatenwerden gut platziert
SPD-Liste für Bundestag
Gut abgesichert wurden die meisten Münchner SPD-Kandidatinnen
und Kandidaten für die Bundestagswahl bei einer Reihungskonferenz des oberbayerischen
SPD-Bezirks. Wie schon 1994 wurde Ulrike Mascher (Wahlkreis
München Mitte) auf Platz 1 des Oberbayern-Vorschlags gesetzt und gleichzeitig
als Nummer 1 der SPD-Landesliste empfohlen. Der bayerische
DGB-Chef Fritz Schösser (München-Ost) wurde auf Platz 6 nominiert, was auf
der von allen sieben bayerischen SPD-Bezirken gebildeten
Landesliste dem sicheren Platz 15 entspricht. Einen Rang abgestuft wurde Hanna
Wolf (München-West), die in Oberbayern Platz 7 und auf der Landesliste
voraussichtlich Platz 24 belegt.
Nur wenn er seinen Wahlkreis München-Süd direkt gewinnt oder wenn die bayerische
SPD ihr Ergebnis von 1994 (29,6 Prozent) verbessert, kommt
auch der Jungsozialist Christoph Moosbauer in den Bundestag. Überhaupt nicht
abgesichert wurde Axel Berg (München-Nord). Der Nachfolger von Peter Glotz,
der die Münchner SPD-Vorsitzende Ingrid Anker zunächst bei
der Nominierung aus dem Rennen geworfen und dann zum Rücktritt gebracht hatte,
ist auf ein Direktmandat angewiesen. 1994 hatte lediglich Ulrike Mascher ihren
Wahlkreis direkt gewonnen; es blieb das einzige SPD- Direktmandat
in Bayern.
<CENTER><AUTHOR> Ob die Vorsitzende des Bundestags-Sozialausschusses
tatsächlich wieder wie 1994 die Nummer 1 auf der Landesliste wird, ist aber
noch nicht sicher. Der Landesvorstand hat sich vorbehalten, die Bezirksvorschläge
zu verändern. Es gibt einen Antrag aus Ostbayern, den stellvertretenden Landesvorsitzenden
Ludwig Stiegler (Weiden) zum Spitzenmann zu machen. Wenig Chancen dürften
Bestrebungen haben, Fritz Schösser auf Platz 5 zu hieven.(Bayern) sti.
Süddeutsche Zeitung – Oktober 15, 1997Bayern
Otto
Schily landet wieder im Hinterfeld
Schlechter Listenplatz für oberbayerischen SPD-Bundestagskandidaten
Der umstrittene Rechtsexperte zieht gegen Klaus Barthel mit 22 : 77 den kürzeren
München - Der stellvertretende Vorsitzende und Rechtsexperte der SPD-Bundestagsfraktion,
Otto Schily, hat auch bei der Reihung der Bewerber für die Bundestagswahl
1998 von den oberbayerischen SPD-Delegierten einen Denkzettel
erhalten. Auf einem Bezirksparteitag zur Nominierung der oberbayerischen SPD-Bewerber
für die Landesliste zur Bundestagswahl landete Schily, der in einer rot-grünen
Koalition Chancen auf das Amt des Justizministers hat, nur auf dem achten
Platz. 1994 war Schily sogar auf Platz 9 gesetzt worden, was dem aussichtslosen
Platz 36 auf der SPD-Landesliste entsprochen hätte. Nach
einer Empfehlung des Parteipräsidiums hatte sich Schily bei der landesweiten
Aufstellungskonferenz zum Unwillen der Oberbayern auf Platz 19 vorgeboxt und
so sein Bundestagsmandat gesichert. 1994 hatte die oberbayerische SPD
einschließlich der Landeshauptstadt München acht Abgeordnete nach Bonn entsandt,
die bayerische SPD insgesamt 29. Genau mit diesem 29. Platz
müsste Schily jetzt auf der Landesliste vorliebnehmen, wenn die Aufteilung
der Plätze unter den sieben bayerischen SPD-Bezirken auf
der Landesvertreterversammlung am 13. Dezember so wie 1994 vorgenommen wird.
Damals hatte die SPD knapp 30 Prozent erzielt. Mit einer
neuerlichen Einmischung der Parteispitze um Renate Schmidt zugunsten Schilys
ist diesmal nicht zu rechnen, auch wenn Generalsekretär Wolfgang Hoderlein
darauf hinweist, dass es Sache des Landesvorstands sei, der Landesvertreterversammlung
eine Reihung vorzuschlagen. 'Ich kann mir vorstellen, dass das Ergebnis des
Landesvorstands nicht in jedem Fall mit der Reihung der Bezirke übereinstimmt',
sagte Hoderlein am Dienstag der SZ. Schily hat sich bei der SPD-Basis
nie durchsetzen können und ist als SPD-Verhandlungsführer
beim mit Union und FDP vereinbarten 'Grossen Lauschangriff' äußerst umstritten.
Im SPD-Landesvorstand haben er und Renate Schmidt kürzlich
wegen des Kompromisses Schiffbruch erlitten.
Da die bayerischen Sozialdemokraten für 1998 eine spürbare Verbesserung ihres
Ergebnisses erhoffen, dürfte Schily, der im Wahlkreis 208 (München-Land) kandidiert,
sein Bundestagsmandat trotz des Oberbayern-Vorschlags sicher sein. Schily,
Mitbegründer der Grünen und seit 1990 SPD-Bundestagsabgeordneter,
lag 1994 in seinem Wahlkreis bei den persönlichen Stimmen mit 32, 7 Prozent
fast sechs Prozent vor seiner Partei.
Mit seinem Anspruch, auf Platz vier in der Oberbayern-Reihung gesetzt und
damit im Vorderfeld der Landesliste placiert zu werden, scheiterte Schily
mit 22:77 Stimmen an seinem Mitbewerber Klaus Barthel aus Kochel. Der 41jährige
Gewerkschaftssekretär war 1994 das Opfer der Neureihung zugunsten Schilys
durch die Parteispitze gewesen. Vor Schily landete noch Fritz Schösser, DGB-Landesvorsitzender
und 'Job-Hopper' bei der bayerischen SPD, der nach vier glücklosen
Jahren im Landtag nun in den Bundestag strebt.
So sieht die von den oberbayerischen Delegierten beschlossene Liste nach dem
'Reißverschlusssystem' - Frauen und Männer werden abwechselnd gereiht - aus:
1. und als bayerische Spitzenkandidatin vorgeschlagen: Ulrike Mascher (München),
2. Hans Büttner (Ingolstadt), 3. Uta Titze-Stecher (Dachau), 4. Klaus Barthel
(Starnberg), 5.Angelika Graf (Rosenheim), 6. Fritz Schösser (München), 7.
Hanna Wolf (München), 8. Otto Schily (München-Land),9.Bärbel
Kofler (Traunstein), 10. Ewald Schurer (Altötting), 11. Jutta Harrer (Freising),
12. Christoph Moosbauer (München) 13. Albert Thurner (Weilheim), 14. Axel
Berg (München).
Süddeutsche Zeitung - November 15, 1997München
Fingerabdrücke,
die sich einprägen
17. November 1996: Eine Demonstration und ihre Folgen
Weil ihr Sohn 'erkennungsdienstlich behandelt' wurde, entwickelte sich eine
Münchnerin zur Polizeikritikerin
Wie fühlt sich eine Mutter , wenn sie einen solchen Anruf bekommt? Wahrscheinlich
erschrickt sie erst mal furchtbar, wenn ihr ein Polizeibeamter am Telephon
sagt, man habe ihren Sohn nach einer Demonstration festgenommen, jetzt möge
sie ihn bitte persönlich im Polizeipräsidium an der Ettstraße abholen, weil
er sich sonst vielleicht 'etwas antun' würde. 'Man denkt im ersten Moment:
Um Gottes Willen, was hat das für Folgen - in der Schule und danach', sagt
Hildegard Müller (Name geändert). Zweifel an der staatlichen Autorität hatte
die resolute, eher brav wirkende Frau damals noch nicht, wie sie heute sagt:
'Ich hab ja immer gedacht, man wird von der Polizei nur mitgenommen, wenn
man etwas Furchtbares getan hat.' An jenem 17. November 1996, als ihr damals
16jähriger Sohn mittags beim Demonstrieren festgenommen und stundenlang 'erkennungsdienstlich
behandelt' wurde, fuhr Hildegard Müller also um fünf Uhr nachmittags zur Ettstraße.
Als sie ihren Sohn aus dem Polizeipräsidium herauskommen sah, tat sie etwas,
was sie heute bereut: Sie begann Streit mit ihm, weil er nicht in die Schule
wollte. 'Ich hab mir gedacht, wenn er demonstrieren kann, dann kann er auch
am nächsten Tag in die Schule gehen.'
Als er am nächsten Tag aus dem Unterricht zurückkam und sichtlich krank war,
bemerkte sie: 'Mein Sohn war nervlich völlig fertig.' Er versuchte zu erklären,
wie sehr ihn die fünf Stunden Gefängnis mitgenommen hatten, 'und da ist mir
aufgegangen, dass ich mich falsch verhalten habe', sagt sie heute.
Allmählich dämmerte Hildegard Müller, dass die Polizei ihren Sohn und 25 andere
jugendliche Demonstranten so behandelt hatte wie sonst Attentäter oder Bankräuber:
Man fertigte Photos, Fingerabdrücke, Schriftproben, Stimmproben, einen Gebissabdruck
sowie eine genaue Liste aller körperlichen Merkmale samt Beobachtung des Ganges;
sogar 'Ohrabdrücke' wurden genommen, mit denen Ermittler sonst Einbrecher
identifizieren, die an Türen gelauscht haben.
Der 17. November 1996 hat das Leben von Hildegard Müller auch deshalb etwas
durcheinandergewirbelt, weil eine andere Mutter die Telephonnummern der Betroffenen
notierte und man sich zu einem Treffen verabredete. 'Es war tröstlich zu sehen,
dass man nicht alleine war', sagt Hildegard Müller heute. Mit den anderen
Eltern trifft sie sich seitdem einmal pro Monat, was ihr auch die Energie
gibt, ihre neue politische Haltung gegenüber Verwandten zu verteidigen: 'Da
höre ich immer wieder, dass man sich doch nicht gegen alles auflehnen kann.'
Zufällig hat Hildegard Müller einige Monate nach der Polizeiaktion festgestellt,
wo Photos und andere Daten ihres Sohnes bereits gelandet sind: in der Täterkartei
der Polizei, Abteilung 'Jahrgang 80/81, ohne Bart und ohne Brille'. Diese
Kartei musste ein Freund ihres Sohnes einmal durchblättern, als er wegen einer
unpolitischen Sache Anzeige erstattet hatte; er sah dabei erstaunt, dass unter
diversen zwielichtigen Typen auch der Sohn von Hildegard Müller war.
So gut die Daten bei der Polizei offensichtlich intern verteilt werden, so
wenig dringt darüber etwas nach draußen. So weiß Hildegard Müller zwar, dass
seit der Demonstration ein Ermittlungsverfahren gegen ihren Sohn wegen eines
Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz läuft: Er habe mit den 25 anderen die
offizielle Kundgebung zum Volkstrauertag gestört, lautet der Vorwurf. 'Doch
was ich empörend finde, ist, dass ich vom Verfahren gegen meinen Sohn von
den Behörden offiziell nichts erfahren habe.'
Einmal immerhin hat Günther Beckstein, der bayerische Innenminister, sich
bereits geäußert. Zwar nicht zu Hildegard Müller persönlich, sondern zur Abgeordneten
Hanna Wolf (SPD). Ihr hat er erklärt, dass die Polizei damals
sogar so fürsorglich war, am 17. November für Anfragen der Eltern 'eine spezielle
Telephonnummer' einzurichten. Hildegard Müller fragt sich seitdem eines: 'Soll
ich jetzt immer, wenn mein Sohn ein paar Stunden nicht heimkommt, die Polizei
anrufen, weil er vielleicht festgenommen worden ist?'
Süddeutsche Zeitung – Dezember 10, 1997Anzeiger W
Aufgelockerte
Geschichtsstunde in Sachen Politik
Vor 90Jahren wurden in der neugegründeten SPD-'Vorortssektion Allach' ähnliche
Probleme wie heute diskutiert
Viel ist von den Anfängen der SPD in Allach/Untermenzing
nicht übrig. Ein 1907 gestiftetes Fahnenband an der Fahne des Pasinger Ortsvereins
ist das einzige Zeugnis der Gründung der Sektion Allach der Sozialdemokratischen
Partei Deutschlands vor 90 Jahren. Mitgliederverzeichnisse und Gründungsprotokoll
sind während der Diktatur der Nationalsozialisten verlorengegangen. Ihre Parteibücher
haben viele SPDler im Dritten Reich vorsorglich vernichtet. Aber immerhin
gibt es aus der Vorkriegszeit noch die Erwähnung der 'Vorortssektion Allach'
im Bericht des Bezirkstags aus dem Jahr 1908. Und so konnte der heute knapp
100 Mitglieder zählende Ortsverein im Stadtbezirk 23 jetzt auf neun Jahrzehnte
Parteiarbeit zurückblicken. Die Genossen verbanden dies mit ihrer Weihnachtsfeier
im Vereinsheim Allach/Untermenzing. Rund 100 feierten mit, so dass der Raum
gut gefüllt war und die Stühle gerade so ausreichten. Glühwein, Weihnachtsgebäck,
satirische Lieder von Sepp Raith und 'weiß-blaue Hüttengaudi' mit Reinhard
Puscher lockerten den feierlichen Anlass auf. Denn immerhin gab es sogar Geschenke
für den Ortsverein: Bezirksrätin Gerda Schneider-Köther überbrachte eine Kachel
des Pasinger Ortsvereins. Denn schließlich seien die Pasinger der 'Mutterverein'
der Allacher, wie Schneider-Köther betonte. Die Sektion Allach spaltete sich
1907 von der Pasinger SPD ab, die bereits 15 Jahre früher
entstanden war.
Grosse Reden wurden nicht geschwungen. Die Bundestagsabgeordnete Hanna
Wolf und die Landtagsabgeordnete Anne Hirschmann machten Mut für
das kommende Wahljahr und gratulierten zum Jubiläum. Geehrt wurde natürlich
auch. Unter anderen Josef Morigl, der vor 50 Jahren in die SPD
eintrat. Damals nach dem Zweiten Weltkrieg sei er Mitglied Nummer 37 gewesen,
erinnert sich der 74jährige mit den schneeweißen Haaren. Doch der Ortsverein
hat noch längere Mitgliedschaften vorzuweisen. Auf stolze 77 Jahre SPD
kann Josef Felder zurückblicken. Der Ehrenvorsitzende der bayerischen SPD,
der seit einigen Jahren in Allach/Untermenzing lebt, saß 1932/33 als Abgeordneter
im Reichstag und stimmte gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz.
Damals in den 30er Jahren waren die Problem in Allach ähnlich gelagert wie
heute: Der Bau von Schulen, die Verbindung der Bahn nach München und soziale
Schwierigkeiten. Auch Finanzprobleme gab es schon - trotz der großen Steuerzahler
wie Krauss-Maffei, Diamalt und Sager & Wörner. Immerhin brachte die Ansiedlung
verschiedener Fabriken - 1902 entstand die Diamalt - den Sozialdemokraten
ihr Klientel. Die Wahlerfolge waren beachtlich; 1929 konnten sie knapp 50
Prozent der Allacher Wählerstimmen verbuchen.
Und noch 1933 bei der letzten freien Wahl vor der Gleichschaltung durch die
NSDAP erhielt die SPD mit 31 Prozent einen Prozentpunkt mehr
als die Nationalsozialisten. 1938 verlor Allach den Status einer eigenständigen
Gemeinde und wurde zum Stadtteil Münchens. 1945 folgte dann die Zusammenlegung
mit Untermenzing. Seitdem wählten die Bürger aus Allach/Untermenzing immer
wieder SPDler aus ihrem Viertel in den Stadtrat. Hans Fischer saß von 1956
bis 1972 im Rathaus. Ihm folgte Benno Kreitmair bis 1990. Nach sechs Jahren
Pause ist nun seit vergangenem Jahr die Genossin Heidemarie Köstler für Allach/Untermenzing
im Stadtrat.
Eine Zukunftsprognose für die zu feierlichen Anlässen wohl unvermeidbaren
'nächsten 90 Jahre' bleibt aber schwierig. 'Politik wird immer unattraktiver
für die Leute', bedauert Julian Hömberg - 'obwohl es sie immer mehr angeht.'
Der 19jährige ist seit drei Jahren in der SPD, allerdings
in Obermenzing, und Jugendpolitischer Sprecher im Münchner Westen. Etwa 100
junge Erwachsene sind dort SPD-Mitglied, ein Viertel davon
in Allach/Untermenzing. Inga Nobel
Süddeutsche Zeitung – Dezember 15, 1997Bayern
'Das
soll uns die CSU mal nachmachen'
Im Reißverschluss-Verfahren
Schwabach - Auf der SPD-Landesliste für die Bundestagswahl
sind die ersten 36 der insgesamt 45 Plätze nach dem Reißverschlusssystem von
jeweils einem Mann oder einer Frau besetzt: 'Das soll uns die CSU erst einmal
nachmachen', freute sich SPD-Landeschefin Renate Schmidt.
Angeführt wird die Liste allerdings von einem Mann.
Ludwig Stiegler (197 Ja- und elf Nein-Stimmen), Ulrike Mascher (199/10), Günther
Verheugen (191/16), Sigrid Skarpelis-Sperk (187/25), Walter Kolbow (193/17),
Heide Mattischek (190/15), Hans Büttner (179/30), Erika Simm (198/11), Robert
Leidinger (171/32), Susanne Kastner (171/37), Martin Pfaff (154/42), Uta Titze-Stecher
(176/21), Horst Schmidbauer (193/12), Angelika Graf (172/28), Klaus Barthel
(177/28), Verena Wohlleben (180/26), Horst Kubatschka (136/17), Petra Ernstberger
(189/9), Fritz Schösser (113/86), Gabriele Fograscher (163/39), Uwe Hiksch
(162/38), Heidi Wright (178/19), Günter Gloser (172/19), Hanna Wolf
(158/44), Georg Pfannenstein (184/18), Brunhilde Iber (177/8), Frank Hofmann
(186/15), Jella Teuschner (185/14), Otto Schily (160/48), Marlene Ruprecht
(172/21), Ewald Schurer (171/17), Anette Kramme (162/24), Reinhold Strobl
(126/77), Bärbel Kofler (170/13), Roland Eichmann (162/25), Jutta Harrer (177/12),
Rainer Glaab (155/10), Kurt Unger, Manfred Heeb, Günter Elsberger, Christoph
Moosbauer, Albert Thurner, Josef Haas, Wolfgang Peitsch, Axel Berg.
Süddeutsche Zeitung – Dezember 19, 1997Bayern
Karlsruhe
setzt Abtreibungsrecht weiter aus
Bundesverfassungsgericht entscheidet
Sozialministerin Stamm bedauert den Beschluss - Die Landtagsopposition triumphiert
BIRGIT MATUSCHECK-LABITZKE
Karlsruhe - Bis auf weiteres wird in Bayern ein Grossteil der jährlich mindestens
12 000 Schwangerschaftsabbrüche in den Spezialpraxen von Andreas Freudemann
(Nürnberg) und Friedrich Stapf (München) vorgenommen werden. Das widerspricht
zwar dem von der CSU-Mehrheit beschlossenen 'Schwangerenhilfergänzungsgesetz',
dessen letzter Teil am 1. Juli dieses Jahres in Kraft treten sollte. Es entspricht
aber der übergeordneten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Dessen
Erster Senat hat jetzt in einem von den Beteiligten seit Tagen mit großen
Anspannung erwarteten Beschluss seine einstweilige Anordnung vom 24. Juni
gegen Teile des bayerischen Sonderrechts wiederholt, die an Weihnachten mit
Ablauf der gesetzlichen Sechs-Monats-Frist wirkungslos geworden wäre. Nach
dem Karlsruher Beschluss können wesentliche Teile des Gesetzes weiterhin nicht
in Kraft treten. Das Gericht zeigte sich nach wie vor nicht ganz davon überzeugt,
dass die geforderte 'flächendeckende Versorgung' mit zur Abtreibung bereiten
Ärzten und Krankenhäusern gesichert ist. Mit einer endgültigen Entscheidung
Karlsruhes ist im Sommer 1998 zu rechnen. (Aktenzeichen: 1 BvR 2306;2314/96)
Die bayerische Staatsregierung erzielte zwar mit ihren neuesten Zahlen über
94 Abtreibungsgenehmigungen für Gynäkologen und 31 zur Abtreibung bereite
Krankenhäuser beim Gericht eine gewisse Wirkung. Das Zahlenwerk wurde aber
offenbar durch Gegenrechnungen von Rechtsanwältin Christine Roth (Nürnberg)
wieder erschüttert. Sie hatte aus den Zahlen der Staatsregierung errechnet,
dass sich die bislang schon unzureichenden Möglichkeiten zu 'wohnortnahen'
Schwangerschaftsabbrüchen noch weiter reduziert hätten. Sogar nach den Angaben
der Staatsregierung ergebe sich eine Lücke von mehr als 4000. Hinzu käme eine
weitere Lücke von fast 4000 Schwangerschaftsabbrüchen, die sich aus unterschiedlichen
Angaben über die 1996 in Bayern vorgenommenen Abbrüche ergäben: Die Staatsregierung
lege die Zahl 12 482 zugrunde, Pro Familia komme auf 16 000 Abbrüche.
FRAGE NACH DEM SONDERWEG
Rechtsanwältin Roth zeigte sich über den am Donnerstag mittag bekanntgegebenen
Karlsruher Beschluss sehr erfreut und erleichtert. Dadurch sei auch in Bayern
weiterhin die wohnortnahe Versorgung von Frauen gesichert und ihr Mandant
Freudemann könne seine Praxis uneingeschränkt weiterbetreiben. Das dirigistische
Vorgehen der Staatsregierung habe dazu geführt, dass sich die Zahl abtreibungswilliger
Ärzte um ein Drittel, in Krankenhäusern sogar um zwei Drittel verringert habe.
Stapfs Anwältin Monika Frommel betonte, für die Entscheidung in der Hauptsache
spiele der Sicherstellungsauftrag gar nicht mehr die wichtigste Rolle: 'Dann
kommt es darauf an, ob Bayern überhaupt einen Sonderweg gegen ein bereits
abschließend geregeltes Bundesrecht einschlagen darf', sagte die Kieler Kriminologin.
Während die Verlängerung einer einstweiligen Anordnung in Karlsruhe im allgemeinen
nicht viel mehr als Routine ist, gab es dieses Mal bis zum letzten Augenblick
erhebliche Unsicherheiten über das Ergebnis. Nach der gesetzlichen Regelung
ist für die 'Wiederholung' einer einstweiligen Anordnung eine Zwei-Drittel-Mehrheit
des Gerichts erforderlich. Bereits drei der acht Mitglieder des Ersten Senats
hätten also eine Verlängerung verhindern und für ein Inkrafttreten des Abtreibungsrechts
sorgen können.
Nicht zuletzt aufgrund eines am Montag bekanntgewordenen schweren Konflikts
im Verfassungsgericht zur Frage der Arzthaftung bei ungewollten Kindern, hatten
Beobachter das Abstimmungsverhalten als unberechenbar eingestuft.
Während die bayerische Sozialministerin Barbara Stamm (CSU) die Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts bedauerte, wurde sie von der Landtagsopposition
begrüßt. Stamm ist aber zuversichtlich, dass das Gericht in der Hauptsacheentscheidung
den von Bayern eingeschlagenen Weg zum Lebensschutz bestätigen wird.
Die SPD-Landtagsfraktion hat die Karlsruher Entscheidung
als 'logische Antwort' auf die 'Verweigerungspolitik' der Staatsregierung
ausdrücklich gutgeheißen. Die frauenpolitische Sprecherin der Fraktion, Monica
Lochner-Fischer, warf der Staatsregierung vor, sie habe die ihr gewährte 'Schonfrist'
nicht genutzt. Die Münchner SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna
Wolf ging sogar noch weiter: 'Die bayerische Staatsregierung wäre
gut beraten, wenn sie noch rechtzeitig vor der Entscheidung in der Hauptsache
ihre Abtreibungssondergesetze zurückziehen würde, bevor sie damit vor dem
Bundesverfassungsgericht endgültig unterliegt', heißt es in einer Stellungnahme.
Als 'blamables Resultat für die Staatsregierung' wertete die Landtagsfraktion
von Bündnis 90/Die Grünen die Entscheidung des Ersten Senats. Sie zeige, dass
die bayerischen Sondergesetze 'auf tönernen Füssen' stünden.
Süddeutsche Zeitung – Dezember 23, 1997 Anzeiger
Ein Jahr
anders leben - Deutsch-Amerikanischer Jugendaustausch
Schülerin Alexa gewann in den USA neue Perspektiven
'Als ich nach einem Jahr nach Hause zurückkam, war bei meinen Freunden nicht
viel passiert. Ich hatte dagegen das außergewöhnlichste und prägendste Jahr
überhaupt hinter mir.' Mit einem Stipendium des Deutschen Bundestags war Alexa
Heuche, 17jährige Schülerin des Ludwigsgymnasiums, für ein Jahr als Gastschülerin
in den USA. 'Meine zweite Heimat ist seither Dell Rapids/South Dakota.'
In der nordamerikanischen Kleinstadt mit rund 3000 Einwohnern besuchte die
Münchnerin die Abschlussklasse der High School. Graduation-Zeremonie im schwarzen
Talar und großer Schulball im teuren Abendkleid, wie sie ihre Altersgenossen
nur aus amerikanischen Serien kennen, konnte die 17jährige dabei live miterleben.
Und auch im Sportzirkus der High School - ebenfalls ein fernsehbekanntes Klischee
- mischte die Gastschülerin aus Deutschland als Mitglied des Basketball-Teams
ihrer Schule mit. 'Eine amerikanische High School unterscheidet sich doch
erheblich von einem deutschen Gymnasium', stellte sie dabei fest. Zwei Stunden
Sport täglich auf dem Stundenplan und die Nationalhymne vor dem Spiel einer
Schulmannschaft, das gibt es an keiner deutschen Schule. Aber eben auch nicht,
dass man von der Schule fliegt, wenn man beim Rauchen erwischt wird. Am augenfälligsten
sei zunächst aber einmal der Kontrast von der Großstadt München zu der schier
endlosen Weite der Prärien im Land der Sioux-Indianer gewesen, erzählt Alexa.
Und dass man im Winter dort schon mal bei minus 50 Grad für ein paar Tage
eingeschneit ist und deshalb die Schule ausfällt, das wollte sie zuerst gar
nicht glauben - bis sie es selbst erlebte.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf
hatte Alexa Heuche als Teilnehmerin für das Patenschafts-Programm des Deutschen
Bundestags und des amerikanischen Kongresses vorgeschlagen. Seit 1983 soll
es Deutschen und Amerikanern im Alter von 15 bis 17 Jahren ermöglichen, das
jeweils andere Land gründlich kennenzulernen. Nähere Informationen dazu gibt
es im Wahlkreisbüro an der Alten Allee 2 in Pasing, Telephon 820 31 91.
AP Worldstream – Januar 6, 1998
SPD wertet Äußerungen Kardinal Wetters
als Amtverstoß
Nolte zur Beendigung der Debatte um Abtreibungsrecht aufgefordert
Als Verstoß gegen sein Amt und das Gebot der Barmherzigkeit haben SPD-Politiker
die jüngsten Äußerungen des Münchner Kardinals Friedrich Wetter zu Schwangerschaftsabbrüchen
verurteilt. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf
warf am Dienstag in München die Frage auf, ob man einen Kardinal nicht ähnlich
wie einen Politiker bei Verfehlungen im Amt zum Rücktritt auffordern könne.
Der stellvertretende bayerische SPD-Fraktionschef Franz Maget
warf Wetter vor, den mühsam gefundenen Bonner Kompromiss zum Abtreibungsrecht
wieder aufgebrochen zu haben.
Wetter hatte in seiner Silvesterpredigt Schwangerschaftsabbrüche mit dem Sexualmord
an der siebenjährigen Natalie Astner verglichen und damit nicht nur bei der
Familie des Kindes, sondern auch unter Politikern heftige Kritik ausgelöst.
Maget bezeichnete es als eine ungeheure Entgleisung, dass Wetter Frauen in
Konfliktsituationen in eine Linie stelle mit dem Mann, der die kleine Natalie
missbraucht und getötet habe.
Wolf warf Bundesfrauenministerin Claudia Nolte vor, Wetter den Weg bereitet
zu haben mit ihrer Forderung, den Paragraphen 218 erneut vom Verfassungsgericht
prüfen zu lassen. Sie forderte Nolte auf, die Diskussion zu diesem Thema wieder
einzufangen und sich nicht länger als Lobbyistin rechtskonservativer Kirchenkreise
zu gebärden.
Süddeutsche Zeitung – Januar 7, 1998 Bayern
Wetter
ein Verleumdungsopfer
Erzbischöfliches Ordinariat weist Vorwürfe zurück:
Silvesterpredigt stößt nach wie vor auf heftige Resonanz
München (KNA)
- Die Pressestelle des Erzbischöflichen Ordinariats München hat Kritik an
Äußerungen von Kardinal Friedrich Wetter zur Abtreibung zurückgewiesen. Es
grenze an Verleumdung, dem Kardinal zu unterstellen, er habe Abtreibungen
und einen Sexualmord miteinander vergleichen wollen, unterstrich Pressesprecher
Winfried Röhmel in einer Erklärung.
Wetter hatte - wie berichtet - in seiner Silvesterpredigt gesagt, mit Recht
sei das ganze Land empört über den Sexualmord an der siebenjährigen Natalie
Astner. Man müsse sich aber fragen, wo das Entsetzen angesichts der Tatsache
bleibe, dass 'Jahr um Jahr Tausende und Abertausende kleiner Natalies bereits
im Schoss der Mutter getötet' würden. Der Erzbischof von München und Freising
habe in seiner Predigt klargestellt, dass der Mensch als Person 'mit unantastbarer
Würde und unantastbaren Rechten ausgestattet ist' und deutlich gemacht, dass
dies für jeden gelte, für den ungeborenen, behinderten, kranken und sterbenden
Menschen, so Röhmel. Der Vergleich, den Wetter dabei gewählt habe, sei 'kein
Vergleich zweier Tötungen und ihrer Motive, sondern das ausdrückliche Hervorheben
des Wertes jeder Person und ihres Lebensrechtes'. Der Kardinal habe es als
nicht hinnehmbar bezeichnet, dass niemand gegen die Tötung ungeborener Kinder
aufbegehre, während dies mit Recht bei der Ermordung des Kindes Natalie geschehen
sei. Er habe auch mit keinem Wort damit eine Anklage gegen Frauen erhoben.
Vielmehr 'kritisierte er das Wertebewusstsein in weiten Teilen der Gesellschaft,
die mit allen Kräften nicht mehr wahrhaben wolle, dass Abtreibung Tötung menschlichen
Lebens ist'.
Unterdessen hat die stellvertretende frauenpolitische Sprecherin der SPD-
Bundestagsfraktion, Hanna Wolf aus München, Frauenministerin
Claudia Nolte (CDU) dafür verantwortlich gemacht, dass die Diskussion zum
Paragraphen 218 wieder aufgebrochen ist. Mit ihrer 'Fehlinterpretation der
Abtreibungsstatistiken' und der Forderung nach Nachverhandlung des Kompromisses
zum Abtreibungsrecht habe sie 'schlafende Hunde' geweckt. Deshalb stehe die
Ministerin 'in unheiliger Allianz mit Kardinal Wetter', der in seiner Neujahrsansprache
auf vermeintliche Täter eingeschlagen und nur die Opfer getroffen habe. Die
Unbarmherzigkeit Wetters verstoße gegen seinen Amtsauftrag.
Süddeutsche Zeitung – Januar 20, 1998 Anzeiger
Rechtzeitig
die Reise planen - Jugendaustausch
Jugendliche, die gerne einmal ein Jahr in den USA verbringen würden, müssen
langfristig planen. Wer am nächsten von Bundestag und amerikanischem Kongress
organisierten Austauschprogramm teilnehmen möchte, das im Sommer nächsten
Jahren startet, sollte sich schon jetzt kundig machen. Bereits im Frühjahr
dieses Jahres erscheint die Info-Broschüre des Bundestags, Anmeldeschluss
für die Bewerber ist dann im September. Schüler sollten zum Ausreisezeitpunkt
im Sommer '99 die 10. Klasse abgeschlossen haben und nicht älter als 17 Jahre
sein. Alltagstaugliche Englischkenntnisse werden bei allen Bewerbern vorausgesetzt.
Info-Broschüren sind bei allen Abgeordneten des Bundestags erhältlich. Auskunft
erteilt auch die SPD-Abgeordnete Hanna Wolf
unter der Rufnummer 820 31 91. gv
AP Worldstream - German – Januar 27, 1998
München:
Stoiber fordert von Bischöfen
Hintze: CDU hält an Gesetz fest
(Bonn) CDU-Generalsekretär Peter Hintze
stellte klar, dass seine Partei auch nach dem Schreiben des Papstes und der
Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz an dem Abtreibungsgesetz festhält.
Es bleibe zu hoffen, schrieb Hintze in einer Stellungnahme am Dienstag in
Bonn, dass die katholische Kirche ''in den nun anstehenden innerkirchlichen
Beratungen'' einen Weg finde, ihre Beratungstätigkeit so auszugestalten, dass
sie sowohl dem Konsens des Gesetzes wie auch dem eigenen ethischen Anspruch
gerecht werde.
SPD: Papst kündigt Volkskirche auf
Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Renate Schmidt nannte
die Entscheidung der Bischofskonferenz bedauerlich. Nun müssten ''sorgfältige
und parteiübergreifende Gespräche mit der Katholischen Kirche geführt werden'',
schrieb sie in einer in München veröffentlichten Presseerklärung.
Die SPD-Bundestagsabgeordneten Edith Niehuis und Hanna
Wolf erklärten, der Papst kündige mit seiner Erklärung ''in Deutschland
die katholische Kirche als Volkskirche auf''. Wenn Lehmann meine, viel Spielraum
bezüglich des Beratungsscheins zu haben, ''dann irrt er''. ''Die Bischöfe
sind aufgefordert, schnellstens für Klarheit zu sorgen, damit der Staat überlegen
kann, inwieweit die katholische Kirche im sozialen Bereich noch ein verlässlicher
Partner ist'', schloss die Erklärung.
FDP sieht nur Kirchenkonflikt entschärft
Der FDP-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt kritisierte: ''Das Papst-Wort mag theologisch
begründbar sein, aber es ist fernab jeder Lebenswirklichkeit.'' Mit ihrer
Entscheidung hätten die Bischöfe einen Kirchenkonflikt entschärft. ''Der Schwangerschaftskonflikt
vieler Frauen wird dadurch eher verschärft.''
