Bundestagsdebatte zum Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetztes (§ 19)

und zum Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen

Auszug aus dem Protokoll der 93. Sitzung des 14. Deutschen Bundestages vom 16.3.2000

Präsident Wolfgang Thierse: Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:

            a)         Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen

                        - Drucksache 14/2812 -

                        Überweisungsvorschlag:

                        Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

                        Innenausschuss          

                        Rechtsausschuss

                        Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

            b)         Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hanna Wolf (München), Lilo Friedrich (Mettmann), Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Irmgard Schewe-Gerigk, Marieluise Beck (Bremen), Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ausländergesetztes

                        - Drucksache 14/2368 -

                        (Erste Beratung 84. Sitzung)

                        Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses

                        (4. Ausschuss)

                        - Drucksache 14/2902 -

                        Berichterstattung:

                        Abgeordnete Rüdiger Veit

                        Erwin Marschewski (Recklinghausen)

                        Marieluise Beck (Bremen)

                        Dr. Max Stadler

                        Ulla Jelpke

Video: Modem | ISDN

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort der Kollegin Hanna Wolf, SPD-Fraktion.

Hanna Wolf (München) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Uhl, nur einen Satz zu Ihnen: Es stört nicht, wenn Männer in dieser Debatte das Wort ergreifen. Unerträglich ist nur, was Sie gesagt haben.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Ich finde es sehr schlimm, dass die CDU/CSU-Fraktion Sie heute hier hat reden lassen.

(Zuruf von der SPD: Und dann auch noch klatscht! - Zuruf von der CDU/CSU: Gibt es jetzt schon Redeverbot?)

Mit dem Aktionsprogramm zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen haben die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen ein Zeichen gesetzt. Damit will die Bundesregierung in dieser Republik zum Ausdruck bringen, dass - es stimmt, Frau Falk, dass wir diese Themen immer sehr engagiert zusammen beraten haben - sie endlich etwas auf den Weg bringt und Gesetze macht. Deshalb möchte ich meinen Dank an die Beteiligten zum Ausdruck bringen: an die Frauenministerin Christine Bergmann, die Justizministerin Herta Däubler-Gmelin, den Innenminister Otto Schily, die Bildungsministerin Edelgard Bulmahn, die Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul und auch den Arbeitsminister Walter Riester. Alle haben ihren Beitrag zu diesem Aktionsprogramm geleistet und Gesetzesvorschläge unterbreitet. Deswegen mein herzlicher Dank, dass dieser Aktionsplan heute so einmütig von dieser Bundesregierung getragen wird!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

Es ist für mich eine besondere Freude, dass wir mit großer Mehrheit in diesem Haus § 19 des Ausländergesetzes in der neuen Form verabschieden. Ich freue mich auch sehr, dass die F.D.P. dies nach einer intensiven Diskussion - ich gebe zu, dass sie eine Verdeutlichung in das Gesetz hineingebracht hat - ebenfalls mitträgt.

Frau Falk, es tut mir ein bisschen weh, dass Sie heute nicht mitstimmen,

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Hanna, das weißt du doch noch gar nicht! Die stimmt doch noch zu!)

obwohl wir in vielen Punkten, wenn auch nicht in allen, übereinstimmen. Aber wenn Herr Uhl hier eine solche Rede halten darf, gibt es, glaube ich, keine Chance für Frauen aus Ihrer Fraktion, heute mit uns zu stimmen. Das finde ich schlimm!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS - Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Dann haben Sie es überhaupt nicht richtig verstanden!)