Grüne loben Standhaftigkeit der Bischöfe
Die Grünen-Abgeordneten Christa Nickels und Rita Griesshaber begrüßten, dass
die katholische Kirche weiterhin ''Beratung mit Ausstellung des Scheins anbietet''.
Dennoch bleibe es problematisch, dass der Vatikan der deutschen Gesellschaft
diese Diskussion von außen aufgezwungen habe. ''Wenn die Katholiken, als Laien
oder als Bischöfe, ... nach einer Lösung im Papstkonflikt suchen, sollten
wir als Gesellschaft versuchen, dieses Problem gemeinsam zu lösen''.
Süddeutsche Zeitung – Januar 28, 1998 Anzeiger W
Ude und
die 'Power-Frauen'
'Wer in diesem Jahr noch einen Platz bei der SPD bekommen
will, muss früh kommen.' Mit Humor reagierte Oberbürgermeister Christian Ude
auf den großen Andrang von mehr als 300 Besuchern beim Neujahrsempfang der
SPD München-West in der Pasinger Traditionsgaststätte 'Zur
Goldenen Gans'. Neben dem OB präsentierten sich die drei 'SPD-Powerfrauen'
aus dem Münchner Westen, Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf
(rechts), Landtagsabgeordnete Anne Hirschmann (links) und Bezirksrätin Gerda
Schneider-Köther: 'Ohne die Frauen gibt es keinen Fortschritt' brachte Wolf
die Einstellung der SPD-Frauen im Westen auf den Punkt. Klare
Worte fand Ude zu den speziellen Problemen des Münchner Westens wie der A
99: 'Man kann nicht Jahrzehnte in den Schützengräben liegen. Es müssen auch
Entscheidungen fallen. Das finde ich gut.' Die Stadt werde sich nicht gegen
den Bau in Form einer Autobahn stellen. Die Stadt wisse sehr wohl, dass sich
der Verkehr verschärfen werde. Deshalb sei es höchste Zeit, die Planungen
zur Oberen Mühlstrasse, Bergson- sowie Lochhausener Strasse voranzutreiben.
Eine 'unseriöse Argumentation' warf Ude der CSU vor: 'Die Gelder werden rechtzeitig
bereitstehen, doch zuerst müssen die Planungen fertig sein.' Volle Unterstützung
sicherte Ude den Stadtwerken beim Neubau des Westbads zu: 'Es wäre sinnwidrig
gewesen, Abermillionen in das alte Westbad zu stecken und danach sähe es genauso
popelig aus.' Dem neuen Westbad werde der gleiche Erfolg wie dem Nordbad beschieden
sein. Den Vorwurf der CSU, München solle wohl zur Bäderstadt ausgebaut werden,
könne er nicht nachvollziehen, sagte der OB. 'Nach der Eröffnung des neuen
Westbades wird sich sicherlich kein CSU-Politiker vor eine Kamera drängen,
um zu erklären, dass er gegen das neue Westbad ist.'
Süddeutsche Zeitung – Januar 28, 1998 Politik
Bischöfe
beugen sich der Bitte des Papstes
Konfliktberatung für Schwangere
Katholische Kirche stellt von 1999 an keine Beratungsscheine mehr aus - Hilfe
für Frauen wird aber verstärkt - Bonner Koalition bekennt sich zum geltenden
Abtreibungsrecht - SPD: Johannes Paul II. kündigt Volkskirche
auf
ck Mainz (Eigener Bericht) - Die katholische Kirche in Deutschland wird vom
kommenden Jahr an keine Beratungsscheine mehr ausstellen, die Voraussetzung
für eine straffreie Abtreibung sind. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz,
Bischof Karl Lehmann, sagte in Mainz, die Kirche wolle aber nicht vollständig
aus der Schwangerschaftsberatung aussteigen. Sie könne sich jedoch der 'dringenden
Bitte' des Papstes nicht verschließen. Eine Arbeitsgruppe soll nun eine Alternative
zur bisherigen Beratungspraxis ausarbeiten. Bundeskanzler Helmut Kohl meinte
zu der Erklärung der deutschen Bischöfe, er hoffe, dass die katholische Kirche
einen Weg finden werde, der ihren Beratungsstellen weiter das Vertrauen der
werdenden Mütter sichert. Lehmann betonte auf einer Pressekonferenz, die Kirche
werde abtreibungswillige Frauen nicht im Stich lassen. Die Beratung für Schwangere
solle sogar intensiviert werden. Im Detail habe man aber auf der Sitzung am
Wochenende in Würzburg, auf der die Diözesanbischöfe über das Schreiben des
Papstes diskutierten, noch keine Lösung gefunden, ob und wodurch der 'ins
Zwielicht geratene Beratungsschein' ersetzt werden könne. Im Gespräch sei
eine Art 'Beraterbrief' oder eine 'eidesstattliche Erklärung' der beratenden
Stelle.
Der Papst hatte in seinem am Dienstag vorgestellten Brief beklagt, die Beraterinnen
kirchlicher Stellen würden gegen ihren Willen 'in den Vollzug eines Gesetzes
verwickelt, der zur Tötung unschuldiger Menschen führt'. Johannes Paul II.
forderte, 'nicht der Zwang der Vorschrift' dürfe es sein, der Frauen zu kirchlichen
Beratungsstellen treibe, 'sondern die sachliche Kompetenz, die Bereitschaft
zu konkreter Hilfe'.
Bischof Lehmann sagte: 'Wir werden dem Papst Folge leisten. Wir werden diese
Scheine nicht mehr ausstellen.' Allerdings könne die derzeitige Praxis nicht
sofort geändert werden. Bis zu ihrer Frühjahrsvollversammlung wollen die Bischöfe
eine Arbeitsgruppe bilden, die Wege für eine 'wirksame' Beratung auch ohne
Schein finden soll. Er hoffe, dass die Neuregelung Anfang 1999 in Kraft treten
könne, meinte Lehmann.
Der Vorsitzende der Bischofskonferenz merkte an, dass rund 85 Prozent der
Frauen von kirchlichen Beratungsstellen gar keinen Schein verlangten. Zwar
hätten die Bischöfe bislang das Verbleiben im derzeitigen Beratungssystem
verteidigt, um zur Rettung ungeborenen Lebens beizutragen. Doch der Papst
hege die Sorge, dass 'hier eine Zweideutigkeit besteht, welche die Klarheit
des Zeugnisses der Kirche verdunkelt'. Nun müsse darüber diskutiert werden,
ob eine Gesetzesänderung im Bund oder in den Ländern oder eine Änderung von
Verwaltungsvorschriften ausreichten, damit die katholische Kirche auf neuem
Weg ihre Konfliktberatung fortsetzen könne, ohne Scheine ausstellen zu müssen.
Die Entscheidung der deutschen Bischöfe, die Beratungsscheine bald nicht mehr
auszustellen, wurde in der Politik mit Bedauern und Kritik aufgenommen. Die
CDU werde der Aufforderung der Kirche, das Abtreibungsrecht zu ändern, nicht
nachkommen, sagte CDU-Generalsekretär Peter Hintze in Bonn. Hintze äußerte
die Hoffnung, dass die katholische Kirche einen Weg finden werde, ihre Beratungstätigkeit
so auszugestalten, dass sie sowohl dem Konsens des Gesetzes als auch dem eigenen
ethischen Anspruch gerecht werde. Der FDP-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt sagte,
mit seiner Partei werde es beim Paragraphen 218 kein Zurück geben. Die SPD-Bundestagsabgeordneten
Edith Niehuis und Hanna Wolf kritisierten, der Papst kündige
mit
seiner Erklärung 'in Deutschland die katholische Kirche als Volkskirche auf'.
Hingegen begrüßten die Grünen-Politikerinnen Christa Nickels und Rita Griesshaber,
dass die katholische Kirche die
Beratung fortführe und vorläufig auch Beratungsnachweise anbiete.
Der Kölner Kardinal Joachim Meisner warf Bundeskanzler Kohl einen Mangel an
Engagement für den Lebensschutz vor. Kohls 'langes Schweigen' müsse den Eindruck
erwecken, als ob ihm dieses Anliegen nicht ganz so wichtig sei, sagte Meisner
der Rheinischen Post. Es wäre zu wünschen gewesen, 'dass der Bundeskanzler
für dieses Problem zumindest soviel Energie aufgewandt hätte wie für den Euro'.
Focus Magazin – Februar 2, 1998
ABTREIBUNG
- IM SCHATTEN ROMS
Nicola Brüning, Norbert Robers
Das Papstschreiben vergrößert die
Kluft zwischen Frauen und Kirche. Auch den Bischöfen weist es keinen eindeutigen
Weg
Der bibelfeste Katholik muss nicht lange suchen. Gleich auf den ersten Seiten
des Alten Testaments findet er das Urteil: Das Weib ist böse (Genesis 3, 124).
Eva und ihre Gier tragen die Schuld, dass die Menschheit nicht im Paradies
leben darf seither hat die Kirche oft über Frauen gerichtet.
Die Zeiten der Inquisition liegen hinter uns, längst begehrt das schwache
Geschlecht gegen die scheinbar unangreifbare vatikanische Allmacht auf. Seit
der Veröffentlichung des Papstbriefes zur deutschen Abtreibungspraxis droht
ein neuer Exodus. Johannes Paul II., urteilten die SPD-Politikerinnen
Edith Niehuis und Hanna Wolf, "kündigt die katholische
Kirche als Volkskirche auf". In seltener Eintracht verdammen seitdem
Politiker aller Parteien die "eindringliche Bitte" des Papstes,
die Beratungsscheine als formale Voraussetzung für eine straffreie Abtreibung
aus den 269 katholischen Beratungsstellen zu verbannen. "Unwürdig für
diese große Kirche", schimpft die stellvertretende SPD-Vorsitzende
Renate Schmidt. FDP-Chef Wolfgang Gerhardt kommentiert: "Die Verweigerung
des Scheins ist ein Rückzug aus der Lebenswirklichkeit."
Eine Woche der Abrechnung. Politiker, Laien, Theologen: Sie alle nutzten den
Papstbrief, um der vermeintlich frauenfeindlichen, prüden und autoritär regierten
katholischen Kirche tage- und seitenlang die Meinung zu sagen. Es klang wie
eine Bitte um Gnade, als Karl Lehmann, Vorsitzender der Bischofskonferenz,
fast beschwörend appellierte: "Auch in Zukunft sind schwangere Frauen
in Not bei katholischen Beratungsstellen am besten aufgehoben."
Kaum einer widersprach, als sich Christa Nickels, kirchenpolitische Sprecherin
der Grünen, durch das "Agieren von Rom in der Forderung nach einer Trennung
von Kirche und Staat bestätigt" fühlte.
Niemand wird die katholische Kirche daran hindern können, aus dem Beratungssystem
auszusteigen. Damit würde der 1995 mühsam errungene Abtreibungskompromiss
in Frage gestellt, der zwar Politik und Gesellschaft weitgehend befriedete,
die Kirche jedoch in ein Dilemma stürzte. Auf der einen Seite gläubige "Lebensschützer",
die einen Ausstieg aus der Beratung verlangen, auf der anderen Seite die Katholiken,
die das Gespräch zum "Schutz des ungeborenen Lebens" befürworten.
Freilich müsste die Kirche den Ausstieg und dessen Folgen auch allein verantworten.
Der Schein bestätigt zwar, dass eine Beratung zugunsten des Kindes stattfand.
Er hat aber nach Ansicht des Pontifex Maximus auch eine "Schlüsselfunktion
für die Durchführung straffreier Abtreibung".
Einen Persilschein "solcher Art" lehnt der Papst ab. Mit der Forderung
nach einer katholisch reinen Beratungsvariante, die er jedoch im Schreiben
nicht näher erläutert, lässt er seine Bischöfe mit ihren "bescheidenen
Geistesblitzen" (Lehmann) ratlos zurück.
Die ersten Momente der Erleichterung, als die 27 Bischöfe auf den "brüderlichen
Ton" des Papstschreibens ihr Hosianna anstimmten, sind ernsten Zweifeln
gewichen. Was der Limburger Oberhirte Franz Kamphaus formvollendet als "Quadratur
des Kreises" bezeichnet, bedeutet für die Würdenträger ein unlösbares
Problem.
Den Ausstieg aus dem Staatssystem verlangt der Papst nicht. Der in diesen
Tagen oft geäußerte Vorschlag, die Frau zur Geburt zu ermutigen, sie dann
mit einem "Beraterbrief" statt des Beratungsscheins zur nächsten
nichtkatholischen Stelle zu schicken, wirkt wie reiner Formalismus. "Trotz
lebensbejahender Beratung müssen wir damit rechnen, dass sich die Frau gegen
das Kind entscheidet. Eine gewisse Zweideutigkeit wird bleiben", fürchtet
Triers Bischof Hermann Josef Spital (Interview Seite 23).
Viele der Konferenzteilnehmer verbargen ihre Enttäuschung über das päpstliche
Dekret nicht. In langen Sitzungen hatten die Bistumsleiter der Kurienspitze
und dem Papst ihre moraltheologischen Argumente für den Verbleib in der Beratung
erläutert. Ohne Erfolg: "Davon wurde nichts berücksichtigt", klagt
ein Bischof. "Der Brief verurteilt die Zweideutigkeit des Scheins, ist
aber selbst alles andere als eindeutig."
Der Schaden für die katholische Kirche bleibt, unabhängig von der künftigen
Schein-Lösung, immens. Zahlreiche Frauen fühlen sich vor den Kopf gestoßen,
weil sie mehr erwarten als Worte. "Viele, die eine Abtreibung erwägen,
werden nicht mehr zu einer katholischen Beratungsstelle gehen", prophezeit
Maria Eichhorn (CSU), Vorsitzende der Unions-Arbeitsgruppe Familie.
Wie sehr die katholischen Verantwortlichen mit dem Rücken an der Wand stehen,
zeigte sich, als nur einen Tag nach der päpstlichen Offenbarung Stimmen laut
wurden, die den Entzug der Fördergelder für die konfessionellen Beratungsstellen
forderten. Die Replik einiger Bischöfe, dass man doch gar nicht den Rückzug
aus dem staatlichen System plane, ging unter. Ebenfalls der Verweis darauf,
dass 85 Prozent der bei katholischen Stellen hilfesuchenden Frauen keinen
Beratungsschein verlangen.
Zeitgleich beeilten sich Politiker aller Parteien kundzutun, dass an eine
erneute Änderung des Paragraphen 218 nicht zu denken sei. An vorderster Front
christdemokratische Wahlkämpfer, denen eine Abtreibungsdebatte geradezu als
teuflische Sendung erscheint.
Eine Reform des Abtreibungsrechts hatten die Bischöfe keineswegs gefordert.
Wohl aber hatte das Bundesverfassungsgericht schon 1993 die Nachbesserungspflicht
des Gesetzgebers für den Fall betont, dass das Konzept nicht zu einem Rückgang
der Schwangerschaftsabbrüche führe. Tatsächlich steigen die Zahlen stetig:
1996 wurden 130 899 Föten abgetrieben, im ersten Halbjahr 1997 waren es bereits
68 170.
Der sächsische CDU-Generalsekretär Steffen Flath gibt zu Bedenken, dass Mütter,
die sich für ein Kind entschieden, sich "nicht selten einer kalten Welt"
ausgesetzt sähen. Ein Blick in die Statistik belegt den Vorwurf: Mehr als
ein Drittel aller Sozialhilfeempfänger sind alleinerziehende Frauen.
Mit keinem Satz erwähnten der Papst und die deutschen Bischöfe die Pflichten
des starken Geschlechts für das ungeborene Leben. "Ich halte es für zwingend,
dass verstärkt auch die unbestreitbare Verantwortung des Mannes einbezogen
wird", meint Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU). Häufig gerieten
Frauen erst in den Schwangerschaftskonflikt, weil der Partner Druck auf sie
ausübe oder sie allein lasse.
Bis 1999 wird sich vermutlich wenig ändern: Mit Ausnahme des Bistums Fulda
halten alle Bischöfe an der vorläufigen Scheinausgabe fest. Mit "aller
Kraft" wird sich die Caritas als größter katholischer Träger bemühen,
ihre letztjährige Erfolgsbilanz zu wiederholen. 1996 war die Zahl Ratsuchender
in der katholischen Konfliktberatung bundesweit auf 20 117 Frauen gestiegen.
Nachweislich 5000 Frauen entschieden sich für das Kind.
KEIN SCHEIN kein Geld?
Die Finanzierung der katholischen Beratungsstellen regeln die Bundesländer
unterschiedlich. Nach dem Papstschreiben droht nun die Mittelkürzung:
HESSEN kündigt wie Rheinland-Pfalz an, die Zuschüsse von insgesamt 800 000
Mark zu streichen, wenn die 14 Beratungsstellen im Bistum Mainz keine Beratungsscheine
mehr ausstellen. Das Bistum will seine Arbeit für schwangere Frauen in Not
auch ohne staatliche Mittel fortsetzen.
BADEN-WÜRTTEMBERG: Stellen die 42 katholischen Beratungsstellen im Land keine
Scheine mehr aus, wird der jährliche Zuschuss von 50 000 Mark je Beraterstelle
auf 23 500 gekürzt.
NRW förderte 49 von 63 katholischen Beratungsstellen mit drei Millionen Mark
(1997). Das Land will zunächst abwarten, wie die Kirche vorgeht, ehe es Finanzfragen
entscheidet.
BAYERN unterstützte 23 katholische Beratungsstellen mit fünf Millionen Mark
(1997). Sozialministerin Barbara Stamm (CSU) erklärt: "Jetzt ist nicht
der Zeitpunkt, über finanzielle Fragen zu reden."
Vier
Parteien warnen Bischöfe
Markus Franz
Bundestag
debattiert Schwangerenberatung. SPD, Grüne, FDP, PDS: Falls
Beratungsscheine entfallen, sollen katholische Einrichtungen keine Staatsgelder
erhalten. Union bleibt unschlüssig
Der Staat soll die finanzielle Unterstützung für die Schwangerenberatung der
katholischen Kirche einstellen, sobald diese keine Beratungsscheine mehr ausstellt.
Das haben gestern SPD, Bündnisgrüne, FDP und PDS in einer
aktuellen Stunde zum "Schwangerenkonfliktgesetz und zur beabsichtigten
Neuordnung der kirchlichen Beratungstätigkeit" gefordert. CDU und CSU
legten sich in dieser Frage nicht fest. Die katholische Kirche hatte Anfang
Februar auf Weisung des Papstes angekündigt, sie wolle ab 1999 keine Beratungsscheine
mehr ausstellen, die für eine legale Abtreibung erforderlich sind. Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger sagte gestern für die FDP, sie sehe die Entscheidung
der katholischen Kirche vollkommen unaufgeregt. Wenn die Kirche keine Beratungsscheine
mehr ausstelle, bekomme sie eben kein Geld mehr vom Staat. Statt dessen müssten
andere Beratungsstellen in die Bresche springen und entsprechend finanziert
werden. "Der Staat ist verpflichtet, seine Gelder so auszugeben, dass
das Schutzkonzept für das ungeborene Leben realisiert werden kann." Das
fordert auch die SPD. Hanna Wolf sagte, gerade in Bayern
müssten erhebliche Fördermittel für freie Träger neu verteilt werden. 46 Prozent
der Beratungen freier Träger würden von katholischen Beratungsstellen durchgeführt.
"Nicht die katholischen Beratungsrichtlinien sind maßgeblich", so
Hanna Wolf, "sondern die bundesgesetzlichen." Die
CDU-Redner legten sich in der Frage der Weiterfinanzierung der Kirche nicht
fest. Die Vorsitzende der Gruppe der Frauen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion,
Bärbel Sothmann, wandte sich allerdings dagegen, das Abtreibungsrecht wieder
in Frage zu stellen, wie es die katholische Kirche und auch die CSU in jüngster
Zeit gefordert hatten. Nach jahrelangem Kampf und quälenden Diskussionen müsse
damit jetzt Schluss sein, sagte Bärbel Sothmann, die nicht verhehlte, dass
sie eine Gegnerin von Abtreibung und Fristenlösung bleibe.
Die CSU tritt dafür ein, die katholische Kirche auch weiterhin finanziell
zu unterstützen. Theo Waigel und Norbert Geis hatten sich im Vorfeld der aktuellen
Stunde dafür ausgesprochen. Die Rednerin der CSU, Maria Eichhorn, legte sich
gestern allerdings nicht fest. Dafür gebe es keinen Grund, solange die Kirche
noch Beratungsscheine ausstelle.
Die FDP-Fraktion geht davon aus, dass sich die CSU mit ihrer Ansicht nicht
durchsetzen kann. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagte, die Bundesregierung
habe sich dahingehend bereits klar geäußert. In einer schriftlichen Anfrage
über die Konsequenzen der kirchlichen Entscheidung, ab 1999 keine Beratungsscheine
mehr auszustellen, habe die Bundesregierung geantwortet, es werde keine Maßnahme
von Bundesseite geben. Das, so Frau Leutheusser, bedeute eine Absage an die
Änderung des geltenden Rechts, das den öffentlich finanzierten Beratungsstellen
die Bescheinigung der Beratung vorschreibe. Kritik an Frauenministerin Claudia
Nolte übte Rita Griesshaber (Grüne). Es sei Aufgabe der Politik, "den
zynischen Umgang mit den Frauen anzuprangern". Statt dessen gebe es mit
Claudia Nolte eine Ministerin, die nicht in der Lage sei, gegenüber dem Vatikan
klare Worte zu finden.
Markus Franz
Süddeutsche Zeitung – März 10, 1998 München
Ein Plakat,
das zum Hinschauen auffordert
'Es gibt keine Rechtfertigung für Belästigung, Übergriffe, Demütigung, Missbrauch
und Vergewaltigung', wirbt derzeit auf Plakaten die Münchner Kampagne 'Aktiv
gegen Männergewalt'. Die Kontakt- und Informationsstelle für Mädchenarbeit
(Imma) ergänzte die Protestnote durch den Zusatz: 'Mädchen und Frauen mit
Behinderung wehren sich.' Imma zufolge sollen diese nämlich aufgrund ihrer
Lebensumstände besonders gefährdet sein, Opfer sexuellen Missbrauchs zu werden.
Diese Gefahr drückten Betroffene auf ihre Art aus und gestalteten ein Plakat
am U-Bahnhof Sendlinger Tor. 'Schauen Sie nicht weg, wenn andere Hilfe brauchen',
wird unter anderem an Passanten appelliert. Zumindest bei den SPD-Bundestagsabgeordneten
Ulrike Mascher und Hanna Wolf trafen die Mädchen mit der
Forderung auf Gehör. burt/Photo: Andreas Heddergott
Süddeutsche Zeitung – März 25, 1998 München
Eigene
vier Wände - nur für Genossinnen
Ein neues Modell auf dem Gelände der Waldmann-Stetten-Kaserne
Pläne für bundesweit größtes Frauenwohnprojekt unterhalb des Olympiaberges
reifen
Ein neuartiges Wohnmodell könnte es bald im Münchner Nordwesten südlich des
Olympiaparks geben. Bei der Bebauung des ehemaligen Waldmann-Stetten-Kasernengeländes
an der Ackermann-/Schwere-Reiter-Strasse soll erstmalig in München eine Wohnanlage
nur für Frauen entstehen - ganz zufällig auf einem Areal, auf dem jahrzehntelang
Männer dominierten.
Zur Verwirklichung dieses ungewöhnlichen Projekts gründeten 50 Frauen vor
einigen Wochen in der bayerischen Landeshauptstadt die 'erste bayerische FrauenWohn-
und Baugenossenschaft'. Prominentestes Mitglied ist die Bundestagsabgeordnete
Hanna Wolf (SPD), die sich mit ihren Geschlechtsgenossinnen
einiges vorgenommen hat: 'Wir wollen bezahlbaren Wohnraum für Frauen schaffen
und spezielle, auf Fraueninteressen ausgerichtete Wohnungen entwickeln', beschreibt
Initiatorin Lilo Becker-Gmahl die Idee der 'Genossinnenschaft' - nach eigenen
Angaben das 'bundesweit größte Frauenwohnprojekt'. In der modellhaften Anlage
am Ackermannboden an der Stadtviertelgrenze zwischen Schwabing-West und Neuhausen
sollen insgesamt rund 100 Wohnungen unterschiedlicher Größe sowie nach individuellen
Wünschen gebaut werden. Besondere Bedeutung kommt bei dem vom Verein 'FrauenWohnen
e.V.' gegründeten Genossenschaftsmodell dem 'nachbarschaftlichen Miteinander'
zu. So sollen unter dem Motto 'Achtsamkeit statt Anonymität' in der Wohnanlage
insbesondere auch viele Gemeinschaftszentren eingerichtet werden.
MÄNNER MIT WENIGER RECHTEN
Männer bekommen bei diesem nur von Frauen geführten Wohneigentumsmodell übrigens
nicht von vornherein die Rote Karte, sondern dürfen in die Anlage als Mitbewohner
einziehen - jedoch mit weniger Rechten. Denn nur 'eine Frau kann einen Genossenschaftsanteil
kaufen und ,Mitfrau in der Genossenschaft werden', erläutert Lilo Becker-Gmahl.
Ob dieses einzigartige Wohnmodell unterhalb des Olympiabergs tatsächlich verwirklicht
wird, steht allerdings noch nicht fest. Denn die Entscheidung, wie viele und
welche der interessierten Bauträgergesellschaften und Genossenschaften das
Areal bebauen und vermarkten können, muss erst noch im Stadtrat fallen. Vorab
müsse sorgfältig geprüft werden, ob die Bewerber alle Voraussetzungen erfüllten,
um einen reibungslosen Ablauf des Großprojekts zu gewährleisten, erklärt Sprecher
Günter Suska vom Planungsreferat.
Auf dem ehemaligen Gelände der Waldmann-Stetten-Kaserne sollen im ersten Bauabschnitt
zunächst rund 1000 Wohnungen entstehen. Nach den Prognosen der Stadt könnten
voraussichtlich Mitte 1999 die ersten Bagger auf dem Areal anrollen - falls
es zu keinen zeitlichen Verzögerungen beim derzeit laufenden Planungsverfahren
für das Großprojekt kommt. Doch 'wir arbeiten mit Hochdruck an den Planungen',
versichert Suska.
INFORMATIONSVERANSTALTUNG
Einzelheiten über die Frauenwohngenossenschaft gibt es beim Verein Frauen
Wohnen. Dieser ist zu erreichen über die Initiative 'Urbanes Wohnen' in der
Schwabinger Seidlvilla, Nikolaiplatz 1b (Telephonnummer 34 46 69) sowie bei
einer Informationsveranstaltung am Mittwoch, 25. März, um 20 Uhr im Kulturladen
Westend an der Ligsalzstrasse 20.
Hanna Wolf - eine Eisbärin im Bundestag
Bei den Münchner SPD-Frauen macht sie einer jüngeren Platz
von Eva-Maria Schreiner
Eisblau strahlt die Bluse, stahlgrau das Jackett. Die Münchner Bundestagsabgeordnete wirkt wie eine Eisbärin: ruhig und stark - mit polarweißem Haarschopf, tiefblauen Augen.
Hanna Wolf kam von Berlin über Hamburg und Düsseldorf als Sportfotografin nach München. Sie ist die Frau, die im Grünwalder Stadion das erste Bundesliga-Tor fotografierte. "Ich war miserabel bezahlt, hatte aber einen spannenden Beruf", resumiert sie heute. Anfang der 70er Jahre, angetan von Willy Brandts Ostpolitik und der ersten Marienplatz-Groß-Demo gegen den § 218, engagierte sich Hanna Wolf in der SPD - um dann 17 Jahre lang die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (AsF) zu bleiben. Morgen legt die 61jährige Frauenpolitikerin im Löwenbräukeller ihr Münchner Mandat nieder. Eine jüngere soll zu Zuge kommen: Christine Strobl (37), Stadträtin und Vorsitzende der Gleichstellungskommission. Der AsF-Vorstand schlägt die Politologin als Wolf-Nachfolgerin vor - gewählt wird morgen zwischen 10 und 16 Uhr.
Das Thema Generationswechsel liegt eben in der Luft. Doch die Power-Politikerin aus dem Münchner Westen ist über diesen Abschied nicht traurig: "Das private fehlt mir. Schon lange komme ich wenig ins Kino, weiß nicht mehr, was es in den Theatern gibt."
1990 zog die starke Hanna, als "personifizierte bayerische Toleranz" für den Wahlkreis München West in den Bundestag ein - als zweite Münchnerin in Bonn. Die damals 55jährige, die auch eine ostdeutsche Biographie hat (1945 floh sie mit Eltern und fünf Geschwistern auf dem Pferdewagen aus Mecklenburg nach Brandenburg, später nach Westberlin), war fasziniert vom neuen gesamtdeutschen Bundestag. Kleine Sensation: "Die Neue" avancierte sofort zur frauenpolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. "Die Frage kam: Wer will’s machen?" "Ich habe gesagt, ich traue mich", erinnert sich Hanna Wolf.
Pressefotografie und die hohe Politik - Hanna Wolf setzte sich beruflich in zwei Männerdomänen durch. Die erklärte Feministin reagiert hellhörig, wenn der Begriff als Schimpfwort deklamiert wird ("wenn Jutta Limbach sagt, ich bin Feministin, sage ich das auch"). Sie ist eine Quotenfrau der SPD und stolz darauf - weil sie eine von denen war, die die Paritätische Zusammenstellung von Wahllisten in harten Kämpfen mit durchgesetzt hat. "Mittlerweile gibt es auch schon Quotenmänner", knurrt sie und ergänzt verschmitzt: Sie mache ja auch ganz bewußt Männerpolitik. Es ist ihr ernst mit dieser Aussage: Männer sollen nicht länger "amputiert leben", sondern die zweite Hälfte der Welt gewinnen - die Welt ihrer Kinder.
Kinderlos ("ich wollte selbständig sein") gibt es für Hanna Wolf keine Trennung zwischen Privatleben und der Politik. Die SPD ist die Gemeinschaft, in der Hanna Wolf die Großfamilie gesucht hat, aus der sie stammt: "Bei allem Ärger und Frust, die Bindung an Menschen ist für mich etwas glückliches".
Hanna Wolf lebt gern in Gern. Die SPD Lochhausen ist ihr Münchner Heimat-Ortsverein. Im Münchner Westen kandidiert die "Eisbärin" dieses Jahr erneut für den Bundestag. Sie will die alte Profi-Kamera auspacken, um das letzte Jahr "Bundesrepublik von Bonn aus" festzuhalten. Nach Berlin will die Politikerin auf jeden Fall mit. In der Wolfschen Wahrnehmung ist Berlin nur einen "Steinwurf" von ihrem Mecklenburgischen Geburtsort entfernt: "Dort schließt sich für mich ein Kreis."
Süddeutsche Zeitung – März 28, 1998 München
Es ging
um mehr als nur um Posten
Nach 16 Jahren übergibt Hanna Wolf heute den AsF-Vorsitz
an Christine Strobl
Die Frau gehört ins Haus - und zwar ins Rathaus! Mit frechen Wahlkampf-Slogans
machten die Frauen in der Münchner SPD 1984 erstmals so richtig
auf sich aufmerksam. Und sie warben erfolgreich dafür, dass man auf der Stadtratsliste
den zu wählenden Personen bis zu drei Stimmen geben kann: Die Kandidatinnen
der SPD wurden bei der Kommunalwahl deutlich nach vorne 'gehäufelt'.
1990 erreichten die Frauen noch mehr - sie hatten die innerparteiliche Quote
durchgesetzt. Die SPD ist damals mit einer Stadtratsliste
angetreten, die je zur Hälfte mit Frauen und Männern besetzt war. Inzwischen
haben die Frauen im Rathaus viel zu sagen: In der seit 1996 amtierenden SPD-Fraktion
sind die 18 Stadträtinnen in der Überzahl gegenüber den 13 Männern. Auf verschiedenen
politischen Ebenen haben sich die SPD-Frauen Mandate erkämpft.
In der Stadt stellen sie an Führungspositionen immerhin mit Gertraud Burkert
die Zweite Bürgermeisterin und mit Elisabeth Weiß-Söllner die Stadtschulrätin.
1985 setzten die Politikerinnen im Rathaus die Gleichstellungsstelle für Frauen
durch. Sie war die erste ihrer Art in Bayern und wurde zum Vorbild für Kommunen,
aber auch für andere öffentliche Einrichtungen und Verbände.
Seit 1982 ist die heute 61jährige Hanna Wolf Vorsitzende
der 'Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen' (AsF) beim Unterbezirk.
Nach 16 Jahren, auf die Wolf besonders stolz ist, sei es nun Zeit für einen
Generationswechsel, so die stellvertretende Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Stadträtin Christine Strobl (37)
soll heute auf der AsF-Jahreskonferenz im Löwenbräukeller neue Chefin der
Arbeitsgemeinschaft werden.
Nur um das Ergattern von Posten, von denen aus sie sich für die Veränderung
von männerdominierten Strukturen einsetzen können, geht es den Frauen freilich
nicht. Beim Streben nach wirklicher Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern
brauche man einen neuen 'Gesellschaftsvertrag', sagt Hanna Wolf.
Ein konkretes Beispiel: die Steuerpolitik. Helga Schulz, die Vorsitzende des
Deutschen Frauenrats, wird heute um 13 Uhr im Bennosaal des Löwenbräu-Kellers
am Stiglmairplatz darüber sprechen. Ihr Vortrag ist öffentlich. Hanna
Wolf: 'Im bisherigen Steuerrecht sind die Rollen festgeschrieben
- der gutverdienende Ehemann und die Frau als Mitverdienerin.' Auch in der
Ehe solle es eine Individualbesteuerung geben und jeder für das bezahlen,
was er oder sie verdiene.
Wie schwierig es oft ist, den Alltag zu organisieren und die Doppelbelastung
durch Beruf und Familie zu meistern - da kann Christine Strobl, die ihr zweites
Kind erwartet, mitreden. Obwohl auch ihr Mann Familienarbeit leistet, reicht
das nicht aus. Die Stadt hat viel für den Ausbau von Kindergärtenplätzen getan.
Im Bereich der Hort-Betreuung, so Strobl, sei die Situation aber nach wie
vor katastrophal.
Süddeutsche Zeitung – Mai 7, 1998 München
Gerichtsentscheid
löst Betroffenheit aus
Nach Baustop für Kindergarten
Mit Bestürzung haben Politiker aller Parteien auf den gerichtlich verhängten
Baustop für einen Kindergarten in Obermenzing reagiert (die SZ berichtete
gestern ausführlich). Bürgermeisterin Gertraud Burkert nannte die juristische
Eilentscheidung 'unverständlich'. Kindertageseinrichtungen oder Spielplätze
in der Nachbarschaft müssten eher als Gewinn betrachtet werden. 'Sollte es
Schule machen, dass diese mit Hilfe der Gerichte zunehmend be- und verhindert
werden, würde dies letztlich nur zu einem weiteren Abwandern von Familien
mit Kindern ins Umland führen - dies wäre ein Verlust, den niemand wollen
und verantworten kann.' Die Landtagskandidatin und langjährige Kreisvorsitzende
der ÖDP in Pasing/Obermenzing, Ingrid Widmann, fragt: 'Wo denn sonst, als
in einem reinen Wohngebiet, sind Kinder am besten aufgehoben - sollen sie
in ein Gewerbegebiet abgeschoben werden?' Auch Vögel könnten im Morgengrauen
sehr laut sein - 'sollen sie demnächst per Gerichtsurteil aus den Gärten verbannt
werden?' Als 'alte Obermenzingerin' ist die SPD-Bundestagsabgeordnete
Hanna Wolf tief betroffen. Wenn es Konsequenz des Baurechts
wäre, dass in reinen Wohngebieten die soziale Grundversorgung fehle, müsse
das Gesetz geändert werden. Und Constanze Lindner-Schädlich, SPD-Stadträtin,
warnt: 'Kinder dürfen nicht zur Belastung erklärt werden!' emj
Süddeutsche Zeitung – Juni 12, 1998 Bayern
Tülay
O. soll bleiben dürfen - Appell an Innenminister Beckstein:
München (dm) - Die junge Kurdin Tülay O. aus Kempten im Allgäu, die - wie
berichtet - nach einem Ehemartyrium geschieden worden war und deshalb in den
Augen der bayerischen Behörden ihr Aufenthaltsrecht verloren hat, soll bis
zum kommenden Montag Deutschland verlassen. Weil das Innenministerium bislang
die Ansicht vertrat, 'eine sehr unglückliche Ehe allein begründet keine besondere
Härte', hat jetzt die bayerische SPD-Bundestagsabgeordnete
Hanna Wolf eindringlich an Innenminister Günther Beckstein
appelliert, einzulenken und der von Abschiebung bedrohten Frau und ihren zwei
Kindern 'ein eigenständiges Aufenthaltsrecht' zu gewähren. 'In keinem anderen
Bundesland würde Tülay O. ausgewiesen werden', argumentiert Hanna
Wolf. Beckstein solle alles veranlassen, 'um diesen unerträglichen
Zustand, in dem der Täter im Lande bleiben darf und das Opfer ausgewiesen
wird', zu beenden. Dies entspreche der neuen Regelung des Ausländergesetzes
für außergewöhnliche Härtefälle. Mit ihr wolle der Bundesgesetzgeber Opfer
von Gewalttaten schützen - unabhängig von der Dauer der Ehe in Deutschland.
Die bisherige Rechtsauslegung der Staatsregierung werde aber dem vorliegenden
Fall nicht gerecht. Die von ihrem Mann geschundene Frau solle zumindest bis
zum Abschluss des Berufungsverfahrens hier bleiben dürfen, fordert Wolf.
Bundestag
ächtet Klitorisbeschneidung
Astrid Prange
Künftig sollen Frauen, die aus Angst
vor einer genitalen Verstümmelung aus ihrem Heimatland fliehen, Aufenthaltsrecht
in Deutschland erhalten. Der Entschließungsantrag wurde von allen Fraktionen
unterstützt
130 Millionen Frauen sind weltweit an ihren Genitalien verstümmelt, schätzt
das Kinderhilfswerk Unicef der Vereinten Nationen, jährlich kommen demnach
2 Millionen hinzu. Der Bundestag hat gestern einstimmig diese Praxis geächtet.
Durch die von allen Fraktionen gemeinsam getragene Empfehlung soll in der
Praxis ein Aufenthaltsrecht für die betroffenen Frauen in Deutschland erwirkt
werden. Grundlage für das Votum des Bundestages war eine fraktionsübergreifende
Beschlussempfehlung des Frauen- und Familienausschusses. Darin forderten die
Abgeordneten Ilse Falk (CDU), Heidemarie Lüth (PDS), Hanna Wolf (SPD),
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), Irmingard Schewe-Gerigk (Grüne)
und die Ausschussvorsitzende Edith Niehuis (SPD) die Bundesregierung
auf, die "genitale Verstümmelung an Mädchen und Frauen in der praktischen
Anwendung des Ausländerrechtes und des Asylrechtes als Menschenrechtsverletzung
zu berücksichtigen".
Außerdem soll in den Länderberichten der Botschaften an das Auswärtige Amt
künftig auch die Praxis der Verstümmelung weiblicher Geschlechtsorgane beschrieben
werden, um Entscheidungsträgern in Deutschland den Zugang zu Informationen
zu erleichtern. Die Zahl der Frauen, die aus Angst vor einer Genitalverstümmelung
oder weil sie ihre Töchter davor bewahren möchten, nach Deutschland fliehen,
ist nach Schätzungen des Frauen- und Familienausschusses bisher äußerst gering
gewesen.
Die SPD-Abgeordnete Ulla Schmidt, Vorsitzende der Querschnittsgruppe
Gleichstellung von Frau und Mann, feierte den Beschluss des Bundestages als
"Einstieg in frauenspezifische Asylgründe". Es sei jetzt klargeworden,
dass es außer politischer Verfolgung auch noch andere Gründe für ein Asylgesuch
gebe. Wenn der Staat das Recht auf die körperliche Unversehrtheit seiner Bürgerinnen
nicht garantieren könne, sei dies ein Asylgrund.
Nach geltendem Recht können Richter schon heute Frauen, denen eine Genitalverstümmelung
droht, ein humanitäres Bleiberecht gewähren. Diese Genehmigung wurde allerdings
bisher nur ein einziges Mal einer Asylbewerberin aus Elfenbeinküste erteilt,
und zwar im vergangenen Jahr vom Verwaltungsgericht in Magdeburg. "Aus
Furcht vor möglichem Missbrauch können wir den Frauen eine Einzelfallprüfung
nicht ersparen", meint Ilse Falk. Die CDU-Abgeordnete hatte sich angesichts
der "sehr guten und ernsthaften Zusammenarbeit" zwischen den Abgeordneten
aus dem Frauen- und Familienausschuss eigentlich auf einen Rüffel aus dem
Innenministerium gefasst gemacht. Doch der blieb aus. "Ich bin angenehm
überrascht, es kam keinerlei Kritik", versicherte sie, "wir haben
die Grausamkeit dieser Körperverletzung sehr deutlich gemacht."
Man schätzt, dass auch in Deutschland bereits 20.000 Frauen von der Beschneidung
betroffen sind. "Das Votum des Bundestages ist deshalb ein wichtiges
Signal dafür, dass Genitalverstümmelungen in Deutschland verboten sind",
stellt Irmingard Schewe-Gerigk klar. Ärzte, die entsprechende Eingriffe vornähmen,
machten sich strafbar.
Astrid Prange
Süddeutsche Zeitung – Juni 25, 1998
Neuer
Hausherr Doblinger?
Unternehmen als Mitbewerber für Eisenbahnerwohnungen
Notariell ist der Verkauf noch nicht
abgesichert, aber die Verträge sind paraphiert: Ein Bieterkreis von zehn regionalen
Gesellschaften hat den Zuschlag für den Kauf der insgesamt 112 600 Eisenbahnerwohnungen
des Bundes bekommen. Regionaler Bieter für die rund 5500 Wohnungen im Großraum
München ist die Bayerische Städte- und Wohnungsbau GmbH des Immobiliengroßhändlers
Alfons Doblinger, der seinerzeit die Bestände der Neuen Heimat Bayern aufgekauft
hat und diesmal auch noch Treuhandbestände des Bundeseisenbahnvermögens in
Sachsen und Thüringen mitkaufen soll. Das Unternehmen bestätigte auf SZ-Anfrage
nur die 'Bewerbung'.
Als Gesamtpreis nannte Hans Jochen Henke, Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium,
7,1 Milliarden Mark, die 'Investitionen in die Schienenwege' zufließen sollen
und damit der 'Sicherung von Arbeitsplätzen der Eisenbahner und der Bauwirtschaft'
dienen. Das entspräche rechnerisch einem Preis von weniger als 64 000 Mark
pro Wohnung, was gemessen an Eigentumswohnungen extrem billig wäre. Allerdings
sind im Gesamtbestand auch Kleinwohnungen von miserabler Bausubstanz.
Bei den Käufern habe man besonders darauf geachtet, erklärte Henke, dass diese
'über die wohnungswirtschaftliche und soziale Kompetenz verfügen, um dauerhaft
die Wohnungsfürsorge...aufrecht zu erhalten' - und zwar nicht nur für die
Eisenbahner selbst, sondern auch für die Verwaltungsangestellten des Bundeseisenbahnvermögens.
Dazu habe man sich auf eine Fülle vorbildlicher Schutzklauseln geeinigt, etwa
Wohnrecht auf Lebenszeit, Verbot von Luxussanierung, Begrenzung des Mieterhöhungsspielraums
auf drei Prozent pro Jahr plus Inflationszuschlag, Ausschluss von Eigenbedarfskündigungen
- und das alles 'einzelvertraglich garantiert'.
Herbert Frankenhauser (CSU) ist von der Losung angetan. Sie biete Schutzvorkehrungen
weit über das Übliche hinaus. Hanna Wolf (SPD) warnt, dass
die bejubelten Klauseln nicht für alle Mieter, nur für einen 'Berechtigtenkreis'
gälten. Ob der Gesamtpersonalrat - für SPD-Stadtrat Rainer
Volkmann 'unsere letzte Hoffnung' - dem Verkauf zustimmt, ist noch offen.
Süddeutsche Zeitung – Juli 9, 1998
Widerspruch
gegen Ude
Parteifreunde kritisieren 'Befreiungsschlag' im Fall Mehmet
Die Pläne von OB Christian Ude, den kriminellen 'Mehmet' auszuweisen, stoßen
auch bei anderen Sozialdemokraten auf Kritik. Klaus Hahnzog, ehemaliger dritter
Münchner Bürgermeister und Vorsitzender des Verfassungsausschusses im Landtag,
hält eine Ausweisung für rechtlich unzulässig: 'Wenn man einen ausländischen
Jugendlichen ausweisen will, kommt es ja laut Gesetz nicht nur auf die Schwere
seiner Straftaten an, sondern auch auf seine Verankerung in Deutschland.'
Diese sei bei 'Mehmet' vergleichsweise hoch, weil der Junge hier geboren wurde
und in München aufgewachsen ist; die Türkei könne man wohl 'nicht einmal als
Heimatland des Jungen bezeichnen', sagte Hahnzog zur SZ.
Ulrike Mascher, Bundestagsabgeordnete für München-Mitte, fordert ebenfalls,
den Jungen nach hiesigem Recht zu behandeln und zu verurteilen: 'Ihn auszuweisen
scheint mir keine Losung.' Zwar seien 'Mehmets' Straftaten unerträglich, doch
in der Türkei würde er sich möglicherweise noch krimineller verhalten und
noch mehr Menschen Gewalt antun. Außerdem, so Ulrike Mascher, fordere die
Bundes-SPD ein neues Staatsbürgerschaftsrecht, das eine Ausweisung
unmöglich machen würde. Dazu passe Christian Udes Forderung nicht.
Ihre Bundestagskollegin Hanna Wolf hält eine Ausweisung ebenfalls
für problematisch. Das Grundprinzip müsse lauten: 'Der Junge ist hier geboren,
ist hier kriminell geworden - er muss auch hier seine Strafe absitzen.' Allerdings
habe sie Verständnis für den 'Befreiungsschlag' Udes, der das 'zugespitzte
Thema' erledigen soll. In dieser Situation sei eine Abschiebung von 'Mehmet'
vielleicht die letzte Möglichkeit.
Auch in der SPD-Stadtratsfraktion sitzen zahlreiche Kritiker
von Udes Vorstoß. Etwa zehn von 31 Stadträten sind gegen eine Abschiebung
von 'Mehmet', wie aus der Fraktion zu hören ist. Doch zitiert werden will
damit niemand. fex
Süddeutsche Zeitung - September 4, 1998 Anzeiger W
Jubiläum
der Schützen
Beim Aubinger
Herbstfest wird mit Musik und Politikgefeiert
Nachdem der Startschuss zum diesjährigen Aubinger Herbstfest mit dem Einzug
der Aubinger und Neuaubinger Vereine bereits gefallen ist, geht es am heutigen
Freitag politisch weiter: Um 19 Uhr lädt die CSU ins Festzelt am Germeringer
Weg ein. Bei dem Abend wird auch Ministerpräsident Edmund Stoiber sprechen.
Das Wochenende nutzt dann die Aubinger Schützengesellschaft, um ihr 125. Gründungsjubiläum
zu begehen. Auch die Schützensektion München West-Land, die ihrerseits auf
75 Jahre Bestehen zurückblickt, beteiligt sich an der Feier - vor einer Hintergrundkulisse
voll bayerischer Nostalgie: Am Samstag treten im Festzelt 'Sepp & die
Steigerwälder', Frank Raimond, 'Gitti & Erika' sowie Edward Simoni auf.
Einlass zu dem Bunten Abend ist um 17.30 Uhr.
Den Sonntag will man dann etwas getragener einleiten. Nachdem die Schützenvereine
in aller Frühe um 7.30 Uhr im Festzelt empfangen werden, steht um 10 Uhr eine
Festmesse in Sankt Quirin auf dem Programm. Danach treten ab 11 Uhr die etwa
1200 Schützen ihren Zug durch Aubing an. Der Nachmittag gehört ganz den Aubinger
Musikanten, danach finden Preisverleihung und Königsproklamation statt. Der
Abschied der Schützen wird ab 19 Uhr musikalisch von den 'Unterbrunner Haderlumpen'
begleitet.
So wie das Herbstfest begonnen hat, nimmt auch sein Ende einen politischen
Lauf. Am Montag will die SPD mit Unterstützung der 'Blechblos
n' ab 18 Uhr im Festzelt für Stimmung sorgen. Den rednerischen Part übernehmen
Oberbürgermeister Christian Ude, Hanna Wolf und Anne Hirschmann.
Anja Schroeder
Süddeutsche Zeitung - September 11, 1998 München
Münchens
Abgeordnete nur im Mittelfeld
Test vor der Wahl: Wie aktiv sind die 672 Volksvertreter im Bundestag?
Riedl ist am bekanntesten, Frankenhauser am stillsten, Ulrike Mascher hat
die Bestnote
Wahltag ist Zahltag - oder Zähltag? Der Stern jedenfalls hat nachgeprüft,
wie lange jeder der 672 Bundestagsabgeordneten im Plenum geredet hat, an wie
vielen Gesetzen er mitgewirkt hat, wie stark seine Position in der Fraktion
ist und wie er von der Basis eingeschätzt wird. Und wie schneiden dabei Münchens
acht Volksvertreter in Bonn ab?
Ein Blick auf die Rednerliste zeigt, dass Herbert Frankenhauser, der den Osten
seit 1990 am Rhein repräsentiert, der große Schweiger ist. In den vergangenen
vier Jahren (Stichtag 1. März) erfreute er seine Kollegen insgesamt nur 22
Minuten mit seiner Stimme, also 5,5 Minuten pro Jahr (Zwischenrufe inklusive).
Dafür zeigte er sich aber relativ oft an der Basis und wird von immerhin 9,6
der Befragten als ihr Bonner Repräsentant genannt. Nur Erich Riedl (CSU),
seit 1969 für den Münchner Süden im Bundestag, fährt da mit 12,3 Prozent einen
höheren Wert ein und ist auch mit Abstand (66,8 Prozent) derjenige Name, der
den Münchnern am bekanntesten ist. Das ist für Riedl andererseits ein Problem,
denn er bekommt (mit 3,9 für die politische Arbeit und 3,6 für den Einsatz
im Wahlkreis) die schlechtesten Noten. In dieser Beziehung punktet Johannes
Singhammer, 1994 im Norden direkt nach Bonn gewählt, am deutlichsten (2,3
und 2,4), also etwas besser als die beiden SPD-Frauen Ulrike
Mascher (2,4 und 2,9) und Hanna Wolf (2,5 und 2,8), die ziemlich
fleißig waren: Ulrike Mascher arbeitete an 76 Gesetzen mit und redete fünf
Stunden und 40 Minuten, Hanna Wolf feilte an 56 Gesetzen
und stand zwei Stunden und 17 Minuten am Rednerpult. Der PDS-Abgeordnete Heinrich
Graf von Einsiedel, der zwar in München-Süd nominiert war, aber über die Landesliste
Sachsen nach Bonn kam, rang sich nur zur Mitarbeit an 6 Gesetzen durch.
Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, das den Abgeordneten-Test
konzipierte, schätzt die Münchner Abgeordneten als nicht sehr einflussreich
ein. Auf einer Skala von 1 bis 62 erreicht Hanna Wolf 5,
der Grüne Gerald Häfner 7 (trotz einer Redezeit von 8 Stunden und 20 Minuten),
Erich Riedl 8, Frankenhauser und Singhammer je 10 und Ulrike Mascher immerhin
18. Den Vogel schießt in diesem Punkt aber ein beim Wahlvolk weitgehend Unbekannter
ab. Ulrich Irmer, 1987 für München-Nord über die FDP-Landesliste nach Bonn
gekommen, kennen nur 32,2 Prozent seiner Wähler. In Bonn soll er aber - mit
55 Punkten in Sachen Einfluss - ziemlich wichtig sein.
Eine Zahl allerdings dürfte Herbert Frankenhauser zum Trost gereichen: Der
CDU-Abgeordnete Otto Hauser sprach - 19 Minuten in vier Jahren - noch weniger.
Dennoch hat ihn der Bundeskanzler befordert - zum Regierungssprecher.
Süddeutsche Zeitung - September 21, 1998 München
Ein fünffaches
Duell um die Stimmen
Bundestagswahl: Der Kampf um die Direktmandate
In allen Münchner
Wahlkreisen tritt jeweils ein Neuling gegen einen alten Hasen an
Auftakt zum Endspurt: Eine Woche nach dem Münchner CSU-Triumph bei der Landtagswahl
wird nun mit Spannung erwartet, ob es der SPD im Wahlkampffinale
gelingt, verlorenes Terrain zurückzuerobern. Oder ob die Union noch eins draufsetzt.
Neben den für die Zusammensetzung des Bundestags entscheidenden Zweitstimmen
richtet sich die Aufmerksamkeit in München traditionell sehr stark auf die
Erststimmenduelle. Die SZ stellt von heute an in Form von Fragebogen die Münchner
Direktkandidaten von CSU, SPD, Grünen und FDP in den fünf
Münchner Wahlkreisen vor, beginnend mit dem Wahlkreis München-Mitte (siehe
Tabelle unten). München-Mitte ist einer jener Bezirke, die mit bayern- und
bundesweiter Aufmerksamkeit bedacht werden. Denn er ist bislang der einzige
rote Fleck in der tiefschwarzen politischen Landkarte Bayerns. Vor vier Jahren
holte die SPD-Bundestagsabgeordnete Ulrike Mascher das einzige
bayerische SPD-Direktmandat gegen den mittlerweile verstorbenen
CSU-Politiker Hans 'Johnny' Klein mit drei Prozentpunkten Unterschied. Ihr
Gegenkandidat ist der frühere Münchner Chef der Jungen Union, Aribert Wolf.
Wolf hatte die Mutterpartei zu Beginn der 90er Jahre mit der CSU-Abspaltung
Junge Liste in Atem gehalten.
Nicht nur in München-Mitte, auch in den vier weiteren, bisher von der CSU
gehaltenen Bundestagswahlkreisen Süd, Ost, West und Nord kommt es zufälligerweise
zu ein und derselben Konstellation, nämlich alter Hase gegen Neuling: Im Münchner
Norden tritt der SPD-Quereinsteiger Axel Berg gegen den CSU-Bundestagsabgeordneten
Johannes Singhammer an. Im Osten probiert es für die SPD
erstmals der bisherige Landtagsabgeordnete und bayerische DGB-Chef Fritz Schosser
gegen den CSU-Platzhirschen Herbert Frankenhauser. Im Süden steigt der Juso-Politiker
Christoph Moosbauer neu in den Ring gegen den langjährigen CSU-Abgeordneten
Erich Riedl. Im Westen dagegen gibt es bei der SPD Kontinuität:
Hanna Wolf, bisher nur über die Liste in Bonn, versucht es
erneut direkt; ihr neuer Gegner ist Münchens früherer Kreisverwaltungsreferent
Hans-Peter Uhl.
Der Westen ist zugleich der aus CSU-Sicht sicherste Münchner Wahlkreis. Uhls
Wahlergebnis wird vor allem innerparteilich Beachtung finden, weil sich Uhl
zugleich als OB-Kandidat empfehlen mochte. Aus SPD-Sicht
am chancenreichsten dürfte neben Mitte München-Nord sein, wo die CSU 1994
mit vier Prozentpunkten am knappsten vorne lag. Grünen-Direktkandidat Martin
Ottensmann hat dort selbst zur Wahl des SPD-Bewerbers Berg
aufgerufen, in der Einsicht, dass er wie alle Kandidaten der kleinen Parteien
chancenlos sein dürfte.
Süddeutsche Zeitung - September 26, 1998München
'Münchens
Herz muss rot bleiben'
SPD-Schlusskundgebung zur Bundestagswahl
Vor2500 Zuhörern greifen Scharping, Schmidt, Riester und Ude die Bonner Koalition
an
Die Kulisse ist diesmal weniger bombastisch als beim Auftritt des Kanzlerkandidaten
Gerhard Schröder vor der Landtagswahl: Bühne und Publikum sind an diesem Freitagnachmittag
etwa dreimal kleiner, als SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping
zusammen mit DGB-Vize Walter Riester (dem designierten Arbeits- und Sozialminister)
bei der Abschlusskundgebung der bayerischen SPD zur Bundestagswahl
die Anhänger auf Gerhard Schröders Sieg einschwort.
Etwa 2500 Zuhörer sind an diesem sonnigen Nachmittag vor das Münchner Rathaus
gekommen. Einige haben rote Juso-Fahnen mitgebracht, SPD-Stadträtinnen
verteilen rote Rosen, und eine Frau in der vorderen Reihe hält ein Plakat
hoch, auf dem steht: 'München wählt Schröder'. Genau dies ist auch die Botschaft
der Redner auf dem Podium. Ulrike Mascher, die 1994 als einzige SPD-Kandidatin
in Bayern ihren Wahlkreis (München-Mitte) direkt gewann, stellt die vier anderen
Bewerber (Hanna Wolf, Axel Berg, Christoph Moosbauer und
Fritz Schosser) vor und bittet um genügend Stimmen, 'damit das Herz von München
rot bleibt'. Ludwig Stiegler, der Bonner SPD-Landesgruppenchef,
ist in seiner Rede nicht weniger farbig. Seine Mutter, sagt der Oberpfälzer,
sei hier in München Dienstmädchen gewesen und habe es sich gewiss nicht träumen
lassen, 'dass ihr Erstgeborener einmal hier auf dem Marienplatz reden darf'.
Und wie er redet: Die CSU, sagt er, habe Kohl die ganze Zeit über versteckt
'wie die schäbige Verwandtschaft', seit Seehofer hielten viele Menschen das
Wort 'Reform' für dasselbe wie 'Raubüberfall', und wenn Lügen kurze Beine
hätten, bräuchten Kohl und Waigel längst eine Feuerwehrdrehleiter, um ihre
Sessel zu erreichen.
Dann erzählt Rudolf Scharping, was er dem Bundeskanzler im Bundestag gesagt
hat: 'Wenn Sie so sehr an Ihrem Sessel hängen, dann nehmen Sie ihn doch einfach
mit!' Scharping empört sich darüber, dass man im Finanzamt Starnberg 1997
mehr Einkommenssteuer zurückzahlen musste, als eingenommen wurde. Er geißelt
das Steuersystem als Dschungel, in dem nur vorankomme, wer imstande sei, sich
einen Fremdenführer (also Steuerberater) zu leisten. Er verspricht, dass eine
SPD-Regierung die Steuer-Schlupflöcher schließen werde. Er
wirft Waigel vor, durch die Abschaffung der Vermogenssteuer vier Milliarden
Mark aus den Taschen der einfachen Leute in die Geldbeutel der Reichen geschaufelt
zu haben. Scharping sagt, die SPD werde vor allem in die
Ausbildung junger Menschen investieren, weil davon 'die Zukunft des ganzen
Volkes abhängt'. Er fordert alle dazu auf, SPD zu wählen,
'damit es besser wird in Deutschland'.
Genau dies tut auch Münchens Oberbürgermeister Christian Ude, der die erfolgreiche
Politik der drei SPD-Oberbürgermeister Thomas Wimmer, Hans-Jochen
Vogel (stand als Zuschauer bescheiden in der Menge) und Georg Kronawitter
als Beleg dafür anführt, dass man der SPD getrost die Regierungsverantwortung
übertragen könne. Bevor Rudolf Scharping nach Berlin weiterfliegt, eilt er
noch zu Hans-Jochen Vogel und umarmt diesen, während Renate Schmidt um jede
Stimme wirbt: 'Wer nicht wählt, wählt immer die anderen.'
Süddeutsche Zeitung - September 28, 1998
Die tiefe
Schmach ist vergessen
Bei der Bundestagswahl haben die Münchner Sozialdemokraten Grund, sich vor
Freude in den Armen zuliegen
Um 18 Uhr bricht bei der SPD der Freudentaumel aus: Die ersten
Jubelsprünge vollführt SPD-Stadträtin Brigitte Meier im Foyer
des Kreisverwaltungsreferats. An diesem Abend darf endlich gefeiert werden
- von dieser Stimmung geprägt sind auch die völlig überfüllten Räume im Erdgeschoss
der Münchner SPD-Parteizentrale am Oberanger. Fast vergessen
ist die tiefe Schmach nur zwei Wochen zuvor. Besonders bei den Jüngeren stellt
sich schnell ein Triumphgefühl ein. 'Es ist saugut', sagt SPD-Sprecher
Hannes Gräbner. 'Ich bin seit 1983 in der SPD und warte auf
diesen Tag.' Gegen 18.35 Uhr ist dann der erste Wahlbezirk im Münchner Süden
ausgezählt: Von 228 Erststimmen 47,6 Prozent für den Juso-Chef Christoph Moosbauer
und 36 Prozent für Erich Riedl (CSU). Brigitte Meier fällt Moosbauer um den
Hals ('jetzt darfst du regieren') und verkündet in überschäumender Siegerlaune:
'Wir haben den Süden wieder geholt.' Gegen 18.40 Uhr läuft das erste Ergebnis
für den Norden ein: Auch der SPD-Newcomer Axel Berg liegt
deutlich vorn. SPD-Stadträtin Meier kann es kaum fassen:
'Wir sind mit der Kohl-Regierung groß geworden, das ist das erste Mal.'
Für die Bundestagsabgeordnete Ulrike Mascher zeichnet sich gegen 19 Uhr ab,
dass sie ihr Direktmandat erfolgreich verteidigt. 'Ich bin jetzt schon Mitglied
der Regierungsfraktion', sagt sie erleichtert, während sie sich freilich zu
diesem Zeitpunkt bang fragt, zu welcher Koalition es reichen wird: 'Entscheidend
ist das Abschneiden der PDS.' Bürgermeisterin Gertraud Burkert dagegen wünscht
sich ein schlechtes Ergebnis für Hans-Peter Uhl: 'Dann sieht es miserabel
aus für seine OB-Kandidatur.' Inzwischen hat der Vorsitzende der Münchner
SPD, Franz Maget, strahlend den Raum durchmessen und Moosbauer
in die Arme genommen. Maget spricht von der Enttäuschung 14 Tage zuvor, doch
er betont, er sei sich sicher gewesen, dass der 'Stoiber-Wahl' eine 'Schröder-Wahl'
folgt. Deshalb sei er auch zuversichtlich für die OB-Wahl im nächsten Jahr:
'Stoiber, Schröder und dann Ude, weil er seinen Job gut macht.'
Als hätte er die Klänge des Triumphmarsches im Ohr, hält OB Christian Ude
gegen 19.30 Uhr im Kreisverwaltungsreferat Einzug und strahlt mit Maget um
die Wette. Der Bundestagsabgeordneten Hanna Wolf, im Münchner
Westen auf für die SPD traditionell schwierigem Terrain,
hat der aus Indien mitgebrachte Talisman nicht das Direktmandat bringen können,
doch das Ende der Oppositionszeit ist für sie mehr als Trost genug. Ude preist
unterdessen den großartigen Erfolg für Gerhard Schröder: 'Die Münchner SPD
hat plakatiert: München wählt Schröder. Und so ist es gekommen.' Vor 14 Tagen
sei es für die SPD 'nicht so lustig gewesen', doch jetzt
scheine festzustehen, dass Ulrike Mascher München-Mitte verteidige: 'Das Herz
der Stadt bleibt rot.' Axel Berg habe ein fulminantes Ergebnis erzielt, doch
die wahre Sensation habe sich im Süden ereignet: 'Unser jüngster Kandidat
liegt gegen ein prominentes CSU-Mitglied in Führung.' Zur Koalitionsfrage
ließ sich Ude auf keine aussagekräftige Empfehlung für Schröder ein: 'Ich
empfehle Gerhard Schröder, es genau so zu machen, wie er es macht: Heute keine
Spekulationen anstellen und nicht schon Losungen aus dem Ärmel schütteln.'
Etwas unsicher bewegt sich noch Axel Berg auf dem politischen Parkett. Während
Moosbauer längst in staatsmännischer Manier die Ursachen seines Erfolges ('toller
Wahlkampf, ein engagiertes Team') erläutert, kann Axel Berg den sich abzeichnenden
Erfolg kaum fassen: 'Ich mach das alles das erste Mal - wann ist das sicher?
Erst dann riskiere ich eine dicke Lippe.'
Im Erdgeschoss der Parteizentrale am Oberanger herrscht dichtes Gedränge,
als Brigitte Meier kurz nach 20 Uhr die Jubelbotschaft aus dem Kreisverwaltungsreferat
überbringt: 'Die SPD hat fast fünf Prozent zugelegt in München.'
Der Beifall ist grandios, die Freude wächst noch an, als sie von den drei
Direktmandaten berichtet, die sich für die SPD ergeben werden.
Und immer wieder liegen sich Parteimitglieder in den Armen, mit fast immer
der gleichen Bemerkung: 'Endlich!'
Süddeutsche Zeitung - September 29, 1998München
Fünf
kommen über die Liste in den Bundestag
Acht Männer und zwei Frauen aus der CSU, SPD und FDP werden
München im 14. Bundestag vertreten. Das sind einmal die fünf direkt gewählten
Abgeordneten, die in der Wahlnacht schon feststanden, zum anderen fünf weitere
Politiker, die über die Liste in den Bundestag einziehen: Johannes Singhammer,
der für die CSU im Norden antrat, schaffte es auf Platz fünf der neun Listenplätze,
und Neuling Aribert Wolf, Kandidat in München-Mitte, erreichte Listenplatz
acht. Für die SPD gehen über die Landesliste die bundestagserfahrene
Hanna Wolf und Fritz Schosser, ebenfalls ein Neuling, nach
Bonn. Schosser schaffte Platz 16 von 27 Listenplätzen, Hanna Wolf
Platz 19. Als zehnter Abgeordneter erreichte Ulrich Irmer von der FDP das
Ziel. Er kandidierte in München-Nord und ist seit 1987 im Bundestag.
Für den CSU-Mann Erich Riedl, der seit 1969 Abgeordneter war, führt dagegen
kein Weg mehr nach Bonn. Riedl war diesmal auf der Liste nicht abgesichert,
im Gegensatz zu Gerald Häfner von den Grünen, der den Einzug über die Liste
verpasste. Er steht an Rang zwei der Nachfolger, hat also die Chance, eventuell
nachzurücken. Die übrigen Kandidaten von FDP und Grünen sind mehr oder weniger
auf verlorenem Posten. Die im neuen Bundestag wieder vertretene PDS entsendet
keinen Münchner Kandidaten nach Bonn. Brigitte Wolf erreichte das beste Ergebnis
mit dem Nachrückerplatz zwei. uw
Süddeutsche Zeitung – Oktober 2, 1998München
Sie wollen
in Bonn für München da sein
SPD-Bundestagsabgeordnete erläutern ihre politischen Pläne
Die fünf Bundestagsabgeordneten der SPD sollen zur Hauptadresse
für die Wünsche werden, die Bürger und das Rathaus an die Bonner Regierung
richten. Die Präsenz und das politische Gewicht der SPD in
München habe sich deutlich erhöht, sagte Unterbezirkschef Franz Maget gestern
vor der Presse. Nach langer Zeit sind die Münchner Sozialdemokraten wieder
stark in der Bundespolitik vertreten: Ulrike Mascher, Axel Berg und Christoph
Moosbauer hatten ihre Bundestagsmandate direkt gewonnen, Hanna Wolf
und Fritz Schosser schafften es über die Liste nach Bonn.
Der Arbeitsmarkt ist für alle fünf das wichtigste Thema. Die Vermittlung von
Langzeitarbeitslosen und Ausbildungsplätze für Jugendliche sollen Schwerpunkte
werden. Ein erfolgreicher Kampf gegen die Arbeitslosigkeit entlaste die Sozialsysteme
und bringe zusätzliche Steuereinnahmen. Damit könne man dann wieder die Kommunen
stärken, die in den letzten Jahren zunehmend über die finanziellen Daumenschrauben,
die ihnen durch die Bonner Regierung angelegt worden seien, geklagt hatten.
Eher in Bescheidenheit üben sich noch die beiden Sensationssieger vom vergangenen
Sonntag. Axel Berg (er gewann gegen den fleißigen Johannes Singhammer von
der CSU und färbte den Norden wieder rot) sieht sich als ein 'Dienstleister'
für die Bürger im Kontakt mit dem 'Raumschiff Bonn'. Der Münchner Juso-Chef
Christoph Moosbauer, der den CSU-Veteranen Erich Riedl im Süden entthronte,
war vor der ersten Fraktionssitzung aufgeregt wie am ersten Schultag: 'Wo
ist der Eingang zum Zimmer und wie findet man wieder raus, wo darf man sitzen
und wer ist der Lehrer?' dü.