Frau Falk, ich kann Ihnen leider nicht ersparen, dass ich hier einmal der Wahrheit die Ehre gebe. Herr Merz ist leider gegangen. Trotzdem muss ich sagen: Ja, es gab eine sehr dramatische, aber doch eindrucksvolle Debatte im Deutschen Bundestag, bevor wir für die Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe ein Gesetz verabschieden konnten, wie es auch für die Bestrafung der Vergewaltigung außerhalb der Ehe eines gibt. Viele von Ihnen haben sehr mutig mitgestimmt, gerade viele Frauen. Ich sehe einige, die dabei waren. Ich nenne einmal Frau Karwatzki, die das Gesetz mit vorangebracht hat. Aber Ihr neuer Hoffnungsträger und jetzt Fraktionsvorsitzender, Herr Friedrich Merz,

(Zuruf von der CDU/CSU: Ein guter Mann!)

hat bei der Abstimmung über die Sanktionierung der Vergewaltigung von Ehefrauen mit Nein gestimmt. Das finde ich ziemlich schlimm. Dass er nun auch noch Ihr Fraktionsvorsitzender ist, lässt befürchten, dass von diesem Thema bei Ihnen noch nichts angekommen ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Eigentlich sollte er seine Meinung korrigieren und sich entschuldigen.

Wir bringen heute Gesetze auf den Weg, einschließlich der Reform des § 19. Praktisch kurz vor dem Abschluss steht das Recht von Kindern auf gewaltfreie Erziehung. Es ist für uns sehr wichtig, dass es wirklich als Recht von Kindern auf gewaltfreie Erziehung bezeichnet wird. Ich hoffe, dass wir da noch einen Kompromiss finden werden. Die häusliche Gewalt soll endlich sanktioniert werden. Sie ist nämlich nicht eine Privatsache, sondern eine gesellschaftliche Angelegenheit. Unsere Justizministerin wird sicherlich noch etwas dazu sagen.

Frau Ministerin Bergmann hat klar und eindeutig darauf aufmerksam gemacht, dass Prävention, also Verhütung von Gewalt, eine große Aufgabe für uns alle in dieser Gesellschaft ist: in den Schulen, um die alten Rollenklischees zu überwinden, in den Jugendzentren; überall muss thematisiert werden, dass Gewalt geächtet gehört.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben auch angesprochen, dass wir endlich etwas gegen den Frauenhandel unternehmen wollen. Dieses Thema wird auch von der Reform des § 19 des Ausländergesetzes mit erfasst. Wir brauchen das Zeugenschutzprogramm und deswegen eine Abschiebefrist von mindestens vier Wochen. Aber wir brauchen ebenso Hilfen für die Frauen, die man nach Deutschland gelockt und dann in die Prostitution gezwungen hat. Ihnen muss auch in ihrem Heimatland geholfen werden. Es gibt ja die Zusammenarbeit zwischen den nicht staatlichen Organisationen. Diese müssen wir stärken.

(Beifall der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD])

Wir brauchen - auch da waren wir in diesem Parlament einig - eine Gesetzgebung, die auch das Asylrecht dahin gehend präzisiert, dass Genitalverstümmelung als Grund für das Recht auf Asyl anerkannt wird. Wir hoffen, dass dies durch die europäische Gesetzgebung und die Novellierung des Asylrechts ermöglicht wird. Ich denke, dass wir uns darin einig sind.

(Beifall bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse: Frau Kollegin Wolf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Marschewski?

(Zuruf von der SPD: Um Gottes willen!)

Hanna Wolf (München) (SPD): Ja.

Erwin Marschewski (Recklinghausen) (CDU/CSU): Frau Kollegin, ich möchte folgende Frage stellen: Wie können Sie durch die Neuformulierung des § 19 des Ausländergesetzes Frauenhandel verhindern? Diese Frage würde ich gerne von Ihnen beantwortet haben. Öffnet nicht vielmehr Ihre neue Formulierung dem Missbrauch Tür und Tor, und ist es nicht richtig, dass mit der derzeitigen Regelung des § 19 alle schwierigen Fälle - es mag Fälle geben, die verwaltungsmäßig problematisch entschieden worden sind - gelöst werden?