AP Worldstream - German – Oktober 27, 1998
Gegner
des bayerischen Abtreibungswegs hochzufrieden
CSU-Fraktion sieht in Urteil kein Scheitern der Landesregelung
Die Gegner der bayerischen Sonderregelungen zum Abtreibungsrecht haben das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit Erleichterung aufgenommen. Zahlreiche
Politiker begrüßten die Karlsruher Entscheidung, wonach die bayerischen Vorschriften
für die Abtreibung weitgehend verfassungswidrig sind. Dagegen wandte sich
die CSU-Landtagsfraktion gegen die Auslegung, dass der bayerische Sonderweg
gescheitert sei: ''Das Kernstück der bayerischen Regelungen zum bestmöglichen
Schutz des ungeborenen Lebens, das Beratungskonzept, ist unangetastet.'' Fraktionschef
Alois Glück erklärte in München, das BVG habe der bayerischen Position inhaltlich
nicht widersprochen, sondern das Urteil lediglich auf formale Aspekte und
Kompetenzfragen gestützt.
Die bayerische SPD-Vorsitzende Renate Schmidt sprach von
einem ''großartigen Erfolg für Bayerns Frauen und für die SPD''.
Mit dem Urteil sei der Schutz des ungeborenen Lebens und die Rechtssicherheit
für die Frauen wiederhergestellt. ''Der bayerische Sonderweg hat sich als
Irrweg erwiesen.''
Nach Ansicht der bayerischen Grünen-Landtagsfraktion hingegen hat sich die
Staatsregierung in Karlsruhe ''nach Kräften blamiert''. ''Verloren haben die
sturen Fundamentalisten in der bayerischen Staatsregierung'', erklärte die
Abgeordnete Petra Münzel.
Die Beratungsorganisation Pro Familia äußerte Befriedigung und Erleichterung.
Die Vorsitzende Brigitte Unger-Soyka meinte, der Versuch, das Bundesgesetz
von 1995 zu unterlaufen und ''den Hebel bei den Ärzten anzusetzen'', sei gescheitert.
Sie forderte, dass dem Bundesgesetz in Bayern volle Geltung verschafft wird.
So gebe es noch immer kein plurales Beratungsangebot. Gerade mal vier Beratungsstellen
von Pro Familia seien dort anerkannt.
Der Vorsitzende des Landeskomitees der Katholiken in Bayern, Bernhard Sutor,
bezeichnete das Urteil als Ärgernis, betonte aber zugleich, dass es nur eines
der beiden bayerischen Gesetze betreffe. Das bayerische Schwangerenberatungsgesetz
gelte nach wie vor.
''Karlsruhe hat München die rote Karte gezeigt''
Die familienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Maria Eichhorn,
erklärte, sie verstehe die Gerichtsentscheidung nicht und sei enttäuscht.
Sie appellierte an die Ärzte, ''sich ihrer besonderen Verantwortung bewusst
zu sein''.
Für die SPD-Bundestagsfraktion erklärte die Abgeordnete Hanna
Wolf, endlich könnten sich alle Frauen in Bayern auf das Bundesrecht
berufen. ''Zur straffreien Abtreibung bereite Ärzte sollten über aberwitzige
Regelungen kujoniert werden. Dieser Spuk hat nun hoffentlich ein Ende.''
Der bayerische FDP-Bundestagsabgeordnete Hildebrecht Braun betonte, die verantwortliche
Entscheidung der Frau sei nach eingehender Beratung vom Gesetzgeber zu respektieren:
''Dabei bleibt es. Auch in Bayern.'' ''Ein großes Lob'' sprach die FDP-Bundespolitikern
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger dem BVG aus. ''Karlsruhe hat München die
rote Karte gezeigt.''
Die brandenburgische Gesundheitsministerin Regine Hildebrandt (SPD)
äußerte sich ''hoch erfreut''. Denn jetzt gälten für alle Frauen in allen
Teilen Deutschlands die gleichen Bedingungen. Die hessische Frauenministerin
Barbara Stolterfoht (SPD) erklärte, die Bayerinnen müssten
nun nicht mehr fürchten, im Falle eines Schwangerschaftskonflikts in andere
Bundesländer ausweichen zu müssen.
Süddeutsche Zeitung – Januar 13, 1999
Irritationen
beim Kamingespräch
Harsche Worte einiger SPD-Frauen hätten Johannes Rau fast
vom Besuch in Irsee abgehalten
IRSEE - Bei den Beratungen der Bayern-SPD auf ihrer Klausurtagung
im schwäbischen Bildungszentrum Irsee bei Kaufbeuren gibt sich die Prominenz
aus der Bundespolitik fast im Stundentakt die Klinke in die Hand. Erst war
Bundesinnenminister Otto Schily da, dann der Staatsminister im Auswärtigen
Amt, Günter Verheugen, dazwischen reisten ein paar Staatssekretäre aus Bonn
und auch Bundesarbeitsminister Walter Riester an. Mit besonderer Spannung
erwartet wurde Johannes Rau, den Präsidium und Bundesvorstand der SPD
bekanntlich als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten nominiert haben.
ANSICHTEN EINES STAATSMANNES
Rau sollte bei einem abendlichen Kamingespräch nicht nur aus seiner reichen
politischen Erfahrung als langjähriger Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen
plaudern und Grundsätzliches zum Föderalismus in Deutschland sagen, sondern
auch seine Vorstellungen über das von ihm angestrebte höchste Amt in der Bundesrepublik
darlegen. Ein elder statesman eben, von dessen politischen Ein- und Ansichten
man noch profitieren mochte. Um ein Haar allerdings hätten die bayerischen
Genossen auf ihren illustren Gast am Kamin verzichten müssen, denn kurzfristig
hatte sich Rau überlegt, ob er wirklich die Reise ins winterlich verschneite
Irsee auf sich nehmen sollte. Aus der Klausur der Bayern-SPD
hatten ihn nämlich hässliche Tone erreicht.
'Ich dachte, Irsee ist die Klausur der Hoffnungsträger und der Zukunft', wurde
die Erlanger Bundestagsabgeordnete und neue Vizevorsitzende der bayerischen
Landesgruppe in der SPD-Bundestagsfraktion, Heide Mattischeck,
in einer Pressemeldung zitiert. Die Münchner Bundestagsabgeordnete Hanna
Wolf wurde in der gleichen Zeitungsmeldung noch deutlicher: 'Wir
haben Rau aufgefordert, auf seine Kandidatur zu verzichten und damit die historischen
Weichen für die erste Frau an der Spitze Deutschlands zu stellen. Aber dafür
fehlt ihm wohl die Grosse.'
Rau kam dann doch noch und wurde von SPD-Landeschefin Renate
Schmidt sogleich in Obhut genommen. Gegenüber der Presse blockte Rau dann
ab, er wolle und könne das alles nicht kommentieren. Dafür stellte Renate
Schmidt klar, dass die Äußerungen der beiden SPD-Frauen 'nicht
die Meinung der Bayern-SPD' seien. Wortwahl und Inhalt der Schelte am Kandidaten
seien 'unmöglich'. Später drängte es auch noch die Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft
Sozialdemokratischer Frauen (ASF), Monika Lochner-Fischer, dem prominenten
Gast beizuspringen. Die Frauen seien mit ihrer Kritik am Kandidaten 'zu spät
dran'. Es gebe keinen Grund, Rau jetzt noch zu demontieren. Im übrigen, so
sagte Lochner-Fischer, finde sie es 'nicht gut, was da jetzt läuft'.
OHNE EINSCHRÄNKUNG BEGEISTERT
Beim späteren Gespräch am Kamin war die Bayern-SPD dann ohne
Einschränkung begeistert von ihrem Gast. Als Präsident wolle er 'versöhnen,
statt spalten', kündigte Rau an, womit er nicht die 'Soße der Harmonie' über
alles gießen, sondern Konflikte aufdecken wolle mit dem Ziel des Konsenses.
Zum Schluss zeigte sich die bayerische SPD-Landeschefin Schmidt
überzeugt: 'Rau wird das Amt des Bundespräsidenten in der ihm eigenen Art
ausfüllen und ihm Statur verleihen - genauso wie sein Vorgänger.'
Süddeutsche Zeitung – Januar 25, 1999 Anzeiger W
Weyl-Gelände
geht an die Stadt zurück
Christian Ude
beim SPD -Neujahrsempfang in Pasing:
Der Oberbürgermeister kündigt vor rund 300Gästen das 'Ende eines Trauerspiels'
an
Ein kleines Feuerwerk guter Nachrichten hat Oberbürgermeister Christian Ude
beim Neujahrsempfang der SPD München-West gezündet. Damit
legte er in Pasing einen guten Start in den OB-Wahlkampf hin. In dem Stadtteil
trägt sich neuerdings auch der ortlichte Bezirksausschuss-Vorsitzende Andreas
Ellmaier (CSU) mit dem Gedanken, Ude das Amt streitig zu machen. Der Oberbürgermeister
verlor jedoch weder über diesen möglichen Gegenspieler ein Wort, noch über
Aribert Wolf, den die CSU-Spitze favorisiert. Der stürmisch begrüßte OB sprach
in der Pasinger 'Post' vor vollem Haus; rund 300 Menschen drängten sich im
großen Saal der Traditionsgaststätte - darunter Bundestagsabgeordnete Hanna
Wolf, die Landtagsabgeordneten Anne Hirschmann, Ludwig Wörner und
Rainer Volkmann, etliche Stadträte und Bezirksräte sowie zahlreiche Vertreter
von Vereinen und Institutionen. Besonderer Ehrengast war der 99jährige Allacher
Josef Felder, Ehrenpräsident der bayerischen SPD und letzter
noch lebender ehemaliger Reichstagsabgeordneter der SPD.
Im 80-Millionen-Streit um das Weyl-Gelände wagte OB Ude als erster offiziell,
den angekündigten Vergleich zwischen Stadt und Bauland GmbH grob zu umreißen.
Wie berichtet, hatten die Kontrahenten den Zwist vor dem Oberlandesgericht
München - in zweiter Instanz - abgebrochen und verhandeln seitdem eifrig hinter
den Kulissen. Die Stadt nehme das Weyl-Areal nun 'für Gegenleistungen anderer
Art' zurück, so Ude. Dann werde die Stadt das Gelände gründlich sanieren.
Der ursprüngliche Plan, dort Wohnungen zu bauen, sei nicht mehr realistisch.
Die Experten seien sich einig, dass ein solches Areal mit dem Makel, ehemals
Altlasten getragen zu haben, nie mehr vermarktbar sei. Der Kompromiss stehe
noch vor der Sommerpause an. Udes Fazit: 'Dann wird dieses Trauerspiel endlich
beendet sein.'
'Die Trambahnlinie 19 bleibt auf jeden Fall erhalten', verkündete der OB.
Im vergangenen Jahr hätten die Trambahnfreunde München die geplante Verlängerung
der U-Bahn nach Pasing niedergemacht; dann hätten die U-Bahnbauer die Tram
in Zweifel gezogen. 'Das muss ein Ende haben.' Seine Argumentation: Die Trambahnlinie
19 sei die einzige Verkehrsanbindung an das Westbad. Außerdem werde das Einzugsgebiet
der Linie künftig eher dichter besiedelt. Tram- und U-Bahn träfen sich künftig
am Pasinger Bahnhof, einer Verkehrsdrehscheibe schlechthin. 'Der Bau der U-Bahn
ist zwar mit 100 Millionen Mark pro gebautem Kilometer sündteuer, doch bleibt
er notwendig,' betonte Ude. Das Fahrgastaufkommen werde mit der Bebauung von
Freiham und dem Großprojekt Hauptbahnhof - Laim - Pasing drastisch zunehmen.
Dagegen behandele die Bahn AG den Pasinger Bahnhof bislang stiefmütterlich.
Auch müsse der Freistaat endlich in den Ausbau der S-Bahn investieren.
Im Fall der bereits seit 20 Jahren geplanten Pasinger Nordumgehung sprach
OB Ude mahnende Worte: 'Die Bürgerschaft sollte zu einem klaren Votum kommen.'
Das Projekt dürfe nicht im Streit unterschiedlicher Anwohnerinteressen liegen
bleiben. So hatten sich Pasinger Bürger einmal klar für die Umgehung und einmal
klar dagegen entschieden. 'Im mittelfristigen Finanzplan stehen die Gelder
für die Nordumgehung bereit', versprach der Oberbürgermeister.
Als 'klares Versäumnis der Stadt' wertete OB Ude die schlechte Versorgung
des Münchner Westens mit Kindergarten- und Hortplätzen. Dies müsse in den
nächsten Jahren ausgeglichen werden. Kritik äußerte Ude auch am Eigentümer
und den Untermietern des Aubinger Wienerwaldsaals: 'Keiner will haften.' Bevor
die Stadt jedoch eine Million Mark an Steuergeldern für die Sanierung ausgebe,
müsse die öffentliche Nutzung für die Vereine garantiert sein.
Süddeutsche Zeitung – Mai 4, 1999
Bonn
interessiert an Münchner Jugend: SPD-Arbeitskreis im Rathaus
Dürr, Alfred
Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit standen im Mittelpunkt eines Treffens
der Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen und Jugend der SPD-Bundestagsfraktion
mit der SPD-Stadtratsfraktion im Rathaus. Die direkten Erfahrungen
in den Kommunen seien für die Regierungspolitik von entscheidender Bedeutung,
so die Sprecherin der Bonner Gruppe, Hildegard Wester. Jugendliche ohne entsprechende
Schulabschlüsse hätten gerade auf dem hochqualifizierten und hochspezifizierten
Münchner Ausbildungsmarkt große Probleme. Das Sofortprogramm "100 000
Jobs für Junge" der Bundesregierung habe sich als wirksam gegen die Arbeitslosigkeit
und das Bildungsproblem erwiesen, sagte die Münchner Bundestagsabgeordnete
Hanna Wolf. Christian Böhnisch forderte aus der Sicht eines
freien Trägers aus dem Bereich der berufsbezogenen Jugendhilfe ein noch größeres
finanzielles Engagement - zum Beispiel bei der Ausstattung von Schulen und
Freizeiteinrichtungen mit Computern. Die jugendpolitische Sprecherin der SPD-Stadtratsfraktion,
Christine Strobl, will eine weitere Entlastung von Familien durch Steuersenkungen
oder höhere Freibeträge, um die hohen Lebenshaltungskosten in München tragen
zu können. Außerdem müsse man die Integration von ausländischen Jugendlichen
verstärkt fördern. dü.
AP Worldstream – Juni 24, 1999
Kontroverse über Folgen der Entscheidung der Bischöfe
Bergmann
will Konsequenzen mit Ländern klären; Däubler will katholische Beratungsstellen
zunächst beobachten
Nach der Entscheidung der katholischen Bischöfe über die weitere Beteiligung
am Beratungssystem für Schwangerschaftskonflikte will Bundesfamilienministerin
Christine Bergmann voraussichtlich schon nächste Woche mit den Ländern über
die rechtlichen Folgen für die straffreie Abtreibung sprechen. In einer Aktuellen
Stunde des Bundestages sagte Bergmann am Donnerstag, die Konsequenzen des
Zusatzes auf der Bescheinigung katholischer Beratungsstellen, dass diese nicht
zur Durchführung einer straffreien Abtreibung verwendet werden könne, seien
noch nicht geklärt.
Auf jeden Fall müsse aus der Bescheinigung hervorgehen, dass ergebnisoffen
beraten worden sei, betonte Bergmann. Der neue Zusatz heiße eigentlich: ''Dieser
Schein ist kein Schein.'' In der Bundestagsdebatte und in Kommentaren außerhalb
des Parlaments gingen die meisten Stellungnahmen davon aus, dass der auf Anweisung
des Papstes erfolgte Zusatz auf dem Beratungsschein juristisch ohne Bedeutung
ist. Einige Politiker sahen dadurch aber auch die Vorgaben des Gesetzes verletzt
und verlangten ein Ausscheiden der katholischen Beratungsstellen aus dem staatlichen
System.
Die Grünen-Abgeordnete Christa Nickels warf den Bischöfen ''Taschenspielertricks''
sowie die Absicht vor, die ''strukturelle Unwahrhaftigkeit'' der Kirche auf
die gesamte Gesellschaft übertragen zu wollen. Die CSU-Abgeordnete Maria Eichhorn
bedauerte die Entscheidung der Oberhirten, weil sie Verunsicherung auslöse.
Die SPD-Politikerin Hanna Wolf meinte, der
Zusatz habe ''das Niveau eines mittelalterlichen Ablassbriefes''. Für die
FDP erklärte die Abgeordnete Ina Lenke, Verlierer der bischöflichen Entscheidung
seien die in Not geratenen Frauen. Die PDS-Abgeordnete Petra Bläss sprach
von einer ''unerträglichen Zumutung''.
Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin kündigte eine genaue Beobachtung
der katholischen Beratungsstellen an. Im Südwestrundfunk sagte sie, im Moment
lasse sich noch nicht eindeutig sagen, ob der modifizierte Beratungsschein
den juristischen Anforderungen entspreche. Nach Ansicht der ehemaligen Bundesjustizministerin
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger verstoßen Abtreibungen auf der Basis der
neuen Beratungsscheine gegen das Gesetz. Der entsprechende Textzusatz mache
eindeutig deutlich, ''dass es sich nicht um eine Beratung im Sinne des Schwangerschafts-Konfliktgesetzes
gehandelt hat''.
Abtreibungsgegner kündigen Klage an
Abtreibungsgegner kündigten unterdessen an, die katholische Schwangerschaftsberatung
gerichtlich prüfen zu lassen, wenn auf deren Grundlage Abtreibungen vorgenommen
werden. Die Vorsitzende der Aktion Lebensrecht für Alle (Alfa), Claudia Kaminski,
sagte der ''Rheinischen Post'', dass eine juristische Entscheidung zur Klärung
der Lage beitragen könne, egal wie sie ausfalle.
Kritik kam auch aus den Reihen der Bischöfe selbst. Der Limburger Bischof
Franz Kamphaus erklärte, für jedes Beratungsgespräch sei die Formulierung,
die Bescheinigung könne nicht zu einer straffreien Abtreibung verwendet werden,
''ein Hammer''. Aber auch im Verhältnis zu den Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche
vornähmen, sei die neue Formulierung eine Hypothek. Er selbst verstehe die
eingefügte Formulierung in erster Linie als ethischen Appell, ''auch wenn
er leider nicht als solcher formuliert ist''.
Bischöfe
ernten gnädige Kritik
Der Schein-Kompromiss
der deutschen Oberhirten stößt allüberall auf Kritik: im Bundestag, bei den
katholischen Laien. Doch von Konsequenzen ist nicht die Rede
Die Entscheidung der katholischen Bischöfe zur Schwangerenberatung ist gestern
im Bundestag auf breite Kritik gestoßen. Mit dem neuen Beratungsschein würden
Frauen, Beraterinnen und Ärzte verunsichert, rügten Sprecherinnen aller Fraktionen,
befürworteten aber dennoch den Verbleib der katholischen Kirche im staatlichen
Beratungssystem.
Frauenministerin Bergmann (SPD) betonte, nun müsse rasch
Rechtsklarheit geschaffen werden. Die gesetzlich verlangte ergebnisoffene
Schwangerschaftskonfliktberatung müsse auch künftig gewahrt werden. Voraussichtlich
nächste Woche will Bergmann mit den zuständigen Länderministerien die rechtlichen
Folgen des einschränkenden Zusatzes erörtern, der eine Verwendung der Bescheinigung
zur straffreien Abtreibung untersagt. Die Parlamentarische Staatsekretärin
Christa Nickels (Grüne) warnte, die Kirche mache sich als Vertragspartnerin
bei der Übernahme staatlicher Aufgaben unglaubwürdig. Für die SPD-Fraktion
warf Hanna Wolf den Bischöfen vor, der geplante Zusatz auf
dem Beratungsnachweis habe das "Niveau des mittelalterlichen Ablasshandels".
Damit werde die Tätigkeit katholischer Beratungsstellen zur Farce, die Bischöfe
schafften die ergebnisoffene Beratung und den Beratungsnachweis "im Prinzip"
ab. Wolf befürwortete die Zulassung weiterer Beratungsstellen anderer Träger
in einzelnen Bundesländern.
Kritik kam auch von der Laienorganisation "Kritische Katholiken".
Der Papst habe die deutschen Bischöfe entmündigt und sie zu "Marionetten"
gemacht, erklärte die Organisation gestern in Berlin. Zugleich forderte sie
die Überführung der Beratungsstellen in eine "von mündigen katholischen
Laien zu gründende Trägerschaft", die unabhängig vom Vatikan und den
Bischöfen arbeitet.
Die Bundesländer streben trotz unterschiedlicher Auffassung Einigkeit bei
der weiteren Förderung der katholischen Beratungsstellen an. Niedersachsen
will dazu eine Konferenz der Fachminister einberufen, so Frauenministerin
Heidi Merk (SPD). Zwar werde der von den Bischöfen gefundene
Kompromiss für die künftige Beratung noch überprüft. Niedersachsen habe gleichwohl
Zweifel, ob die Beratung in katholischen Einrichtungen weiterhin den staatlichen
Anforderungen genüge.
Demgegenüber wollen Bayern und Sachsen die Beratungsstellen auf jeden Fall
weiter fördern. Die bayerische Sozialministerin Stamm (CSU) sagte, der von
den Bischöfen geforderte Zusatz sei keine rechtliche Verpflichtung im staatlichen
Sinne, sondern als ernsthafter sittlicher Appell zu verstehen, andere Auswege
als die Abtreibung zu sehen.
Keine klare Stellung in der Frage bezog bislang das Bundesjustizministerium.
Ministerin Däubler-Gmelin (SPD) sagte, es lasse sich derzeit
nicht eindeutig sagen, ob auch der modifizierte Beratungsschein den juristischen
Anforderungen entspreche. Der Zusatz auf dem Beratungsschein sei "nicht
so bedeutsam", sofern in den katholischen Einrichtungen weiterhin entsprechend
dem Schwangerenkonfliktgesetz beraten werde. Der Staat werde daher künftig
genau beobachten, wie in diesen Beratungsstellen gearbeitet werde.
VK
Süddeutsche Zeitung – Juni 25, 1999
Politiker
beraten über Folgen für Schwangeren-Beratung nach der Entscheidung der Deutschen
Bischofskonferenz
Bund und Länder streben einheitliche Regelung an / Einhellige Kritik von Frauen
im Bundestag an den Bischöfen
csc Bonn (Eigener Bericht) - Kritik an der Entscheidung der Katholischen Bischofskonferenz
zur Schwangerenberatung haben am Donnerstag im Bundestag Politikerinnen der
Regierung geübt. Aber auch Rednerinnen der konservativen Opposition zeigten
ihr Bedauern über das einhellige Votum der Bischöfe, die von den katholischen
Beratungsstellen künftig verlangen, nur noch Scheine auszustellen mit dem
Zusatz: "Diese Bescheinigung kann nicht zur Durchführung straffreier
Abtreibungen verwendet werden." Über die rechtlichen Folgen dieser Entscheidung
wollen die Frauenministerinnen von Bund und Ländern in der kommenden Woche
beraten. Bund und Länder wollen sich dabei um eine einheitliche Regelung bemühen.
Dies zeichnet sich bereits im Vorfeld der Beratungen ab. Bisher sind die Positionen
allerdings noch unterschiedlich. Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz
wollen die kirchliche Beratung nach wie vor akzeptieren. Die Generalstaatsanwälte
von Koblenz und Zweibrücken, Norbert Weise und Ursula Reichling, versicherten
am Donnerstag in Mainz, in Rheinland-Pfalz blieben Abtreibungen auch mit den
neuen kirchlichen Beratungsscheinen straffrei.
Niedersachens Frauenministerin Angelika Birk (SPD) äußerte
dagegen deutliche Zweifel, ob die Beratung in den katholischen Einrichtungen
weiterhin den staatlichen Anforderungen genügt und damit auch förderungswürdig
bleibt. Das Land Sachsen wiederum erklärte, man wolle auf keinen Fall aus
der Förderung der katholischen Einrichtungen aussteigen. Bundesjustizministerin
Herta Däubler-Gmelin (SPD) äußerte sich zurückhaltend. Die
rechtliche Qualität der neuen Scheine lasse sich derzeit noch nicht eindeutig
klären. Der Zusatz auf den Bescheinigungen sei aber "nicht so bedeutsam",
wenn wirklich beraten und in den Einrichtungen nicht nur über den Standpunkt
der Kirche informiert werde, meinte die Justizministerin.
In der Aktuellen Stunde des Bundestags erinnerten Maria Eichhorn (CSU) und
Rita Griesshaber (Grüne) daran, wie lange das Parlament 1995 um eine bundesweit
einheitliche Praxis zum Paragraphen 218 gerungen habe. Gerade die Kirche habe
Wert auf die Pflichtberatung gelegt. Bündnis 90/Die Grünen hatten die Debatte
beantragt. Ihre kirchenpolitische Sprecherin Christa Nickels hielt den Bischöfen
vor, "ein Dilemma gewinnt nicht an Eindeutigkeit, wenn man das Problem
verlagert". Nickels sprach von einem "Taschenspielertrick",
wenn die Bischöfe nun Beratungsscheine nach dem Motto vergäben "unerlaubt,
aber gültig". Auch Griesshaber warf der katholischen Kirche vor, ihre
Glaubwürdigkeit zu verlieren, wenn sie ihre Beratungsscheine mit dem Verbotssatz
versehe, aber gleichzeitig stillschweigend in Kauf nehme, dass diese Scheine
dann doch vom Staat als Beratungsnachweis und damit Voraussetzung für eine
straffreie Abtreibung akzeptiert würden.
Nur ein Mann meldete sich in der Debatte zu Wort, bei der auch das Plenum
nur mäßig (vor allem von Frauen) besetzt war. Norbert Geis (CSU) riet den
Bischöfen zu Verfassungsklagen, sollte einzelne Länder den kirchlichen Beraterinnen
nun die Zuschüsse streichen. Geis gilt in den eigenen Reihen als kompromissloser
Abtreibungsgegner. Die CDU-Politikerin Dorothea Störr-Ritter äußerte zwar
ebenfalls Verständnis für die Entscheidung der Bischöfe, sie bedauerte aber
auch den sich daraus ergebenden "juristischen Unsicherheitsfaktor".
Maria Eichhorn (CSU) sagte, als Katholikin bedaure sie, dass die Entscheidung
der Bischöfe "so gefällt werden musste".
Die Arbeit der katholischen Beratungsstellen wurde nahezu von allen Rednerinnen
gelobt. Die SPD-Abgeordnete Hanna Wolf (SPD)
meinte, der Zusatz auf den Beratungsscheinen habe das "Niveau eines mittelalterlichen
Ablasshandels". Die Kirche setzte Frauen in Konfliktsituationen unter
Druck, die Beratung werde so zur Farce. Auch Ina Lenke (FDP) sprach von "drastisch
erhöhtem Druck" auf die Frauen. Die Kirche trage einen Konflikt auf dem
Rücken der Frauen aus. Bergmann bescheinigte dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz,
Karl Lehmann, er habe sich "sehr bemüht". Vorrangig sei nun rechtliche
Klarheit, zumal da auch die Ärzte nicht verunsichert werden dürften. "Wir
brauchen alle Sicherheit und keine neue Debatte über das Gesetz", sagte
Bergmann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung – Juli 28, 1999
Frau
sein ist kein Beruf
Den Anfang machte Lieselotte Funcke
Warum viele Frauen nicht mehr als solche bezeichnet werden wollen / Von Katrin
Hummel
Den Anfang machte Lieselotte Funcke (FDP). Als die damals zweiunddreißig Jahre
alte Diplomkauffrau 1950 in den nordrhein-westfälischen Landtag einzog und
im amtlichen Handbuch auf Seite 243 auf die Liste mit den Berufen der Abgeordneten
stieß, las sie folgendes: "Beamte: 14", "Handwerker: 11",
"Arbeiter und Angestellte: 101". Und so weiter. Ganz am Ende der
Liste fand sie den Eintrag: "Frauen: 15". Eine davon war sie. "Da
habe ich gesagt, Frau sein sei kein Beruf", sagt die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin.
Die "Berufsbezeichnung Frau" fiel noch in den fünfziger Jahren weg,
es wurde eine Rubrik für Hausfrauen eingerichtet, die berufstätigen Frauen
wurden zu den berufstätigen Abgeordneten gezählt.
Einen weiteren Vorstoß machte 1990 Hanna Wolf. Die Bundestagsabgeordnete
der SPD nahm Anstoß daran, dass auf den Bundestagsdrucksachen
die Antragsteller nur mit dem Nachnamen aufgeführt wurden, also etwa als "Fuchtel",
"Dr. Hoffacker" oder "Maas", die Antragstellerinnen indes
mit dem Zusatz "Frau" genannt wurden, also "Frau Dempwolf",
"Frau Fischer" oder "Frau Dr. Hellwig". Sie erhob Einspruch,
und die Sache wurde geändert. Seitdem werden Männer und Frauen mit Vor- und
Nachnamen genannt, auf den Zusatz "Frau" wird verzichtet. ",Frau'
ist keine Bezeichnung, die man immer wieder betonen muss", sagte Lieselotte
Funcke 1950. "Ich fand das zu verstaubt, ich wollte gerne erkennbar sein
mit meinem ganzen Namen", sagt Hanna Wolf heute. Viele
andere Frauen sind ebenfalls dieser Meinung. Das war nicht immer so. Was hat
sich geändert? Warum ist es vielen Frauen heute lieber, wenn sie mit Vor-
und Zunamen oder dem bloßen Nachnamen genannt werden, etwa in wissenschaftlichen,
amtlichen oder journalistischen Texten, als das Anredenomen "Frau"
vor ihrem Nachnamen zu lesen?
Es gibt viele Gründe für diese Entwicklung, ihr gemeinsamer Ausgangspunkt
aber ist die Frauenbewegung: Nicht nur die Benachteiligung der Frauen wurde
bemängelt, sondern immer häufiger auch die Art und Weise des sprachlichen
Bezugnehmens auf sie, da die Sprache das Bewusstsein präge und daher auch
das Handeln. Nach den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Soziologie
und Politik begannen also auch jene in der Linguistik, sich Gedanken über
Gleichberechtigung und Chancengleichheit zu machen.
So wehrten sich die Vertreterinnen der neu entstandenen "feministischen
Linguistik" etwa gegen die im Deutschen gebräuchliche Form des Plurals,
die männlich ist, sobald mindestens ein Mann Bestandteil der Gruppe ist ("die
Bürger" und nicht "die Bürgerinnen"). Auch die Tatsache, dass
in Stellenausschreibungen nur die männliche Form der Berufsbezeichnung genannt
wurde ("Lehrer", nicht aber "Lehrerinnen" gesucht wurden),
monierten sie. Und sie kritisierten eine "Aufrechterhaltung der überkommenen
sozialen Klassifizierungen, die in den Anrede- und Bezeichnungsasymmetrien
ihren sprachlichen Niederschlag finden", wie Luise Pusch, Professorin
für Linguistik und freie Publizistin, schreibt. Damit meint sie die Tatsache,
dass Frauen anders angeredet und bezeichnet werden als Männer - dass ihrem
Namen zum Beispiel das Anredenomen "Frau" vorangestellt wird, auch
wenn das nicht sprachökonomisch ist.
"Hast du nichts Wichtigeres zu tun, als an der Sprache herumzukritteln?"
wurde die Abgeordnete Hanna Wolf gefragt, als sie sich nicht
nur für die Nennung der Frauen mit vollständigem Namen, sondern auch für eine
Änderung der Sprache in den vom Bundestag verabschiedeten Gesetzesänderungen
einsetzte, um zu erreichen, dass Frauen auch sprachlich in die Formulierungen
einbezogen werden. "Das haben viele nicht verstanden", sagt sie,
"aber für mich ist Sprache ein wichtiges Instrument des Weglassens und
der Verschleierung."
Der Ältestenrat des Bundestages beugte sich dieser Denkweise zumindest im
Ansatz. In seiner Begründung von 1991, in der er den Wegfall des Anredenomens
"Frau" in allen Bundestagsdrucksachen beschließt, heißt es: "Die
bisher geübte unterschiedliche Benennung von männlichen und weiblichen Abgeordneten
wird im Hinblick auf die Gleichstellung von Mann und Frau aufgegeben."
Die Rechtssprache wurde ebenfalls nach und nach geändert. Eine eigens eingerichtete
Arbeitsgruppe empfahl, die "einseitig männlich ausgerichteten Definitionen"
abzuschaffen und durch "weibliche Definitionen oder geschlechtsneutrale
Formulierungen" zu ersetzen.
Den ersten Erfolg in sprachlicher Gleichbehandlung hatten die Frauen schon
1955 errungen. Damals wies das Bundesinnenministerium die Behörden an, im
amtlichen Verkehr für Frauen ab dreißig die Anrede "Fräulein" durch
das Wort "Frau" zu ersetzen, falls die Frauen dies wünschten. 1972
kam es zu einem abschließenden Erlass, in dem das Ministerium die Anrede "Frau"
für alle volljährigen Frauen durchsetzte. Frauenverbände begrüßten damals,
dass "ein den Familienstand offenlegender Diminutiv, der anzeigt, ob
die Frau für den Mann noch verfügbar ist", abgeschafft wurde.
Auch im Ausland war die sprachliche Gleichbehandlung in den vergangenen Jahren
ein Thema. So stellte das kanadische Finanzministerium schon im Jahre 1981
verbindliche Richtlinien für die sprachliche Gleichbehandlung von Mann und
Frau auf, die für den gesamten Schriftverkehr gelten. Symmetrische Anredeformen
(also die Nennung des Vornamens bei Mann und Frau und die Vermeidung des Anredenomens
"Miss ") wurden ausdrücklich vorgeschrieben.
In einem Leitfaden zur sprachlichen Gleichbehandlung der Schweizerischen Bundeskanzlei
aus dem Jahre 1996 heißt es: "Genauso wie im Bildungswesen, in der Politik,
am Arbeitsplatz und anderswo werden auch im Bereich der Sprache Anstrengungen
unternommen, um die Gleichstellung zu gewährleisten." Empfohlen wird,
"dass Frauen und Männer sprachlich in gleicher Weise aufgeführt werden".
In Frankreich machte jüngst Justizministerin Elisabeth Guigou von sich reden,
als sie durchsetzte, als "Madame la Ministre" und nicht mehr als
"Madame le Ministre" angeredet zu werden. Lediglich die Briten brauchen
sich um derlei keine Gedanken zu machen, werden doch die Abgeordneten im Unterhaus
ohnehin nicht mit ihren Namen genannt, sondern als "member" für
einen bestimmten Wahlkreis bezeichnet. Eine Tendenz, Frauennamen mit dem Zusatz
"Mrs." zu versehen, Männernamen indes ohne "Mr." zu gebrauchen,
gibt es nicht.
Manche Männer (und auch Frauen) sind in einigen Fällen der Meinung, die sprachliche
Gleichbehandlung sei weniger wichtig. Sie finden es höflich, Frauen die Tür
aufzuhalten, und genauso höflich, auch sprachlich etwas mehr Aufhebens um
sie zu machen als um Männer, etwa durch die Hinzufügung eines Anredenomens,
das sie bei Männern unnötig finden. So sagt Hartwig Kalverkämper, Professor
für Romanische Philologie und angewandte Linguistik an der Humboldt -Universität
in Berlin: "Wenn ich auf eine Frau als ,Frau X' Bezug nehme und nicht
einfach als ,XY', dann ist das ein Zeichen der Sensibilisierung und der Achtung
und Beachtung der Frau. Warum soll das nicht möglich sein, die Frau zu beachten
auf charmante Weise? Männer haben die Nullform, Frauen die besetzte Form.
Das ist doch in Ordnung."
Kalverkämper wirft den Vertreterinnen der feministischen Linguistik vor, sie
forderten einerseits eine Beachtung der Frauen, nämlich indem sie darauf bestünden,
dass etwa in Stellenanzeigen auch die weibliche Form genannt werde. Andererseits
wehrten sie sich gegen die Beachtung in Form des Anredenomens. Linguistinnen
wie Luise Pusch entgegnen, sie wollten nicht mehr und nicht weniger sprachliche
Beachtung als Männer: Werde die männliche Form genannt, solle auch die weibliche
genannt werden. Werde das männliche Anredenomen nicht genannt, solle auch
das weibliche nicht genannt werden. Denn die Ursache für die Hinzufügung eines
nicht unbedingt nötigen Wortes, die in der Sprache sehr selten zu beobachten
sei, da Ökonomie ein wichtiges Funktionsprinzip ist, diene dazu, Frauen als
etwas Besonderes zu markieren. "Das Selbstverständliche, die Norm, wird
indes nicht extra benannt", so Luise Pusch.
In vielen Fällen hat sich die Öffentlichkeit inzwischen die in der feministischen
Linguistik und unter Politikern gängige Denkweise zu eigen gemacht. "Heute
ist es nicht mehr nötig, ,Frau' statt den Vornamen zu schreiben", sagt
Inge Wolff, Vorsitzende des Arbeitskreises Umgangsformen International, der
von vielen Unternehmen in Fragen der Etikette zu Rate gezogen wird. In wissenschaftlichen
Texten werden Frauen und Männer gleichermaßen ohne Anredenomen zitiert. Karin
Frank-Cyrus, Geschäftsführerin der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS),
sagt: "Wenn ich von Schröder rede, muss ich auch von Süssmuth reden.
Das ist eine Frage der Gleichbehandlung." Und der Sprachberatungsdienst
der GfdS empfiehlt, zumindest in Todesanzeigen unbedingt auf die Zusätze "Herr"
und "Frau" zu verzichten.
Lediglich das renommierte Handbuch "Namenforschung " aus dem Jahre
1995 vermerkt: "Zur Nennung weiblicher Personen ist nach wie vor das
Anredepronomen üblich. Bei männlichen Referenten soll darauf verzichtet werden."
Doch das werde sich auch noch ändern, sagt Luise Pusch: Irgendwann bemerkten
sicherlich auch die Herausgeber des Handbuchs, dass sie der gesellschaftlichen
Strömung hinterher schwimmen.
Süddeutsche Zeitung - November 4, 1999
Autobahn-Projekte
bleiben auf der Strecke - Nach dem Berliner Beschluss
Hutter, Dominik
Letzte Ausfahrt Lochhausener Strasse: Die Bundesregierung hat entschieden,
welche Autobahnen bis 2002 finanziert werden - und die A 99-West ist nicht
dabei. Das Bundesverkehrsministerium bestätigte, dass in dem Investitionsprogramm
weder die Münchner West-Umfahrung, noch der sechsspurige Ausbau der Nürnberger
Autobahn zwischen Schenkendorfstrasse und Kreuz München-Nord enthalten ist.
Keine Mark fließen soll auch für den Ausbau der A 92 zwischen Flughafen und
Kreuz Neufahrn sowie die Fortführung der A 94 München-Mühldorf durchs Isental.
Das Programm muss nächsten Mittwoch noch vom Verkehrsausschuss des Bundestages
bestätigt werden. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Uhl appellierte
an seine SPD-Kollegen, das Programm abzulehnen. Das allerdings
hat die SPD nicht vor. "Die derzeitige Haushaltslage
hat es nicht ermöglicht", begründete die Abgeordnete Hanna Wolf
den Kabinettsbeschluss. Im Frühjahr, wenn eine "Neubewertung der finanziellen
Situation" vorgenommen wird, will Wolf erreichen, dass die A 99 noch
in die Liste aufgenommen wird: "Sie ist verschoben, aber nicht aufgehoben."
dh
Deutsche Presse-Agentur
(DPA) - Europadienst – Dezember 14, 1999
Rot-Grün beschloss Verbesserungen für misshandelte Ausländerinnen
Misshandelte ausländische
Ehefrauen können künftig schneller und leichter ein eigenständiges Aufenthaltsrecht
in Deutschland erhalten. Die Regierungsfraktionen von SPD
und Grünen legten am Dienstag in Berlin einen gemeinsamen Gesetzentwurf vor,
der die vorgeschriebene Mindest-Ehedauer von vier auf zwei Jahre reduziert.
Außerdem werden Kriterien benannt, nach denen die Frauen in Härtefällen ohne
Wartezeit ein eigenständiges Aufenthaltsrecht in Anspruch nehmen können. Die
Frauenpolitikerinnen Hanna Wolf (SPD)und Irmingard Schewe-Gerigk
(Grüne) wiesen darauf hin, dass bisher ausländische Ehefrauen aus Angst vor
Ausweisung vier Jahre lang bei ihren gewalttätigen Ehemännern ausharren mussten.
Denn nur in außergewöhnlichen Härtefällen hatten sie ein eigenes Bleiberecht
erhalten. Das Ausländergesetz werde zudem nun so geändert, dass nicht "außergewöhnliche"
Harte, sondern "besondere" Harte vorliegen muss. Sie könne sowohl
im Inland als auch im Herkunftsland begründet sein. Der Gesetzentwurf stelle
auch klar, dass die Gründe für die Anerkennung von Härtefällen bundeseinheitlich
geregelt werden. Bisher seien die Bundesländer hier sehr unterschiedlich verfahren.
Darüber hinaus werde endlich das Kindeswohl berücksichtigt und könne zur Erteilung
eines eigenständigen Aufenthaltsrechts führen. Weitere Gründe seien sexuelle
Gewalt oder Missbrauch von Kindern, drohende Diskriminierung im Rückkehrland,
Zwangsabtreibung oder die Betreuung eines behinderten Kindes. Auf diese Regelung
hatten die betroffenen Frauen schon lange gewartet, erklärten die beiden Koalitionspolitikerinnen.
Auch die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (Grüne),
begrüßte den Gesetzentwurf. Damit werde ein positiver Schlussstrich unter
eine lange Diskussion um das Bleiberecht ausländischer Ehegatten gezogen.
dpa dr yy rm
Süddeutsche Zeitung – Dezember 15, 1999
Schutz
vor dem prügelnden Ehemann
Büchner, Gerold
Ausländische Frauen sollen bereits nach zwei Jahren ein Bleiberecht in Deutschland
erhalten
Im Alter von 16 Jahren heiratete Nuriye den gleichaltrigen Yusuf, folgte ihm
aus ihrem Heimatdorf in Anatolien nach Deutschland und versuchte, eine gute
Ehefrau zu sein. Bald schon gab es Streit, der Mann und seine Verwandtschaft
schlugen Nuriye und misshandelten sie mit dem heißen Bügeleisen. Aus der gemeinsamen
Wohnung fliehen konnte die junge Frau nicht, weil sie erst nach vier Jahren
Ehe ein eigenständiges Bleiberecht in Deutschland gehabt hätte. Erst als sie
lebensgefährlich verletzt in ein Krankenhaus kam, wurde sie von ihrem Leiden
erlöst; im Oktober verurteilte das Landgericht Ingolstadt Yusuf, seine Eltern
und mehrere seiner Geschwister zu hohen Haftstrafen.
Um Frauen wie Nuriye zu helfen, haben SPD und Bündnisgrüne
nun eine Änderung des Ausländergesetzes auf den parlamentarischen Weg gebracht.
Ausländische Frauen sollen bereits nach zwei statt nach vier Jahren ein eigenes
Aufenthaltsrecht haben. In besonderen Härtefällen können sie künftig auch
ohne Einhaltung dieser Frist ihren gewalttätigen Ehemann verlassen, ohne eine
Ausweisung fürchten zu müssen. Der Gesetzentwurf ziehe endlich den Schlussstrich
unter eine mühsame Diskussion, sagte die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung,
Marieluise Beck (Grüne), am Dienstag in Berlin. Dabei sei zu wenig von der
Gewalt gegen Frauen und zu oft von Angst vor neuer Zuwanderung die Rede gewesen.
"Nicht der Missbrauch der Frau, sondern der Missbrauch des Rechts"
habe für viele im Vordergrund gestanden.
Die Grünen-Frauenpolitikerin Irmingard Schewe-Gerigk sieht in der bisherigen
Regelung vor allem einen "Täterschutz": Wenn ein Mann prügelte und
seine ausländische Frau vor ihm floh, konnte er den Behörden melden, dass
die eheliche Gemeinschaft nicht mehr bestehe. Die Frau wurde dann oftmals
ausgewiesen und in der Heimat weiter drangsaliert, der Mann hatte sich nebenbei
seiner Unterhaltspflicht entledigt. Auch eine Neuregelung 1997 bewirkte nach
Angaben von Schewe-Gerigk keine Besserung, weil die Hürden für "außergewöhnliche
Härten" zu hoch waren. Entscheidungen von Ausländerbehörden und Gerichten
hierzu seien willkürlich und von Land zu Land unterschiedlich ausgefallen.
Das neue Gesetz bringt nun einheitliche Regelungen. Auch dem Wohl von Kindern
wird größeres Gewicht beigemessen, wie die SPD-Abgeordnete
Hanna Wolf betont. Sie spricht von einem "Meilenstein".
Querschüsse erwarten die Frauenpolitikerinnen der Koalition nicht mehr: Innenminister
Otto Schily ließ den Vorstoß begrüßen, aus FDP und Union wird vereinzelte
Unterstützung erwartet, und der Bundesrat muss nicht zustimmen. Wolf und Schewe-Gerigk
rechnen damit, dass das Gesetz zum 1. April in Kraft treten kann. Dann beginnt
für Beck die nächste Etappe im Kampf gegen häusliche Gewalt bei Ausländern.
Sie will sich verstärkt um soziale Ursachen kümmern und stellt klar: religiöse
oder kulturelle Begründungen für Misshandlung seien nicht akzeptabel. Gerold
Büchner
AP Worldstream – Januar 28, 2000
Koalition
will besseres Bleiberecht für geprügelte Frauen
Rückgabe und Umtausch von Ehefrauen beenden
Misshandelte ausländische
Ehefrauen sollen nach dem Willen der Regierungskoalition künftig rascher ein
eigenständiges Aufenthaltsrecht in Deutschland erhalten, um der Qual und der
Erpressung durch den Ehemann zu entkommen. Der am Freitag im Parlament debattierte
Entwurf einer Gesetzesänderung sieht vor, das Aufenthaltsrecht bereits nach
zwei Jahren statt, wie bisher, nach vier Jahren zu erteilen. Hinzu kommen
noch Regelungen für Härtefälle. CDU/CSU und FDP warnten in der Debatte, durch
ein solches Gesetz würden Scheinehen und Menschenhandel gefördert. Der CSU-Abgeordnete
Hans-Peter Uhl lehnte die Änderung ab und betonte, die Bundesrepublik sei
nach wie vor kein Einwanderungsland. Er berichtete über der Justiz bekannte
Fälle, in denen Ausländer durch Heirat mit deutschen Frauen das Aufenthaltsrecht
in der Bundesrepublik erhielten.
So habe sich in München ein junger Ägypter durch Heirat seiner über 60-jährigen
Vermieterin Vorteile verschafft. Nach der Heirat habe er jedoch die Frau geschlagen
und wirtschaftlich ausgebeutet. ''Und solche Leute wollen Sie schützen?'',
fragte der CSU-Abgeordnete die Regierungskoalition. Die Liberalen vertraten
die Ansicht, die gewünschte Reform müsse in den Ausschüssen noch eingehend
diskutiert werden.
Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen streben
eine Änderung des Paragraphen 19 des Ausländergesetzes an. Sie soll sowohl
für ausländische Ehegattinnen als auch für Ehegatten in Streitfällen ein eigenständiges
Aufenthaltsrecht bereits nach zwei Jahren sichern. Der Gesetzentwurf wurde
den zuständigen Bundestagsausschüssen überwiesen.
Für die PDS stimme Ulla Jelpke den Zielen voll zu. Die Verbesserung reiche
aber nicht aus. Die Wartezeiten sei weiter zu verkürzen.
In Härtefällen noch schneller Aufenthalt möglich
In der kontroversen Debatte bekräftigte die Koalition ihre Absicht, weitere
Gewalt abzuwehren. Sie argumentierte ferner, man wolle auch die von Ehemännern
oft praktizierte Rückgabe und den Umtausch ihrer ausländischen Frauen beenden.
Die parlamentarische Staatssekretärin Cornelie Sonntag-Wolgast aus dem Bundesinnenministerium
erklärte, es werde auch Regelungen für Härtefälle geben. Das seien Situationen,
in denen die Ehepartner oder Ehepartnerinnen schon nach kurzer Zeit des Aufenthalts
in Deutschland ''unerträglich schikaniert werden''. In solchen Fällen dürfe
es keine Wartefrist geben, sagte die SPD-Politikerin. Durch
die angestrebte Reform sollten auch die in solchen Familien bedrohten Kinder
vor körperlichen und seelischen Schäden geschützt werden.
Die Grünen-Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk beklagte, dass gegenwärtig
der Paragraph 19 des Ausländergesetzes ''ein Machtmittel in den Händen des
Ehemanns'' sei. Das sei Täterschutz statt Opferschutz. Die SPD-Abgeordnete
Hanna Wolf kritisierte, dass Ausländerbehörden teils ''auf
schändliche Weise'' missbräuchliches Verhalten der Ehemänner unterstützt hätten.
Die Parlamentarierin appellierte an die Opposition das Gesetz letztlich mitzutragen.
Es diene dem Schutz der Menschenrechte.
Weglaufen
nach zwei Jahren
Karin Nink
Ausländerinnen, die einen Deutschen
geheiratet haben, bekommen ihr eigenes Aufenthaltsrecht frühzeitiger als bisher
Die 1997 reformierte Regelung für ein Aufenthaltsrecht von ausländischen Ehefrauen
taugt nicht viel. In diesem Ergebnis waren sich die Vertreter und Vertreterinnen
aller Fraktionen gestern im Bundestag einig - auch die Rednerinnen und Redner
von CDU und FDP.
Demnächst sollen Ausländerinnen, die mit einem Deutschen verheiratet sind,
bereits nach zwei Jahren Ehe ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhalten
- bisher müssen sie vier Jahre darauf warten. Diese Änderung soll im April
in Kraft treten. Außerdem wird die "außergewöhnlichen Härte", von
der eine Frau bisher getroffen sein musste, um vor den vier Jahren, ein eingeständiges
Bleiberecht zu erhalten, durch "besondere Härte" ersetzt werden.
Bisher war es so, dass der Begriff der "außergewöhnlichen Härte"
im Gesetz nicht klar definiert war.
Hanna Wolf, SPD, begründete die Neuregelung damit, dass es
darum gehe, "gleiche Lebensverhältnisse für alle Ausländerinnen in ganz
Deutschland zu schaffen". Bisher seien alle Gesetzreformen für ausländische
Frauen und Kinder "Stückwerke geblieben".
So wurden in einigen Bundesländern auch Frauen abgeschoben, wenn sie von ihren
deutschen Ehemännern zuvor misshandelt worden waren. So hatte etwa in Bayern
eine Zuwanderin kaum die Chance sich auf die Härteklausel zu berufen. Dort
musste eine ausländische Ehefrau eine schwere Körperverletzung erlitten haben,
um sich von ihrem Ehemann trennen zu können, ohne Gefahr zu laufen, abgeschoben
zu werden.
"Das heißt, sie musste ein lebenswichtiges Glied oder das Sehvermögen
verlieren, gelähmt oder geisteskrank sein", erläuterte die frauenpolitische
Sprecherin der Grünen, Irmingard Schewe-Gerigk gestern in der ersten Lesung
des Gesetzentwurfs die unwürdige Praxis. Eine für alle Bundesländer verbindliche
Regelung soll nun Abhilfe schaffen. Dem Argument der CDU-Frau, Ilse Falk,
mit dem Absenken der Frist von vier auf zwei Ehejahre, werde "das Problem
der Scheinehen mit ihren menschenverachtenden Folgen" weiter verschärft,
trat Schewe-Gerigk entgegen: "Nach Zahlen des statistischen Bundesamts
sind binationale Ehen und Ehen von Migranten und Migrantinnen nicht stärker
von Scheidungen betroffen als deutsche Ehen."
Die FDP signalisierte Zustimmung für den neuen Gesetzentwurf, weil der alte
"in keiner Weise befriedigend" sei, so Innenpolitiker Max Stadler.
Er kritisiert aber, dass die Sozialhilfeklausel kaum geändert worden sei.
Nach bisherigem Recht kann eine Migrantin ausgewiesen werden, wenn sie auf
Sozialhilfe angewiesen ist. Das will er bei den Diskussionen in dem Gremien
geändert wissen. "Kleinlich und menschlich schäbig" habe Otto Graf
Lambsdorff diese Regelung schon 1997 genannt, erinnert sich Stadler in der
Debatte. Und Lambsdorff steht bestimmt nicht im Ruf, ein Sozialromantiker
zu sein.
Karin Nink
AP Worldstream – März 16, 2000
Über
140 Abgeordnete laufen Sturm gegen Erd-Kunstwerk
Vollmer: Haacke wollte Debatte über den Begriff Volk
Berlin
Über 140 Abgeordnete der CSU/CDU, der FDP sowie der Koalitionsfraktionen laufen
Sturm gegen die Realisierung eines umstrittenen Kunstprojekts von Hans Haacke
in einem Innenhof des Reichstagsgebäudes. In einem am Donnerstag in Berlin
veröffentlichten Antrag wird das Parlament aufgefordert, sich gegen das Vorhaben
mit dem Titel ''Der Bevölkerung'' auszusprechen, damit es nicht verwirklicht
wird.
Für die Installation des tonnenschweren Objekts mit Erde aus den Wahlkreisen
hatten sich die zwölf Mitglieder des Kunstbeirats unter Leitung von Bundestagspräsident
Wolfgang Thierse zwei Mal mehrheitlich entschieden. Bundestagsvizepräsidentin
Antje Vollmer von Bündnis 90/Die Grünen war als Mitglied dieses Gremiums dagegen.
Nach den Vorstellungen Haackes soll im nördlichen Hof des Reichstagsgebäudes
ein 21 mal sieben Meter großer Holztrog entstehen, den die 669 Abgeordneten
mit je einem Zentner Erde aus ihrem Wahlkreis füllen sollen. In der Mitte
soll der Schriftzug ''Der Bevölkerung'' angebracht werden. Die 1,20 Meter
hohen Leuchtbuchstaben sollen dieselbe Form haben, wie die Widmung ''Dem deutschen
Volk'' über dem Portal des Reichstagsgebäudes.
Die Initiative zum Parlamentsantrag ging von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
unter Federführung des nordrhein-westfälischen Abgeordneten Norbert Lammert
aus. Zu den Unterzeichnern des Antrages gehören neben Antje Vollmer unter
anderen auch Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms und die SPD-Abgeordnete
Hanna Wolf aus München.
Vollmer betonte am Donnerstag in Berlin: ''Das Kunstwerk kann nicht realisiert
werden ohne die Beteiligung der Abgeordneten.'' So viel Demokratie und parlamentarisches
Selbstbewusstsein sollte auch der provokative Künstler Haacke akzeptieren.
''Wenn keiner der Abgeordneten mitmacht, muss er sich etwas anderes überlegen,
falls er selbst sein Projekt ernst nimmt.'' Haacke wollte nach Ansicht Vollmers
vor allem eine Debatte über den Begriff Volk. ''Diese Debatte hat er bekommen
und damit ist die Hauptaufgabe von uns für ihn nun auch erledigt.''
Süddeutsche Zeitung – März 31, 2000
Stadt
wirbt um Bürgerstiftungen
Dürr, Alfred
Bricht in der Stadt bald das große Spendenfieber aus? Der Münchner SPD-Chef
Franz Maget und die Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf (SPD)
wünschen sich das jedenfalls: Jetzt könne auch Otto Normalverbraucher zum
Mäzen werden und eine eigene Bürgerstiftung gründen oder eine andere unterstützen.
Der Bundestag hat vor kurzem nämlich ein neues Stiftungsrecht beschlossen.
Bürger können künftig bis zu 40 000 Mark steuerfrei spenden, und der Katalog
der Stiftungszwecke ist auf die Bereiche Sport, Entwicklungshilfe und Umweltschutz
ausgeweitet worden.
Auch der Vize-Vorsitzende des Münchner Sportbeirats, Horst Staimer, und der
Geschäftsführer der Münchner Arbeiterwohlfahrt, Jürgen Salzhuber, werben für
die Stiftungs-Idee. Gerade für die Jugendbetreuung in den Sportvereinen oder
für bessere soziale Dienstleistungen würde zusätzliches Geld gebraucht.
Durch den Finanzskandal bei der CDU haben die Begriffe Spenden und Stiftungen
einen schlechten Ruf bekommen. Die Abgeordnete Wolf hofft nun auf eine "Resozialisierung"
dieser Begriffe. Immerhin fließen schon jetzt jedes Jahr bis zu 14 Millionen
Mark an Stiftungsgeldern, die vom Sozialreferat verwaltet werden. Dort bekommt
man auch Auskunft über die Möglichkeiten, verschiedene Projekte zu unterstützen
(näheres unter Telefon 23325646). Der Staat verzichtet durch Änderungen in
den verschiedenen Steuergesetzen auf rund eine Milliarde Mark Einnahmen, dafür
sollen die Bürger beim Geldausgeben für gute Zwecke selbst aktiv werden. dü.
Frankfurter Allgemeine Zeitung - April 6, 2000
Das System
hat gesiegt
Nach bestürzender Bundestagsdebatte darf Haacke sein Projekt im Reichstag
verwirklichen
Hans Haacke hat gewonnen, er darf damit rechnen, dass sein umstrittenes Projekt
im nördlichen Ehrenhof des Reichstags installiert wird. Aber darf er sich
des Siegs freuen? Äußerst knapp ist die namentliche Abstimmung ausgefallen,
äußerst gering die Zustimmung zu seinem Kunstwerk: die erste Auszählung ergab
260 Stimmen seiner Befürworter versus 258 Stimmen seiner Gegner, dies bei
31 Enthaltungen. Ärgerlicher noch: die endlose Kontroverse um sein im Grunde
banales, mit platter Symbolik aufgeladenes Werk hatte ihre kongeniale Entsprechung
in der Debatte des Bundestages. Schlichtweg bestürzend war die Argumentationsführung
auf beiden Seiten; sowohl Gegner wie Befürworter des Projekts brillierten
mit großem rhetorischem Aufwand, aber ästhetischer Ahnungslosigkeit. Man muss
sich nach dieser Debatte und der wiederholten emphatischen Berufung der Redner
auf ihre angeblich erwiesene Kompetenz bei der Bundestagsdebatte um Christos
Reichstagsverhüllung ernstlich fragen, ob auch schon damals die Einbildungskraft
hauptsächlich das Wort geführt hat. Es ist nicht nur ein Sieg des politischen
Interventionisten Haacke, es ist vor allem ein Sieg des Systems, das ihn trägt.
Außer der Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer, Mitglied des Kunstbeirats,
war sich keiner der Redner aus allen im Bundestag vertretenen Parteien bewusst,
dass mit dem Projekt auch ein Gremium zur Debatte stand, dass sich mit außerparlamentarischen
Experten in ein Netz gegenseitiger Freundschaftsbeweise begibt. So ist der
Sieg Hans Haackes auch der des Kunstsystems, an das die Demokratie, unfähig
zu schlüssigen repräsentativen Symbolen, letztlich die Entscheidung über ihre
Kunsteinkäufe delegiert hat. Es folgen Auszüge aus der Debatte. I.L.
NORBERT LAMMERT, CDU:
Die Verwandlung von Konzeptkunst in eine skurrile Bundesgartenschau ist kein
großer Wurf, sondern eine große Albernheit, die der Ernsthaftigkeit nicht
gerecht wird, die dieses Thema verdient. Das Bedürfnis nach Selbstinszenierung
des Künstlers ist legitim, es ist in diesem konkreten Fall offensichtlich
ausgeprägter als das Bedürfnis nach Aufklärung. Die künstliche Gegenüberstellung
von Volk und Bevölkerung wird dem Volk nicht gerecht. Das Projekt ist politisch
und ästhetisch misslungen. Die anstehende Entscheidung des Bundestages über
ein ebenso diskussionswürdiges wie diskussionsbedürftiges künstlerisches Projekt
in seinem Hause ist nicht nur ein Anwendungsfall für die Freiheit der Kunst,
sondern auch für die Souveränität dieses Parlaments. Das hat nicht nur etwas
zu tun mit der gelegentlich strapazierten Würde des Hohen Hauses, sondern
auch und vor allem mit der Würde des Menschen, die wir in diesem Hause zu
vertreten haben und die wir nicht als Volk und Bevölkerung gegeneinander in
Stellung bringen lassen dürfen.
GERD WEISSKIRCHEN, SPD:
Hier wird nicht die Widmung "Dem deutschen Volke" der Widmung "Der
Bevölkerung" gegenüber gestellt als Feindbegriffe, sondern sie werden
zueinander gestellt, um miteinander einen Dialog zu führen, in welcher Gesellschaft
wollen wir künftig leben. Der Künstler ist autonom, sein Werk muss stören,
Eingeschliffenes aufbrechen, neues Sehen möglich machen, er braucht nicht
Rücksicht nehmen auf die Mehrheit, er braucht nicht Rücksicht nehmen auf die
Sehweisen, die eingeschliffen sind. Wir müssen das. Kunst, sagt Gadamer, die
sich nicht dekorativ in den Zusammenhang einschmiegt, sondern eher aus ihm
heraussteht, sie gefällt nicht nur, sie muss und darf wirken wie eine Zumutung.
Und Haacke ergänzt die Inschrift, auf ebener Erde, dreißig Zentimeter ist
das Behältnis hoch, Blumen werden darauf wachsen, was denn bitte, ist denn
daran Kitsch? Sein Werk fragt uns, wie weit fassen wir den Begriff des Bürgers.
Wollen wir denn leugnen, dass wir in einem Land leben, in dem es eine wachsende
Zahl von nicht-deutschen Bürgern gibt? Die kritischen Künstler dürfen wir
nicht verlieren, damit unsere Gesellschaft ständig wach und lebendig bleibt.
Kunst, das ist ihre herausstechende Eigenart, durchbricht die Logik von Interessen.
Die Gegenwart der Kunst kann manchmal viel realer sein als die empirische
Realität, von der die Politik meint, dass sie in ihr lebt. Sorgen Sie dafür,
dass die Kunst ihre Freiheit bekommt.
ANTJE VOLLMER, GRÜNE:
Worüber wir aber heute debattieren, ist ein ganz praktisches Problem. Wie
kann ein Kunstwerk realisiert werden, das essenziell zu seiner Verwirklichung
die Teilnahme von frei gewählten Abgeordneten des Bundestages an einem höchst
merkwürdigen und geradezu skurrilen Erdritual erfordert. Ich finde, wir sollten
uns dieser Art Gesinnungs-TÜV nicht unterziehen. Es geht um die Freiheit der
Kunst, aber auch um die Freiheit von Abgeordneten.
ULRICH HEINRICH, FDP:
Wer im Bundestag den Begriff Volk in Frage stellt, darf sich über Kritik nicht
wundern. Ich gebe uns hier die Freiheit, uns nicht sklavisch daran festzuhalten,
was der Künstler in sein eigenes Projekt interpretiert, sondern dass wir ihm
unsere eigene Interpretation geben. Die Inschrift am Westgiebel, "Dem
deutschen Volke", gab Haacke die Gelegenheit, zu zeigen, wie stark der
Begriff des Volkes missbraucht worden ist. Gerade dieser Missbrauch des Wortes
Volk hat den Künstler veranlasst, einen Bogen zu spannen zur Bevölkerung.
Ganz besonders herausfordernd ist das Heranschleppen von Erde durch die Abgeordneten.
Diese Interaktion und Partizipation macht deutlich, dass es sich um ein Kunstwerk
handelt, welches man nicht überall aufstellen kann, sondern das ausschließlich
für den Deutschen Bundestag geschaffen wurde. Was die Erdsymbolik betrifft,
meine Damen und Herren, wir alle haben schon einen Ersten Spatenstich vorgenommen.
Die Frage ist, wer hat da nicht auch schon seinen Teil zu der Symbolik beigetragen.
Die Freiheit der Kunst erfordert Toleranz von allen.
HANNA WOLF, SPD:
Dass die Nazis diesen Begriff des Volks missbraucht haben, gehört zur Tragik
unserer Geschichte. 1989 riefen die Menschen in Leipzig "Wir sind das
Volk", das war eine Provokation für die Machthaber. Und niemand hat es
chauvinistisch verstanden. Diese revolutionäre Tradition des Begriffs Volk
möchte ich nicht begraben sehen. In meiner Arbeit als Bundestagabgeordnete
gilt für mich das Grundgesetz. In Artikel 1 heißt es: Die Würde des Menschen
ist unantastbar, In Artikel 3 steht: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
Da wird ohne Einschränkung immer von den Menschen gesprochen, das heißt von
allen Menschen, die in der Bundesrepublik leben. Das ist mir Verpflichtung
genug.
WOLFGANG THIERSE, SPD:
Kunst ist Freiheit, das ist ihr inneres Wesen. Sie lässt Unterschiede zu,
lädt ein zu Streit, zu Diskussion, zu Subjektivität, zu Artikulation unseres
je eigenen Geschmacks, Fühlens und Denkens. Deshalb ist unterschiedliches
ästhetisches Urteil legitim, ist gegensätzliche Meinungsäußerung selbstverständlich.
Wie sähe die Kunst aus, wenn sie von politischen Gremien abgehangen hätte?
Die Verfremdung ist fundamentaler Bestandteil der Kunst.
Hanfsamen
in Heimaterde
HARALD FRICKE
Der Bundestag hat abgestimmt: Hans Haackes umstrittenes Projekt "Der
Bevölkerung" wird nun als Kunstwerk im Reichstag installiert
Es gibt offenbar 549 Bundestagsabgeordnete, die sich für Kunst interessieren.
Das ist bei insgesamt 669 Parlamentariern eine enorme Zahl: Als am Mittwoch
eine Stunde zuvor noch über den Antrag der Grünen zur "Unterstützung
des Stabilitätspakts Südosteuropa" abgestimmt wurde, waren nicht einmal
halb so viele Abgeordnete im Plenarsaal anwesend, um die Zukunft der Kosovo-Flüchtlinge
zu diskutieren. Dass sich so viele Politikerinnen und Politiker mit Kunst
beschäftigen, liegt allerdings auch daran, dass sie am Mittwochabend entscheiden
durften, ob Hans Haacke sein "Bevölkerung"-Projekt im Reichstag
realisieren kann. Und siehe da: Er wird. Zwar haben 258 Bundestagsabgeordnete
seinen Entwurf abgelehnt, Erde in einem Beet mit der Neoninschrift "Der
Bevölkerung" zu installieren. Aber dann haben sie doch um zwei Stimmen
gegen 260 Abgeordnete verloren, die sich entweder auf das Haacke-Beet freuen
oder aber der Meinung waren, dass man nicht darüber abstimmen kann, was gute,
gelungene oder überhaupt Kunst ist - und deshalb dafür votiert haben, dass
man nicht gegen ein Kunstwerk stimmen darf. Zuletzt gab es noch 31 Enthaltungen
- wohl auch als Zeichen einer entschiedenen Nichtentscheidung in künstlerischen
Fragen.
Mit einem dermaßen knappen Ergebnis hatte indes kaum jemand gerechnet. Zumindest
nicht die Befürworter des Projekts. Tatsächlich sah es während der einstündigen
Debatte aus, als würde Haacke abgeschmettert werden. Der Block der CDU/CSU-Fraktion
war offensichtlich ganz fest entschlossen, sich nicht von einem Künstler "lächerlich"
machen zu lassen, wie ihr kulturpolitischer Sprecher Norbert Lammert gleich
zu Beginn klarstellte. Und dafür gewaltigen Applaus bekam. Da nützte es wenig,
dass nach ihm der freundliche SPD-Vertreter im Kunstbeirat,
Gert Weisskirchen, den Philosophen Hans-Georg Gadamer mit seiner Idee von
Kunst als "Zumutung" zitierte. Denn Lammert hatte mit einiger Empörung
erklärt, er brauche "von niemandem Nachhilfeunterricht", wenn es
darum geht, per Kunstwerk zu zeigen, dass das Grundgesetz eben nicht nur für
das deutsche Volk gilt, sondern auch für die Bevölkerung, die hierzulande
lebt.
Vor allem diese symbolische Umwidmung, die Haacke mit seiner Arbeit vorschlägt,
kam denn auch bei einigen PolitikerInnen sehr schlecht an. Antje Vollmer sprach
von "Gesinnungs-TÜV", mit dem die Abgeordneten per Kunstwerk "genötigt"
werden sollen. Dafür durfte sich die Bundestagsvizepräsidentin der Grünen
von der CDU/CSU beklatschen lassen, wo doch sonst die Fronten ein wenig anders
verlaufen. Auch die SPD-Politikerin Hanna Wolf
sagte verärgert, dass sie den "revolutionären Begriff" des Volkes,
für den ja schließlich die Bürgerrechtler im Osten 1989 auf die Strasse gegangen
waren, nicht von einem Künstler "begraben sehen" will.
Wahrscheinlich darf sich Hans Haacke dennoch für seinen Erfolg am Ende ausgerechnet
bei der CDU/CSU bedanken. Ohne die beiden Reden von Rita Süssmuth und ihrem
Parteikollegen Volker Kauder wäre seine Arbeit vermutlich doch als seltsame
Mischung aus Mitmach-Happening für Politiker und zäher Geschichtsstunde abgekanzelt
worden. Zu Unrecht. Denn Süssmuth machte noch einmal deutlich, wie wichtig
gerade die Einbeziehung der gesamten Bevölkerung ist für eine Integrationspolitik,
die über nationale Interessen hinausreicht. Im Gegenzug brauchte sie nur zu
erzählen, wie viele Briefe sie täglich von Bundesbürgern bekommt, die sich
darüber aufregen, dass Haacke auch "Gelbe oder Türken" meint, wenn
er an Deutschland denkt.