Hanna Wolf (München) (SPD): Alle Fälle werden sicherlich nicht gelöst. Marieluise Beck hat ja darauf hingewiesen, dass dieser Kataloghandel, also das Recht, Frauen umzutauschen, oft deswegen ermöglicht wird, weil die betroffenen Frauen kein eigenständiges Aufenthaltsrecht haben. Das heißt, die Ehemänner kündigen einfach die Ehe auf, wenn ihnen die Ehe nicht passt. Damit erledigt sich für den Mann das Problem, und die Frau wird ausgewiesen. Halten Sie das für richtig? Ich denke, die Neuformulierung des § 19 des Ausländergesetzes ist ein Schritt, um ein solches Vorgehen zu bekämpfen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Erwin Marschewski (Recklinghausen) (CDU/CSU): Sind Sie denn nicht wie ich der Auffassung, dass gerade dieser Fall des Frauenhandels durch den bestehenden § 19 des Ausländergesetzes voll und ganz geregelt wird, und zwar zur Zufriedenheit der misshandelten Frau? Frau Kollegin, es ist wirklich so. Deswegen ist der § 19 in der neuen Form überflüssig. Das wird Ihnen jeder Fachmann, jeder Jurist sagen. Daher frage ich Sie: Sind Sie nicht der Meinung, dass die bestehende Regelung gerade im Hinblick auf die Verhinderung des Frauenhandels voll und ganz ausreicht? Ich bitte darum, diese Frage ganz konkret zu beantworten.

Hanna Wolf (München) (SPD): Wir gehen davon aus, dass sie nicht ausreicht. Wenn Sie meinen, sie reiche aus, dann sehen Sie das eben anders; aber auch dann schadet die Neuregelung nicht.

Präsident Wolfgang Thierse: Kollegin Wolf, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Beck?

Hanna Wolf (München) (SPD): Ja.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Kollegin, sind Sie mit mir der Auffassung, dass im Gegensatz zu den Missbrauchsbefürchtungen von Herrn Marschewski der eigentliche Missbrauch dann besteht, wenn Männer mit ihren ausländischen Frauen, die sie sich in einem Katalog ausgesucht haben, zum Notar gehen, die jeweilige Frau notariell auf alle Unterhaltsrechte verzichtet, der Mann mit der Ehe faktisch keine Verpflichtung eingeht und die betroffene Frau finanziell, aber auch ausländerrechtlich völlig schutzlos gestellt ist, wenn ihr Mann seine Machtstellung in der Ehe auslebt? Sollten wir nicht noch einmal darüber nachdenken, ob damit die Ehe sittenwidrigerweise ausgehöhlt wird und ob in diesem Zusammenhang nicht eine Missbrauchsregelung notwendig ist, die vielleicht auch von der CDU/CSU im Sinne eines Schutzes der Ehe bzw. in diesen Fällen der Ehefrauen unterstützt wird?

Hanna Wolf (München) (SPD): Herr Kollege Beck, ich stimme voll mit Ihnen überein. Es wäre wirklich angemessen - damit möchte ich auf den Vorwurf von Herrn Uhl an sich selber dahin gehend, dass er hier als Mann spricht, eingehen -, wenn sich angesichts dieses Themas mehr Männer engagieren würden.

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber ein bisschen Sachkenntnis müssten die dann haben!)

Letztendlich geht nämlich die Gewalt von den Männern aus. Wer könnte Männern besser klarmachen, dass Gewalt geächtet werden muss? Männer können Männern sehr viel besser sagen, dass es sich nicht gehört, so mit Frauen umzugehen.

(Zustimmung beim BÜNDIS 90/DIE GRÜNEN)

Das wäre eine große Hilfe. Folgenden Appell möchte ich an das gesamte Parlament, an die Öffentlichkeit und auch an alle Männer richten: Helft mit, dass Männer Frauen nicht mehr mit Gewalt begegnen! Das wäre heute ein gutes Signal, das wir nach außen geben können.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Ich möchte mit folgendem Hinweis schließen: Mit der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen bekämpfen wir Gewalt als solche auch in unserer Gesellschaft. Ich glaube, das bringt dieses Parlament heute mit dieser Debatte zum Ausdruck. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)