Und genau dieses rassistische Stereotyp kam dann plötzlich bei Kauder zum
Vorschein, der hysterisch schwäbelnd über Haacke meinte, er wolle nur provozieren
und mit "seiner Agitation" das deutsche Volk beleidigen. Als Kauder
auch noch davon zu reden anfing, dass "wir Deutschen" endlich wie
Franzosen und Engländer zu "unserer Nation" stehen sollten, war
klar: Das Ding wird gebaut. Als Zeichen gegen Kauder und Co. Als Zeichen gegen
eine Politik, die mit Slogans von "Kindern statt Indern" Wahlkampf
macht.
Oder vielleicht doch eher in der Art, wie sich Franziska Eichstädt-Bohlig
von den Grünen das Projekt "Der Bevölkerung" vorstellt? Sie hatte
nämlich kurz vorher erklärt, dass gerade die jungen Kollegen in ihrer Partei
kein Problem mit der Heimaterde haben: "Die bringen dann Sonnenblumen-
und Hanfsamen mit", damit das Haacke-Beet schön zuwächst. Kein schlechter
Gedanke - Cannabis im Bundestag.. Aus ästhetischen Gründen. Das hätte auch
Joseph Beuys gefallen. Und Wolfgang Neuss.
HARALD FRICKE
Hinweis: Im Grunde darf sich Hans Haacke für seinen Erfolg ausgerechnet bei
der CDU/CSU-Fraktion bedanken
Süddeutsche Zeitung - April 8, 2000
Münchner
Erde bleibt hier
Von Michael Zirnstein
Keiner der Abgeordneten will sich an der Kunstaktion beteiligen
Wie schaffen die zehn Münchner Bundestagsabgeordneten je einen Zentner Heimaterde
nach Berlin? Mit der S-Bahn zum Flughafen, auf ihren Nebensitzen in der Business-Class
zum Tegel-Airport, in zehn Taxis zum Parlament? "Totaler Blödsinn",
sagt Aribert Wolf (CSU) zum Aufruf des Künstlers Hans Haacke, jeder Parlamentarier
solle Erde aus dem Wahlkreis in sein Reichstag-Kunstwerk "Der Bevölkerung"
schütten. "Nur weil das unter dem Stichwort Kunst läuft, hat das noch
lange keinen Tiefgang", sagt Wolf, "wir Parlamentarier sollen die
Hampelmänner spielen. Politik ist was Ernstes." Aribert Wolf und seine
drei CSU-Kollegen aus München zählten zu den 150 Parlamentariern, die im Bundestag
den Antrag gegen das Haacke-Stück gestellt hatten. Ohne Erfolg, am Mittwoch
in der Abstimmung siegten die Befürworter des Werks mit zwei Stimmen Mehrheit.
Die Installation kommt, die Erde wohl nicht.
"Ich kenne keinen, der sich an der Aktion beteiligen will", sagt
Christoph Moosbauer, SPD-Gesandter der Münchner Südens. Er
ist für Haacke - für ihn schaufeln wird er nicht. Er hält es für "Quatsch",
die Botschaft des Objekts "Der Bevölkerung" der Giebel-Inschrift
"Dem deutschen Volke" gegenüberzustellen. Aber man habe Haacke eingeladen,
und jetzt dürfe der sich auch künstlerisch frei äußern - "selbst provokativ
und überzogen". Moosbauer hält es für "gespenstisch", dass
im Bundestag über Kunst abgestimmt werden muss.
Seine Genossin Hanna Wolf (München-West) wollte abstimmen.
Schließlich habe Haacke für die Erdinstallation "kein Gartencenter beauftragt",
sondern die Abgeordneten, wie sie vor dem Plenum sagte. Auch sie wird Münchens
Bäume nicht der Scholle berauben. Sie sei "irritiert" von der "durch
die Nazis besetzten Erdkultsymbolik" der Installation. Und sie wolle
die "revolutionäre Tradition des Begriffs Volk" - einst eine Provokation
für den Kaiser, jüngst für die Oberen der DDR - "nicht begraben sehen".
Münchens Gesandte werden ihren Boden gar nicht nach Berlin schaffen. Johannes
Singhammer, Chef der Münchner CSU, weiß von keinem Kollegen, der bei dem Ritual
mitmachen wird. "Das ist doch Unsinn, einen Kübel Dreck mitzubringen."
Haacke könne sein Stück gerne aufstellen, "nur nicht im Reichstag",
wo jeden Tag tausende Touristen daran vorbei gehen müssten. "Die werden
nur mit dem Kopf schütteln." Wer weiß, vielleicht helfen sie ja, den
Trog zu füllen.
BUNTE – Juli 13, 2000
Mobbing
mit Kultur
Peter Königsfeld
MACHTKAMPF
Elke Leonhard: Warum sie nicht mehr Vorsitzende des Kulturausschusses im Bundestag
ist. Ein Drama
So muss es einst an den Höfen zugegangen sein: abschwören oder in den Kerker
- die Alternative für Andersdenkende. Ähnlich muss sich heute Elke Leonhard,
51 (SPD), fühlen, nachdem sie gezwungen wurde, den Vorsitz
des Kulturausschusses im Bundestag zurückzugeben. Ihr Parteigenosse und Fraktionschef
Peter Struck, 57, hatte ihr "das Vertrauen der Fraktion" entziehen
lassen. Struck übergab der Vorsitzenden Leonhard einen Brief, in dem sechs
SPD-Genossen aus dem Kulturausschuss (Eckhardt Barthel, Monika
Griefahn, Michael Roth, Gisela Schröter, Gert Weisskirchen und Hanna
Wolf) verlangten, Elke Leonhard habe "Äußerungen im Bereich
Kultur und Medien zukünftig mit dem Kulturstaatsminister abzustimmen".
Der Kulturstaatsminister heißt Michael Naumann, 58, kein erklärter Freund
der Vorsitzenden. Auch umgekehrt nicht: Ob Holocaust-Mahnmal, Stiftungsrecht,
Nationalstiftung oder auswärtige Kulturpolitik - immer war Elke Leonhard einen
Schritt schneller und setzte die Vorschläge des Kulturausschusses im Bundestag
medienwirksam durch - ehe Naumann reagierte. Produzierte so eine Niederlage
nach der anderen für den Staatsminister. Ihr Credo: "Wir brauchen keine
Kulturpolitik aus dem stillen Kämmerlein, wir brauchen auch keine erbärmlichen
Jasager im Parlament, sondern den Diskurs, die Streitkultur und ein selbstbewusstes
Parlament."
Die SPD-Mitglieder des Kulturausschusses im Bundestag sehen
das wohl etwas anders und schickten der streitbaren Vorsitzenden den Maulkorb-Brief.
Die empörte Elke Leonhard zerriss das Schreiben, nachdem sie es gelesen hatte,
und erklärte ihren Rücktritt. Gegenüber BUNTE sagte sie: "Das Parlament
ist doch nicht der verlängerte Arm der Regierung. Wo sind wir denn gelandet!"
Das Ende eines jahrelangen Streits zwischen zwei Diven der deutschen Kulturpolitik:
Elke Leonhard und Michael Naumann. Für Naumann kam der Rücktritt angeblich
überraschend: "Ich habe inhaltlich unterschiedliche Bewertungen nie als
Hindernis für eine gedeihliche Zusammenarbeit gesehen, anders als Frau Leonhard."
Der Fraktionsvorsitzende Struck äußert sich erst gar nicht zu dem Vorgang.
Als Leonhard-Nachfolgerin hat die SPD Monika Griefahn, 45,
ausgeguckt. Die Ex -Grüne und -Umweltministerin aus Niedersachsen gehört zu
den Unterzeichnern des Maulkorb-Briefes an Elke Leonhard. Ein SPD-MdB
ist sich deshalb sicher: "Mit der wird Naumann also kaum Probleme bekommen."
AP Worldstream - German – Juli 27, 2000
Umstrittenes
Haacke-Kunstwerk im Reichstag installiert
Bisher noch keine gefüllten Erd-Säcke eingetroffen
Das umstrittene Erd-Kunstwerk mit der Inschrift ''Der Bevölkerung'' des Konzeptkünstlers
Hans Haacke ist im Lichthof des Reichstages installiert worden. Das teilte
die Bundestagsverwaltung am Donnerstag in Berlin mit. Am 12. September soll
das Kunstwerk von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse eingeweiht werden.
Die Inschrift befindet sich in einem 21 mal sieben Meter langen Holztrog.
Nach den Vorstellungen von Haacke sollen die 669 Bundestagsabgeordneten den
Trog mit einem Zentner Erde aus ihren Wahlkreisen füllen. Das Projekt kostet
375.000 Mark. In einem Brief hatte der Konzeptkünstler die Parlamentarier
Anfang Juli aufgefordert, sich an dieser ''symbolischen Handlung'' zu beteiligen.
Ganz besonders richte er die Einladung an jene Abgeordneten, die dem Projekt
ablehnend gegenüberstünden. Jedem Abgeordneten hatte der in New York lebende
Haacke für den Erd-Transport zwei 25 Kilogramm fassende Jutesäcke zugeschickt.
Einen Sack sollten die Parlamentarier nach der Erdablieferung zurückerhalten,
der zweite werde mit Namen im Reichstag öffentlich ausgestellt, schrieb Haacke
in dem Brief. Einige Abgeordnete hatten bereits angekündigt, aus ihren Wahlkreisen
Erde nach Berlin zu bringen.
Nach Informationen einer Sprecherin des Berliner Büros des Künstlers sind
bisher noch keine gefüllten Säcke im Reichstag oder im Haacke-Büro eingetroffen.
Einige Abgeordnete hätten jedoch ihrer Ablehnung über das Kunstwerk Luft gemacht
und die Säcke leer zurückgeschickt. Das Büro des Künstlers habe extra eine
Spedition mit Lagerung und Transport der Erde beauftragt. Nach der Einweihung
des Haacke-Projektes sollen die Worte ''Der Bevölkerung'' in grüner Leuchtschrift
für alle Besucher des Reichstages sichtbar sein. Sie nehmen Bezug auf die
Inschrift ''Dem deutschen Volke'' über dem Eingangsportal.
Kritik war fraktionsübergreifend
Kritik gegen das Haacke-Projekt kam nach dem Entscheid des Kunstbeirates aus
allen Fraktionen. Über 140 Parlamentarier erreichten in einem Gruppenantrag,
dass der Bundestag erneut über das Kunstwerk abstimmen musste. Die Kritik
richtete sich vor allem gegen die Inschrift, der sie nationalistischen Charakter
vorwarfen. Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer kritisierte das Haacke-Werk
als ''Biokitsch''. Zu den Unterzeichnern des Antrages gehörten auch der Bundestagsvizepräsident
und FDP-Politiker Hermann Otto Solms sowie die SPD-Abgeordnete
Hanna Wolf aus München.
Der Kunstbeirat des Bundestages hatte sich zwei Mal für die Haacke-Installation
entschieden. Zu den Kosten des Objektes erklärte die Bundestagsverwaltung,
die Installation werde aus dem rund acht Millionen Mark finanziert, die insgesamt
für ''Kunst am Bau'' zur Verfügung stünden.
Süddeutsche Zeitung – Oktober 7, 2000
Aus Berlin
fließt Geld
Von Christian Betz
Ministerin Bergmann stellt im Presseclub die Reformen der Bundesregierung
dar
"Was macht Berlin für München?" - eine Frage, die der Münchner Presseclub
gestern in einem Gespräch mit Familienministerin Christine Bergmann (SPD)
klären wollte. "Ich bin selbst sehr gespannt, was hier in München passiert",
zeigte sich Bergmann gegenüber ihren Parteigenossinnen, der Bundestagsabgeordneten
Hanna Wolf und der Bürgermeisterin Gertraud Burkert, interessiert.
Die Auswirkungen der Berliner Politik? Sie seien "ein wahrer Geldsegen
für München", dankte Burkert. Münchens Familienpolitik sei durch die
neue Bundesregierung finanziell unterstützt worden: Die Kindergeldreform habe
allein im letzten Jahr zusätzliche Leistungen von 4,68 Millionen Mark erbracht.
Heuer würde sie gegenüber 1998 weitere 7,8 Millionen ausmachen. Münchens CSU-Chef
Johannes Singhammer sah das anders: "Die als Großwohltat von Rot-Grün
verkaufte Erhöhung des Kindergeldes wird völlig von der Ökosteuer aufgefressen.
"
Als wichtige Unterstützung der Bundesregierung für Familien wertete Bergmann
auch das Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Elf Millionen
Mark sollen dieses Jahr dafür nach München fließen. "Damit können weitgehend
alle Jugendlichen vermittelt werden, die auch nur irgendwie Bereitschaft zeigen",
so Burkert.
Die Mietkosten - gerade in München ein Dauerproblem. Auch hier brachte Bergmann
Neuigkeiten aus Berlin mit: Im Januar 2001 werde das Wohngeld erhöht und familienfreundlicher
gestaltet. Eine Familie mit zwei Kindern werde damit 80 bis 100 Mark mehr
pro Monat erhalten.
Als ein "großes Anliegen der Regierung" sah Bergmann die Ächtung
der Gewalt in der Erziehung. Vor allem in den Großstädten müsse durch Kampagnen
auf das Problem hingewiesen werden. "Gewalt ruft wieder Gewalt hervor",
stellte die Ministerin fest. "Wir müssen es schaffen, dass die Gesellschaft
anders reagiert. " Auch in München werde zu oft weggeschaut, pflichtete
ihr Bürgermeisterin Burkert bei, aber "wir werden darauf hinarbeiten,
dass die Öffentlichkeit aufmerksamer wird. " Die drei Damen der SPD
waren sich einig: Berlin tut etwas für München.
Der Spiegel – Oktober 30, 2000
Erkan
und die regen Würmer
Deutschlands meistumstrittenes Kunstobjekt, die Erd-Installation im Reichstag,
stand unter Verdacht, Blut und Boden zu verherrlichen - Irrtum. KZ-Erde und
Hanfsamen, Gorleben-Salz und Genmais fügen sich zu einem Gesamtkunstwerk,
wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Von Jochen Bölsche
Dunkel war's, als die acht Vermummten nahten. Unter den Hieben ihrer Baseballschläger
zersplitterten Fenster und Türen. Als die Stiefel der Eindringlinge die Treppe
empordonnerten, konnten sich die Bewohner des ersten Stockwerks, vier Flüchtlinge
aus Sierra Leone, nur noch durch einen Sprung aus dem Fenster retten.
Taghell war's, als sich 16 Monate nach dem Skinhead-Überfall vom Mai 1999
eine ganz andere Gruppe dem Asylbewerberheim im niedersächsischen Kutenholz
näherte. Mit Schaufel und Spaten füllten Dorfbewohner auf dem Gelände einen
Zentner Mutterboden in zwei Jutesäcke. Viele trugen einen Button mit dem Slogan
"Gegen Fremdenhass und Gewalt".
Ende vergangenen Monats deponierte die Initiatorin der Aktion, die promovierte
Philosophin Margrit Wetzel, 50, die Krume aus Kutenholz an ihrem Bestimmungsort:
in einem 21 mal 7 Meter großen Rechteck aus Robinienholz im nördlichen Lichthof
des Reichstagsgebäudes zu Berlin. Wie die Stader SPD-Abgeordnete
haben rund 200 Parlamentarier ihren Beitrag zu dem wohl meistumstrittenen
Kunstwerk der Berliner Republik geleistet: dem Vorhaben des Künstlers Hans
Haacke, den Holztrog von den Bundestagsabgeordneten mit insgesamt 33 Tonnen
Erde aus allen Wahlkreisen der Republik füllen und dann die Saat ungestört
aufgehen zu lassen.
Der Bundestag hatte die Haacke-Installation im April lediglich mit einer hauchdünnen
Zweistimmenmehrheit gebilligt. Das lag nicht zuletzt daran, dass der Künstler
sein Objekt mit Hilfe von Leuchtbuchstaben "DER BEVÖLKERUNG" widmen
wollte (also auch den derzeit 7,4 Millionen Nichtdeutschen im Lande) - statt
lediglich --- S.98
"DEM DEUTSCHEN VOLKE", dem der Reichstagsbau per bronzener Portikus-Inschrift
seit 1916 zugedacht ist.
Haacke-Kritiker aus allen Lagern stießen sich zudem an der Idee, Erde als
Gestaltungsmittel einzusetzen: Auf politische Korrektheit abonniert, unterstellten
viele dem in New York lebenden Linken geradezu reflexhaft, er wolle mit seinem
Werk an "Blubo" anknüpfen, wie der großdeutsche Volksmund einst
die Blut-und-Boden-Schwiemelei der NSDAP bespöttelte.
Anstoß an der "durch die Nazis besetzten Erdkultsymbolik" nahmen
nicht nur SPD-Mitglieder wie die Münchner Abgeordnete Hanna
Wolf. Auch den Heidelberger FDP-Mann Dirk Niebel erinnerte der Trog
"fatal an das Ritual der Olympischen Spiele von 1936, zu denen jeder
deutsche Teilnehmer einen Klumpen Erde aus seinem Heimat-Gau anzuschleppen
hatte".
Grünen-Politiker gingen, unisono mit der Union, gleichfalls auf Distanz zu
Haacke. Antje Vollmer sprach vor dem Bundestag verächtlich von "Kitsch
in Eimern", der schleswig-holsteinische CDU-Abgeordnete Michael von Schmude
mokierte sich über "Biokitsch hoch drei".
Mittlerweile jedoch, gut sechs Wochen nach der so genannten primären Beschüttung
des Trogs, lässt sich beurteilen, ob die Warnungen vor nationalem Schwulst
und bräunlichem Pathos berechtigt waren. Und siehe da: Das Gegenteil ist der
Fall.
Im Lichthof entsteht, Sack für Sack, etwas völlig anderes als befürchtet:
ein Werk, wie es die Welt noch nicht gesehen hat - teils ernsthafter Ausdruck
der von Kanzler Gerhard Schröder propagierten "Zivilgesellschaft",
teils skurriler Auswuchs der deutschen Fun-Fun-Fun-Society 2000.
Wie bei "Big Brother" dokumentiert eine Live-Kamera das Gedeihen
des Beetes. Aktuelle Fotos sind im Internet (www.derbevölkerung.de)
abrufbar.
Wie viele und welche der 669 Abgeordneten das Projekt aus welchen Motiven
fördern und wer warum die Mitwirkung verweigert - die Antworten auf diese
Fragen erlauben Rückschlüsse auf den geistigen wie moralischen Zustand des
Landes. Schon scheint es, als entstehe im Berliner Sandkasten so etwas wie
ein maßstabsgerechtes Modell der politischen Landschaft samt all ihrer Bös-
und Gutmenschen, ihrer Witzbolde und Wichtigtür.
Zu den Akteuren der ersten Stunde - noch ist der Rahmen des Beetes kaum zu
einem Drittel gefüllt - zählen Politiker wie der SPD-Mann
Peter Zumkley, der die Aktion geschickt zur Stammwählerpflege nutzte und die
beiden 25-Kilo-Säcke, die jedem Abgeordneten zugestellt worden sind, mit Humus
aus mehreren Laubenpieperkolonien in seinem Wahlkreis Hamburg-Wandsbek füllte
- unter eifriger Mithilfe örtlicher Vereinsfunktionäre. "Kleingärtner",
sagt Zumkley, "haben doch am meisten mit Erde zu tun."
Und da gibt es so tüchtige Genossinnen wie Waltraud Lehn aus dem nördlichen
Ruhrgebiet, die ihrem Frachtgut für Berlin publikumswirksam Kohlebrocken beifügte,
die sie selbst unter Tage abgebaut hatte. Mit der Gabe will sie, wie sie tief
schürfend erklärte, "auf die Bedeutung der Steinkohle" für ihren
Wahlkreis hinweisen.
Viele ihrer SPD-Kollegen nehmen die Erd-Arbeiten unterdessen
zum Anlass, um wie die Staderin Wetzel ein "Zeichen gegen den Fremdenhass"
zu setzen und mit der Saat der Gewaltlosigkeit ganz nebenbei den bösen Blubo-Verdacht
ad absurdum zu führen. Wetzel lud zur Schüttaktion eigens den Algerier Kamil
Abu-Mahfouz nach Berlin ein, den Ausländerbeauftragten der Stader Arbeiterwohlfahrt.
Der Hanauer Abgeordnete Bernd Reuter, gelernter Betonbauer, hat seine Säcke
demonstrativ in Anwesenheit von Muharrem Caglayan, dem Vorsitzenden des lokalen
Ausländerbeirats, gefüllt. Caglayan trug während der kleinen Zeremonie auf
einem Bauhof die Erkenntnis bei, so bunt gemischt wie die Erde für Berlin
sei auch die Bevölkerung Hessens.
Fraktionskollege Rainer Arnold aus Baden-Württemberg entdeckte in der schwäbischen
Scholle, die er in Nürtingen einsackte, drei Würmer, die er zu "Botschaftern
der Heimat" erklärte. Sogleich gab der Bevölkerungsvertreter den "regen
Würmern" die typisch deutschen Vornamen Gabriele, Fritz und Erkan.
Arnolds Wurmtaufe war wie die meisten Buddelaktionen in den Wahlkreisen frei
von jener "nicht mehr zu überbietenden Schwerstbedeutsamkeit", die
ein Feuilletonist der "Welt" einigen Linken ankreidete - etwa der
gestrengen Justizministerin Hertha Däubler-Gmelin, die Humus am Grabe des
Verfassungsvaters Carlo Schmid zusammenkratzte.
Zur Symbolistik neigen auch die Postkommunisten. Der thüringische PDS-Abgeordnete
Carsten Hübner füllte seine Säcke im ehemaligen KZ Buchenwald, seine sächsische
Kollegin Christine Ostrowski schaufelte auf dem Gelände der Dresdner Synagoge.
Der Berliner Professor Heinrich Fink holte Erde aus Raben Steinfeld, einst
Endstation der Todesmärsche aus den Konzentrationslagern Sachsenhausen und
Ravensbrück.
Inspiriert hat einige der PDS-Politiker womöglich das --- S.102 Beispiel des
Parlamentspräsidenten Wolfgang Thierse. Der Rotbart hatte am 12. September
den ersten Sack im Trog entleert und damit offiziell die so genannte partizipatorische
Phase des Werkes (Haacke) eingeleitet. Sein Mitbringsel, exakt platziert neben
den ö-Pünktchen der Neon-Lettern des Wortes BEVÖLKERUNG, stamme vom Jüdischen
Friedhof in seinem Heimatkiez Prenzlauer Berg, verriet Thierse - und warf
damit kritische Fragen auf.
Reporter der "Süddeutschen Zeitung", die flugs den Friedhof vis-a-vis
von Thierses Schlafzimmerfenster inspizierten, fanden dort zwischen den Grabstellen
ausschließlich asphaltierte Wege. Der Bundestagspräsident - ein Grabschänder?
"Nein, nein, von den Gräbern, um Gottes willen, niemals", beteuerte
ein Friedhofswärter den Rechercheuren und versicherte hoch und eilig: "Es
war Kompost."
Thierses Initiative war ganz im Sinne des Künstlers Haacke, der seinen Trog
bei der Erstbeschüttung abermals der Bevölkerung widmete - und speziell dem
Mosambikaner Alberto Adriano, "der auch zur Bevölkerung gehörte".
Der Familienvater war im Juni in Dessau von Neonazis zu Tode geprügelt worden.
Sonst aber erinnerte die Aktion bereits bei ihrem Start eher an ein Happening
als an eine Feierstunde. Milde Heiterkeit kam auf, als Elke Leonhard, Ex-Vorsitzende
des parlamentarischen Kulturausschusses, auf Highheels zum Pflanztrog stöckelte
und ein Goldfischglas mit sieben Sorten vulkanischen Gesteins aus der Eifel
leerte; jemand vom Bodenpersonal Gottes hatte die Lavabrocken zuvor gesegnet.
Andere Abgeordnete waren mit Säcken und mit Aktencontainern, Waschschüsseln
und Tuppertöpfen erschienen, um heimische Erde aufs Beet rieseln zu lassen,
versetzt mit Stroh und mit Parteiabzeichen, mit Dung und Sonnenblumenkernen.
Am Rande kursierte der Herrenwitz, Feministinnen hätten bereits gegen die
Widmung "Der Bevölkerung" protestiert: "Es muss doch ,Die Bevölkerung'
heißen."
Seit jenem Eröffnungstag hat sich der Slapstick-Charakter der Aktion von Woche
zu Woche verstärkt. Helle Aufregung erfasste die Boulevardpresse, als Ende
September zwei anonyme Koalitionsabgeordnete per Bekenneranruf bei SPIEGEL
ONLINE kundtaten, sie hätten Hanfsamen der besonders wirkstoffreichen Sorte
"Super Skunk" ins Beet gemischt.
Die "Bild-Zeitung, die das Biotop zuvor als "Biokitsch" abgetan
hatte, empörte sich nun scheinheilig: "Wer jubelte der heiligen Erde
Hanfsamen unter?" Für die Unbedarften fügte das Blatt hinzu: "Hanf!
Daraus könnte man Haschisch machen! Haschisch!"
Einen Zentner Salz aus einem Stollen am Nuklearlager Gorleben steuerte Hedi
Wegener bei, SPD-Abgeordnete aus dem Lüneburgischen. Nachdem
sie die weißen Kristalle in Form eines Kreuzes auf dem Beet verteilt hatte,
konterte sie den Vorwurf, sie erschwere auf diese Weise die von Haacke gewünschte
Spontanbegrünung: "Im atomaren Zwischenlager wächst schließlich auch
nichts mehr."
Einen Eklat löste vorigen Monat die CSU-Abgeordnete und Gartenfreundin Renate
Blank aus, als sie eine Schwertlilienknolle in die Berliner Scholle drückte.
Die Schwarze mit dem grünen Daumen durchbrach damit einen von den CSU-Herren
ausgerufenen Boykott.
Die Nürnbergerin, Obfrau ihrer Partei im Kunstbeirat des Parlaments, habe
sich "selbst disqualifiziert", giftete CSU-Parlamentsgeschäftsführer
Peter Ramsauer. Er selbst schwor, er werde eher "einen Sack Zement auf
den Watzmann schleppen" als Wahlkreiserde nach Berlin.
Die meisten Unionspolitiker zeigen sich außer Stande, cool oder gar humorvoll
auf Haackes Werk zu reagieren. "Scharlatanerie", "Unfug",
"Verarscherei" - so grobes Vokabular bevorzugt CDU/CSU-Innenexperte
Erwin Marschewski, wenn er in der Presse zu dem fremdenfreundlichen Projekt
Stellung nimmt: "Auf Drecksäcke, die in einen Trog ausgeschüttet werden,
kann der Bundestag doch wirklich verzichten."
Sein schleswig-holsteinischer Fraktionskollege von Schmude hörte sich schon
im Frühjahr: "Bestimmt wird die Schüssel bald voller Zigarettenkippen
sein." Andere Unionsabgeordnete kündigten an, sie wollten die mit den
Nationalfarben geschmückten Jutesäcke an den Absender retournieren (Fraktionschef
Friedrich Merz) oder damit "ein Sackhüpfen im Wahlkreis" veranstalten
(CSU-MdB Christian Schmidt).
Doch allmählich gehen der Union die Sackargumente aus. Der Blubo-Vorwurf jedenfalls
hat sich als völlig abwegig erwiesen - schon deshalb, weil auf Grund der Boykottaufrufe
von rechts überwiegend rosa und rote Erde ins Terrarium gelangt, --- S.106
versetzt mit Scholle von Stätten nationalsozialistischen Terrors.
Nicht ohne Neid registrieren CDU/CSU-Abgeordnete, welche Publicity der Sediment-Event
selbst noch den blassesten Hinterbänklern aus der Regierungskoalition beschert.
Vielerorts wird in der Lokalpresse unter lebhafter Leserbeteiligung diskutiert,
wo überall eine Handvoll Heimaterde für Berlin entnommen werden soll. "Selbst
Obscht- und Gartenbauvereine habe mitgemacht", schwäbelt Baden-Württembergs
neue SPD-Spitzenfrau Ute Vogt.
Hoch im Norden, am plattdeutschen Strand, verfolgte das Publikum voller Mitgefühl
die Unbill, die der Plöner Abgeordnete Michael Bürsch erlitt, als er bei Möltenort
an der Ostsee ein paar Schaufeln Sand für den Reichstag einsackte.
Die CDU-geführte Kreisverwaltung brummte dem SPD-Mann ein
Bußgeld wegen Verstoßes gegen das Landeswassergesetz auf (SPIEGEL 41/2000),
zog es dann aber vor, das unpopuläre Verfahren rasch niederzuschlagen. Landrat
Volkram Gebel verfasste eine gereimte Einstellungsverfügung:
Das Gesetz haben wir nicht erdacht,
über uns wird zu Unrecht gelacht.
Der Bevölkerung zwei Säcke Sand
schadet nicht dem Möltenorter Strand.
Mancherorts starten sogar Kutschen, um Heimisches in die Hauptstadt zu karren.
Und immer wieder rücken ganze Schulklassen mit Erde in Sack und Tasche bei
ihrem Wahlkreisvertreter im Reichstag an.
"260 Bundestagsabgeordnete haben im April für das Kunstwerk gestimmt,
258 dagegen. Die 258 haben jetzt Pech. Denn die 260 haben einen Medienauftritt",
beobachtete die "Berliner Zeitung". Im Übrigen erweise sich das
zunächst belächelte Objekt nun "als eines der erfolgreichsten Kunstwerke
in der Geschichte der Bundesrepublik": "Hans Haackes listenreiches
Spiel mit den Medien und der öffentlichen Meinung ist grandios aufgegangen."
Kein Wunder, dass selbst eingefleischte Haacke-Kritiker mittlerweile darüber
nachsinnen, wie sie selbst auch ein wenig von dem Pressewirbel profitieren
können.
Der Berliner CDU-Abgeordnete Siegfried Helias streute, er habe statt Heimischem
auch Erde aus anderen Ländern, darunter auch aus Österreich, für den Trog
gesammelt. Die Mülheimer FDP-Frau Ulrike Flach kündigte an, sie werde aus
Protest gegen die rot-grüne Koalition "genveränderten Mais" aussäen,
"weil die Regierung diese neuen Techniken boykottiert".
Unterdessen ließ ihr Heidelberger Parteifreund Niebel demonstrativ einen Kanister
Neckarwasser, "selbstverständlich aus meinem Wahlkreis", in den
Trog plätschern. Niebels "Kunstbegießung" ("Der dabei zu Tage
getretene braune Matsch sollte meine Kritik sichtbar machen") trug dem
Liberalen jedoch den Ruch bodenlosen Banausentums ein: Die "FAZ"
attestierte ihm "spätpubertäre Geschmacklosigkeit".
"Das ist das eigentlich Unwürdige und Beschämende an der Aktion: dass
sie unter den gegnerischen Parlamentariern dumpfe, nach öffentlicher Aufmerksamkeit
lechzende Ideen produziert", schrieb das liberalkonservative Blatt, das
der Haacke-Aktion lange Zeit kritisch gegenübergestanden hatte, neuerdings
aber zu der Ansicht tendiert, dass das Projekt schon "kein Kunstwerk
mehr ist, sondern ein Denkmal": "Man mag es Indifferenz nennen,
vielleicht auch Indolenz - Schwerfälligkeit und Trägheit -, dass Hans Haacke
bislang so wenig Mitspieler zur Teilnahme an seinem Reichstagsprojekt animieren
konnte."
Der Meinungsumschwung in der Öffentlichkeit hat den Oppositionstruppen bereits
erste Bodenverluste beschert.
Er fühle sich dem Mehrheitswunsch der Bürger verpflichtet, erklärt der freidemokratische
Haacke-Kritiker Jürgen Koppelin. Auch der baden-württembergische Christdemokrat
Paul Laufs will trotz seiner Aversion gegen "Erdrituale" mitmachen,
"sofern der Rems-Murr-Kreis ausdrücklich Wert darauf legt". Er wolle,
so der Unionschrist, schließlich nicht als der "Bösewicht" dastehen,
der es zu verantworten habe, dass am Ende sein Wahlkreis der einzige ohne
Boden in Berlin ist.
Ein harter Kern von Haacke-Gegnern schart sich unterdessen erbitterter denn
je um ein fragwürdiges Kampfargument: Das Bodendenkmal gründe nicht auf dem
Boden der Grundordnung.
Das Werk "der Bevölkerung" zu widmen bedeute eine "Verneinung
des deutschen Volkes", behauptet CSU-Ramsauer. "Das ist kein Kunstwerk,
das ist politische Agitation", tönt CDU-Rechtsaußen Peter Kurt Würzbach.
Solchen Parolen halten liberale Unionsabgeordnete wie Rita Süssmuth das Argument
entgegen, zwar gehe laut Grundgesetz alle Staatsgewalt "vom Volke"
aus, zugleich aber garantiere die Verfassung sämtlichen Bewohnern des Bodens
der Bundesrepublik, gleich welchen Blutes, den Schutz der Menschenrechte.
Auch die Nürnberger CSU-Dissidentin Blank kommt, wie sie Reportern eröffnete,
mit der Haacke-Widmung ganz gut zurecht: "Ich bin vom deutschen Volk
gewählt worden, aber der Bevölkerung verantwortlich. Das ist doch ganz einfach."
Was die Lilie betreffe, die sie ohne Genehmigung der Parteispitze in den Kunsttrog
gepflanzt habe, folge sie allerdings einem ganz anderen Prinzip: "Ich
vertrete meinen Garten."
DER KÜNSTLER
Dem gebürtigen Kölner Hans Haacke, 64, gelingt es immer wieder, die Mächtigen
mit seiner Prozesskunst zu provozieren. In seiner Wahlheimat New York etwa
warnt seine Installation "Sanitation" (Hygiene) vor faschistoiden
Tendenzen in der US-Kulturpolitik.
DAS WERK
Haackes Berliner Projekt "DER BEVÖLKERUNG" wurde im April vom Bundestag
mit 260 zu 258 Stimmen gebilligt. Der Holztrog mit Kiesbett und Neonschrift
soll von den Abgeordneten mit 33 Tonnen Erde gefüllt und dann einer "Spontanbegrünung"
ausgesetzt werden.
DIE IDEE
Mit dem Schriftzug "DER BEVÖLKERUNG" will Haacke die Reichstags-Inschrift
"DEM DEUTSCHEN VOLKE" und deren "möglicherweise nationalistisches
Potenzial" konterkarieren und auf die Verantwortung der Politik auch
für den nichtdeutschen Teil der Bevölkerung hinweisen.
DIE KOSTEN
Für Haackes Kunst am Bau hat der Kunstbeirat des Bundestags 375 000 Mark vorgesehen.
Die Kosten für den Erd-Transport aus den Wahlkreisen nach Berlin sollen die
Abgeordneten tragen.
AP Worldstream - German - November 10, 2000
Bundestag
ermöglicht Homo-Ehe: Erste Zusammenfassung
Eingetragene Lebenspartnerschaft ab Mitte 2001 -
Wortgefechte im Bundestag - Union prüft Verfassungsklage
Auch homosexuelle Paare können ihre Partnerschaft ab dem nächsten Jahr amtlich
besiegeln lassen. Der Bundestag verabschiedete am Freitag mit der Koalitionsmehrheit
das Gesetz zur eingetragenen Lebenspartnerschaft, die damit als neues familienrechtliches
Institut neben der Ehe etabliert wird. Offen ist noch, ob das Standesamt oder
eine andere Behörde für die Eintragung zuständig sein wird. Die Union kritisierte
das Gesetz als Angriff auf Ehe und Familie und kündigte eine Verfassungsklage
an. Der Abstimmung gingen teilweise erbitterte Wortgefechte voraus. Der CSU-Abgeordnete
Norbert Geis sagte, das Gesetz stehe nicht nur im Widerspruch zum Grundgesetz,
das die Ehe unter den besonderen Schutz des Staates stellt, sondern auch zu
religiösen Grundsätzen. Die so genannte Homo-Ehe sei ein ''Verstoß gegen unsere
Kultur'' und ''der schlimmste Angriff auf Familie und Gesellschaft''.
SPD und Grüne verteidigten die Verabschiedung dagegen als
''historische'' Entscheidung. ''Die langen Jahre der Diskriminierung sind
vorbei, Lesben und Schwule bekommen heute ihr Recht'', sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende
Kerstin Müller. Die SPD-Abgeordnete Hanna Wolf
sprach von einem ''längst überfälligen Akt der Wiedergutmachung an Schwule
und Lesben'' nach jahrhundertelanger Diskriminierung. Bundesjustizministerin
Herta Däubler-Gmelin sagte, es gehe bei dem Gesetz darum, dauerhafte Beziehungen
zu fördern: ''Der Anspruch auf Würde muss jedem zukommen, egal welche Orientierung
er oder sie hat'', betonte die SPD-Politikerin.
Wie die Union bezeichnete auch die FDP das Gesetz als verfassungswidrig und
sprach sich für eine notarielle statt einer behördlichen Eintragung aus. ''Eine
Kopie der Ehe kann nicht die Lösung sein'', sagte Parteichef Wolfgang Gerhardt.
Der PDS geht der Koalitionsentwurf dagegen nicht weit genug. Der Abstand der
eingetragenen Partnerschaft zur Ehe sei nicht akzeptabel, sagte die PDS-Abgeordnete
Christina Schenk.
Gesetz in zwei Teilen verabschiedet
Die rot-grüne Koalition hatte ihren Gesetzentwurf kurz vor der Abstimmung
in zwei Teile gesplittet, um eine Blockade des gesamten Vorhabens durch den
Bundesrat zu verhindern. Die Länderkammer wird voraussichtlich Anfang Dezember
über das Gesetz beraten.
Der zustimmungsfreie Teil regelt neben der behördlichen Eintragung der Lebenspartner
das Namensrecht, den Güterstand und zahlreiche weitere familienrechtliche
Fragen. Die Lebenspartner sind künftig einander zur Fürsorge und Unterstützung
sowie zur gemeinsamen Lebensgestaltung verpflichtet. Sie übernehmen damit
umfassende gegenseitige Unterhaltspflichten.
Ebenfalls nicht der Zustimmung der Länder bedarf die Anerkennung der Lebenspartnerschaft
im Mietrecht, im gesetzlichen Erbrecht, bei Kranken- und Pflegeversicherung,
im Ausländergesetz und im Arbeitsförderungsrecht. Auch wird ein ''kleines
Sorgerecht'' für Kinder geschaffen, die in einer Lebenspartnerschaft aufwachsen.
Der zustimmungsfreie Teil wird voraussichtlich spätestens Mitte 2001 in Kraft
treten.
Zustimmungspflichtig sind dagegen die Folgeregelungen im Öffentlichen Dienstrecht
und im Steuerrecht. In diese Kategorie fallen aber auch die Pflichten für
die Lebenspartner wie die Einbeziehung des Partnereinkommens in die Bedürftigkeitsprüfung
bei Sozialhilfe und Wohngeld.
Agence France Presse - November 10, 2000
Bundestag
nimmt rot-grünen Gesetzentwurf zur Homo-Ehe an - Vorhaben gegen heftige Kritik
der Opposition verteidigt
Der Bundestag
hat am Freitag mit den Stimmen der rot-grünen Koalition den Gesetzentwurf
für homosexuelle Lebensgemeinschaften angenommen. Damit sollen schwule und
lesbische Paare künftig eine eingetragene Partnerschaft eingehen können, die
in vielen Bereichen der Ehe gleichgestellt ist. Die Koalition hatte das Vorhaben
aufgesplittet, um den Kernbereich des Rechtsinstituts der eingetragenen Partnerschaft
trotz der Ablehnung der Union umsetzen zu können. Dafür wurden die im Bundesrat
zustimmungspflichtigen Teile und die zustimmungsfreien Passagen auf zwei Gesetzentwürfe
aufgeteilt. FDP und PDS hatten ebenfalls mehrheitlich gegen den rot-grünen
Gesetzentwurf im Bundestag votiert. Sie hatten eigene Vorschläge zur rechtlichen
Besserstellung homosexueller Partnerschaften gemacht. Die erste Vorlage, die
nicht die Zustimmung des Bundesrates benötigt, umfasst das eigentliche familienrechtliche
Institut der Lebenspartnerschaft und regelt deren behördliche Eintragung.
Enthalten sind außerdem das so genannte "kleine Sorgerecht" für
schwule und lesbische Paare sowie Regelungen zum Miet-, Erb- und Ausländerrecht.
Der zweite Gesetzentwurf, der die Zustimmung des Bundesrates benötigt, beinhaltet
Regelungen zur steuerlichen Gleichstellung sowie Veränderungen im öffentlichen
Dienstrecht und der Bedürftigkeitsprüfung bei Sozialhilfe und Wohngeld.
Vertreter der rot-grünen Koalition verteidigten im Bundestag das geplante
Gesetz gegen heftige Kritik aus der Union. Die SPD-Abgeordnete
Margot von Renesse betonte, es gebe eine Mehrheit dafür, dass Beziehungen
zwischen zwei Männern oder zwei Frauen endlich anerkannt würden. Dies sei
eine "Frage der Menschenrechte". Grünen-Fraktionschefin Kerstin
Müller erinnerte daran, dass am Vortag mehr als 200.000 Menschen in Berlin
für Toleranz und gegen Diskriminierung auf die Strasse gegangen seien. Nun
habe der Bundestag die Gelegenheit, etwas gegen die Diskriminierung von Minderheiten
zu unternehmen. Die SPD-Abgeordnete Hanna Wolf
sprach von einem "längst überfälligen Akt der Wiedergutmachung nach Jahrhunderten"
der Diskriminierung. Der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck,
sagte: "Ab heute sind Schwule und Lesben nicht mehr Bürger zweiter Klasse."
Der CSU-Abgeordnete Norbert Geis sagte dagegen, das Gesetz gefährde den besonderen
Schutz der Familien. Daher müsse sorgfältig geprüft werden, ob nicht das Bundesverfassungsgericht
in Karlsruhe eingeschaltet werden müssen. Geis betonte zudem, das Gesetz sei
nicht notwendig, da es keine rechtliche Diskriminierung homosexueller Lebensgemeinschaften
gebe. Gesellschaftliche Diskriminierung werde es immer geben, dies könne auch
nicht per Gesetz verhindert werden. Ein Antrag der Union, die Debatte am Freitag
zu vertagen, war abgelehnt worden.
Überfälliger
Akt der Versöhnung
JAN FEDDERSEN
Gestern beschloss der Bundestag das Gesetz über die "Homoehe". Die
Union drohte eine Verfassungsklage an
BERLIN taz Um 12.32 Uhr war es passiert. Mit den Stimmen von SPD
und Grünen beschloss der Bundestag gestern in Berlin das Gesetz zu Eingetragenen
Partnerschaften homosexueller Männer und Frauen. Applaus in der Mitte des
Parlaments, wo SPD und Grüne sitzen, eisige Mienen an deren
Rändern. Denn Union und FDP sowie einige PDS-Abgeordnete stimmten gegen das
Gesetz. Die meisten PDS-Fraktionsmitglieder enthielten sich. Zu Beginn der
Plenarsitzung hatte die Union noch versucht, die Debatte durch Geschäftsordnungsanträge
zu vertagen. Man habe sich nicht ausreichend mit dem Gegenstand der Debatte
vertraut machen können, sagte Norbert Geis, rechtspolitischer Sprecher seiner
Fraktion.. Von einem Vorwand sprach Alfred Hartenbach, der das Gesetz mitverantwortet
hat. Schließlich sei die Geschäftsordnung des Hauses nicht verletzt worden.
Die Union wolle nur jede inhaltliche Diskussion vermeiden, weil sie kompromisslos
das gesamte Gesetzespaket ablehne.
In der anschließenden zweistündigen Debatte beklagte FDP-Fraktionschef Wolfgang
Gerhardt, dass sich die Regierungsfraktionen auf kein parteiübergreifendes
Reformwerk eingelassen hätten. Dabei verschwieg er, dass SPD
und Grüne eben dies versucht hatten - was FDP und Union ablehnten.
Die PDS-Abgeordnete Christina Schenk lehnte das Gesetz gestern ebenfalls vehement
ab. Sie befürworte eine Regelung, die "kein Sonderrecht für Homosexuelle"
schaffe. Das jetzige Gesetz enthalte beispielsweise nicht die Adoption für
Homosexuelle und sei von den Rechten und Pflichten weit unterhalb der Ehe
angesiedelt.
Die SPD-Abgeordnete Hanna Wolf verteidigte
das Gesetz als "längst überfälligen Akt der Wiedergutmachung an Schwulen
und Lesben".. Aus der Union kam der Zwischenruf, dass alle monotheistischen
Religionen (Christen- und Judentum) in ihren Schriften Homosexualität für
unwert hielten.
Da sei das Grundgesetz offenkundig "barmherziger" als die Bibel,
konterte SPD-Abgeordnete Margot von Renesse, zusammen mit
dem Grünen Volker Beck maßgeblich an der Formulierung des Gesetzes beteiligt.
Ilse Falk von der Union berichtete, sie habe zahllose Briefe erhalten, in
der ihrer Partei das C im Parteinamen abgesprochen würde, falls diese sich
auf die homosexuelle Lebenspartnerschaft einlasse.
Falk wies dies zurück. Sie war die Einzige ihrer Partei, die sich überhaupt
vorstellen mochte, dass es Regelungsbedürfnisse für homosexuelle Partnerschaften
gibt.
Am Ende der Debatte, bei der rot-grüne Redner von der Union mit Worten wie
"ehrlos" und "würdelos" bedacht wurden, mahnte Justizministerin
Herta Däubler-Gmelin an die Demonstration vom Vorabend, auf der auch Unionspolitiker
sich zur Toleranz bekannt hatten. Resonanz fand sie damit keine.
Nach der Abstimmung nahm Grünen-Fraktionschefin Kerstin Müller ihren Kollegen
Volker Beck in den Arm und gab ihm einen dicken Kuss auf die Stirn. Die Union
machte sich derweil an die Arbeit. Wortführer Norbert Geis: "Wir prüfen
den Gang nach Karlsruhe."
JAN FEDDERSEN
Frankfurter Allgemeine Zeitung - November 11, 2000
11.17
UHR, REICHSTAG, PLATZ DER REPUBLIK
Die Debatte war alles andere als leidenschaftlich. Nach Johannes Singhammer
(CSU), der von einer fehlgeleiteten Familienpolitik sprach, trat Christina
Schenk (PDS) ans Pult, die den Gesetzentwurf der Regierungskoalition als diskriminierend
ablehnte, weil er zwischen den Lebensformen Homosexueller und Heterosexueller
immer noch zu sehr unterscheide. Dann sprach die Münchner SPD-Abgeordnete
Hanna Wolf, die sich gegen den Begriff "Homo-Ehe"
verwehrte ("Genauso wie der Leberkäse kein Käse ist, sind eingetragene
Lebensgemeinschaften keine Ehen"), gefolgt von der CDU-Abgeordnete Ilse
Falk, die dafür plädierte, "Anderssein und Andersdenken" zu ertragen.
Etwas beschwingter war nur die Rede des Abgeordneten der Grünen Volker Beck.
Beck gilt als Vater der Initiative für die Schaffung eingetragener Lebenspartnerschaften.
Von nun an, so Beck, werde es mehr Familienfeste, Polterabende und sonstige
freudige Ereignisse zu feiern geben: "Auch Sie, Herr Merz, werden Ihre
Heimatzeitung aufschlagen und unter Bekanntmachungen Anzeigen sehen wie ,Peter
Meier und Klaus Müller haben sich eintragen lassen'." Seine Rede schließt
er mit den Worten: "An diesem Tag möchte ich Ihnen ein Geheimnis verraten."
Rhetorische Pause. "Ein bisschen bin ich heute glücklich!" Den munteren
Worten Volker Becks folgen die belehrenden Ausführungen der Bundesjustizministerin,
die in dieser Debatte das letzte Wort hat. Im Plenum kommt Unruhe auf, Telefongespräche,
Zeitungsgeraschel. Nach der Ministerin werden noch zwei Kurzreden gehalten,
über deren Form und Länge Bundestagspräsidenten Antje Vollmer höflich, aber
bestimmt wacht, eine des Abgeordneten Westerwelle (FDP) und eine des Abgeordneten
Hartenbach (SPD). Als letzten Versuch, die Gesetzesinitiative
der Koalition noch aufzuhalten, stellt der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion
den Antrag, vor der Abstimmung die Staatssekretäre des Bundesinnenministeriums
zu verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesinnenministers befragen zu dürfen.
Der Antrag wird vom Plenum mehrheitlich abgelehnt. Antje Vollmer ruft nun
zur Abstimmung auf. Für den Gesetzentwurf stimmen die Abgeordneten der Koalition.
Gegen den Gesetzentwurf stimmen die Abgeordneten der CDU, der CSU und (bis
auf eine Stimme) der FDP sowie eine Handvoll Abgeordnete der PDS. Mehrheitlich
enthält sich die PDS-Fraktion der Stimme. Das Gesetz ist nun verabschiedet.
In der ersten Reihe drückt die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen,
Kerstin Müller, ihrem Nachbarn Volker Beck einen Kuss auf die Wange. 12.33
UHR avs
Süddeutsche Zeitung – Mai 14, 2001
SPD begrüßt Ende der "Doppelmoral"
Beifall aus den Reihen der Rathaus-SPD für den rot-grünen
Gesetzentwurf zur Prostitution. Eine Rechtsänderung sei "überfällig",
sagt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Barbara Scheuble-Schäfer in
einer gemeinsamen Erklärung mit der Münchner Bundestagsabgeordneten Hanna
Wolf. Prostituierten den Zugang zur Sozialversicherung zu verschaffen
und ihnen zu ermöglichen, sich auf andere Jobs umschulen zu lassen, sei notwendig,
um die soziale Lage dieser Frauen zu verbessern. Bislang hätten Frauen, die
aus dem Milieu aussteigen wollten, kein Geld vom Arbeitsamt bekommen können,
da sie offiziell "gar keiner Tätigkeit" nachgegangen seien. Es sei
an der Zeit gewesen, sagt Wolf, den Begriff der "Sittenwidrigkeit"
aus dem Gesetz zu streichen und damit endlich die "Doppelmoral"
zu beenden. math
DPA - AFX – Mai 31, 2001
Schröder
wirbt vor Bundestag für verantwortbare Gentechnik
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat vor dem Bundestag
für eine maßvolle Öffnung bei der Gentechnik und der Embryonenforschung geworben.
"Wir haben eine Verantwortung für das, was wir tun. Aber wir haben auch
eine Verantwortung für das, was wir unterlassen", sagte er am Donnerstag
mit Blick auf die Hoffnungen der Forscher im Kampf gegen schwerste Krankheiten.
Deutlicher als bisher setzte sich der Kanzler damit von der kritischen Rede
des Bundespräsidenten Johannes Rau zur Gentechnik ab, ebenso von Mahnungen
seiner Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD).
Auch in
der Union traten die unterschiedlichen Auffassungen zur Gentechnik zwischen
CDU-Parteichefin Angela Merkel und CDU/CSU- Fraktionschef Friedrich Merz offen
zu Tage. Die Kirchen bekräftigten ihre Ablehnung der Embryonenforschung.
WARNUNG
VOR UBEREILTER ANDERUNG DES DEUTSCHEN EMBRYONENSCHUTZGESETZES
Schröder
wie auch alle anderen Redner warnten allerdings in der vierstündigen, äußerst
sachlich geführten Grundsatzdebatte vor einer übereilten Änderung des strengen
deutschen Embryonenschutzgesetzes. Darüber soll erst in der nächsten Legislaturperiode
entschieden werden - in einer Abstimmung ohne Fraktionszwang.
Nach Schröders
Worten liegt das "eigentliche Potenzial" der Gentechnik in der Entwicklung
neuer Medikamente und Heilverfahren. Das Gesetz erlaube die Erzeugung von
Embryonen nur, um eine Schwangerschaft herbeizuführen, nicht aber zu Forschungszwecken.
Der Kanzler: "Und ich denke, dabei sollte es auch bleiben." Allein
in den deutschen Labors lagerten aber auf Eis mehr als 100 überzahlige Embryonen,
die irgendwann einmal weggeworfen wurden. Angesichts dieser Alternative "wird
uns die Frage nicht loslassen", ob diese Embryonen nicht doch für Forschungen
eingesetzt werden können.
MAHUNG VOR
UBERBEWERTUNG DER AKTÜLLE DISKUSSION UM PID
Der Kanzler
mahnte zugleich vor einer Uberbewertung der aktuellen Diskussion um die Präimplantationsdiagnostik
(PID) und den damit verbundenen Gentests bei im Reagenzglas erzeugten Embryonen.
"Ist der Rubikon schon überschritten, wenn ein Diagnoseverfahren angewendet
wird, was im Mutterleib erlaubt ist?", fragte Schröder unter Anspielung
auf die äußerst ablehnenden Äußerungen Raus vor zwei Wochen.
Merkel forderte
die deutsche Wissenschaft auf, im Rahmen eines Moratoriums die geplanten Forschungen
an aus dem Ausland importierten embryonalen Stammzellen bis zu einem anderen
Votum des Parlaments auszusetzen. Auch der Import solcher Embryos sei "nicht
im Sinne" des strengen deutschen Gesetzes. Anders als CDU/CSU-Fraktionschef
Merz wandte sich Merkel gegen "ein radikales Nein" bei PID, verlangte
aber zuvor eine grundlegende politische Entscheidung.
Merz hatte
zuvor gewarnt, mit PID werde der Selektion von Kindern "Tür und Tor geöffnet".
Auch in der SPD ist diese Technik heftig umstritten. Wahrend
die SPD-Politikerin Margot von Renesse, Vorsitzende der Bundestags-Ethik-Kommission,
eine begrenzte Zulassung unter strengen Auflagen für möglich halt, verlangte
ihre Fraktionskollegin, die Frauenpolitikerin Hanna Wolf,
ein klares Nein.
Die Grünen
plädierten in der Debatte geschlossen gegen PID. Ihre frühere Gesundheitsministerin
Andrea Fischer sagte, keine noch so ernst gemeinte Begrenzung ließe sich später
in der Praxis einhalten. Werde erst einmal der Zeitpunkt, wann menschliches
Leben tatsachlich beginne, "unter Nutzenkriterien" definiert, so
lasse sich diese Grenze jederzeit verändern. Der Grünen-Fraktionschef Rezzo
Schlauch versicherte allerdings, seine Partei stehe in der Gentechnik nicht
in "Fundamentalopposition". Ziel sei eine enge Verbindung zwischen
Forschungsfreiheit und ethischer Verantwortung.
FDP-Fraktionschef
Wolfgang Gerhardt wies Kritik zurück, seine Partei habe sich ihr klares Ja
zu PID und zu einer Ausweitung der Embryonenforschung zu leicht gemacht. Angst
vor möglichen Missbrauch dürfe eine Gesellschaft "nicht kopflos machen".
Man dürfe nicht auf die britischen und französischen Nachbarn herab blicken,
weil sie bei der Gentechnik anders entschieden hatten, als dies in Deutschland
"die Fundamentalisten empfehlen". Die FDP wolle bei der Gentechnik
"kein Wild-West", sondern Hilfe für Kranke in engen Grenzen, sagte
die FDP-Politikerin Ulrike Flach.
Die PDS warnte eindringlich vor der Ausweitung von Gentests im Arbeitsleben und bei der Krankenversicherung. "Ich bin lieber ein Bedenkenträger als ein Träger von Gedankenlosigkeit", sagte PDS- Fraktionschef Roland Claus./th/DP/ep
Ein bisschen
fördern statt fordern
Die Regierung ist umgefallen: Die Wirtschaft verspricht, ihren Mitgliedern
frauenfreundliche Maßnahmen zu empfehlen - Pflichten bleiben ihr erspart
von HEIDE ÖSTREICH
Passgenau kam die Warnung: 30.000 Unternehmen in Deutschland droht die Schließung,
eine Million Arbeitsplätze seien gefährdet, meldet der Bundesverband mittelständischer
Wirtschaft. Warum? Weil die Chefs keine Nachfolger mehr finden. Der Mittelstand,
der am vehementesten darüber klagte, dass man sich nicht mit Firlefanz wie
der Qualifizierung von Frauen und familienfreundlichen Arbeitszeiten aufhalten
könne, findet plötzlich keinen Führungsnachwuchs mehr. Na so was. Da gab es
doch mal die Idee, der Wirtschaft mit einem Gleichstellungsgesetz auf die
Sprünge zu helfen, das den Unternehmen genau diese Maßnahmen verpasst hätte.
Dann sähe der Nachwuchsmangel vielleicht nicht ganz so gravierend aus. Vorbei.
Am Montagabend haben Kanzler Schröder, Wirtschaftsminister Müller und die
Unternehmerverbände eine "Vereinbarung" getroffen: Der Bundesverband
der deutschen Industrie (BDI) und der Bund der deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) versprechen, ihren Mitgliedern einen bunten Strauss an frauen- und familienfreundlichen
Maßnahmen zu empfehlen, die Regierung verspricht, dass sie auf keinen Fall
ein Gesetz macht, wenn die Vereinbarung "erfolgreich umgesetzt"
wird. Ach ja, Frauenministerin Bergmann war auch dabei. Um daran zu erinnern,
dass die Vereinbarung ja fast genauso aussieht, wie ihr Gesetzentwurf. Nur
steht nicht Gesetz drüber, es steht auch nicht Verpflichtung drüber, sondern:
Die Verbände "empfehlen".
"Da bleibt einem die Sprache weg", ist das Erste, was der Frauenreferentin
des DGB, Maria Kathmann, dazu einfällt. "Den Teufel werden die Unternehmen
tun", sagt die Gewerkschaftsfrau. Einlullen lassen habe sich die Regierung.
Eine herbe Enttäuschung nennt auch die Arbeitsrichterin Ingrid Weber vom Deutschen
Juristinnenbund das Arrangement. Weber hatte in der Expertinnengruppe des
Frauenministeriums an dem Gesetzentwurf mitgearbeitet. Die Vereinbarung sei
die "Garantie dafür, dass das Gesetz nie kommen wird". Es heißt
dort, dass die Empfehlungen der Verbände von einer Kommission begleitet und
überprüft werden. Diese mit Vertretern der Unternehmerverbände und der Politik
besetzte Gruppe "Chancengleichheit und Familienfreundlichkeit der Wirtschaft"
werde die Maßnahmen 2003 erstmals und danach alle zwei Jahre evaluieren. Dann
werde sie Empfehlungen entwickeln, wie mit dem Thema weiter umzugehen sei.
"Es gibt keine verbindlichen Maßstäbe", klagt Weber. Der Gesetzentwurf
hätte die gleichen Regelungen verbindlicher gemacht.
Frauenministerin Bergmann dagegen betrübt dies nicht: "Ein Durchbruch"
sei die Vereinbarung, verkündet sie frohgemut, und in ihrer Presseerklärung
wimmelt es nur so vor "Verpflichtungen". Zu einer Situationsanalyse
"verpflichten sich" die Unternehmen angeblich, und zu "geeigneten
betrieblichen Maßnahmen". Für den BDI allerdings sieht die Verpflichtung
ganz anders aus: "Wir werden unsere Mitglieder wahrscheinlich über ein
Rundschreiben informieren. Ob es gleich zu einer Broschüre reicht, weiß ich
nicht", erklärt der Pressesprecher. Aber die Arbeitsmarktlage werde den
Unternehmen schon auf die Sprünge helfen. Gerade davon sind die Frauenverbände
nicht überzeugt: "Sie sehen doch an der Green Card, dass alles andere
passiert, als dass man Frauen in die Firmen holt", sagt Maria Kathmann.
Und Richterin Weber betont: "Frauen sind doch keine Lückenbüßerinnen.
Nach Artikel drei des Grundgesetzes muss die Gleichstellung gefördert werden.
Diesen Artikel nimmt die Regierung nicht ernst."
Hatten die Fraktionen noch vor kurzem gedroht, den Gesetzentwurf vom Parlament
aus auf den Weg zu bringen, sollte die Verpflichtung der Wirtschaft nicht
überzeugend sein, so ist diese Hoffnung nun dahin. Während die frauenpolitische
Sprecherin der SPD, Hanna Wolf, noch bis nach der Sommerpause
prüfen will, gab Fraktionschef Struck schon mal die Linie vor: Bergmann habe
von einem Durchbruch gesprochen, ein Gesetz sei damit unnötig. Bergmann allerdings
lässt sich nicht verdrießen: Man werde die Evaluation 2003 abwarten. "Und
wenn sich nichts getan hat," so Bergmann zur taz, "dann liegt das
Gesetz wieder auf dem Tisch."
Süddeutsche Zeitung - November 13, 2001
Schwule
Schuhplattler tanzen im Reichstag
Berlin - Zwölf schwule Schuhplattler wollen sich am Donnerstag mit einem Folklore-Tanz
in der Kuppel des Reichstags für das Lebenspartnerschaftsgesetz bedanken.
Sie seien der lebende Beweis dafür, das Schwul-Sein selbst im bayerischen
Brauchtum seinen Platz haben könne, hieß es in einer Mitteilung der Münchner
SPD-Bundestagsabgeordneten Hanna Wolf. Die
so genannten "Schwuhplattler" kommen mit einer Besuchergruppe der
SPD- Politikerin in die Bundeshauptstadt. Das Bundesgesetz,
das homosexuellen Paaren weitgehend gleiche Rechte und Pflichten einräumt
wie Ehepaaren, war zum 1. August in Kraft getreten. Als letztes Bundesland
hatte Bayern die Homo-Ehe landesrechtlich umgesetzt. dpa
AP Worldstream - November 21, 2001
"Ich
bin sehr glücklich über diesen Parteitag"
Zufriedener Bundeskanzler Kanzler lobt zufriedene Delegierte beim SPD-Parteiabend
Korrespondentin Isabell Scheuplein
"Jetzt seid mal eben ruhig". Ein Satz vom Bundeskanzler genügt zum
Auftakt des SPD-Parteiabends in Nürnberg, und die eben noch
wild durcheinander redenden Genossen lauschen Gerhard Schröder einhellig.
Der lobt prompt das "Maß an Geschlossenheit" auf dem Parteitag,
das viele Beobachter nicht erwartet hätten. "Ich bin glücklich über diesen
Parteitag", sagt Schröder mit einem zufriedenen Lächeln. Glück und Zufriedenheit
macht sich zwischen den hoch aufgetürmten Büfetts auch unter den Genossen
breit. "Wir lieben Gerhard Schröder", sagt Wolfgang Grotthaus, Bundestagsabgeordneter
aus Oberhausen, mit breitem Grinsen. "Wir müssen zu unserem Kanzler und
Parteivorsitzenden stehen, wenn wir diese Republik verändern wollen",
fügt er ernst hinzu.
Schröder war mit 88,6 Prozent als Parteivorsitzender wiedergewählt worden,
und auch sein innen- und außenpolitischer Kurs stieß auf dem Parteitag auf
keine nennenswerte Ablehnung. Nach der überstandenen Vertrauensfrage im Bundestag
vom Freitag äußerten die Delegierten in ihren Redebeiträgen kaum Kritik. "Man
lässt seinen Kanzler doch nicht ohne eigene Mehrheit stehen, und dass er die
Richtlinien der Politik und der Partei vorgibt, versteht sich von selbst",
erklärt Grotthaus.
Natürlich habe es intensive Diskussion gegeben vor der Entscheidung über den
Einsatz der Bundeswehr im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Innerhalb
der Fraktion, wie auch zu Hause im Ortsverein sei das Für und Wider genau
abgewägt worden. Schließlich habe man sich, wenn auch oft mit Murren, der
Meinung der Mehrheit angeschlossen. "Es ist doch nichts Negatives, wenn
man mit der Leitfigur einer Meinung ist", sagt der Abgeordnete. Zum Kanzlerwahlverein
sei die SPD deshalb noch lange nicht geworden.
"Diskussionen finden statt, das war schon immer so, und das ist auch
jetzt noch so", sagt Elia Albrecht-Mainz, stellvertretende Vorsitzende
des Unterbezirks Oberhausen. Das zeigten alleine die Abstimmungen, von denen
schließlich keine mit 100 Prozent ausgegangen sei.
"Wir werden nie zum Kanzlerwahlverein", ist sich auch Rita Schmiele,
Delegierte aus dem Bezirk Hessen-Süd, sicher. "Das hieße, dass wir eine
Vorlage bekämen, und nicht wagten, dazu etwas zu sagen." Die Themen,
die der Parteitag mit großer Mehrheit und ohne große Diskussion verabschiedet
habe, seien bereits vor dem Parteitag breit diskutiert worden, sagt Schmiele.
Da könne es bei Einwanderung und innere Sicherheit gar keinen großen Dissens
in der Partei mehr geben. Und angesichts der Bedrohung durch den Internationalen
Terrorismus sei es keine Frage, dass alle zusammenstehen müssten.
SPD soll nicht zum Chaotenverein werden
Die SPD trage Regierungsverantwortung und da könne auf dem
Parteitag nicht Alles und Jedes diskutiert werden, sagt Gisela Schröter, Mitglied
der Antragskommission aus Thüringen. "Da würden wir ja sonst zum Chaotenverein."
Die Vertrauensfrage habe die gesamte Partei "sehr, sehr bewegt".
In der SPD werde aber keine Meinung glatt gebügelt. Schließlich
habe der Bundeskanzler wissen müssen, dass seine Fraktion hinter ihm stehe.
Und die Vokabel "Kanzlerwahlverein" verbinde sie ausdrücklich nur
mit der CDU unter dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl, betont Schröter.
"Schröder hat eine herausragende Arbeit gemacht, gerade im letzten Jahr",
sagt die Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf aus München. Da
habe er die breite Unterstützung voll verdient. Dennoch kritisiert sie, dass
die dominanten Themen wie der Kampf gegen den Terrorismus andere überdeckten.
Gerade über die Risiken der Biotechnologie hätte der Parteitag viel mehr diskutieren
müssen. "Schließlich ist das das Thema der Zukunft", sagt sie.
Süddeutsche Zeitung – Dezember 3, 2001 Pg. 43
Kein
sicherer Platz für Moosbauer
Wenn sich Bayerns SPD am kommenden Samstag in Erlangen im
Redoutensaal trifft, ist nicht nur mit einem Scharmützel, sondern mit einer
Schlacht zu rechnen. Für München geht es dabei um viel - und zwar darum, wie
gut die Landeshauptstadt durch SPD-Abgeordnete in Berlin
vertreten sein wird. Nachdem es zunächst so aussah, als ob Bayerns DGB-Chef
Fritz Schösser, der erneut im Münchner Osten gegen Berti Frankenhauser (CSU)
antritt, keinen sicheren Platz auf der Liste bekommen würde, droht dieses
Schicksal nun einem der Hoffnungsträger der Münchner SPD:
Christoph Moosbauer. Er war ursprünglich auf den sicheren Platz 9 der Liste
gesetzt und rutschte nun, nach der SPD- Präsidiumssitzung
in Nürnberg, auf den ziemlich aussichtlosen Rang 35 ab, auf dem zuvor Schösser
gelegen hatte. Der Münchner SPD-Vorsitzende Franz Maget,
der auch Chef der SPD- Fraktion im Maximilianeum ist, will
das nicht akzeptieren. "Das kann so nicht bleiben", sagte Maget
gestern zur SZ. Bliebe Moosbauer auf Platz 35, wäre er zum direkten Gewinn
in München-Süd verdammt, was angesichts seiner Gegner (der frühere Münchner
CSU-Chef Peter Gauweiler und der Grünen-Landeschef Jerzy Montag) kein Spaziergang
wird.
Der heute 32-jährige Moosbauer stand früher an der Spitze der Münchner Jusos,
nahm 1998 Erich Riedl (CSU) das Direktmandat ab und hat sich mittlerweile
im Bundestag einen Namen gemacht. "Er ist für uns sehr wichtig",
sagte Maget und kündigte an, dass er zusammen mit OB Christian Ude dafür kämpfen
werde, damit Moosbauer aussichtsreich platziert wird. Moosbauer selbst hatte
bereits im Vorfeld der nun erfolgten Rochade zur SZ gesagt, dass er einen
solchen Wechsel für "nicht vermittelbar" halte, und auch Schösser
bekräftigte noch am Freitag: "Christoph Moosbauer darf nicht auf der
Strecke bleiben."
Axel Berg, der 1998 durch einen Sieg über den CSU-Bezirkschef Johannes Singhammer
den direkten Sprung in den Bundestag schaffte, ist noch schlechter platziert.
Stephanie Jung, die im Westen die Nachfolge von Hanna Wolf
antritt und gegen den ehemaligen Kreisverwaltungsreferenten Hans-Peter Uhl
(CSU) kaum eine Chance hat, liegt auf Platz 32. Ihr kommt die Frauenquote
zugute: Als einzige Frau im Münchner Kandidaten-Quartett rutschte sie deshalb
nach vorn.
Angesichts des guten Ergebnisses, das die Oberbayern - insbesondere die Münchner
- bei der Bundestagswahl 1998 einfuhren, müssten sie mit zehn sicheren Plätzen
auf der Liste belohnt werden. Der oberpfälzische Chef der SPD-
Landesgruppe im Bundestag, Ludwig Stiegler, will den Oberbayern aber - wie
berichtet - nur noch sechs sichere Plätze gönnen. Was sicher ist, entscheidet
allerdings der Wähler. Schneidet die SPD im Herbst 2002 schlechter
ab, dürften es kaum nochmals 34 Abgeordnete aus Bayern nach Berlin schaffen.
Die Tatsache, dass Bayerns SPD Wahlen vor allem oder nur
in München gewinnen kann, wurde bereits 1994 bewiesen. Damals holte Ulrike
Mascher in München-Mitte das einzige Direktmandat in ganz Bayern.
Berthold Neff
Veränderungen
an der Basis
Wer von der SPD nicht
mehr für den Bundestag kandidiert / Von Günter Bannas
BERLIN, 7. Mai
Die Funktion der SPD als Regierungspartei hat es mit sich
gebracht, dass sich die Zusammensetzung der SPD-Bundestagsfraktion
nach der Bundestagswahl nicht in den oberen Rängen, sondern an der Fraktionsbasis
verändern wird. Die örtlichen Gliederungen und die Landesverbände gingen bei
der Nominierung der Direktkandidaten und bei der Aufstellung der Landeslisten
mit dem politischen Führungspersonal pfleglich um. Nicht ein Minister und
auch kein führendes Mitglied der Bundestagsfraktion muss darum bangen, in
der nächsten Wahlperiode dem Parlament wieder anzugehören. Selbst der früher
in der Partei wenig gelittene Abgeordnete Schily wurde anders als früher ganz
vorn plaziert - weil es der Bundeskanzler und Parteivorsitzende Schroeder
so wollte. Die Minister Eichel und Riester, die bislang dem Bundestag nicht
angehören, sind abgesichert. Auch Minister, die - wie Rudolf Scharping oder
Ulla Schmidt - im eigenen Betrieb umstritten sind, brauchen nichts zu befürchten.
Diszipliniert haben die Partei und ihre Gliederungen darauf geachtet, dass
aus der Aufstellung der Bundestagskandidaten kein öffentlicher Streit entsteht.
Die kommende SPD-Fraktion wird in ihrem Mittel- und Unterbau
das Gesicht verändern. Etwa 80 der zuletzt 293 Abgeordneten kandidieren nicht
wieder dazu werden einige nicht zurückkehren, weil sie auf den Landeslisten
nur "unsichere" Plätze erhalten haben und ihre Wahlkreise alles
andere als "sicher" sind. Deren Schicksal dürfte für die Außenwirkung
der Partei keine Rolle spielen. Für den Binnenbetrieb des Fraktionsapparates
waren sie von Bedeutung. Anders als die Unionsfraktion ( führende Politiker
der Ära Kohl wie Blüm, Waigel, Rita Süssmuth, Seiters, Bohl werden dem nächsten
Bundestag nicht wieder angehören) wird die SPD "bekannte
Gesichter" nicht verlieren.
Eine Ausnahme gibt es: Anke Fuchs, die in den letzten Monaten der Amtszeit
Bundeskanzler Schmidts Jugendministerin, später SPD-Bundesgeschäftsführerin,
stellvertretende Fraktionsvorsitzende und in der zu Ende gehenden Legislaturperiode
Bundestagsvizepräsidentin war, kandidiert nicht wieder für den Bundestag.
Diesem hatte sie seit 1980 angehört.
Kennzeichnend für den bevorstehenden Wandel sind die Parlamentarischen Staatssekretäre,
die ausscheiden werden. Siegmar Mosdorf ist schon im März aus dem Wirtschaftsministerium
in die Wirtschaft gewechselt. Es wird wohl ein Abschied von der Politik sein.
Mosdorf gehörte zu den - schrödernahen - marktwirtschaftlichen "Modernisierern"
in der Partei, was auch einen Teil seiner Schwierigkeiten mit der SPD
erklärt. Weitere Parlamentarische Staatssekretäre werden die Fraktion verlassen.
Wolf-Michael Catenhusen (Forschungsministerium) gehört dazu, der der Fraktionslinken
zuzurechnen ist, ohne einer ihrer Ideologen gewesen zu sein. Auch die "Parlamentarischen"
des Justizministeriums (Eckhart Pick), des Sozialministeriums (Ulrike Mascher)
und des Familien- und Jugendministeriums (Edith Niehuis) werden aus dem Bundestag
ausscheiden, werden also auch ihre bisherigen Regierungsfunktionen verlieren,
selbst wenn die SPD weiterhin an der Regierung beteiligt
bleiben wird.
Die parlamentarische Linke der Fraktion wird zwei ihrer Kämpfer verlieren.
Nach drei Wahlperioden scheidet der Niedersachse von Larcher aus, der den
Zusammenschluss der SPD-Linken - zu Schroeders Verdruss -
einige Zeit organisiert hatte. Auch der links angesiedelte Kölner Abgeordnete
Gilges wird nicht mehr kandidieren - wie überhaupt alle Kölner Abgeordneten
(neben Gilges und Frau Fuchs sind dies Oesinghaus und Schultz) nicht mehr
in den Bundestag zurückkehren werden.
Die Innen- und Rechtspolitiker verlieren neben Pick den Polizeifachmann Graf
und die Rechtspolitiker Jürgen Meyer und Margot von Renesse. Es gehen auch
der Sicherheitspolitiker Schloten, der frühzeitig dafür gestritten hatte,
dass die Partei Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht länger vorbehaltlos
ablehne, sowie die Berliner Sozialpolitikerin Renate Rennebach, der Saarländer
Lothar Fischer und die Frauenpolitikerin Hanna Wolf.
Die schon jetzt abzusehenden Veränderungen in der SPD-Fraktion
kennzeichnen auch den Beginn eines Generationenwechsels. Die überwiegende
Zahl der Ausscheidenden stammt aus den Jahrgängen zwischen 1940 und 1945,
jener Altersgruppe also, die in der SPD besonders stark vertreten
ist. Die ehedem "Enkel" genannten Sozialdemokraten wie Schroeder,
Heidemarie Wieczorek-Zeul, Scharping und Herta Däubler-Gmelin bleiben zwar
alle; doch sie verlieren ihre Altersgenossen. Die meisten von diesen waren
drei oder vier Legislaturperioden im Bundestag; auch das ist eher die Regel
des parlamentarischen Betriebes als die Ausnahme. Nur zwei der jetzt Ausscheidenden
waren schon im Bundestag, als Willy Brandt noch Bundeskanzler war: Hans-Eberhard
Urbaniak - sozialdemokratisches "Urgestein" aus Dortmund - war im
März 1970 in den Bundestag nachgerückt; der Wirtschaftspolitiker Jens wurde
1972 in das Parlament gewählt.
Mehr
Kinder, mehr Stimmen
HEIDE OESTREICH
16 Millionen junge Deutsche ohne Wahlrecht. Ein Skandal? Um Kindern mehr Einfluss
zu verschaffen, bildet sich mal wieder eine bunte Allianz für das Familienwahlrecht
BERLIN taz Als ahnten sie bereits, dass den vollmundigen Wahlversprechen für
Familien wenig Taten folgen würden, werben die eifrigsten unter den Familienpolitikern
dieses Jahr mal wieder für ein "Familienwahlrecht". Der Familienverband
will es ebenso wie Roman Herzog und Rainer Eppelmann (CDU), Renate Schmidt
oder Lore-Maria Peschel-Gutzeit (SPD).
Das Wahlvolk wird immer älter, die Lobby für die Kinder damit immer dünner
- so eines der Argumente für das Familienwahlrecht -, da wäre es nur gerecht,
mit dem Satz "Alle Gewalt geht vom Volke aus" mal Ernst zu machen
und auch die Kinder wählen zu lassen. Ein Mensch - eine Stimme? Nicht direkt.
So viel Demokratie wollen die Kinderrechtler den Knirpsen nicht zumuten. Die
Eltern sollen für sie mitwählen. Eltern mit drei Kindern hätten also nicht
zwei, sondern fünf Stimmen. Das hält die ehemalige Hamburger Justizsenatorin
Peschel-Gutzeit durchaus für verfassungskonform, schließlich sei es erlaubt,
seine Stimme mittels einer "Vertrauensperson" abzugeben. Mit 16
Millionen mehr Stimmberechtigten hätte sich damit die schönste Kinderlobby
gebildet, so das Kalkül. Denn die Eltern, meinen die vereinigten MenschenfreundInnen,
geben die Kinderstimmen der Partei, die am meisten für die Kleinen bietet.
So jedenfalls die Hoffnung.
Aber tun die Eltern das auch? Wer garantiert, dass Eltern nicht nach ganz
anderen Interessen abstimmen als nach denen ihrer Kinder? Was tut der CSU-Wähler,
dessen 17-jährige Tochter ihn bittet, für sie die Grünen zu wählen? Wer von
den Eltern stimmt für das Einzelkind?
Einzelne katholische Gemeinden praktizieren das Familienwahlrecht bei ihren
Pfarrgemeinderatswahlen. Doch ob da Herr Müller oder Frau Meier die Übungszeiten
des Kinderchors festlegen, ist vielleicht doch weniger ausschlaggebend als
die Zusammensetzung des Bundestages. Auch dass die rechtsextremistische Front
National in Frankreich das Familienwahlrecht seit langem propagiert, lässt
aufhorchen: Populismuspotenzial ist augenscheinlich vorhanden.
Das größte Problem liegt wohl in der Halbheit des Vorschlags: Kinder sollen
ein Wahlrecht haben, aber ausüben dürfen sie es nicht. Damit ist die Wahl
nicht "allgemeiner" als zuvor. Sie nähere sich eher wieder dem preußischen
Dreiklassenwahlrecht an, bemerkte denn auch die familienpolitische Sprecherin
der SPD-Fraktion im Bundestag, Hanna Wolf.
Zudem entmündige das Familienwahlrecht die Kinder, weil andere stellvertretend
für sie handelten.
Wolf findet Vertretungen besser, in denen die jungen Leute ein direktes
Mitspracherecht haben. Über Jugendparlamente beispielsweise könnten sie geeigneten
Einfluss auf die Politik in ihrer Region nehmen.
HEIDE OESTREICH
Die Wahl 2002 -
Abgearbeitet
Drei Münchner ziehen sich aus dem Bundestag zurück
Von Jan Bielicki
Neulich ist sie zum Schwimmen gefahren. An den Starnberger See, an einem Sonntagabend, einfach so. Sie hat es genossen. „Sonst“, sagt Hanna Wolf, „saß ich zu der Zeit immer im Flugzeug.“ Nach Köln/Bonn, später nach Berlin – wie in dieser Woche wohl zum vorletzten Mal, jedenfalls mit dem Plastikkärtchen, das sie als Mitglied des Deutschen Bundestages ausweist. Denn an diesem Freitag tagt der 14. Bundestag das letzte Mal, und wenn im Oktober nach der Wahl das Parlament seine 15. Legislaturperiode beginnt, werden die alten und die neu gewählten Abgeordneten einmal noch zusammen kommen. Danach ist Hanna Wolf (München), SPD, eine Ex-Abgeordnete – egal, wie die Wahl ausgeht. Denn sie tritt nicht mehr an.
Auch die Namen Ulrike Mascher und Aribert Wolf werden die Wähler am 22. September nicht auf den Stimmzetteln finden. Die beiden SPD-Frauen und der CSU- Mann kandidieren nicht mehr – drei der bisher elf Münchner Abgeordneten scheiden damit ganz bestimmt aus dem Parlament aus. Am Wahlabend werden zwar noch weitere zu den Aussteigern stoßen, der Liberale Ulrich Irmer etwa und der Grüne Gerald Häfner, die sich zwar noch als Direktkandidaten versuchen, aber von ihren Parteien nicht auf der Liste abgesichert sind. Doch mehr oder minder freiwillig ausgestiegen sind nur Mascher und die beiden Wolfs.
Es sei „gut zu gehen, wenn es die meisten noch bedauern“, begründet Hanna Wolf ihr Servus. „Sehr gelassen und immer noch fröhlich“ fühlt sie sich. Immerhin saß die 66-Jährige „zwölf spannende, entscheidende Jahre“ im Parlament. 1989, als die SPD sie zur Kandidatin wählte, war Deutschland noch zweigeteilt. Für die gebürtige Mecklenburgerin Wolf, die ihr Abitur in der DDR gemacht hatte, waren die Wiedervereinigung und der Parlamentsumzug von Bonn nach Berlin damit „so etwas wie ein Ringschluss in meiner Biografie“.
Auch sonst sieht sie die Republik verändert – und zwar gerade dort, wo es ihr wichtig war: in der Frauenpolitik. Wolf zieht „eine gute Bilanz“: Vieles habe sie erreicht – und zählt auf, was sie und die anderen „Powerfrauen, die wir 1990 so viele nach Bonn gekommen sind“, durchgesetzt haben: den liberalen Abtreibungsparagraphen 218 in einer Zeit, als „mit den Memminger Abtreibungsprozessen noch Frauenverfolgung herrschte“ im Land. Vergewaltigung in der Ehe wurde ein Offizialdelikt, die Verjährungsfrist bei sexuellem Missbrauch verlängert, zuletzt Frauen per Gesetz besser vor häuslicher Gewalt geschützt. Die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ist Rot-Grün angegangen. „Wir haben“, glaubt Wolf, „ein neues Gesellschafts-Ethos geschaffen.“ Sie jedenfalls meint, alle meine Themen abgearbeitet zu haben: „Mehr kann ich nicht mehr machen.“
Ulrike Mascher dagegen hat beim Aufhören auch ein paar „sicher bittere“ Gefühle, geweckt von der nach wie vor hohen Arbeitslosigkeit. Immerhin ist sie noch Parlamentarische Staatssekretärin im Arbeitsministerium, das die Zahlen verwaltet. Jetzt, im Wahlkampf, muss sie sich verteidigen, gestern in Dessau und Regensburg, morgen in Kempten und Weilheim: „Wir sind nicht untätig dagesessen.“ Auch sie zählt gerne auf, was sie geleistet hat: Gleichstellungsgesetze für Behinderte, Rentenreform, Armutsberichte. Nur: „Was können Sie gegen die Arbeitslosigkeit tun?“ – wenn darüber nicht im Ministerium, „sondern bei Siemens“ entschieden wird: „Das beste Arbeitsamt schafft keine Arbeitsplätze.“
Auch Mascher kam 1990 in den Bundestag. Vorsitzende des Sozialausschusses war sie, dann, als die SPD die Regierung übernahm, eben Staatssekretärin im Ressort mit dem größten Etat – und damit die Münchner Abgeordnete mit dem meisten Einfluss. Doch nachdem ihr Wahlkreis München-Mitte der Verkleinerung des Bundestags zum Opfer fiel, stand sie vor einer Zäsur. Für die SPD einen Wahlkreis etwa in Schongau zu übernehmen, nein, sagt sie, „das hätte bei einer Großstadtpflanze wie mir aufgesetzt gewirkt“. Sie hat sich entschieden: „Es gibt ein Leben nach der Politik.“ In dem sei man endlich Herr über die eigene Zeit, kann ins Theater gehen – und Politik betreiben: Stellvertretende bayerische SPD-Vorsitzende bleibt die 62-Jährige vorerst, die SPD-nahe Georg- von-Vollmar-Akademie wird sie leiten: „Ich werde mich nicht zur Ruhe setzen.“
Mit seinen 42 Jahren will Aribert Wolf das natürlich erst recht nicht. „Vorläufig das letzte Mal“ wird er in dieser Woche im Bundestag sitzen – so spricht einer, der noch Pläne hat. Er nahm ja auch nicht ganz freiwillig Abschied, auch wenn er sagt, dass er sich „am Ende doch freiwillig zurückgezogen“ hat. Damals, als der Parteifreund Peter Gauweiler ihn aus dem Wahlkreis Süd drängte und dabei den OB-Kandidaten Wolf bereits unreparierbar beschädigte. Bald war Wolf nicht nur den Wahlkreis und Listenplatz los, sondern auch die OB-Kandidatur, zusammen „schon eine Brutalstbelastung“, wie er sich erinnert.
Zumal gerade für einen Abgeordneten in vier Jahren Opposition Erfolgserlebnisse rar bleiben: „Man lernt die Akteure hautnah kennen, man lernt, über welche Stränge was läuft, aber durchsetzen kann man wenig.“ Jetzt arbeitet der Jurist in einer Medienfirma – aber „auf meinen politischen Gestaltungswillen verzichte ich nicht“. In den Landtag will er nun, vorerst und wenn er sich diesmal in seiner CSU durchsetzt.
Da hat Hanna Wolf ganz andere Ziele. Mit Video und digitalen Kameras will sich die gelernte Pressefotografin nun beschäftigen – und endlich tun, wozu eine Abgeordnete nicht kommt: „Endlich wieder München kennen lernen.“
März 1, 1993
Diskussionsabend
über Probleme mit dem Nahverkehr
Nach Herausforderungen und Lösungsmöglichkeiten im öffentlichen Personennahverkehr
wollen die Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf und Bürgermeister
Christian Ude auf einem Diskussionsabend am Freitag, 5. März, um 19 Uhr, im
Intercity-Hotel (Bayerstrasse 10, Salon Die Galerie) suchen. Franz-Josef Kniola,
Minister für Stadtentwicklung und Verkehr in Nordrhein-Westfalen, wird zur
Einführung einen Vortrag halten. Auf dem Podium sitzen: Heinz Simons, Vizepräsident
der Bundesbahndirektion München; MVV-Geschäftsführer Dieter Lippert; Stadtbaurätin
Christiane Thalgott; Hans-Günter Naumann, verkehrspolitischer Sprecher der
SPD-Landtagsfraktion, und Heiner Rogge, Leiter der Verkehrsabteilung
der Industrie- und Handwerkskammer für München und Oberbayern. emj
Mai 28, 1993
Paragraphen und Praxis Podiumsdiskussion mit Hanna Wolf, Jutta Bartling, Helga Poschenrieder, Heidi Spanl, Christine Hofmann, Moderation: Cornelia Maierhofer über die Gesetzentwürfe zur Verjährungsfrist bei sexuellem Missbrauch, Vergewaltigung in der Ehe u.a. Veranstaltungsreihe des Frauennotrufs München Sexuelle Gewalt - verjährt und nicht vergessen. 20 Uhr, Gasteig, Raum 0.131.
August 24, 1993
SPD-Diskussion auf dem Rotkreuzplatz
Die Stadtpolitik von A bis Z - darüber wollen heute nachmittag auf dem Rotkreuzplatz
der Oberbürgermeister-Kandidat der SPD, Christian Ude, Stadträtin
Angelika Gebhardt und die Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf
mit Bürgerinnen und Bürgern aus dem Münchner Westen diskutieren. Geplante
Dauer: 16 bis 18 Uhr. ehh
Februar 19, 1994
Wunden,
die nie heilen werden
Das Leid der Frauen in Bosnien steht im Mittelpunkt einer Ausstellung, die
Bürgermeisterin Sabine Csampai am Sonntag um 19.30 Uhr im Carl-Orff-Saal des
Gasteigs eröffnen wird. Unter dem Titel Den Krieg überleben werden bis zum
13. März Photos von Christel Becker-Rau mit Texten von Erica Fischer gezeigt.
Zur Eröffnung findet eine Podiumsdiskussion über Völkermord und Vergewaltigungen
in Bosnien statt, mit Hanna Wolf, SPD, Roswitha Riess, CSU,
Maria Duic von der Münchner Informationsstelle für Flüchtlingsfrauen, und
Azra Blazvic, ehemalige Lager-Inhaftierte. Die Moderation hat ZDF-Redakteurin
Maria von Welser, deren Dokumentarfilm Am Ende wünschst du dir nur noch den
Tod vor der Diskussion gezeigt wird. Christel Becker-Rau
März 14, 1994
SPD erörtert
Fragen zur Beschäftigungspolitik
München hat zwar
im Vergleich mit anderen deutschen Großstädten immer noch die geringste Arbeitslosigkeit,
dennoch ist auch hier die Zahl der Arbeitslosen stark angestiegen. Viele Münchnerinnen
und Münchner machen sich zunehmend Sorgen um ihren Arbeitsplatz. Am morgigen
Dienstag beginnt um 19 Uhr im Hofbräukeller am Wiener Platz eine Fachdiskussion
der Münchner SPD, welche die Frage zu klären versucht, wie
Arbeitsplätze erhalten, neue geschaffen und die Arbeit gerecht verteilt werden
können. An der Veranstaltung nehmen die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula
Engelen-Kefer, Manfred Rademacher sowie die Bundestagsabgeordneten Hanna
Wolf und Peter Glotz teil.bred
März 16, 1994
Waffenexport: Erleichtern, einschränken, verbieten? Podiumsdiskussion mit Hanna Wolf, SPD-MdB, und Kurt Faltlhauser, CSU-MdB. 19 Uhr, Louise-Schroeder-Gymnasium, Musiksaal, Pfarrer-Grimm-Str. 1.
Juni 25, 1994
Kabarett
und Diskussion um Pflegeprobleme
Sozialpolitik muss nicht immer trocken sein: Kabarettist Dieter Hildebrandt
wird sich auf Einladung der Münchner Jusos am Dienstag, 28. Juni, um 20 Uhr
im Augustinerkeller der Frage Satt, sauber, warm - genug Menschlichkeit
in der Pflege? auf seine Weise annehmen. Mit von der Partie bei Kabarett
und Diskussion: die SPD-Bundestagsabgeordneten Hanna
Wolf und Rudolf Dressler, außerdem Claus Fussek vom Verein Vereinigte
Integrationsförderung (VIF). Der Erlös der Veranstaltung (Eintritt 20 Mark,
ermäßigt zehn Mark) kommt der VIF zugute. gl
Juli 13, 1994
Fragen über Arbeit und Soziales beantworten die SPD-Politiker Anne Hirschmann, Franz Maget, Gerda Schneider-Koether, Fritz Schösser und Hanna Wolf. 20 Uhr, Schiessstätte, Servetstr. 1.
September 6, 1994
Georg Kronawitter, Hanna Wolf und Anne Hirschmann beim SPD-Abend auf dem Aubinger Herbstfest. 19 Uhr, Festzelt am Germeringer Weg.
September 29, 1994
Demokratie - Politik - Staat: Alles nur für Grufties?: Herta Däubler-Gmelin und Hanna Wolf, SPD-MdBs, diskutieren mit jungen Leuten. 20 Uhr, von 19 Uhr an Musikprogramm, Post, Bodenseestr. 4.
Oktober 1, 1994
Eine bessere Politik in Bonn. SPD-Frühschoppen mit Hans-Jochen Vogel und Hanna Wolf. 10.30 Uhr, Goldener Hirsch, Renatastr. 35.
Oktober 5, 1994
Zur Sache Kandidatin. Frauen fragen Politikerinnen. Mit Hanna Wolf (SPD), Karin Hiersemenzel (FDP), Lilli Schlumberger-Dogu (Die Grünen), Eva Bulling -Schröter (PDS). Moderation: Anja Timmermann, Susanne Petz. 19 Uhr, Hofbräukeller am Wiener Platz.
Oktober 6, 1994
A 99 - pro oder contra? Podiumsdiskussion der AG Münchner Umweltverbände mit Kurt Faltlhauser (CSU-MdB), Hanna Wolf (SPD-MdB), Axel Schmitt (FDP), Gerald Häfner (Bündnis 90/Die Grünen), Claus Obermeier (LBV), Thomas Bohlender (BI Bürger gegen A 99), Moderator: Kai Buhmann (Bund). 19 Uhr, Pasinger Fabrik, August-Exter-Str. 1.
Februar 21, 1995
Debatte
zur Strafverfolgung bei Vergewaltigung
Zum vierten Mal innerhalb von zwei Wochen wird ein Münchner Kriminalfall zum
Anlass genommen, mögliche Defizite bei Gesetzgebung, Justiz oder Polizei öffentlich
zu erörtern. Nach der Vergewaltigung und Ermordung von Stefanie K. lädt der
Frauennotruf München (Tel. 76 37 37) am morgigen Mittwoch zu einer sachlichen
Debatte über Strafverfolgung bei Vergewaltigung ein. Sie beginnt um 19 Uhr
in die Pasinger Fabrik an der August-Exter-Strasse 1. Unter Leitung der SPD-Frauenpolitikerin
Hanna Wolf diskutieren ihr Bundestagskollege Jürgen Meyer,
ein Strafrechtsprofessor, die Münchner Oberstaatsanwältin Helga Einhauser,
die Frauenbeauftragte des Polizeipräsidiums Christine Steinherr, außerdem
die Soziologin Anita Heiliger (Deutsches Jugendinstitut und Kofra), die Psychologin
Angelika Schauer vom Frauennotruf und schließlich die feministische Anwältin
Magdalena Dollinger. df
März 24, 1995
Den Vätern
das Recht - den Müttern die Sorge?
Am heutigen Freitag um 18 Uhr diskutieren unter dem Motto Den Vätern das Recht
- den Müttern die Sorge? im Alten Rathaussaal die Bundesjustizministerin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die Bundestagsabgeordneten Hanna
Wolf (SPD) und Erich Riedl (CSU) und die Leiterin des Allgemeinen
Sozialdienstes Almuth Tauche mit Vertretern Münchner Verbände über die geplante
Neuregelung des elterlichen Sorgerechts. Eintritt frei. ehh
April 4, 1995
Vergewaltigung in Beziehungen - und bist du nicht willig... Diskussion mit Hanna Wolf (SPD-MdB), Monika Frommel (Uni Kiel), Magdalena Dollinger, RA. 19.30 Uhr, Selbsthilfezentrum, Bayerstr. 77/Rgb.
Oktober 21, 1995
Geschlecht als grundlegende soziale Unterscheidung. Tagesseminar der SPD-Frauen und des Evangelischen Forums. Referentinnen: MdB Hanna Wolf, LMU -Frauenbeauftragte Hardumod Bußmann, Gitta Mühlen Achs von der Uni, Jo Anne Birnie Danzker, Museum Villa Stuck. 10 bis 17 Uhr, Haus der Kirche, Herzog -Wilhelm-Str. 24.
Januar 23, 1996
Wer kann sich noch Kinder leisten? Podiumsdiskussion der Arbeiterwohlfahrt (SPD -Betriebsgruppe) mit Hanna Wolf (MdB), Christine Strobl (Stadträtin), Alois Weidacher (DJU), Jürgen Salzhuber (AWO-Geschäftsführer). 18.30 Uhr, AWO -Haus, Gravelottestr. 6.
Februar 23, 1996
Frauenpolitik auf Bundesebene. Podiumsdiskussion mit Hanna Wolf (MdB der SPD), Christina Schenk (MdB, Parteilos-Liste PDS), Theresa Schopper (MdL Bündnis 90/Die Grünen), Bettina Bremser (Feministische Partei Die Frauen), Moderation Ingegerd Schäuble. 19 Uhr, FraünStadtteilZentrum Haidhausen, Sedanstr. 37.
Mai 14, 1996
Die Bonner Sparbeschlüsse und die Europäische Währungsunion. SPD-Diskussion mit Wolfgang Ochel (ifo-Institut München) und den Abgeordneten Jannis Sakellariou (MdEP), Hanna Wolf (MdB). 20 Uhr, Gaststätte zur Post, Bodenseestr. 4 (Pasing).
September 10, 1996
SPD-Ortsverein Aubing feiert 75. Geburtstag
75jähriges Bestehen feiert der SPD-Ortsverein Aubing am heutigen
Dienstag im Festzelt am Germeringer Weg. Die Festansprache wird von der SPD
-Landesvorsitzenden Renate Schmidt gehalten; Grußworte sprechen die Bundestagsabgeordnete
Hanna Wolf, die Landtagsabgeordnete Anne Hirschmann und Stadträtin
Heidemarie Köstler. Für Unterhaltung ist natürlich auch gesorgt: Die Kabarettistin
Maria Peschek tritt in Aktion, und die Aubinger Musikanten spielen auf. Der
Festabend beginnt 18.30 Uhr. vt
November 19, 1996
Die Informationsgesellschaft im freiheitlichen Rechtsstaat (SPD -WirtschaftsForum) mit Siegmar Mosdorf (MdB, Vorsitzender der Medien -Kommission des Bundestags), Hanna Wolf (SPD-MdB), Vertretern der Siemens AG u.a. 19 Uhr, Unionsbräu, Einsteinstr. 42.
Januar 23, 1997
Sozialdemokratische Steuerpolitik. Diskussion mit Christiane Berger, DGB, Rainer Gerloff, IHK, Stadtkämmerer Klaus Jungfer und Joachim Poss, MdB, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion; Leitung: Otto Schily und Hanna Wolf. 19.30 Uhr, Augustiner, Neuhauser Str. 27.
April 12, 1997
Für eine gerechte Verteilung der Arbeit. SPD-Veranstaltung mit Frauenministerin Ilse Ridders-Melchers (Nordrhein-Westfalen), Prof. Friedrich Hengsbach S.J., Hanna Wolf (MdB), Kabarett: Maria Peschek. 10.30 Uhr, BIZ des Arbeitsamtes.
Juni 18, 1997
Die Polizei - (k)ein Freund und Helfer: Podiumsdiskussion im Haidhauser Bürgersaal mit Rolf Gössner (Rechtsanwalt), Jens Dobler (Autor), Hanna Wolf (SPD- MdB), Roland Koller (Polizeipräsidium), Rudolf Brettmeister (Ombudsmann für Ausländerangelegenheiten); Moderation: Felix Berth (AZ), 19.30 Uhr, Rosenheimer Str. 123.
Februar 13, 1998
Valentinstag - 1000 Blumen verteilen Bundestagsabgeordnete Hanna Wolf, Landtagsabgeordnete Anne Hirschmann und Bezirksrätin Gerda Schneider-Koether bei den Marktgesprächen der SPD am Pasinger Viktualienmarkt. Samstag, 14.2., 11 Uhr.
Mai 13, 1998
Renate Schmidt, SPD-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl, kommt in den Hirschgarten, zusammen mit MdB Hanna Wolf, Stadtrat und Landtagskandidat Rainer Volkmann und Bezirksrat Werner Brand. 19 Uhr, von 18 Uhr an Musik der Gruppe Schlagsaite.
Mai 15, 1998
15 bis 18 Uhr. Marktgespräch - auf dem Rotkreuzplatz mit den SPD-Bundestagsmitgliedern Anke Fuchs und Hanna Wolf.
Juli 12, 1998
Jazz-Frühschoppen mit MdL Anne Hirschmann, MdB Hanna Wolf und Bezirksrätin Gerda Schneider-Koether; Musik: Allied Dixiland Corporation. 11 Uhr, Biergarten Aubinger Einkehr, Gossweinsteinplatz 7.
Juli 13, 1998
Diskussion zum Thema Arbeit mit MdL Fritz Schosser, DGB-Vorsitzender, MdL Anne Hirschmann, MdB Hanna Wolf, Bezirksrätin Gerda Schneider-Koether. 19.30 Uhr, Zur Post, Bodenseestr. 4
Juli 19, 1998
'Musik + Politik' mit MdB Hanna Wolf, MdL Anne Hirschmann, BezRin Gerda Schneider-Koether. 11 bis 13 Uhr, Biergarten der Inselmühle, Von-Kahr-Str. 87.
Juli 24, 1998
Tag des Kindes - Veranstaltung des Kreisverbands München 'Die Falken' in der Freizeitstätte am Hirschgarten, Arnulfstr. 251. Samstag, 25.7., ab 14 Uhr: Aktionen für Kids, Politiker antworten auf Fragen von Kindern und Eltern. Mit den SPD-Abgeordneten Hanna Wolf und Anne Hirschmann
August 21, 1998
'Frauen vorn'. Diskussion mit Hanna Wolf, MdB. 14 bis 17 Uhr, Infostand Ecke Gleichmann-/Schützenstrasse, Pasing.
August 26, 1998
'Kein Blatt vorm Mund' - Talkshow, Kabarett und Musik mit Heide Simonis, Ministerpräsidentin von Schleswig-Hostein, MdB Hanna Wolf, Kabarettistin Maria Peschek und Winny Matthias, Ethno-Jazz; Moderation: Ada Brandes. 20 Uhr, Zur Post, Pasing, Bodenseestr. 4.
September 7, 1998
Christian Ude, Anne Hirschmann, Hanna Wolf und Gerda Schneider-Koether beim Aubinger Herbstfest. 18.30 Uhr, Festzelt am Germeringer Weg.
September 12, 1998
Altweibersommerfest vor Schloss Blutenburg mit Hanna Wolf, Anne Hirschmann und Gerda Schneider-Koether. 14 Uhr. - Monica Lochner-Fischer stellt sich den Fragen der Bürger. 10 bis 12 Uhr, Berliner Str./Fritz-Hommel-Weg
September 18, 1998
Hanna Wolf stellt sich den Fragen der Bürger von 16 bis 18 Uhr beim Infostand am Romanplatz.
September 18, 1998 München
Rudolf
Scharping spricht auf dem Marienplatz
Rudolf Scharping, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Europas und
der SPD-Fraktion im Bundestag, kommt am heutigen Freitag
zur SPD-Kundgebung auf den Marienplatz. Außerdem sprechen
die Bundestagskandidaten Axel Berg, Ulrike Mascher, Christoph Moosbauer, Fritz
Schosser und Hanna Wolf (Beginn 11.30 Uhr). - Die zur gleichen
Zeit vorgesehene Kundgebund auf dem Odeonsplatz entfällt. vt
September 23, 1998
MdB Hanna Wolf versorgt mit Lesestoff zur Bundestagswahl. 7 Uhr, S-Bhf Laim; in Obermenzing: 16 bis 18 Uhr, vor 'Tengelmann', Verdistr.
September 24, 1998
Hanna Wolf verteilt Infomaterial: 7 Uhr, S-Bhf Pasing, und spricht auf dem Baürnmarkt: 13 Uhr, Rotkreuzplatz; Telephonsprechstunde mit dem Kandidaten für München-Nord Axel Berg: 15 bis 16 Uhr, Tel. 39 41 80.
September 25, 1998
Schlusskundgebung der bayerischen SPD mit Rudolf Scharping, Vorsitzender der Bundestagsfraktion, Renate Schmidt, Vorsitzende der Landtagsfraktion, Oberbürgermeister Christian Ude und Walter Riester, stellv. Vorsitzender der IG Metall. 15 Uhr, Marienplatz. - Hanna Wolf verteilt rote Rose und stellt sich den Fragen der Bürger. 13 Uhr, S-Bahnhof Pasing.
März 22, 2001
Erziehungsgehalt - Die zarteste Versuchung, seit es Familienpolitik gibt. Podiumsdiskussion mit den Politikerinnen Christa Matschl, MdL CSU; Theresa Schopper, MdL Bündnis 90/Die Grünen; Hanna Wolf, MdB SPD; Moderation: Gisela Göllner-Kesting. Veranstalter: Katholische Frauengemeinschaft. 18 Uhr, Akademiker-Centrum, Lämmerstr. 3.